11KM: der tagesschau-Podcast: Tödliche Versäumnisse: Der Hamburger Amoklauf und die Lehren daraus

tagesschau tagesschau 9/12/23 - Episode Page - 24m - PDF Transcript

Vor einem halben Jahr fallen Schüsse in Hamburg, über 100, ein Amoklauf.

Acht Tote und zahlreiche Schwerverletzte.

Und wenig später gibt es eine Menge offene Fragen.

Denn die Behörden wussten mehr, als es zunächst scheint.

Der Amoklauf hat eine deutschlandweite Debatte über das Waffenrecht ausgelöst.

Aber ein paar Fragen drängen sich in diesem Fall besonders auf.

Die Hamburger Waffenbehörde hatte nämlich im Vorfeld einen Hinweis bekommen.

Hätte diese Tat also verhindert werden können?

Wir schauen da noch mal genauer hin, was es bekannt ein halbes Jahr nach der Tat hat.

Ihr hört 11km der Tagesschau-Podcast, ein Thema in aller Tiefe.

Mein Name ist Victoria Kopmann.

Heute ist Dienstag, der 12. September.

Bei uns heute ist Karoline Schmidt.

Karoline arbeitet beim NDR und hat mit ihrer Kollegin Marie Blöcher

die Abläufe rund um den Amoklauf in Hamburg rekonstruiert.

Hallo, Karoline.

Hallo, Victoria.

Du wohnst selbst in Hamburg.

Wie hast du den Amoklauf am 9.3. also ziemlich genau vor sechs Monaten erlebt?

Also ich war erst mit einer Freundin verabredet und kam nach Hause.

Und habe von der Tat erfahren, als die Hubschrauber über dem Gebetshaus

der Zeugen Jehovas kreisten, als klar war, da ist jemand, der schießt.

Als klar war, es sind Menschen tot.

Als klar war, es sterben gerade Menschen.

Und es auch nicht klar war, was ist das hier überhaupt?

Ist das ein politisches Attentat?

Oder ist das ein Amoklauf?

Was steckt da dahinter?

Das wussten wir alles in dem Moment nicht.

Es war sehr erschütternd.

Ich kenne noch viele, die da in der Nähe wohnen,

die gesehen haben, wie die Polizisten rumgerannt sind.

Hamburg ist eigentlich eine sehr friedliche Stadt.

Und das hat uns alle ziemlich erschüttert in dem Moment.

Ja, wir müssen uns, glaube ich, noch einmal kurz uns in Erinnerung rufen.

Bei einem Amoklauf in Hamburg sind gestern Abend

acht Menschen getötet und acht weitere verletzt worden.

Also ein Mann, Philipp F., 35 Jahre alt, schießt in einem Gebäude,

der Zeugen Jehovas um sich, tötet dabei sieben Menschen darunter ein

ungeborenes Kind und dann sich selbst.

Er hatte der Religionsgemeinschaft früher angehört

und besaß die Waffe rechtmäßig als Sportschütze.

Allerdings war die Waffenbehörde einem anonymen Hinweis nachgegangen.

Er könne psychisch kann sein.

Dass er eben nicht ein Unbekannter für die Behörden war,

das erfohlen wir erst am Tag danach in einer Pressekonferenz.

Und da wurde auch schon gleich der anonyme Hinweis erwähnt,

dass jemand aus dem Umfeld von Philipp F.

sich gemeldet habe und diesen anonymen Hinweis geschickt habe,

in dem gestanden hätte, dass er psychisch krank sei,

dass er eine Wut verspüre auf die Zeugen Jehovas

und dass dieserjenige sich unglaubliche Sorgen mache.

Was stand da genau drin?

In dem Schreiben stand, das wissen wir jetzt halt heute,

da stand drin, dass Philipp F.

nur eine Handvoll von Menschen noch vertraue.

Und dass er psychisch krank ist,

dass er offenbar unter einer Psychose mit Verfolgungswahn

und wahrscheinlich an einer Schizophrenie leide.

Denn er höre auch täglich Stimmen.

Darum stand ja dann auch die Frage im Raum,

hätte das nicht verhindert werden können?

Ich habe mich schon mal in meinem journalistischen Leben

nach Erfurt und Winnenden, das ist schon ein bisschen her,

aber damals sehr, sehr, sehr intensiv mit Amokläufen beschäftigt.

Mit der Prävention von Amokläufen,

das waren ja alles Schulamokläufe damals,

und hatte mich sehr viel damit beschäftigt.

Wie kann man das verhindern? Welches sind Anzeichen?

Wie erkennt man solche Täter überhaupt und Täterinnen?

Und wusste daher, dass diese Merkmale,

also psychisch krankstimmen, Wut und Sorge,

dass das eigentlich klassische Hinweise auf dem Amokläufer sind.

Und dachte mir, es ist ja irgendwie so ein bisschen seltsam,

wie wahrscheinlich das sich viele dachten,

dass die, die nicht im Blick gehabt haben.

Wenn sie so einen Hinweis bekommen haben, ganz egal,

wie vielleicht sonst Krude, der auch gewesen ist,

das wusste man ja alles in dem Moment nicht, irgendwie seltsam.

Und wie erklären das die Behörden?

Die Behörden hatten dann die Situation natürlich,

dass sie erklären mussten, warum sie ihnen eben nicht im Blick hatten.

Und das war ganz interessant.

Sie haben alle möglichen Erklärungen geliefert.

Also zum Beispiel haben sie am Anfang gesagt,

es gibt so viele anonyme Hinweise, die bei uns eingehen.

Da können wir nicht eben nachgehen.

Oder ja, es gibt auch Denonziationen.

Vielleicht behauptet auch jemand böswillig,

dass der andere psychisch krank sei.

Da kann ich einfach die Polizei losgehen und Ermittlungen anstellen.

Wo kommen wir denn dahin, wenn jeder über irgendwen was behaupten kann?

Und dann recherchiert sofort die Polizei los.

Der Hinweis ist ja damals bei der Waffenbehörde in Hamburg eingegangen.

Wie sind die denn mit diesem Hinweis umgegangen?

Also was haben die danach gemacht?

Also die Waffenbehörde ist Teil der Polizei in Hamburg.

Das ist nicht überall so, aber in Hamburg ist es so.

Und die agiert aber für sich ganz offenkundig.

Das haben wir jetzt auch gelernt.

Also die ist eine Behörde in der Behörde und agiert alleine so.

Also die Waffenbehörde hat diesen Hinweis ernst genommen.

Das sieht man daran, dass sie überhaupt was getan haben.

Also es gibt dann so bestimmte Schritte, die eine Waffenbehörde dann macht.

Die sind sie auch abgegangen.

Also sie haben erst mal die Datenbanken abgefragt.

Liegt da irgendwas gegen ihnen vor? Nein, lag nichts vor.

Unbeschriebenes Blatt.

Der nächste Schritt, den eine Waffenbehörde normalerweise dann geht,

ist dann eben die unangekündigte Waffenaufbewahrungskontrolle.

Also das heißt, sie sind irgendwann bei ihm vorbei.

Das war am 7. Februar.

Und haben ihn angetroffen.

Er war unglaublich nett und freundlich, angeblich.

Und hat sich sehr entschuldigt, dass da eine Patrone herumlag.

Also das darf nicht so sein.

Die Waffe muss weggeschlossen sein.

Alle Munitionen muss weggeschlossen sein.

Aber eine Patrone lag darum.

Der hat sich unglaublich entschuldigt, hat die sofort weggeschlossen.

Also es war alles unheimlich nett und freundlich.

Und dann haben sie halt gesagt, okay, dann machen wir jetzt einen Haken hinter.

Wir haben alles getan.

Also das heißt, diese Behörde, da sind Leute hin

und haben aber geschaut, ob der seine Waffen richtig aufbewahrt.

Also ob die richtig weggeschlossen sind.

Das hat ja jetzt gar nicht so viel zu tun damit,

dass man da jetzt gucken kann, in welchem geistigen Zustand ist der Mann.

Oder ist er irgendwie gefährlich?

Also sie haben ihm schon sich mit ihm unterhalten

und haben ihm Fragen gestellt

und haben halt einfach einen sehr netten, ganz normalen Menschen erlebt.

Aber in dem Schreiben steht eben auch,

dass Philipp F jemand ist, der also unheimlich intelligent sei

und der sehr gut verbergen kann, was mit ihm tatsächlich los ist.

Also die sollen sich, steht da drin, die sollten sich bitte nicht täuschen lassen

von seiner freundlichen Art.

Okay, also da hätte man ja eigentlich auch vorgewarnt sein können.

Wer schaut sich sowas dann eigentlich an, um das zu bewerten?

Ob sowas dann glaubwürdig oder gefährlich ist

oder wie so jemand drauf ist, haben die da Kriminalpsychologen

oder wie wird das bewertet?

Genau, also hier ist jetzt eben der Punkt.

Sie haben das selber bewertet

und da ist die große Frage, warum haben die da nicht die Polizei eingeschaltet?

Warum haben die nicht Kriminalpsychologen eingeschaltet,

mit denen die Polizei in solchen Momenten arbeitet?

Warum haben die nicht dem psychiatrischen Dienst eingeschaltet?

Da ist es eben so gewesen, dass die Polizei am Anfang den Eindruck erweckt hat

in diesen ersten Pressekonferenzen.

Das hätten sie gar nicht tun können,

eben weil man als Behörde nicht einfach die Polizei anrufen kann wie ein normaler Mensch.

Also wenn du irgendwie das Gefühl hast, da ist irgendwas komisch,

du kannst jederzeit die Polizei anrufen, ich kann das auch,

aber eine Behörde darf das tatsächlich nicht unter allen Umständen, das geht nicht.

Aber die Frage ist, hätten sie es denn hier gedurft?

Also wir halten mal fest,

die Waffenbehörde hat zwar auf das anonyme Schreiben reagiert

und war sogar bei Philipp F. vor Ort,

aber offenbar haben sie ihn nicht für gefährlich befunden oder für psychisch krank.

Sie sind aber auch keine Experten auf dem Gebiet.

Und ganz zu Beginn hat es in den Pressekonferenzen so gewirkt,

als ob sie an dieser Stelle auch nicht mehr hätten tun können,

als ob die Waffenbehörde nicht die Polizei hätte einschalten können,

obwohl sie eine Behörde innerhalb der Polizei ist.

Kann das sein?

Genau so sind wir in die Recherche gestartet und haben Polizei-RechlerInnen angerufen

und einfach mal nachgefragt, wie ist denn das?

Wann darf denn eine Behörde, wie die Waffenbehörde, die Polizei einschalten?

Dürfen die das in dem Moment oder dürfen die das nicht?

So, und der Einer, mit dem wir dann auch ein Interview geführt haben,

Markus Thiel, der von der Polizei Hochschule Münster,

der sagte dann auch im Interview, er sieht es sogar so,

dass es geboten gewesen wäre, die Polizei in dem Moment einzuschalten bei diesen Hinweisen.

Wenn die Polizei also Erkenntnis von dieser Gefahrenlage hat,

kann sie den Tatsachen weiter nachgehen und prüfen,

ob hier möglicherweise eine Gefahr besteht

und wird dann erst mal niedrigschwellige weitere Ermittlungen vornehmen.

Also dann vielleicht den beobachten, vielleicht ihn befragen,

vielleicht das Umfeld befragen.

Und wenn sich dann weitere Tatsachen erhärten,

dann sind auch die weiteren Maßnahmen zulässig.

Wenn jemand also psychisch angeschlagen ist und eine Waffe hat,

dann wird man eben auch kurzfristige Maßnahmen treffen können,

um zu verhindern, dass er diese Waffe auch benutzt.

Eine wichtige Frage in dem Zusammenhang war ja auch,

ob diese anonyme Schreiben überhaupt glaubwürdig war.

Wie wurde das damals bewertet?

Es wurde so dargestellt, als ob auch nicht ganz klar ist,

ob das nicht vielleicht auch eine Denunziation hätte sein können.

Es wurde so ein bisschen im Nebulösen gelassen.

Da könnte man jetzt sagen, das klingt ein bisschen nach einer Ausrede.

Also, als ob da vielleicht nach Gründen gesucht wird,

warum man nicht mehr getan hat.

Über die Glaubwürdigkeit von diesem Schreiben

habt ihr ja aber auch mit einer Expertin gesprochen.

Wer ist das?

Ich habe damit Carolina Rosti gesprochen.

Carolina Rosti ist Kriminalpsychologin

und spezialisiert auf die Analyse von Gefahren

und auch spezialisiert im Bereich Amokläufe.

Da kennt sie sich sehr, sehr gut aus.

Und was hat ihr dir erzählt?

Da sieht sie eine Vielzahl an Warnsignalen.

Wie fand sie den anonymen Hinweis? Glaubwürdig.

Punkt.

Bei einem Satz wie, bitte behandeln sie ihn nicht wie einen Straftäter,

denn er ist keiner.

Das klingt einfach nicht nach einer Denunziation.

Warum sollte jemand, der einen anderen denunziert,

so einen Satz da reinschreiben?

Das klingt eher wie jemand aus dem Umfeld der sich Sorgen macht.

Der schreibt zum Beispiel, seit er weiß,

dass Philipp F. im Besitz einer Waffe sei,

kann ich nicht mehr schlafen.

Und sehr, sehr wichtig ist eben diese ganz konkrete Schilderung

wut auf bestimmte Gruppen, eben hier auf die Zeugen Jehovas

und den ehemaligen Arbeitgeber.

Also dieser konkrete Hinweis, das ist auch ein Warnsignal.

Weil ganz typisch ist vor Gewalttaten,

dass Menschen ganz konkrete Personen oder Personengruppe haben,

der sie etwas vorwerfen.

Und für die kann es dann gefährlich werden?

Und für die ist es dann gefährlich, genau.

Und in diesem Schreiben gab es ja also diese ganzen konkreten Hinweise,

auch auf ein Buch des Täters, wo er ja auch nochmal

ganz detailliert sein Seelenleben aufgezeigt hat, oder?

Genau, also dieses Schreiben, heute weiß man, das ist vom Bruder,

aber es waren da auch ganz konkrete Hinweise da,

auf eben Aktivitäten im Internet und eben auf dieses Buch.

Da gibt es eine Internetseite, also Philipp F. war ein,

der hat eine Internetseite, da klingt er so wie ein erfolgreicher Berater.

Aber, und das ist so der erste Moment, wo man denkt,

zum Moment mal, ein Tagessatz von 250.000 Euro plus Mehrwertsteuer verlangt.

Also ich das gehört habe, dachte ich mir, also das ist glaube ich

der höchste Tagessatz, von dem ich jemals gehört habe, oder?

Da liebt schon jemand so ein bisschen in seiner eigenen Welt auf jeden Fall.

Und dann gibt es auf dieser Internetseite, unter Publikationen,

fand man halt damals auch sein Buch.

Und dieses Buch heißt, ich habe das hier auch nochmal liegen,

the truth about God, Jesus Christ and Satan.

Also die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan

auch nicht unbedingt etwas, wo wir alle so drüber schreiben, so normalerweise.

Und wenn man das dann wirklich liest, zeichnet er darin

eine unglaublich harte und bedrohliche Welt,

in der Gott, Jesus Christus und Satan,

um Morden und Unheil und Unglück über die Menschen bringen.

Und es geht auch sehr viel darum, wann Mord erlaubt ist

und wann man Morden darf und wann man Gewalt anwenden darf.

Und das alles so auf ungefähr 300 Seiten.

Also es geht darin schon konkret um das Töten von Menschen

und um die Moral davon, ja?

Genau.

Und dieses Buch und diese Inhalte, das war also ganz offen

auf seiner eigenen Website beworben, dieses Buch war erhältlich.

Wieso war das den Behörden nicht klar?

Oder warum fanden die Behörden das nicht bedenklich?

Ich weiß auch nicht, warum die bei so einem Buchtitel,

vor allem nach diesem anonymen Hinweis,

warum da nicht irgendwie die berühmten Alarmglocken geschrillt haben.

Ich kann das nicht ganz nachvollziehen,

aber es war halt eben so, also mir sagten auch die Experten und Experten,

mit denen ich gesprochen habe, das sind eben auch keine Fachleute.

Die sind mit Arbeiten einer Behörde, die sind nicht geschult,

dafür solche Gefahrenlagen zu analysieren, das können die auch gar nicht.

Und deswegen kann man denen das auch nicht vorwerfen.

Die haben sich das angeguckt, die haben das getan, was eine Waffenbehörde tut

und mehr machen die dann halt nicht.

Ihr habt aber auch dieses Buch Experten gegeben,

nämlich auch der Kriminalpsychologin, mit der du gesprochen hast.

Zu welchem Schluss ist die da gekommen, nachdem die sich das angeschaut hat?

Also Carolina Rosti sagte im Interview, sie hat das Buch gelesen

und da sind so viele Hinweise.

Die mehrfachen Hinweise auf Beschäftigung mit tödlicher Gewalt,

auch aufgrund von Missständen, Rechtfertigung von Gewalt,

nazistische Größen, Fantasien, aber auch Hinweise,

die in Bezug auf den, die psychose oder auch den Verfolgungswahn auch ungünstig sind

und die Beschäftigung mit Waffen bzw. das Erlangen einer legalen Waffe,

da möchte ich diese Waffe eigentlich, nicht nur eigentlich,

nicht bei so einer Person haben.

Hätte man ihm denn mit diesem Wissen, mit diesem psychologischen Profil

die Waffe abnehmen können?

Ja, also der Polizeirechler, mit dem wir gesprochen haben,

der Markus Thiel sagte, natürlich, wenn man mit so einer gefahrenen Analyse,

also man muss sich das so vorstellen, wenn die Polizei eingeschaltet worden wäre,

dann hätten die eine Kriminalpsychologin damit reingeholt,

die hätte das dann analysiert für die Polizei

und die hätte dann eben gesagt hier, ich sehe hier eine Gefahr

und dann hätte die Polizei sofort die Waffe beschlagnahmen können.

Die Anforderung an die Sicherstellung von Gegenständen ist unglaublich gering,

also braucht eigentlich nur eine Gefahr, die von der Waffe oder der Person,

die sie nutzen kann, ausgeht.

Und wenn man das entsprechend prognostizieren kann aufgrund dieser Tatsachen,

die man hat, dann kann man dem die Waffe zunächst wegnehmen,

nimmt sie eine amtliche Verwahrung, müsste sie gegebenenfalls,

wenn sich das Ganze als haltlos herausstellt, an ihn wieder zurückgeben

und wenn man merkt, er bleibt gefährlich

und die waffenrechtliche Erlaubnis wird wiederrufen,

dann wird die Waffe vernichtet oder eingezogen.

Jetzt ist es aber so, dass die Innenbehörde auch im Nachhinein

nochmal das Buch und den anonymen Hinweis halt analysieren lassen

und die sagen, sie können aus dem Buch alleine keine Gefährlichkeit ableiten.

Aber das wäre doch zumindest ein Anhaltspunkt gewesen,

da mal genauer hinzuschauen.

Wenn die Polizei eingeschaltet gewesen wäre, hätte sie das Umfeld befragen können.

Die Polizei hätte die Familie befragen können,

wer sie auf den Bruder zum Beispiel hätte sie treffen können.

Sie hätte mit sehr vielen Menschen sprechen können,

die weitere Informationen hätte geben können,

die darauf hindeuten, dass dieser Mensch keine Waffe haben darf,

weil es steht im Gesetz ganz klar und deutlich psychisch kranke Menschen dürfen,

keine Waffe haben. Punkt.

Und diese Schizophrenie, die da ja angedeutet wird,

nicht jeder der Schizophrenie, das ist gefährlich,

das ist natürlich nicht der Fall,

aber es ist natürlich so, dass das eine Krankheit ist,

die die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Gewalt hat,

der sehr stark erhöht und das sagt auch der Gutachter von der Innenbehörde.

Der sagt auch, wenn er wirklich zufrieden war,

dann ist das hier eine extrem erhöhte Gefährlichkeit.

Wenn wir uns das jetzt alles anschauen, wie das da gelaufen ist,

da ist jetzt natürlich schon die Frage,

hätte diese Tat verhindert werden können.

Was ist denn da jetzt heute mit so viel Abstand das Fazit?

Wenn man die Behörden nimmt,

dass der Insenator an die Grote der Hamburger Insenator sagt,

auch wenn das anders gelaufen wäre oder besser gelaufen wäre

oder sorgfältiger gearbeitet worden wäre,

hätte das am Kasalverlauf nichts verändert,

sagt er, die Generalstaatsanwaltschaft,

die den ganzen Fall zurzeit ermittelt und sich ansieht,

die sagt, es gibt weiterhin Anzeichen,

dass wenn die Behörde sorgfältig gearbeitet hätte,

dass die Behörden den Amoklauf hätten verhindern können.

Und die Experten, mit denen wir gesprochen haben,

die sagen ganz deutlich, auf dieser Faktenbasis hätte man

dem die Waffe entziehen können, die Waffe beschlagnahmen können

und dann hätte er zumindest mit einer legalen Waffe

diesen Amoklauf schon mal nicht begehen können.

Er hätte sich dann vielleicht noch eine illegale Waffe besorgen können

oder Sprengstoff oder ein Messer oder wie auch immer.

Bloß man muss auch sagen,

wenn die Polizei schon mal jemand auf dem Schirm hat,

es gibt sehr viele Möglichkeiten, einen Menschen zu stoppen.

Damals hat vor allen Dingen Nancy Faeser eine Reform

des Waffenrechts gefordert.

Und ich glaube, auch obwohl an die Grote der Insenator,

da hätte er gar nicht besser laufen können damals,

wird ja auch dort anscheinend was an der Waffenbehörde getan.

Was hat sich da getan seit dem Fall?

Also das ist ganz interessant.

Also wie gesagt, an die Grote der Hamburger Insenator

sagt, es hätte am Kausalverlauf nichts verändert,

wenn man anders vorgegangen wäre.

Und doch gleichzeitig macht er Reformen,

die genau das jetzt zu dem führen,

was die Experten und Experten in unseren Interviews fordern.

Er reformiert die Waffenbehörde

und er sorgt dafür,

dass die Polizei jetzt sehr früh eingeschaltet werden muss

von der Waffenbehörde.

Dass die ganz früh Psychologinnen und Psychologen einschalten müssen

bei der Bewertung und Auswertung von solchen Hinweisen.

Ich frage mich, hat da jetzt die eine Dienststelle

in Hamburg nicht gut gearbeitet,

obwohl die Standards für sowas eigentlich besser sind?

Oder ist das in Deutschland Status quo?

Das haben wir uns tatsächlich auch gefragt.

Wir haben uns gefragt, ist das jetzt hier die Hamburger Waffenbehörde

oder wie sieht das überall sonst in Deutschland aus?

Und haben eine Umfrage gemacht,

haben einen Fragenkatalog an alle Innenministerien geschickt,

die auch fast alle haben geantwortet.

Und das Ergebnis war so ein wenig ernüchternd.

Was hätten deren Waffenbehörden gemacht?

Also tatsächlich muss man sagen,

dass ganz viele angegeben haben,

dass hier genauso vorgegangen werden wie Hamburg.

Die allerwenigsten nur, die allerwenigsten,

ziehen frühzeitig die Polizei und Kriminalpsychologen

und Psychiater zur Rate.

Das sind nur ganz wenige Länder,

die das angegeben haben, nämlich Bayern, Mecklenburg-Vorpornern,

Berlin und Bremen.

Also nur drei Länder haben eindeutig gesagt,

wir haben alles noch mal auf dem Prüfland gestellt,

haben ganz viel verändert.

Das sind Bayern, Berlin und Bremen.

Es war so ein großer Fall.

Da war überall in den Medien, wo ganz konkret

über die Arbeit von Waffenbehörden gesprochen wird

und das dann da alle hinschauen

und sich denken, super, genauso machen wir es das nächste Mal.

Das finde ich doch schon sehr bedenklich.

Wir haben diese Umfrage dem Polizeirechler Markus Thiel

von der Polizeihochschule Münster,

mit dem wir gesprochen haben, vorgelegt.

Der hat sich das für uns angesehen

und hat folgendes also ziemlich witteres Fazit gezogen.

Für diese Fälle des Einzeltheters,

der dann irgendwann, sag mal, sehr, sehr lob ausflippt,

dafür sind natürlich diese,

diese weitungsbehördlichen Regelungen

sind darauf nicht zugeschnitten.

Für so ein Amoklauf ist so eine Waffenbehörde im Grunde

nicht vorbereitet.

Da müssen wir uns einfach darauf verlassen können,

dass die bei entsprechenden Anreizpunkten

diejenigen einschalten, die das können.

Das ist tatsächlich natürlich ein bitteres Fazit,

wenn wir uns überlegen,

dass das quasi genauso wieder passieren könnte.

Wie geht es denn den Menschen,

die von diesem Amoklauf direkt betroffen waren

aus dieser Gemeinde der Zeugen Jehovas

mit diesem Umgang?

Ja, also das war ein sehr berührendes Interview,

was ich mit dem Pressesprecher

der Zeugen Jehovas hier von Hamburg geführt habe,

der selber nicht teil dieser Gemeinde ist,

die betroffen war, aber natürlich alle betreut hat

und die Überlebenden durch diese Monate begleitet hat.

Und er sagte nur, für sie war das sehr erschütternd zu hören,

als der Generalstaatsanwalt sagte,

man hätte das wahrscheinlich verhindern können.

Zu wissen, so wie der Generalstaatsanwalt das ausgedrückt hat,

dass diese Tat hätte verhindert werden können,

ist natürlich bedrückend.

Gleichzeitig setzen wir und nicht zuletzt die Betroffenen

diesem Gefühl zu Versicht und Vertrauen entgegen,

dass Regierungen, das Behörden, das Politik,

aus dem was geschehen ist,

auch wie es hätte möglicherweise verhindert werden können,

die richtigen Schlussfolgerungen und Entscheidungen getroffen werden.

Ja, ich finde, diese Hoffnung kann man haben,

aber im Moment sieht es nicht danach aus,

dass da so viele Konsequenzen gezogen werden.

Außer hier in Hamburg, das muss man tatsächlich sagen,

also hier in Hamburg wird das in Zukunft dann auslaufen.

Danke, Karoline, dass du uns davon erzählt hast.

Danke, dass ihr uns den Raum gegeben habt,

von unserer Recherche zu erzählen.

Den Film von Karoline Schmidt und Marie Blöcher

könnt ihr bei Panorama 3 im NDR sehen

und natürlich auch in der ARD-Mediathek.

Und wenn euch diese Folge FKM gefallen hat,

lasst uns gerne ein Abo da.

Folgen Autorin ist Friederike Wipfler.

Mitgearbeitet hat Stefan Beutting.

Produktion Christiane Geherhäuser Kamp,

Fabian Zweck, Jacqueline Bredcek,

Simon Schuling und Eva Erhardt.

Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko Lipp.

FKM ist eine Produktion von BR24

und NDR Info.

Mein Name ist Victoria Kopmann.

Wir hören uns morgen wieder. Tschüss.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Ein bewaffneter Mann dringt in das Gotteshaus einer Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas ein. Acht Menschen verlieren ihr Leben. Bei der Waffenbehörde waren zuvor Hinweise eingegangen. Ein halbes Jahr später zeigt sich: Die Tat hätte mit einiger Wahrscheinlichkeit verhindert werden können.

In dieser Folge 11KM rekonstruiert die NDR-Journalistin Caroline Schmidt mit uns die Abläufe. Welche behördlichen Mängel haben dazu geführt, dass diese Tat geschehen konnte und welche Lehren haben die Behörden gezogen - kann so etwas nochmal passieren?



An dieser Folge waren beteiligt:

Folgenautorin: Friederike Wipfler

Mitarbeit: Stephan Beuting

Produktion: Christiane Gerheuser-Kamp, Jacqueline Brzeczek, Fabian Zweck, Simon Schuling

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler



11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Folge trägt der NDR.