11KM: der tagesschau-Podcast: Israel – Eine Justizreform spaltet ein Land

tagesschau tagesschau 3/23/23 - Episode Page - 23m - PDF Transcript

10.000er gehen in Israel auf die Straße, seit Wochen und Monaten.

Sie protestieren gegen die Justizreform der Regierung.

Weil sie befürchten, diese Justizreform ist das Ende der Demokratie in Israel.

Und Israel-Staatspräsident Yitzhak Herzog war sogar vor einem Bürgerkrieg.

Israel steht politisch an einem Scheideweg und vieles hängt von der Justizreform ab.

Warum die so umstritten ist und warum die Regierung von Benjamin Netanyahu sie haben will,

das erfahrt ihr in dieser Episode.

Ihr hört 11 km der Tagesschau-Podcast. Mein Name ist Victoria Michalsack und heute ist der 23. März.

Ein Thema in aller Tiefe. Das ist unser Versprechen. Heute analysieren wir die Justizreform in aller Tiefe

und das machen wir mit Jan-Christoph Kitzler. Er ist AID-Korrespondent in Tel Aviv.

Jan, hallo.

Du bist ja vor Ort und warst auch auf mehreren dieser Demonstrationen.

Vor allen Dingen am letzten Wochenende waren da wieder Tausende, die protestiert haben.

Wie war das vor Ort, wie ist da die Stimmung?

Die letzten Proteste waren so groß, die noch nie sagen Leute hier und sagen Beobachter, Veranstalter.

260.000 in ganz Israel und das ist interessant.

Am Anfang, als es im Januar begonnen hat, da dachte man, das ist nur Tel Aviv, da ist so ein Platz

und da sind ein paar Leute und das sind alles so ein bisschen linksliberale Tel Aviv-Leute,

die da auf die Straße gehen, aber inzwischen hat das wirklich das ganze Land erfasst.

Die Demonstrationen in Jerusalem natürlich auch in Haifa, aber auch in abgelegenen Orten.

Sogar in einer Siedlung wurde protestiert.

Am Wochenende sind auch Bedouins in der Nägelfüße auf die Straße gegangen

und haben gegen die Justizreformen protestiert.

Alle, die dachten, das ist eine Sache, die verschwindet irgendwann, die wurden eines Besseren belehrt

und es wird tatsächlich wirklich immer größer.

Es gibt jetzt nicht nur die Demonstrationen am Wochenende,

sondern auch immer Mittwoch-Donnerstag ist immer ein National Disruption Day,

wo dann auch sozusagen auf die Straße gegangen wird, Straßen lahmgelegt werden

und das ist wirklich eine Menge Leute, die auf die Straße gehen.

Das ist eine ganz bunte Mischung von Leuten.

Also das sind junge, alte, das sind linke, das sind vielleicht eher konservative.

Das sind Menschen, die haben auch spezielle Themen, zum Beispiel gibt es immer begrüßewährende Gruppe,

die sich auch um den Austkonflikt sorgt und was die Justizreform mit dem macht.

Also ganz bunt eigentlich, was da auf der Straße ist.

Und man sieht auch natürlich an den Leuten, die sich da jetzt besonders hervortun,

das sind zum Beispiel Leute vom Militär, das sind Leute der Wirtschaft, die sich Sorgen machen.

Das sind natürlich Rechtsexperten, Leute, die sich gut auskämmen mit dem Justizsystem

und diese Sorgen machen.

Frauen gehen auf die Straße, weil sie sagen, wir sind die Ersten,

wenn das kein liberaler Staat mehr ist, Israel, die darunter zu leiden haben werden.

Schülerinnen und Schüler, Studierende, das ist wirklich groß geworden

und der Druck auf die Regierung ist inzwischen so groß, dass sie das nicht mehr so ganz übersehen können.

Der Protest richtet sich ja gegen Netanyahu's aktuelle Regierung,

die als die am weitesten rechtsstehende Regierung gilt, seit Gründung Israels.

Springen wir mal in den Dezember 2022, da ist diese neue Regierung zustande gekommen.

Israels ist die neue Regierung unter Premierminister Netanyahu vom Parlament bestätigt worden.

Mit wem regiert der Netanyahu da? Wer ist das? Was ist das für eine Regierung?

Der sechsten Mal Regierungschef des Landes.

Er hat eine Koalition mit mehreren Rechtsextremen.

Netanyahu ist ja ein Fuchs, der regiert Israelischen seit über 15 Jahren.

Der ist mit allen Wassern gewaschen und bisher in allen Regierungen, in denen er vorher war,

hatte er Partner, die links von ihm standen.

Er ist ein Konservativer und er konnte dann immer sozusagen seinen noch konservativen Koalitionspartnern sagen,

guck mal, ich muss Kompromisse machen, weil wir haben hier auch noch einen etwas linkeren Vertreter in der Regierung.

Diesmal hat er das nicht. Alle, mit denen er sich eingelassen hat, stehen rechts zum Teil weit rechts von ihm.

Das sind im Wesentlichen zwei Gruppen.

Ralash, schwach, ruft die Opposition. Der Vorwurf, um an die Macht zu kommen,

hat Netanyahu seinen extremen Koalitionspartnern zu viel Macht eingeräumt.

Das eine sind ultrariligiöse Parteien, also Vertreter des Ultrarotodoksen und ultrariligiösen Judentums.

Die haben eine ganz klare Agenda für die Ultrariligiösen in Israel.

Die wollen, dass religiöse Vorschriften noch mehr Gewicht bekommen im Staat,

dass zum Beispiel im öffentlichen Raum Frauen und Männer stärker getrennt werden,

dass Tourastudenten nicht mehr zum Militärdienst eingezogen werden müssen.

Da geht es auch um die Teilfragen, wie zum Beispiel, was für ein Essen wird im Krankenhaus serviert,

ist das Kosher und so weiter. Die zweite große Gruppe sind die, die als Nationalreligiöse beschrieben werden.

Das sind zum Teil offen rechtsextreme Leute, die ganz stark für die Siedlerlobby eintreten,

die dafür sind, dass der Siedlungsbau in den besetzten Gebieten ausgebaut wird,

dass der jüdische Charakter von Israel immer stärker wird und dass auch zum Beispiel die Vertreter von Minderheiten,

zum Beispiel den palästinienischen Israelis auch in ihrer Repräsentation im Parlament eingeschränkt werden.

Also da geht es auch darum, kann man eine arabische Partei in der Knesset im Parlament verbieten und solche Sachen.

Also die fahren einen ganz klar rechtsnationalen Kurs und mit denen hat er sich eben auch eingelassen.

Ist das denn auch, was die Menschen in Israel wollen? Wie ist denn diese Regierung angesehen in der Bevölkerung?

Also zunächst muss man sagen, die haben eine Mehrheit. Das ist zwar eine knappe Mehrheit,

wenn man sich die Wählerstimmen anguckt, aber in der Knesset haben die vier Stimmen über der Hälfte.

Und das ist für israelische Verhältnisse. Wir hatten jetzt in den letzten 3,5 Jahren fünf Wahlen sehr stabil.

Die haben gemeinsame Agenda. Die sehen jetzt sozusagen auch für sich eine historische Chance.

Das ist das erste Mal, dass eine so rechtere Regierung an der Macht ist.

Die wollen jetzt bestimmte Themen wie zum Beispiel Justizreform durchsetzen und deswegen drücken die so auf die Tube.

Die wollen jetzt wirklich Gas geben und wollen das ganz schnell machen, weil sie sehen,

wir haben jetzt eine historische Chance, die Themen, die uns schlimmer am Herzen liegen, die wir bisher nicht machen konnten,

weil immer auch Liberale oder Linkeren an fürstrichen Koalitionspartner mit an Bord waren, die es dagegen gestellt haben.

Jetzt können wir das machen, jetzt können wir das durchziehen und die sind wild entschlossen.

Also total bezeichnet war und das zeigt auch, wie wichtig den das ist.

Die waren gerade ein paar Tage im Amt und kurz danach tritt der Justizminister für die Presse und kündigt das Reformpaket an.

Da sind alle Schritte in dieser Pressekonferenz vom Januar schon drin. Da beschreibt er eins nach dem anderen, was passieren soll.

Und die Begründung ist, Israel ist ein Staat, in dem die Mehrheit, die parlamentarische Mehrheit zu wenig Gewicht hat.

Israel ist ein Staat, in dem die Richter und Spechter auch von der Herrschaft des Rechts zu viel Macht haben und das will man zurückdrehen.

Und das Argument ist dann dadurch, dass wir das tun und dass wir der parlamentarischen Mehrheit mehr Macht geben, wird die Demokratie in Israel gestärkt.

Das ist natürlich quatscht, denn Demokratie ist nicht Herrschaft der Mehrheit.

Also Netanyahu ist recht, die Regierung hat ein Kernprojekt und das ist ein ganzes Paket angeplanten Reform.

Was soll da ganz genau geändert werden?

Genau, das ist ein bisschen verwirrend, es sind drei wesentliche Punkte eigentlich, die denen wichtig sind.

Das eine ist, Einfluss zu bekommen auf die Auswahl der Richter.

Das heißt, da gibt es eine Kommission, die ist auf eine bestimmte Weise zusammengesetzt und die soll jetzt so zusammengesetzt werden,

dass die Regierungsparteien dort die Mehrheit haben, im Prinzip jeden Richter durchwinken können.

Das ist das eine.

Das zweite ist, die wollen das Parlament stärken.

Das heißt, das Parlament soll sich in der zweiten Befassung dann möglicherweise über Gerichtsentscheidungen des Obersten Gerichtshofs hinwegsetzen können

und das Krasse daran ist eben auch dann, wenn zum Beispiel Grundrechte, Menschenrechte oder solche Fragen betroffen sind,

dann soll das Parlament mit einer parlamentarischen Mehrheit das Gericht überstimmen können.

Und wenn das Parlament Urteile überstimmen kann, was bedeutet das?

Das bedeutet, dass die totale Kontrollfunktion und die Funktion, dass das Oberste Gericht der Macht der Regierung Grenzen aufzeigt, geschliffen ist.

Das heißt, wenn das Gericht jetzt in eine Entscheidung trifft und sagt, hier, das Gesetz, was ihr erlassen habt,

das widerspricht zum Beispiel dem Schutz einer Minderheit, dann kann das Parlament sagen,

ne, ist nicht so, wir beschließen das jetzt einfach nochmal und das Gericht muss dann dazu schweigen,

weil das Gesetz ist ja entsprechend, wir haben die USU zur Form gemacht.

Okay, also die gewählte Regierung könnte mit einer Mehrheit Gerichtsurteile, die auf einem sauber abgelaufenen juristischen Prozessberuhen absagen quasi

und dadurch würden dann die Gewalten vermischt.

Genau, und man muss sich vorstellen, es gibt ja in jedem Rechtsstaat Checks and Balances.

Also es gibt bestimmte Mechanismen in der Demokratie, die der Macht Grenzen setzen, will ich mal sagen.

Das ist zum Beispiel in Deutschland, wenn wir das angucken, die zweite Kammer der Bundesrat.

Oder das ist das Bundesverfassungsgericht. Das ist auch internationale Rechtsprechung.

In Israel gibt es das alles nicht. In Israel gibt es keine zweite Kammer.

Israel führt sich nicht gebunden an internationale Rechtsprechung.

Das Einzige, was es eben gibt, ist der Oberste Gerichtshof, der immer wieder auch Urteile gefällt hat, die der amtierenden Regierung nicht gepasst haben,

weil die gesagt haben, das widerspricht zum Beispiel einigen Grundrechten.

Und das soll jetzt geschliffen werden, diese letzte Instanz.

Du hast gesagt, es gibt drei Gründe, warum die rechte Regierungskoalition jetzt diese Justizreform will.

Also Punkt 1, sie wollen die Richter bestimmen.

Punkt 2, sie wollen mehr Macht für ihre parlamentarische Mehrheit.

Und jetzt fehlt uns noch der dritte Punkt.

Der dritte Punkt ist die Ausweitung der Immunität der Regierungschefs und der Ministerin und Minister.

Das ist natürlich schon halt bekannt, weil gerade ein Prozess läuft gegen Benjamin Netanyahu selber.

Da steht wegen Amtsmissbrauch und Bestechung vor Gericht.

Und wenn dieser Teil der Reform so durchkommt, dann könnte er nicht mehr verurteilt werden.

Und gleichzeitig gibt es noch ein Minister, der war Minister, das ist der Chef einer wichtigen Koalitionspartei.

Der war so wichtig, dass er vielleicht zwei Ministerien bekommen hat, einmal das Innenministerium und das Gesundheitsministerium.

Der hatte allerdings Anfang letzten Jahres ein Deal gemacht mit dem Gericht,

weil er vor Gericht stand wegen schwerer Steuerhinterziehung und der wäre fast ins Gefängnis gegangen

und hat gesagt, naja, ich ziehe mich aus dem politischen Leben zurück und dafür bitte schickt mir nicht ins Gefängnis.

Das Gericht hat sich auf diesen Deal eingelassen und auf einmal wurde er zum Minister, zum Doppelminister.

Und da hat das Gericht jetzt gesagt, ne, das geht ja so nicht, man muss sich schon an die Abmachungen halten

und Netanyahu muss ihn tatsächlich aus dem Amt entfernen, widerwillig.

Und der soll natürlich jetzt durch diesen Teil der Reform wirklich schnell zurückkommen.

Und das ist also jetzt diese Justizreform, die für so viele Proteste und Unruhe sorgt, die ist also sehr umstritten.

Und wir haben jetzt auch verstanden, wie so, wie kann es so weit kommen?

Gibt es denn keine Instanz in Israel, die für so was so ein Stoppschild quasi aufstellt?

Also das große Problem in Israel ist, wenn ich mal so sagen darf, es gibt hier keine Verfassung.

Als 1948 der Staat gegründet wurde, wollte man eine Verfassung machen,

aber es gab das große Thema, die haben es nicht hinbekommen, das Verhältnis von Religion und Staat zu klären.

Und deswegen wurden über die Jahre eine Reihe von so grundlegenden Gesetzen erlassen

und die haben nun sozusagen so eine Art von Verfassungskarakter.

Die sind aber nicht wie das Grundgesetz in Deutschland, was hohe Hürden hat, wenn man es verändern will.

Manche Teile kann man gar nicht verändern, sondern die können vom Parlament mit der Regierungsmehrheit verändert,

erlassen, abgeschafft, erneuert, was auch immer werden.

Nicht so wie bei uns, wo das Grundgesetz ja erstmal richtig feststeht und um das zu ändern, ist ein langer Weg.

Das ist eben nicht so wie jedes andere Gesetz.

Ganz genau. Es gibt ja in Deutschland zum Beispiel, wenn § 1 des Grundgesetzes die Würde des Menschen ist unantastbar,

da gilt die sogenannte Ewigkeitsklausel.

Also das kann man nur verändern, wenn man eine neue Verfassung macht, ansonsten gar nicht.

Und in Israel gibt es diese grundlegenden Gesetze Basic Laws, sagen die hier, und die können jederzeit verändert werden.

Und die sind aber natürlich trotzdem wichtig und haben Verfassungskarakter, aber sind natürlich eine relativ instabile Konstruktion.

Und es gibt auch keine weiteren, sozusagen, Checks and Balances.

Es gibt dann noch den Staatspräsidenten, der könnte jetzt, wenn diese Reform durchgeht zum Beispiel, die Unterschrift unter die Gesetze verzögern,

aber das hat er bisher auch noch nicht gemacht.

Also das ist alles sehr fragil und insofern kann man das auch sehr schnell ändern.

Die Idee dieses Staates, nämlich ein liberaler demokratischer Rechtsstaat zu sein, die könnte man sehr, sehr schnell über Bord werfen.

Es ist sehr schwierig, ein Kompromiss zwischen jüdisch und demokratisch zu machen.

Wenn du ein Land willst, das ist 100% jüdisch, es wird nicht demokratisch sein.

Und wenn du ein Land willst, das ist 100% demokratisch, es wird nicht jüdisch sein.

Du hast auch mit einer Verfassungsrechtlerin darüber gesprochen.

Susi Navot heißt sie.

Die macht sich Sorgen, die ist Verfassungsrechtlerin, die war auch bei selbst im Gespräch als Richterin am Obersten Gerichtshof.

Und die ist bestürzt über das, was da gerade passiert.

Die glaubt, dass sich der Charakter Israels ändern wird.

Und dass Israel dann eben nicht mehr das Prädikat verdient, das ist ein demokratischer Rechtsstaat, wenn diese Reform so durchkommt.

Und gleichzeitig sagt sie aber auch, naja, wir müssen uns entscheiden.

Wir müssen uns entscheiden, ob wir jetzt ein Staat sein wollen, der 100% jüdisch ist.

Dann können wir keine Demokratie sein, weil dann eben Minderheiten marginalisiert werden und weil es dann sozusagen auch an die Grundrechte geht.

Oder wir müssen uns entscheiden, ob wir 100% eine Demokratie sein wollen.

Und dann müssen wir aber dafür sorgen, dass die Demokratie stark ist, auch im Schutz von Minderheiten und stark ist darin auch der Macht, Grenzen aufzuzeigen.

Und deswegen ist sie total dagegen, dass dieser Oberste Gerichtshof geschwächt wird.

Israel steht also an einem entscheidenden Punkt in seiner politischen Geschichte.

Die Proteste auf der Straße hören nicht auf. Es ist eine aufgeheizte Lage.

Und zwar so sehr, dass auch der Staatspräsident Israels kürzlich von einer Eskalation der Gewalt gewarnt hat und sogar von einem Bürgerkrieg gesprochen hat.

Wie ernst, meint er das? Wie gefährlich ist das?

Isaac Herzog hat jetzt schon zwei große Reden hier gehalten und man merkt ihm total an, wie seine Nervosität steigt.

Er macht sich wirklich Sorgen und eigentlich ist er der Staatspräsident wie bei uns auch eine überparteiliche Figur, der sich nicht einmischt in die Schlachten des politischen Alltags,

dass es jemand, der große Distanz hat und so ein Übervater vielleicht sein will und der schaltet sich jetzt hier ein.

Er hat selber gesagt, bitte nehmt diesen Vorschlag vom Tisch. Es geht nicht an, dass man einen so grundlegenden Umbau des Staates mit einer einfachen parlamentarischen Mehrheit irgendwie durchboxt.

Wir brauchen dafür einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Und er hat dafür auch einen Vorschlag gemacht.

Er hat sich mit Experten zusammengesetzt, hat auch mit den Fraktionen in der Knesset im Parlament geredet und hat selber gesagt, wie in welche Richtung das gehen könnte, wie man das anders machen könnte.

Aber die Regierung hat überhaupt nicht darauf reagiert. Und deswegen nochmal die zweite noch einbringlichere Rede, wo er gesagt hat, ja, Israel steht möglicherweise am Rande eines Bürgerkrieges.

Man merkt das auch bei den Demonstrationen. Also die Stimmung wird aufgeheizt. Es gab jetzt erste Fälle von Polizeigewalt und von harten Protestaktionen.

Das könnte natürlich sehr schnell ausarten. Und das ist aber auf der anderen Seite auch ein Szenario, was die Regierungsparteien jetzt beschwören.

Na ja, das sind Leute auf der Straße, die wollen eigentlich Anarchie. Das wird natürlich jetzt auch benutzt.

Auf der anderen Seite ist die Gefahr natürlich, dass das jetzt hier richtig hoch hergeht, schon real und zumal, wenn der Staatspräsident das selber sagt.

Also du hältst das auch für möglich?

Also man merkt, dass die Stimmung aufgeheizt wird, auf jeden Fall. Das breitet sich aus.

Man muss überlegen, wie natürlich auch die Sicherheitskräfte, die Polizei reagieren, Demonstrationsrecht gibt es hier auch und es gibt freie Meinungsäußerung.

Aber wenn jetzt zum Beispiel Itamar Ben-Guir, das ist ein rechtsextremer, verurteilter Politiker, der jetzt hier Chef der Polizei ist.

Wenn der eine harte Linie gegen die Demonstranten fahren will, dann könnte das sehr schnell auch eskalieren.

Also du glaubst, die Proteste, wie werden die sich in nächster Zeit entwickeln? Beruhigen wird sich es nicht, so wie es sich anhört.

Das hängt jetzt natürlich auch ein bisschen davon ab, wie es weitergeht. Also es gibt jetzt erste Signale, dass die Regierung auf den Druck reagiert

und zumindest jetzt ein bisschen Tempo rausnehmen will. Die wollten ursprünglich jetzt Anfang April mit allem fertig sein.

Jetzt soll ein kleiner Teil der Reform durchs Parlament gebracht werden in letzter Lesung.

Und der Rest dann danach, was völlig klar ist, die machen inhaltlich bisher keine Abstriche.

Die wollen das so durchziehen, aber wollen sich jetzt eben ein bisschen mehr Zeit dafür lassen.

Zum Beispiel feiert Israel sein 75-jähriges Bestehen.

Und das ist natürlich für die Regierung nicht gut, wenn dann sozusagen hier offener Straßenkampf ist und großer Widerstand gegen die Reform

und ein tiefgespaltenes Land. Die Spaltung wird bis dahin nicht weggehen.

Aber die Regierung hat gegen die letzten Wochen alles getan, damit die sozusagen noch verstärkt wird.

Das merkt man wirklich. Die Gesellschaft ist tiefgespalten und die Regierung treibt das weiter voran.

Aber man möchte natürlich dann Ende April, wenn die Feierlichkeiten hier sind, möchte man halbwegs Ruhe haben,

weil dann auch internationale Staatsgäste kommen, weil noch von außen auf Israel geguckt wird.

Und da möchte man ein bisschen Ruhe haben, aber inhaltlich sind die Wildentschlossen weiter auf diesem Weg zu gehen.

Das Gute ist, und das finde ich, wenn man das sieht, macht einem wirklich Mut, es gibt hier wahnsinnig viele Leute,

denen dieser Staat am Herzen liegt, die auf die Straße gehen, jede Woche, mehrfach zum Teil, die sich Protestaktionen ausdenken

und die wirklich wollen, dass Israel eine liberale, lebendige Demokratie bleibt.

Das sind viele. Und der Druck ist groß, zum Beispiel aus der Wirtschaft.

Also man merkt jetzt schon, die Folgen, dass Unternehmen Kapital abziehen, dass sich das Investitionsklima verschlechtert,

dass Leute sagen, na, sollte ich jetzt noch in Israel investieren oder warte ich lieber noch ein bisschen.

Das ist was, wovor die Regierung wirklich Angst hat.

Wenn sich das verschärft, dann könnte sich auch was verändern.

Und dann natürlich der Druck aus dem Ausland.

Also Deutschland war jetzt, als Benjamin Netanyahu in Berlin war, nicht so besonders stark, hat eher gesagt,

na ja, wir sind besorgt und hat nochmal darauf hingewiesen, was macht einen demokratischen Rechtsstaat aus.

Die USA sind da deutlich härter. Joe Biden hat zum Beispiel Benjamin Netanyahu noch nicht ins Weiße Haus eingeladen,

was bei den engen Beziehungen, die zwischen Israel und den USA gibt, echt ein Affront ist.

Eigentlich hätte der schon längst da sein müssen.

Aber der Druck ist da schon groß und weil Israel eben, ja, die internationalen Partner braucht

und abhängig ist auch von Sicherheitskooperationen, müssen sie darauf Rücksicht nehmen.

Netanyahu weiß das auch, aber in der Regierung gibt es eben Teile der Regierung, denen das völlig egal ist.

Die haben ihre innenpolitische Agenda, die wollen den Sietungsbau verstärken,

die wollen, dass Israel noch jüdischer wird im Charakter.

Und was das Ausland denkt, ist den egal.

Jan, danke.

Ciao, ciao, tschüss.

Das war unsere Folge heute hier bei 11km der Tagesschau-Podcast.

Wie es in Israel mit der Justizreform weitergehen wird, das erfahrt ihr natürlich auch bei tagesschau.de.

Dort erfahrt ihr auch als erstes, wenn in Israel eine Entscheidung fällt.

Und da sind auch alle Berichte von Jan-Christoph Kitzler aus dem ID-Studio in Tel Aviv verlinkt.

Den Link dazu packen wir euch in die Show notes.

Und wenn euch die Folge gefallen hat, dann lasst uns doch gerne ein paar Sternchen da

und ein Abo in der ID-Audiothek oder wo auch immer ihr Podcast hört.

Autor dieser Folge ist Marc Hoffmann, mitgearbeitet hat Sandro Schröder, Produktion Gerhard Wichow,

Ruth Maria Ostermann, Eva Erhardt und Christine Dreyer, Redaktionsleitung Lena Götler und Fumiko Lipp.

FKM ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Mein Name ist Victoria Michalsack, wir hören uns morgen wieder. Tschüss.

Ach ja, und eine Sache noch.

Falls ihr euch interessiert für Themen aus der ganzen Welt, dann kann ich euch den Weltspiegel-Podcast empfehlen.

Den findet ihr in der ARD-Audiothek.

Da gibt es einmal die Woche Reportagen, Geschichten und Hintergründe von ARD-Korrespondenten rund um den Globus.

Hi, ich bin Philipp Abrech vom Weltspiegel-Podcast.

Wir blicken jede Woche in die Welt mit den Auslands-Korrespondentinnen und Korrespondenten der ARD.

Ich bin in Hamburg-Logstedt im warmen Podcast Studio, wo seid ihr gerade?

Ich bin in Kiew.

Sehr abgelegen auf der Insel Chico-Co im Südenjahr-Panz.

Der Dalien-Jungle ist genau an der Nordgrenze zu Kolumbien.

Wir reden über das, wofür die Nachrichten nicht immer Zeit haben.

Als Journalistin hier habe ich halt einfach sehr oft die Polizei mir auf den Fersen.

Die Menschen haben dort einfach ein ganz konkretes Problem.

Die haben nämlich keine Müllabfuhr.

Weil dieser in diesem Dschungel da operiert, das organisierte Verbrechen.

Jede Woche eine knappe halbe Stunde lang, der Weltspiegel-Podcast in der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Die israelische Regierung will die Justiz des Landes reformieren und rüttelt dabei an den demokratischen Grundfesten des Staates. Warum hält die Netanjahu-Regierung an ihren Plänen fest– trotz anhaltender Proteste im ganzen Land? Selbst der israelische Staatspräsident hat davor gewarnt, dass der Streit um das Regierungsvorhaben in einen Bürgerkrieg eskalieren könnte. Jan-Christoph Kitzler ist ARD-Korrespondent in Tel Aviv und erklärt in dieser 11KM-Episode, warum die geplante Justizreform das Land spaltet.



Die aktuellen Entwicklungen in Israel findet ihr auf tagesschau.de:

https://www.tagesschau.de/thema/israel/



Falls ihr euch für Themen aus der ganzen Welt interessierten – dann empfehlen wir euch noch den “Weltspiegel”-Podcast in der ARD-Audiothek: https://www.ardaudiothek.de/sendung/weltspiegel/61593768/



An dieser 11KM-Folge waren beteiligt:

Autor: Marc Hoffmann

Mitarbeit: Sandro Schroeder

Produktion: Gerhard Wicho, Ruth-Maria Ostermann, Christine Dreyer und Eva Erhard

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler

Host: Victoria Michalczak

11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für die Folge trägt der NDR.