11KM: der tagesschau-Podcast: Tschüss, Erdoğan? Die Türkei vor der Wahl

tagesschau tagesschau 4/24/23 - Episode Page - 25m - PDF Transcript

So klingt Wahlkampf in der Türkei.

Denn am 14. Mai wird das Parlament neu gewählt.

Und der türkische Präsident.

Der aktuelle Recep Tayyip Erdogan ist seit 20 Jahren an der Spitze des Landes.

Und er wackelt. Zum ersten Mal.

Da hat ein junger Anwalt zu mir gesagt, ich würde auch eine leere Wasserflasche wählen.

Hauptsache Erdogan verliert. Das ist eine krasse Aussage, aber ich glaube, so denken einige.

Erdogan ist so mächtig wie kein anderer türkischer Präsident vor ihm.

Er hat die Gewaltenteilung ausgehebelt, Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt,

politische Gegner systematisch ins Gefängnis gebracht.

Und die Türkei von der parlamentarischen Demokratie in ein Presidialsystem gewandelt.

Könnte diese Wahl jetzt das aus sein für den Autokraten?

Und was bedeutet der Wandel für Deutschland?

Ihr hört 11km der Tagesschau-Podcast. Ein Thema in aller Tiefe.

Mein Name ist Victoria Michalsack. Heute ist Montag, der 24. April.

Katharina, hallo. Hallo, grüße dich.

Katharina Willinger ist unsere Korrespondentin im AID-Studio in Istanbul.

Katharina, das ist jetzt deine dritte Wahl, die du in der Türkei miterlebst.

Mitte April hat Erdogan seinen Wahlkampf offiziell gestartet.

Merkst du da jetzt bei seinen Auftritten einen Unterschied?

Ja, also beim Wahlkampfauftakt von Staatspräsident Erdogan und seiner Partei der AKP,

das hat in einer Sporthalle in Ankara stattgefunden.

Da sind dann sehr viele Parteimitglieder, Anhänger der Partei,

die auf den Rängen sind, mit Fahnen schwenken, ihm zu jubeln.

Und Erdogan kam dann mit seiner Frau, Emine Erdogan, auf die Bühne, Hand in Hand

und hat aber für seine Verhältnisse, muss ich wirklich sagen, relativ zurückhaltend

am Anfang irgendwie den Leuten zugewunken.

Also da habe ich auch schon andere Wahlkampfauftakte erlebt.

Normalerweise Wahlkampf in der Türkei ist wirklich laut.

Und das kann man sich an Deutschland kaum vorstellen, dass du irgendwie in die Olympia-Stadion gehst

und Olaf Scholz irgendwie schreist oder so, oder kreist.

Also das ist hier wirklich anders.

Und das ist hier momentan sehr ruhig auch aufgrund des Erdbebens.

Also Erdogan selbst hat im Land eigentlich einen stillen Wahlkampf verordnet,

aus Respekt vor den Betroffenen des Erdbebens sozusagen.

Und daran hält man sich bisher weitestgehend.

Das Erdbeben vom Februar, bei dem 10.000 Menschen in der Türkei gestorben sind,

ganze Ortschaften wurden zerstört.

Normalerweise fahren hier Busse mit schlechten Lautsprecheranlagen obendrauf

durch die Straßen und machen Werbung für Parteien oder Kandidaten.

Habe ich bisher erst eingehört und der war wirklich ganz zurückgedreht, leise.

Also es ist eine ganz andere Stimmung in diesem Jahr.

Und ich habe das Gefühl, dass die Leute auch wirklich mit den Fingernägel kratzen

und sagen, es reicht jetzt, der 14. Mai soll endlich kommen.

Wir wollen jetzt endlich eine Entscheidung haben.

Es könnte mal gefährlich werden für Erdogan.

Wie mächtig ist er bisher?

Also Erdogan hat etwas Entscheidendes gemacht, was bis heute die Türkei beeinflusst.

Er hat nämlich die Verfassung geändert.

Und zwar dahingehend, dass er als Staatspräsident quasi ganz oben an der Spitze steht

und auch noch länger gewählt werden kann, als eigentlich vorgesehen war.

Also er lenkt wirklich dieses Land maßgeblich seit 20 Jahren

und hat dieses Land natürlich auch geprägt.

Also ob das jetzt am Anfang seiner Amtszeit vor allen Dingen Reformen waren,

die auch die Wirtschaft in Gang gebracht haben.

Er hat das Land wahnsinnig in einem schlechten Zustand übernommen,

würde ich jetzt mal so pauschal sagen.

Und hat das dann stückweise auch wieder aufgebaut.

Und da haben ja auch viele applaudiert, auch aus dem Westen übrigens.

Irgendwann ist dann das passiert, was in der Türkei relativ oft irgendwie zitiert wird,

Macht korruptiert.

Und er hat quasi sozusagen Kritiker den Hals nicht mehr voll bekommen

und hat alles an sich gerissen, konnte mit der Macht nicht umgehen.

Letzten Endes ist es wirklich so, dass alles bei einer Person liegt,

die Macht liegt bei ihm.

Und damit sind viele unzufrieden.

Ja, also Erdogan hat die Türkei extrem verändert

und ja, man muss eigentlich sagen, in der Hand.

Also es liegt alles an ihm seit jetzt fast 20 Jahren.

Das heißt, wenn der jetzt wackelt, das wäre mal eine richtig große Veränderung

nach sehr langer Zeit.

Warum denn? Warum ist er Wackelkandidat?

Grob zusammengefasst würde ich sagen, ah, die wahnsinnig schlechte wirtschaftliche Lage.

Also die Inflation hier im Land, die ist wirklich extrem hoch.

Die hohe Arbeitslosigkeit, dann der ganze Frust

und die Trauer, die Wut, die das Erdbeben nochmal hochgespült hat.

Also da kommt einiges zusammen.

Fangen wir mal vorne an.

Inflation, die haben wir in Deutschland ja auch.

Die lag bei unserem Frühjahr so bei 7%.

Jetzt muss man sich vorstellen, in der Türkei lag sie am Ende des Jahres bei über 70%.

Das sagt die Regierung, die Opposition sagt, die ist noch viel höher.

Sie liegt bei 150%.

Ich denke, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.

Als ich in die Türkei gezogen bin, das war 2016,

da habe ich für eine Flasche Milch umgerechnet 5-6 türkische Lira gezahlt.

Jetzt, wenn ich in den Supermarkt gehe, bezahle ich für die gleiche Milch

etwa 40 bis, je nachdem, ob sie im Angebot ist, 48 Lira.

Also das ist wirklich wahnsinnig hoch.

Und das gilt auch für Mieten, das gilt für Elektroware,

das gilt für, wenn du ins Restaurant essen gehst.

Und in manchen Restaurants sind die Preise für Essen so teuer geworden,

dass sich viele tatsächlich solche Restaurantbesuche gar nicht mehr leisten können.

Aber eben, dass viele auch sagen, wenn ich jetzt in den Supermarkt gehe,

dann packe ich nur noch die Hälfte in meinen Einkaufswagen.

Also es ist was, mit dem du auch gar nicht auf Dauer leben kannst,

weil die Gehälter sind ja nicht dementsprechend nach oben gegangen.

Und gerade beim Stichwort Mieten, also das ist so krass.

Da kann ich auch ein Beispiel geben aus meinem Freundeskreis.

Ich habe bestimmt 6, 7 Freunde, die jetzt in den letzten Monaten ihre Wohnung verloren haben,

weil die Vermieter ihnen gekündigt haben, sie müssen da raus

und die Vermieter vermieten zum teilweise 4-fachen Preis die Wohnung wieder.

Ja, also das ist eine angespannte Situation und eine Krise für viele Menschen da finanziell.

Welche Rolle spielt denn da eigentlich das große Erdbeben vom Februar?

Dieses Erdbeben ist aus meiner Sicht jetzt nochmal obendrauf gekommen.

Eine Woche nach dem schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet

ist die Zahl der Toten nach offiziellen Angaben auf mehr als 37.500 gestiegen.

Für die Helfer schwindet die Hoffnung,

noch weitere Überlebende in den Trümmern zu finden.

Ich erinnere mich so gut an ein Beispiel.

Ich war direkt am Tag nach dem Erdbeben.

Die erste größere Stadt, in die mein Team und ich es geschafft hatten, war Adyaman.

Eben ist es relativ konservative Stadt würde ich sagen.

Und da kamen Leute auf mich zugestürmt.

Die haben mich angeschrien.

Das ging gar nicht gegen mich diese Wut.

Die haben geschrien, ihr vom deutschen Fernsehen seid hier.

Wo sind unsere Soldaten?

Wo sind die Rettungskräfte?

Wieso hilft uns keiner?

Und da kam eben ganz oft die Frage an uns als Presse gerichtet.

Wie kann es sein, dass ihr hier seid und der Staat immer noch nicht?

Und das habe ich an mehreren Orten erlebt.

Das ist nichts, was irgendwie nur an einem Ort passiert ist,

sondern auch in der Stadt Antakya, das ist in der Region Hatay.

Dort haben Menschen uns immer wieder erzählt,

dass sie teilweise vier, fünf Tage gewartet haben,

bis Bergungskräfte überhaupt bei ihnen waren.

Und natürlich, wenn du einen geliebten Menschen verlierst,

wenn du Angehörige verlierst, wenn du Freunde verlierst

oder einfach nur im Bekanntenkreis jemanden kennst,

dann wächst natürlich die Wut über dieses Krisenmanagement ins Unermessliche.

Und wenn das sich dann noch part mit der Tatsache,

dass festgestellt wird, dass da Häuser wirklich wie Kartenhäuser

in sich zusammengestürzt sind,

weil am Bau gepfuscht wurde,

weil die einfachsten Materialien nicht eingehalten wurden

und die Behörden das noch durchgewunken haben,

dann ist die Wut natürlich richtig groß.

Nicht nur bei den Menschen, die ohnehin schon unzufrieden waren,

sondern auch bei den Menschen, die vielleicht in den letzten Jahren

eher konservativ gewählt haben,

also auch AirDance-Partei AKP ihre Stimme gegeben haben.

Die Stimmung in der Türkei ist also ziemlich gekippt

nach dem Beben im Februar.

Wie sieht es ja mittlerweile aus im Erdbeben-Gebiet?

Wir waren ja in den Tagen, in den Wochen nach dem Erdbeben,

immer wieder in den betroffenen Regionen unterwegs

und in einige dieser Städte, das sind eigentlich Hochburgen

der Erdogan-Partei gewesen.

Also das Beispiel Kahraman-Madash oder auch Erdiaman,

das sind Städte, in denen die wurden sehr stark vom Erdbeben zerstört.

Da hatte die AKP bei den letzten Wahlen

einen Stimmanteil von Jahr 70 Prozent zum Teil.

Da haben sich wahnsinnig viele Leute getroffen, die gesagt haben,

ne, ich bin so wütend immer noch über das schlechte Krisenmanagement

und dabei auch über diese mangelnde Erdbebenprävention,

die vielen jetzt natürlich erst bewusst geworden ist,

dass ich diesmal der Erdogan-Partei meine Stimme nicht geben werde.

Ich kann jetzt nicht sagen, ob die alle deswegen die Opposition wählen,

aber es kann sein, dass sie einfach nicht zur Wahl gehen

und davon profitiert am Ende dann ja auch wieder die Opposition.

Aber das sage ich auch immer dazu in meiner Berichterstattung,

ist ein Überlebenskünstler, ist ein politisches Kameleon

und wir warten alle so ein bisschen drauf, dass da irgendwie noch was kommt

und dass er tatsächlich das Ruder für sich rumreißen kann.

Aber ja, ganz klar, er wackelt so sehr wie noch nie, würde ich sagen.

Jetzt hätte dann ja die Opposition eine Chance.

Wer ist denn da dagegen Kandidat?

Also es gibt drei Gegenkandidaten, wobei eigentlich nur einer relevant ist,

ohne jetzt den anderen beiden zu nahe treten zu wollen.

Aber der eine ist natürlich, was die Umfrage wert angeht, der aussichtreichste Kandidat.

Heißt Kimal Kilic Darulu ist Vorsitzender der Mitte-Links-Partei.

Ich habe mir den Kimal Kilic Darulu mal angeschaut.

Ich habe mir zum Beispiel ein Twitter-Video von ihm angesehen,

bei dem er da so spricht.

Sevgili Urtaşler, bir da ifadehdim.

Vatandaşin, asıl gündemi bu.

Er sitzt ja so, also das ist so ein Mann, ein bisschen fortgeschrittenen Alters,

so Anfang 70, ja genau, und mit so einem weißen Schnobart

und eigentlich so einem freundlichen Gesicht, einem Lächeln auch.

Und er sitzt ja so an seinem Küchentisch, einfach so in seiner Küche.

Da ist kein professionell eingerichteter Hintergrund.

Die Küche ist sauber, okay, aber da steht noch eine Flasche Putzmittel

und er redet so ganz ruhig einfach und hat auch so eine ganz ruhige, eher kleine Gestik, würde ich sagen.

So war mein Eindruck, wie ist denn deine, so ähnlich oder wie nimmst du ihn wahr?

Ja, also Kimal Kilic Darulu ist tatsächlich, also er möchte natürlich mit diesen Küchenvideos,

das ist nicht das einzige Video aus seiner Küche übrigens, das entstanden ist,

der möchte natürlich nah am Volk irgendwie sein.

Und ich versuche mal so ein bisschen zu beschreiben, also Kimal Kilic Darulu hat Verwaltungswissenschaften studiert

und hat in den 80er Jahren im Rechnungswesen gearbeitet beim Finanzamt

und ich glaube sogar beim Finanzministerium

und dann irgendwann war er Direktor für die Sozialversicherungskammer.

Es klingt bodenständig.

Ja, bodenständig und auch ertrocken und nüchtern, einander zahlen.

Also er ist einfach ein ganz anderer Typ als Erdogan

und manche Kritiker sagen auch, oder gar nicht unbedingt Kritiker Beobachter sagen,

der ist einfach ein bisschen langweilig auch.

Also man kann Erdogan ja viel vorwerfen, aber der Mann hat Charisma,

also der betrittenen Raum und All Eyes on Him, also wirklich jeder schaut ihm zu.

Und das ist bei Kimal Kilic Darulu eher nicht so.

Ich habe ihn selber zweimal schon interviewed.

Ich erinnere mich an das erste Interview, das ich mit ihm hatte.

Und zwar ist er 2017 von Ankara nach nach Istanbul gelaufen

auf einem sogenannten Gerechtigkeitsmarsch.

Das ging gegen die Aushöhlung des Rechtsstaats.

Und dann habe ich ihn interviewen dürfen in seinem Wohnwagen.

Er hat dann abends immer in einem Wohnwagen gepennt

und dann am nächsten Tag ging es halt irgendwie wieder 15 Kilometer weiter.

Und das ist ja eigentlich total spannend.

Man kann ein Top-Politiker, ein Anführer der Opposition

auf so eine Marsch in einem Wohnwagen interviewen, wow.

Aber es war ein bisschen langweilig, um ehrlich zu sein.

Und deswegen beschreibt dieses Video, das du gesehen hast,

ihn glaube ich ganz gut.

Aber ich habe heute Morgen nochmal mit ein paar Freunden über ihn geredet,

wie sie ihn beschreiben würden.

Und ich habe gesagt, ja, der kommt uns irgendwie als Deutsch ein bisschen langweilig vor.

Und dann haben die gesagt, wir sehnen uns nach Langeweile.

Also wir wären echt froh, wenn die nächsten Jahre so ein Typ

da ein bisschen langweilig ist, unser Land regiert.

Ah, okay. Also vielleicht doch im Kontrast zu Erdogan,

der ja eher laut auftritt und groß inszeniert.

Also da ist vielleicht Sehnsucht nach was ruhigem.

Ist das auch der Grund, warum er jetzt eine Chance haben soll?

Also warum jetzt ausgerechnet er ist,

der dem mächtigen Erdogan, die Stirn bieten soll?

Wie hat das eigentlich so weit geschafft?

Also ich sage mal so, ich glaube,

wenn die Opposition gewinnen sollte

in Form von Khalid Starolo als Präsidentschaftskandidat,

wenn er gewinnen sollte,

dann tut er das nicht unbedingt,

weil er und die Opposition so besonders stark sind,

sondern auch, weil die AKP besonders schwach ist dieses Jahr, also Erdogan.

Und er ist halt ein Kandidat, glaube ich,

auf den sich die Opposition einigen konnte.

Du musst dir vorstellen, diese Opposition,

die besteht momentan,

diese große Opposition, die Erdogan gefährlich werden kann,

die nennt man im türkischen den sogenannten Sächsartisch,

besteht wirklich aus linken Parteien

oder Mitte-Links-Parteien

und nationalistischen rechten Parteien.

Und das musst du erst mal schaffen, die zu vereinen

und dich auf einen Kandidaten einigen zu können.

Okay, also der Kemal Khalid Starolo,

der steht da nicht nur als Kandidat von seiner Partei, der CHP,

sondern das ist eben diese Opposition aus sechs Parteien,

also von Mitte-Links bis rechts.

Das wäre in Deutschland jetzt quasi so ein bisschen als Vergleich,

als würde sich alles zusammenschließen von der SPD bis zur AfD

und dann so ein Bündnis bilden.

Okay, also das heißt, das ist auch nicht üblich.

Ne, also es zeigt aber eigentlich, ganz gut finde ich,

was in der Türkei notwendig ist, um die AKP vom Thron zu stoßen.

Also solche Schulterschlüsse sind notwendig,

sonst würde man es gar nicht schaffen.

Also das finde ich als politischer Beobachter ganz interessant.

Ja, und es geht anscheinend nicht so genau um den Kandidaten

und um eine Partei, sondern eher so darum Erdogan abzuwählen,

oder was sagen die die Leute?

Absolut, es geht darum, dass Erdogan verliert.

Und ich hatte irgendwie vor, das ist schon einige Monate her,

erinnere mich an diesen Satz, weil ich ein bisschen skurril fand

und aber auch gleichzeitig bezeichnete,

da hat ein junger Anwalt zu mir gesagt,

ich würde auch eine leere Wasserflasche wählen,

Hauptsache Erdogan verliert.

Das ist eine krasse Ausdage, aber ich glaube, so denken einige.

Was ist denn sein politisches Programm eigentlich?

Ja, also ich habe erwähnt,

dass Kildes Stadol so aus dem Finanzwesen kommt

und dafür ist er eigentlich auch bekannt geworden.

Er hat auch hinsichtlich Korruption ermittelt

und er ist so ein geradliniger Typ, den man auch zutraut,

dass er dagegen Korruption vorgehen wird.

Er möchte die Wirtschaft wieder in Schwung bringen,

das war auch ein großes Problem von Erdogan in den letzten Jahren,

dass durch das Aushöhlen des Rechtsstaates

auch das Vertrauen im Ausland geschwunden ist gegenüber der Türkei.

Das heißt, viele ausländische Investoren sind ja aus der Türkei weggegangen.

Viele Unternehmen, die gesagt haben, ja, das ist zu riskant für unsere Leute,

am Ende werden sie hier festgenommen oder es passiert irgendwas anderes

und sind gegangen und dadurch ist natürlich auch diese Wirtschaftskrise

immer weiter irgendwie ins Rollen geraten

und da möchte Kildes Stadol schon auch ansetzen.

Aber es gibt auch einen Punkt, den muss man in der Berichterstattung

auch immer wieder beleuchten.

Die Opposition unter Kildes Stadol verfolgt auch

eine andere Flüchtlingspolitik als die AKP.

Die AKP hatte so ein bisschen den Schutzmantel über,

die aus dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchteten Menschen ausgebreitet.

Hat ja auch im Zuge des Flüchtlingsabkommens,

ich sag's jetzt ganz scharf, den Europäern

ein Großteil der Flüchtlinge vom Hals gehalten,

wurden dafür bezahlt und hatten Europa auch,

wenn man so will, in der Hand bei vielen anderen Dingen.

Die Opposition, auch die CHP, zu der politische Stadolo gehört,

macht seit vielen Jahren bereits damit Politik

und jetzt auch verstärkt im Wahlkampf,

dass man viele Menschen aus Syrien, die in der Türkei leben,

sind fast 4 Millionen, nach Syrien zurückschicken will.

Auf freiwilliger Basis, das betonen sie immer wieder,

aber wir wissen ja alle, wie freiwillig kann man jemand

in ein Land zurückschicken, das immer noch sich im Bürgerkrieg

zum Teil befindet und dessen Machthaber gegen jeden,

der sich irgendwie kritisch gegen ihn geäußert hat, brutal vorgeht.

Aber was soll denn das heißen, dass man Menschen freiwillig

zurückschickt, zum Beispiel nach Syrien?

Also die Flüchten ja aus einem gewissen Grund.

Keiner von denen ist freiwillig dargeblieben.

Wie soll das gehen? Was ist da der Plan?

Das klingt für viele absurd, das kann man sich nicht so richtig vorstellen.

Also ein Ansatz, den die CHP verfolgt,

ist, dass sie verstärkt mit dem Assad-Regime sprechen wollen.

Das sagen sie ganz offen, auch schon vor ihrem Wahlkampf.

Also für sie liegt die Lösung darin, sich mit Assad zu arrangieren.

Und ich weiß nicht, wie man sich das dann vorstellen muss,

dass sie dann sagen, okay, wenn Assad uns verspricht,

er tut den Menschen nichts, dann können die ja zurück.

Ob man dann wirklich so naiv ist, weiß ich nicht.

Aber es ist, das kann ich ganz klar sagen, es ist eine Forderung,

die viele, viele Menschen hier im Land haben, die eben sagen,

wir können uns nicht in diesem Umfang um sie kümmern.

Sie müssen zurück, das sagen viele.

Und sagen dann eben auch, wir haben ja selbst so große wirtschaftliche Probleme.

Also da kommt dann vieles zusammen.

Insofern bedient die Opposition da einfach nur was,

was in der Bevölkerung wirklich sehr, sehr ausgeprägt ist.

Also diese Flüchtlingsfrage, die ist ja eben total wichtig

für das Verhältnis auch zur EU, zur Europa und auch zu uns,

zu Deutschland, diese andere Flüchtlingspolitik.

Nehmen wir mal an, das würde wirklich so kommen

und diese Flüchtlingspolitik von der Türkei würde sich verändern.

Was hieße das denn für uns?

Dieser Flüchtlingsstil, der wird ja unhin von vielen in Europa

auch extrem kritisiert, weil sie sagen, das war von vornherein eine falsche Politik

und man hat quasi jemanden bezahlt, der das Ganze dann auch noch ausnutzt,

die Menschen irgendwie fernzuhalten und hat sich dann erpressbar gemacht.

Ich glaube, dass die Türkei eben sich auf so ein Abkommen,

wie es Erdogan eingegangen ist, nicht mehr einlassen wird

und die Frage ist halt, öffnet man dann die Grenzen,

öffnet man die Türen und lässt die Leute einfach weiter

oder, und das glaube ich eher, dass das der Ansatz ist, der CHP,

man versucht von vornherein sich noch stärker von diesen Ländern abzuschotten

und die Leute überhaupt nicht ins Land zu lassen.

Und diese Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei,

was meinst du, wie würde sich das verändern?

Also ich glaube, dass sich das Verhältnis zu Europa,

wenn eine neue Regierung an der Macht wäre,

erst mal nicht direkt vielleicht am Anfang,

aber dann über die ersten Monate, Jahre schon extrem ändern könnte,

denn die Beziehungen waren ja wahnsinnig angespannt in den letzten Jahren

zwischen Europa und der Erdogan-Regierung.

Also Erdogan hat eigentlich Außenpolitik immer wieder auch als Waffe genutzt,

um innenpolitisch Stimmen zu sammeln, indem er Feindbilder beispielsweise schafft,

in Europa, also ich erinnere mich an die ganzen Nazi-Vergleiche,

die es immer wieder gab und Europa unterdrückt uns

und hier und da und ausländische Mächte wollen die Türkei kleinhalten.

Und das würde sich unter Umständen mit einer Regierung,

Kilic Starolo, ändern, also man wird wieder versuchen,

irgendwie enger zusammenzuarbeiten, aber auch nur begrenzt,

weil, wie wir gerade schon gesagt haben,

Kilic Starolo ist ein Bündnis eingegangen,

ein Bündnis mit ganz verschiedenen Parteien

und die haben natürlich auch ganz andere Vorstellungen,

wie man Politik gegenüber Europa betreiben sollte.

Also er kann es nur schaffen mit diesem Bündnis aus diesen sechs Parteien,

aber er soll es dann auch irgendwie allen recht machen,

also das kann man sich ja wirklich auch vorstellen.

Also wenn wir nochmal diesen Vergleich ranziehen von SPD bis AfD,

wie soll man denen das allen recht machen?

Das heißt, wir wissen ja auch nicht so richtig, was da passieren würde hinterher.

Richtig. Und schau dir doch mal die deutsche Bundesregierung an.

Ja, und da klappt es ja schon nicht so wirklich gut,

würde ich jetzt mal so aus der Ferne vorsichtig urteilen.

Ja, also wenn wir uns jetzt mal erinnern,

wie viele Diskussionen es mit der Ampelgarten,

wie wenig sich da geeinigt werden konnte, meinst du.

Ja, und auch jetzt noch, und ich meine,

das ist in der Türkei mit sechs Parteien,

dann wahrscheinlich noch mal schwieriger.

Okay, also der Wunsch nach Veränderung ist groß,

die Stimmung ist schlecht.

Gerade die Menschen wollen eine Veränderung,

würden teilweise, so gesagt, einfach jeden wählen,

um Erdogan abzuwählen.

Du hast ja gesagt, trotzdem,

Erdogan ist ein Überlebenskünstler,

der ist da wirklich schon sehr lange an der Regierung

und hat es ja trotzdem immer irgendwie geschafft.

Wie würdest du denn sagen, wie stehen die Chancen?

Ich glaube wirklich, so wie ich es anfangs schon mal angedeutet habe,

er wackelt so sehr wie noch nie

und die Opposition hat extrem gute Chancen,

diesmal daraus Kapital zu schlagen,

wenn sie nicht noch einen großen Fehler begehen

und der AKP nicht noch mal irgendwas einfällt,

was das Ruder komplett rumreißen kann.

Momentan beobachte ich, dass es teure Wahlkampfgeschenke

und Präsentationen gibt, also da wurde jetzt

ein großer Flugzeugträger irgendwie präsentiert,

dann gab es irgendwie eine Absenkung des Renteneintrittsalters,

dann gab es irgendwie eine Anhebung des Mindestlohns,

solche Sachen, aber ich habe das Gefühl,

das sind Dinge, die der Bevölkerung nicht mehr ausreichen.

Also die Leute sagen, das sind immer nur kurzfristige Verbesserungen

und langfristig hilft uns das dann alles nicht.

Deswegen, also ich glaube, es wird total spannend,

ich glaube, es wird ein Fotofinisch

und ein Politikwissenschaftler, mit dem ich ein Interview gemacht habe,

der die türkische Parteienlandschaft extrem gut kennt,

meinte, er glaubt, es wird keinen größeren Unterschied

zwischen den beiden Kandidaten am Ende geben als 2%.

2%, also das heißt, das wird ein richtiges Kopf an Kopf rennen

und das aber zum ersten Mal eigentlich seit rund 20 Jahren,

das wird ein richtig spannender Wahlkampf,

du bleibst daher auf jeden Fall dran vor Ort, Katharina.

Vielen, vielen Dank schon mal jetzt für deine Einschätzung.

Und ich sage vielen, vielen Dank für die Einladung

und fürs Interesse.

Das war Elfkm, der Tagesschau-Podcast.

Hat euch diese Frage gefallen?

Schickt sie doch gerne weiter und abonniert uns

in der AID-Audiothek oder überall, wo es Podcasts gibt.

Katharina Willinger begleitet die Wahlen

für das AID-Studio in Istanbul

und hält euch auf dem Laufenden

in der Tagesschau und dem AID-Inforadio eurer Wahl.

Wie die Wahlen in der Türkei am 14. Mai ausgehen,

klar, das wissen wir jetzt auch noch nicht,

sicher ist, auch an diesem Tag wird es eine neue Ausgabe

aus 30 geben, der News-Podcast,

der euch jeden Morgen mit den wichtigsten Themen

des Tages versorgt. Hört doch mal rein,

den Link findet ihr bei uns in den Shownotes.

Auto dieser Folge ist Sebastian Schwarzenburg.

Mitgearbeitet hat Katharina Hübel.

Produktion Christoph von der Werf,

Viktor Werisch und Eva Erhard.

Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko Lipp.

Elfkm ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Mein Name ist Viktor Werisch

und mein Name ist Victoria Michaelzak.

Wir hören uns morgen wieder.

Ciao.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Recep Tayyip Erdoğan lenkt seit zwanzig Jahren die Türkei. Damit könnte bald Schluss sein. Seine Wiederwahl als Präsident ist ungewiss. Und das nicht unbedingt, weil seine Herausforderer so beliebt sind. Das Ende der Ära Erdoğan würde aber nicht nur in der Türkei einiges ändern. In dieser 11KM-Folge erzählt Katharina Willinger aus dem ARD-Studio Istanbul, wer Erdoğans größter Konkurrent ist und warum sie mit ihm schon in einem Wohnwagen war. Katharina und ihre Kolleg:innen haben Menschen in der Türkei nach dem Erdbeben begleitet. Die Reportage findet ihr hier:

https://www.ardmediathek.de/video/weltspiegel/jahrtausendkatastrophe-oder-weltspiegel-extra/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3dlbHRzcGllZ2VsLzdiNWJmZGY0LTdmNzUtNDI0OS04MTg4LWE0NzFjMTcyZWRmMA   



An dieser Folge waren beteiligt:  

Folgenautor: Sebastian Schwarzenböck 

Mitarbeit: Katharina Hübel 

Produktion: Christoph van der Werff, Victor Veress und Evi Erhard 

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler  

11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info.

Für diese Folge ist der BR redaktionell verantwortlich.   



Wie die Präsidentschaftswahlen der Türkei am 14. Mai ausgehen, das wissen wir natürlich noch nicht. Aber was ziemlich sicher ist: Auch an diesem Tag wird es eine neue Ausgabe 0630 - der News-Podcast geben, der euch jeden Morgen mit den wichtigsten Themen des Tages versorgt.

https://www1.wdr.de/podcast/podcastpicker/index~_sid-0630-100.html