11KM: der tagesschau-Podcast: Krieg, Blockade, Überfall: Das Ende von Bergkarabach

tagesschau tagesschau 10/26/23 - Episode Page - 32m - PDF Transcript

Der Krieg ist zurück in Bergkarabach.

Die armenische Regierung rechnet damit, dass alle ethnischen Armenier Bergkarabach verlassen werden.

Mehr als 100.000 Menschen sind inzwischen auf der Flucht nach Angaben der armenischen Regierung.

Das sind etwa 85 Prozent der Bevölkerung dort, die seit dem Angriff Aserbaycans am 19. September Bergkarabach verlassen haben.

Heute lernen wir Hasmik kennen.

Sie ist 20, Bergkarabach-Ameniererin und musste schon mehrere Kriege in ihrer Heimat mit erleben.

Inzwischen lebt sie in Deutschland.

Da hat sie WDR-Journalistin Mariana Dainian getroffen.

Gemeinsam wollen wir heute verstehen, woher der Konflikt in Bergkarabach eigentlich kommt und wie es jetzt weitergehen kann.

Und die deutsche Politik spielt auch eine Rolle.

Eine, naja, ja, unglückliche.

Ihr hört 11 km der Tagesschau-Podcast.

Zu Hause in der AID-Audiothek zu hören überall, wo es Podcasts gibt.

Mein Name ist Victoria Kopmann.

Heute ist Donnerstag, der 26. Oktober.

Hallo Mariana.

Hallo.

Aserbaycan hat die Kaukasus-Region Bergkarabach militärisch angegriffen.

Der Krieg ist zurück in Bergkarabach.

Luftalarm.

Wer kann Suchtschutz?

Wir versuchen weiterhin tausende Armenier, die Kaukasus-Region zu verlassen.

Die armenische Regierung rechnet damit, dass alle ethnischen Armenier Bergkarabach verlassen werden.

Also, ich habe Hasmi getroffen genau zwei Wochen nach dem Angriff vom 19. September.

Und sie sagte zu mir, es ist so viel passiert in diesen letzten zwei Wochen

und trotzdem fühlt es sich super kurz an.

Und sie hatte auch diese Zeitangabe zwei Wochen überhaupt nicht auf dem Schirm.

Wenn sie daran denkt, was mit ihrem Bergkarabach, also mit ihrem Arzt-Zach, wie sie es nennt, passiert ist,

dann sagt sie, sie kann sich das gar nicht vorstellen.

Und sie wird aber nichtsdestotrotz auch immer wieder auf den Boden der Tatsachen gebracht.

Zum Beispiel hat sie gestern erfahren, dass der Bruder ihres besten Schulfreunds

bei einer Explosion gestorben ist.

Und sie sagte und dann realisierst du einfach, dass das doch alles wirklich mit dir passiert

und du in der Hölle steckst und du weißt auch nicht, wann du da wieder rauskommst.

Also, sie sagt, dass es natürlich sehr hart ist, sein Zuhause zu verlieren,

was jetzt bezogen ist auf das Wohnhaus.

Wir haben auch darüber gesprochen, wie es für sie ist,

dass sie jetzt hier in Ona sitzt und eigentlich weiß, dass sie nie wieder in ihr Elternhaus zurückkehren kann

oder zumindest fürs Erste nicht.

Sie hat auch erzählt, dass sie und ihre Mutter, ihre Mutter ist derzeit hier in Deutschland

für eine medizinische Behandlung.

Dass sie und ihre Mutter dann gemeinsam sozusagen per Telefon der Verwandtschaft vor Ort gesagt haben,

was sie alles mitnehmen sollen von zu Hause.

Und Hasmik selbst hat sich nur gewünscht, dass man ihr so ein bisschen Erde aus Bergradabach mitbringt.

Natürlich symbolisch, weil mit der Erde kann sie hier wenig anfangen,

aber einfach als so eine Art Andenken an dort.

Mir ist es im Gespräch aufgefallen, dass sie beim Sprechen auch immer wieder realisiert hat,

dass Bergradabach jetzt nicht mehr unter armenischer Kontrolle ist

und sie entsprechend dort vorerst nicht mehr hin kann,

ist sie dann doch sehr emotional geworden.

Also, das heißt, sie ist jetzt nicht mehr dort, weil sie nicht mehr dort sein kann,

aber sie ist jetzt nicht erst vor Kurzem nach den Geschehnissen im September von dort geflohen.

Das erste Mal hat sie Bergradabach sozusagen als Geflüchtete verlassen

im Zuge des Kriegs 2020.

Sie ist dann nach dem Krieg zurückgekehrt, um ihren Schulabschluss fertig zu machen

und danach hat sie beschlossen, als Oper nach Deutschland zu kommen.

Also, sie ist seit anderthalb Jahren in Deutschland,

hat dann im Anschluss an ihre Zeit als Oper beschlossen, ein Deutschkurs zu machen

und fängt jetzt hier auch ihr Studium an.

Ja, und du hast sich hier also besucht und mit ihr gesprochen.

Aufstieg in Fahrtrichtung rechts.

In Ona, das ist im Ruhrgebiet in der Nähe von Dortmund, da bin ich hingefahren mit der Bahn

und dann hat sie mich auch schon begrüßt an der Tür.

Wir kennen uns erst seit ein paar Wochen, ich habe im August Kontakt zu ihr aufgenommen

und wir haben uns aber direkt sehr herzlich begrüßt

und dann bin ich in die Wohnung rein

und dann habe ich direkt, was sehr typisch amänisch ist,

einen vollgedeckten Tisch gesehen mit Obst und Kuchen und Nüssen und Getränken.

Dann hat sie mich direkt am Anfang gefragt, ob sie die erste Bergradabach-Amenierin sei,

die ich kennenlerne, weil in diesem Fall gäbe es den Brauch,

dass man Spezialitäten aus der Region servieren soll.

Ich kann an dieser Stelle sagen, sie war nicht die allererste, die ich getroffen habe,

aber ich habe mir trotzdem so einen kräftigen Kräutertee mit Kräutern aus Bergradabach servieren lassen.

Und dann habt ihr ja geredet bei Tee und Brot.

Was hat sie dir erzählt von ihrem Leben in Bergradabach?

Ich selber war noch nie in Bergradabach und deswegen wollte ich gerne wissen, wie es da ist,

weil ich kenne den Süden Armeniens und daran grenzt ja auch Bergradabach,

aber in der Region selbst war ich noch nie

und sie hatte direkt so einen Lächeln im Gesicht.

Hat direkt erzählt, dass es so eine unvergleichliche und wunderschöne Natur ist,

dass es dort hohe Berge gibt,

dass einerseits die Sonne total schön warm scheint im Sommer

und gleichzeitig hat man halt so eine kühle, frische Bergluft

und für sie ist Bergradabach einfach ein märchenhafter Ort, so hat sie das Wort wirklich gesagt.

Die unterschiedlichen Namen sind tatsächlich ein Politikum,

während ich mich mit Hasmik unterhalten habe oder generell,

wenn ich mit anderen Armenien spreche, spreche ich eigentlich von Arzach.

Das ist der armenische Name für die Region

und auch der Name, den sich die selbsternannte Republik Arzach 2017 gegeben hat.

Und wiederum Bergradabach ist ein Name, der auf einem aserbajanischen Wort beruht.

Entsprechend wird die Region von Aserbajan auch als Radabach bezeichnet.

Also Hasmik hat ja selbst, die ist ja erst 20 Jahre alt,

den ersten Krieg um Bergradabach gar nicht sozusagen erlebt,

aber sie hat mir erzählt, dass der Krieg aus den 90er Jahren trotzdem präsent war.

Man hat in den Familien darüber erzählt,

man hatte ja vielleicht auch Angehörige, die in diesem Krieg getötet wurden.

In der Schule wurde über den Krieg in den 90er Jahren gesprochen,

also er war schon präsent, aber die Angst vor einem erneuten Krieg,

das hatte sie mir gesagt, die hat sie so nicht verspürt.

Woher kommt dieser lange Konflikt, wie hat das angefangen?

Oft wird der Anfangspunkt des Bergradabach-Konflikts in die 90er Jahre gesetzt,

aber eigentlich müssten wir viel weiter zurückblicken in der Geschichte,

wenn man ganz genau sein will, ins späte 19. Jahrhundert.

Ich würde jetzt der Einfachheit halber mal im 20. Jahrhundert einsteigen.

Das war kurz nach dem Ersten Weltkrieg,

da sind im Südkaukasus die Republiken Armenien und Azerbaijan ausgerufen worden.

Und beide Republiken haben Anspruch auf,

dass damals schon mehrheitlich von Armenien bewohnte Gebiet Bergradabach erhoben.

Diese beiden Republiken, die waren aber nur sehr kurz unabhängig.

1920 wurden sie dann ja Teil der Sowjetunion

und damit lag dann auch die Entscheidung über die Zukunft Bergradabachs

in den Händen der sowjetischen Führung.

Und diese hat letzten Endes 1921 entschieden,

dass Bergradabach als autonome Region zur Sowjetrepublik Azerbaijan gehören sollte.

Und zwar gegen den Willen der armenischen Bevölkerung von dort.

Der spätere sowjetische Herrscher Josef Starlin war damals

sogenannte Volkskommissar für Nationalitätenfragen

und ihm wird eben eine ganz ausschlaggebende Rolle zugewiesen,

weil diese Entscheidung nach dem sogenannten Prinzip

Teile und Herrsche gefällt wurde.

Was bedeutet das?

Teile und Herrsche ist so eine Art Taktik zum Machterhalt von autoritären

oder diktatorischen Regimen,

in dem eben ethnische Konflikte innerhalb des eigenen Staatsgebildes

weiter angeheizt werden, wird sichergestellt,

dass sich eben diese unterschiedlichen Ethnien nicht zusammenschließen

und gegen die Führung rebellieren.

Und dieses Prinzip ist im Fall von Bergradabach leider sehr gut aufgegangen.

Die Spannungen zwischen Armenierinnen und Azerbaijanerinnen

wurden weiter angeheizt.

Und das Ganze führte dazu, dass es Ende der 80er-Jahre

dann eine Unabhängigkeitsbewegung gegeben hat.

Gleichzeitig kam es zu mehreren Pogrom gegen armenische Bevölkerung in Azerbaijan.

Also da wurden Geschäfte und Wohnhäuser geplündert.

Armenierinnen wurden schlimmste Gewalttaten angetan.

Sie wurden verstimmelt, vergewaltigt, getötet.

Und das heizte letzten Endes diese Feinschaft zwischen Armenierinnen

und Azerbaijanerinnen immer weiter an.

Was schließ sich dann zu weiterer Gewalt und Vertreibung führte

und letzten Endes dann im ersten Krieg um Bergradabach mündete,

also dieser Krieg in den 90er-Jahren.

Angesichts der gefährlichen Zuspitzung des Konflikts zwischen Armenien und Azerbaijan

hat der sowjetische Außenminister Chevatnatze

an die verfeindeten Kaukasus-Republiken appelliert,

den Streit um das Gebiet Bergkarabach durch Verhandlungen zu lösen.

Man dürfe jetzt nicht aufgeheizten Gefühle mehr.

Also weitanische Truppen haben ihre Offensive

auf die gesamte Ostgrenze der Region ausgeweitet

und armenische Verteidigungslinien an mehreren Stellen durchbrochen.

Es gibt sehr unterschiedliche Angaben über die Todesopfeise.

Ich habe Zahlen gelesen zwischen 25.000 und 50.000.

Ich denke, wir können festhalten, dass es ein sehr blutiger Krieg war

und es wurden auch sehr, sehr viele Menschen vertrieben.

Rund 700.000 Azerbaijanerinnen wurden vertrieben

und über 230.000 Armenierinnen wurden vertrieben.

Und aus diesem Krieg geht Armenien dann aber als Gewinner hervor, sozusagen?

Genau, ja.

Also das heißt, wir haben seit den 1920er-Jahren diese Aufteilung,

aber dieser Konflikt ist wieder eskaliert, 2020.

Und da war auch Hasmik vor Ort.

Im Grunde hat es immer wieder militärische Angriffe in den Grenzregionen gegeben.

Eine erste größere Eskalation im April 2016

und dann der zweite Bergkarabach-Krieg im Herbst 2020.

Und den hat auch Hasmik am eigenen Leib gespürt.

Ich habe sie gefragt, ob sie sich noch erinnern kann

an den Moment, wo sie realisiert hat, dass sie im Krieg ist.

Erzählte dann, dass es 7.30 Uhr morgens war, es war ein Sonntag,

das wusste sie noch.

Sie sagte, wir haben alle geschlafen.

Es gab ja schließlich keine Schule oder Arbeit an dem Tag.

Und das erste, was sie so gehört hat, war so ein ...

Sie hat da ein bisschen mit den Worten gerungen.

Sie meinte so eine Art Rumpeln.

Also so ein sehr lautes Geräusch.

Aber weil sie noch geschlafen hat,

hat sie dieses Geräusch in ihren Traum eingebaut.

Das passiert ja manchmal.

Man baut so den Weckerton in den Traum ein.

Und dann hat sie so im Traum gesehen,

wie aus einem großen Auto

irgendwas Lautes abgeladen wird.

Also ich stelle es mir vor wie so ein Schutt,

der von der Lkw-Ladefläche abgelassen wird.

Und das hat aber nur eine Sekunde angedauert,

weil sie dann sofort ihre Mutter sehr laut hat schreien hören.

Und sie hat geschrien, ihr müsst aufstehen, wir müssen fliehen.

Sie wusste nur, es muss jetzt schnell gehen.

Und dann sind sie als Familie rausgelaufen.

Sie hat der CT haben so eine Art Balkon an ihrem Haus.

Und da hat sie dann zum ersten Mal gesehen,

wovon dieses Geräusch kam, nämlich von Bomben.

Die, wie Regen hat sie gesagt,

sozusagen runtergeprasselt sind auf den Ort.

Ja, und dann sind sie in die Schutzräume gegangen.

Und sie meinte, das war der Moment, wo sie realisiert hat,

das nächste Haus könnte unseres sein.

Also sie und ihre Familie waren dann für etwa,

sie konnte sich nicht genau erinnern ein

oder zwei Nächte noch in ihrem Wohnort in Bergraderbach

und haben dann aber beschlossen, dass sie raus müssen.

Dann ist sie mit ihrer Mutter, ihren Großeltern

und ihrem kleinen Bruder geflüchtet.

Und sie musste aber zurückbleiben.

Der Vater bleibt zurück, warum?

Weil alle erwachsenen Männer zurückbleiben mussten,

um zu kämpfen.

Als Soldaten mussten sie zurückbleiben.

Welche Rolle spielt eigentlich Russland in dem Konflikt?

Also Russland galt damals als Schutzmacht Armeniens,

wobei sich schon im Krieg 2020 eigentlich gezeigt hat,

dass Russland kein zuverlässiger Partner für Armenien ist.

Die russische Regierung hat sich in diesem Krieg eigentlich rausgehalten.

Und Armenien war de facto auf sich allein gestellt.

Also bis auf die Waffendieferung, die es ohnehin schon

ohne diesen Krieg mit Russland vereinbart hatte,

gab es keine zusätzliche militärische Unterstützung seitens Russland.

Was Azerbaijan angeht, war tatsächlich die Türkei in diesem Krieg,

der wichtigste Verbündete für Azerbaijan.

Die Regierung von Erdogan hat Azerbaijan nicht nur

mit Waffen und Kampfdrohnen unterstützt,

sondern auch syrische Söldner rekrutiert.

Und es war ohnehin schon so, dass Armenien-Azerbaijan

militärisch deutlich unterlegen war.

Aber es waren eben auch vor allem diese Kampfdrohnen

aus der Türkei und Israel, die einen großen Vorteil

für Azerbaijan dargestellt haben.

Wie ist dieser Krieg 2020 ausgegangen?

Wohin hat er geführt?

Also der Krieg ist zugunsten Azerbaijans ausgegangen.

Das Land konnte große Gebiete von Beggradabach einnehmen.

Und dazu gehörten auch die sieben von Armenien

damals besetzten Pufferzonen.

Im November 2020 haben die beiden Kriegsparteien

dann einen Waffenstillstand unterzeichnet.

Und was macht Hasmik dann?

Sie hatte ja beschlossen zurückzukehren,

um ihren Schulabschluss zu machen.

Und das hat sie dann auch sofort gesetzt.

Und ich wollte auch von ihr wissen, wie das eigentlich war,

nach so einem Krieg dann zurückzukehren nach Hause.

Und sie hat mir erzählt,

dass es so war, dass ihr Vater nach dem Krieg dann ausreisen durfte

und sie mit dem Auto abgeholt hat.

Und sie sagte, bevor wir diese Grenze erreicht haben,

waren wir irgendwie alle glücklich,

weil sie wussten, dass sie keine Familienangehörigen verloren haben.

Sie waren alles in allem glücklich, dass es jetzt nach Hause geht.

Und das hat sich aber schlagartig geändert,

als sie die Grenze passiert haben.

Es war Herbst, November, das heißt, keine Blätter an den Bäumen,

kaltes Wetter, grauer Himmel.

Und es gab kurz nach diesem Waffenstillstandsabkommen

ungefähr eine Woche, in der die Armenierinnen

aus den von Azerbaijanen eingenommenen Gebieten

ihre Häuser räumen konnten, bis das Gebiet offiziell an Azerbaijan ging.

Und viele Menschen haben dann beschlossen,

dass sie ihre Häuser anzünden,

weil sie diese Häuser eben nicht Azerbaijanern überlassen wollten.

Und sie meinte, man fuhr da eben durch.

Man sah überall diese verkohlten oder verbrannten Häuserruinen.

Man sah asabajanische Schmierereien an den Wänden.

Sie sagte, es lagen teilweise Militäruniform,

armenischer Soldaten rum,

teilweise auch militärisches Equipment an den Straßenrändern.

Und sie sagte, ab dem Zeitpunkt haben wir eigentlich den Rest der Fahrt geschwiegen.

Und sie sagte, wirklich in diesem Moment

sei jegliche Vorfreude aufs Wieder nach Hause kommen,

komplett verflogen gewesen.

Aber das heißt, sie ist ja nicht dort geblieben.

Sie ist jetzt in Deutschland.

Wie kam das dann?

Ja, Hasmik hat ja Familie hier in Deutschland.

Sie ist dann als Opern nach Deutschland gekommen.

Und im Anschluss eben hat sie einen Sprachkurs angefangen.

Und jetzt fängt sie in diesem Semester ihr Studium an.

Und wie hat sich in der Zeit die Situation in Berkarabach entwickelt?

Also, ab Ende 2000 war die Situation in Berkarabach

also ab Ende 2022 wurde die einzige Zufahrtsstraße,

die Armenien und Berkarabach verbunden hat miteinander blockiert.

Und diese Blockade hatte eben zur Folge,

dass die Bevölkerung in Berkarabach, das waren nach offiziellen Angaben

damals 120.000 Menschen,

keinen regelmäßigen Zugang hatten

zu Lieferungen von Lebensmitteln oder Medikamenten.

Also über 9 Monate lang wurden die Leute dort von allem abgeschnitten,

was man zum Überleben braucht,

was vor allem in den Sommermonaten 2023

sich nochmal deutlich verschärft hat, die Lage.

Sie ist in Deutschland, ihre Familie in Krisengebiet.

Wie geht's ihr damit?

Also sie hat natürlich jeden Tag Kontakt zu ihrer Familie gehabt,

so gut das möglich war, auch trotz Strom- und Internetausfällen.

Sie sagte, und das haben tatsächlich einige Leute berichtet,

mit denen ich mich unterhalten habe,

dass ihre Familie, speziell ihr Vater,

nie so richtig mit der Sprache rausgerückt ist,

wie es wirklich ist,

weil er nicht wollte, dass sie sich schlecht fühlt.

Jedes Mal, wenn ich mit meinem Vater gesprochen habe,

hat er die Situation schön geredet,

damit ich mir keine Sorgen mache.

Und er hat immer wieder gesagt, dass alles gut sei.

Aber ab einem gewissen Punkt hat auch sie gemerkt,

dass die Stimmung sich verändert.

Wenn sie dann dann doch ab und an mal gehört hat,

naja, uns jetzt, heute geht uns das Salz aus.

Wir haben jetzt schon seit zwei Tagen

keinen Brot mehr kaufen können in der Bäckerei.

Und dann sagte sie, haben auch die Märchen,

hat sie es genannt, von ihrem Vater keinen Sinn mehr ergeben.

Hasmika hat mir erzählt,

dass bei ihrer Mutter

im Sommer gesundheitliche Probleme festgestellt wurden.

Sie hatte Schwierigkeiten zu atmen.

Und die Mutter hat sich die längere Zeit geweigert,

ins Krankenhaus zu gehen,

weil sie gesagt hat, wir haben eh so wenig Sprit im Moment.

Was ist, wenn wir irgendwie

einen richtigen Notfall haben in Anführungsstrichen?

Und dann können wir nicht dahin fahren,

weil ihr mich zum Krankenhaus gebracht habt.

Sie ist dann irgendwann doch ins Krankenhaus gebracht worden.

Und da hat man aber sehr schnell festgestellt,

wir können hier nicht helfen.

Sie müsste dringend nach Jedevan verlegt werden.

Die einzige internationale Organisation,

die zu diesem Zeitpunkt Zugang hatte nach Bergradabach,

war das Internationale Rote Kreuz.

Und mit einem dieser Krankentransporte ist Hasmik's Mutter

dann Mitte August aus Bergradabach rausgekommen.

Wenn man das so hört, dann fragt man sich ja schon,

wieso gibt es da nicht mehr Hilfe für die Menschen in Bergradabach,

wenn es denen da so schlecht geht?

Also warum gibt es da dann ansonsten keine Hilfe?

Man kann es eigentlich nicht anders sagen,

als dass die Armenierin in diesem Fall

von der sogenannten internationalen Gemeinschaft

im Stich gelassen wurden.

Es ist nicht so, als hätte das keiner mitbekommen.

Also es hat mehrere Urteile von den Armenierinnen,

also es hat mehrere Urteile vom Internationalen Gerichtshof gegeben,

dass die Blockade aufgelöst werden soll.

Die EU hat versucht zu vermitteln,

US-Ausminister Blinken hat versucht zu vermitteln.

Wie gesagt, das Internationale Rote Kreuz

hat immer wieder appelliert, wie prekär die Situation ist.

Aber es ist eben seitens der internationalen Politik

immer nur bei relativ zahnlosen Statements geblieben.

Internationale Gemeinschaft ist sehr abstrakt,

machen wir es mal konkret, wie steht denn Deutschland dazu?

Also die Bundesregierung hat sich sehr zurückgehalten,

was Äußerungen zu dieser Blockade angeht.

Ich begrüße heute sehr herzlich den Staatspräsidenten

Azerbaijan hier in Berlin zu besuchen.

Bundeskanzer Scholz hat sich noch im März 2023,

da war die Blockade also seit vier Monaten im Gange,

mit dem Staatspräsidenten von Azerbaijan getroffen

und ihn im Rahmen der gestiegenen Gaslieferung

zwischen Azerbaijan und der EU

als Partner von wachsender Bedeutung bezeichnet.

Und auch Außenministerin Annalena Baerbock

hat sich sehr lange nicht geäußert zur Blockade.

Und erst Ende August 2023, also als die Blockade

schon neun Monate angehalten hatte,

hat sie ein deutliches Statement abgegeben.

Allerdings auch hier war es wieder, muss man so sagen,

nur eine Aufforderung an Azerbaijan, die Blockade zu beenden.

Und all diese Aufforderungen haben eben

in den Monaten vorher leider nichts bewirkt.

Dann kam der 19. September.

Azerbaijan hat die Kaukasus-Region Berkarabach militärisch angegriffen.

Und an diesem Tag hat Azerbaijan

einen groß angelegten militärischen Angriff

auf Berkarabach gestartet

und im Prinzip die Region innerhalb von 24 Stunden

unter seine Kontrolle gebracht.

Also schon am 20. September

wurde die Kapitulation der Armenier in Berkarabach vermeldet

und ab dann war eigentlich klar,

dass die Armenier in Berkarabach in akuter Gefahr sind.

Natürlich herrscht in beiden Gesellschaften

allein schon aufgrund der Erfahrungen

aus der Vergangenheit eine Feinschaft gegenüber

der jeweils anderen Bevölkerung.

Aber man muss eben dazusagen,

dass es Teil des aserbajanischen Staatsnarratives

ist, einen rassistischen Hass gegen Armenier in zu hegen.

Letztens erst hat eine aserbajanische Abgeordnete

im türkischen Staatsfernsehen

die Menschen in Berkarabach als Tumor bezeichnet,

denen es chirurgisch zu entfernen gilt.

Es gab kurz nach dem Krieg 2020

in aserbajanen Briefmarken.

Die wurden damals gedruckt,

mit einer Landkarte war da zu sehen,

die Berkarabach zeigt.

Und diese Region wurde von einer Person

im Schutzanzug desinfiziert.

Ilham Aliyev, also der Staatspräsident von Berkarabach,

hat Armenier in auch zum Ende des Kriegs 2020

als Hunde bezeichnet, die gejagt wurden.

Und ich finde, wenn man sich das alles vor Augen hält,

muss man, glaube ich, gar nicht mehr so viel erklären,

warum sich Armenier in unter der Kontrolle von aserbajanern

unsicher fühlen.

Und keinerlei Vertrauen in diese Sicherheitsbeteuerung haben,

die das aserbajanische Regime in den Tagen nach

diesem Überfall von sich gegeben hat.

Nach dem Ende der Kämpfe um Berkarabach

war dort die Entwaffnung.

Schon vor der Meldung,

dass sich die selbst ernannte Republik Azach

oder Berkarabach auflösen soll,

haben die Menschen realisiert,

wir können hier nicht länger bleiben.

Das heißt, sie haben das gepackt, was sie mitnehmen konnten,

was ihnen irgendwie teuer war,

wenn sie überhaupt die Möglichkeit hatten.

Weil es schon in den ersten Tagen nach diesem Angriff natürlich auch Leute

aus ihren Häusern geflüchtet sind

und nur das bei sich hatten, was sie getragen haben.

In weniger als einer Woche

sind über 100.000 Armenier-Innen aus Berkarabach vertrieben worden.

Also es sind nur noch sehr, sehr wenige armenische Menschen

in Berkarabach

und da bemüht sich aktuell das internationale rote Kreuz

sie rauszuholen.

Wie ist denn da eigentlich die Außenwahrnehmung

von diesem Konflikt?

Zum ersten würde ich sagen, etwas, was sehr kurz gekommen ist,

ist in der Berichterstattung diese Blockade.

Also ich habe in den letzten Wochen

mit mehreren Leuten mich darüber unterhalten

und sie hatten jetzt die Eskalation vom 19. September mitbekommen.

Aber dass dort nach offiziellen Angaben 120.000 Armenier-Innen

über neun Monate ausgehungert wurden,

hatten wirklich nur die wenigsten mitbekommen.

Und da hat man viel auch von armenischen Stimmen gehört,

wo war dir eigentlich in den letzten neun Monaten,

als wir hier sozusagen um Hilfe gerufen haben.

Ist die Bedrohung für die Armenierinnen und Armenier jetzt vorbei

oder wie geht das weiter für die?

Schon kurz nach dieser Einnahme von Berkarabach

wurde in dem aserbajanischen Narrativ immer öfter

über die vermeintliche Rückeroberung

West-Azerbajans in ganz großen Anführungsstrichen gesprochen.

Dieses West-Azerbajan und diese angebliche Rückeroberung,

das ist Staatspropaganda.

Damit will das Regime in Aserbajan

einen vermeintlich historischen Anspruch auf Armenien,

teilweise auch auf Yerevan,

also auf die Hauptstadt Armeniens, zementieren.

Und darin spielt eben noch ein anderer Faktor,

eine wichtige Rolle.

Und zwar möchte Aserbajan einen Korridor errichten,

der durch das südliche Armenien führen soll.

Und dieser Korridor würde Aserbajan

eine direkte Verbindung zu Türkei ermöglichen.

Und Armenierinnen befürchten eben,

dass dieser Korridor das nächste sein könnte

im Süden Armeniens,

was Aserbajan dann im Notfall mit militärischer Gewalt durchsetzen möchte.

Was sagt Deutschland denn offiziell dazu?

Da werden Menschen die kritische Infrastruktur abgeschnitten,

die werden bombardiert, vertrieben.

Was sagt Deutschland dazu?

Deutschland verurteilt das,

zahlt auch Hilfslieferungen,

also hat angekündigt,

finanzielle Unterstützung für die Vertriebenen

aus Bergradabach bereitzustellen.

Aber letzten Endes,

scheint es aktuell darauf hinaus zu laufen,

dass Aserbajan all das, was in den letzten Wochen,

aber auch in den Monaten, also in der Blockade passiert ist,

unsanktioniert durchgeführt hat.

Wie denkt Hasmik denn jetzt darüber?

Auch, dass sie nicht mehr zurückkehren kann nach Bergradabach?

Das ist für sie sehr, sehr hart, das zu akzeptieren.

Ich habe sie auch gefragt,

was sie tun würde,

wenn sie eines Tages wieder nach Bergradabach zurückkehren könnte.

Sie hat gesagt, sie glaubt zwar nicht,

dass der Tag eintreten wird,

aber wahrscheinlich würde sie als erstes

das Grab ihres Opas besuchen,

weil sie eine sehr enge Bindung zu ihm hatte

und sie quasi mit ihm aufgewachsen ist.

Also es waren immer so er und sie wie so ein Duo.

Und sie sagt, wenn sein Grab noch existieren würde,

würde sie dort hingehen und würde mit ihm sprechen,

würde sich ihm anvertrauen, würde richtig weinen,

hat sie gesagt, und einfach erst mal bei ihm sein.

Marianna, vielen Dank, dass du uns davon erzählt hast.

Danke euch.

Wir haben uns heute bei 11km die Zeit genommen,

einen Konflikt zu verstehen,

der gerade wenig Platz hat in den Nachrichten

mit Marianna Danian vom WDR.

Das war 11km in der ARD-Audiothek

und überall, wo es sonst Podcasts gibt.

Am Montag kommt die nächste Folge von 11km,

abonniert uns gern, dann verpasst ihr nichts.

Auto dieser Folge ist Hans-Christoph Böhringer.

Mitgearbeitet haben Katharina Hübel und Hannes Kunz.

Zola Kierstein, Rud Ostermann und Jürgen Kopp.

Redaktionsleitung Glena Gürtler und Fumiko Lipp.

11km ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Mein Name ist Victoria Kugmann.

Wir hören uns am Montag wieder.

Ciao.

Und hier noch ein Hör-Tipp.

Wir haben euch schon mal den Podcast Dark Matters empfohlen.

Und der ist jetzt mit einer zweiten Staffel zurück.

Mit wahren Fällen internationaler Geheimdienste.

Tief recherchiert, spannend erzählt und professionell produziert.

Hört selbst.

Hallo, ich bin Eva-Maria Lemke.

Unser Podcast Dark Matters,

Geheimnisse der Geheimdienste geht weiter.

In Staffel 1 haben wir euch von den deutschen Nachrichtendiensten erzählt.

Jetzt in der zweiten Staffel gucken wir raus in die Welt.

Die Geheimdienste anderer Länder,

die wirken ja noch um einiges mysteriöse als unsere eigenen,

weil sie die Lizenz zum Töten haben,

weil sie Weltgeschichte schreiben

und manchmal auch richtig schmutzige Methoden anwenden.

Giftanschläge, brutale Terrorattacken, russische Spione in Deutschland.

Jede Woche schauen wir uns mit unseren ARD-Experten

einen Fall an, der die Tür zu einem Geheimdienst ein bisschen öffnet

und uns Dinge verrät, die wir eigentlich nicht wissen sollten.

Dark Matters in der ARD-Audiothek

und überall sonst wo es Podcasts gibt.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Es ist das Ende eines Staates, den es eigentlich nie geben durfte: Mit dem jüngsten Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach am 19.September 2023 hat das vorläufig letzte Kapitel der seit über 100 Jahren umkämpften Kaukasus-Region begonnen. Über 100.000 Menschen haben ihre Heimat verloren und viele sind mittlerweile auf der Flucht. WDR-Journalistin Marianna Deinyan erzählt uns in dieser 11KM-Folge die Geschichte von Hasmik, einer 20-jährigen Armenierin. Anhand ihrer Geschichte erklärt uns Marianna Deinyan die Hintergründe des Konflikts und analysiert die Rolle Deutschlands dabei.



Nachrichten zur aktuellen Lage in Bergkarabach findet ihr hier auf tagesschau.de:

https://www.tagesschau.de/thema/bergkarabach



Und hier geht es zur zweiten Staffel von "Dark Matters" - unserem Podcast-Tipp in der ARD Audiothek:

https://www.ardaudiothek.de/sendung/dark-matters-geheimnisse-der-geheimdienste/12449787/



An dieser Folge waren beteiligt:

Folgenautor: Hans Christoph Böhringer

Mitarbeit: Katharina Hübel und Hannes Kunz

Produktion: Ursula Kirstein, Ruth Ostermann und Jürgen Kopp

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler



11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Folge liegt beim BR.