11KM: der tagesschau-Podcast: Flucht: Die namenlosen Toten vom Evros (Wiederholung)

tagesschau tagesschau 4/13/23 - Episode Page - 30m - PDF Transcript

Hi, ich bin's, Victoria Michalsack. Ich freu mich, dass ihr wieder reinhört. FKM ist

gerade in Osterpause. Bis zum 17. April hört ihr hier jeden Tag eine FKM-Episode, die ihr

vielleicht verpasst habt. Menschen fliehen nach Europa. Per Boot, aber auch zu Fuß. Nur nicht

alle kommen an. In dieser Folge von FKM erzählen wir euch vom Friedhof der Namelosen in Griechenland,

an der Außengrenze der EU. Das ist die Wiederholung vom 9. Februar. Flucht, die Namelosentoten vom

Efros. Nach hinten. Zieh, zieh. Ja, weiter. Zieh, zieh. Die Grenze zwischen Griechenland und der

Türkei, der Efros. Ein Grenzfluss zwischen zwei Ländern, daneben ein Wald. Und darin liegt ein

Toter, der nicht mehr identifiziert werden kann. Du schaffst, Hände. Nur die Knochen sind übrig.

Korrespondenten berichten, dass immer mehr Menschen am Efros sterben. Menschen, die versuchen von der

Türkei nach Griechenland zu kommen, um in die Europäische Union zu flüchten. Ihr hört FKM der

Tagesschau-Podcast in der AID-Audiothek. Auf dem Migrationsgipfel in Brüssel geht es heute und

morgen wieder mal um die großen politischen Fragen in der EU. Um legale und illegale Migration und

um Flucht. Wir schauen aber heute nicht nach Brüssel, sondern zeigen euch, was so ein Wort wie illegale

Migrationsbewegung in der Realität heißen kann. Zum Beispiel an der Grenze in Griechenland. Es geht

heute um die Toten und die Namenlosen vom Efros. Brüdiger Krohn-Taler war für die AID unterwegs

an der EU Außengrenze am Efros. Mein Name ist Victoria Michalsack. Heute ist Donnerstag,

der 9. Februar. Die Polizei hatte eine Leiche im Wald gefunden, einen Toten. Und wir haben den

Bestatter begleitet, wie er diesen Fund wirkt. Also, wie er die Leiche aus dem Wald holt.

Das ist so von so einer Straße, vielleicht zwei Kilometer auf so einem Feldweg in den Wald,

in einem so einem Berg, ein Hügel hoch. Und schon auf dem Weg dorthin, da war ein verlassener Stall.

Dann haben wir reingeschaut. Und in dem Stall waren ganz viele Rucksäcke, Klamotten,

Feuerstellen. Man hat gesehen, da sind Leute durchgezogen. Und die hatten die Sachen zurückgelassen,

wirkte wie so hingeworfen. Und dann sind wir weiter und dann vom Weg ab, dann so durch die

Böschung durch die Büsche. Da war dann in der Nähe von einem Bach tatsächlich dann dieser Fund,

also dieser Tote. Und zwar, da waren am Boden so weiße Steine, so viele weiße Steine auf

so einem Haufen. Und der Kostas, der Bestatter, hatte eine Schaufel dabei und so eine Plastikplane

und seine Gehilfe. Und dann haben die mit der Schaufel diese großen Steine weggemacht, die waren

eben so fausgroß. Und darunter war eben der Tote. Und zwar, der war schon verweßt. Also die Knochen

waren da. Und sein Rucksack und noch ein paar Klamotten. Und die Schuhe nicht, das ist ganz typisch. Die

Schuhe nehmen meistens die anderen Flüchtlinge damit. Also die Flüchtlinge sind in Gruppen

unterwegs, nicht alleine. Und wenn dann einer eine Verletzung hat oder was auch immer, der wird

dann zurückgelassen. Und sie nehmen seine Sachen mit. Die Schuhe sind sehr wertvoll, weil die noch

einen langen Fußmarsch vor sich haben. Gut. Also ihr seid da im Wald mit einem Bestatter mit Kostas.

Wer ist das? Der Kostas ist ein rauer Typ, aber ein sehr guter Typ. Kostas ist Bestatter,

dort in der Region. Und er ist derjenige, der die Toten von der Grenze aus dem Fluss holt und aus

dem Wald holt. Diese Gegend da, wo er Bestatter ist, das ist die Gegend um den Fluss Evros. Denn

das ist ja eine Fluchtroute, eine Grenzregion. Dieser Fluss markiert die Grenze zur EU. Ja, also

das spürt man auf jeden Schritt und Tritt quasi dort in der Gegend, dass es die EU Außengrenze ist

und dass dort alles sehr stark unter Beobachtung ist. Man sieht ganz viel Militär, viel Polizei und

was mich sehr befremdet hat, auch zum Beispiel so schwarze Transporter ohne Nummernschild, also

auch so paramilitärische Einheiten, die dort rumfahren und auch ansprechen, Personalausweis

kontrollieren und so. Es ist also eine ganz streng, dicht beobachtete Gegend und dort ist

eine der wichtigsten Fluchtroute nach Mitteleuropa. Diese Grenze zwischen der Türkei und Griechenland,

ist das eine offene Grenze? Ist da ein Zaun oder ist das nur dieser Fluss? Wie kann man sich das

vorstellen? Kann man da einfach rüber? Es wird seit 2020 ein großer Grenzzaun gebaut, wobei dieser

Grenzzaun mehr eine Grenzmauer ist als ein Grenzzaun. Man darf da nicht hin. Es ist ein

Sperrgebiet. Wir haben monatelang gebraucht, bis wir eine Sonderlaubnis bekommen haben, dort hinzufahren

und das mal anzuschauen. Und der Zaun, der wurde gebaut als Reaktion auf das, was im Jahr 2020

passiert ist, mich damals halt die Türkei einseitig die Grenze für geöffnet erklärt. Und damit sind

Tausende Flüchtlinge, die in der Türkei waren, nachdem die EU Türkei abkommen, auch dann dort die

Türkei von der Türkei auch versorgt wurden. Die haben sich dann auf den Weg gemacht nach Griechenland

und es war kurz davor, dass es da irgendwie eskaliert, also eskaliert auch zwischen der Türkei und Griechenland,

weil das eben nicht stimmt, dass die Grenze offen war, aber die Türkei das erklärt. Und

dieser Ansturm, um diesen so etwas sozusagen zu verhindern, wird jetzt dieser Zaun gebaut und

auch weiter erweitert. Er soll insgesamt auf, ich glaube, 160 Kilometer erweitert werden und deswegen

dieser Zaun, das Wort Zaun passt nicht. Es ist eine Mauer und die ist gebaut ein bisschen für die

Ewigkeit, also ganz tief eingelassen, dieses fünf Meter hohe Stahlstreben, also das ist sehr,

sehr, sehr massiv. Das bedeutet, dass die Mauer im Prinzip keinen Effekt hat, dass die Flüchtlinge

sich nicht auf den Weg machen, aber ein Effekt hat, dass die Flucht gefährlicher gemacht ist.

Die Routen müssen durch unwegsameres Gelände verlaufen, sie müssen mehr ausweichen. Und es ist

auch eine sehr harte Route, eine gefährliche Route. Der Fluss wirkt total harmlos, also wenn man in

Deutschland ist ein Flüsschen, das ist, also denkt man, was ist da das Problem, aber das Problem ist,

dass viele Flüchtlinge nicht gut schwimmen können, dass die Schlepper die Boote extrem

überladen, deswegen Flüchtlinge ins Wasser fallen und dass die Flüchtlinge, weil sie kein Gepäck

mitnehmen dürfen, ihre Kleidungsstücke übereinanderziehen, oft vier, fünf Polober anhaben und

dann fallen sie ins Wasser, die Polober saugen sich voll und die gehen unter wie Steine. Und die

Wälder sind auch sehr gefährlich. Es gibt dort tatsächlich Wölfe und so weiter, das hört sich

erst mal mittelalterlich an, aber die Flüchtlinge sind sehr geschwächt. Sie haben lange Reisen hinter

sich, sie sind zwar oft sehr jung, man denkt sich mit Anfang 20, da schafft man wahnsinnig viel,

aber wenn nur irgendeine Kleinigkeit, gesundheitliche Kleinigkeit passiert, dann kann es das Todesurteil

bedeuten, zum Beispiel wenn sich man dann Fuß verknackst, die Wälder sind sehr wild, das ist

Naturschutzgebiete, so ein Nationalpark sozusagen und dann wird der tatsächlich zurückgelassen.

Und letztlich die Fälle, die wir genauer kennengelernt haben, wo wir ungefähr wissen,

wer das war, die müssen alle alleine gestorben sein, zurückgelassen dort und mehr oder weniger

auch bei Bewusstsein und in voller Klarheit, ja, dass sie jetzt sozusagen im Schicksal überlassen sind.

Und so ging das wahrscheinlich auch den Menschen, den ihr da gefunden habt. Weißt du, was ich mich

gerade eben noch gefragt habe? Dass da so ein Steinhaufen war, das klingt aber doch irgendwie

wie so eine Art Grab, oder? Meinst du die Leute, die da waren, haben denen so ein bisschen beerdigen

wollen oder so? Bei dem wissen wir mittlerweile, wie das war. Der war mit einer Gruppe unterwegs

und der wurde dann zurückgelassen und dann kam nach ihm eine andere Gruppe, die ihn gefunden hat,

da war er am Verwesen, wir haben auch ein Video davon und die haben ihn dann so notdürftig sozusagen

bestattet. Ja, in Aleksandropoli, das ist die nächste größere Stadt, da gibt es ein großes

Krankenhaus und dort ist der Rechtsmediziner, Pavlos Pavidis. Er ist der einzige Rechtsmediziner

dort in der Region und jeder gefundene tote Flüchtling kommt zu ihm. Wir haben den Fund dann

begleitet, dorthin zu ihm. Die Polizei sagt bitte untersuchen, wir wissen nicht, was da passiert ist.

Und dann schaut er sich das an und dann sind wir mit ihm in den Obduktionsraum gegangen, das ist

so ein weiß gekachelt, das ist so wie man es vom Tatort kennt tatsächlich. Da sind so große

Metallwannen auf so Tischen und da liegen dann die Skalpelle und die Scheren und Sägen und so

weiter. Und dann wird vor allem gemessen, also mit so einem Meter Maß, weil man anhand der Größe

der Knochen schließen kann, wie groß der Mensch war und dann hat er DNA-Proben genommen und die

werden mit so einer Säge aus dem Oberschenkelknochen rausgesägt und dann in diesem konkreten Fall

war es dann so, dass er eigentlich gesagt hat, er kann im Prinzip gar nicht sagen, also das Alter

konnte ungefähr bestimmen. Mein erster Eindruck, es ist ein junger Mann, ungefähr 20 Jahre alt. Wir

haben keinen Schädel, nur einige Knochen. Die Todesursache kennen wir nicht. Der war ungefähr,

ich glaube, so drei, vier Monate schon tot. Das konnte er bestimmen und die Kleidung wird auch

aufgehoben, gehört auch zum Fund, ist ganz wichtig, weil manchmal kann man an der Kleidung

später mal eine Identität feststellen. Und dann läuft es so ab, dass er die DNA speichert und ja,

abgleichen muss. Also der Pavlos Pavlidis, dieser Gerichtsmediziner, wie sehr beschäftigt

ihn dieses Thema Flucht? Also Vordergründig sagt er, das ist mein Job. Er sagt, das ist

meine Aufgabe. Dafür werde ich bezahlt und das sucht ihr auch, wenn ihr mit dem Krankenhaus

stirbt, man kennt die Todesursache nicht genau, Autounfall muss er checken. Und bei den Flüchtlingen,

das nimmt halt sehr viel ein. Er hatte im Jahr 2022 so viele tote Flüchtlinge wie noch nie in seiner

beruflichen Laufbahn, der ist seit 22 Jahren dort. Er hatte 63 Fälle im Jahr 2022. Wie

viel waren das dann in den Jahren davor? Also Pavlidis sagt, dass er selbst als Forensiker 600

Fälle in den letzten 22 Jahren untersucht hat. Das muss man wissen, dass das ja nur die Fälle

sind, die man gefunden hat. Also es wird ja nicht jeder Tote gefunden. Und er geht davon aus und er

ist auch nur auf der griechischen Seite. Man weiß ja nicht, wie viele auf der türkischen Seite

möglicherweise schon sterben. Und er sagt, es müssten ungefähr 1200 Menschen tatsächlich sein

in den letzten 22 Jahren an der Grenze am Efros gestorben sind. Er hat das erst angefangen,

überhaupt statistisch zu erfassen. Man merkt aber auch, dass das ein bisschen mehr ist,

als nur seine berufliche Verpflichtung. Also er ist so ein klassischer Beamter,

würde ich sagen, der sozusagen ist hier die Aufgabe. Aber man merkt es, weil er sagt,

jedem Mensch gebührt eine Identität und versucht, die Identität dieses Toten zurückzuholen. Er

sagt, wenn jemand ohne Identität so den Namen los stirbt, es ist wie ein zweiter Tod.

Und das darf nicht sein. Das heißt, das ist für ihn schon auch eine Aufgabe über das

rein fachliche hinaus, dass er sagt, ich möchte den Verwandten ihren Angehörigen zurückgeben,

die Verwandten, die einen verloren haben, ihren Angehörigen zurückgeben. Und ja,

und das ist natürlich, er schafft das ganz oft nicht, weil er nicht mehr hat,

als ein Haufen Knochen tatsächlich. Er sieht diese toten Menschen auch, wenn von ihnen

vielleicht nur noch Knochen übrig sind. Was weiß er denn über die Reise der Menschen bis dort?

Was kann er denn darüber sagen, wie die Flucht funktioniert? Er kann anhand der Körper sozusagen,

anhand der Leiche kann er ja sehr viel ablesen. Also er kann die körperlichen Strapazen ablesen,

die die auf sich nehmen. Er sieht, dass die geschwächt sind. Er sieht zum Beispiel,

wir waren bei einer Leiche, haben wir es mitbekommen auch, das war eine junge Frau,

22 Jahre alt aus Somalia, die hatte so einen Magengeschwür und das war so stark, die konnte

nicht mehr, die konnte nicht mehr weiter laufen und der sagte, dieses Magengeschwür ist ein

klassisches Stress-Symptom. Also die Frau war massiv unter Stress und zwar schon Monate lang,

das sieht man an dem Körper, wie der Körper ausgezehrt ist. Also er sieht, dass er sieht auch,

dass die verdursen, dass die also dehydriert sind. Also er sieht sozusagen, was das körperlich bedeutet,

diese Flucht auf sich zu nehmen. Und er wertet ja auch Handy-Videos aus, wenn sie da sind. Bei

Handy-Videos ist das sehr, sehr interessant, weil immer bevor eine Fluchtgruppe über den

Efros rübergeht, machen die Schlepper-Videos von der Gruppe, um den Verwandten in der Heimat oder

die, die bezahlen, zu beweisen schaut. Wir sind schon hier und jetzt gehen wir rüber. Das funktioniert

ja so, dass das auf die ganze Verwandtschaft zusammenspart und das Geld dann Schlepper oder

Schlepperbanden gibt, die dann manche über die Grenze schleusen sollen. So klappt das ja. Ja und

das läuft auch immer mehr digital. Das heißt, die Verwandten zahlen nicht mehr bar, sondern es

läuft mit Überweisungen. Und das heißt, die fahren an die Grenze. Sagen, hier sind wir. Nächste

Überweisungsrate, bitte. Also das ist der Deal. Das ist wie sozusagen eine Rückkopplung. Und dadurch

hat man diese Videos, man sieht diese jungen Leute, das sind ja fast nur Männer, aber man sieht,

die da sitzen und die sind alle happy, die wollen los. Woher kommt denn der Gerichtsmediziner an

diese Handy-Videos von den Leuten? Ja, die Handy-Nummer von Professor Pavlidis, die ist in der

Flüchtlingszene bekannt. Das ist ganz interessant. Die Flüchtlinge, die einen Angehörigen suchen,

sind vernetzt. Es gibt da diverse Foren und da ist auch seine Nummer. Das heißt also, die schreiben

ihn dann irgendwann an. Und wenn sie wirklich nicht mehr weiterkommen und schicken ihm eben Fotos und

Videos von einem Angehörigen und hoffen, dass er ihnen sagen kann, ja, ich habe hier einen Toten,

der könnte es sein, der müsste es sein. Also es ist eigentlich eine negative Nachricht. Das ist die

letzte Hoffnung. Zumindest hat man dann Gewissheit. Ich meine, sie schreiben einem, der die Toten

analysiert. Also der Job von Pavlos Pavlidis ist nicht nur, Menschen zu identifizieren. Also der

ist auch ganz wichtig für das Seelische von den Familien, also für dieses Abschließen. Das ist

für ihn eine persönliche, das hat er schon gesagt, das ist für ihn persönlich eine Motivation,

weil er weiß, das braucht man. Das gehört zum Mensch dann dazu. Wir müssen uns verabschieden können

von Verschorbenen. Und es ist wie ein zweiter Tod. Wenn er es nicht schafft, den Toten zu

identifizieren, dann ist es für den Toten, es ist sozusagen wie ein zweiter Tod. Er ist nicht nur

gestorben, er hat auch seine Identität verloren. Woran sterben die Leute da? Die häufigste Todesusache

ist Ertrinken. Die zweithäufigste Todesursache ist Erfrieren. Das hat mich ein bisschen erstaunt,

weil ich dachte, der Griechenland ist immer schön warm. Aber als wir dort waren, war es auch ziemlich

kalt. Da gehen so windig, das ist auch gebiergig. Wahrscheinlich gehen die Leute nach,

bis es damit dunkel ist. Genau, es ist nachts. Und dann auch, ich habe mal das Gefühl,

also das hat er auch gesagt, die haben halt nicht viel Erfahrung mit Wasser. Wenn man den

Fluss stürzt und rauskommt, da muss man sich dann ausziehen. Weil die Klamotten, die nassen Kleider,

die entziehen mir die Temperatur, die Wärme. Wir haben ein Foto, hat er uns gezeigt von einem Toten,

den sie gefunden haben, in so einer Hütte. Also dessen Wasser gefallen, dann hat er sich in so

eine Hütte geschleppt und hat dann dort, wo ich das sich offensichtlich aufwärmen in der Hütte

und ist dort erfroren. Weil er die Sachen nicht ausgezogen hat? Genau, er hat ja alle Klamotten an

und ist dort erfroren. Wer sind denn diese Menschen? Also es sind hauptsächlich junge Männer, Frauen,

sind es weniger. Wir waren auf dem Friedhof, auf dem muslimischen Friedhof. Das sind dann die

Muslime, die identifiziert wurden. Wir haben ein Grab gesehen von einem Baby, es war zwei Monate alt,

aber auch ältere Leute. Also über die Jahre gesehen, besonders 2015, 2016, als die große

Flüchtlingswelle kam, sozusagen. In der Zeit hast du alle Generationen, aber aktuell, jetzt im

letzten Jahr sind es hauptsächlich junge Männer, die kommen und auf diesem islamischen Friedhof,

da sieht man auch immer die Länder da, das ist natürlich viel Afghanistan, Syrien, aber auch

Afrika, also Zentralafrika, auch aus Sudan zum Beispiel, aus Pakistan. Ja, was passiert denn eigentlich

mit den Toten, die ohne Namen bleiben? Wenn Pavlides der Rechtsmediziner, wenn er die Leichen

obduziert hat, dann werden die tief gefroren in Containern im Hinterhof des Krankenhauses stehen

zwei große Gefriercontainer. Da lagen, als wir dort waren, ungefähr 25 Tote drin. Und als

wir dort waren, kam eben Kostas wieder, der Bestatter, weil er hatte den Auftrag, 10 von

diesen Toten zu bestatten. Das heißt, er kam mit seinem Transporter und dann haben sie die Kühlcontainer

geöffnet und da liegen dann die Leichensäcke drin. Und das war sehr beklemmend, es hat auch sehr

intensiv nach Verwesung gerochen, obwohl die auf minus 20 Grad gekühlt werden, die Leichen. Und

dann haben sie die Container aufgemacht und dessen liegen die Leichensäcke, die sind blau oder

schwarz, die meisten sind schwarz, gibt auch weiße Säcke. Und jeder Sack hat eine Identifizierungsnummer

und dann haben sie nach gewissen Nummern gesucht und haben dann die Säcke genommen, zu zweit,

das sind ja wachsene Menschen, die da drin liegen, sehr schwer und haben diese Säcke rausgezogen

und haben sie in den Transporter von Kostas geladen. Und das ist sehr krass, es war bei der

ganze Recherche für mich persönlich, weil es die krasseste Situation, weil die haben auch,

weil es einfach, da geht es sehr rau zu. Ich kann das auch verstehen, ich will es nicht bewerten,

ich finde es in allbern das zu bewerten, weil ich könnte diese Arbeit nicht machen, aber es geht

sehr rau zu, die stehen alle unter Druck. Wir brauchen Ordnung, der eine geht mit, der andere nicht.

Ringe einen Sack. Hör auf. 260 B kann gehen. Das hört man auch, wie die brühen sich dann so ein

bisschen an, die wollen das alle hinter sich bringen. Und das darf auch kein Fehler passieren,

es darf jetzt nicht so sein, dass dann ein Falscher mitgenommen wird ist, die müssen sehr genau

sein und gleichzeitig packen sie diese, wenn man da einen Leichen sagt, dann spürst du, hast du jetzt

da die Schultern oder hast du da die Knie oder was? Und die Säcke waren teilweise auch aufgerissen.

Also es war, es waren, ja, und da holen sie die Leichen raus, verladen die und dann bringen sie

die zum Friedhof der Namendosen. Wie war da die Stimmung bei denen? Die machen diese Arbeit,

die jemand machen muss. Irgendjemand muss sich um die Toten kümmern. Und dort sind es Säcke,

in denen Menschen liegen, von denen wir nicht wissen, wer sie sind. Und es muss schnell gehen,

weil das ist ein großer Stress, weil es auch so gestunken hat, weil es so stark gerochen hat.

Ja, also die wirkten alle so, da schon gereizt, obwohl die, wenn man so will Profis sind,

es soll dann einfach schnell gehen. Und die Leichen werden genommen, die werden auch teilweise so

gezogen, also diese Säcke, der rumpelt. Also ich versuche mich jetzt reinzufühlen in einen

Bestatter, der sonst, wenn jemand gestorben ist, da sehr darauf achtet, dass das würdevoll

geschieht. Und in diesem Kontext, ich glaube, dass das ein Bestatter sehr, sehr angeht, auch wenn man

professionell mit Toten Menschen zu tun hat, dass man dann irgendwie versucht, das von sich

fernzuhalten. Also so eine raue, dicke Haut zu bilden, einfach um, damit es nicht einer rangeht.

Was mir dann so klar wurde, war, der Kostas macht diese Arbeit, die gemacht werden muss. Er fasst

das mit seinen Händen an, was er letztendlich, das scheitern, dieser Grenzpolitik ist. Also er ist

derjenige, der das anfasst, der diese Leichen hochhebt, der sie rüber trägt und der sie dann in

die Grube legt. Für die gibt es einen besonderen Friedhof. Wir haben es immer so gesagt, Friedhof

ist der Namenloser. Und das ist, das ist, das ist in den Bergen, da muss man zwei Stunden hinfahren

von der Küste aus, ein Friedhof mit bestimmt 200 Gräbern und dort waren dann Gruppen ausgehoben.

Komm, fangen wir langsam an. Wie ist die Nummer? 116, 22. Okay, nehm ihn. Da waren Helfer aus dem

nächsten Dorf, waren da und haben schon die Gruppen ausgehoben und Kostas hat dann zehn Leichensecke

geladen gehabt in seinem Transporter und dann wurden dort jeder der zehn Tote in eine Grube gelegt

und dann wird zugeschüttet und dann wird da eine Marmo-Platte so hingestellt und ja wie ein

Grabstein, aber ohne Namen, so mit einer Nummer. Was steht denn da? Eine Nummer. Gibt es hier eine

Nummer? 11, 61, 22. Und diese Nummern und den Ort des jeweiligen Grabs, die liegen auch bei

Pavlides, der hat es in der Schublade so ein Zettel, weil wenn irgendwann mal sich dieser Tote

doch identifizieren lassen könnte, dann könnte man ihn ausgraben und nochmal überführen,

also die Gebeine, man könnte man sich, könnte man der Familie nochmal die Möglichkeit geben,

sich zu verabschieden. Also es gibt keine richtige Beerdigung, keine richtige Zeremonie? Nee, der

Kostas, der Bestatterns gesagt, am Anfang hat er das noch gemacht, aber das machen sie auch nicht

mehr und das war so eine komische Mischung von der Stimmung her, weil das sollte irgendwie auf der

einen Seite, sollte das irgendwie jetzt schnell gehen und als wir dann den Kostas gefragt haben,

kommt jetzt eigentlich nicht irgendwie ein Geistlicher oder packt jetzt dann ein und fahrt

einfach oder so, wie ist das jetzt? Dann war auch so ein bisschen ja irritiert. Wird das eine

Zeremonie geben? Nichts, standesamtliche Bestattung. Wird das jemand kommen? Früher hat

immer jemand eine Traurimne gelesen, jetzt nicht mehr. Du hast sie auch gelesen? Ich habe

einen Geistlichen geholt. Warum nicht mehr? Jetzt geht ihr mehr alle auf die Nerven. Ihr

sitzt im Büro und glaubt ihr seid wichtig. Ihr Journalisten, ihr sitzt immer nur im

warmen Studio und quasselt. Also der wirkte so, was wollt ihr denn sonst noch ungefähr? Er war ein

bisschen sauer, dass ihr ihm das vorgeworfen habt, dass er die Leute nicht richtig bestattet. Ja,

nein, also er war halt einfach so ein bisschen, man hat so gespürt, dass er auch was wegschieben

muss. Er kann sich darauf nicht einlassen. Der hat gerade den Leichen verschart. Was soll er jetzt noch

sagen? Wir haben alles dafür getan, um diese Menschen zu identifizieren. Sowohl ich als auch die

Polizei waren in Kontakt mit internationalen Organisationen wie dem Roten Kreuz. Das Fragezeichen

bleibt, was ihre Daten anbelangt. Wir haben es nicht geschafft, die Toten ihren Verwandten zurückzugeben.

Das bedeutet ja, Pavlidis ist nicht gelungen, den Namen herauszufinden oder Identität herauszufinden.

Und er selber hatte sie das aber nicht so. Das sind die persönlichen Gegenstände. Jede Nummer

ist ein Fall, denn jeder in dieser Beutel steckt ein menschliches Leben. Da hat in seinem Büro und

dass ein Schreibtisch hat er so zwei große Papkartons und in diesen Papkartons sind so kleine

Tüten mit Nummern. Und in diesen Tütchen sind persönliche Gegenstände von den Toten, die er

nicht identifizieren konnte. Also Uhren, Schmuckstücke, alles Mögliche. Auch Kleidungsstücke hebt er auf.

Also er hat noch die persönlichen Gegenstände, die behält er und er hat die DNA der einzelnen

Toten. Weil irgendwann könnte jemand kaum ein Verwandter, auch noch nach Jahren und bei ihm

Nachfragen, und dann schaut er immer schief nach. Also es gibt noch die Möglichkeit nach Jahren,

die Leute zu identifizieren und dann ja sie umzubetten und nochmal neu zu bestatten und den

für mich die Möglichkeit geben, dass sie sich dann nochmal verabschieden können.

Rüdiger, danke für diese spannende, auch erschütternde Recherche. Danke, dass du uns davon

erzählt hast. Danke, danke euch. Rüdiger Kroenthaler ist Auslandskorrespondent im

AID-Studio Rom. Er hat in aller Tiefe zu den namenlosen Toten vom Efros recherchiert. Rüdiger

hat auch eine Doku gedreht, die ihr auch bei Arte findet. Den Link dazu gibt es in unseren

Show Notes. Das war unsere Folge für heute bei 11km der Tagesschau-Podcast. Autorin dieser Folge

ist Katharina Hübel. Mitgearbeitet hat Sandro Schröder. Produktion Jonas Teichmann, Florian

Teichmann, Viktor Werresch und Gerhard Wichow. Redaktionsleitung Lena Götler und Fomiko Lipp.

Mein Name ist Victoria Michalsack. 11km der Tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und

NDR Info. Und wir hören uns morgen wieder. Tschüss.

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Der Grenzfluss Evros trennt Griechenland und die Türkei. Der Fluss liegt damit an einer der Außengrenzen der EU. Eine Fluchtroute, auf der Menschen ertrinken und erfrieren. Ein Rechtsmediziner und ein Bestatter in Griechenland versuchen, den namenlosen Toten vom Evros die letzte Würde zu erweisen: Identitäten zu klären und Angehörigen eine traurige Gewissheit zu geben. ARD-Korrespondent Rüdiger Kronthaler hat sie begleitet und erzählt in dieser 11KM-Wiederholung vom 9. Februar von seinen Eindrücken.



Rüdiger Kronthalers Berichterstattung auf tagesschau.de:

https://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-griechenland-flucht-evros-obduktion-101.html

Auf Arte ist die Dokumentation von Rüdiger Kronthaler zu sehen: https://www.arte.tv/de/videos/104430-012-A/re-namenlose-tote-fluechtlinge/



An dieser Folge waren beteiligt:

Autorin: Katharina Hübel

Mitarbeit: Sandro Schroeder

Produktion: Jonas Teichmann, Florian Teichmann, Victor Veress, Gerhard Wicho

Redaktionsleitung: Lena Gürtler, Fumiko Lipp

Host: Victoria Michalczak

11KM: der tagesschau-Podcast ist eine Produktion von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Folge trägt der BR.