11KM: der tagesschau-Podcast: Unter Beschuss: Leben im Gazastreifen

tagesschau tagesschau 5/25/23 - Episode Page - 30m - PDF Transcript

Wisst ihr noch, was ihr am Dienstag vor zwei Wochen gemacht habt, was bei euch los war am 9. Mai?

Die meisten von euch vermutlich nicht. Das wäre anders, wäre neben euch eine Bombe explodiert.

Sophie von der TAN erinnert sich sehr gut an den 9. Mai.

Sie war als AID-Korrespondentin im Gaza-Streifen, als die Grenzen geschlossen wurden.

Als Raketen fehlen, Drohnen brummten und Bomben explodierten. Und sie kam erst mal nicht mehr raus.

Israel hat drei Ranghue-Mitglieder der militanten Palästinenser-Organisation Islamischer Jihad im Gaza-Streifen getötet.

Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums kamen bei den nächtlichen Luftangriffen insgesamt 13 Menschen ums Leben.

Unter ihnen auch zwei Ehefrauen und mehrere Kinder.

Sophie ist mittendrin. Sie erlebt mit, wie die Menschen im Gaza-Streifen Gewalt und Gegengewalt willkürlich ausgesetzt sind.

Alltag im Gaza-Streifen.

Sophie von der TAN ist AID-Korrespondentin in Tel Aviv und berichtet über den Konflikt zwischen Israel und Palästina.

Wie die Erlebnisse im Gaza-Streifen aber Sophie's Blick auf den Nahostkonflikt verändert haben,

das erfahrt ihr in dieser Folge 11 km der Tagesschau-Podcast.

Ein Thema in aller Tiefe. In der AID-Audiothek. Mein Name ist Victoria Michalsack und heute ist Donnerstag, der 25. Mai.

Wir waren am Tag davor am Montag in den Gaza-Streifen gereist für eine ganz andere Recherche und wollten eigentlich am Dienstag wieder ausreisen.

Wir hatten ziemlich strahlendes Programm und dann um vier Uhr morgens krieg ich auf einmal ganz viele Nachrichten und wache auf von diesen Nachrichten auf meinem Handy

und sehe israelische Luftschläge auf den Gaza-Streifen. Die Grenzen sind dicht.

Ich bin im Hotelzimmer und nebenan im Hotelzimmer schläft mein Kollege Frank noch tief und fest.

Und ich denke mir nur, Mist, das muss ich dem jetzt sagen und hab an dessen Pür geklopft und ja, in diese etwas schwierige Situation angeschildert.

Okay, also das heißt, du hast das erstmal vom Handy erfahren, quasi indirekt?

Genau. Ich hatte nichts mitbekommen. Ich habe tief und fest geschlafen und hatte mir irgendwie den Magen verdorben.

Ich war eigentlich mehr damit beschäftigt, mich davon irgendwie auszukurrieren und dann kommt diese Nachricht.

Ja, und was ist das für euch, dass die Grenzen dicht waren, da wo ihr gerade wart?

Das hieß, dass wir an diesem Tag nicht ausreisen konnten und das hieß auch, dass wir nicht wussten, wann wir ausreisen können.

Und mein erster Gedanke war natürlich irgendwie, oh, wir haben jetzt hier diesen Plan, wir haben Leute Interviews noch geplant,

schaffen wir das dann und der nächste Gedanke war, naja, was passiert jetzt hier?

Weil normalerweise solche Luftschläge dann auch eine Reaktion nach sich ziehen. Wird das hier eskalieren?

Was wird die Situation hier on the ground sein, werden wir hier Raketenbeschuss haben?

Oder werden von hier aus jetzt Raketen irgendwann abgefeuert, wird es weitere Luftschläge von israelischer Seite geben?

Sind wir hier sicher?

Die sind wieder oben, da!

Kannst du mal beschreiben, was wir da hören?

Dieses Brum, was man da hört, ist eine israelische Drohne.

Ich dachte erst mal, das ist ein Sportflugzeug, so wie das klingt.

Und auch dieses Fiepen, dieses tinnitusartige Geräusch, auch das ist die Drohne, die dauernd über uns gekreist ist.

Und es gibt viele, viele solcher Drohnen, die konstant über dem Gasastreifen kreisen.

Das eine ist dann so ein, sag ich mal, das eine ist das Geräusch, wenn die Raketen abgefeuert werden.

Das andere ist dann wenigstens später, wenn der Iron Dome, das israelische Raketenabwehrsystem, diese Raketen abfängt

und dann kommt so ein Bum, so ein tiefer Bum.

Das Verrückte ist eigentlich, dass wir lange nichts gehört haben.

Wir haben gewartet und gewartet, weil nachdem es diese Luftschläge von israelischer Seite in der Nacht gab,

haben alle gedacht, jetzt muss es die Reaktion geben aus dem Gasastreifen.

In dem Fall vom islamischen Jihad, der als Terrororganisation eingestuft wird, unter anderem von der EU.

Und wir dachten, so, wann kommt da jetzt was? Wann kommt der Gegenangriff?

Und es passierte nichts und es passierte nichts, den ganzen Tag lang.

Und das war uns irgendwie schon mulmig.

Und am nächsten Tag dann kam die Reaktion.

Und für mich war das tatsächlich auch noch total ungewohnt,

weil ich war noch nie im Gasastreifen in so einer Eskalationssituation.

Und dann hört man auf einmal lauter Geräusche und muss erst mal lernen, die einzuordnen,

dass auch von Seeseite her auf den Gasastreifen geschossen wird.

Und dass es wohl besonders gefährlich ist, sich dann am Strand aufzuhalten.

Und der Gasastreifen ist ein Küstenstreifen.

Und dass von oben natürlich irgendwie mit Kampfjets, mit Drohnen geschossen wird.

Und dass sozusagen von unterschiedlichen Seiten her geschossen wird

und vom Gasastreifen heraus mit Raketen geschossen wird.

Also wo sich das alles abspielte, muss sich auch erst mal irgendwie begreifen.

Und dann haben wir natürlich auch die Kampfjets, die israelischen Kampfjets gehört,

die über den Gasastreifen fliegen.

Und dann fängt man im Kopf irgendwann schon so an zu zählen, okay, 15, 20 Sekunden

und dann muss ich eigentlich die Detonation hören.

Und so wird man innerhalb von kürzester Zeit in diese Situation reingeworfen

und versucht irgendwie zu verstehen, was passiert hier eigentlich gerade.

Welches Geräusch bedeutet was und wie gefährlich ist das jetzt?

Und wir sind natürlich noch in einer total privilegierten Lage.

Weil wir da in einem Hotel sind, das bekannt ist,

sowohl israelischer als auch palästinensischer Seite, das sind internationale.

Wir sind nicht das Ziel dieser Angriffe.

Und wir hatten da auch einen Keller, an den wir uns zurückziehen konnten

und Schutz suchen können.

Die normale Bevölkerung im Gasastreifen, die hat das alles nicht.

Und die haben keine Bunker.

Natürlich gibt es irgendwie die vielbeschworenen Tudel,

in denen dann irgendwie militante Kämpfer sich zurückziehen.

Aber das ist nicht ein Rückzugsort für normale Bevölkerung.

Und das muss man sich immer wieder vor Augen führen.

Wir sind da letztlich auch in einer sehr privilegierten Situation.

Seid ihr da im Hotel geblieben, während das passiert ist?

Ja, wir waren zunächst im Hotel.

Und natürlich als Journalistin brennt es mir dann auch unter den Nägeln so,

ich will hier raus, ich will sehen, was hier los ist.

Und ich war zu dem Zeitpunkt eine der wenigen,

wenn nicht sogar die einzige internationale Journalistin im Gasastreifen.

Das heißt auch in sozusagen einer ganz besonderen Rolle,

das da sehen zu können, nur dann muss man halt abwägen.

Wie gefährlich ist es? Wo kann ich hingehen?

Wer kann mir die Infos geben, wo es gerade gefährlich ist oder nicht?

Ja, besondere Rolle heißt ja, du bist dann die einzige,

potenziell einzige, unabhängige Beobachterin,

die das auch dokumentieren kann, was da passiert.

Ja, also man muss natürlich dazusagen,

es gibt viele palästinensische Journalisten, die dort arbeiten

und die einen auch sehr wichtigen Job machen, die zum Teil ihr Leben riskieren,

um zu den Orten zu fahren, wo Bomben einschlagen, wo Dinge passieren.

Aber es ist natürlich nochmal eine andere Rolle,

wenn ich als sozusagen komplett von außen da reinkomme

und für ein internationales Medium von dort berichte.

Und das heißt, wie hast du dich entschieden?

Du bist rausgegangen.

Wir brauchen natürlich Sicherheits-Equipment,

eine schusssichere Weste, einen Helm.

Ich würde da auch nirgends wo ohne Locals hingehen.

Ich war dann mit unserer Producerin unterwegs,

also das ist diejenige, die vor Ort sich auskennt, die Kontakte hat.

Und mit deren Sicherheitsteam, und das ist auch sehr wichtig,

so ein Team vor Ort zu haben.

So richtig vorhersehen kann man es nicht alles.

Und wie war das dann draußen, als ihr rausgegangen seid?

Ja, das war fast gespenstisch.

Auf den Haupteinkaufsstraßen,

durch die wir noch am Abend davor gefahren sind

und da ist dann wirklich ziemlich herum und viel los,

das war wie ausgestorben.

Die Straße, da gibt es so eine Haupteinkaufsstraße,

wo lauter Geschäfte sind und so Kleidungsgeschäfte und so was auch.

Da war alles dicht, überall so verrammelte Läden.

Ein bisschen mehr los war an der Ecke,

wo es dann auch Lebensmittelgeschäfte gab,

weil die Leute müssen ja irgendwann Brot, Eier, Tomaten besorgen,

können ja nicht irgendwie tagelang zu Hause sitzen.

Wobei die meisten halt tatsächlich zu Hause sind,

dann sind auch die Schulen und Universitäten geschlossen,

weil man die Hoffnung hat, zu Hause noch ein bisschen sicherer zu sein.

Und ich wollte irgendwie so ein bisschen verstehen,

wie lebt man in so einer Situation,

wie sieht in Anführungsstrichen Alltag in so einer Situation aus?

Es erinnert mich so ein bisschen vom Hören an die Corona-Situation vielleicht,

im krassesten Lockdown, als wirklich nur so das nötigste Offen hatte.

Ja, es hat einen wirklich ein bisschen daran erinnert.

Das Erschreckende ist ja, dass das für viele Menschen dort

tatsächlich eine Art von, ja, eine immer wiederkehrende Situation ist.

Und man sich damit irgendwie einrichten muss,

oder irgendeinen Modus finden muss, wie man in dieser Situation,

wie man damit umgeht.

Und wir sind dann in ein Geschäft gegangen, in ein Lebensmittelgeschäft,

und dort habe ich mit einer Mutter gesprochen,

die gerade mit ihren zwei kleinen Töchtern an den Laden gegangen ist,

um das nötigste zu kaufen.

Und ich habe sie gefragt, wie geht ihr damit um?

Wie gehst du mit deinen Kindern, um wie erklärst du denen, was los ist?

Wie nimmst du ihnen die Angst?

Und die Mutter hat dann so ein bisschen erzählt,

wir versuchen halt selber irgendwie starke Vorbilder zu sein

und sie zu beruhigen, weil die halt natürlich sehr verängstigt sind.

Sie haben gerade nachts sich kaum trauen, irgendwie einzuschlafen,

weil sie Angst haben, irgendwie vom Bomben geweckt zu werden.

Aber sie war trotzdem mit den Kindern dort,

sie war mit den Kindern unterwegs.

Weil sie gesagt hat, wenn es dann mal kurz ruhiger ist,

müssen wir auch mal vor die Tür gehen.

Ich kann ja nicht tagelang meine Kinder zu Hause in ihrem Zimmer lassen.

Die müssen ja irgendwie mal an die frische Luft.

Und keine fünf Minuten, nachdem sie mir das gesagt hat,

schlägt also 200 Meter entfernt von uns,

vollkommen unvermittelt eine Bombe ein.

Und die Kinder, die waren noch gerade im Begriff, den Laden zu verlassen,

fangen an zu weinen und zu schluchzen.

Und ich sehe halt nur, wie diese Mutter irgendwie versucht,

ihre Kinder zu ruhigen und zu trösten.

Und sie schafft es kaum, weil die so zittern

und so mitgenommen sind von dieser Situation.

Und ich habe dann meine Producerin gefragt,

was könnte denn da gewesen sein?

Warum ist denn da jetzt die Bombe gefallen?

Warum wurde das jetzt angegriffen?

Ich meinte, kann sein, es da irgendwie eine Raketenabschussvorrichtung war,

aber bewissens nicht.

Und es hat dann keine weitere 10 Minuten gedauert.

Dann gab es nochmal zwei Bomben-Einschläge,

einer gleichen Stelle.

Und dann überlegt man sich dreimal, ob man da jetzt hingeht

und sich anschaut, was da ist.

Ich hatte das Gefühl, die Kinder,

die haben so einen wahnsinnigen Schrecken bekommen

und sozusagen wiederholt dieses Gefühl,

so nah irgendwie da dran zu sein.

Und die Mutter hatte mir gerade auch erst erzählt,

dass in der Nacht davor sie eine Bomberdierung ziemlich nah mit erlebt hatten.

Ich hatte wirklich das Gefühl,

in dem Moment ist das sehr schwer, die zu beruhigen.

Die schluchzen, die schluchzen am Stück.

Man hat so gemerkt, dass sie das nicht zum ersten Mal erleben.

Und das ist das, glaube ich auch, was das zeigt.

Das kann überall passieren.

Und es passiert ja auch jederzeit.

Also diese Menschen da, die erleben das ständig.

Ja.

Und das ist natürlich irgendwie so ein bisschen die bittere Realität,

dass diese Art von Eskalationen,

die alle paar Monate mittlerweile irgendwie vorkommen,

Teil der Realität sind.

Wir haben mit einem Jungen gesprochen, der lief auf der Straße

und hat in so einem Schuhkarton Schokoriegel verkauft.

Und dann habe ich ihn gefragt, du bist hier auf der Straße.

Die Straße ist eigentlich leer, alle anderen sind zu Hause.

Um sich zu schützen, warum bist du denn hier draußen unterwegs?

Und da meinte der zu mir, ja, wir sterben noch eh.

Ob wir eines natürlichen Todes sterben

oder durch eine Rakete oder durch Bomben,

es passiert doch eh.

Klar, die Kehrseite ist, dass Raketen abgefeuert werden auf Israel,

wohl wissen, dass die Zivilbevölkerung,

dass die vollkommen unschuldige Menschen

noch auf der Seite einfach treffen können.

Aber ich glaube, dieses Gefühl, gerade irgendwie als Kinder

im Gasastreifen, diesen Konflikt so ausgeliefert zu sein

und selber nicht zu wissen, ob es einen auch irgendwie mal erwischen kann,

das macht einen schon ziemlich sprachlos irgendwie.

Ja, es ist so eine, ja, vielleicht Gewöhnung

oder die Menschen sind da vielleicht schon in einer gewissen Form

vielleicht abgestumpft, kann man das so sagen?

Ja, es ist eine gewisse Art von Abstumpfung.

Ich glaube, es ist wahrscheinlich auch einfach menschlich,

weil irgendwie muss man ja mit solchen Situationen umgehen,

weil sonst wird man ja wahnsinnig.

Wir haben das ja an uns selbst gemerkt,

wie man sich Schritt für Schritt gewöhnt an Raketen, die fliegen

und Jets die Bomben abwerfen.

Natürlich, wie gesagt, muss man sich immer bewusst machen,

wir sind in einer privilegierteren Situation gewesen,

an einem sichereren Ort im Vergleich,

aber es ist interessant zu sehen,

wie man sich in einer gewissen Art und Weise anpasst.

Erschreckend eigentlich.

Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter.

Bis zuletzt griff die israelische Armee

Stellungen der Terrorgruppe islamischer Jihad

in dicht besiedelten Gebieten im Gaserstreifen an.

Raketen aus Gaser flogen Richtung Israel,

von einer immer wieder angekündigten Waffenrohe, keine Spur.

Die Verlierer, die Menschen, die in und um Gaser leben.

Immer wieder rennen sie um ihr Leben.

Wir waren schon ein paar Tage da.

Dann hieß es am Nachmittag, der islamische Jihad dazu aufgerufen,

geht heute Abend auf die Dächer und schaut euch an,

wie wir Raketen abschießen.

Wir haben uns das auch angeschaut vom Hotel aus.

Das ist eine wirklich erschreckende Situation.

Du siehst am Himmel diese Raketen mit dem Schweif,

die irgendwie Richtung Israel fliegen.

Man hört im Gehirn der Grund,

Leute jubeln und auch Kinder jubeln.

Wir haben uns das auch angeschaut vom Hotel aus.

Das ist eine wirklich erschreckende Situation.

Du siehst am Himmel diese Raketen mit dem Schweif,

die wirklich Leute jubeln und auch Kinder jubeln.

Wenn man das zum ersten Mal hört,

ist das natürlich irgendwie, wie soll ich das sagen?

Ich finde das, soll ich dir mal sagen, wie das auf mich gerade wirkt?

Ja.

Auf mich, wenn ich das so höre,

ich musste auch gerade ein bisschen schlucken,

wirkt das richtig verstörend.

Ja, verstörend. Verstörend ist das richtige Wort.

Es zeigt die Inoktrination, es zeigt den Hass,

es zeigt die Feindbilder, die dort geschürt werden.

Und ich hatte auch das Gefühl, es ist so dieser eine Moment,

wo man irgendwie zeigen will, so,

jetzt haben wir die Sache in der Hand.

Und irgendwo, also wenn ich versuche,

das irgendwie nachzuvollziehen oder zu verstehen,

woher das kommt, auch wenn das sehr schwierig ist.

Und das sind keins der Weise irgendwas entschuldigt,

habe ich den Eindruck, es kommt so ein bisschen aus diesem so.

Und jetzt sind wir dran.

Und wir hocken hier von allen Seiten irgendwie unter Blockade

und jetzt schießen wir.

Und das ist natürlich ein, das ist vollkommen verstörend.

Und so wird es schwierig, diese Situation irgendwie zu lösen.

Und so vertieft sich der Hass

und so vertiefen sich irgendwie die Feindbilder.

Aber so kann ich es mir irgendwie versuchen,

so ein bisschen zu erklären, was da abläuft.

Dass man versucht, aus dem Passiven, aus der Opferrolle rauszukommen.

Und das ist dann die Reaktion.

Und aber halt in Kauf nimmt, was das für dramatische Konsequenzen haben kann.

Was das bedeutet auf der anderen Seite.

Dass dort Raketen gerichtet werden auf unschuldige Menschen.

Klar, es gibt den Iron Dome,

das israelische Raketenabwehrsystem,

das auch wirklich sehr, sehr viele Raketen abfängt.

Aber es gibt eben auch Raketen, die durchkommen

und auch unabhängig natürlich von diesem System,

das rechtfertigt gar nichts.

Oh, okay.

Also diese Spirale der Gewalt, die hast du da ganz konkret erlebt.

Wie ging es weiter während du da warst?

Wie hat sich das entwickelt?

Es ging von Tag zu Tag immer weiter.

Und wir dachten am Anfang,

ah, vielleicht kommen wir jetzt heute raus,

vielleicht wird heute die Grenze aufgemacht.

Dann wurde ziemlich bald auch von der möglichen Waffenruhe gesprochen

und von Verhandlungen, die in Ägypten stattfanden.

Und die kamen aber irgendwie nicht voran.

Es gab Forderungen auf beiden Seiten,

weder die eine noch die andere Seite eingehen wollte.

Und dann ist es immer weitergegangen mit Angriffen,

mit Raketen, mit Bombardements.

Ich habe mich zwischenzeitlich schon mal gefragt,

so kann das hier nochmal richtig eskalieren.

Die große Frage war zu dem Zeitpunkt,

steigt die Hamas da noch mit ein,

die den Gasastreifen kontrolliert

und die deutlich mächtiger ist

und die ein sehr viel größeres Raketenasenal,

als der islamische Jihad hat.

Und das war immer so die Frage, die wir uns gestellt haben,

wann steigen die mit ein, steigen die mit ein.

Und es hat natürlich immer die Frage umgetrieben,

werden irgendwann die Grenzen aufgemacht.

Nur während einer Eskalation ist das eigentlich nicht möglich.

Und irgendwann hatten wir so den Eindruck,

irgendwie ist klar, waren wir hier rauskommen.

Wie viele Tage waren da schon vorbei?

Jetzt muss ich einmal rechnen.

Wir sind am Montag angekommen,

in der Nacht zum Dienstag begann diese Eskalation

und am Samstagabend ging es dann los.

Am Samstagabend wurden wir dann evakuiert.

Schließlich saßen wir dann aber

in einem der gepanzerten weißen UN-Autos

und sind da einem Konvoi mit,

ich vermute mal so 20 Autos,

durch die Nacht in Gaza gefahren.

Es hieß 10 Uhr, macht die Grenze auf.

Und das war eine ziemlich,

also für mich irgendwie eine unwirkliche Situation.

Ich sitze da in diesem gepanzerten Fahrzeug

als Teil von einem Konvoi

mit den blauen UN-Flagen an der Seite von den Autos

und wir fahren durch die dunklen Straßen von Gaza statt.

Eigentlich kein Mensch auf der Straße,

nur so ein paar Jugendliche,

die mit dem Handy filmen,

weil das hatte sich dann auch rumgesprochen

und wir waren eine große, große Gruppe an internationalen,

zwar mehrere hundert Leute, die da evakuiert wurden.

Und ich glaube, das geht vielen Krisenreportern so.

Für mich war das jetzt das erste Erlebnis so nah dran.

Das geht wahrscheinlich auch vielen anderen,

die in Krisenregionen arbeiten.

Also das war für mich

ein Moment, wo ich wirklich ein bisschen schlucken musste.

Dann sind wir mit den Autos zur Grenze gefahren

und dann war auch schon die Nachricht durchgedrungen,

dass es einen Waffenstillstand geben würde,

ab 10 Uhr.

Und wir stehen an der Grenze und es war halb 10.

Und es ist tatsächlich nicht ungewöhnlich,

dass kurz vor Waffenstillstand nochmal geschossen wird.

Und dass es nochmal zu einer gewissen Art Kräfte messen kommt.

Und wir dachten so, pff, wir werden mal gespannt,

wie das jetzt hier abläuft,

weil wir stehen in einem nicht ganz unproblematischen Bereich.

Wir standen dann an der Grenze

und es war wenige Minuten vor Waffenstillstand

und auf einmal gehen unmittelbar neben uns,

wahrscheinlich waren das nur so 20 Meter oder sowas,

palästinensische Raketen hoch.

Und zwar mehrere.

Und gern Israel.

Und wenig später hört man dann,

wie das Raketenabwehrsystem von Israel

einige davon abfängt.

Und das war ein, pff, da hatte man dann ein bisschen Klosemals.

Weil man dachte, okay, wir werden jetzt hier evakuiert

aus Sicherheitsgründen.

Aber auf einmal sind wir mittendrin.

Dieser Moment, als ihr da rausfahrt,

an den Menschen vorbei, die ja da bleiben müssen

und auch weg von deinen Kolleginnen und Kollegen,

die dir bei deiner Arbeit geholfen haben,

die aber einen palästinensischen Pass haben,

die da leben und auch da bleiben müssen,

wie ging es dir denn da in dem Moment?

Wenn man sowas sieht,

wahrscheinlich desto mehr gewöhnt man sich an solche Situationen.

Und klar, man muss ja in solchen Situationen auch irgendwie funktionieren.

Und ich kann dann im Moment, wo wir uns verabschieden

und es auf einmal unglaublich hektisch ist

und es unklar ist, ob wir auf der einen Evakuierungsliste drauf sind

oder nicht, dann habe ich einfach nicht die Zeit,

die Verabschiedungen zu machen, die ich gerne machen würde.

Das ist leider in der Situation so.

Und ich muss dann auch damit umgehen können,

dass wir da Leute zurücklassen,

die jetzt nicht mit uns rübergehen können.

Aber ich glaube, es ist trotzdem wichtig,

da irgendwie nicht zu abgeklärt zu werden

und nach wie vor sich immer wieder das bewusst zu machen.

Und Dinge nicht normal zu finden,

auch wenn sie zu einer Realität werden

und dadurch in gewissen Kontexten

eine gewisse Normalität bekommen.

Das heißt trotzdem nicht,

dass einem das nicht mehr auffallen sollte, glaube ich.

Ja.

Und wenn man das jetzt so hört,

dann ist es so heftig, was da passiert,

was die Menschen da erleben, was du da erlebt hast,

wenn wir da jetzt so mitkommen quasi auf deine Reise,

dann ist es total krass.

Aber das ist nur wenige Wochen her

und vielleicht haben es manche Leute gar nicht mitbekommen,

weil es war nämlich gar nicht so groß in den Nachrichten.

Also das würde mich überhaupt nicht wundern,

wenn viele Leute das gar nicht mitbekommen haben,

weil es tatsächlich nicht groß in die Schlagzeilen gekommen ist.

Und das war für mich auch irgendwie ein bisschen ernüchternd zu sehen.

Ich bin jetzt hier als eine der wenigen,

wenn ich die einzige Internationale Journalistin

und die Nachfrage ist doch ziemlich gering.

Und dann muss man sich halt anschauen,

das ist halt so ein bisschen die Nachrichtenlogik,

dass wir dann konkurrieren mit anderen Themen,

das dann zu dem Zeitpunkt die Wahl in der Türkei zum Beispiel anstand

und das war ein Riesenthema auch zu Recht.

Also ich will das gar nicht jetzt irgendwie kritisieren.

Aber dann sieht man halt,

wie in der Verteilung von Sendeminuten Abwägungen gemacht werden.

Und dann gewisse Themen halt nicht diese Relevanzschwelle

aus der Sicht von Redaktionen überschreiten.

Und das Erschreckende ist ja eigentlich,

dass so häufig passiert und es so viel,

dass diese Gewalt schon so ein gewisses Level erreicht hat,

dass man sich manchmal fragt,

wie viel schlimmer muss es eigentlich noch werden,

damit es wieder in die Nachrichtenschaft.

Weil sich das natürlich dann irgendwie anpasst,

das war ja letzte Woche schon so,

dann ist das ja nichts Neues mehr.

Und News halt irgendwie auch,

die Relevanzschwelle auch immer damit zusammenhängt,

ist das jetzt anders, ist das schlimmer, ist das gravierender?

Und wie siehst du das jetzt in der Entwicklung da auch vor Ort?

Also ist es da genauso, dass man sich fragt,

was muss eigentlich noch passieren, was kommt als Nächstes?

Ja, das, sagen wir mal, das große Problem ist ja nicht gelöst.

Und man hangelt sich so von einer Waffenruhe zur Nächsten.

Es gibt Radikalisierung.

Es wird weiter gearbeitet an Waffen.

Es gibt eine große Frustration.

Es gibt Inoktrainierung.

Es gibt dieses Gefühl der Ohnmacht.

Wirtschaftlich, total schwierige Situation.

Man hat so das Gefühl,

es geht so von einer Eskalation zur Nächsten

und der Druck im Kessel steigt.

Es gibt keine Lösung.

Es spricht auch keiner von irgendwie Friedensprozess oder so.

Es geht irgendwie darum,

diesen Konflikt irgendwie zu managen aus israelischer Sicht,

irgendwie Sicherheit möglichst herzustellen

und aus palästinensischer Sicht da irgendwie im Gaza streifen jetzt,

wenn man sich die einfache Bevölkerung anschaut,

irgendwie zu leben, von Tag zu Tag.

Gleichzeitig aber unter Organisationen,

die international als Terrororganisationen eingestuft werden.

Wie der Hamas, die den Gaza Streifen kontrolliert.

Also Normalität gibt es da eigentlich gar nicht mehr.

Und sie ist auch nicht in Sicht.

Aber die Menschen versuchen für sich selbst

einfach in ihrem Alltag, in ihrem Leben,

eine Form von Normalität daraus zu machen

und das hast du ganz nah miterlebt

und uns ein bisschen mitgebracht.

Danke schön.

Sehr gerne.

Im Gaza Streifen normalisiert sich das Leben,

so gut es eben geht, nach den fünftägigen Gefechten.

Die Menschen gehen wieder auf die Straßen.

Anwohner, deren Häuser bei Luftangriffen zerstört

oder beschädigt wurden, kehren zurück,

um das zu holen, was ihnen geblieben ist.

Am Dienstag, den 9. Mai, hat der Beschuss begonnen.

Fünf Tage später, am 14. Mai,

unterzeichnen die Parteien einen Waffenstillstand.

Die Bilanz, zerstörte Gebäude, verletzte.

Auf israelischer Seite ein Todesopfer.

Auf palästinensischer Seite, also im Gaza Streifen,

sind es 34.

Das war FKM, der Tagesschau-Podcast.

Mit AID-Korrespondentin Sophie von der TAN.

Ihr seht sie immer wieder mal in der Tagesschau,

wenn sie über den Nahen Osten berichtet.

FKM ist zu Hause in der AID-Audiothek

und zu hören überall, wo es Podcasts gibt.

Hat euch die Folge gefallen?

Dann nehmt uns gerne in eure Abos auf oder empfällt uns weiter.

Autor dieser Folge ist Stefan Beutting.

Mitgearbeitet hat Katharina Hübel, Produktion Alex Berge,

Hannah Brünjes, Konrad Winkler und Eva Erhardt.

Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko Lipp.

FKM ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Mein Name ist Victoria Michalsack.

Wir hören uns morgen wieder.

Tschüss.

Untertitel im Auftrag des ZDF, 2017

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Raketen, Bomben, Drohnen, Kampfflugzeuge – die Grenzen werden erstmal geschlossen und kein Ende ist in Sicht. Eigentlich wäre ARD-Nahost-Korrespondentin Sophie von der Tann nur über Nacht im Gazastreifen geblieben, doch dann werden fünf Tage daraus. Als mutmaßlich einziges ausländisches Team erleben sie und ihre Kolleg:innen Anfang Mai die Gewalteskalation zwischen der israelischen Armee und dem islamischen Dschihad hautnah. In dieser Folge 11KM erfahrt ihr, wie Gewalt und Angst Teil des Alltags werden, wie die Menschen in Gaza damit leben und wie diese Zeit Sophies Blick auf den Nahostkonflikt verändert hat.



Hier findet ihr alle aktuellen Entwicklungen in Gaza auf tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/thema/gaza



An dieser Folge waren beteiligt:



Folgenautor: Stephan Beuting

Mitarbeit: Katharina Hübel

Produktion: Alex Berge, Konrad Winkler, Hanna Brünjes und Eva Erhard

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler



11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Folge liegt beim NDR.