11KM: der tagesschau-Podcast: Last Call Demokratie. Polen hat die Wahl

tagesschau tagesschau 10/13/23 - Episode Page - 27m - PDF Transcript

In zwei Tagen entscheidet sich für Dagmarra, ob sie Polen verlassen will.

Obwohl sie ihr Heimatland so sehr liebt.

Dann wird nämlich in Polen ein neues Parlament gewählt.

Und Dagmarra lernen wir heute kennen, in dieser Folge 11KM.

Noch ist nichts entschieden für sie.

Bleibt die regierende Rechtskonservative PiS-Partei

oder kommt die liberale Opposition an die Macht?

Für Dagmarra ist diese Frage mehr als bloß ein Wahlergebnis.

Warum? Martin Adam erzählt es uns.

Er ist Korrespondent der ARD in Warschau

und hat mit seiner Kollegin Christine Joachim

für die Podcast-Serie in Polen recherchiert.

Ihr hört 11KM, der Tagesschau-Podcast.

Ein Thema in aller Tiefe.

Mein Name ist Victoria Kopmann.

Heute ist Freitag, der 13. Oktober.

Zwei Tage vor der Wahl in Polen.

Am 4. Juni fand hier in Warschau die größte Demonstration

der polnischen Nachwändegeschichte bis zu diesem Zeitpunkt statt.

Das waren etwa eine halbe Million Menschen,

die hier durch die Stadt gezogen sind.

Das ist angekündigt worden von der größten Oppositions-Partei

oder der Oppositionsliste KU, Bürgerkoalition heißt das.

Es war klar, dass das groß werden würde, dass es so groß wird.

Damit hatte niemand gerechnet.

Ich habe stundenlang in Seitenstraßen rumgestanden,

weil ich es nicht geschafft habe, auf die Hauptroute zu kommen,

weil es so voll war.

Wir haben mit vielen Leuten gesprochen

und haben dann irgendwann Dagmarra getroffen.

Das ist eine sehr interessante, sehr beeindruckende Figur.

Dagmarra ist 27, junge Frau, studiert Juristin,

kommt aus Städtchen, also Städtin, schon fast an der Ostsee.

Das, wofür Dagmarra brennt, ist, dass sie politischer Aktivistin ist.

Dagmarra war dort auf dieser Demo und die ist sofort aufgefallen.

Es war ziemlich klar, dass sie nicht einfach nur hier ist,

um mitzulaufen und einen Schild zu halten,

weil Dagmarra eben mit großem Transparenz

und vielen Leuten und T-Shirts gemeinsam

mit der Form da unterwegs war und Geworbenheit.

Also im Kern dafür Geworbenheit gar nicht unbedingt eine Partei zu wählen,

sondern auf jeden Fall wählen zu gehen.

Denn das Problem in Polen ist,

dass die Wahlbeteiligung in der Regel relativ niedrig ist.

Das war ziemlich beeindruckend.

Dagmarra hat nämlich gesagt, dass Polen ihrer Träume,

das ist das, wofür sie kämpft.

Und dass Polen ihrer Träume sei ein Ort,

an dem Demokratie herrscht.

Wo es moderne Bildung gebe, wo Frauenrechte respektiert werden,

wo auch ein Schwangerschaftsabbruch möglich ist,

bis zur zwölften Woche legal, das fordert sie.

Und wo man versteht, dass auch Umweltschutz Teil von Patriotismus ist,

dann hat sie kurz abgesetzt und fügt dazu

und wo ich meine geliebte Freundin heiraten kann.

So, und da kommt alles zusammen.

Dagmarra ist eine junge Frau, die mit einer anderen Frau zusammenlebt.

Damit ist sie in Polen nicht nur Minderheit,

sondern tatsächlich Teil einer diskriminierten Gruppe,

die nicht nur politisch unterrepräsentiert ist,

sondern die es wirklich im Alltag sehr, sehr schwer hat.

Und Dagmarra fordert im Grunde als politisches Programm

das exakte Gegenteil dessen, wofür die Peace gerade steht.

Also in Polen gibt es keine Ehe für alle,

wie in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern?

Was man sich vor Augen halten muss,

ist, dass Polen einfach eine sehr konservative Gesellschaft ist,

eine Gesellschaft, die sehr, sehr, sehr von der katholischen Kirche geprägt ist.

Wir reden immer noch davon, dass offiziell weit über 80,

fast 90 Prozent der polnischen Bevölkerung Kirchenmitglieder sind.

Das sind sehr viel mehr als in Deutschland

und auch in anderen europäischen Ländern?

Ja, mit Abstand.

Also die Debatte in Polen ist überhaupt gar nicht an dem Punkt,

wo es darum ginge, dass homosexuelle Paare heiraten könnten,

dass queere Menschen an sich dieselben Menschen sind

und ein Recht auf ein ganz normales Leben haben,

sondern die Debatte in Polen ist, dass die queere Community dafür wirbt,

dass die Menschen einfach sicher sein können,

dass sie sicher die Straße runterlaufen können.

Und das ist die Ausgangssituation für Dagmada.

Sie beschreibt im Grunde ein ganz klassisches bürgerliches Modell.

Sie sagt, ich bin verliebt.

Ich möchte meine Freundin heiraten.

Ich möchte gerne mit deren Kind haben.

Ich möchte ein Haus bauen.

Ich möchte Steuern zahlen.

Das ist nichts Wildes.

Das ist nicht irgendwie die große Revolution.

Die will in der Mitte des Bürgertums leben.

Und das kann sie nicht.

Also die gesellschaftliche Stimmung macht es Dagmara so schwer,

so zu leben, wie sie möchte.

Aber wie weit reicht das in die Politik rein in Polen?

Der aktuelle polnische Präsident Andrzej Duda ist ein Kandidat der PiS.

Die PiS ist eine rechtspopulistische Partei.

Und das ganze Politiksystem funktioniert so,

dass man Feindbilder aufbaut und nutzt.

Das spitzte sich so zu, dass es Filme gab im staatlichen Fernsehen

mit dem Titel Die Invasion.

Es ging darum, dass es im Grunde hieß,

hier ist die klassische katholische polnische heteronormative Familie

ist in Gefahr.

Und das macht es natürlich für Menschen wie Dagmara extrem schwer,

einfach rauszugehen und zu sagen, hey, ich bin genauso wie ihr,

nur dass ich halt nicht mit einem Mann,

sondern mit einer Frau zusammen bin.

Aber ihr müsst keine Angst vor mir haben,

wenn dieser Duktus im Hintergrund lief.

Das heißt, das ist nicht nur ein historisch gewachsenes Bild

ein konservatives gesellschaftliches Bild,

sondern eines, was von der Regierung fassiert wurde, dieses Feindbild.

Ja, man muss tatsächlich einfach sagen,

was Bürgerinnen und Bürgerrechte in dieser Hinsicht angeht,

hat Polen einen Rückschritt gemacht,

seitdem die PiS an der Macht ist, und zwar einen ganz gewaltigen.

Womit wir wieder beim Thema Wahlen sind,

auch die PiS-Partei tritt am kommenden Sonntag natürlich wieder an.

Dagmara ist auf Oppositionsdemos als Aktivistin mit dabei

und sie will, dass mehr Leute wählen gehen.

Warum will sie das denn eigentlich?

Was hat das mit der PiS-Partei und einem möglichen Wahlergebnis zu tun?

Die PiS ist nicht daran interessiert, dass Frauen wählen gehen,

weil Frauen wiederum in der Mehrzahl dann doch liberal wählen.

Weniger PiS, und es wird jetzt ganz viel Werbung gemacht,

um diese Wählerinnengruppe, weil eben viele Parteien erkannt haben,

dass wenn mehr Frauen wählen gehen würden,

ein politischer Wechsel doch wahrscheinlicher wäre.

Also die Opposition geht davon aus,

dass sie von den Frauen die Stimmen bekommen können.

Darum will die Opposition und ja auch Dagmara das mehr Frauen wählen.

Jetzt ist Dagmara selbst eine junge Frau.

Du hast gesagt, sie ist Aktivistin in diesem konservativ regierten Land.

Inwiefern setzt sie sich auch für Frauen allgemein ein?

Das tut sie inhaltlich, das tut sie.

Aber tatsächlich vor allem einfach, weil sie selbst eine ist

und als Frau auftritt, die in ihrer alltäglichen Tätigkeit,

ihrer politischen Tätigkeit, auch mit der Reichweite, die sie hat.

Dagmara ist gerade in sozialen Netzwerken sehr erfolgreich

und erreicht wirklich viele Menschen als junge Frau auftritt,

die sich nicht sagen lässt, die sich nicht vorschreiben lässt,

dass sie hier in irgendein Rollenmodell passen muss.

Dagmara hatte lange blonde Haare

und hat auch irgendwelche regionalen Misswahlen gewonnen

oder es hat zumindest angetreten

und hat dann irgendwann auch da schon in sozialen Netzwerken

auch Öffentlichkeitswirksam sich davon distanziert.

Also hat auch gesagt, dass sie wirklich nicht mehr bereit ist,

diese ganzen Kommentare und dieser sexualisierte Blick,

das zu akzeptieren.

Dann hat sich die Haare ganz kurz geschnitten

und das ist auch in Polen nicht mehr super außergewöhnlich,

dass eine Frau eine Kurzarfrisur hat,

aber es ist doch immer so ein bisschen ein Statement.

Das ist noch ein Statement, das wäre jetzt bei uns glaube ich nicht so.

Also dass Frauen die Haare kurz tragen,

das ist glaube ich so normal, wie dass Frauen Hosen tragen hier, oder?

Ja, im Alltag ist es das vielleicht auch nicht.

Also wenn du jetzt hier als Frau mit kurzen Haaren durch die Stadt läufst,

gucken dich nicht alle an.

Wenn du Politikerin bist und als Frau auftrittst

und dann lange Haare hast und die irgendwann abschneidest,

dann hat das eine politische Botschaft.

Hatte es in Dagmaras Fall auf jeden Fall,

das hat sie auch ebenso klar kommuniziert.

Dagmaras steht für eine Gruppe von auch Wählerinnen und Wählern,

die in der Politik krass unterrepräsentiert sind.

Also nur als ein Beispiel, auf diesem Marsch am 4. Juni,

wo wir sie kennengelernt haben,

hat Dagmaras erzählt, dass die Idee für diese ganze Veranstaltung

eigentlich aus ihrer Initiative kamen.

Sie haben aufgerufen zu einem Oppositionsmarsch.

Dann hat sich Donald Tusk der Oppositionsführer gemeldet

und hat gesagt, super Idee, machen wir mit.

Hat das Datum verschoben, eben auf diesen einen symbolischen Tag

am 4. Juni 1989 waren die ersten halbfreien Wahlen in Polen.

Da ist also so eine Brücke gebaut worden, hat sie gesagt,

okay, gut, dann nehmen wir euer Datum.

Am Ende stand Dagmaras nicht mal als Rednerin auf der Bühne.

Da standen die großen älteren Herren der polnischen Politik

und sie standen im Publikum und hat Flyer verteilt.

Das war so ein bisschen symbolisch dafür,

dass sie dann doch am Ende in eine bestimmte Ebene nicht kommt.

Weil die Politik bis auf wenige Ausnahmen in der Linken

gibt es Frauen in Führungspositionen.

Aber ansonsten ist die Politik in Polen ganz stark männlich dominiert.

Und das wiederum bei Themen, die Frauen ganz stark betreffen.

Dass eben über Rollenmodelle debattiert wird.

Über die Frage, kann eine Frau Karriere machen?

Ja, kann sie machen.

Aber wenn sie sich dann entscheidet, Karriere zu machen

und deswegen keinen Kind zu bekommen,

weil die Verhältnisse in der polnischen Gesellschaft

sind nicht unbedingt dafür geeignet,

dass man beides irgendwie gut verbinden kann,

ohne in finanzielle Not zu geraten.

Darüber diskutieren dann Frauen nicht mit in der Politik,

weil sie nicht da sind, jedenfalls nicht in der Anzahl.

Und am krassesten zu sehen war das eben darin,

dass die Pies mit einem Trick,

mit einem Umweg übers Verfassungsgericht,

Abtreibung de facto vollständig verboten hat.

Das sind die Ausnahmen,

eine Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung

und wenn das Leben der Mutter akut in Gefahr ist.

Das sind die Ausnahmen auf dem Papier.

In der Praxis ist das schwer umzusitzen.

Mörder, Mörder, keine Einzige mehr, keine Einzige mehr,

rufen die Protestierenden in Warschau.

Es soll nicht noch eine Frau sterben

wegen der regiden Abtreibungsgesetze in Polen.

Es gab diesen einen ersten großen Fall

nach der Verschärfung des Abtreibungsrechts,

wo eine Frau im Krankenhaus schon lag.

Es war klar, die Schwangerschaft, das geht nicht gut aus,

der Vötus ist tot.

Und sie braucht aber dringend jetzt ein Schwangerschaftsabbruch.

Sie braucht einen Eingriff,

weil sonst die Gefahr droht,

dass sie an einer Blutvergiftung stirbt.

Und es gibt dazu Textnachrichten.

Die Frau lag da und hat an ihre Familie geschrieben,

die lassen mich hier sterben.

Und genau das ist passiert.

Die Ärzte haben darauf gewartet,

dass sich das in anführenden Strichen von alleine löst

und eingegriffen.

Würden Ärzte vor Gericht stehen

und ihnen würde nachgewiesen werden,

dass sie ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen haben,

ohne dass sie eben

einer dieser wenigen Ausnahmefälle vorliegt,

denn drohen ihnen bis zu drei Jahre Haft.

Und in diesem Fall hätte so ein Notfall natürlich vorgelegen.

Aber ja, dem jeweiligen Arzt in dieser Situation

war das offenbar nicht klar genug.

Oder der Angst war zu groß,

dass er dann irgendwie im Knast ist.

Das gefährdet Menschen ganz konkret.

Dieses Abtreibungsgesetz in Polen,

es wurde quasi noch mal verschärft.

Von der Regierung, die jetzt in Polen regiert,

der PiS-Partei.

Also diese PiS-Partei, P-I-S, wird die ja geschrieben.

Die heißt übersetzt so was wie Recht und Gerechtigkeit.

Was genau ist denn eigentlich deren Vorstellung von Polen?

Deren Vorstellung von Polen

ist eine von einem sehr starken,

sehr präsenten Land, von einem sehr wehrhaften Land.

Das ist eine nationalistische Perspektive natürlich.

Also ein Land, was schon in Europa eingebettet ist.

Also die PiS ist an sich schon eine proeuropäische Partei,

nur dass sie ein anderes Europa meint.

Sie meint Europa als Wirtschaftsgemeinschaft.

Schon eine Vorstellung von einem sehr zentralisierten Staat,

einer zentralisierten Partei.

Aber ein Großteil der polnischen Bevölkerung

scheint da ja auch mitzugehen.

Die PiS-Partei ist da schließlich demokratisch gewählt worden

mit auch Jaroslaw Kaczynski, ihr Vorsitzender.

2005 sind die gewählt worden.

2007, nach nur zwei Jahren, ist diese Regierung zu Bruch gegangen.

Und als er 2015 wiedergewählt wurde, hat man gesehen,

der Mann hat sich im Plan gemacht.

Er hat richtig vorbereitet, was jetzt die ersten Schritte sind.

Und dann sind sukzessive alle Instanzen quasi aus dem Weg geräumt worden.

Muss man schon fast sagen, die ihm und der Partei

irgendwie im Weg hätten stehen können.

Und das ging los mit den Gerichten,

das Verfassungsgericht, das Oberste Gericht,

dann auch die kleineren Gerichte.

Also er hat sich wirklich von oben nach unten durchgearbeitet.

Aber wie tauscht man denn Gerichte aus?

Das Oberste Gericht ist umgestellt worden

mit einem eigentlich ganz kreativen Trick.

Die PiS hat es geschafft durchzusetzen,

dass das Rentenalter der Richter und Richterin

einfach um ein paar Jahre runtergesetzt wird,

von heute auf morgen.

Und damit haben sich auf einmal ein paar Richter und Richterin

aus dem Senat des Obersten Gerichts auf einmal in Rente wiederbefunden.

Und damit sind ein paar Plätze freigeworden,

die man umbesetzen konnte.

Der Justizminister ist politisch wirklich auch ein Hardliner.

Also das ist einer der permanent Urteile

des Europäischen Gerichtshofs infrage stellt

und überhaupt die Legitimität von europäischem Recht infrage stellt,

als Justizminister eines EU-Mitgliedstaates.

Und der Mann ist gleichzeitig eben Justizminister

und Generalstaatsanwalt.

Und damit sitzt er am Ruder bei der Entscheidung,

was ermittelt wird und was nicht.

Wie reagiert denn die EU darauf?

Das wird ja in Brüssel nicht ohne Folgen bleiben, oder?

Die Europäische Union, die Europäische Kommission,

vor allem kann an der Stelle oder konnte auch lange nicht so viel machen.

Was dann irgendwann ein Weg war, den man in Brüssel gefunden hat,

ist zu sagen, wenn wir euch Geld schicken,

dann müssen wir uns darauf verlassen können,

dass es bei euch einen Rechtsstaat gibt,

wo wir im Zweifel die Verwendung dieser Gelder auch einklagen können.

Um zum Beispiel für uns zu sagen,

und das sehen wir nicht mehr in Polen.

Die Rechtsstaatlichkeit ist so angegriffen,

die Gewaltenteilung ist tatsächlich nicht nur in Gefahr,

sie ist beschädigt, dass wir das Geld erst überweisen,

wenn ihr daran Korrekturen vornehmt.

Und jetzt ist es aber wirklich massiv.

Also es stehen über 35 Milliarden Euro aus

aus dem Corona-Wiederaufbau-Fonds.

Es sind noch mal 500, ich glaube, 56 Millionen Euro Strafe dafür,

dass Polen lange, lange, lange, wir reden von Jahren.

Ursprünglich, dass Polen lange, lange, lange,

lange, wir reden von Jahren.

Urteile des Europäischen Gerichtshofs einfach ignoriert hat.

Wie kommt das denn bei den Leuten an?

Also bei den Menschen in Polen, dieser Umbau vom Staat,

was halten die davon von der PiS-Partei?

Das Land ist polarisierend.

Das Land ist tatsächlich, das lässt sich immer so leicht sagen,

ein gespaltenes Land, aber es ist tatsächlich so,

dass man hier sehr schnell merkt,

wer quasi auf welcher Seite steht.

Es gibt viele Menschen in Polen,

die sehr treu zur PiS stehen.

Vor allem wegen dieser Politik der Würde.

Das ging eben einher mit Sozialprogrammen.

Die Rente ist erhöht worden, der Mindestlohn ist erhöht worden.

Wenn man mit einer Familie spricht, die eher im ländlichen Gebiet lebt,

die tief im katholischen Glauben steht,

die okay über die Runden kommt, aber nicht viel Geld hat,

für die sind Fragen, wie das Verfassungsgericht besetzt ist.

Wie die Stimmung zwischen Warscher und Brüssel ist,

das ist weit weg.

Das ist nicht so, dass sie das nicht interessiert, aber es ist abstrakt.

Also Politik der Würde heißt vor allen Dingen Gelder

für vielleicht ein bisschen ökonomisch schwache Geschichten.

Es ist eine Mischung.

Auch ihr habt ein Recht auf diesen Wohlstand,

und wir verteilen den und Nationalismus.

Ihr habt ihr das Recht, weil ihr Polen seid.

Diese Mischung, das funktioniert gut, das kommt gut bei den Leuten an.

Dagmada spürt diese Polarisierung natürlich auch in den Städten,

wie Stetschen in ihrer Heimatstadt.

Große Stadt fällt ihr das nicht schwer,

mit Leuten ins Gespräch zu kommen, Unterschriften zu sammeln.

Und dann fährt sie aber natürlich auch raus.

Ein Dörfer fährt in kleinere Ortschaften wie nach Stardgart.

Das ist eine Kleinstadt, ein Vorort von Stetschen,

und da haben wir sie begleitet.

Wir sind mit ihr zusammen unterwegs im Auto dahin,

und sie hat ganz klar erklärt,

dass es sehr wichtig, in diese kleineren Städte zu fahren.

Weil es leider so sei, dass die PIS dadurch,

dass sie die staatlichen Medien und auch Teile der Presse kontrolliert

und dort ständig, Dagmada sagt, ihre Propaganda verbreitet,

dass die Menschen dort nicht wissen, was im Land ist.

Aber ganz kurz, da muss ich jetzt mal nachfragen.

Wie kontrolliert man denn ein Mediensystem

und die Presse in einem demokratischen Land?

Das ging erschreckend leicht.

Das zu beobachten, ich bin ja auch Medienvertreter,

das macht mir durchaus Angst, das zu sehen, oder Sorge.

Das eine sind die staatlichen Medien,

die sind etwas anders finanziert als in Deutschland.

Es gibt quasi diese Trennung, die wir haben

zwischen Politik und öffentlich-rechtlichem Rundfunk.

Das gab es in Polen nie in der Form.

Da hat der Staat mehr Zugriff und es fiel ihm leichter,

vor allem erst mal Führungspersonal auszutauschen

und dann ähnlich wie bei den Gerichten,

Stück für Stück von oben nach unten die Leute auszutauschen

und auch einfach einzugreifen, Zensur zu üben,

zu sagen, wer eingeladen werden darf als Gesprächspartner

und wer nicht und welche Themen gesetzt werden sollen

und welche vielleicht auch besser nicht.

Wir haben mit vielen Kolleginnen und Kollegen gesprochen,

manche, die sagten, sie sind zur Arbeit gekommen

und auf einmal saß jemand anderes auf ihrem Platz

und dann hieß es, nee, du musst hier nicht mehr herkommen.

So am nächsten Tag oder wie?

Ja, von heute auf morgen.

In Polen gibt es ja aber nicht nur starkliche Medien, oder?

Ja, TVN ist ein großer Privat-Sender in US besitzt,

ist ein Abo-Sender.

Wenn man das Abo nicht bezahlt, kann man ihn nicht sehen.

Das heißt jetzt also für Dagmarra,

wenn sie in diese ländlichen Gebiete

oder auch etwas ärmeren Gebiete fährt,

dann wissen die Menschen da unter Umständen gar nicht

von bestimmten Dingen oder kennen gar nicht alle Fakten.

Was ist das dann für Dagmarra?

Also es gab dort eine Situation in Stargardt,

in diesem Vorort von Stetschen.

Da steht Dagmarra auf der Straße,

versucht Menschen zu finden, mit denen sie reden kann

und es fällt ihr doch erstaunlich schwer,

dort eben Unterstützer und auch Unterschriften zu sammeln.

Und dann kommt eine Frau auf sie zu,

so mit Einkaufstüte und spricht sie an

und sagt, für welche Partei bist du denn jetzt hier?

Und Dagmarra versucht ihr zu erklären,

dass sie für keine Partei da ist,

sondern für die Demokratie, dass sie dafür da ist,

dass alle wählen gehen, dafür zu werben.

Und dann sagt sie aber schon auch relativ deutlich,

ich bin hier für einen Polen ohne die Pies.

Und die Frau überlegt kurz und winkt dann ab,

geht weg und sagt noch, Tusk liegt.

Also sie meint offenbar Donald Tusk,

polnischer Politiker.

Der war doch auch mal Präsident des Europäischen Rates,

aber aktuell, wie kommt die Frau jetzt auf Tusk?

Das finde ich, sagt sehr viel aus darüber,

wie Polen funktioniert im Moment.

Weil Dagmarra hat nicht gesagt, du sollst Tusk wählen

oder hat auch nicht gesagt, ob sie Donald Tusk wählt,

sondern sie hat gesagt, dass sie die Pies kritisiert

und es gibt viele andere Parteien, die man wählen könnte.

Und für die Frau hat das aber automatisch klargemacht,

wenn du mir sagst, du bist gegen die Pies,

dann bist du automatisch für die eine andere Seite,

nämlich für Donald Tusk und seine Opposition.

Anscheinend gibt es da ein eindeutiges Bild von ihm.

Wie ist das Bild von Tusk in Polen?

Tusk hat das Problem, dass er eben kein neuer frischer Kandidat ist.

Da ist niemand, der jetzt um die Ecke kommt

und die Hoffnung auf was völlig Neues verkörpert,

sondern ist eine sehr bekannte Figur in Polen.

Und für die einen steht er eben für Europa, für das moderne Polen,

für auch für das wirtschaftlich erfolgreiche kosmopolitische Polen.

Für viele andere steht er eben dafür, dass er Regierungschef war.

2014 ist er dann schon weg und ist EU-Ratspräsident geworden,

was ihm von vielen auch als Verrat vorgeworfen wird.

Das heißt, er hat sein Land im Stich gelassen.

Das finde ich aber irgendwie ein bisschen komisch, oder?

Man müsste doch denken, es ist doch cool,

wenn jemand das Land in Europa vertritt.

Donald Tusk ist, wenn man sich in dieser Piesblase,

den nenn ich jetzt mal in Anführungsstrichen,

wenn man diese Medien rezipiert und zuhört,

wenn man das aufnimmt, dann ist Donald Tusk vor allem eine Bedrohung.

Die größte Bedrohung heißt das immer wieder für die Sicherheit Polens.

Der will Polen ausverkaufen nach Westen

und vor allem ist Donald Tusk Deutscher.

Was kompletter Quatsch ist, aber die Geschichte ist so oft erzählt worden,

dass sie verfängt.

Donald Tusk gilt im Grunde als so eine Art geheimer Agent der Deutschen.

Wie kommen die jetzt da drauf?

Das, was die Pies macht, ist unfassbares Misstrauen

gegenüber nicht nur Deutschland, sondern wirklich den Deutschen zu schüren.

Weil die Pies seit Jahren erzählt,

dass Deutschland im Grunde das alte Großmachtstreben nicht abgelegt hat.

Und im Grunde ist dieses Bild, was da bedient wird,

ihr dürft den Deutschen nicht vertrauen.

Die sind mit anderen Mitteln als damals aber immer wieder

und immer noch daran interessiert, uns klein zu halten, uns auszubeuten.

Die deutsche wirtschaftliche Entwicklung basiert darauf,

dass Polen keine wirtschaftliche Entwicklung hat.

Und das ist natürlich in der Prämisse schon mal nicht ganz richtig.

Es führt aber vor allem dazu, dass alles, was darauf folgt,

sehr gut vom Tisch gewischt werden kann.

Jede Kritik auch aus der Europäischen Union,

die als verlängerte Arm Berlins gesehen wird,

an der Rechtsstaatlichkeit zum Beispiel,

wird dann eben als Einmischung aus Berlin gesehen,

weil es heißt, die wollen uns klein halten.

Also diese Deutschlandfeindlichkeit, die wird dann eben politisch benutzt.

Aber wie wird denn Donald Tusk eigentlich zum Deutschen?

Der ist doch Poler.

Donald Tusk ist Poler, aber Donald Tusk Partei,

gehört im Europaparlament zur EVP, zur konservativen Fraktion,

geführt von Manfred Weber, einem Deutschen.

Dazu gehört Ursula von der Leyen, eine Deutsche.

Angela Merkel hat als Bundeskanzlerin oder CDU-Chefin dort

eine wichtige Rolle gespielt, Tusk als Premierminister.

Und auch dann in Europa hat sich sehr oft,

sehr eng mit Angela Merkel abgesprochen, eine Deutsche.

Und schon ist man bei diesem Bild zu sagen, guck mal,

der arbeitet eigentlich für die.

Also schon eine ganze Menge Verschwörungserzählungen.

Verschwörungserzählungen, ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist,

es ist tatsächlich schon sehr bewusst eingesetzte Propaganda in Teilen.

Wir schauen mal in die Zukunft auf diese Fallen.

Wie sind denn jetzt aktuell die Aussichten?

Was würdest du sagen, wie viele Chancen hat die PIS-Partei

und wie steht es dann um Donald Tusk und seine Opposition?

Also im Moment, ganz kurz vor der Wahl,

wenn man sich auf die Umfragen verlässt, dann ist tatsächlich alles offen.

Also rein rechnerisch wäre sowohl eine absolute Mehrheit für die PIS,

eine dritte Legislaturperiode möglich,

aber es ist genauso denkbar, dass die PIS abgewählt wird

und dass die liberale Koalition in der Lage ist,

eine handlungsfähige Regierung zu bilden.

Und ausgeschlossen ist auch nicht,

dass sich hier so ein Donald Trumps-Szenario abspielt

und am Ende die PIS knapp verliert, das Wahlergebnis aber nicht anerkennt.

Die Prognosen schwanken.

Mal sehen Sie die Opposition vorne, mal die PIS-Partei.

Lass uns doch mal bei dem Szenario bleiben,

dass die PIS-Partei sich bei der Wahl am Sonntag durchsetzt

und wenn die weiter regieren, was bedeutet das dann für Polen?

PIS-Chef Jarosław Kaczynski hat jetzt auch im Wahlkampf immer wieder klargemacht,

dass die PIS wieder gewählt werden muss, um diesen Prozess weiterzuführen.

Um Polen, wie erst sagt, natürlich abzusichern für die Zukunft

und nur das Beste für Polen zu tun,

de facto heißt das aber, dass die Justizreform zum Beispiel noch weitergeführt werden muss.

Und wir haben ja auch mit vielen Medienvertretern gesprochen,

von unabhängigen, von privaten Zeitungen, die sagen,

sollte die PIS nochmal gewählt werden, ist nicht sicher,

ob dann so viele kritische Zeitungen und Sender noch überleben.

Und diese Perspektive, was bedeutet das jetzt zum Beispiel für Dagmarra?

Nichts Gutes. Also wir haben sie dann natürlich gefragt,

das war dann später im Sommer wieder in Stetschen

und dann stand sie wieder da, hat Flyer verteilt, hat mit Leuten gesprochen

und dann ein bisschen so ein bisschen nachdenken gekommen.

Und es sieht leider so aus, dass wenn sich das nicht ändert in Polen,

wenn sich die Macht aber nicht ändern, sagt sie, dann wird sie auswandern.

Sie wird das Land verlassen. Sie sagt, ihr Land,

ihre Regierung macht es ihr unmöglich, das zu tun,

mit ihrer Freundin zusammen zu leben, zu heiraten,

dieses bürgerliche Leben zu leben, was sie sich wünscht.

Sie sagt, die tun alles, um ihr das Gefühl zu geben,

dass sie minderwertig ist, dass sie nicht wichtig ist,

dass sie weniger normal ist, das waren ihre Worte.

Und wenn man sich mal die Landkarte irgendwie vorstellt,

von Stetschchen bis zur deutsch- polnischen Grenze, sind es weniger als 6 km.

Und das sieht sie. Sie sieht, dass dieses andere Leben, was sie sich wünscht,

das ist wirklich um die Ecke.

Und in Polen ist das für sie nicht möglich.

Martin, vielen lieben Dank dir.

Ciao.

Danke euch.

Martin Adam war das ARD-Korrespondent in Warschau.

Er hat zusammen mit seiner Kollegin Christinio Achim

eine Podcast-Serie gemacht.

Rund um Polen vor der Wahl.

In Polen heißt die.

Da findet ihr noch viel mehr Infos zum Beispiel,

warum das Wahlsystem in Polen so anders ist als bei uns.

Wir verlinken euch den Podcast in unseren Show notes.

Den Podcast in Polen findet ihr in der ARD-Audiothek

und überall, wo es sonst noch Podcasts gibt.

Auto dieser Folge ist Sebastian Schwarzenburg.

Mitgearbeitet hat Katharina Hübel,

Produktion Konrad Winkler, Jonas Teichmann und Christine Dreyer.

Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko Lipp.

FKM ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Mein Name ist Victoria Kopmann.

Wir hören uns nächste Woche wieder.

Tschüss.

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Die Wahl in Polen am Sonntag stellt Weichen – politisch, darfür, wie es im Land weitergeht. Für manche Menschen, wie Dagmara, aber auch privat. Eine 11KM-Folge mit den Gründen dafür. Zu Gast ARD-Korrespondent Martin Adam. Er ist für seine Recherchen gemeinsam mit seiner Kollegin Kristin Joachim quer durch Polen gereist, um zu verstehen, weshalb Polen so gespalten ist. Kurz vor der Wahl ist längst nicht ausgemacht, ob die rechtsnationale PiS-Partei an der Macht bleibt oder ob die liberalen Oppositionsparteien das Rennen machen.



Hier geht’s zur Podcast-Serie "In Polen", die die Hintergründe zur Parlamentswahl beleuchtet:

https://www.ardaudiothek.de/sendung/in-polen/94777622/



An dieser Folge waren beteiligt:

Folgenautor: Sebastian Schwarzenböck

Mitarbeit: Katharina Hübel

Produktion: Jonas Lasse Teichmann und Konrad Winkler und Christine Dreyer

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler



11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Folge trägt der BR.