FALTER Radio: Kommunikationskrise unserer Zeit - #927

FALTER FALTER 4/23/23 - Episode Page - 29m - PDF Transcript

Die Fall der Sommergespräche im Wienermuseumsquartier zu den heißen Themen des Jahres.

Mittwoch, den 30. August, nimmt die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler-Platt.

Es geht um die drängende Frage, wie wir die Klimawende schaffen.

Umweltministerin Leonore Gewessler im Gespräch mit Barbara Todt und Katharina Krobshofer.

Mittwoch, den 30. August und 19 Uhr auf der Bühne im großen Hof im Museumsquartier in Wien.

Der Eintritt ist frei. Schauen Sie doch vorbei.

Falter Radio, der Podcast mit Raimund Löw.

Sehr herzlich willkommen, meine Damen und Herren im Falter Radio.

Krisen, Kommunikation und Kommunikationskrisen, das klingt etwas sperrig.

Betrifft aber Fragen, die wichtig sind, um die Entwicklung unserer Gesellschaft zu verstehen.

Die Linguistin Ruth Wodak setziert in einer Wiener Vorlesung die neuen Normalitäten der Krisenkommunikation

unter den Vorzeichen von Krieg und Corona.

Ruth Wodak hat im letzten Jahr einen Preis bekommen, der nach dem vielseitigen

österreichisch-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlerweg benannt ist.

Sie beschreibt in ihrem Vortrag eine aktuelle Polikrisis.

Viele Krisen ergeben eine qualitativ größere Krise als die Summe aller Teile,

dass sie die neue Normalität, so sagt Ruth Wodak, die sich in ihrem Vortrag auf Paul Watzlerweg bezieht,

den vielseitigen Psychotherapeuten und Vordenker mit österreichischem und kalifornischem Hintergrund.

Doch hören Sie selbst.

Paul Watzlerweg gilt unter anderem als führender Forscher im Bereich der linguistischen Pragmatik,

also jenem Zweig der Sprachwissenschaft, der unter anderem Äußerungen auf deren Wirkungen hin analysiert.

Denn entgegen vieler landläufiger Meinungen ist Kommunikation sowohl schriftlich wie mündlich oder visuell

immer auch handeln. Wir sprechen auch von Sprachhandeln.

Wir erlernen im Elternhaus, Schule und im Berufsleben die Regeln vieler Sprachspiele kennen

und uns je nach Kontext adäquat innerhalb des jeweiligen Regelwerks zu bewegen.

Wir wissen auch, welche negativen Sanktionen drohen, wenn man die Regeln nicht befolgt.

Was also etwa passiert oder passieren könnte, ja sollte, wenn man Versprechen nicht einhält

oder Unwahrheiten erzählt oder sich nach Regelverletzungen nicht entschuldigt und finde es andere mehr.

Wie Watzlerweg in der Anleitung zum Unglücklichsein aus dem Jahre 1983 leicht nachvollziehbar ausführt,

können sich sowohl Individuen wie Kollektive selbst, bewusst oder unbewusst, durch bestimmte Strategien des Sprachhandelns

glücklich oder unglücklich machen.

Diskursanalytisch gesprochen meint dies, dass es diskursive Muster gibt, die zu einer gelingenden Kommunikation beitragen,

oder zu einem Klarnmisserfolg führen. Dies gilt selbstverständlich auch für Krisenkommunikation.

Auf einige der vielen Dimensionen von Krisenkommunikation komme ich noch, wie der Titel des Vortrags verspricht, ausführlicher zurück.

Heute ist es mir auch besonders wichtig, mich bei Dr. Erhard Busseck zu bedanken.

Erhard Busseck, der diesen Preis mit ins Leben gerufen hatte, hat als Vizebürgermeister von Wien und später als Wissenschaftsminister

meine Forschungsagenda beeinflusst und auch gefördert.

Als Politiker interessierte sich Erhard Busseck schon in den frühen 1980er-Jahren für Diskursanalytische Studien zur politischen Kommunikation,

insbesondere in Bezug auf Wahlkampfrhetorik und Protestbewegungen.

Damals steckte die Diskursforschung noch in den Kinderschulen.

Mit der qualitativen Analyse politischer Kommunikation hatte man gerade erst begonnen

und sich vor allem dem Verstehen und Erklären der Propaganda totalitärer Regime zugewandt,

im Gefolge von Dr. Clemperer, George Orwell, Hannah Arendt, Theodor We. Adorno und Leo Löwental.

Schade, dass ich Dr. Busseck meinen Dank nicht mehr persönlich überbringen kann.

Nun komme ich zu einigen Überlegungen zur Krisenkommunikation bzw. Kommunikationskrise

und den daraus folgenden, oft betonten, neuen Normalitäten.

Natürlich wusste ich nicht, wie ich diesen Vortrag konzipiert habe, welche Krise uns gerade alle erschüttert,

sonst hätte ich den anders schreiben müssen.

Dass die Krisenkommunikation der österreichischen Regierung während der Covid-19-Pandemie häufig irreführend war,

waslawikatis in wie wirklich ist die Wirklichkeit als Konfusion bezeichnet

und daher nicht die gewünschte Wirkung etwa eine höhere Impfquote erzielte, ist wohl unumstritten.

Der ritualisierten Inszenierung der Politik in unzähligen Pressekonferenzen wurden wichtige Inhalte geopfert.

Es darf nicht verwundern, dass aufgrund der vielen einander zu oft widersprechenden Ankündigungen

der nicht eingehaltenen Versprechen und letztlich aufgrund des peinlichen Theaters rund um die Impfpflicht

viele Bürgerinnen verärgert waren und sind.

Und viele sich der Herr Protestbewegungen angeschlossen haben,

die auch von rechtsextremen und rechtspopulistischen Politikerinnen ausgenutzt wurden und werden.

Gleichzeitig wurde metaphorisch als Licht am Ende des Tunnels eine neue Normalität beschworen.

Als Diskursforscherin frage ich mich nun, wie eine solche Krisenkommunikation anders und besser zu gestalten wäre,

auch auf dem Hintergrund der Ansichten von Paul Watzlerwick.

Ich frage mich auch, wie sich denn manche Politikerinnen und Medien die neuen Normalitäten vorstellen,

die nach der Krise kommen sollten.

Der Begriff neuen Normalität ist übrigens keineswegs neu,

sondern wurde seit dem Ersten Weltkrieg etwa 1918 von dem New Yorker Zeitungsherausgeber Henry Wisewood ins Spiel gebracht.

Zunächst, wie definiert man Krise?

Dazu meinte der Historiker Reinhard Koselek, dass, ich zitiere,

die allgemeine Unsicherheit in einer kritischen Situation durchzogen ist von der Gewissheit,

dass unbestimmt wann, aber doch bestimmt, unsicher wie, aber doch sicher,

ein Ende des kritischen Zustands bevorsteht.

Kann man tatsächlich vom deutlichen Beginn und Ende einer Krise sprechen?

Manchmal gibt es eindeutige Zeitpunkte wie den 24. Februar 2022,

als die Invasion der Ukraine durch die Russische Federation begann.

Allerdings braute sich diese Krise schon länger zusammen.

Wo setzt man also an?

Viele Interpretationen, Spekulationen und Narrative mehren sich,

die den Verlauf oder eigentlichen Beginn festsetzen wollen.

Ich will mich hier nicht als Prophetin aufspielen, besitze auch keine Glaskugel,

denn ich bin, wie Sie wissen, weder Historikerin, noch Politikwissenschaftlerin oder Ökonomin.

Als Diskursforscherin beschäftige ich mit dem Diskurs über Krisen

und ihre Entwicklungen bzw. mit dem Diskurs wie Politikerinnen und Medienkrisen

ihre Ursachen und ihre Folgewirkungen in der Öffentlichkeit benennen.

Erklären, wer Feinde und Freunde, Schuldige und Opfer sein

und vor allem kurz, mittel und seltener langfristige Folgen einzuschätzen versuchen.

Außerdem analysieren wir Resonanz und Wirkungen der Krisenkommunikation.

Krisen stellen jeglichen Normalzustand auf den Kopf.

Das schafft einerseits viel Unsicherheit, andererseits eröffnen Krisen neue Optionen,

neue Horizonte, damit auch neue Ordnungen und Möglichkeiten.

Heutzutage befindet sich die gesamte Welt in einer sogenannten Polycrisis.

Dies ist ein Begriff, den der Historiker Adam Toos 2022

von früheren Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker übernommen hat,

den im Juni 2016 schon in einer viel beachteten Rede zum Zustand der EU in Athen verwendet hatte.

Toos definiert Polycrisis, als ich zitiere, nicht nur eine Situation,

in der man mit vielen Krisen konfrontiert ist.

Es ist eine Situation, in der das gesamte Geschehen gefährlicher ist

als die simple Addition der einzelnen Teile.

Ende des Stats.

In den sogenannten Krisenbildern, die Toos entwirft, verbindet er die Vielfalt

von Krisen und einzelner Faktoren durch Vektoren, um gegenseitige Einflüsse plausibel zu machen.

So manifestiert sich die Klimakrise systemisch seit Jahrzehnten.

Im Sommer 2022 sind über 30 Millionen Menschen im Pakistan

aufgrund sturmartiger Regenfälle und Überschwemmungen obdachlos geworden.

In Spanien und Italien sind große Landstriche vertrocknet,

Arkane haben Mitteleuropa erreicht und in den Alpen schmelzen die Gletscher.

Gleichzeitig tobt, wie schon erwähnt, ein Krieg in der Ukraine

aufgrund einer völkerrechtswidrigen Invasion durch die Russische Föderation.

Die Folgen betreffen Millionen Menschen, lokal, regional, national und global.

Außerdem die Teuerungskrise, die Inflation, die Knappheit von Energie,

die Behinderung des Exports, lebensnotwendigen Getreides, Armut,

Flucht und Migration von Millionen Menschen und so weiter.

Hinzu kommen jeweils innenpolitische Krisen, die zumindest teilweise,

wie denn schon erwähnten, globalen Krisen zusammenhängen.

Ein weiterer relevanter Faktor im Krisengeschehen sind die sozialen Medien,

durch welche neue Informationen zu all den genannten Krisen und etwa neuen Krisen

ungefiltert jede Minute oder sageur Sekunde auf unseren Bildschirmen eintreffen.

Diese rasante Beschleunigung verunmöglicht jegliche Reflexion,

eine notwendige Distanzierung, um sich ein Gesamtbild zu machen

und begründete rationale Entscheidungen fällen zu können.

Denn es bedarf genauer und vielfältiger Recherchen,

um Fakten von gezielter Desinformation und Propaganda zu unterscheiden.

Beispielsweise konnte die brasilianische Kommunikationswissenschaftlerin Marie Santini

bei der Untersuchung von Jair Bolsonaro's Wahlkampf 2022

anhand der quantitativen Analyse von über 19 Millionen Tweets,

aller Postings bei Telegram, WhatsApp, Facebook, TikTok, YouTube und Instagram nachweisen,

dass ca. 30% aller dieser Texte von Bots stammten und nicht von Personen oder Personengruppen.

Das heißt, dass Algorithmen in den Diensten von Propagandamaschinerin

systematisch flächendeckende Desinformationen erzeugt haben und erzeugen.

Und dies geschieht schon seit einigen Jahren etwa während der Brexit-Kampagne

und auch Trumps Wahlkampf 2016.

Bolsonaro kopierte bekanntlich Donald Trumps Methoden.

Er verbreitete während des Wahlkampf bewusst explizite Lügen.

Lügen scheinen akzeptabel geworden zu sein.

Obwohl sie allesamt Anstoß erregt haben, nur in der Folge normal zu werden

und in den Mainstream-Diskurs einzufliessen.

Also man darf jetzt Lügen.

Zur Information.

Abgesehen von der Big Light, der großen Lügel, dass er die Wahl 2020 gewonnen hätte,

verbreitete Trump während seiner Amtszeit, wie der Washington Post Fact Checker dokumentiert,

16.241 Lügen, meist in einem seiner 34.000 Tweets verpackt.

Dies ist hoffentlich nicht die neue Normalität, mit der wir uns abfinden müssen.

Reflektierte Entschleunigung bleibt in dieser Gemengelage meist ein former Wunsch.

Ein Ende der Polycrisis ist momentan nicht absehbar.

Die Unsicherheit wächst und damit auch die dadurch erzeugte Angst.

Letztere wird vielfach durch verschiedene Politikerinnen instrumentalisiert

und nationale und parteipolitische Interessen durchzusetzen, ohne an langfristige Folgen zu denken.

Also eine Politik mit der Angst.

In der Folge kommt es zur Polarisierung der Gesellschaft.

Polarisierung bedeutet ein Denken in Antinomien, in Gut und Böse, in Wir und die Anderen,

ohne Niosen und Differenzierungen.

Diskussion, Argumentation, Deliberation sind meist unerwünscht.

Niemand drückt vom jeweiligen Standpunkt ab.

Fakten spielen trotz vieler Interviews mit Expertinnen, wenig oder gar keine Rolle.

Er werden häufig, wie die Hannah Arendt schon in den 1970er Jahren beschrieben hatte,

zu Meinungen degradiert.

Es geht um Glaubensgebäude, um die Schaffung von Sündenböcken

und damit zusammenhängenden manchmal auch antisemitischen Verschwörungsnarrativen,

jedenfalls nicht um Wissen.

Überzeugungsarbeit bleibt oft vergeblich.

Es handelt sich also um unterschiedliche Diskurswelten.

In diesem Zusammenhang meinte Watzlawik in seinem Werk, wie wirklich ist die Wirklichkeit,

Sie haben das schon zitiert, dass jeder seine eigene Wirklichkeit besitzt

und weiter, dass nur die eigene Meinung die richtige sei.

Damit sprach Watzlawik schon 1976 ein zentrales Element der zunehmenden

Polarisierung in vielen Gesellschaften an.

Darf oder soll man alle aufeinander widersprechende Wirklichkeiten

gleichermaßen respektieren oder doch auf Fakten und wissenschaftliche Expertise behan,

obwohl einem rezenten Ausspruch eines österreichischen Politikers gemäß

Wissenschaft und Fakten ganz unterschiedliche Dinge seien.

Nach welchen Kriterien und Normen beurteilt man nun die jeweils konstruierten Wirklichkeiten?

Bekanntlich sind manche soziale Normen explizit verankert in den Menschen- und Kinderrechten,

in den europäischen Verträgen, in der Genfer Flüchtlingskonvention,

in den Verfassungen liberaler Demokratien.

Solche Normen haben oft den Status von Gesetzen, an die man sich zu halten hat.

Und wieder andere Normen sind konventionell festgelegt.

Man wird in diese hinein sozialisiert, etwa in Höflichkeitskonventionen

oder in Konventionen der Dialogführung.

Wie der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak im Bezug auf die Pandemie schlüssig argumentierte,

müssten das Recht auf Leben und Gesundheit mit anderen Menschenrechten,

wie Freizügigkeit und Recht auf Bildung und Arbeit, in Einklang gebracht werden.

Ein durchaus schwieriges und sensibles Unterfangen.

Wir erinnern uns an den bemerkenswerten Ausspruch der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel

vom 17. November 2020, dass ich zitiere, die Maßnahmen eine demokratische Zumutung sind.

Ende des Zitats.

Dieser Ausspruch manifestiert genau eine solche schwierige Gratwanderung.

Und nun zu den angesagten neuen Normalitäten nach der Krise.

Seit der Pandemie überschlugen sich weltweit die Schlagzeilen mit der Ansage,

eine neue Normalität sei erwartbar oder sogar schon eingetreten.

Alle Schlagzeilen setzen entweder eine Rückkehr zu früher voraus

oder den Zustand der steten Krise als neue Normalität.

Krise ist also normal.

Eine Rückkehr zur häufig herbeigesähnten guten alten Zeit will die jedoch nicht gelingen.

Paul Watzlawig erklärt uns in seiner Anleitung zum Unglücklichsein, was daraus folgt,

wenn man in einer fantasierten und glorifizierten Vergangenheit verharrt.

Einer Retrotopia.

Man verpasst dann nämlich die Gegenwart.

Und natürlich auch die Chancen auf eine bessere Zukunft.

Fantasien einer glücklichen und friedlichen Vergangenheit bleiben unerfüllt und sind gefährlich.

Man kann die Uhr nicht zurückdrehen, auch wenn es die Trampisten, die Brexiteers

oder die Schweden-Demokraten mit ihren Slogans

Make America Great Again oder Take Back Control

oder Make Sweden Good Again in ihrer Propaganda versprechen.

Wenn sich Normen und Normalitäten verschieben und verändern als diskursive Verschiebungen,

so geschieht es schrittweise und in unterschiedlicher Geschwindigkeit

in verschiedenen sozialen Feldern und Bereichen.

Eine solche Ungleichzeitigkeit charakterisiert beispielsweise die Migrations- und Flüchtlingspolitik.

Manche Länder nehmen Flüchtlinge auf, andere nicht.

Manche Länder nehmen nur bestimmte Flüchtlinge auf,

andere Länder machen keinen Unterschied in Hinblick auf Religion, Geschlecht, Alter

und Hautfarbe von Geflüchteten.

Manche Länder kriminalisieren von weg alle Geflüchteten, die an ihre Grenzen kommen.

Bekanntlich brauchen Fluchtweisen am meisten Hilfe.

Doch auch in diesem Fall, man denke an die vielen gestrandeten Kinder

auf Lesbos und Moria, scheiden sich die Geister.

Das Konzept des Migrationsforscher Sebastian Vollmehr,

das anscheinend manche Flüchtlinge eher Hilfe verdienen als andere,

obwohl sicherlich niemand freiwillig flüchtet, bewahrheitet sich immer wieder.

Blicken wir also in eine neue Normalität, in der manche Staaten ihre Flüchtlinge nach Ruanda deportieren?

Diese britische Politik hat jedenfalls in der EU schon Anklang gefunden, etwa in Dänemark.

Die österreichische Regierung überlegt es ebenfalls, obwohl eine solche Politik dem EU-Recht widerspricht.

Hinzu gesellt sich ein Phänomen, das sich kollektive Amnesie bezeichne.

Man hat aus der Geschichte, aus den Fliegen, Fluchtbewegungen und deren Folgen

während es und nach dem Zweiten Weltkrieg nichts gelernt

und scheint sich nicht mehr an die Folgen geschlossener Grenzen zu erinnern bzw. erinnern zu wollen.

Grenzen, die zwischen 1938 und 1945 geflüchtete dazu zwangen,

in sogenannte Dritte Reich zurückzukehren und damit in den sicheren Tod.

Was bedeuten nun nicht vereinbare Diskurswelten

und die daraus folgenden sehr unterschiedlichen Erwartungen

an eine adäquate Krisenkommunikation als Übergang in neue Normalitäten?

Wie vertrauen und damit Gesprächs- und Dialogbereitschaft signalisieren und wiederherstellen?

Leider gibt es dafür kein einfaches Rezept.

Nicht nur sind wir mit unterschiedlichen Wahrheiten konfrontiert,

sondern mit einem Auseinanderklafften von Beziehungs- und Inhalteben.

Denn, wie Watzlawik deutlich und nachvollziehbar erklärte,

jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.

Wenn Polarisierung und damit negative Emotionalisierung die Beziehungsebene erfassen,

dann können Inhalte nicht mehr sachlich diskutiert werden.

Vertrauen herstellen bedeutet daher zunächst Beziehungsarbeit,

die sich durchaus langwierig gestalten kann.

Um die Krise bestmöglich zu bewältigen,

braucht es weiter eine reflektierte Entschleunigung,

sich Zeit zu nehmen zu überlegen,

welche Handlungen auch durchaus unpopuläre zu setzen werden.

Dabei erweisen sich Aufrechnungsstrategien sicherlich nicht als hilfreich.

Wenn jemand andere denselben Fehler begeht,

macht dies das eigene Fehlverhalten um nichts besser.

Ganz besonders waren viele Bürgerinnen während der Covid-19-Krise

von wiederkehrenden Konfusionen enttäuscht,

von den widersprüchlichen Maßnahmen,

die zudem oft unverständlich blieben.

Das Hick-Hack zwischen Regierung und Opposition

bzw. zwischen den Koalitionsparteien,

das Blame-Game war der Vertrauensbildung ebenfalls nicht dienlich.

Viele Bürgerinnen sehnten und sehnen sich

nach mehr Einigkeit und Solidarität in Krisenzeiten.

Es geht nicht darum, besser zu sein als andere

oder gar als erster das Ziel zu durchlaufen.

Politik ist eben nicht ein sportlicher Wettkampf oder ein Spiel.

Eher, um in der Sportmetaphorik zu bleiben,

ein Hürdenlauf ohne Ziellinie.

Das Mantra, man muss den Menschen zuhören,

reicht als Fundament der Vertrauensbildung auch nicht.

In Krisensituationen wollen alle zunächst eine klare

und verständliche Orientierung erhalten,

Erklärungen zur Auswahl der Kriterien zur Entscheidungsfindung

und damit Entscheidungen verstehen.

Daher ist Transparenz der Politikerinnen dringend gefragt.

Zuhören, verstehen, argumentieren, verhandeln,

und funktionieren erst, wenn es gelingt,

Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen,

Beziehungs- und Inhaltebenen Einklang zu bringen,

und Gesprächen getragen von Respekt und auf Augenhöhe.

Daher werden viele auch lokale Öffentlichkeiten zu schaffen,

in denen man Politikerinnen einfach begegnen könnte.

Ein Verstärken von Partizipation ist gefragt,

und zwar nicht nur vor Wahlen alle vier, fünf oder sechs Jahre.

Beispiele dafür gibt es etwa in den USA und in Großbritannien.

Town Hall Meetings erlauben solche Begegnungen,

in denen jede und jede wichtigen regionalen und nationalen

Persönlichkeiten aus der Politik Fragen stellen können

und Antworten erhalten.

Diese Fragen werden nicht von Moderatorinnen vorbereitet,

die Teilnehmerinnen auch nicht speziell ausgesucht.

In der wöchentlichen Question Time TV-Sendung in Großbritannien

jeden Donnerstag von 10 bis 11 Uhr abends

sitzen Politikerinnen einem großen Publikum gegenüber,

das Fragen stellt und präzise Antworten erwartet.

Manche Fragen werden vom Moderator eingeleitet.

Niemand weiß aber, welche Fragen dann im weiteren Folgen.

Mehr Partizipation fördert Mitsprache und Anerkennung,

damit auch Vertrauen.

Partizipation sollte schon in der Schule erlernt werden,

im Sinne der im angloamerikanischen Raum schon lange bestehenden

Media Literacy.

Kinder erlernen dort Texte kritisch zu lesen und zu hinterfragen.

Sie lernen auch zu diskutieren und ihre Anliegen klar und deutlich

zu formulieren.

Dass nun etwa die beiden einzigen bundesweiten Radiosendungen

des ORF für Kinder gestrichen werden könnten,

nämlich die Kinderuni und Rudi, der Radiohund,

ist in diesem Zusammenhang besonders kontraindiziert.

Denn Rudi, der Rasen, der Radiohund,

ist die einzige tägliche Kindersendung,

in der Kinder tatsächlich zu Wort kommen und ihre Anliegen formulieren.

Verschweigen ist sicherlich keine Option,

denn – und hier will ich wiederum Watzlerweg zitieren –

man kann nicht nicht kommunizieren.

Weiter meint er, ich zitiere, die Vermeidung eines Problems

dient dem Zwecke seiner Verewigung.

Ende des Zitats.

Probleme verschwinden eben nicht, auch wenn man sie verschweigt.

Schweigen kann vielfach interpretiert werden

als Zustimmung, als Ablehnung, als Ignorieren,

als Unverständnis oder nicht verstehen.

In jedem Fall schafft Schweigen Konfusion.

Wegschieben oder unter den Teppichkern ablenken und verharmlosen

im Sinne des Häufiggehörten, wir haben alles richtig gemacht?

Nützen ebenfalls nicht.

Man kann und soll Fehler eingestehen.

Man sollte sich dafür entschuldigen

und nicht zu einer Opfertäterumkehr greifen.

Man kann auch eingestehen, dass man noch nicht alles weiß.

Den Krisenphänomene sind allesamt sehr komplex

und verstärken sich gegenseitig.

Jedenfalls sind Lösungsvorschläge,

erklärbare Alternativen gefragt,

handeln und nicht wegschauen.

Gefragt ist ein positiver und emotionaler,

aufklärender Diskurs, der transparent und dialogisch ist,

auf Augenhöhe und damit die negative polarisierende Stimmung durchbricht.

Faktenbasierte Sachlichkeit kann nämlich je nach Kontext

und Textorte durchaus ironisch, witzig, irritierend und berührend sein.

Leider verfolgen viele Politikerinnen jedoch noch immer,

die von Watzler Weg als paradoxe Intervention gedachte,

Anleitung zum Unglücklich sein.

Besonders in der heutigen Polycrisis bleibt wohl der Wunsch,

nach einer Anleitung zum Glücklichsein, eine Utopie.

Was ich mir aber als ersten Schritt in eine neue Normalität wünsche,

die Weihnachtsbeleuchtungen werden ja schon aufgehängt,

ist eine Politik der Rücksichtnahme im Kleinen wie im Großen,

eine Politik der Solidarität.

Damit bin ich hier hoffentlich nicht allein.

Schönen Abend noch.

Das war eine Wiener Vorlesung der Linguistin Ruth Wodack vom 19.10.2022

aus Anders des Paul-Watzler-Weg-Ian-Ringes in Wodack halten hat.

Ich bedanke mich für den Veranstaltern sehr herzlich für die Zusammenarbeit.

Ich verabschiede mich von allen, die uns auf UKW hören,

im Freira, Tirol und auf Radio Agora in Kärnten.

Hinter die Kulissen von Politik und Gesellschaft zu blicken,

das gehört zu DNA des Falter.

Empfehle ich ein Abo-Mau des Falter.

Alle Informationen dazu gibt es auf der Internetseite abo.falter.at.

Ursula Winterauer hat die Signation gestaltet.

Philipp Dietrich betreut die Audio-Technik im Falter.

Ich verabschiede mich bis zur nächsten Sendung.

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Die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak seziert die neuen Normalitäten der Krisenkommunikation unter den Vorzeichen von Krieg und Corona in einer Wiener Vorlesung. 

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