11KM: der tagesschau-Podcast: "Wir Frauen lassen uns nicht ausradieren" - Justizumbau in Israel

tagesschau tagesschau 9/28/23 - Episode Page - 28m - PDF Transcript

Hunderttausende Menschen protestieren in Israel seit Monaten auf den Straßen.

Gegen das Gesetz zur Schwächung der Justiz.

Am Abend gab es erneut landesweite Demonstration.

Am Wochenende haben 100.000 Menschen für mehr Frauenrechte demonstriert.

Vor allem Frauen. Sie tragen Rot. Rot als Alarmfarbe.

Denn für sie ist eine Grenze überschritten.

Welche Freiheiten sind im Gefahr?

Was hat Gewaltenteilung mit Gleichberechtigung zu tun?

Und was sagt die Einschränkung von Frauenrechten über den Stand der Demokratie in einem Land aus?

Julio Segador hat die israelischen Frauen bei ihren Protesten begleitet.

Er ist Korrespondent in Tel Aviv für die ARD.

Ihr hört 11km der Tagesschau-Podcast.

Ein Thema in aller Tiefe.

Mein Name ist Victoria Kopmann.

Heute ist Donnerstag, der 28. September.

Wir sind mitten im Pneibrak.

Das ist eine Ultra-Orthodoxe Stadt im Osten von Tel Aviv.

Es ist eine eigenständige Stadt.

Viele, viele Tausend Menschen sind hier hauptsächlich Frauen.

Weil es eine Frauendemonstration ist.

Das war für mich ein denkwürdiger Termin,

der man als Korrespondent nicht alle Tage hat.

Denkwürdig, weil hier wirklich zwei Lager der israelischen Gesellschaft aufeinandergeprallt sind,

mit denen wir hier im Land tagtäglich zu tun haben,

nämlich religiöse, israelis und säkulare israelis.

Israel ist ja dezitiert ein religiöses Land.

Bei uns gibt es nicht diese Trennung von Staat und Religion,

sondern Israel ist religiös.

Aber das religiöse geht ja ganz schön weit.

Und da sind diese zwei großen Lager, säkulare und religiöse aufeinandergeprallt.

Also eine wirklich denkwürdige Demonstration.

Wie kann ich mir das vorstellen?

Wie leben die Menschen im Pneibrak?

Es gibt ja viele, die ultra-Orthodoxen,

also die streng religiösen, als einen Staat im Staat bezeichnen.

Also eine ganz eigene Welt.

Es ist eine andere Welt.

Und die ist auch wirklich fremd.

Und die Menschen sehen anders aus.

Man sieht Frauen, die tragen lange Röcke bis zu den Schuhen.

Da darf wirklich keine Haut gezeigt werden, die Frauen tragen Kopftücher.

Die Männer sind in der Regel schwarz gekleidet.

Manche gucken in so kleine Bücher,

da rezitieren sie wahrscheinlich Tora-Passagen.

Also sehr, sehr religiös geprägt und sehr, sehr viele Kinderwägen.

Also man sieht vor allem die Männer erschieben Kinderwägen,

weil eben die religiösen, die ultra-Orthodoxen,

sehr, sehr viele Kinder haben.

Verhütung ist nicht erlaubt bei den strengen religiösen.

Und das ist wirklich ein ganz anderes Leben,

als was man sonst in säkularen Städten in Israel kennt.

Und auf dieser Demo in diesem ultra-Orthodoxen Land

und auf dieser Demo in diesem ultra-Orthodoxen Viertel,

wer hat er protestiert?

Also es sind wirklich hauptsächlich Frauen gewesen

und ich habe Lee Hoffmann getroffen.

Eine 36-jährige Frau, Mutter von zwei Töchtern.

Sie hat ein eigenes Unternehmen

und ist da mit dem Kompagnon auch ziemlich erfolgreich.

Und sie ist eine Demonstrantin der ersten Stunde.

Also seit Jahresanfang geht sie jede Woche,

meist am Schabbat, als am Samstag auf die Straße,

um gegen die Politik der Regierung zu demonstrieren.

Diese Regierung von Benjamin Netanyahu,

dem Ministerpräsidenten, es ist eine rechts-religiöse Regierung.

Also rechtsextreme Parteien und religiöse Parteien

sind in dieser Koalition, die sie am 28. Dezember ins Amt gekommen

und seitdem laufen die Demonstrationen.

Und ich habe sie ja dann gefragt,

ja, wieso macht ihr diese Demonstration genau im Breibrak?

Was soll das bringen, dass ihr dort in diesen Stadtteil geht?

Wir treffen die ja nicht an, die Ultra-Otodoxen im Alltag.

Und die sehen keine Nachrichten, die lesen keine liberalen Medien.

Und der einzige Ort, an dem wir ihnen sagen können,

was wir denken, dass wir wirklich sauer sind,

dass sich hier möglicherweise die gesellschaftlichen Verhältnisse

so ein bisschen ändern in Richtung mehr religiöses,

weniger sexuellen Menschen.

Und das ist ja auch die Frage,

ob wir die Menschen, die wir hier haben,

in den Verhältnissen so ein bisschen ändern

in Richtung mehr religiöses, weniger säkulares.

Das können wir eigentlich ihnen nur zeigen,

wenn wir hier auf den Straßen im Breibrak sind.

Und wir werden uns dann nicht beugen

und wir lassen es nicht zu, dass wir diskriminiert werden.

Und was ist das genau, was sie da befürchtet

an gesellschaftlichen Veränderungen?

Was ist das, wogegen sie kämpft?

Naja, es sind viele kleine Teile.

Bei den religiösen, bei den streng- religiösen Ultra-Auto-Docs

haben Frauen eine sehr, sehr schwache Stellung.

Also, da sind die Männer unter sich.

Da gibt es eine sehr, sehr strenge Geschlechtertrennung

in den Bussen, in allen Bereichen des Lebens,

eigentlich auch in lokalen.

Also, wenn man in so ein streng- religiösen Stadtteil

in eine Ultra-Auto-Docse-Stadt geht,

dann sieht man da Frauen und Männer immer sehr stark getrennt.

Und das ist eben etwas, was sie fürchtet,

dass auch, sozusagen, übertragen werden könnte.

Zumindest Teile davon in die gesamte israelische Gesellschaft.

Und sie sagt eben auch, sie hat Angst um die Zukunft des Landes.

Sie hat Angst, dass ihre beiden Töchter

in einem anderen Israel leben müssen,

als dieses Israel, das sie kennt, in dem sie groß geworden ist.

Und ja, wenn man so ein bisschen hier in die Region geht,

Victoria, also Israel bezeichnet sich ja immer

als die einzige Demokratie im Nahen Osten.

Wir sind hier umringt von arabisch- muslimischen Ländern,

die man wirklich nicht als demokratisch bezeichnen hat.

Und sie hat eben Angst, dass diese Errungenschaft,

diese Demokratie, die inzwischen hier 75 Jahre alt ist,

im Israel, dass die eben dann auch flöten geht.

Lee Hoffman und die anderen Frauen protestieren ja in roter Kleidung.

Das sieht man auch auf unserem Episoden-Cover.

Warum eigentlich in rot?

Also, rot kam eigentlich daher,

weil schon vor drei Jahren

eine Frauenrechtsgruppe aktiv geworden ist.

Das hat ja aber noch gar nichts mit diesen Demonstrationen zu tun.

Die Frauengruppe Bonnot Alternative,

also Frauenbilden, eine Ausnahme übersetzt.

Die hat damals gegen Gewalt gegen Frauen

ganz allgemein demonstriert,

weil es auch hier wie in vielen anderen Ländern

viele, viele Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen gibt.

Von Frauenmorden.

Und die sind damals eben

mit roten T-Shirts auf die Straße gegangen.

Damals noch relativ wenige Frauen

und haben da demonstriert.

Und diese roten T-Shirts sind jetzt übernommen worden.

Und Lee Hoffman

ist natürlich auch rot gekleidert gewesen,

wie viele andere, die trugen Plakate,

wo es eben Einsatz auch darstand.

Wir Frauen lassen uns nicht ausradieren.

Das fand ich auch so sehr, sehr beeindruckend.

Und da waren dann in diesen Demonstrationen,

wo Rot auch vorherrschte, da waren dann auch,

und das hat weltweit auch für Schlagzeigen gesorgt,

die Frauen, die waren gekleidert, wie bei der Netflix-Serie

Hands Made Tale, also diese Mägde,

die in dieser Serie sind.

Und die haben dann mit ihren roten Kleidern

und den weißen Hauben doch an diese Proteste

in der Serie erinnert, die ja vom Leben

in einer religiös-fundamentalistischen Militärdiktatur erzählt.

Also jetzt hast du gesagt, die Frauen sagen,

sie wollen nicht ausradiert werden.

Ich weiß, dass es da auch schon mehrfach Konflikte gab,

weil Ultra-Altodoxyjuden gegen die Abbildung von Frauen sind,

sei das in einem Ikea-Katalog oder auf Wahlplakaten.

Und deswegen, Frauen ganz aus dem öffentlichen Raum

teilweise streichen wollen, da gewaltvoll gegen vorgehen.

Also es geht nicht um kleine Einschränkungen,

sondern um ganz, ganz massive im Leben von Frauen,

die da immer wieder schon zum Thema geworden sind.

So ist es. Und du sprichst die Plakate an.

Also das sieht man zum Beispiel in Nebraka,

aber auch in Jerusalem zum Beispiel.

Da gibt es ja auch einen sehr, sehr großen Ultra-Altodoxen-Staat

in Meerscharim. Die sieht man dann dort auch,

dass da die Plakate einfach überklebt werden von den Ultra-Altodoxen,

weil die wollen einfach nicht, dass die Frauen da abgebildet werden.

Und dagegen sind diese Frauen eben auf die Straße gegangen,

Lioffmann und viele, viele tausende andere Frauen,

Rotgekleidung. Und Lioffmann hat dazu auch was gesagt,

warum eigentlich Rot?

Red is a color that symbolizes, like, look at me, you know?

I'm here, I'm here to be seen.

And we say, like, we put a red line.

This is where we stop, you know?

This is like, we don't allow anyone to cross the red line.

Red is a color that means danger, it proves itself, also blood.

Rot macht aufmerksam, sagt sie, das ist eine rote Linie.

Stopp. Und stopp steht ja auch für Gefahr, steht für Blut.

Und sie sagt, dass alles diese Konzentrationen für Rot,

die sprechen dann auch für sich.

Die spricht von einer roten Linie, die jetzt überschritten ist.

Wir haben schon gesagt, das ist jetzt gar kein neues Problem

oder Phänomen, darum geht es immer wieder.

Aber warum ist das jetzt so akut?

Warum sehen die Frauen jetzt ihre Rechte in Gefahr

und eine rote Linie übertreten?

Ja, weil die Frauen befürchten, dass eine ganz große Schutzmacht

der Frauen geschwächt wird, nämlich die Gerichte.

Und das sind wir eigentlich bei dem großen Überthema,

dass Israel jetzt wirklich seit dieser Regierung im Amtes beschäftigt,

der sogenannte Justizumbau.

Übrigens, genau dazu haben wir auch eine eigene FKM-Folge,

die verlinken wir euch in den Shownauts.

Also Julio, Justizumbau und Frauenrechte, wie hängt das zusammen?

Man kann es eigentlich so sagen.

Bisher sind die Gerichte diejenigen, die auch die Frauenrechte gewahrt haben,

die gesagt haben, das geht so nicht, diese Gesetzgebung ist so nicht möglich

oder die Dinge, die sich hier abspielen, die müssen juristisch unterbunden werden.

Die Gerichte sind die Hüter eigentlich der Frauenrecht

und vieler anderer demokratischen Rechte im Land.

Und das hängt damit zusammen, dass es nicht wie bei uns in Deutschland

jetzt ein Grundgesetz gibt, eine Verfassung, an die sich alle halten.

Es hat in Israel nie eine Verfassung gegeben.

Es gibt bestimmte Grundgesetze, die dann sowas Ähnliches wie Verfassungsrang haben.

Aber die können auch immer wieder geändert werden.

Und da ist es sozusagen Aufgabe der Gerichte hier dafür zu sorgen,

dass diese Rechte, in dem Fall die Frauenrechte auch gewahrt bleiben

und die Justizreform, wie sie auch genannt wird, oder die Justiz Umbau,

die hat zur Folge, dass eben die Justiz geschwächt werden soll,

dass die Regierung und das Parlament mehr Rechte bekommen sollen

und da befürchten eben die Frauen, okay, wenn das so ist,

dann kann das wirklich an die Frauenrechte gehen.

Es hat verschiedene Beispiele gegeben,

wo die Gerichte in der Vergangenheit wirklich für die Frauen entschieden haben,

also über Geschlechtertrennung im Bussen oder Geschlechtertrennung an Stränden.

Da haben die Gerichte immer für die Frauen entschieden

und da ist die große Angst da, dass jetzt durch diesen Justiz Umbau das nicht mehr so ist.

Und gibt es denn schon solche Anzeichen,

dass sich da schon was verändert in diesem rechtsreligiös regierten Land?

Gibt es diese Einschränkungen für Frauen im Alltag jetzt schon mehr?

Also diese Einschränkungen im Alltag, die sind so Etappenweise zu sehen,

einfach weil durch diese rechtsreligiöse Regierung

jetzt sehr, sehr viele religiös eingestellte Menschen,

sehr, sehr viele nationalistisch eingestellte Menschen auch das Gefühl haben,

jetzt sind wir an der Reihe, wir hatten eine ganz bizarre Situation,

ein rechtsextremer Politiker, der hier Finanzminister ist,

Pizzatels-Modric ist vor das Oberste Gericht gezogen

und hat mit vielen Gleichgesinnten demonstriert gegen die Gerichte.

Es war aber echt eine bizarre Situation, er hat dann gesagt.

Niemand ist berechtigt, die Stimme des Volkes zum Schweigen zu bringen,

niemand darf eure Stimme zum Schweigen bringen,

ihr habt rechts gewählt und ihr habt rechts erhalten.

Was heißt das? Das heißt, dass diese rechtsreligiöse Regierung

die Gesetze so umformulieren kann, wie sie wollen.

Und das ist eben jetzt auch das, was viele Menschen im Land,

die so eingestellt sind, einfach umsetzen wollen.

Wir hatten einen Fall in Astor, das ist eine Stadt südlich von Tel Aviv.

Die Stadt ist eigentlich eher sekular, also nicht religiös.

Und ja, vermutlich amunter durch diese Politik dieser Regierung

hat dann ein Busfahrer mehrere Teenager gezwungen,

um einen guten Platz zu nehmen, also mehrere weibliche Teenager.

Und sie sollten auch ihre Beine bedecken.

Also das ist ein ganz klarer Fall von Diskriminierung.

Da hat es in den vergangenen Jahren eben von den Gerichten,

sogar vom Obersten Gericht, Urteile gegeben,

dass es nicht erlaubt ist.

Die Jungs, die sie begleitet haben, die sollten dann vorne Platz nehmen.

Und beinahe der letzten Demonstrationen, die es hier gab,

haben am Samstag in Tel Aviv wieder von mehr als 100.000 Menschen,

die hier wirklich jeden Samstag gleich bei uns hier im Studium Sack,

sich versammeln.

Da hat dann auch Gallit Alush Reuven gesprochen.

Das ist die Mutter eines der Mädchen, die da so diskriminiert wurden

in dem Bus in Astor und sie hat diesen Vorfall beschrieben

und sie hat auch klargemacht, dass das eigentlich eine ganz direkte Folge

dieses Justizumbaus ist, der da geplant ist.

Und für sie steht der Vorfall eigentlich symbolisch auch für die Einschränkungen

der Frauen im öffentlichen Raum.

Und das ist leider kein Einzelfall.

Also es gibt solche Tendenzen schon,

dass hier eher manches vorweggenommen wird,

vermutlich ermuntert durch die Regierung.

Aber es ist ja eben so, dass das, wie du schon gesagt hast,

ein Schritt in die

Regierung, das ist ein Schritt ist nur ein weiterer.

Absolut, Victoria.

Und es hat ja auch einen großen Aufschlag im Land gegeben.

Also alle, die in Israel waren, die Tel Aviv kennen,

das ist eine hippe Stadt, das ist eine moderne Stadt.

Und die Menschen hier, die sind schockiert,

dass solche Dinge nur 30 Kilometer weiter südlich passieren.

Und man muss ehrlicherweise auch dazu sagen,

dass Regierungschef Benjamin Netanyahu hier auch ziemlich sauer war

und klar zum Ausdruck gebracht hat, dass das eigentlich nicht erlaubt ist,

aber von seinen religiösen Koalitionspartnern,

das ist überhaupt kein Bekenntnis dazu.

Jetzt reden wir über diese geplante sogenannte Justizreform.

Wie steht es denn jetzt eigentlich darum?

Ist die überhaupt noch aufzuhalten?

Ja, das ist die große Frage, ob die aufzuhalten ist.

Israel ist unglaublich polarisiert.

Also die Justizreform hat es nochmal gezeigt,

dieser geplante Umbau des Gerichtswesens.

Viele Menschen sind dafür, aber mein Eindruck ist,

dass noch mehr Menschen dagegen sind.

Interessanterweise, und man könnte auch zynisch sagen, witzigerweise,

muss jetzt das Oberste Gericht in einigen Fällen darüber entscheiden,

ob es rechtens ist, dass ihm selbst die Rechte genommen werden.

Also das Gericht muss über seine eigene Entmachtung urteilen.

Und das ist, glaube ich, echten einmaliger Vorgang.

Und ja, das Oberste Gericht, dem steht interessanterweise hier in Israel,

eine Frau vor, Esther Hayoud, 70 Jahre alt.

Sie ist die Präsidentin des Gerichtssofers,

und sie hat eigentlich schon von Anfang an klargemacht,

dass der Justizminister auf einem Holzweg ist.

Justizminister Levine hat diese Reform angestoßen am Jahresanfang.

Sie hat ihm sehr, sehr deutlich gesagt, dass das eigentlich so nicht geht.

Und sie meint, der Plan des neuen Ministers wird das Justizsystem

nicht korrigieren, sondern zerschmettern.

Und sie hat von einer tödlichen Wunde gesprochen

für die Unabhängigkeit der Richter,

und dass damit die Handlungsfähigkeit auch angeschränkt ist.

Das hat sie dem Justizminister ins Gesicht gesagt,

also eine ganz klare Haltung der obersten Richterinnen,

auch ungewöhnlich, dass man so deutliche Worte findet.

Ja, die 1. Hayoud ist 70 und geht als Gerichtspräsidentin bald in Ruhestand,

und zwar im Oktober schon.

Da hat sie jetzt nicht mehr so viel Zeit,

um diesen geplanten Justizumbaud zu verhindern.

Und das Oberste Gericht soll jetzt in den kommenden Tagen entscheiden.

Was kann sie in ihrer Position als Oberste Richterin denn jetzt noch erreichen?

Nun, das ist die große Frage.

Wir hatten jetzt eine Ahnenhörung.

Da ging es um einen Teil dieses Justizumbaus,

um die sogenannte Angemessenheitsklausel,

die war im Juli mit der Mehrheit der rechtsreligiösen Parteien,

in der Knesset im Parlament hier aufgehoben worden.

Dadurch wurde dann den obersten Richtern die Möglichkeit genommen,

Entscheidungen und Gesetze als Unangemessen einzustufen

und sie als ungültig zu erklären.

Und da hat jetzt die Knesset das Parlament gesagt,

wir wollen diese Klausel jetzt streichen.

Und das ist die große Frage.

Jetzt muss das Gericht nämlich selber entscheiden,

ob es verfassungsgemäß ist, dass diese Klausel gestrichen wird.

Das ist eigentlich ein wirklich absurder Vorgang, der sich hier abspielt,

aber keiner weiß, wie es ausgeben wird.

Möglicherweise wird das Gericht dann auch sagen,

das war nicht verfassungsgemäß,

und dann weiß keiner, wie es weitergeht.

Wenn das oberste Gericht dann wirklich nichts mehr zu sagen hätte in Israel,

dann könnte es natürlich auch nicht mehr korrektiv sein für die Politik.

Also zum Beispiel auch nicht mehr dagegen vorgehen,

wenn Freiheitsrechte durch politische Gesetze eingeschränkt werden sollten.

Wie sehen die israelischen Frauen das,

die für ihre Rechte da seit Monaten auf der Straße demonstrieren?

Ja, die Hoffmann und nicht nur sie, viele Tausende andere haben jetzt angesichts dieser Tatsache,

dass die religiösen Parteien als Zünglein an der Waage

eine vergleichsweise starke Stellung in der Koalitionsregierung hier in Israel haben,

Angst, dass es hier Rückstädte gibt,

dass es künftig Gesetze gibt, zu Lasten der Frauen,

dass die Geschlechtertrennung fossiert wird.

Man sieht, das ist nicht nur eine theoretische Möglichkeit,

gegen die hier mobil gemeint ist,

sondern es gibt wirklich hier Vorstöße von religiösen Politikern,

von rechtsnationalen Politikern,

hier wirklich die gesellschaftliche Ordnung ein Stück weit zu verändern.

Ja, und das wäre ja neu, ne?

Denn ja, wir haben gesagt, Israel ist kein säkularer oder laizistischer Staat,

also keiner in dem festgeschrieben ist,

dass Religion und Staat getrennt sind.

Klar, Israel hat als Ausgang,

dass es ein jüdischer Staat ist, sich so versteht.

Aber es ist eben auch ein moderner Staat,

mit vielen modernen Menschen und säkularen Jüdinnen und Juden.

Und dann gibt es aber natürlich eben auch ultraorthodoxe Juden.

Kannst du uns das mal ein bisschen einordnen,

wie viele da so zugehören

und wie sich das entwickelt hat in den letzten Jahren?

Also wir haben derzeit einen Anteil von,

ja, ich weiß nicht,

zwischen 13 und 14 Prozent von Strengriligiösen,

aber das sind sehr, sehr gebärfreudig,

eben weil Verhütung verboten ist.

Das heißt, man kann im Grunde hochrechnen,

dass in 30 Jahren etwa der Anteil bei, ja, 30 Prozent liegen wird.

Also das könnte natürlich auch mit der entsprechenden politischen Vertretung

dann auch die Gesellschaftsverhältnisse im Land völlig umkrempeln.

Was bedeutet das? Wohin führt diese Entwicklung?

Ja, und die Gesellschaftsverhältnisse,

was bedeutet das? Wohin führt diese Entwicklung?

Ja, das ist hier wirklich die große Frage.

Diese Entwicklung könnte dazu führen,

dass dieses Land wirklich in einigen Jahrzehnten komplett anders aussieht.

Ich werde als Reporter in Interviews mit Radio Wellender AID immer wieder gefragt,

ja, wird jetzt Israel ein Gottesstaat?

Was ich immer ziemlich heftig finde,

weil wir connotieren das Wort Gottesstaat eigentlich eher mit dem Iran,

aber diese Bedenken gibt es

auch hier im Land und das ist eben insofern verwunderlich,

weil das natürlich nicht immer so war.

Eigentlich war Israel gerade was Frauenrechte anbelangt,

historisch gesehen ein sehr, sehr fortschrittliches Land.

Wir hatten jetzt im Mai das Jubiläum Israel,

wurde 75 Jahre alt, also ein relativ junges Land.

Und das ist ein Land, das aufgebaut worden ist von Männer und Frauen

und zwar ziemlich paritätisch, muss man sagen.

First of all, when Israel was created, okay,

we're talking very early days,

you had women and men working in the fields,

building houses, for example,

kibbutz was built very equally.

Und die Hoffmann sagt auch in der Gründerzeit,

also sie geht wirklich auf diese Anfänge Israel sein,

da mussten alle anpacken, das wurde von Männern und Frauen wirklich aufgebaut,

egal ob im kibbutz, also eher sozialistischer Gleichheit,

Mann oder Frau, das war völlig egal,

die mussten hier den Staat gemeinsam aufbauen.

Ja, das war völlig egal bei dieser Aufbaugeneration,

aber sie sagt, die Extremisten sind jetzt auf dem Vormarsch,

und zwar weltweit, sie bezieht sich da sicherlich auf muslimische Länder,

aber man kann das jetzt auch in Israel beobachten.

Ja, man kann das ganz eindeutig sehen, diese Parallelen,

die Leute fragen sich das, entwickelt sich Israel zu so einem Staat,

zu so einem Gottesstaat?

Also ich sage immer, dass wir Gottesstaat im Sinne vom Iran sicherlich nicht bekommen werden,

weil hier die Zivilgesellschaft viel zu stark ist.

Und ich habe im bekannten Kreis wirklich eine sehr, sehr gute Freundin,

Orit und ihr Mann Alex, und die sind jeden Samstag unterwegs,

ich hatte mal eine Fete an einem Samstag, habe ich sie eingeladen,

haben sie gesagt, du, wir können nicht kommen,

wir müssen zur Demonstration gehen.

Dann habe ich sie gesagt, ihr geht doch jede Woche, nein,

wir müssen hier für die Demokratie einstehen.

Also die Menschen sind hier wirklich sehr, sehr eisern,

was diese Demonstrationen anbelangt und diese starke Zivilgesellschaft,

die, glaube ich, ist ein Grund, dass hier nicht ohne weiteres so was Ähnliches

wie ein Gottesstaat entstehen kann.

Wir haben die Demografie angesprochen, auch wenn die Religiösen hier wirklich

so auf dem Vormarsch sind und sicherlich einen anderen Staat wollen,

auch gemeinsam mit den Rechtsnationalen.

Also es gibt hier schon auch welche, die wirklich dagegen halten.

Also es geht für sie um ganz, ganz viel.

Es geht zwar um Frauenrechte, aber es steht insgesamt viel

auf dem Spiel für die Menschen in Israel.

Wird das auch bei den Frauenprotesten deutlich,

dass es eigentlich um noch viel mehr geht?

Ich glaube, dass die Frauenrechte nur ein Teil sind,

dessen was hier diskutiert wird.

Im Grunde geht es hier wirklich um die Demokratie.

Und wenn es um die Gewaltenteilung geht, dann geht es auch um einen

der wirklich wichtigsten Grundsätze eigentlich in der Demokratie um Gleichheit.

Und ich glaube, das ist das, was die Menschen auf die Straße bringt.

Es geht um Gleichheit, es geht um ein ganz, ganz wichtiges Element

der Demokratie, nicht zuletzt seit der französischen Revolution.

Und viele sagen mir dann auch, viele Frauen,

wenn die Frauenrechte eingeschränkt werden, ist das nur der Anfang.

Das ist im Grunde der Anfang vom Ende der Demokratie in Israel.

Und wenn wir vielleicht nochmal ganz kurz zurückkommen zu Lee Hoffmann,

Sie hat mir gesagt, Julio, wenn diese Justizreform,

wenn dieser Umbau so wirklich sie umgesetzt wird,

wenn die Frauenrechte weiter eingeschränkt werden, dann wandere ich aus.

Lee Hoffmann hat deutsche Vorfahren, ihre Töchter haben jetzt schon deutsche Pässe.

Sie hat dafür gesorgt.

Also die Angst ist groß, dass Israel sich verändert

und man sucht nach Lösungen.

Für Lee Hoffmann würde das im Extremfall bedeuten, dass sie auswandert.

Ist Lee Hoffmann da jetzt ein Ausnahmefall oder hörst du das öfter,

dass Leute sagen, in so einem Land würde ich gar nicht mehr leben wollen?

Nein, das ist kein Einzelfall.

Ich habe es wirklich schon von vielen Leuten gehört, auch im bekannten Kreis.

Leute, die jetzt schon angefangen haben, sich konnten im Ausland einzurichten,

die versuchen, aufgrund ihrer Vergangenheit dann auch andere Pässe zu bekommen,

die deutsche Vorfahren haben oder US-Vorfahren.

Also das ist kein Einzelfall.

Das ist in den Köpfen der Menschen, wenn dieses Land, wenn die Gesellschaft in Israel

sich so verändert in Richtung einer eher religiösen Gesellschaft,

einer eher sehr nationalen Gesellschaft, einer weniger liberalen Gesellschaft,

dann ist das nicht mehr ihr Zuhause.

Julio, vielen Dank dir.

Ganz, ganz gerne und ja, immer wieder aus Israel.

Bis dahin, tschüss.

Am Montag gibt es die nächste Folge von 11 km.

Und da fragen wir, was eigentlich mit Menschen passiert,

die schlimme Gewalttaten überlebt haben, wenn sie das Trauma einholt

und das normale Leben unmöglich wird.

Unter Umständen gibt es dann finanzielle Unterstützung vom Staat.

So steht es im Opfer-Einschädigungsgesetz.

Nur, oft wird das aber abgelehnt. Warum?

Die ganze Geschichte gibt es am Montag bei 11 km.

Und wenn ihr uns gern hört, dann empfehlt uns weiter.

Und lasst uns ein Abo da.

Autorin dieser Folge ist Susanne Dietrich.

Mitgearbeitet hat Katharina Hübe, Produktion Ursula Kirstein,

Eva Erhardt, Viktor Werresch und Jürgen Kopp.

Redaktionsleitung Lena Götler und Fumiko Lipp.

11 km ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Mein Name ist Victoria Kobmann.

Wir hören uns mit FKM am Montag wieder.

Und jetzt habe ich noch einen Podcast-Tipp für euch.

In einer unserer ersten FKM-Folgen, das war im Januar,

da ging es um eine Sekte mitten in der katholischen Kirche.

Dafür hatten wir einen Gast vom Podcast Seelenfänger im Studio.

Bei Seelenfänger geht es um Sekten, religiöse Bewegungen

und um esoterische Gemeinschaften.

Und der Podcast geht in eine neue Staffel.

Diesmal geht es um eine koreanische Endzeit-Bewegung,

die derzeit auf Mitglieder fang ist.

Dafür manipulieren sie Menschen

und drangsalieren sie mit Bibelstunden und Bootcamps.

In dieser Staffel erzählt die Aussteigerin Sophie,

wie sie wegen der Sekte beinahe ihre Familie

und ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt hat.

Von Seelenfänger findet ihr ab sofort in der ARD Audiothek.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Sie demonstrieren in Rot, Rot als Alarmfarbe. Denn für zehntausende israelische Frauen ist eine rote Linie überschritten: Sie kämpfen für Gleichberechtigung und Demokratie in Israel und gegen den Justizumbau durch die rechtsreligiöse Regierung. Für sie steht ihr Land an einem historischen Kipppunkt. Gemeinsam mit ARD-Israel-Korrespondent Julio Segador begleiten wir Lee Hoffmann, die eine zentrale Rolle bei den Frauenprotesten spielt. Wir fragen, welche Rechte akut in Gefahr sind und was Gewaltenteilung und Gleichberechtigung miteinander zu tun haben.



Hier der Link zur 11KM-Folge über die Justizreform in Israel "Warum hält die Netanjahu-Regierung an ihren Plänen fest– trotz anhaltender Proteste im ganzen Land?":

https://www.ardaudiothek.de/episode/11km-der-tagesschau-podcast/israel-eine-justizreform-spaltet-ein-land/tagesschau/12512887/



Und wer noch mehr zum Thema wissen möchte - die tagesschau berichtet regelmäßig über die politischen Veränderungen in Israel:

https://www.tagesschau.de/thema/israel



Und hier geht es zu unserer 11KM-Podcast-Empfehlung, zur neuen Staffel vom BR Podcast “Seelenfänger” über eine koreanische Endzeitbewegung: https://www.ardaudiothek.de/sendung/seelenfaenger/10825239/



An dieser Folge waren beteiligt:

Folgenautorin: Susanne Dietrich

Mitarbeit: Katharina Hübel

Produktion: Ursula Kirstein, Viktor Veress, Jürgen Kopp und Eva Erhard

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler



11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Folge liegt beim NDR.