Echo der Zeit: Niederländischer Premier Mark Rutte tritt zurück

Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) 7/8/23 - 28m - PDF Transcript

Radio SRF. Echo derzeit mit Christina Scheidecker.

Die Themen vom 8. Juli.

In den Niederlanden scheitert die Regierung von Premier Mark Rötte

an einer Einigung in der Asylpolitik.

Nun stehen Neuwahlen an.

Der politische Kompromiss liegt in den sprachrichen Detail.

Die internationale Schifffahrt will klimaneutral werden,

nicht bis, sondern um das Jahr 2050.

Beobachter zeigen sich mäßig zufrieden.

In Tunesien werden Geflüchtete in Wüstengebieten

an der algerischen und libischen Grenze ausgesetzt.

Wir sprechen über die Hintergründe.

Und die große Enttäuschung

usbekischer Demokratieaktivistinnen vor der Präsidentenwahl.

Die versprochenen Reformen werden wir nie zu sehen bekommen,

befürchtet diese Frau.

In den Niederlanden ist gestern Abend nach tagelangen Debatten

und einer Krisensitzung die Regierung zerbrochen.

Ministerpräsident Rötte hat seinen Rücktritt erklärt.

Grund dafür war ein Streit über die Migrationspolitik.

Die vier Parteien, die an der Regierung beteiligt waren,

konnten sich nicht darauf einigen,

wie der Familiennachzug von Geflüchteten geregelt werden soll.

Warum ist gerade die Asylpolitik

zum Stolperstein für die niederländische Regierung geworden?

Das wollte ich von Thomas Verfuß wissen.

Freier Journalistin, Den Haag.

Premierminister Mark Rötte stand unter Druck von seiner eigenen Partei.

Er musste im November zur Parlamentsfraktion kommen

und im Juni gab es einen Parteikongress.

Mark Rötte ist der Führer der größten Partei der vier Parteienkoalition,

der rechtsliberalen PSPD.

Das ist eine Partei, die Wirtschaftsinteressen vertritt,

die Interessen des höheren Mittelstandes vertritt.

Aber das reicht halt nicht, um die größte Partei zu werden.

Es gab auch die Stimmen einspracherer und konservativer Wähler.

Und die finden halt, dass es so viele Ausländer gibt in den Niederlanden.

Und deswegen hatte er halt seiner Partei und seiner Fraktion versprechen müssen,

dass er etwas tut an dem sogenannten Migrationsproblem.

Und er hatte versprochen, dass das vor den Sommerferien geschieht

und die Sommerferien haben wir bereits angefangen

und somit stand er einigermaßen unter Druck von seiner eigenen Partei.

Eigentlich ist er aber der Familiennachzug

und den Kriegsflüchtlingen doch eher eine politische Detailfrage.

War man sich denn ansonsten einig in der Regierungskoalition?

Nun, es ist keine Detailfrage.

Die kleinste Regierungspartei, die Kalbinistische Christenunion,

findet den Familiennachzug von Kriegsflüchtlingen

eine ganz, ganz wichtige Prinzipienfrage.

Die Christenunion hat gestern immer wieder den Nachdruck darauf gelegt,

es geht um Prinzipien.

Wenn jemand als politischer Flüchtling anerkannt ist

und wenn jemand Kriegsflüchtling ist,

dann hat er das Recht darauf, dass seine Familie,

seine kleinen Kinder auch in Niederlande kommen können

und nicht ein halbes Jahr warten müssen in gefährlichen Situationen,

im Krieg, in Syrien oder in Afghanistan.

Also die Koalition ist jetzt zerbrochen wegen einer Prinzipienfrage,

bei der die kalvinistischen Christen, die konservativen Christen

auf dieses Prinzip des Familiennachzugs insistiert haben.

Ansonsten gibt es in der Regierungskoalition sehr, sehr viele Probleme

und deswegen ist es auch ein großes Problem, dass die Regierung gefallen ist.

Es gibt in der Koalition das Problem des Stickstoffs,

es gibt das Problem, dass die Bauern vielleicht die Höfe schließen müssen,

weil so viel Umweltverschmutzung entsteht durch den Hochbetrieb.

Es gibt sehr viele andere Probleme,

in der die Regierungskoalition auch zerspritten ist.

Insofern ist das Scheitern der Regierung jetzt

ein Scheitern von Premier Marc Grütte?

Ja, diese Frage kann man sich stellen.

Es gibt Leute, die sagen, dass es eigentlich ganz gut ist,

dass jetzt die Regierung gefallen ist.

Gut für Marc Grütte, denn damit hat er gute Chancen,

zum fünften Mal Premierminister zu werden.

Mürttel ist ja zum vierten Mal Premierminister.

Niemand ist vorher so lange wie er Premierminister gewesen, 13 Jahre.

Seine Partei, seine rechtsliberale FFFD, ist sehr gut organisiert.

Andere Parteien sind neu im Entstehen.

Es gibt ja 20 Fraktionen im Parlament,

das muss man sich vorstellen, 20 Fraktionen, manche neu.

Und die sind nicht gut vorbereitet für Neuwahlen.

Und Grüttspartei ist gut vorbereitet.

Und vielleicht ist es für ihn besser, dass es jetzt Neuwahlen gibt,

wahrscheinlich im November als später,

denn er ist vorbereitet, seine Partei ist vorbereitet.

Und die anderen neuen Parteien sind das nicht.

Das heißt, die Niederlanden erleben jetzt einen vollen Wahlkampfsommer?

Im Sommer wird man wohl eher in Ferien fahren,

aber es wird dann wohl im September voll losgehen.

Also das Parlament ist zurückgerufen worden aus dem Urlaub.

Das wird am Montag debattieren über die Krise.

Dann müssen die Neuwahlen organisiert werden.

Der Premierminister war heute Mittag bei dem König.

Und es wird wahrscheinlich dann November werden,

dass es Neuwahlen gibt.

Und dann wird man sehen, wie sich die Parteienlandschaft,

die hier sehr zersplittert ist mit 20 Faktionen,

wie sich die dann darstellen wird nach dem neuen Wahlergebnis.

Das sagt Thomas Verfuß, freier Journalist in den Niederlanden.

Wir kommen zur Nachrichtenübersicht mit Corinna Heinzmann.

Die USA haben gestern angekündigt,

um strittene Streubomben an die Ukraine zu liefern.

Mehrere NATO-Länder haben reagiert auf diesen Entscheid,

zurückhaltend bis kritisch.

Aus Deutschland hieß es, der Entscheid sei ein sehr schwieriges Thema.

Die Munition, welche die USA lieferten, sei geächtet.

Der britische Premierminister Richie Sunnack sagte,

Großbritannien habe ein Abkommen unterzeichnet,

das Streumunition verbiete.

Und aus Spanien kam klare Kritik.

Bestimmte Waffen und Bomben

dürften unter keinen Umständen geliefert werden.

Russland bezeichnete die angekündigte Lieferung der USA

als weitere Eskalation im Krieg.

Streumunition setzt viele kleinere Sprengsätze frei,

die wahllos über ein größeres Gebiet töten können.

Sie ist in über 100 Ländern verboten,

nicht aber in den USA, der Ukraine und in Russland.

Die bleiben beim Krieg in der Ukraine.

Dort rückt erneut die Stadt Bachmut ins Zentrum.

Laut dem täglichen Bericht des britischen Verteidigungsministeriums

gehörten die Kämpfer dort in dieser Woche

wieder zu den heftigsten der gesamten Front.

Die russische Armee habe höchsterscheinlich

nur wenige Reserven, um den Bereich um Bachmut zu verstärken,

heißt es weiter.

Dennoch sei es für die russische Erführung

wohl politisch inakzeptabel, die Stadt aufzugeben.

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine

liefert das britische Verteidigungsministerium

täglich Informationen zum Kriegsverlauf.

Russland wirft Großbritannien Desinformation vor.

Einen NATO-Beitritt, das wünscht sich die Ukraine,

und zwar am besten so rasch wie möglich.

Nun erhält der ukrainische Präsident Vladimir Zelensky

kurz vor dem NATO-Gipfel nächste Woche Unterstützung.

Bei Zelenskis Besuch in der Türkei,

sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan,

die Ukraine habe sich den Beitritt

zum westlichen Verteidigungsbündnis verdient.

Zurückhaltender äußerte sich US-Präsident Joe Biden.

In einem Interview mit dem Fernsehsender CNN sagte er,

die NATO-Staaten seien sich nicht einig,

ob man die Ukraine aufnehmen so lange sich das Land im Krieg befinde.

Die Regierungsspitzen der NATO-Länder

kommen nächste Woche in Litauen zum Gipfel treffen zusammen.

Die Schweiz will Pakistan stärker unterstützen

bei der Bewältigung von Naturkatastrophen.

Bundesrat Niazio Gassis unterschrieb bei seinem Besuch

in Pakistan eine entsprechende Absichtserklärung

wie das Außendepartement Edda Mitalz.

Es geht unter anderem darum,

dass die Schweiz und Pakistan künftig besser zusammenarbeiten

und zum Beispiel wissen darüber austauschen,

wie man Naturkatastrophen vorbeugen kann

oder wie man reagieren kann, wenn eine Katastrophe eingetreten ist.

Der Klimawandel stellt die gesamte Region Südasien

vor große Herausforderungen, schreibt das Edda.

Der Besuch von Außenminister Gassis

unterstreiche die Solidarität der Schweiz mit Pakistan

nach der Jahrhundertflut von 2022 im Land.

Zum Sport.

An der Tour de France stand für die Radprofis heute

die Achte von 21 Etappen auf dem Programm.

Für den vierfachen Weltmeister Mark Cavendish aus Großbritannien

ist die Rundfahrt, notabene die letzte seiner Karriere,

aber bereits vorbei.

Sportredaktorin Tania Egli.

Auf der Rekordjacht ist Mark Cavendish an der Tour de France gestürzt.

Der 38-jährige Brite hat sich an der Schulter verletzt

und musste aufgeben.

Für Mark Cavendish ist das besonders bitter.

Der Ex-Weltmeister wollte bei seiner 14. und letzten Tour de France

seine insgesamt 35. Etappe gewinnen.

Damit hätte er die Radlegende Edi Merks überflügelt.

Am Freitag schrammte er aufgrund eines Problems

mit der Schaltung im Schlusssprint gegen Jasper Philipsen

am Etappensieg vorbei.

Einen Tag später muss er nun die Rekordjacht aufgeben.

Mark Cavendish hatte im Mai bekannt gegeben,

seine Laufbahn am Jahresende zu beenden.

Der Sieg der achten Etappe geht an Mats Pedersen.

Gesamtführender ist weiterhin Jonas Wingegaard.

Zurück jetzt zu Corinna Heinzmann.

Wie geht es weiter mit dem heißen Sommerwochenende?

Am Abend ist es sonnig und meist trocken.

Auch die Wolken über den Bergen und im Tessin fallen immer mehr zusammen.

Morgen scheint dann meist die Sonne und es wird 32 bis 35 Grad heiß.

In den Alpen im Jura und in der Nordwestschweiz

sind einzelne Gewitze möglich.

Das ist das Echo der Zeit auf Radio SRF

und das unsere Schauplätze in den nächsten Minuten.

Tunisien, wo ein Konflikt zwischen Geflüchteten

und Einheimischen über die letzten Tage eskaliert ist.

Uzbekistan, wo der Sieger der morgigen Präsidentschaftswahl

bereits feststeht, es ist der Amtsinhaber.

Und jetzt zuerst die Weltmühre,

wo Schiffe um das Jahr 2050 klimaneutral unterwegs sein sollen.

Man beachtert die sprachliche Feinheit um das Jahr 2050.

Nach harten Verhandlungen über mehrere Tage hinweg,

die UNO Schifffahrtsorganisation, die IMO,

hat sich gestern auf Klimaziele für die Schifffahrt geeinigt.

Denn die ist für rund 3% des jährlichen Klimagasausstoßes verantwortlich.

Welchen Wert dieses Abkommen hat, ist allerdings umstritten.

Während sich die Branche selbst zufrieden zeigt,

gibt es von außen durchaus ein bisschen mehr.

Daniel Barcarolo ist mit dem Resultat der IMO-Konferenz

durchzogen zufrieden.

Barcarolo ist Spezialist Verregulierungen am Merck-Marquilly-Möller-Center

von Cerro Carbenshipping in Kopenhagen.

Er hat die IMO-Konferenz für das Forschungszentrum Eng verfolgt

und hätte gern gesehen,

dass sich die IMO deutlich dafür ausgesprochen hätte,

dass Pariser Klimaschutzabkommen komplett umzusetzen.

Der Beschluss redet nun aber nicht vor einer emissionsfreien Schifffahrt

bis spätestens 2050, sondern um 2050.

Das sei ein politischer Kompromiss.

Abgesehen davon sei das Verhandlungsergebnis für die IMO ein Erfolg.

Der Weg dahin über die vergangenen Tage fährt auf einer Achterbahn.

Manchmal habe er es ausgesehen, also bei großartiger Beschluss möglich sei,

manchmal habe er die Hoffnung fast verloren.

Nach den ersten sehr mutlosen Klimazielen der IMO enthält der jetzige Beschluss

klare Visionen und Etappen, die es zu erreichen gilt.

Das sei in einem Unokremium mit 175 Staaten,

die sich auf eine Resolution einigen müssen, bemerkenswert.

Konkret müssen die Staaten bis 2027 die Vereinbarung ratifizieren.

Das ist ein wichtiger Schritt, um die Klimaziele überhaupt umsetzen zu können.

Besonders wichtig findet Daniel Bergarolo,

dass Klimagrass im Vertrag ein Preisschild erhalten.

Ein Passus, der stark umstritten war.

Gewirt haben sich viele ärmere Staaten.

Sie befürchten, dass sie bei zu strengen Regeln

mit der Entwicklung nicht mithalten können

oder die Preise für Rohstoffe und Lebensmittel zu stark steigen.

Sie hätten sich aber nicht zuletzt von den durch die Klimaerwehrung

überzeugen lassen, dass die IMO ein Zeichen setzen muss

für die Gesellschaft und die Industrie.

Denn für die Schifffahrt bringt der Beschluss eine gewisse Planungssicherheit.

Schiffseigner stehen vor großen Investitionen,

die sie nun in Angriff nehmen könnten.

Sei es, dass sie vermehrt emissionsfreie Treibstoffe einsetzen,

die Schiefe mit Windsegeln versiehen

oder das CO2 an den Schornsteinen herausfiltern.

Handeln würden sie wohl unterschiedlich schnell, sagt Daniel Bergarolo

vom Forschungszentrum Zero Carbon Shipping.

Für die innovativen Konzerne sei es eine Erleichterung

und die Bestätigung auf die richtige Strategie gesetzt zu haben.

Für die Nachfolgerinnen sei sein Zeichen nun schneller die Ziele umzusetzen

und die Zögerer würden nun warten, wie die IMO die Beschlüsse umsetze.

Deshalb sei es wichtig, dass nun schnell konkrete Regeln eingeführt würden.

Nach den harten Verhandlungen warteten nun viel Arbeit auf die IMO.

Schon bis in einem Jahr, wie sie erste Vorschläge parat haben,

wie die Klimastrategie konkret umgesetzt wird

und wie diese zu bereits beschlossenen CO2-Beschränkungen passt,

die zum Beispiel die EU in ihren Häfen in Kraft setzen will.

Und nicht zuletzt muss sie definieren, was Konkretredereien

für die Emissionen ihrer Schiffe zahlen müssen.

In den letzten Tagen ist in der tunesischen Hafenstadt Sfax

sein Konflikt eskaliert zwischen Geflüchteten und Einheimischen.

Ein Tunesier wurde getötet, die Stimmung ist aufgeheizt.

Sfax dürfen nicht zur Stadt der Flüchtlinge werden,

sagt die lokale Bevölkerung.

In der Folge sind nun hunderte Migrantinnen und Migranten

mit Bussen aus der Stadt gebracht worden,

in Wüstengebiete im Süden des Landes, an der Grenze zu Algerien und Libyen,

ohne Essen, ohne Wasser.

So berichten es nicht Regierungsorganisationen.

Der Journalist Mirko Keilbert berichtet aus Tunesien,

eines seiner Schwerpunktthemen ist die Migration.

Ich wollte von ihm wissen, was ist da los in Sfax?

Es herrscht seit Dienstag eine programmartige Stimmung.

Nach diesem Mord an einem tunesischen Jugendlichen

haben sich in vielen Stadtteilen Jugendliche zusammengetan

und sind in der Art Wettbewerb getreten.

Werden am meisten Migranten aus Sub-Sahraafrika

aus ihrem Titel vertreibt.

Jetzt hat ein lokaler Politiker aus Sfax gesagt,

es sei ungefähr bei 1200 Menschen, also Migranten,

die man täglich aus der Stadt deportiert.

Ich glaube, dieses Wort kann man durchaus verwenden.

Warum ist denn die Situation gerade in den letzten Tagen dermaßen eskaliert?

Ja, das ist eine Überraschung für viele Bobachter,

denn eigentlich wird in dieser Woche die Unterschrift des EU-Tunesienabkommens

zu Migrationen erwartet und damit auch viel Geld,

über eine Milliarde Euro, die Tunesien erhält,

dass es in einer finanziell sehr schwierigen Situation ist.

Und insofern hatte sich die Lage nach dem Besuch

der EU-Kommissionspräsidenten von der Leyen

und den Prämienmistern der Niederlande und Italiens beruhigt.

Sfax war in den letzten Monaten zum Hauptabfahrtsort geworden

für Migration nach Europa

und eigentlich waren damit viele Menschen,

auch die gegen die Migranten gestimmt waren,

damit ganz zufrieden, weil täglich steigen auch immer noch

in dieser Woche, aber vorher noch viel mehr Menschen

von der Küste, die über Sfax in Boote.

Und insofern ist das für viele Tunesier auch eine ganz große Überraschung.

Eigentlich hätte sich das Problem aus der Sicht der Nationalisten

eben auch so gelöst.

Und nun kommt es zu diesen Vertreibungen,

die doch wirklich schwere Verbrechen sind.

Wie ist denn die Flüchtlingssituation in Tunesien allgemein?

Vom Mail ist die Situation sehr schwierig für Migrantinnen

und Migranten, denn die wenigsten haben Papiere.

Nur wer aus zum Beispiel in einem Bürgerkriegsland,

die Sudan bekommt, bekommt vom Flüchtlingshilfswerk

der Wand Nation eine Art Pass,

der zwar auch keinen legalen Status bietet,

aber ein bisschen Schutz für die Polizei.

Viele andere haben in den letzten Jahren gearbeitet,

haben Wohnungen gemietet, aber waren praktisch ohne Rechte.

Dennoch haben diese beiden Gemeinschaften,

die Tunesier und die Sub-Sahara-Migranten parallel gelebt,

ins Fax zum Beispiel, ohne große Probleme.

Es gab ab und zu mal problematischen Jugendlichen,

aber das war ja nicht selten.

Denn diese sehr schlecht bezahlten Gastarbeiter, sozusagen,

haben der tunesischen Wirtschaft auch geholfen

durch diese schwere Wirtschaftskrise.

Und dann kam halt die Rede von Präsident Kai Seid,

der sagte, die illegale Migration sei ein Angriff

auf die islamische und arabische Identität Tunesiens.

Und seitdem hat sich die Lage tatsächlich wesentlich verschlechtert

und ist jetzt zu diesen grauenachten Höhepunkten gekommen.

Das heißt, diese aufgeheizte Stimmung, die jetzt herrscht,

das ist durchaus auch Folge der Regierungspolitik.

Das ist die Folge von einer Kampagne.

Man weiß nicht genau, was dem Präsident dazu gebracht hat,

die Migranten als Bedrohung

für die islamische oder arabische Identität Tunesiens zu sehen.

Diese Kampagne hat eben viel Popularität eingebracht

in dieser schweren Wirtschaftskrise

und natürlich auch Kritik von außen,

dass nicht nur die Illegalen getroffen wurden,

sondern auch Studenten aus Westafrika verhaftet wurden

und überhaupt eine rassistische Stimmung seitdem herrscht.

Und insofern sind jetzt diese Verbrechen,

die wir jetzt leider miterleben müssen,

also das Vertreiben der Menschen

und das Herauswerfen in der offenen Wüste aus Bussen,

der energerischen und liebischen Grenze,

das ist jetzt der Höhepunkt davon.

Sie haben das schon erwähnt.

Es gibt ja diesen Migrationspakt, den Angestrebten

zwischen der EU und Tunesien,

besonders die italienische Promi-Ministerin Giorgio Meloni,

ist daran interessiert.

Gegen finanzielle Unterstützung soll Tunesien verhindern,

dass Flüchtlinge nach Europa weiterziehen

oder sie dann auch zurücknehmen.

Wie ist die aktuelle Entwicklung vor diesem Hintergrund einzuordnen?

Ich glaube, dass dieser Mord, der am Montag passiert ist,

die Lage einfach unkontrolliert hat eskalieren lassen,

denn es ist weder im Interesse Italiens,

dass nun sich damit beschäftigen muss,

dass Tunesien kein sicheres Herkunftsland mal ist,

aber auch für die tunesische Regierung,

die eventuell diesen Vertrag mit der EU nicht abschließen wird.

Denn die Hauptidee in Italien ist,

dass man auch Menschen aus Drittländern

zurückschicken kann nach Tunesien.

Und das ist natürlich mit diesen Übergriffen

und den mehreren Toten, die es bereits in der Sahara gibt,

sehr, sehr schwierig.

Was ist aktuell Bemühungen, die Situation zu deeskalieren

oder dreht die Gewaltspirale einfach weiter?

Die Geistseite hat schon angekündigt,

dass auch die Täter zur Rechenstadt gezogen würden,

also auch die tunesischen Angreifer.

Andererseits ist bis jetzt nicht sehr viel davon zu sehen.

Viele Tunesiensfax haben angefangen, den Menschen jetzt zu helfen.

Also es regt sich ein bisschen Widerstand

und Menschlichkeit auf jeden Fall, dass man die Lage finden muss.

Ich bin selbst ein bisschen überrascht davon,

dass es in den UN-Organisationen,

AOM, also die Organisation für Migration

und dem Flüchtlingshilfewerk der Vereinten Nationen gar nichts hört.

Denn eigentlich müssten die bis zu 700 Leute,

das werden wahrscheinlich jetzt auch weit mehr werden die nächsten Tage,

die müssen sofort geholfen werden,

aber es tut sich überhaupt gar nichts.

Und insofern richtet sich meine Kritik fast noch mehr

gegen die UN-Hilfsorganisation als gegen die tunesische Regierung.

Das sagt der freie Journalist Mirko Kalberts.

In Usbekistan wird am Sonntag gewählt.

Überraschungen wird es aber keine geben.

Der neue Präsident wird auch der alte sein,

Schafkat Mirzi Jojev.

Das zentralasiatische Land mit 36 Millionen Einwohnerinnen

und Einwohnern steht seit Jahren

auf den untersten Rängen von Demokratieranglisten.

Und doch sind usbekische Aktivistinnen und Aktivisten

gerade besonders bitter enttäuscht.

Der Beitrag von Kalle McKenzie.

Im usbekischen Provinzstädtchen Kokand

haben sich hunderte Leute für ein Konzert versammelt.

Auffällig viele tragen blau-weißgrüne usbekische Fahnen.

In der vordersten Reihe kreischen zwar einige

für die Boyband auf der Bühne,

doch dahinter scheinen viele im Publikum unberührt.

Zu sehen ist dies in einem Video,

das die lokalen Behörden publiziert haben.

Von der Veranstaltung unter dem Titel

eine Verfassung für dich, für mich, für uns.

Solch behördlich angeordnete Volksfeste

gab es in Usbekistan früher regelmäßig.

Damals als noch Langzeithärscher Islam Karimov

das Land mit harte Hand regierte

und sich gerne als Vater der Nation bejubeln ließ.

Sein Nachfolger Shafkat Mirziyoyev,

der nach Karimovs Tod vor sieben Jahren an die Macht kam,

pflegte zunächst einen anderen Stil.

Er präsentierte sich als Reformer

und internationale Beobachter konnten nach seiner Machtübernahme

auch wesentliche Fortschritte im Land erkennen.

So hat Mirziyoyev die Zwangsarbeit

auf den Baumwollfeldern abgeschafft,

für die Usbekistan lange international kritisiert wurde.

Und er hat ein gewisses Maß an Redefreiheit eingeführt,

sagt die Usbekische Menschenrechtsaktivistin Umida Niyazova.

Vor allem im Internet kann man sich relativ frei äußern,

sagt Niyazova, die in Deutschland lebt.

Zwar ist der Präsident selbst noch ein Tabuthema,

aber anders als früher darf man lokale Politiker

und sogar Minister offen kritisieren.

Die Reformen wurden schließlich in einer neuen Verfassung abgesichert.

So stellte es jedenfalls Präsident Mirziyoyev dar.

Doch mit diesem neuen Grundgesetz,

das im April per Referendum eingeführt wurde,

sicherte er auch seine Macht ab.

Die Amtszeit des Präsidenten wurde von fünf auf sieben Jahre verlängert,

mit der Möglichkeit einer einmaligen Wiederwahl.

Weil die Verfassung die Uhr quasi auf null zurückstellte,

die bisherige Regierungszeit von Mirziyoyev also nicht angerechnet wird,

kann der 65-Jährige noch 14 weitere Jahre an der Macht bleiben.

Seine Kritiker beklagen,

Mirziyoyev sei damit de facto Diktator auf Lebzeit.

Denn er lasse es nicht zu,

dass sie mein anderer Kandidat bei den Wahlen gefährlich werden könne.

Menschenrechtsaktivistin Umida Niasova

hat zwar nie damit gerechnet,

dass Uzbekistan über Nacht zur Demokratie wird.

Und doch macht sich in ihren Kreisen Enttäuschung breit.

Ich fürchte, die versprochenen politischen Reformen werden nie umgesetzt,

sagt sie.

Dafür gäbe es weitere beunruhigende Zeichen.

Mirziyoyev habe jüngst Dutzende kritische Blogger und Journalisten einsperren lassen.

Dabei habe er bei seinem Amtsantritt vor sieben Jahren

noch viele inhaftierte Regime Gegner begnadigt.

Wie viele zentral-aseatische Staaten unterhält

Uzbekistan pragmatische Beziehungen zu China, Russland und dem Westen.

Uzbekistans Wirtschaft ist stark mit Russland verbunden.

Doch Mirziyoyevs Regierung hat sich aus dem Krieg gegen die Ukraine

vollständig herausgehalten.

Im Westen hat sich Mirziyoyev mit seinen Reformversprechen beliebt gemacht.

Das wird für Aktivistinnen wie Umida Niasova zunehmend zum Problem.

Der Westen macht den Sachen Menschenrechte kaum mehr Druck auf Uzbekistan, sagt sie.

Sie haben Angst, dass sich Uzbekistan Russland zuwendet,

wenn sie Mirziyoyev zu sehr kritisieren.

Uzbekische Demokratieaktivistinnen wie Umida Niasova finden deshalb immer weniger Gehör im Westen.

Wenn sie sich dort für die Menschenrechte in ihrer Heimat einsetzen wollen.

Das war das Echo der Zeit mit Redaktionsschluss um 18 Uhr 27.

Verantwortlich für die Sendung Damian Rast, für die Nachrichten Adrian Huber

am Mikrofon Christina Scheidecker.

Untertitel im Auftrag des ZDF, 2020

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Themen dieser Sendung: (01:20) Niederländischer Premier Mark Rutte tritt zurück - (11:01) Weltschifffahrts-Organisation einigt sich auf Klimaziele - (15:16) Tunesien: Konflikt zwischen Geflüchteten und Einheimischen eskaliert - (21:40) Undemokratische Präsidentenwahl in Usbekistan