11KM: der tagesschau-Podcast: Leistungssport: Hungern für die Medaille

tagesschau tagesschau 3/17/23 - Episode Page - 30m - PDF Transcript

Ich bin Kim Bui. Ich war eine der besten Tonnerinnen Deutschlands.

Ich war erst 15, als ich zum ersten Mal das Essen wieder hervorwirbte.

Es musste raus, ich durfte einfach nicht zunehmen.

Von da an erbrache ich mich mehrmals, jeden Tag.

Kim Bui, den Namen könntet ihr kennen.

Fast 20 Jahre hat sie getont auf Spitzenniveau.

Sie war ganz weit oben im Rampenlicht

und trotzdem will keiner etwas gemerkt haben von ihrer Bulimie.

Reden über Essstörungen im Spitzensport, das war bisher ein Tabu.

In dieser Folge von 11km erfahrt ihr, wie gefährlich die Krankheit

für Athletinnen und Athleten ist,

warum manchmal selbst Ärztinnen und Ärzte sich nicht trauen,

das Thema anzusprechen und wie entlastend es für Betroffene ist,

endlich mal darüber zu reden.

Es hat so von uns eigentlich, glaube ich, keiner erwartet.

Man hat auch irgendwie gemerkt,

denen ist es jetzt irgendwie dann total egal,

ob da jetzt Kameras laufen oder nicht.

Ihr hört 11km der Tagesschau-Podcast.

Ein Thema in aller Tiefe.

In der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcast gibt.

Abonniert uns gerne.

Mein Name ist Victoria Michalsack und heute ist Freitag.

Der 17. März.

Bei mir im Studio sitzt heute Julia Grandner vom BR,

eine der Autorinnen von der ARD-Doku Hungern für Gold.

Sie hat für den Film sehr viel Zeit

mit der ehemaligen Profitonerin Kim Bui verbracht

und war tatsächlich eine der Ersten,

der Kim von ihrer Krankheit erzählt hat.

Herzlich willkommen, Julia.

Danke für die Einladung.

Auf euren Film gab es eine Menge Reaktionen.

Ja, also ich habe schon Dokus gemacht,

da habe ich weniger dazugehört.

Ich glaube, dass wir wieder echt so einen Nerv getroffen haben.

Weil, also das Leistungssport selbst Optimierung bedeutet ja,

dass man da an seine Grenzen geht,

aber dass die Grenzen sich so weit verschieben,

dass die tatsächlich hungern, um Medaillen zu bekommen.

Ich glaube, das war schon für viele neu

und auch eine schockierende Dimension.

Das haben auch diejenigen mitbekommen, die man da sieht.

Zum Beispiel die Sportlerin Kim Bui.

Und die hat dir was geschickt richtig.

Du hast was mitgebracht, ein Handyvideo.

Genau.

Ich habe von ganz, ganz vielen Leuten,

auch für mich unbekannte Leute,

ganz viele Reaktionen auf meinen Social-Media-Kanälen bekommen

und vor allem sehr viel Zuspruch für alle.

Vor allem für den Mut, den wir beide, die Mire und ich, aufgebracht haben.

Uns dahingehend zu äußern, dass wir selbst davon betroffen waren.

Und von dem her sind all diese Reaktionen ja wirklich sehr,

sehr warmherzig und sehr liebevoll und ja, was auch total schön ist.

Seelechtel zufrieden.

Ja, die sitzt da unter so einem Bild, da ist auch was mit Olympia.

Ja, genau, das ist, glaube ich, eine Erinnerung an London 2012.

Kim Bui ist eine ehemalige Kunstturnerin,

die wirklich über lange, lange Zeit erfolgreich war.

Sie hat öfters die deutschen Meisterschaften gewonnen.

Bei Olympia hat er auch zweimal Brosse gewonnen

und hat dann erst jetzt im letzten Sommer, 2022,

dann ihre Karriere beendet, die aktive Karriere

und hat da auch noch mal mit Brosse im Teamwettbewerb

quasi den grünen Abschluss ihrer Karriere setzen können.

Ich kann das gar nicht glauben, dass wir das heute geschafft haben,

dass ich das zum Ende meiner Karriere überhaupt noch miterleben kann

und ich glaube, schöner geht es kaum.

Auf die Kim kamen wir, weil die quasi ein urgescheinendes Turnens ist,

die war ja 20 Jahre im Bundeskader

und hatte dann irgendwann die Funktion der Athletensprecherin inne

und hielt in dieser Funktion mal eine flammende Rede vor dem Bundestag.

Da ging es so um Trainerbeziehungen zu den Athleten

und wie da manchmal vielleicht auch eine Unwucht entsteht,

aber ging noch gar nicht so sehr ums Thema Essstörung.

Trotzdem sind wir halt darauf aufmerksam geworden

und dachten uns, okay, wir rufen die einfach mal an

und führen ein erstes Hintergrundgespräch mit ihr

und haben ihr eben das Projekt vorgestellt

und um was gehen soll und wie wir uns diese Doku so vorstellen

und die Kim ist ja eigentlich ein sehr offener und kommunikativer Mensch,

aber am anderen Ende der Leitung wurde es plötzlich immer stiller und stiller

und irgendwann meinte sie nur, ich bin selber betroffen, ich hatte auch Bulimie.

Und dann ging das Gespräch noch ungefähr 2,5 Stunden

und sie hat quasi über dieses Kapitel in ihrem Leben gesprochen mit uns.

Sie hat sich da eine Last irgendwie von der Seele sprechen können

und dann haben wir gedacht, okay, die deckt so viel von diesen Aspekten ab,

die wir gerne thematisieren wollen, die wäre doch eigentlich auch super,

wenn sie mit uns da zusammenarbeiten würde.

Ja, die wäre die Richtige.

Also sie fing ja ganz früh an mit dem Turnen mit 4 Jahren,

ging sie ins Kinderturnen und das hat sich dann eben so herauskristallisiert,

dass sie da talentiert ist und wurde auch gefördert

und ging dann eben Richtung Leistungsturnen.

Ja, das hat sie letztens auch in einer Sportsendung in dem Interview erzählt.

Es fing damit an, dass meine Trainerin damals gesagt hat, da war ich 15,

ja, vielleicht achtest du immer ein bisschen mehr auf dein Gewicht.

Oder das kam dann immer öfter so, ja, vielleicht nimmst du mal 1-2 Kilo ab,

dann würde dir das leichter fallen.

Und irgendwann glaubst du das ja auch,

weil wenn du dann irgendwie mal einen Tag hat, das wo es nicht so gut gelaufen ist

und wo du dich dann doch irgendwie schwerer fühlst, was ja eigentlich völlig normal ist auch.

Und vor allem, ich bin ja auch in der Zeit gewesen in der Pubertät,

wo der Körper sich auch verändert. Und es ist ja ganz normal,

dass man dann vielleicht mal auch Gewichtsschwankungen hat

und dann habe ich irgendwann tatsächlich geglaubt, ich bin zu schwer,

ich bin dick, ich bin zu fett für das Turnen.

Und dann habe ich angefangen, mein Essen zu reduzieren,

habe versucht weniger zu essen, ich habe versucht, die Kohlenhydrate wegzulassen.

Ich habe immer noch gleich gewogen, aber es hieß immer noch, ja, nimm doch mal ab,

versuch mal abzunehmen, lass die Kohlenhydrate weg, lass das Reis weg.

Und ich dachte mir so, ich kann doch kein Reis weglassen,

weil das ist was wie immer Essen zu Hause.

Und dann war dann irgendwann der Umgeschoss, wo ich mir sagte,

okay, dann muss ich das essen oder möchte das essen,

habe es in mich hineingestopft und dann kam das schlechte Gewissen.

Und dann muss das wieder raus.

Also weil sie eben Gewicht verlieren wollte,

so wie ihre Trainerin ihr das geraten hat,

aber auf normalem Wege in Anforderungszeichen hat es erst mal nicht geklappt.

Und dann schien das für sie quasi so der Ausweg zu sein.

Schien für sie eine gute Lösung zu sein und das Fatale,

dass auch erst mal positive Rückmeldungen dann kamen.

Hey, du siehst ja gut aus und hey, die Übung geht jetzt auf einmal noch viel besser

und das hat sie natürlich da drin total bestärkt.

Und das war so ein Teufelskreis, dass sie da, ich glaube, 6, 7 Jahre nicht mehr rauskam.

Ja, aber die Erfolge waren da.

Ja, das ist natürlich, ich sage mal, für die Psyche schlecht,

wenn dann erst mal Erfolge kamen, auch sportlich,

gerade wenn sich so alles darum dreht.

Ja, total, aber das ist was, was sich durch unsere Recherchen zieht.

Also ich sage jetzt mal verkürzt dargestellt so,

in der normalen Bevölkerung oder in der breiten Bevölkerung

rutscht man da vielleicht auch ab wegen Schönheitsidealen,

weil man schlank sein will, gut aussehen, in die Hose passen.

Beim Spitzensport ist das ganz klar, einfach, man will erfolgreicher sein.

Also dieses Dogma gerade im Skispringen, leicht fliegt weit oder dünn springt hoch,

das ist da der Antrieb.

Gibt es so bestimmte Sportarten, die dann besonders hohes Risiko haben?

Ja, es gibt definitiv bestimmte Sportarten, die risikoreicher sind jetzt,

dass da an Erststörungen die Sportler und Sportlerinnen erkranken.

Zum Beispiel ästhetische Sportarten, wo ja eben auch immer das Äußere noch mitbenotet wird,

also zum Beispiel eben Turnen, Ballett, Cheerleading.

Es gibt wenige Zahlen auf diesem Feld, aber eine ist ja zum Beispiel,

dass in diesen ästhetischen Sportarten 42% der Frauen an Erststörungen leiden.

Das ist ja fast die Hälfte.

Ja, fast jede zweite.

Und als ich dann endlich mal eine greifbare Zahl recherchieren konnte,

war ich da auch so okay.

Es ist ein Thema, vorher war es oft so ein Gefühl.

Hier hat man so ein bisschen was gesagt, aber das ist so eine Zahl

und du denkst hier, was so viele, dass das überhaupt erhoben werden kann.

Also fragt man sich auch, gibt es da nicht noch ein Dunkelfeld, woher ist diese Zahl?

Diese Zahl ist vom Bundesfachverband Erststörungen.

Und die haben noch eine zweite Zahl, nämlich wie viele Männer betroffen sind

und da wurde uns genannt, dass 22% der Männer, die Antigravitation-Sportarten betreiben,

die sind eben auch von Erststörungen betroffen.

Und das sind zum Beispiel Skispringen, hatten wir ja gerade, Klettern oder Hochsprung.

Also wo eben einfach das Gewicht eine Rolle spielt, um erfolgreicher zu sein.

Also auch nicht gerade wenig, 22%.

Aber ja, wie du schon sagtest, also ich glaube auch die Dunkelziffer, die ist hoch.

Ja, das müssen wir an der Stelle vielleicht mal ganz deutlich sagen.

Erststörungen sind irre gefährliche Krankheiten, also auch Krankheiten,

an denen man auch sterben kann.

Also gerade bei der Magersucht, das ist tatsächlich die psychische Erkrankung

mit der höchsten Sterblichkeit, 10% der Erkrankten sterben daran.

Und man hat einfach langfristige Folgen, die man seinem Körper dazu fügt,

also bei Frauen ganz oft, dass der Zyklus total durcheinander kommt,

die Periode ausbleibt, aber das führt bis hin zur Unfruchtbarkeit.

Man schädigt die Knochen, also es gab da wirklich auch Geschichten,

da haben 20-jährige Frauen, die so untergewichtig sind,

dass die dann einen Oberschenkelbruch haben, die normal eine Oma mit 60 bekommt.

Also schon schockierende Ausmaße und das darf man einfach nicht verharmdosen.

Besondere Risikofaktoren sind einmal, dass die Trainerinnen oder Trainer

da vielleicht ein Auslöser sein können, dann gibt es bestimmte Sportarten,

wo das besonders anfällig ist.

Und eben auch so ein allgemeiner Leistungsdruck, glaube ich, im Spitzensport generell.

Also das sind ja Leute, die ganz, ganz hart zu sich selbst manchmal sein müssen,

ganz diszipliniert und vielleicht auch gewohnt sind,

ihrem Körper zum Beispiel Schmerzen zuzufügen

und alles an dieses große Ziel zu setzen.

Also diese Disziplin, Fleiß, aber auch diese Selbstzweifel,

die sind ganz oft verbreitet, da gibt es auch eine Studie dazu,

dass einfach da bestimmte Eigenschaften auf Leistungssportler und Sportlerin häufiger zutreffen

und die beflügeln halt auch vielleicht dann eine Essstörung wiederum.

Also diese Disziplin, dass du dann wirklich nichts ist,

außer drei Äpfel am Tag, die muss man ja erst mal haben, im negativen Sinne.

Eigentlich sollte es ja aber Orte geben, an denen so eine Essstörung

in den Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern auffällt,

zum Beispiel auch eine Bulimie wie bei Kim Bui.

Du bist ja dann zusammen mit Kim zu einer Sportmedizinerin gefahren

in einem Untersuchungszentrum, wo Athletinnen und Athleten einmal im Jahr durchgecheckt werden, verpflichtend.

Hallo!

Unser erster Kontakt war die Sportmedizinerin Dr. Christine Kopp in Tübingen.

Die war für uns so ein bisschen die Vorreiterin auf dem Gebiet.

Die hat einfach das Thema Essstörungen im Spitzensport auf dem Zettel

und zu der gingen wir in dem Bewusstsein, okay, die will das ändern,

dass so viele darunter leiden und die hat auch so eine ganz eigene Art schon entwickelt.

Als Einzige in Deutschland gibt die zum Beispiel jedem Athlet oder jeder Athletin

bevor die zu dieser Untersuchung kommen einen Fragebogen, 40 bis 50 Fragen,

wenn ich mich richtig erinnere, zum Essverhalten.

Ja, okay.

Das wird abgefragt, wenn ich Kohlenhydrate essen, wie oft in der Woche, was trinke ich etc.

und da werden auch die Mahlzeiten abgefragt, da werden aber auch Sachen abgefragt,

wie habe ich manchmal Bauchschmerzen nach dem Essen, also Dinge, die uns auf was anders hinweisen würden.

Und natürlich haben wir auch schon dann gleich gefragt, ja, kann man ja sonst was ankreuzen,

aber Sie meinen, Sie hat da schon jetzt den Blick, also wenn da jemand ankreuzt, ja, ich esse alles und viel.

Wenn man mit einem Body-Mass-Index von 18, also eher untergewichtig, dann stimmt es natürlich nicht zusammen.

Und das ist halt so ein erster Hinweis und das macht halt sie.

Und wir wollten halt exemplarisch an ihr zeigen, wie es gehen könnte.

Ja, das war ein Tübing und dann seid ihr zusammen mit Kim, die diese Untersuchung ja tatsächlich auch

aus ihrer eigenen aktiven Karriere noch kennen muss, noch zu einem anderen Untersuchungszentrum gefahren,

in dem geprüft wird, ob die Athletinnen und Athleten gesund sind oder nicht.

Genau, also wir sind dann hingefahren nach München und da hat uns eine junge Assistenzärztin empfangen

und wir durften bei einer dieser Grunduntersuchungen dabei sein, bei einer Cheerleaderin.

Also auch ein Risikosport für Essstörungen?

Ja, genau, auch ein Risikosport.

Vor allen Dingen, wenn du Sport machst, gibt es da irgendwie Druck auf der Brust, Herz, Fasen, Schwindel?

Bist du irgendwie mal ohnmächtig geworden?

Nein, bis nicht.

Von der Nährung her, Fisch, Fleisch, Obst, Gemüse, ist du per se alles oder das Ding ist weg?

Nein.

Okay.

Und machst du so klassisch drei Hauptmalzeiten oder gibt es da irgendwelche Abstände?

Ich frühstücke eigentlich nie, also nur Mittagabend.

Mittagsabend und irgendwie Zwischenmalzeiten oder ähnliches?

Fast gar nicht.

Wir haben aber von der Ärztin eben in diesem Moment gar keine Nachfrage.

Und der Kim fehlt eben da einfach die Sensibilisierung und sie hat dann gleich zu uns gesagt,

sie würde noch gerne auch mit der Cheerleaderin noch mal sprechen

und haben sich dann kurz einen Moment Zeit genommen

und hat dann eben auch die so ein bisschen gefragt, wie ihr Essverhalten ist.

Hattest du damit schon in deinem Umfeld irgendwo Kontakt zu solchen Problemen?

Ja.

Ja, in meinem alten Team hat eine leider auch eine Margarisucht entwickelt.

Dadurch, Gott sei Dank, wieder einen Griff bekommen, recht zügig,

aber es ist leider schon auf jeden Fall ein Thema.

Und was hat es mit dir gemacht?

Ich habe auch jetzt nicht den perfekten, ja, wie sage ich dazu, ich schaue schon auf mein Gewicht

und ich habe vielleicht nicht das perfekte Essverhalten, sage ich mal,

einfach, wenn man sagt, jetzt habe ich drei Nudeln zu viel gegessen, so in der Art und Weise.

Man schaut schon, dass man so wenig wie möglich zu sich nimmt,

dass man eben nicht an Gewicht zunimmt.

Es begleitet mich auf jeden Fall schon sehr, sehr lange.

Und dann, was sagt die Ärztin?

Und ich kann bestens gewissens sagen, dass du sporttauglich bist.

Super, das freut mich.

Das ist für dich?

Perfekt.

Fragenwünsche?

Nein, eigentlich nicht.

Ich bin zufrieden.

Bis zufrieden.

Ich bin zufrieden.

Also diese Grunduntersuchung hat das Ziel,

dass man eben dann die Sportler in drei Kategorien einordnet.

Also entweder sporttauglich, das gibt grünes Licht, das ist wie ein Ampelsystem,

oranges Licht, also unter Voraussetzungen.

Also manche müssen dann eben noch mal zum Orthopäden oder manche müssen zum Frauenarzt

und die werden also noch mal kontrolliert und es gibt eben Rot.

Und das bedeutet sofortige Sportsperre.

Der Athlet oder die Athletin darf an keinem Wettkampf mehr teilnehmen.

Also schon ein harter Einschnitt.

Aber es gibt da eine Ampel eben vom Internationalen Olympischen Komitee

und die besagt ganz klar, bei einer Essstörung ist Rot zu setzen.

Und Kim fragt diese Ärztin eben, würden sie jetzt bei einer Essstörung

eben Sport untauglich schreiben?

So wie es eigentlich vorgeschrieben ist.

Genau.

Und die Ärztin, also eine junge Assistenzärztin, aber nichtsdestotrotz,

sagt dann eben, sie würde das nicht machen,

weil sie das einen zu großen Einschnitt in einem Sportlerleben findet.

Für mich persönlich wäre das kein Grund, jemanden sportuntauglich zu schreiben.

Sport untauglich heißt, der Athlet oder die Athletin darf,

zumindest bis zur nächsten Untersuchung, bis ich diese Sportuntauglichkeit aufhebe,

an keinem Wettkampf mehr teilnehmen.

Worauf man ja sein Leben lang zum Beispiel trainiert, sei es WEM, World Cup, Olympia.

Wenn ich eben dieses Ziel wegnehme, schwierig.

Sport untauglich schreiben heißt für mich, dass ich die Gefährdung sehe,

dass die Athletin oder der Athlet plötzlich beim Sport dürbt.

Und es war echt so ein krasser Moment, weil ich saß eben da als Journalistin

und ich bin jetzt keineswegs Leistungssportlerin

und ich dachte mir, okay, das ist einfach entspricht nicht den Vorgaben.

Und die Kim hat schon anders reagiert, weil sie sagte so, ja,

in meiner aktiven Zeit ging es mir genauso, hätte mich da jemand rausgenommen,

wäre das halt für mich natürlich also Drama gewesen.

Klar, natürlich ist das eine Katastrophe, wenn man darauf hinarbeitet, aber...

Naja.

Aber deswegen war für sie ja auch so prägend der Satz von der Sportmedizinerin in Tübingen.

In München wurde mir erzählt, dass wenn man jemanden Sport untauglich schreibt,

das ja etwas ist, wo man die Grundlage eines Athleten oder einer Athletin quasi damit nimmt.

Wie sehen Sie das?

Natürlich nimmt man die Grundlage, aber wir brauchen als Sportmediziner

ja einen professionellen Abstand zu den Athleten.

Als Grundvoraussetzung, damit ich solche Entscheidungen treffen kann.

Und solche Entscheidungen muss ich treffen, weil ich ja, ich bin ja als Arzt für die Gesundheit,

Zustände für den Erfolg des Athleten.

Da wurde mir nochmal deutlich, was das mit dem Körper macht,

wenn man so lange in so einer Krankheit drinnen steckt.

Und das war mir vorher auch nicht so richtig bewusst.

Und ich glaube auch vielen anderen draußen nicht.

Also Ärztinnen sind wichtig, Trainer.

Jetzt sind diese Sportlerinnen und Sportler ja oft auch ganz jung.

Ich bin ja auch Eltern eine Rolle.

Und deswegen seid ihr auch mit Kim zu ihren Eltern gefahren für den Film, ne?

Wie war das?

Also ich habe mir bei der Vorbereitung gar nicht zu viel gedacht.

Wir wollten sie einfach noch so ein bisschen persönlich darstellen,

dass der Zuschauer sie kennenlernen kann.

Aber tatsächlich habe ich bei der Kim schon am Vorabend gemerkt,

dass sie gesagt hat, ja, morgen sind wir bei meinen Eltern.

Und dann bist du gemerkt, okay, sie ist da ein bisschen angespannt.

Und beim Drei selber wusste ich dann auch, warum.

Weil halt die zum ersten Mal einfach über dieses Thema gesprochen haben.

Hallo, Papa.

Hallo.

Hallo.

Hallo, Mama.

Schön, dass du da bist.

Danke, ja.

Ich bin gut durchgekommen.

Ja, ich bin gut durchgekommen.

Und es kam auch so plötzlich, also sie war ja vorher noch beim Einkaufen

im Asieladen, wir wollten da kochen.

Also das heißt, es war gar nicht geplant,

dass sie darüber sprechen über das Thema.

Also die Regieanweisung war dann eigentlich,

sie sollten sich an den Küchentisch setzen und alte Fotos anschauen.

Hol mal die Bilder.

Ja.

Oha.

Oh, da sind schon die ersten Turnübungen an der Strange hängen.

Ja, ja.

Du hast immer versucht, Handstand zu machen

und Rückwärtsrollen, Fahrwärtsrollen.

Irgendwie hast du das Turnen schon im Blut gehabt.

Okay.

Das war meine erste WM in Melbourne, 2005.

Sie hat eben dann zum ersten Mal auch darüber gesprochen,

wie das eben für ihre Eltern war, in dieser Zeit der Bulimie,

zu wissen, dass es ihrer Tochter eigentlich so schlecht ging.

Aber sie trotzdem jeden Tag zum Turnen zu fahren oder fahren zu lassen.

Ich weiß nicht, es kommen irgendwie alte Erinnerungen hoch,

weil eigentlich ging es mir zu der Zeit gar nicht so gut.

Also ich hatte damals tatsächlich das Thema

eben mit der Bulimie schon gehabt damals.

Und weiß nicht, man ist euch das vielleicht auch aufgefallen,

dass ich dieses Problem der Essstörung habe oder hatte?

Ja, da haben wir gemerkt, dass du sehr stark unterstresst.

Und das Problem habe ich dann erfahren,

dass man nicht direkt von dir ist, sondern von deinen Psychotherapeutinnen.

Mama, wie war das für dich,

wenn du immer so viel Gutes und leckere Sachen gekocht hast

und aber du wusstest, dass das Problem da ist,

dass ich dann vermutlich oder wahrscheinlich dann aufs Klo renne

und mich da wieder erbreche?

Ja, also das war damals auch eine sehr schwere Zeit für mich,

das Ganze so zuzusehen.

Und das hat mir sehr leid getan.

Aber was konnte ich denn dagegen machen,

wenn alles zusammen so viel war?

Ja, also ich habe erstmal schon echt gestaunt.

Ich saß ja, du kriegst ja als Regisseurin immer so einen kleinen Monitor

und sitzt jetzt nicht direkt neben denen am Tisch,

sondern hat auch so ein bisschen Abstand.

Und da war ich dann auch ganz froh drüber,

weil es ging dann eben schon ans Eingemachte.

Das ist eigentlich, glaube ich, keiner erwartet.

Und man hat auch irgendwie gemerkt,

denen ist es jetzt irgendwie dann total egal,

ob da jetzt Kameras laufen oder nicht.

Die hatten einfach Redebedarf.

Ihr wolltet nicht eingreifen in diese Ton,

aber ihr hättet mich dadurch aber auch schützen können?

Ja, schützen, dann kommen 100%ig,

wenn ich auf deine Seite,

dann 100%ig hat Konflikt mit der Trainerin.

Das ist so.

Und dann habe ich gesagt,

das darf ich auf keinen Fall irgendwas machen.

Weil das Ton ist für dich so wichtig.

Deshalb haben wir gewusst, wo das Problem liegt,

aber wir können dir eigentlich gar nicht helfen.

Wenn diese erste Hürde mal genommen ist,

dann ist es immer einfacher, da noch mal was aufzuarbeiten.

Sie hat das Tage ein Wochen lang, hat sie mir erzählt,

noch beschäftigt nach dem Dreh,

aber auf eine positive Art und Weise,

dass das jetzt einfach mal irgendwie auch ein Ende findet,

ein Abschluss dann irgendwie.

Ich glaube, mit Abstand das Emotionalste war natürlich

das Gespräch mit meinen Eltern.

Und das hat auch mich noch Tage und Wochen danach

sehr beschäftigt, aber ich bin ganz froh drüber,

dass ich dieses Gespräch mit meinen Eltern geführt habe.

Und ja, das, was dabei rausgekommen ist,

auch mir geholfen hat, weiterzugehen.

Also Kims Eltern wussten da irgendwann von,

und sie war auch in Therapie,

wie ist Kinder wieder rausgekommen aus der Bulimie?

Also die größte Stellschraube war,

dass ich ja eben die Trainerin,

die sie da zu diesem Zeitpunkt hatte,

und dass sie eben auch einfach darauf angesprochen wurde.

Die hat ja jahrelang erst einmal einfach so vor sich hingewurstelt,

sage ich mal, sei Lob.

Und war ja auch eben noch erfolgreich damit.

Und keiner hat es irgendwie gemerkt oder wollte es merken,

bis es dann zu einem Trainingslager kam,

wo sie in meinem Doppelzimmer war.

Und diese Athletin, die mit ihr auf dem Zimmer war,

hat das bemerkt und hat das in Anführungszeichen gepetzt,

der Trainerin.

Und die Trainerin, also es war nicht mehr die natürlich,

die sie da in die Erststörung getrieben hat,

sondern die darauf folgende.

Das war ja auch später.

Genau, das war dann später.

Die hat sich sofort die Kim zur Brust genommen

und gesagt, hey, so nicht.

Und die hat ihr ja dann eben auch gesagt,

wir müssen das mit gesunden Methoden erreichen.

Du sollst eine langfristige Karriere haben

und nicht dich da ruinieren für den Sport.

Hat eben auch diese Psychotherapie empfohlen.

Und da hat sie, glaube ich, ganz viel dadurch aufarbeiten können

und die Entstehung verstehen

und dadurch halt auch die Krankheit

am letzten Endes besiegen.

Im Rückblick war es wahrscheinlich ein Glücksfall, oder?

Definitiv.

Es war auch total interessant mitzubekommen,

wie die Kim zum Beispiel bei der Sportmedizinerin

in Tübingen stand.

Die sind ja genau, machen diese Untersuchungen,

wo die Kim auch immer war

und immer versucht hat, ihre Polymie zu verbergen.

Und hoffentlich kommt mir keiner drauf.

Und es ist ja leider so,

dass die vielleicht oft durchs Rasterfallen

und nicht entdeckt werden.

Und damals war sie froh, aber heute in dem Interview sagt sie so,

oh Mann, ja vielleicht wäre das besser für sie gewesen,

wenn das damals schon jemand entdeckt hätte.

Und einfach früher da diese Bremse mal gewesen wäre.

Was sind denn für dich die wichtigsten Stellschrauben

für das System Leistungssport?

Also dass Sportlerinnen und Sportler nicht hungern für Gold?

Man muss unbedingt hinschauen,

man muss die Leute drauf ansprechen.

Also nicht einfach Augen zu und durch.

Also das ist so das eine.

Und das andere ist,

dass die Leute wirklich einfach sensibler mit dem Thema umgehen müssen,

weil eine Bemerkung von einem Trainer oder einer Trainerin

und das sind ja oft auch Bezugspersonen,

die die Athleten anhimmeln.

Also das ist ja so das große Vorbild oft.

Und das sind ja auch alles ehemalige Sportler,

die meistens auch noch tolle Erfolge hatten.

Und denen will man nach,

wenn man von dem dann noch so ein Satz kommt,

wie hey, 3 kg leichter und dann ist noch viel besser,

dann mach's halt das.

Und das ist wirklich, also das hat mich schon echt überrascht

und erschockiert, das ist eine kleine Bemerkung.

Und da kommt eine ganze Kaskade in Gang

und es endet halt echt fatal.

Und tatsächlich,

wenn man sich jetzt die Forschungsarbeiten zu dem Thema ansieht,

das hat mir die Sportmedizinerinnen aus Tübingen geschickt,

da sieht man so eine ganz, ganz steile Kurve.

Also man merkt auch,

dass einfach in der Medizin da auch mehr geforscht wird dazu.

Das Thema kommt einfach erstmal auch in den Köpfen an,

in den Forschungsarbeiten.

Und ich glaube, das ist einfach auch ganz wichtig.

Und zuletzt vielleicht beim Deutschen Olympischen Sportbund,

da gibt's wohl Gespräche,

dass die nach dem Vorbild von Tübingen auch so ein Ernährungstaggebuch

bei diesen Grunduntersuchungen verpflichtend einführen.

Also auch die haben vor,

dass man ein bisschen genauer hinschaut in Zukunft.

Okay, dann hoffen wir mal, dass das was bringt.

Ja, das wird mich schon auch freuen,

auch wenn ich jetzt keine Leistungssportlerin selber bin.

Aber wir schauen ja alle gern zu,

wenn die Skispringen oder Eiskunst laufen.

Und wenn man sich dann denkt,

okay, die machen sich jetzt nicht kaputt für diesen sportlichen Erfolg,

wäre es ja auch als Zuschauer oder Zuschauerin

noch ein schöneres Gefühl.

Ja, danke, Julia, dass du uns davon erzählt hast.

Sehr gerne, danke für die Einladung.

Hungern für Gold.

Den Film, den Julia Grandner zusammen mit Robert Grandner

und Nick Gullüke gemacht hat,

findet ihr in der ARD-Mediathek.

Verlinken wir euch in den Schornots.

Dort findet ihr auch Hilfsangebote,

falls ihr selbst von einer Essstörung betroffen seid.

Uns, 11km der Tagesschau-Podcast,

findet ihr in der ARD-Audiothek

und auf allen anderen Podcastplattformen,

wo ihr uns natürlich sehr gerne abonnieren und bewerten könnt.

Darüber freuen wir uns wirklich sehr.

Folgenautorin ist Jasmin Brock.

Mitgearbeitet hat Stefan Beutting.

Produktion Gerhard Wichow, Florian Teichmann,

Konrad Winkler, Alexander Gerhardt und Eva Erhardt.

Redaktionsleitung Lena Götler und Fumiko Lipp.

11km ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Mein Name ist Victoria Michalsack.

Bis zur nächsten Folge, macht's gut.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Leistungsdruck, ästhetische Normen, Perfektionismus, Kontrolle: Was Spitzenathleti:nnen sportlich verinnerlichen, beeinflusst ihr Essverhalten. 42% der Spitzenathlet:innen in ästhetischen Sportarten leiden an Essstörungen. Die BR-Autorin Julia Grantner hat die ehemalige Spitzenturnerin Kim Bui begleitet. Die möchte die Probleme benennen, die Öffentlichkeit sensibilisieren und jungen Menschen, Athletinnen und Athleten helfen, Wege aus der Essstörung zu finden. Eine 11KM-Folge darüber, wie schnell der Weg in die Krankheit führt, was hilft und wie Strukturen verändert werden müssen, damit das aufhört.



Die ARD-Doku zum Thema:

https://www.ardmediathek.de/video/sportschau/hungern-fuer-gold-essstoerungen-im-spitzensport/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3Nwb3J0c2NoYXUvNjhmYThiMzktYzFhZi00YjRkLThlMGItZDM5NzIyNzYzNjgx



Wenn ihr selbst von Esstörungen betroffen seid, könnt ihr euch z.B. unter 0221 892031 an die Hotline der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wenden.



An dieser Folge waren beteiligt:

Autor:in: Jasmin Brock

Mitarbeit: Stephan Beuting

Produktion: Florian Teichmann, Konrad Winkler und Alexander Gerhardt

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler

Host: Victoria Michalczak.

11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Folge trägt der NDR.