11KM: der tagesschau-Podcast: Gewalt in der Kita – Wenn Erzieher:innen schweigen
tagesschau 3/22/23 - Episode Page - 28m - PDF Transcript
Anbrüllen, eiskalte Duschen, Schläge. So der Verdacht in einer Kindertagesstätte mit Kindern
im Alter zwischen 1 und 3. Es entsteht ein Klima der Angst, das Folgen hat.
Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, so steht es im BGB. Und das gilt natürlich auch
in Kindertagesstätten. Was aber passiert, wenn das Recht in der Kita missachtet wird? Und was
passiert, wenn solche Gewalt gemeldet wird? Das hat Claudia Gürkow von BR-Recherche recherchiert,
zusammen mit Christiane Hafranek. Es geht um einen Verdachtsfall in Grafrad in der Nähe von München.
Wir zeigen euch in dieser Episode heute Schritt für Schritt, wie schwer es ist, Gewalt in Kitas
zu beweisen, warum viele Erzieherinnen und Erzieher schweigen und warum selbst Behörden und
Rechtsstaates scheitern, wenn es darum geht, die Menschen zu verurteilen, die dafür verantwortlich
sein könnten. Ihr hört 11 km der Tagesschau-Podcast. Mein Name ist Victoria Michalsack und heute ist
Mittwoch, der 22. März. Claudia, schön, dass du da bist. Hi. Diese Recherche, um die es heute geht,
die spielt in einem kleinen Ort und der ist in Bayern und heißt Grafrad. Und zwar geht es da
in eine Kindertagesstätte. Was ist da passiert, der Zimmer? Grafrad ist ein hübsches kleines
Örtchen und im Schatten der Großen Kirche steht eine Kinderkrippe, die hieß damals Rassubande. Alles,
worüber wir heute hier reden, ist im Jahr 2019 passiert, fast alles. Und da war ein kleiner Junge
in den Sommerferien 2019. Die Mama ist mit ihm im Bad, Julia Malitz heißt sie, und sie macht ihn
fertig fürs Bett. In dem Moment fängt er an zu weinen, wird ganz panisch und fragt, ob er wieder
in die Krippe muss morgen. Sondern nein, Schatz, die Krippe ist vorbei, du musst nie wieder hin. Okay.
Und dann hat er eben angefangen zu erzählen, dass er grob angefasst wurde und er konnte es ganz
klar deuten. Also er hat genau gezeigt, wo am Arm und der, der nach dem Kopf gehauen wurde,
ihrem Blödmann beschimpft wurde. Genau, er war sehr aufgebracht. Ja, die Martina hat mich
gehauen. Martina ist die Krippenleiterin gewesen damals. Kurze Anmerkung, diese Namen sind schon
geändert aus Datenschutzgründen, aber wir nennen diese Leiterin hier Martina. Und jetzt stell dir vor,
dein kleiner Sohn erzählt dir sowas. Du fälst natürlich erstmal fast den Ohnmacht. Und das ist
eigentlich der Auftakt unserer Geschichte. Das ging dann einfach weiter, dass diese Mama sich mit
anderen Müttern unterhalten hat. Die haben sich wieder zusammengeschlossen und alle haben mal so
vorsichtig so gefragt, du wirst denn eigentlich in der Krippe? Jetzt muss man ja dazu sagen,
in einer Kinderkrippe, vielleicht für die Leute, die noch keine Kinder haben, die Kinder sind ein
bis drei Jahre alt. Das heißt, sie sind auch nicht besonders selbstständig, sie können
teils auch noch nicht oder nicht gut sprechen. Das war nicht so ganz einfach. Und so mal Summarum,
so nach unseren Recherchen, wir haben also alleine sieben Kinder gefunden, die ihren Eltern von
Schlägen berichtet haben. Alle aus dieser Krippe in Grafrat? Alle aus dieser Krippe in Grafrat und
alle haben eben Martina, wie wir sie nennen, als Täterin benannt. Welche Vorwürfe erheben denn
die Eltern? Was haben sie dir erzählt? Es geht um Schläge, Beschimpfungen, grobes Anpacken. Es wurden
Kinder wohl durch den Raum gezogen, gezerrt am Arm. Das ist eigentlich eine Straftat. Es wurden
Kinder ins Badezimmer geschleift. Ein kleiner Junge hatte zum Beispiel Magendarm, hat sich in
die Hose gemacht und daraufhin ist dieser kleine Junge wohl kalt abgeduscht worden, als Strafe,
um ihn sauber zu kriegen. Und er ist ja sozusagen schuld, dass er sich in die Hose gemacht hat.
Wir haben auch mit einer Erzieherin gesprochen, Janine Bayer Seifert, und sie hat diese Gruppe,
diese Kinderkrippe damals übernommen und die Kinder waren völlig durch den Wind.
Es hat eben schon angefangen mit morgens um acht wird ein Kind in den Schlafraum alleine. Dann
hat die erst mal bestimmt eine Dreiviertelstunde in diesem Raum geschrien, weil sie natürlich nicht
geschlafen hat. Und wo ich dann irgendwann mal gesagt habe, du, ich glaube, die schläft nicht mehr,
so willst du sie nicht mal rausholen? Ja, okay. Und das ging halt immer so weiter. Es ging den
ganzen Tag ob Prozeit, ob Mittagessen, du musst aufessen. Die Kinder, dann war noch ein anderes
Kind, was sie auch sehr herausgefordert hat. Das ist dann immer wieder aufgestanden. Es hat
sehr gepackt und an Tisch und Krumms. Was gehört da noch zu? Wie können wir uns das vorstellen,
was da in dieser Kita los ist oder vielleicht auch von Martina ausgeht? Naja, du musst es so sehen,
wir Eltern geben unsere Kinder dort ab, machen die Türe zu, wir vertrauen unsere Kinder jemandem an.
Und wenn dann, so wie in Grafrat, einzelne Eltern eben mal zufällig zu früh kommen und kriegen dann
mit, wie so jemand Kinder, ein bis dreijährige Kinder anschreien, jetzt hört auf zu weinen,
esst endlich mit Besteck. Also bitte, ein einjähriges Kind kann nicht unbedingt adäquat mit
Messer und Gabel essen, ja? Selbst wenn es ja so ein Anschreien einfach nicht die Art, wie man
sich das vorstellt, wie das beigebracht werden sollte. Nein, es haben viele Eltern haben von einem
im Grunde genommen im Feldwebel Ton erzählt, haben gesagt, die hat die Kinder rumkommandiert, wie
kleine Soldaten. Und die Kinder hatten Angst. Guck mal, es war dann so, dass manche Kinder tatsächlich
wirklich noch Monate später, wenn jemand zum Beispiel gerufen hat, hey, kannst du mal eben was
noch aus dem Keller holen, dann sind die in die Ecke gerannt und haben die Hände schützend über
den Kopf gehoben. Ich glaube, das sagt eine ganze Masse aus. Oder ein kleines Mädchen, die war,
das ist ein Fall, zu dem haben wir mehrere Zeugen, ein kleines Mädchen hatte wohl Quatsch gemacht
beim Essen, anderthalb, da patchen die halt auch mal so ins Essen rein, ja? Und die wurde dann auf
ein Stühlchen gesetzt mit dem Gesicht zur weißen Wand und dort sah sie vom Mittagessen bis zur
Abholzeit in etwa um halb vier. Und dann kommt eine Erziehungsberechtigte und fragt, was war
hier los? Ja, die hat Schmarrn gemacht, das ist jetzt ihre Strafe. Jetzt ist es so, dass es kein
normales Verhalten für eine anderthalbjährige stundenlang auf einem Stühlchen zu sitzen,
ohne sich zu bewegen. Ich frag mich die ganze Zeit und ich frag mich, dass bis heute wie viel
Angst hat dieses Mädchen gehabt. Wie und wann ist das denn rausgekommen und wie habt ihr denn davon
erfahren? Das sind zwei Geschichten im Grunde genommen. Die eine Geschichte ist, wann haben wir
davon gehört? Wir haben im Dezember schon mal berichtet, wir recherchieren seit Oktober über
Gewalt und Übergriffe in Kitas und hatten da ganz viele Hintergrundgespräche geführt mit 72
Erzieherinnen. Und nur zwei haben uns gesagt, sie haben noch nie körperliche oder seelische Gewalt
gegenüber Krippen oder Kindergartenkind angesehen. Das war schon ein Brett. Und bei einer dieser
Geschichten, wir hatten schon mal so Ansatzweise von Graf Rad gehört und dann haben wir uns bei
einem dieser Gespräche mit Janine Weyer Seifert unterhalten, die heute Fortbildungen gibt,
gegen Gewalt und sozusagen Schutz vor Gewalt. Und sie erzählte uns dann sozusagen, was sie in
einer Krippe erlebt hat. Und Christiane, meine Kolleginnen und ich, wir guckten uns an und dann
haben wir sie gefragt. Sagen sie mal, ist das Graf Rad? Und sie sagt, ja woher wissen sie das?
Die Berichte aus Graf Rad, das ist wie ein Tapetenmuster. Diese Geschichten wiederholen sich.
Und das heißt, wenn du sagst, das ist wie ein Tapetenmuster, das heißt, das wiederholt sich und
ihr habt das mehrfach gehört immer wieder. Ja, wir haben das nicht nur in Graf Rad gehört,
sondern wir haben Fälle aus Niedersachsen, aus Nordrhein-Westfalen, sonst woher Brandenburg,
auch welche. Wir recherchieren ja auch weiter, wir verfolgen diese Fälle weiter, wir werden bestimmt,
naja, vielleicht sitzen wir sogar hier noch mal zusammen deswegen. Wie und wann ist das denn rausgekommen
in Graf Rad? Wir hatten ja vorhin die Geschichte mit dem Badezimmern und dem kleinen Jungen. Das
war in den Sommerferien 2019 und dann kochte und brudelte das unter den Eltern und die fragten
dann die Erzieherinnen. Die Erzieherinnen sagten, nee, ich habe Schweigepflicht, ich kann nichts sagen.
Die fragten den Träger, der sagte, da ist nichts. Im Paar haben sich sogar mit einem unguten Gefühl
oder mit Erzählungen ihrer Kinder ans Jugendamt gewendet. Es passierte immer nichts und immer
mehr Kinder und immer mehr Eltern berichteten auf einmal über merkwürdige Vorfälle, unter
anderem Schläge. Und dann gab es einen Elternabend und da krachte es. Und am 7. November 2019 hat
dann der Träger zum ersten Mal fünf Verdachtsfälle eingeräumt. Also einem Elternabend haben
verschiedene Eltern sich ausgetauscht und gesagt, also das ist jetzt hier kein Zufall mehr. Die
Kinder erzählen so was, den müssen wir mal nachgehen. Und dann war es eben so, dass die Eltern
gesagt haben, hier, wir haben euch monatelang auf Probleme hingewiesen. Wir hatten schon immer
ein ungutes Gefühl. Wir haben euch auf den rauen Umgangston hingewiesen, schon Monate vorher. Und
jetzt sagt ihr uns das und dann sind die zur Polizei. Es sind acht Mütter und Väter zur
Polizei gegangen und haben dezidiert Anzeige erstattet und es wurde dann gegen Martina S.
ermittelt wegen Misshandlung von Schutzbefohlen und vorsätzlicher Körperverletzungen. Und dann
hatten die Eltern große Hoffnungen. Sie sind zum Träger gerannt, hat nichts gebracht. Sie sind
zum Jugendamt gebrannt. Das hat auch sozusagen fast nichts gebracht, weil das Jugendamt hat ihnen
teilweise noch Sätze reingedrückt, wie also, wenn da keine blauen Flecken sind, dann können wir
leider nichts machen. Das Jugendamt haben wir natürlich angefragt, die sagen, nee, so war
das nicht. Also es können sie sich nicht vorstellen, dass solche Äußerungen gefallen sind. Aber es
sind eine ganze Masse Eltern wirklich sehr frustriert gewesen. Und deswegen gingen die dann zur
Polizei und hatten eine Wahnsinns- hoffnung, dass jetzt endlich aufgeklärt wird. Was hat die
Polizei denn dann gemacht? Wie hat die denn ermittelt in dem Fall? Wir haben Unterlagen zugespielt
bekommen und aus denen gehen so ein paar Sachen hervor, hinter die wir doch die Christiane Havrenek
und ich wirklich Fragezeichen setzen. Es ist so, Janin Bayer Seifert war in dieser Einrichtung
als Springerin und hat bereits im Juli den Träger informiert, dass sie dort Dinge gesehen hat,
die sie für Kindeswohlgefährdung hält. Also Springerin heißt, die war da nicht fest angestellt,
sondern ist mal eingesprungen als Notar- mannen oder Bedarf war. Genau, die kam aus einer anderen
Einrichtung und ist dann dort eingesprungen für einen Tag. Und dieser eine Tag hat gereicht,
für sie, um dem Träger zu sagen, hier Freunde, ihr müsst hier dringend was tun, zum Wohle der Kinder.
Das war im Juli. Ich habe jetzt gerade eben gesagt, im November hat der Träger eingeräumt,
dass es Verdachtsfälle gibt. Was ist in dieser Zeit passiert? Wir haben den Träger gefragt,
es hieß sogar am 31. Oktober habe man durch das Jugendamt von möglichen Gefährdungen von Kindern
erfahren und das können wir nicht nachvollziehen, diese Äußerung. Was sagt denn der Träger dazu?
Naja, das ist ganz interessant. Der hat uns ein achtsaitiges Schreiben geschickt auf unsere Fragen
und als Allererstes stellt er darin fest, dass es keine Verzögerungen bei der Meldung gegeben
habe und er deswegen auch keine Konsequenzen durch das Jugendamt erlitten habe. Dieser Träger
Fortschritt ist bei uns hier unten in Bayern ein recht großer Player. Die haben viele Kindertagesstätten.
Es ist außerdem so, dass Fortschritt uns sagt, Kripo und Jugendamt hätten die Vorwürfe nicht
bestätigen können und damit stehe letztendlich Aussage gegen Aussage und der Träger Fortschritt
schreibt uns außerdem, man habe eben viel gelernt, man gehe mit Konflikten jetzt anders um, habe die
Strukturen verändert und unter anderem und das finde ich tatsächlich ganz interessant zu
Vertrauensstellen für Mitarbeitende geschaffen, an die man sich eben wenden kann in solchen Verdachtsfällen.
Okay, also da steht Aussage gegen Aussage. Was haben euch denn die Menschen erzählt, mit denen
ihr gesprochen habt? Also es gibt da mehrere Informationsrunden sozusagen, die Leute gedreht
haben. Mehrere Eltern und Erzieher haben sich gezielt an den Träger gewendet und haben gesagt,
hier, also da stimmt was nicht. Schaut bitte nach. Und das allererste, was wir finden konnten,
war schon im Juni. Da sind drei Erzieherinnen zum Träger und haben gesagt, hier Freunde und haben
einen konkreten Vorfall geschildert. Aber zurück zu den Unterlagen. Das ist also das erste Fragezeichen,
Janine Bayer Seifert ist nicht befragt worden, eine wichtige Zeugin. Das zweite Fragezeichen ist,
es sind nur insgesamt vier Mitarbeiterinnen der Kindergrippe befragt worden. Wisst ihr,
woran das liegen könnte? Wir haben die Staatsanwaltschaft gefragt und die hat uns darauf jetzt keine
direkte Antwort geben können, hat uns aber geschrieben, die Ermittlungen gehen jetzt auf
grund unserer Anfrage weiter. Es ist dann auch so, dass die Kinder nie befragt wurden, obwohl
mindestens eine Familie gesagt hat, ihr könnt also mit Experten bitte, könnt ihr unsere Kinder
befragen. Und es war ein dreijähriges Mädchen, was konkret Dreinamen genannt hatte von anderen
Kindern, die geschlagen worden waren. Ja, das mit den Kindern, das ist natürlich so eine Sache,
ne? Wieso wurden die nicht befragt und warum ist das so schwierig, auch mit so kleinen Kindern zu
sprechen? Wir haben die Staatsanwaltschaft gefragt und die haben natürlich schon einen Punkt. Die
sagen so kleine Kinder, da muss man ja erstmal die Aussagefähigkeit testen, da muss man sich das
genau überlegen, wie lange liegt der Vorfall zurück, wie belastend ist es für das Kind,
retraumatisiere ich das Kind, welche Rolle würde so eine Aussage der Kinder bei einem Gerichtsverfahren
spielen können? Und dann haben die gesagt, nee, und deswegen haben wir die nicht befragt. Aber
ganz so einfach kann man sich das eigentlich nicht machen, findet zumindest die Juristin Linda
Sahien Kuhlmann vom Deutschen Kinderhilfswerk. Grundsätzlich muss man sagen, dass die Aussagen
der Eltern als Zeugen vom Hörnsagen in Kombination mit Kinderaussagen, und sie haben ja schildert,
dass es auch mehrere Kinder waren, dass das in Kombination sehr wohl zu einem hinreichenden
Tatverdacht für die Anklage führen kann. Wir haben aber auch Expertinnen aus der
Psychologie befragt, die Rechtspsychologin Annette Thamm von der Psychologischen Hochschule
Berlin. Sie hat unter anderem für die Praxis so einen Leitfaden geschrieben für Ermittler. Also
wie kann ich Kinder befragen? Wenn ein Vorschulkind um drei, vier, fünf Jahre von sich aus, also ganz
spontan etwas berichtet, was einem bedenklich vorkommt, dann kann man in der Altersgruppe also
vier Jahre und vor allem drunter auf jeden Fall davon ausgehen, dass das sehr, sehr, sehr
wahrscheinlich noch nicht in der Lage gewesen ist, sich das auszudenken. Weil, so sagt es auch
die Wissenschaft, die Kinder da noch nicht fähig sind, sozusagen sich so etwas auszudenken. Der
Fachausdruck ist täuschungsunfähig. Wie ging es denn weiter? Also die Polizei hat ermittelt? Was
ist aus diesem Fall geworden? Tja, die Polizei hat ermittelt und im Juni 2021 bekommen ganz viele
Eltern in und um Grafrat Post. Die Staatsanwaltschaft München 2 stellt ein. Wie war denn dann die
Reaktion der Eltern, als die alle diesen Brief bekommen haben, dass das Verfahren eingestellt
wird? Wir haben Corinna Bürg und Julia Malitz den Einstellungsbescheid noch mal vorgelegt. Das
sind die beiden Mütter, die das Ganze quasi losgetreten haben, ne? Ja. Der Tatnachweis ist nach
den umfangreichen durchgeführten Ermittlungen zumindest nicht, mit der für eine Anklage
erforderlichen Sicherheit einer Verurteilung zu führen. Ich frage mich halt auch, ob es
umfangreich wirklich war, die Ermittlung. Genau. Also was muss noch passieren? Also welche Art von
Gewalt gegen Kinder muss passieren? Und es reicht nicht anscheinend, dass es da irgendwelche
Konsequenzen gibt. Das macht es so wütend. Da steht da drin, ihr habt es ja nicht gesehen als Eltern.
Ja, logisch nicht. Sie waren ja nicht in der Kita, die waren arbeiten. Oder es ist so, dass sie,
dass sie einfach auch sauer sind, diese Eltern bis heute. Ja, es gibt Kinder, die möchten keinen
Kontakt mehr mit Personen, die dieser Martina S. auch nur irgendwie ähneln. Es gibt Kinder,
die haben massive Probleme, Vertrauen aufzubauen. Es gibt Kinder, die können bis heute, 2019 noch
mal zur Erinnerung, bis heute nicht allein auf einen Kindergeburtstag gehen. Die Eltern führen diese
Probleme auf die Erlebnisse in der Kindergrippe in Graf Rath zurück. So, und jetzt habe ich das.
Die Staatsanwaltschaft stellt ein, aber die Probleme der Kinder bleiben ja bestehen. Und die Eltern
sagen, sie können nicht abschließen. Sie können das Kapitel nicht zukriegen, weil sie wissen immer
noch nicht, was passiert ist. Sie sehen, ihren Kindern geht es zum Teil nicht gut. Und es wird
sozusagen niemand bestraft. Und sie fühlen sich auch und vor allen Dingen auch ihre Kinder ungerecht
behandelt, weil sie sagen, die Kinder sind so ein bisschen wie Menschen zweiter Klasse. Was ist
denn eigentlich aus Martina S. geworden? Ja, da haben wir lange, lange, lange recherchiert. Wir
haben es noch nicht herausgefunden. Wir haben sie gefragt, ob sie uns ein Interview gibt. Wir haben
auch ihren Anwalt gefragt, aber die beiden haben nicht reagiert. Der Träger gibt an, dass sie seit
Mitte Oktober 2019 nicht mehr für diesen Träger Fortschritt arbeitet. Aber wohin es sie verschlagen
hat, was sie heute macht, wissen wir nicht. Wichtig ist aber tatsächlich, dass das Ermittlungsverfahren
ja eingestellt wurde. Und damit gilt für Martina S. weiter die Unschuldsvermutung. Was mich noch
interessiert ist, du hast eben gesprochen von einer Schweigepflicht, die manche Erzieherinnen
erwähnt haben. Kannst du davon nochmal erzählen? Er ist es so in dieser bunten Kita-Welt, also Kindergrippe,
Kindergarten, Kinderhort, bekommen Erzieherinnen entweder in ihren Vertrag einen Passus, dass man
nicht über Betriebsinterner redet, dass man natürlich an den Datenschutz, der bei Kindern
besonders zu beachten ist, denkt oder aber sie kriegen so ein Beiblatt. Und diese Beiblätter
sind teilweise ganz schön knackig formuliert. Das heißt, die Erzieherinnen sollen eigentlich nicht
über Dinge, die in der Kita passieren, reden. Und jetzt muss man aber sagen, dass viele Erzieherinnen
das missverstehen. Denn es gibt eine gesetzliche Meldepflicht, die sie haben, auch schon bei
Verdachtsfällen, auch wenn es sozusagen eine Gefahr gibt, die erst in Zukunft real werden kann,
müssen sie melden. Und zwar je nach Schwere des Vorfalls, erst an die Kita-Leitung, das wäre
jetzt hier nicht gegangen, das war ja die Leiterin, dann muss ich mich an den Träger wenden. Wenn
der nichts tut, muss ich mich ans Jugendamt, an die Kita-Aufsicht, die Aufsichtsbehörde wenden
und es dort melden. Und das ist nicht passiert. Und der Kita-Fachkräfteverband Bayern sagt ganz
klar, liebe Freunde, die Meldepflicht, die Sticht und vor allen Dingen ist es so, dass Kindeswohl
steht immer, immer, immer, immer über der Schweigepflicht. Klar. Sollte eigentlich klar sein,
oder? Sollte klar sein, ist es aber nicht. Also ich habe ja vorhin schon mal angerissen,
wir haben mit 72 Erzieherinnen, die Männer sind jetzt mal mit gemeint, geredet und davon haben
sieben Gewaltfälle gemeldet. Ich habe aber vorhin gesagt, 72 und nur zwei haben keine Gewalt wieder
körperlich noch seelisch gesehen. Das heißt, der allergrößte Teil von diesen Erzieherinnen und
Erziehern, mit denen ihr gesprochen habt, hat zwar Gewalt an Kindern erlebt, hat sie aber auch
gleichzeitig nicht gemeldet. Korrekt. Sondern ist dann lieber woanders hingegangen oder hat gesagt,
ich bin ja auf den Job angewiesen und sorry, also da habe ich kein Verständnis für, denn wenn man
Erzieherin oder Kinderpflegerin ist, das ist ein absoluter Mangelberuf. Du kriegst mit Kusshand
jederzeit einen neuen Job. Also das ist kein Argument für mich. Und das ist ja auch das,
wo auch Linda Sahien-Kuhlmann vom Deutschen Kinderhilfswerk sagt, nee, also so geht es nicht,
das Kindeswohl ist unser oberstes Gut. Da muss man melden. Und da kann ich nicht meine eigenen
Interessen, weil es halt bequemer ist, über die Interessen der Kinder stellen. Ich hätte auch
ehrlich gesagt erwartet, vielleicht gerade von Menschen, die diesen Beruf ergreifen, dass das
eigentlich klar sein sollte. Aber ja, das ist schon eine heftige Zahl, oder? Ja, es fehlt an
Zivilcourage, ja, aber nicht nur bei den Erzieherinnen. Ich will jetzt auch hier kein Erzieher-Bashing
betreiben, ja. In Grafrat gibt es die Geschichte einer Mutter, die beobachtet hat durch die Scheibe,
wie Martina S. einem Kind eine runtergehauen hat. Sie hat es dann einer anderen Mutter erzählt und hat
dann gesagt, ja, aber melden tue ich das nicht, weil jeder hat mal einen schlechten Tag. Was ist
denn das für eine Aussage? Natürlich hat jeder vielleicht einen anderen Erziehungsstil, aber
Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Und wenn ich so was sehe, dann muss ich mich
doch hinstellen und muss für Kinder meinen Mund aufmachen. Und vor allem noch als Mutter
eines solchen Krippenkindes, nachher ist das Kind dann beim nächsten schlechten Tag betroffen.
Wir haben keine Beweise dafür, es gibt keine Videoaufnahmen und die Eltern schweigen auch. Es gab
manche Eltern, haben uns Leute vom Elternbeirat erzählt, die gesagt haben, ja, mein Kind hat
das auch erzählt, aber ich gehe nicht zur Polizei, weil das bringt ja eh nichts. Und ich hoffe wirklich,
dass selbst wenn es nicht in Grafrat was bringt, aber dass unsere Berichterstattung da was bewegt,
dass wir alle miteinander wirklich aufstehen und die kleinen Kinder vor so etwas schützen,
denn die können sich mit ihren Aussagen ganz offensichtlich selber nicht schützen. Also
müssen wir Erwachsenen ran und den Mund aufmachen, auch wenn es unbequem ist. Claudia,
danke, dass du uns davon erzählt hast. Ja, danke, dass ich kommen durfte. Das war unsere Folge hier
bei 11km der Tagesschau-Podcast. Zur Gewalt in der Kita in Grafrat haben Claudia Gurkhoff und
Christiana Hafranek für den BR recherchiert. Den Link zu der ganzen Recherche findet ihr in
den Show Notes. Folgen Autorin ist Azadeh Peshman, mitgearbeitet hat Sandro Schröder, Produktion
Gerhard Wichow, Ruth Maria Ostermann und Christine Dreyer, Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko
Lipp. FKM ist eine Produktion von BR24 und NDR Info. Mein Name ist Victoria Michalsack,
wir hören uns morgen wieder. Tschüss. Solltet ihr euch für Elternthemen interessieren,
hätte ich da noch ein Podcast-Tipp für euch. Den Podcast Eltern ohne Filter vom BR. Eltern
sein mal ehrlich, ohne Filter eben. Den gibt's in der ARD-Audiothek und überall wo es Podcasts gibt.
Hey, wir sind Russland und Katrin, wir sind zwei der Hosts von Eltern ohne Filter. Und selbst Eltern,
wie alle bei uns im Team. Deswegen kennen wir die Sorgen und Belastungen und möchten ehrlich und
offen mit euch darüber reden. Unsere Gäste erzählen von ihren eigenen Geschichten, also welches
Familienmodell leben sie, wie schaffen sie es als Alleinerziehende durch den Elternalltag oder
wie haben sie sich als Regenbogenfamilie ihren Kinderwunsch erfüllt oder wie kann so ein 5050
Modell gelingen. Glaubt aber bloß nicht, wir haben die Universallösung für alle Eltern. So
unterschiedlich wie wir selbst sind, so leben wir auch Familie. Aber manchmal kann man sich ja einen
kleinen Ausschnitt von anderen abschauen. Keine Ratschläge, nur ehrliche Elterngeschichten und
ganz sicher ein paar gute Gedankenansätze. Schaut unbedingt auch in unserer Eltern ohne Filter
Community bei Instagram vorbei.
Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.
Anbrüllen, eiskalte Duschen, Schläge - so lautet der Verdacht in einer Kindertagesstätte mit Kindern zwischen ein und drei Jahren. Dieser Verdachtsfall in einer bayerischen Kita zeigt, wie schwer es generell für Eltern und mitunter auch Behörden ist, Gewalt dort nachzuweisen. In dieser 11KM-Folge erzählt Claudia Gürkov von BR Recherche Schritt für Schritt, woran das liegt und warum auch Erzieher:innen immer wieder schweigen.
Die Recherche von Claudia Gürkov und Christiane Hawranek von BR Recherche bei BR24:
https://www.br.de/nachrichten/bayern/gewalt-in-der-kita-wenn-kinder-ohne-schutz-dastehen,TZ8wlow
Und hier der Link zum zweiteiligen BR Funkstreifzug in der ARD Audiothek: https://www.ardaudiothek.de/episode/der-funkstreifzug/tatort-kita-1-2-wenn-kinder-nicht-geschuetzt-werden/br24/12510373/
An dieser 11KM-Folge waren beteiligt:
Autor:in: Azadê Peşmen
Mitarbeit: Sandro Schroeder
Produktion: Gerhard Wicho, Ruth-Maria Ostermann und Christine Dreyer
Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler
11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung dieser Folge liegt beim NDR.
Die Podcast-Empfehlung von 11KM für Elternthemen: Der BR-Podcast “Eltern ohne Filter”
https://www.ardaudiothek.de/sendung/eltern-ohne-filter/68705722/