11KM: der tagesschau-Podcast: Massaker im Bosnienkrieg: Der Junge, der überlebte

tagesschau tagesschau 5/17/23 - Episode Page - 28m - PDF Transcript

Das hier ist Adnan. Adnan Seetz. Als Kind blickt er dem Mörder seiner Familie direkt in die Augen.

Er überlebt es mit euch an Wunder und lernt nicht zu hassen.

Adnan ist ein muslimischer Bosniake. Der Bosnienkrieg in den 1990er Jahren prägt seine Kindheit und ein grausames Massaker in seinem Dorf ändert sein Leben radikale.

Ein Verbrechen, von dem wir bislang kaum was gehört haben, anders als zum Beispiel das schreckliche Massaker von Seprenica.

Das aber wird sich mit dieser Folge von 11km der Tagesschau-Podcast ändern. Ein Thema in aller Tiefe in der ARD-Audiothek.

Heute mit Oliver Schorsch. Er ist Korrespondent im Eili-Studio Wien und hat diese unglaubliche Geschichte von Adnan recherchiert.

Mein Name ist Hannes Kunz. Heute ist Mittwoch, der 17. Mai.

Hi Oliver, schön, dass du da bist.

Ja, schönen guten Tag. Schöne Grüße aus dem Studio in Wien.

Also es ist der 15. April 1993. Wir sind in Achmici. Das ist ein 350 Einwohnerdorf in Zentralbossien, also ziemlich genau in der Mitte Bosnienherze Gowinas.

Drumherum toben Kämpfe. Es ist Krieg. Etwas weiter Norden greifen die Serben an.

Und in der näheren Umgebung gibt es Kämpfe zwischen Bosniaken, also den bosnischen Muslimen und Kroaten.

Und dennoch ist es in Achmici ruhig. Der 13-jährige Adnan Seetz fährt ganz normal in die Schule.

Und zwar steigt er in den Schulbus und da fällt ihm auf, dass in dem Schulbus nur die bosniakischen Kinder sind und die kroatischen fehlen.

Und dann, als er eben zurückkam, fällt auch noch seiner Familie auf, dass im Dorf die kroatischen Frauen und Kinder weggefahren werden.

Denn in Achmici ist es so, das sind 350 Einwohner, es gibt ungefähr 300 Bosniaken, also Muslime, und 50 Kroaten.

Und sie machen sich schon Gedanken, warum gehen jetzt die Kroaten weg, aber sie können es noch nicht so richtig deuten.

Achmici, was ist das für ein Dorf? Wie sieht es da aus zu der Zeit?

Es gibt an einer Landstraße, die von Sarajevo in so größere Städte Zentral Bosnians führt, nach Travnik.

Das ist so ein Dorf im Laschvatal, am Fluss Laschva, zwischen grünen Hügeln.

Es gibt eigentlich so gut wie gar nichts in dem Dorf, nur Häuser und Wiese.

Es gibt keine Geschäfte, keine Restaurants, es gibt aber zwei Moscheen und eine Grundschule.

Und auf zwei Seiten jeweils am Rand des Dorfes stehen so kleinere Minisiedlungen, wo eben kroatische Häuser sind.

Die Kroaten wohnen auch mit im Dorf, mit den Muslimen, aber haben so eigene Minisiedlungen, aber ansonsten ziemlich unauffälliges, ruhiges Dorf.

Es ist der 15. April 1993, hast du gesagt, als er das bemerkt, am nächsten Morgen wird Atnan aus dem Schlaf gerissen.

Also in den frühen Morgenstunden ist es noch dunkel, ertönt wie immer der Ruf des Murzins,

und in diesem Moment laufen bosnisch-koatsche Soldaten aus der Dunkelheit ins Dorf.

Sie kommen von verschiedenen Seiten. Es sind mindestens fünf Einheiten der bosnisch-koatischen Armee HVO.

Das sind die, die damals für einen rein kroatischen Staat auf bosnischen Boden gekämpft haben.

Also die waren schon in Kämpfe verwickelt mit der bosniakischen Armee, wo hauptsächlich Muslime sind,

aber sie hatten in dem Dorf eigentlich noch nichts zu tun.

Die laufen da jetzt eben plötzlich rein, umstellen das Dorf und fangen an, auf die Häuser der Muslimen zu schießen

und auch eben auf das Haus von Atnan und seiner Familie.

Die stecken die Häuser in Brand, also werfen irgendwelche Brandsätze

und ballern mit allem, was sie haben, auf die Häuser, also auf die Fassaden, auf die Fenster.

Die Schüsse, die Kugeln, die kommen durch die Fenster rein, durch die Scheiben und auch durch die Ziegel.

Davon wird er wach, dann guckt er kurz irgendwie raus und sieht irgendwie, dass es ziemlich hell ist,

also für die frühen Morgenstunden, er sieht halt, dass überall Feuer ist, also die Nachbarhäuser brennen

und dann hört er auch schon, sein Vater ist aufgesprungen und schreit Kinder, Kinder, es brennt im Haus,

wir müssen runter, wir müssen runter.

Von da sind sie dann runter, so eine kleine schmale Treppe und da gab es so einen Vorhang

und hinter dem hat sich dann die Familie versteckt und überlegt, was soll sie machen.

Der Vater überlegt, wir müssen raus, es brennt, es gehen hier Schüsse durch.

Sie merken, dass die Schüsse von vorne kommen, von der Landstraße, deswegen entschließt sich der Vater,

dass sie in kleinen Gruppen zusammenrennen und zwar nicht nach vorne raus, wo die Schüsse herkommen,

sondern raus aus dem Haus gleich rechts abbiegen, nach hinten Richtung Hügel, zu einem der hinteren Nachbarhäuser,

denn da gibt es so eine Art Keller, da überlegen sie, dass sie eben sich verstecken können.

Und dann fangen die auch wirklich an zu rennen, was sie allerdings nicht ahnen ist,

dass die bosnisch-koatischen Soldaten überall postiert sind und auf die Flienen schießen.

Das heißt, sie kommen nicht zu dem Keller?

Sie kommen nicht zu dem Keller, wir laufen jetzt 30 Jahre später mit Adnan über die Wiese,

so 200, 300 Meter bis zu der Stelle, zu der er damals hingekommen ist.

Er hat uns erzählt, dass er da stand, dann hockten da an der Seite drei Soldaten mit schwarz bemalten Gesichtern

und mit koatischen HVO Abzeichen.

Da hat er eine dann zu ihm gesagt, kleiner Stopp, wo willst du hin? Zurück!

Und dann drehte er sich um, er lief zwei, drei Schritte und dann hat er zwei Kugeln abbekommen ins Bein

und ist eben hingefallen.

Und in dem Moment ist er in eine Schockstarre verfallen und hat dann eben aber seine Familie gesehen,

die ungefähr so 30, 40 Meter weiter waren auf der Wiese.

Und er hat noch mitbekommen, wie der Vater versucht hat, die Soldaten, die die Familie gestoppt haben

und zusammengeführt haben. Der Vater hat versucht, sie anzuflehen und hat eben gesagt,

was soll das, was ist hier los, was macht ihr da?

Er schießt wenigstens noch mich, aber lasst die Frauen die Kinder am Leben, die haben euch nichts getan.

Das hat aber nichts genutzt. Die haben zwei Gewehrsalven auf die Familie abgeschossen,

die Familie sozusagen exekutiert.

Das hat der Adnan verletzt, am Boden liegend gesehen.

Er konnte aber nicht schreien, sagte, also seine Stimme hat ihm versagt,

er hat es einfach nur im Schock so gesehen.

Und Adnan, der hat sich totgestellt, alle dachten, dass er tot ist.

Und als dann die Luft rein war, schaffte er es mit letzter Kraft, sich in ein Nachbarhaus zu schleppen,

wo er sich dann wirklich eine Woche lang versteckt hat unter einem Sofa

und gewartet hat, bis das Massaker zu Ende war,

bis am Ende die UN-Soldaten kamen, die ihn dann gerettet haben.

Okay, also Adnan muss zu sehen, wie seine Familie ermordet wird,

rettet sich in ein Haus und wartet.

Was sind das für UN-Soldaten, die ihn dann befrennen?

Das war eine britische Truppe, die waren unterwegs in der Gegend

und haben von muslimischen Soldaten erfahren,

dass es ganz in der Nähe in dem Dorf Achmici ein Massaker gab mit toten Babys.

Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.

Und dann haben die gedacht, da müssen wir jetzt nachsehen,

und sind dann reingefahren.

Und diese Aufnahmen gibt es,

wie die UN-Soldaten mit ihren weißen Panzern nach Achmici einrollen.

Und was sie dann sehen, ist halt grausam.

Wir haben heute die Hölle gesehen, die Hölle von Achmici,

einem Dorf bei Vitesse in Zentralbosnien.

Blauhelme der Vereinten Nationen und bosnische Regierungstruppen

vor einer Kulisse des Todes.

Also man sieht auf den Aufnahmen, die Moschee im Dorf,

der Turm eingestürzt, auf das Dach der Moschee draufgefallen.

Man sieht die Fassaden der Häuser mit schwarzen Russflecken.

Man sieht eine Leiche im Garten liegen.

Und dann weinen die auch die Soldaten.

Vor einer Woche war hier noch Frieden.

Bis zu dem Tag, an dem die Choraten kamen,

die angeblichen Waffenbrüder der Moslems

und die ahnungslosen Abschlachteten.

350 Einwohner hatte Achmici.

116 werden an diesem Morgen,

das 16. April ermordet,

erschossen, in den Häusern verbrannt.

Was ist denn mit den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern passiert?

Also es ist ja ein Drittel,

der muslimischen Bevölkerung ausgelöscht worden.

Die anderen konnten fliehen,

die auf gleich so grüne Hügel sind.

Was aber eben interessant ist,

die kroatischen Häuser wurden überhaupt nicht angefasst.

Die wussten ganz genau, welche 50 Kroaten wo wohnen.

Da gab es überhaupt keinen Angriff.

Es war ganz gezielt auf die muslimische Dorfbevölkerung.

Oliver, ich glaube, das ist der Moment,

da sollten wir mal das Geschichtsbuch aufschlagen,

sonst kommen wir nicht weiter, glaube ich.

Wir reden über den Bosnienkrieg.

Bosnienhetzigovina gehörte zu Jugoslawien.

Das ist eine von sechs Teilrepubliken.

Jugoslawien, sozialistischer Staat, zerbröckelt,

ähnlich wie die sowjetische Union Anfang der 90er Jahre.

Die Teilrepubliken erklären sich für unabhängig

und es kommt zu einer Reihe von Konflikten.

Bosnienhetzigovina, da ist die Besonderheit,

es gibt drei sehr unterschiedliche und verfeindete Gruppen zu der Zeit.

Welche sind das?

Das sind die bosnischen Kroaten, also die Katholiken,

die bosnischen Serben, also die christlich-orthodoxen

und die bosnischen Muslime, die Bosniaken.

Diese drei Gruppen sind die dominierenden Ethnien

in Bosnienhetzigovina.

Und 1992 bricht dann auch in Bosnienhetzigovina

der Krieg aus, um was wird da gekämpft?

Also, es geht, kann man sagen,

unter anderem, um Gebietsansprüche, die Serbien und Kroatien haben.

Der Bosnienkrieg wurde begonnen von den Serben.

Die griffen dann an, eroberten superschnell 70% des ganzen Landes.

Die Kroatien hatten aber gleichzeitig auch ihre Gebietsansprüche

und wollten vor allem im Süden, in der Herzegovina,

aber auch ein Teil im Zentralbosnien ihren kroatischen Staat haben

und wollten dann wiederum die bosnische Armee verdrängen.

Und da kommt dann eben Ahmici ins Spiel.

Das war ein überwiegend bosniakisches Dorf in einem Territorium,

das die bosnisch-kroatische Armee und Führung damals rein kroatisch haben wollte.

Und dieses Dorf lag da auf einem strategisch wichtigen Punkt.

Und da hat man dann eben beschlossen, dieses Dorf muss ausgelöscht werden.

Also, das muss gesäubert werden von Bosniaken.

Und wer sind die Männer, die an diesem 16. April Ahmici überfallen?

Das ist die damals gegründete Armee, HVO.

Das heißt, Herzgewege Obrane, also kroatischer Verteidigungsrat,

also eine bosnisch-kroatische Armee.

Und da sind eben fünf verschiedene Einheiten,

Militärpolizisten, Soldaten, Milizen eben in dieses Dorf eingedrungen.

Dieser brutale Angriff, dieses Kriegsverbrechen,

verändert Adnan's Leben ja radikal, ihm gelingt später die Flucht.

Was ist denn aus Adnan dann geworden?

Also, Adnan Seetz war dann Zeuge vor dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag.

Er wurde ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen, denn er war durchaus auch in Gefahr.

Also, wenn er natürlich gegen Familien seiner Umgebung aussagt, kann es natürlich zur Rache kommen.

Er war erst in England untergebracht, aber nachdem er dann in Den Haag ausgesagt hat,

hat er dann irgendwie seinen Zeugenschutzstatus in England verloren

und hat dann in den Niederlanden Asyl beantragt.

Und jetzt lebt er in den Niederlanden an der deutschen Grenze

und hat dort eine neue Familie quasi.

Also, er hat einen guten Job in einem internationalen Konzern, sprich drei Sprachen,

niederländisch, englisch, bosnisch und die haben ein einigermaßen normales Leben.

Adnan Seetz hat uns auch gesagt, ja, die Niederlande sind für seine Familie die Heimat geworden

und er hat jetzt auch mittlerweile in den Niederlanden kroatische Freunde,

die einfach ganz anders ticken und das von damals schrecklich fanden.

Also, er kommt in dieser Welt jetzt in den Niederland mit seinem Leben schon zurecht,

aber hat natürlich immer wieder Erinnerung Flashbacks

und wenn er von seiner Geschichte erzählt, dann kommen ihm natürlich auch immer die Tränen.

Auch wenn es schmerzhaft für ihn ist, jetzt 30 Jahre nach dem Massaker von Achmici,

bist du mit Adnan Ja in seinem Heimatdorf gewesen.

Wie sieht es denn da heute aus?

Es gibt eigentlich nur Häuser auf einer Wiese.

An zwei Stellen gibt es so kleine Minisiedlungen,

wo so ein paar kroatische Häuser nebeneinander stehen.

Und das sind dann eben zum Teil die Kroaten oder Nachfahren,

derjenigen, die damals während des Massakers auch dort gewohnt haben

und in den anderen Häusern sind etwa 90 Prozent derjenigen,

die damals nicht getötet wurden von bosniakischer, muslimischer Seite,

also 90 Prozent derjenigen, die damals nicht getötet sind,

sondern geflohen sind, sind wieder zurückgekehrt.

Also, man hat die Nachfahren derjenigen,

die damals auf beiden Seiten da gelebt haben, wieder in diesem Dorf.

Das heißt, die Familien sind zurückgekommen und haben die Häuser wieder aufgebaut?

Es ist schon wieder eine intakte Dorfgemeinschaft,

aber eben die Bosniaken untereinander und die Kroaten untereinander.

Also, ein Dorf, wo Opfer und Haterseite immer noch heute sind.

Und wie ist die Stimmung? Gibt es den Konflikt von damals heute noch?

Also, wir sind an den Rand des Dorfes gelaufen,

wo so ein paar kroatische Häusern nebeneinander stehen.

Und da ist uns gleich mal aufgefallen,

an dem Einhaus war die Fahne der Herzegbosna,

also die Kroatienfahne, die fast aussieht wie eine Kroatienfahne,

aber eine Fahne des damaligen kroatischen gewünschten Parastates

auf bosnischen Territorium ist.

Und wenn so eine Fahne da hängt, weiß man, das sind krasse Nationalisten.

Und da sind wir dann einfach aufs Grundstück spaziert

und eine ältere Dame, die sofort wütend geworden ist,

die stand da auf so einem Balkon und rief dann so runter, so was,

wer seid ihr, was wollt ihr,

und dann haben wir sie gefragt,

wir wollen über dieses Massaka in ihren Nachbarn sprechen.

Und dann fing sie gleich an so, ah, da weiß ich gar nichts.

Und das interessiert mich auch nicht.

Und die Geschichten stehen mir bis hier, wir haben hier viel Arbeit.

Über diese Geschichten wollen wir gar nicht reden.

Die Nerven nur, also so ein absolutes Verdrängen.

Wir wollen da nichts mitzutun haben.

Und wir hatten sogar per Zufall den Sohn eines Mannes getroffen,

der damals die HVO unterstützt haben soll.

Der hat es komplett alles abgestritten, hat gesagt, das war nicht die HVO,

das war irgendwie die Politik.

Aber wir hier vor Ort haben nichts damit zu tun gehabt.

Also mein Vater, der hat da gar nichts mitzutun

und das ganze Kriegsverbrecher tribunal da in Den Haag,

das ist eine große Lüge.

Also, What about Tismus?

Verdrängen, abstreiten, interessiert uns nicht.

So, das war die Reaktion der Kroaten.

Und da sagt dann eben Adnan Seetz, das kannte er alles.

Er sagt halt, das ist halt das Problem in diesem Dorf.

Wir meiden uns jetzt, wir reden nicht miteinander.

Jeder macht so sein Ding.

Wir wissen einfach, die wollen es nicht einsehen,

die wollen nicht dazustehen, die wollen es nicht wahrhaben.

So kann man einfach nicht miteinander umgehen.

Wenn du damit, Adnan, zusammen durch das Dorf gehst,

wie reagieren die auf ihn?

Also, wir treffen da meistens Bosniaken.

Die unterhalten sich natürlich freundlich,

kennen sich alle, da geht es nur, oh, und was geht,

und was machst du heute und so.

Wenn er auf Kroaten trifft, gibt es eben verschiedene Reaktionen.

Es gibt manche, da grüßt man sich einfach nur kurz.

Es gibt manche, da läuft man gruslos aneinander vorbei.

Und es kam eben auch vor, das hat mir Adnan erzählt,

dass ich einmal vor ihm aufgebaut hat und gesagt hat,

ey, was willst du?

Was sagst du gegen meine Familie in Den Haag aus?

Was soll das?

Also, das sind dann eben Nachfahren von denjenigen,

die auch vor Gericht standen.

Die gibt es auch in Achmici.

Und da kommt es eben durchaus vor, dass Adnan da angegangen wird.

Ey, du hast doch in Den Haag ausgesackt gegen meine Familie.

Was soll das?

Also, da wird er dann durchaus auch als Verräter angesehen.

Adnan ist also nicht überall in seinem Heimatdorf willkommen,

wird angefeindet.

Wie nah geht ihn denn das?

Denn eigentlich lebt er ja jetzt in den Niederlanden,

hast du gesagt, das ist weit weg.

Er könnte es also theoretisch von sich fernhalten.

Eben nicht, und das ist interessant.

Also, er hat das Elternhaus wieder aufbauen lassen.

Wir saßen auf seiner Couch, haben von ihm

holländischen Instant-Coffee serviert bekommen.

Dann ist alles neu, ist alles frisch, ist alles saniert.

Das ist jetzt so ein Feriendomizil.

Er sagt, er kommt da unglaublich gerne mit seiner Familie hin,

versucht, das ja oft zu kommen.

Also, für die Kinder ist es so, ja, wir gehen irgendwie da,

wo Vater herkommt, besuchen.

Und er sagt, er hat hier schreckliche Erinnerungen,

aber ihm geht sein Herz auf, dass er sagen kann,

ich bin hier wieder auf meiner Heimat als Überlebender.

Sie haben es nicht geschafft, mich von meiner Heimat zu trennen.

Und er sagt, er kann sich sogar vorstellen,

im späteren Rentenalter mit seiner Frau dahin zu ziehen

und zu sagen, wir sind die Großeltern in Bosnien,

die dann die Kinder und die Enkel dann besuchen kommen

aus den Niederlanden.

Also, das ist so seine Wunschvorstellung,

weil er einfach sagt so, das erfüllt sein Herz,

so dieses, dass er übrig geblieben ist und überlebt

und er wieder zurück ist auf dem Grund seiner Eltern.

Also, einerseits schmerzliche Erinnerungen,

auf der anderen Seite fühlt er sich da richtig wohl,

das ist so seine Heimat.

Das fand ich erstaunlich,

weil ich dachte eigentlich,

dass man da irgendwie weit weg von muss

und das ist so gut.

Adnan wagt also den Schritt zurück in sein Heimatdorf,

baut das Familienhaus wieder auf

und kehrt damit an den Ort zurück,

wo vor 30 Jahren seine Eltern

und seine jüngere Schwester regelrecht exekutiert wurden.

Aber auch 30 Jahre danach

ist dieser Rissachstuhl zwischen Groaten

und bosnischen Muslimen deutlich spürbar.

Und daran hat auch offenbar die juristische Aufarbeitung

nicht viel geändert.

Zehn mutmaßliche bosnisch-kroatische Kriegsverbrecher

haben sich dem UN-Tribunal in Den Haag gestellt.

Sie flogen von Split aus in die Niederlande.

In Den Haag, da nimmt es 1993,

dann der Internationale Strafgerichtshof

für das ehemalige Jugoslawien die Arbeit auf

und ermittelt auch wegen Archmage.

Und Adnan ist da ein wichtiger Zeuge.

Es gab ja mehrere Verfahren,

als der Haupttäter die Schlüsselfigur

bei dem Massaker von Archmage.

Der Bekannte ist derjenige,

der als politischer Hauptverantwortlicher verurteilt wurde.

Der hat auch mit Abstand die größte Strafe bekommen.

Das ist Dario Kordic.

Das UN-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag

hat zwei bosnische Kroatien

in unseren langjährigen Strafen verurteilt.

Der 40-jährige Kommunalpolitiker Kordic

muss für 25 Jahre ins Gefängnis.

Das Gericht überführte ihn,

in 15 Fällen Morde und Kriegsverbrechen zu gelassen zu haben.

Dario Kordic war damals in Bosnien

der HDZ-Chef, der bossnisch-kroatischen Regierungspartei.

Die HDZ gibt es heute noch in Kroatien

und auch in Bosnien.

Die ist nationalkonservativ,

aber auch in der konservativen EVP-Gruppe im EU-Parlament

auch durchaus eine Partnerpartei von CDU, CSU.

Damals war er der Chef

der politisch-verantwortlichen Partei.

Da wurde eben nachgewiesen vor Gericht,

dass er so die Befehle gegeben hat.

Es gab zum Beispiel auch ein Befehl des Generals.

Damals wurde eben drin stand,

die Häuser der Muslimen sind zu verbrennen,

die männlichen Bewohner, die eine Waffe halten können,

sind zu töten und alle anderen sind zu vertreiben.

Also so konkret gingen dann die Anweisungen.

Man hat es richtig geplant.

Nach dem Motto, wir löschen dieses Dorf aus,

auch um einen Zeichen zu setzen.

Das hat sich aus unserem kroatischen Territorium nicht verschwindet.

Das war dann schon eindeutig, dass es alles so geplant war.

Dass nicht aus dem Ruder gelaufen ist.

Deswegen wurde eben der politische Hauptverantwortliche

Dario Kordic zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Und ist nach 17 Jahren vorzeitig freigekommen.

Und das war im Jahr 2014.

Da kehrt er zurück, allerdings nicht nach Bosnien,

sondern nach Kroatien, richtig?

Da gab es dann eine Ankunft im Flughafen Sagreb.

Da stehen, wie bei einem Fußballspiel,

ungefähr 300 Kroaten in dem Terminal.

Schwenken Kroatien fahren, haben Kroatien Outfits an.

Und sie skandieren Dario Dario.

Also wie in Helden haben die den Empfang?

Und im Publikum waren auch HDZ-Politiker

und auch der Bischof von CISAC.

Denn die Kirche hatte schon Kontakt zu Kordic,

hat ihn auch im Gefängnis besucht.

Er hat einen Held gefeiert, so nach dem Motto,

das ist unser unschuldiger Held.

Und er hat dann eine Rede gehalten, also ...

Er hat dann so ganz fromme Sachen gesagt,

so wie wir danken Gott und knien vor dir nieder

und vor der Jungfrau Maria, der Königin der Kroaten.

Und ich küss' euch, meine liebsten Kroaten.

Also unglaublich vom daher geredet hatte er.

Hast du mit Atenan mal drüber gesprochen,

wie es für ihn war, aus der Ferne dazu zu sehen,

wie dieser Mann, der für den Tod seiner Familie verantwortlich ist,

vorzeitig entlassen wird, bejubelt wird

und dann nicht mal Reue zeigt, wie war das für ihn?

Es war halt einer von mehreren Rückschlägen.

Also für ihn war's schon schlimm genug,

dass eben seine Näherumgebung, die Kroaten das nicht einsehen wollen.

Und dann sieht er halt so, ja, die politisch Verantwortlichen,

die Führungsspitze, die ganze Gesellschaft,

die da keinen Deut besser.

Für ihn passte das alles so ins gesamte Bild.

Also so von Kroatischer Seite gibt's eigentlich unglaublich viele

auf verschiedensten Ebenen der Gesellschaft,

die das einfach nicht wahrhaben wollen.

Aber er sagt eben in den Niederlanden,

kenne ich kroatische Freunde, die das anders sehen.

Ist ja schon ziemlich erstaunlich.

Also für mich hört sich das alles wahnsinnig reflektiert an,

wie Atenan damit umgeht, auch dass er trotz allem wieder

im Heimatdorf was für sich und seine Familie aufbaut.

Wie ist es ihm denn gelungen, dass er daran nicht zerbricht?

Also zusammen mit dem UN-Sonderermittler Thomas Obrucha

die ganzen Erlebnisse in einem Buch festgehalten.

Also es ist so wie so ein Tagebuch des Schreckens,

was veröffentlicht wurde.

Und dennoch sagt auch Thomas Obrucha, der UN-Sonderermittler

für Achmici, der auch zu einem Freund von ihm geworden ist,

dass er findet, dass der Atenan Seetz,

einer von den wenigen fünf Prozent ist,

die aus so einem traumatischen Erlebnis recht stark hervorgehen.

Also hat ihm das Buch geholfen,

dass er seine Erlebnisse aufgeschrieben hat?

Er kann einfach unglaublich gut über das ganze erzählen

und das macht er so zynisch, das klingt, das macht er auch sehr professionell,

weil er halt dieses Buch veröffentlicht hat, viele Lesungen gehalten hat.

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht,

dass diese Geschichte nicht vergessen wird.

Denn alle kennen ja das Massaker von Srebrenica,

aber dieses kroatische Massaker von Achmici ist ziemlich unbekannt

und er ist jetzt so der Einzige aus dem Dorf,

der so ein Zeugenbericht veröffentlicht hat.

Und das tut ihm auch gut, sagt er da.

Aber natürlich kommen die Emotionen hoch.

Erstiegte Stimme und es kommen dann auch so die Tränen.

Aber er zählt halt einfach weiter.

Und wenn man dann nicht darüber spricht, dann ist er unglaublich lustig

und auch ein ziemlich Humorvoller Mensch.

Also ich kann natürlich nicht nachvollziehen,

also wie groß das Trauma ist,

also wie es ihm wirklich so psychisch geht und so.

Aber der Freund erzählt eben auch,

dass er da einen freundlichen, dynamischen Menschen erlebt,

der was gemacht hat aus seinem Leben.

Adnan ist ja weit gekommen im Leben

und hat sich zur großen Aufgabe gemacht, daran zu erinnern.

Jetzt warst du zum Jahrestag

im April auch auf einer Gedenkveranstaltung

für die Opfer des Massakas.

Spielt es denn 30 Jahre danach eigentlich

überhaupt eine große Rolle in Bosnien

und auch in Kroatien?

Ja, also von Bosniakischer Seite ist das eine ganz große Geschichte.

Es gab eine Gedenkfeier mit 1000 Leuten,

und es gab eine große Geschichte.

Es gab eine große Geschichte,

es gab eine Gedenkfeier mit 1000 Leuten,

da war der Präsident der Bosniaken im Staatspräsidium,

da war der politische Führer der Opposition.

Von der Bosniakenszeit ist das eine große Geschichte,

das war groß in den Medien.

In Kroatien verdrängt man es so.

Adnan war auch da,

wir haben ihn ja auch zu dem Gedenktag dort getroffen.

Adnan ist auch einer der Hauptorganisatoren dann gewesen,

bei der Gedenkfeier.

Also er ist da schon auch sehr vernetzt und sehr aktiv

und er lief an dem Gedenktag auch im Anzug rum,

hat dann eine Rede gehalten,

seine Geschichte auch noch mal erzählt vor der Presse und so.

Also der ist da super engagiert und ihm ist es total wichtig,

auch so diese Geschichte zu verbreiten.

Er hat auch seine Familie mitgebracht,

seine Frau und seine Kinder zu der Gedenkfeier.

Und trotzdem bleibt für mich irgendwie die Frage,

gibt es da sowas wie Verbitterung,

ein Restgefühl von Hass oder Rache auch bei Adnan?

Es ist interessant,

im Buch schreibt der 13-jährige Adnan,

also rückblickend die Gedankenwelt des damals 13-jährigen Adnans,

der schwört, dass er eines Tages alle Kroaten umbringen wird,

die dafür verantwortlich sind,

dass seine Familie getötet wurde.

Heute sagt er, das waren Gedanken eines Jugendlichen,

heute denkt er ganz anders.

Also er sagt, meine Waffe ist eben,

dass ich diese Geschichte erzähle,

dass die Welt einfach erfährt, was damals passiert ist.

Wer die Opfer, wer die Täter waren.

Der Hass, das ist der Hass der anderen, ich bin anders.

Also ich bin einfach besser als das.

Oliver, danke dir.

Sehr gerne.

Das war unsere Folge für heute

und die letzte für diese Woche,

denn 11 km geht in ein langes Wochenende.

Die Geschichte von Adnan Setz und dem Massaker von Ahmici

und wieso die Aufarbeitung und Anerkennung

in Bosnien und Herzegowina und Kroatien so schwer fällt,

Jahrzehnte nach dem Bosnien-Grieg.

Dazu hat Oliver Schorsch ausführlich recherchiert.

Sein Feature findet ihr in der ARD-Audiothek,

den Link dazu haben wir für euch in die Schoen uns gepackt.

Autoren dieser Folge ist Linda Becker,

mitgearbeitet hat Mark Hoffmann,

Produktion Alex Berge, Konrad Winkler und Jürgen Kopf,

Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko Lipp.

11 km ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Ich bin Anis Kunz, wir hören uns, ciao.

Und ganz zum Schluss will ich euch noch

einen Hörtipp mit auf den Weg geben.

Was geht, was bleibt von SWR 2?

Der Podcast holt euch alle zwei Wochen

mit interessanten Zeitgeistthemen,

Debatten und Kulturphänomen ab.

Erst kürzlich ging es ja zum Beispiel in der Folge darum,

wie die Kriegsschrecken die Menschen in der Ukraine prägen.

Mehr dazu.

Und zu dem Podcast erzählen euch jetzt die beiden Hosts,

Christine Hartauer und Philine Sauvageau.

Hallo, hier sind Christine Hartauer und Philine Sauvageau.

Von Was geht, Was bleibt,

dem SWR 2 Podcast für Zeitgeist, Debatten, Kultur.

Wir sprechen alle zwei Wochen über ein Thema,

das gerade viel diskutiert wird.

Wir wollen wissen, wieso regt uns das gerade so auf?

Warum beschäftigt uns das?

Und wir sind nicht nur gerne auf der Metaebene.

Wir fragen uns auch, was bleibt denn davon auf lange Sicht?

Wie prägt uns diese Entwicklung und bestimmt unsere Zukunft?

Genau, ein Thema von uns.

Wie sprechen wir über das Bankenwesen

und damit auch die Finanzkrise?

Also, wie erzählt man überhaupt in Filmen und in Medien

von etwas so komplexem wie einer Bankdipleite geht?

Oder in wiefern bleiben Kriegstraumata,

wie sie gerade in der Ukraine entstehen,

in den Körpern der Menschen

und werden an spätere Generationen weitergegeben,

die selbst gar nicht am Krieg beteiligt waren?

Das alles diskutieren wir immer mit den Menschen,

die mitten im Thema sind, die persönlich betroffen sind

oder die Profis auf dem Gebiet sind.

Was geht, Was bleibt,

hört ihr alle 14 Tage Freitags in der ARD-Audiothek.

Und überall, wo es Podcasts gibt.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Als 13-jähriger Junge erlebt Adnan Zec in seinem Heimatdorf Ahmići in Zentralbosnien wie seine Eltern von kroatischen Soldaten ermordet werden – weil sie bosnische Muslime sind. Mit Glück überlebt Adnan 1993 dieses kroatische Massaker, eines der schlimmsten des Bosnienkrieges zwischen 1992 und 1995. Genau 30 Jahre später kehrt Adnan nun zurück an den Ort des grausamen Verbrechens. ARD-Korrespondent Oliver Soos begleitet ihn und erzählt in dieser 11KM-Folge, wie Adnan als Überlebender und Zeuge vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gelernt hat, mit seinen Rachegefühlen umzugehen.



Hier ist der Link zur ausführlichen Reportage von Oliver Soos:

https://www.ardaudiothek.de/episode/ndr-info-hintergrund/bosnienkrieg-30-jahre-nach-dem-massaker-in-ahmici/ndr-info/12616753/



An dieser Folge waren beteiligt:

Folgenautorin: Linda Becker

Mitarbeit: Marc Hoffmann

Produktion: Jonas Teichmann, Alex Berge, Konrad Winkler

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler



11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Folge liegt beim NDR.



...und hier geht’s zu “Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur.” unserem Podcast-Tipp:

https://www.ardaudiothek.de/episode/was-geht-was-bleibt-zeitgeist-debatten-kultur/ein-jahr-krieg-gegen-die-ukraine-wie-praegt-der-schrecken-die-menschen/swr2/12409335/