Input: Essstörungen: «Ich habe Angst, die Anorexie zu verlieren»

Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) 9/6/23 - 38m - PDF Transcript

Ich bin Andrea Graf, ich bin 60 Jahre alt.

Ich bin Schriftstellerin.

Und dann habe ich seit 44 Jahren Anorexie.

Und das sind wie meine zwei Standbei, Schreiben und Anorexie.

Ist das ein Standbei Anorexie?

Ein Stand um den Fallbei.

Aber im Verlauf dieser 44 Jahre hat sich die Anorexie gehört zu meiner Identität.

Das ist wahrscheinlich auch ein grosses Problem.

Ich habe panische Ängste vor, noch immer die Anorexie zu verlieren.

Weil ich das Gefühl habe, was bin ich ohne Anorexie?

Nur noch ein jämmerliches Nicht.

Und dass ich inzwischen den anderen Teil meiner Identität aufbauen konnte.

Als Schriftstellerin.

Das ist Input, ich bin Reena Telli.

Und so eingefahren wie Andrea,

ist mir in all diesen Jahren selten jemand in einem Interview.

Fahre gerade und ehrlich und wach und präsent wie Andrea, habe ich selten Leute erlebt.

Und daher mache ich an dieser Stelle eine Trügerwarnung.

Andrea Graf, ihre Geschichte ist sehr heftig.

Man taucht tief ein in ihre Essstörung.

Wenn mir das zu viel ist, empfehle ich an dieser Stelle auf Stopp zu drucken.

Ihr findet in unserem Risikarchiv, im Podcast Feed for Input,

viele andere spannende Folgen.

Und auch ganz wichtig, falls ihr Hilfe braucht,

oder ihr euch Sorgen macht um jemanden,

ich habe euch in den Show notes Adressen von Profis verlinkt,

die für euch da sind.

Füllen wir an.

Wenn es um Essstörungen geht,

sind oft Teenies und junge Erwachsene im Fokus.

Meistens Frauen.

In diesem Input schauen wir auf die Betroffenen,

die schon längst erwachsen sind.

Dass Andrea 60 geworden ist,

mit ihrer Anorexie, mit der Magersucht,

ist nicht selbstverständlich.

Essstörungen können tödlich sein.

Das Leben mit dieser Krankenzeit, darum viele es überleben,

hat die Ärztin Gabriella Milas,

die sich seit Jahrzehnten mit Essstörungen befasst.

Es gibt auch Patienten, die das sagen.

Es ist nicht ein Leben, sondern ein Überleben.

Wie Andrea mit ihrer Krankheit lebt,

kehren wir in den Input.

Andrea hat uns vermöhnt, dass Mehl geschrieben und gemeint,

Input würde immer wieder Themen aufgreifen, wo tabu sind.

Wie es den Wärmen der Erfolge über Essstörungen

bei längst erwachsenen.

Sie hatte mich sofort, weil ich gemerkt habe,

dass auch ich Essstörungen,

die mit Jugendlichen und Jungen erwachsenen verbinden.

Ich hatte keine Ahnung, wie betroffen ich damit leben,

die deutlich älter sind.

Also habe ich mit Andrea Kontakt aufgenommen.

Wir haben ein paar Mal gemeilt, telefoniert

und dann für ein Interview abgemacht.

Sie holt mich in ihrer Heimatstadt St. Gallen am Bahnhof ab.

Eine Frau mit langen, dichten, gräben Haaren.

Eine Runde in John Lennonbrüllen.

Und sie ist dünn und schmal.

Wir fahren mit dem Bus zu einer Freundin von ihr.

Wir machen das Interview dort, weil dort das Klavier steht.

Wir fahren schon ein Bus auf, wie offen Andrea

über ihre Essstörungen redet.

Die Ärztin, die wir vorher gehört haben,

hat mir erklärt, dass in schweren Fällen,

und Andrea ist ein schwerer Fall,

dass in so einem Fall Betroffenen ihre Geschichte

selten mit den Medienteilen ausschauen.

Andrea redet laut und klar von ihrer Essstörung,

so wie andere im Bus über ihre Wanderer reden.

Ich habe das Gefühl, sie beschämt mich nicht.

Ich habe wieder die Eindruck, dass ich kein Tabu bin.

1979, als sie bei mir manifest wurde,

und ich immer megrobi wurde, ausgemergelt,

konnte ich sie nicht verstecken.

Jo, das leuchtet mir ein.

Wie will sie etwas verstecken, das so offensichtlich ist?

Und sie will ein Tabu brechen.

Wir haben noch gesagt wegen dem Spielen.

Wir kommen bei der Freundin von Andrea an,

bei Brigitte Agierig.

Dann unten im Atelier, unten hat es natürlich noch etwas mehr Kostüm.

Wir drehen sich etwas über das Interview,

über was wir alles reden wollen.

Dann zeigt Andrea eines ihrer Werke.

Als Schriftstellerin befasst sie sich auch mit ihrer Krankheit.

Und weil sie sich als Schriftstellerin so intensiv mit Wort befasst,

konnte sie ihre Essstörung, ihre Markensucht klarbenennen.

Es sind Texte, die auf eine ganz eigene Art herkommen.

Sie sind gemacht von dem Ohr,

und darum sagt sie ihren Stück Hörtext.

Das will ich hören.

Der Schularzt empfiehlt Fettes, viel, viel Fettes.

Fettes, Fettes, Fettes, Fettes, Fettes, Fettes, Fettes, Fettes, Fettes, Fettes.

Das ist ein Ausschnitt aus ihrem Werk

Anorex König Arsch, Anorexienfragmente.

Andrea sitzt auf einem Stuhl und dreht Fahr.

Nebenher sitzt ihre Freundin Brigitta Gehrig am Klavier.

Fettes, Fettes, Fettes, Fettes, Fettes, Fettes.

Brigitta ist Sängerin und Pianistin.

Die beiden Freundinnen arbeiten zusammen an ihren Werken.

Ich finde es super, dass sich Andrea und ihre Freundin Brigitta betrifft.

Es hilft mir, dass Andrea ihre Anorexien versteht,

wenn ich Andrea auch durch die Augen von ihrer Freundin Brigitta sah.

Ich sehe Andrea heute zum ersten Mal.

Die erste Begegnung zwischen Andrea und Brigitta,

die ist etwa 20 Jahre her.

Ich habe Andrea an einer Lesung in einer Buchhandlung

in St. Gallen kennengelernt, die sie aus ihrem Buch gelesen hat.

Brigitta ist eingefahren, wie Andrea aussieht.

Wenn man einen Menschen kennenlernt

und am Anfang denkt man,

der ist ja schrecklich.

Oder man sieht schrecklich aus.

Sie hatte als Freundin ganz andere Worte ins Maul als ich.

Und was Brigitta beschreibt, zeigt,

wie heftig es um Andrea damals gestanden ist.

Aber was Andrea an einer Lesung,

die 20 Jahre angefangen hat, aus ihrem Buch fortzutragen,

ist eine ganze Welt aufgegangen.

Und zwar eine sehr lebendige Welt.

Wow, da kommt ja Musik.

Der Schularzt mag Zartes.

Das betrachtet von sehr, sehr Zartem.

Mit der Zeit ist Andrea ihre Krankheit,

ihr Aussehen hintergrundgerückt

und ihre Freundschaft im Vordergrund.

Irgendwie kommt man in eine Beziehung,

dann rückt was anderes in den Hintergrund.

Auch wenn es noch so stark ist,

das kommt manchmal schon wieder her.

Aber die Beziehung ist wie ein Stärker.

Du wirst mich auch lachen wegen was?

Ja, weil ich eben zeitweise schon wie ein Sunker aussehe.

Ja, ich habe mich auch noch immer.

Ich möchte vielleicht noch sagen,

als ich mit Brigitte in Kontakt bekam,

wurde sie zu meiner ersten Freundin,

wirklich eine Freundin,

nach einer Durststrecke,

die vielleicht 10 Jahre lang,

wo ich wirklich keine Freundin oder keine Freundin mehr hatte.

Er hat dann immer mehr auch andere Leute durch dich kennengelernt.

Das war so toll für mich.

Jetzt bin ich immer noch total so dankbar,

dass ich wieder ein paar wenige gute Freundinnen gefunden habe.

Was Andrea sagt, ist typisch.

Ausstörungen können einsam machen.

Wie es Essen oft im Zentrum steht, wenn Menschen zusammenkommen.

Käffeln, abberöhlen, zusammen zu nachts essen.

Von Andrea keine Option.

Fett, fett, fett, fett!

Ich war von Andrea so fasziniert.

Es war wie eine andere Person.

Was ist denn für eine Person?

Anorexie kommt einem gar nicht in den Sinn,

wenn man sie hört lesen.

Sehr lebendig, sehr lebendig und kraftvoll.

Ausdruckstark.

Und dann habe ich sie auch gefragt, Andrea.

Ich glaube, das war gerade in einer ganz strauben Zeit von mir.

Ich habe alle Phasen von Essstörungen durchgemacht.

Ich glaube, das war die Zeit,

in der ich in dem Fressen und Erbrechen

tiefes Kreis gesteckt habe.

Zudem habe ich etwas Neues mit Musik zusammen.

Ich habe mich auch Angst gehabt.

Ich habe mich nicht fähig gefühlt für so ein Experiment.

Auch das ist typisch für ihre Krankheit.

Andrea mit ihrem schweren Verlauf bezieht IV,

schon seit sie jung ist.

Funktionieren im System in der Arbeitswelt,

das kann Andrea nicht wegen ihrer Krankheit.

Das erzählt sie uns später noch genauer.

Bleibt man noch bei Andrea und Brigitte?

Irgendwann hat es nebenbei gleich einmal geklappt.

Irgendwann hast du dich wieder gemeldet?

Ja, es sind bei mir Hörtexte im engeren Sinn entstanden,

so etwas rapmäßige Sachen.

Und wenn ich mal so ein Bündel an Text geschrieben habe,

ist mir Brigitte in Sinke gekommen.

Ich dachte, eigentlich werde ich jetzt noch lässig

mit einer Musikerin zusammen.

Und du hast ihn doch sofort ja gesagt.

Ich beriere es weit knallhart ehrlich,

aber auch zärtlich die beiden miteinander reden.

Und je mehr ich höre, umso komplexer kommt mir alles hinein.

Darum suche ich nach geriffbaren Fakten.

Schlauer werde ich durch Infos,

die ich auf der Webseite des Unispital Zürich finde.

Dort gibt es ein Zentrum von Erzstörungen,

der Wirtschaft von Leuten, die von der Sache fundiert.

Es gibt verschiedene Arten von Erzstörungen.

Andrea hat Anorexie, die auch als Magersucht bekannt ist.

Menschen mit Anorexie sind oft stark untergewichtig.

Sie hungen, machen Diäten,

manchmal erbrechen oder nehmen Medis

oder machen Exzessivsport zum Abnehmen.

Betroffene essen ungern mit anderen.

Auch die Bulimie kennt Andrea aus eigener Erfahrung.

Typisch bei Bulimien sind unkontrollierte Heishungern

und S-A-Fälle.

Kuchen, Schocken, Chips, Burger.

Und danach versuche ich, alles wieder loszuwerden,

indem sie erbrechen,

Abwehrmittel nehmen oder Exzessivsport machen.

Wir fanden einen grossen Unterschied auf zur Anorexie.

Menschen mit Bulimie sind meistens normalgewichtig, heisst es.

Dann ist mir noch eine Zahl aufgefallen, die Zahl 13.

13% der Bevölkerung in der Schweiz

haben Symptome einer Erzstörung.

Das steht im Bericht vom Schweizerischen Gesundheits-Abservatorium.

Das sind die Blutenzahlen und Fakten.

Aber ich habe noch so viele Fragen.

Auch ganz banale Fragen.

Zum Beispiel, warum Betroffene wie Andrea nicht essen können.

Darum fahre ich ins Unispital Zürich

und treffe dort Gabriella Milas.

Die Tessinerin ist dort lange Jahre leidend wie Ärztin

am Zentrum von Essstörungen gesehen.

Heute fährst und lehrt sie am Unispital Zürich,

um die Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft

für Essstörungen.

Was ist es, was sie so interessiert,

dass sie sich so viele Jahre mit Essstörungen befasst haben?

Was ist das, was sie fasziniert?

Und sie motiviert, daran zu bleiben?

Essstörungen werden in unserer Gesellschaft

häufig sehr bagatellisiert.

Vor allem man nimmt nicht richtig wahr,

dass z.B. Magersugter Norexianervosa

eine Krankheit, die zum Tod führen kann,

eine psychiatrische Erkrankung mit der höchsten Mortalität.

Wird wenig gemacht, wird auch sehr wenig international gemacht.

Und das ist eine der Gründe,

dass ich mit dieser Thematik auseinandersetze.

Sie haben gesagt, dass Essstörungen oft bagatellisiert werden.

Die Leute haben das Gefühl, es ist doch einfach.

Ich habe auch schon gehört,

dass sie in einem Alter,

wo sie vielleicht 50, 60 Jahre alt sind,

eine Schönheitsideale entsprechen wollen.

Sie sollen doch einfach aufhören mit dem.

Offensichtlich ist das nicht so einfach, oder?

Es hat nur einen Förderesinn, etwas mit dem Schönheitsideal.

Am Anfang startete es nicht so selten so.

Wir haben sehr viele Patienten, die sagen,

ich wollte gesünder leben,

habe ich weniger gegessen, gesünder gegessen,

habe ich mich mehr bewegt.

Aber dann, wenn die Krankheit wirklich startet,

dann werden diese Aspekte wie sekundär.

Die Person ist nicht mehr in der Lage, sich normal zu ernähren.

Und dann kann man nicht mehr sagen,

es ist, weil die Person schlank bleiben will.

Dann kommt der andere Aspekt,

der bei Magersug zentral ist

und die die Angst vor der Gewicht zunahme.

Die Betroffenen haben Angst vor dem Zunahmen,

weil, und ich tu es jetzt sehr vereinfacht,

weil ihr Belohnungssystem im Hirn anders funktioniert

als bei Menschen ohne Ausstörung.

Wenn gesunde ihres Lieblingsessen essen, können sie es geniessen.

Wenn Menschen mit Andrea essen,

fühlen sie sich schuldig

und sie haben das Gefühl, dass sie die Kontrolle verlieren.

Darum ist es für Betroffene alles andere als einfach,

um einfach wieder zu essen.

Weil das Gewicht zu normalisieren,

wann eigentlich ein zentrales Teil

der Therapie von Magersug ist,

ist extrem angstbesetzt.

Und wenn jemand ist,

auch wenn schwer untergewichtig,

muss nachher mit schlechten Gefühlen leben.

Und das macht die Therapie so schwierig.

Die Krankheit hat so eine Dynamik,

dass wenig ist nie wenig genug.

Das ist eine spirale Nackung.

Um nicht zuzunehmen,

nehmen dann die Patienten in der Realität ständig ab,

was dann sehr gefährlich ist.

Meistens wenn ich von Anstörungen hör,

stehen junge Menschen im Fokus,

vor allem junge Frauen.

Mir nimmt es darum Wunder,

wie das bei längst erwachsen ist.

Ich habe Gläser von Frauen,

die in Anführungszeichen erst

sich in ihrer Körper in dieser Zeit verandert,

und sie damit mir haben.

Ja, das gibt es.

Es ist seltener.

Aber das gibt Menschen,

die radikale Diäten anfangen.

Oder sie sich extreme Bewegungsregel angeben.

Vielleicht auch ein bisschen verbunden

mit der momentanen Lebenssituation.

Dann kann es auch später im Leben kommen,

auch in der Menopause.

Aber sehr häufig sehen wir,

dass die Menschen, die das entwickeln,

aber wenn man genau fragt,

auch in der Jugend

oder früheren Wachsenalter,

schon Phasen,

die mit dem Messen schwierig waren.

Dazu eine kurze Zahl.

Eine Grafik vom Schweizerischen Gesundheitstops

zeigt, dass die Kurve

die älteren Leute werden.

Mehr als 30 % der jungen Frauen

haben Symptome von einer Essstörung.

Bei den Männern sind es etwa 16 %.

Ab 25 % gehen die Zahlen an.

Bei Frauen im Alter von Andrea

haben dann noch

rund 10 % Symptome von einer Essstörung.

Das sind zum Beispiel Bereiche nach dem Essen.

Was wissen Sie über Essstörungen

bei längst erwachsenen Menschen?

Was sind das für Leute?

Und wie sind sie in die Essstörungen gekommen?

Häufig beginnt

die Krankheit

im jungen Wachsenalter

oder in der Adoleszenz.

Da die Krankungen

eine grosse Tendenz chronisch zu werden

und schwierig zu behandeln sind,

geht die Krankheit weiter.

Es ist nicht selten,

dass zum Beispiel eine sehr junge Person,

22-Jährige,

schon 8 Jahre krank ist.

Dann kann die Krankheit

auch im jungen Alter bleiben.

Es lohnt sich immer,

eine Therapie zu machen.

Aber die Erfolgschancen,

je länger die Krankheit dauert,

umso kleiner sind sie.

Genauso, wie es der Arzt in Gabriella Milos beschrieben hat,

hat die Erfolgschancen

bei Andrea Graf auch angefangen.

Sie hat mit 16 eine Diät gemacht.

Er hat mir angefangen,

dass ich mir gesagt habe,

heute Abend lasse noch etwas mehr weg,

wie gestern.

Es ist dann so weitergegangen,

immer weniger.

Ich musste immer steigern.

Wenn es mir nicht gelungen ist,

noch weniger zu essen,

dann bin ich wie in einem Lach.

Wenn es mir gelungen ist,

dann bin ich in eine Euphorie gekommen.

Aber es muss immer noch krasser werden.

Ist das, was Süchtige macht?

Wenn es nicht gelingt,

dann ist es in einem Lach.

Wenn es gelingt,

dann ist es eine Art Rusch.

Ist das der Mechanismus?

Vor allem in der Anfangsphase

kommt man wirklich in eine Rusch.

Man nimmt alles viel finner wahr.

Die Farben wären sehr intensiv.

Es werden auch körperreiche Endorphine

ausgeschüttet,

die man so auszustellen kann,

evozieren.

Irgendwann stellt sich einfach die Euphorie

nicht mehr rein.

Man muss aber weiter hungern,

damit man ein bisschen aus dem Lach rauskommt.

Man ist ein solcher Verfahren.

Man kann nicht aussteigen.

Wenn man weiter macht,

ist es auch nicht gut.

Man ist schon in diesem tiefen Kreis.

Andrea hat sich stämig gefühlt

und wollte die Brüste nicht verwachsen.

Dann hatte der Anfang

ihrer Ausstörung aber andere Komponenten.

Es war ein Protest.

Gegen unsere Überflussgesellschaft,

gegen unsere Überfettheit

und die Übersattheit

und die Konsumgesellschaft

war schon ein starker Protest in mir.

Ich habe mich solidarisch gefühlt

mit den Hungern.

Dann hat es aber auch noch,

weil ich dann auch ganz spezielle Erfahrungen

machen konnte,

die sicher richtig spirituelle Erfahrungen

sind,

hat es mir schon eine ganz neue Welt geöffnet.

Gerade auch durch den Rustzustand,

dass man hier manchmal in eine Dimension reinkommt,

wo man sich

von völliger Harmonie und Aufgaben sieht.

Das, was Andrea beschreibt,

zeigt auch so, was die Hungern für sie hatten.

Aber ich muss ganz klar betonen,

Ausstörungen sind lebensgefährlich

und nichts zu erklären.

5-10 % der Menschen, die noch waren, sterben.

Andrea ist eine extreme Geschichte.

Ich kann mir von der Ärztin Gabriella Milo sagen lassen,

dass betroffene mit so langen schweren Verläufe

die Krankheit oft nicht überleben.

Bist du zu diesem Punkt schon näher gekommen,

was gefährlich geworden wäre

oder die Menschen, die Angst hatten und dich,

dass du nicht überlebst?

Ja, ich bin auch Herrscherf,

immer wieder der Spitalinweisung entkommen.

Du hast mir am Telefon erzählt,

was es bedeutet,

mit dieser Sucht mit dieser Krankheit zu leben,

auch für dich zu arbeiten.

Dass du gar nicht einen vollen Tag lang

dich mit deiner Arbeit beschäftigen kannst,

wegen deiner Sucht,

kannst du mir das beschreiben?

Ich habe das Gefühl,

dass die erste Hälfte der Tage funktioniert

in einigermassen normal.

Ich habe in der Regel Schreibe am Morgen

und dann mache ich so ein Runde dort die Stadt durch

und gehe auch gut posten.

Aber kaum am Mittag, kaum fange ich an zu essen.

Gut, ich habe mein Programm,

das ich mir erlauben kann.

Da geht es problemlos.

Aber ich muss gewisse Essrituale dann durchführen.

Essrituale, Programm.

Hinter diesen Worten steckt viel.

Mit Essrituale meint Andrea ihre Methode,

wie sie zwar essen zu sich nehmen

und gleich morgen bleiben.

Wie sie das genau macht, sagen wir bewusst nicht,

aus einem einfachen Grund.

Wir wollen nicht, dass andere betroffenen auf Ideen kommen,

die sie sonst nicht hatten.

Die Essrituale braucht einen grossen Teil

von Andrea ihrer Zeit.

Das braucht eine halbe Tage Zeit.

Was heisst das ganz konkret?

Es ist am Mittag bis drei Uhr

und dann gehe ich schlafen und dann lese ich.

Dann drehe ich noch einmal ein Runde durch den Stadtpark.

Am Abend muss ich wieder die Essrituale machen,

die ursprünglich als Notventil diente.

Und hat mir den Ausweg aus dem Essbrech-Sucht ermöglicht.

Wie kann man es vergleichen,

wie das Heroinprogramm für Drogensüchtige,

die zwar nicht etwas Optimales sind,

sie kommen nicht von der Sucht los,

aber sie können wieder einen geregelteren,

normalen Tagesablauf oder auch der Arbeit nachgehen.

Vorher konnte ich nicht mehr schreiben,

und so konnte ich wieder am Schreiben angehen.

Aber inzwischen ist das Notventil mehrmals im Einsatz.

So gesehen ist es fluch und zäger zugleich.

Andrea vergleicht ihr Ritual

mit dem Metadonprogramm für Heroinabhängige.

Das zeigt, wie stark sie ihre Magersucht empfinden.

Und eben, ihr Ritual wird ihr ermöglichen zu schreiben.

Und schreiben ist ihre Lebensoderung.

Der Schularzt, man schweigt, Brigitte empfiehlt der Hausarzt.

Seine Tochter heisst Brigitte.

Empfiehlt, empfiehlt der Hausarzt Brigitte Diät.

Mit Brigitte Diät sind übrigens Diäten aus der Zeitschrift Brigitte gemeint.

Sie haben nichts zu tun mit Brigitte aus dem Input.

Der Notfallarzt empfiehlt Rüeblee.

Viel, viel Rüeblee.

Der Psychoanalytiker empfiehlt Weizenkleihe.

Die Frau des Psychoanalytikers, Psychoanalytikerin,

schenkt mir eine 400 Gramm Packung Weizenkleihe.

Das war noch mal ein Ausschnitt aus dem Stück Anorex, König Arsch,

Anorexi Fragmenten.

Ein Stück, das Andrea und Brigitte für den Input ausgesucht haben.

Wieso haben sie gerade das ausgesucht?

Es zeigt auch die Hilflosigkeit der behandelnden Ärzte,

dieser Krankheit gegenüber.

Dann tunkt es mir auch einen kurzen Ausschnitt.

Ist das noch eine geeignete Stelle?

Viel, viel Rüeblee.

Die Frau des Psychoanalytikers, Psychoanalytikerin,

schenkt mir eine 400 Gramm Packung Weizenkleihe.

Die Frau des Psychoanalytikers, Psychoanalytikerin,

schenkt mir eine 400 Gramm Packung Weizenkleihe.

Die Frau des Psychoanalytikers, Psychoanalytikerin,

schenkt mir eine 400 Gramm Packung Weizenkleihe.

Ja, sicher.

Anorexi hat so viel Humor voll.

Es ist manchmal so abstrus, was hier abläuft.

Das muss man einfach ...

Ja, aber ich muss das Betroffenen lachen.

Ist es dann lustig, wie man nicht magburieren will?

Was ist lustig dran? Ich verstehe es nicht.

Gerade im Zusammenhang mit den Therapien, die ich erlebt habe,

da gab es so abstruse Situationen.

Wie soll man so Rüeblee essen?

Oder soll man die Brigitte Diät lesen?

Das war in einer Phase, in der ich sehr dick war.

Die Empfehlung von meinem Hausarzt mit der Brigitte Diät war hilflos.

Alle waren hilflos.

Jetzt ist sie plötzlich so dick.

Was machen wir denn jetzt?

Ist das auch eine Überlebensstrategie?

Darüber lachen?

Könntest du auch lustig werden oder enttäuscht sein?

Was soll ich machen?

Ja, es ist zum Teil auch geilge Humor.

Ich möchte noch auf eine.

Ich denke, es ist wichtig, dich zu sprechen.

Du hast es am Anfang erwähnt, Andrea.

Du hast gesagt, die Anorexide ist wie ein Teil deiner Identität.

Was heisst das?

Ich sehe längst nicht nur die negativen Aspekte,

sondern die Magersucht bringt mir schon viel.

Man darf es fast nicht sagen.

So sehe ich die Angst so gross, wenn ich die Magersucht nicht mehr habe.

Wenn ich ein Zauberer wäre, wäre ich gesund.

Ich hatte panische Angst.

Was würdest du verlieren?

Mindestens die Hälfte von mir.

Ich wüsste nicht, ob ich noch schreiben könnte.

Ihre Magersucht gibt eurer Stoffe, ihre Texte.

Darum fragte sie sich, wer bin ich ohne meine Erststörung?

Die Angst kennst Ärztin Gabriella Milos aus der Praxis.

Das ist typisch bei Menschen, die chronisch in dieser Krankheit drin sind.

Diese ständige Beschäftigung mit dieser Thematik,

die sich in allen Lebensbereichen breit macht.

Es gibt Menschen, die sagen, was mag ich dann,

wenn ich die Erststörung nicht mehr habe.

Das hören wir sehr häufig.

Es ist auch ein Problematikmensch,

die seit vielen Jahren diese Erkrankung haben.

Sie sprechen von einer Lehre, wenn sie das nicht mehr haben.

Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt der Therapie.

Was können das für Sachen sein,

die man den Betroffenen mitgeben kann?

Was fühlt man die Lehre, vor denen sich die Leute zerführten?

Ich kann ein paar Beispiele machen.

Eine Patientin, die sagt,

sie hätte gerne die Maturität gemacht und studiert.

Dann ist es wichtig, zurückzugehen in den Leben von dieser Person

und zu schauen, was sie früher vor der Beginn der Erststörung

für Ziele und Vorstellungen gehabt hat.

Dann konkret darüber zu sprechen und das zu planen.

Wenn die Erststörung sehr schwer ist,

dann kann man vielleicht auch mit kleinere Pläne,

z.B. jemandem, der sagt, ich gehe seit vier Jahren nicht mehr

in den Ferien, weil ich kann mir nicht vorstellen,

spontan etwas zu essen, ich muss alles planen.

Dann kann man vielleicht so ein kleines Ziel zu haben,

gut ein paar Tage zum Beispiel wegzugehen

und das muss man sehr surfältig planen.

Inwiefern hat denn überhaupt unsere Zeit mit Erststörungen zu tun?

In jedem Ecken gibt es zu essen.

Wenn man in ein Supermarkt geht,

muss man zwischen 100 verschiedenen Joghurt aussuchen.

Ist eine Ausstörung ein Zeichen von unserer Zeit?

Seid uns das etwas über unsere Zeit aus?

Das Essen ist nicht mehr etwas, das reguliert ist von draußen.

Wenn man nur an Zeiten von Großeltern oder Urgroßeltern denkt,

dann waren die Portionen, um wie viel zu essen,

man hatte, war es einfach von externen Faktoren limitiert.

Heute verlangt es eine Selbstregulation.

Wir sind die ersten Generationen, die so viel Essen zur Verfügung hat.

Dass man schon in Kindergarten die Ernährungspyramide kennt,

ist ein Zeichen, dass es zu viel gibt

und dass es die Selbstregulation muss jede Individuung sich irgendwie geben.

Eine Erkrankung, wie Magersugt,

ist die Erkrankung haben wir gesehen,

dass es in den 70er, 80er-Jahren auch zugenommen hat.

Wir haben das Gefühl, dass es stark zunimmt.

Jedoch hat man das Gefühl, dass es etwas konstant bleibt.

Auch Andrea hat ihre Ausstörung in den 70er-Jahren entwickelt

und sie hat schon einige Therapie gemacht.

Nicht nur wegen ihrer Ausstörung, die zählt dann allein.

Bei Andrea ist auch eine Borderline-Persönlichkeitsstörung

diagnostiziert worden.

Bei ihrem jetzigen Arzt ist sie schon seit Jahren.

Wie hat sich die Krankheit verändert?

Wie hast du dich in all dieser Zeit mit dieser Krankheit verändert?

Als Jung hatte ich immer noch das Gefühl,

dass ich ein Ziel hatte.

Ich wollte wieder ganz normales Essen verhalten

und ich sehe meine Gesundheit.

Aber das Ziel hat sich dann je länger, je mehr.

Ist das gar nicht mehr so wichtig?

Ich war froh, dass ich für mich einen Waffenstillstand

mit dem Essen einigermaßen einrichten konnte.

Mit allen in einem Essritual halt auch.

Ich bin froh, dass ich nicht in jeder freien Sekunde

das Essen denken muss.

Wenn ich mein Essprogramm durchziehen kann,

dann sind meine Gedanken nicht mehr so besetzt vom Essen.

Der Schularzt.

Was hast du gelernt durch ihre Texte über Annore?

Was habe ich gelernt?

Auch die Brutalität, die in dieser Meinung ist.

Und der Zwang.

Der Wahnsinn des Zwangs.

Und auch der Zwang von den Gespüren,

von der Magerkeit,

die dann zu einer Schönheit wird.

Für dich, nehme ich an.

Oder hast du dich dann gefühlt,

wenn du auf Mager bist, nicht?

Man kann ja auch nicht sagen,

wow, jetzt siehst du aber gut aus.

Was ist das für dich eine Beleidigung?

Wenn man dir sagt, wow, jetzt siehst du es so frisch aus

und so ...

... geknärt.

Wie wir gewissen sind, oder?

Und das ist für dich kein Kompriment.

In der Phase, in der ich wirklich total ausgemergelt war,

habe ich auch selber gesehen, wie ...

... begrässlich ausgesehen.

Also, das habe ich schon gesehen.

Wie ... wie ...

... horrormässig ich ausgesehen,

so wie ein Fratzen, oder ...

Und trotzdem ...

Ich kann nicht sagen, das ist ein Sog.

Auch wenn ich jetzt ...

... andere Magersüchtige sehe,

dann muss ich sagen,

die sehen eigentlich geresslich aus.

Und gleich übt es ein Sog auf mich aus.

Was ist das für ein Sog, was zieht?

Auch wieder auf ...

... auf das Niveau runterzukommen,

mich ...

... noch extremer zu hungern.

Es ist wirklich wie ein ...

Es ist ein Sog, das dann entsteht.

Was ist eine Perspektive,

die du dir wünschst, Andrea, von dich?

Ja, ich ...

... meine Hoffnung ist einfach zu schreiben.

Wenn ich im Schreiben bin

und mich der Erfolg eingeben kann,

dann spüre ich ...

... auch diesen Sog vielleicht etwas weniger.

Und ja, das ist einfach ...

... wirklich der Gegenpol ...

... zu meiner ...

... Magersucht.

Und gleich ...

... braucht sie auch die Magersucht.

Ich kann sie noch nicht loslassen.

Andrea kann nicht mit,

aber auch nicht ohne ihre Krankheit.

Vergesunde kassen nach einem Kassen Widerspruch.

Von Andrea ist es Realität.

Ich habe am Anfang gesagt,

wie intensiv ich Andrea war noch.

Wie wach und präsent.

Nach unserem Interview hat man auch klar,

dass man das Gespräch vermutlich nicht hätten können

zu oben machen, weil sie dann erledigt ist

von ihren Essritualen.

Ich habe durch Andrea extrem viel gelernt

über eine Krankheit, die man immer wieder mal begegnet.

Aber was es bedeutet,

mit ihrer Essstörung zu überleben.

Da habe ich erst durch die Begegnung mit ihr

einen Eindruck gekriegt.

Nicht alle überleben Essstörungen,

und darum möchte ich noch mal betonen,

was der Ärzte in Gabriella Milas gesagt hat.

Es ist wichtig, dass Essstörungen

sehr geliebt behandelt werden.

Wenn ihr betroffen sind oder jemand kennt,

kann ich euch in der Show Notes Adresse verknüpft,

ohne Hilfe gekriegt.

Das wäre es für einen Moment.

Ich bin Drina Telli.

Danke für das Zulass in all diesen Jahren.

Es war mir eine unglaubliche Freude.

Wir sind auch dir, Andrea,

dass du deine Geschichte so offen und ehrlich teilt hast.

Vielleicht macht dein Mut

auch anderen Mut, um ihre Geschichte zu erzählen.

Die Glegenheit gibt es schon gleich.

Darum gebe ich jetzt das Mikrofon

der Marielle Kais weiter.

Sie sucht die Leute für ihren nächsten Input.

Dann geht es um Dynamiken,

die zwischen Geschwürfstern, die entstehen,

wenn die Eltern sterben.

Ja, wenn die Eltern sterben,

dann geht es unter den Kindern.

Es geht um das Erb, um das Geld,

aber um Sachen, die einen ideellen Wert haben.

Zum Beispiel um die Lieblingsdassen von der Mutter.

Wenn die Eltern sterben,

dann streiten sie sogar Kinder,

die es vorher eigentlich sehr gut zusammenkamen.

Üffig geht es dabei,

aber um mehr als um das Geld.

Es geht um Verletzung aus der Kindheit.

Wer hat die Mutter lieber gehabt,

wer hat der Vater mehr kritisiert?

Ich möchte ganz genau schauen,

was passiert zwischen Brötchen und Schwosten.

Ich möchte die Dynamiken aufzeigen

und zeigen, wie man da rauskommt.

Darum suche ich für einen nächsten Podcast

Geschwürfsterte, die bereit sind,

mit mir zu sprechen.

Miteinander, unabhängig von Nang.

Und wie sie sich vielleicht sogar wieder gefunden haben.

Sehr gerne, auch noch nichts.

Schreibt mir, auch einfach mal,

sie ist ganz unverbindlich, wie ihr möchtet,

auf input.srf3.ch

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Bei Essstörungen stehen meist junge Frauen und Mädchen im Fokus. Auch bei Andrea Graf hat die Krankheit mit 16 Jahren begonnen – und prägt bis heute das Leben der 60-Jährigen. 

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TRIGGERWARNUNG: In dieser Folge geht es explizit um Essstörungen

Mehr als einmal ist sie am Tod vorbeigeschrammt, fünf bis zehn Prozent der Betroffenen überleben die Krankheit nicht. «Die Anorexie gehört zu meiner Identität, das ist ein grosses Problem», sagt Andrea über ihre lebenslange Essstörung, denn «ohne Anorexie wäre ich ein jämmerliches nichts.» Input zeigt, wie scheinbar widersprüchlich und anstrengend Andreas (Über)leben mit Anorexie ist - eine Krankheit, die zu Unrecht bagatellisiert wird.

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Zu hören in dieser Folge:

- Andrea Graf (60), lebt seit sie 16 Jahre alt ist mit einer Essstörung

- Brigitta Gehrig, Andreas Wegbegleiterin, Rhythmik-, Musik- und Stimmpädagogin

- Gabriella Milos, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, ehemalige Leiterin des Zentrum für Essstörungen am Universitätsspital Zürich



(00:00) Intro

(02:29) Kunst & Freundschaft: Wie Anorexie Andreas Alltag beeinflusst

(10:29) Essstörungen bei Erwachsenen

(17:06) Der Sog: Wie Andrea in die Essstörung geriet

(26:34) Wer bin ich ohne Anorexie?

(31:04) Waffenstillstand mit der Essstörung

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Brauchst du Hilfe in Sachen Essstörung oder machst du dir deswegen Sorgen um einen Menschen? Hier findest du Hilfe und Informationen:

Zentrum für Essstörungen, Unispital Zürich (Informationen und Therapie)

SGES Schweizerische Gesellschaft für Essstörungen (Prävention, Behandlung, Studien )

PEP Prävention Essstörungen Praxisnah (kantonale Anlaufstellen)

AES Arbeitsgemeinschaft Essstörungen (Prävention, Beratung)

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Autorin: Reena Thelly