11KM: der tagesschau-Podcast: Das nächste große Beben: Ist Istanbul verloren?

tagesschau tagesschau 9/14/23 - Episode Page - 26m - PDF Transcript

Angenommen ihr müsstet aus eurem Haus raus. Ganz schnell, ab jetzt. Schafft ihr das in fünf Sekunden?

Bei einem Erdbeben hat man, anders als bei einem Hurricane zum Beispiel, keine Zeit, sich irgendwie darauf vorzubereiten.

Von der ersten Warnung bis zur ersten Erdbebenwelle vergehen nur wenige Sekunden. Vorausgesetzt, es gibt überhaupt ein Frühwarnsystem.

Wenn nicht, so wie jetzt in Marokko, dann ist man komplett ausgeliefert.

Aber warum ist das so?

Warum lassen sich solche schweren Erdbeben wie letzte Woche nicht wirklich vorhersagen?

Und dass selbst in Regionen, in denen ganz klar ist, das nächste Beben kommt ganz sicher.

Istanbul liegt genau in so einer Region. Der türkischen Millionenmetropole droht ein gewaltiges Beben. Nur wann genau ist eben unklar.

Unser heutiger Gast ist der SWR-Wissenschaftsjournalist Hilmar Liebsch.

Mit ihm wollen wir einen Blick auf die Erdbebenforschung werfen.

Und der Frage nachgehen, können Politik und Wissenschaft das Schlimmste noch abwenden?

Oder ist es für Istanbul längst zu spät?

Ihr hört 11km der Tagesschau-Podcast. Ein Thema in aller Tiefe. Mein Name ist Victoria Kopmann. Heute ist Donnerstag, der 14. September.

Hallo Hilmar. Ja, guten Morgen.

Viele von uns haben gerade die Bilder vom Beben in Marokko vor Augen. Gebäude, die wie Kartenhäuser in sich zusammengesagt sind.

Und solche schlimmen Bilder sehen wir dieses Jahr nicht zum ersten Mal. Die Aufzeichnung mit Hilmar haben wir vor dem Beben in Marokko gemacht.

Denn schon im Februar hat die Erde in der Türkei und Syrien gebebt. 50.000 Menschen haben dadurch ihr Leben verloren.

Das Beben war aber eher im Süden der Türkei. Istanbul liegt ja deutlich nördlicher. Warum ist Istanbul so gefährdet für Erdbeben?

Die Erde über Fläche ist nicht starre, sondern besteht aus vielen verschiedenen Platten so ähnlich wie die Flächen auf einem Fußball, kann man sich das vorstellen.

Und an diesen Grenzen zwischen diesen Flächen bewegen die sich gegeneinander.

Und jetzt die Türkei ist praktisch eine keilförmige dreieckige Platte, die zwischen der arabischen Platte und der eurasischen Platte nach Westen geschoben wird.

Also die arabische Platte drückt praktisch von unten gegen diesen keil und quetscht in Richtung Mittelmeer, also Richtung Westen.

Und das staut sich dann auf diese Kraft und entleht sich in einem Erdbeben.

Ja, so entstehen Erdbeben oft. Wenn diese Platten aneinanderreiben, dann gibt es so ein Beben. Und wie ist das jetzt mit Istanbul?

Gibt es da eine konkrete Vorhersage, was da wann erwartet wird?

Da gibt es tatsächlich relativ konkrete Vorstellungen davon, dass da in den nächsten 10 bis 20 Jahren ein schweres Erdbeben passieren wird.

Hintergrund ist ganz einfach, dass an dieser Verwerfungszone ein paar Tenerkilometer südlich von Istanbul vorbeiläuft.

Dass diese Verwerfungszone ganz einfach aktiv ist und sich jedes Jahr weiter aneinander vorbei bewegt.

Verwerfungszone ist dann diese Stelle, wo die tektronischen Platten aufeinander prallen?

Genau. Die wissen, dass im letzten Jahrhundert mehrere schwere Erdbeben praktisch vom Osten Richtung Westen gewandert sind entlang dieser Verwerfung.

Also sowas ist in den letzten Jahrhunderten schon mehrfach da passiert in der Gegend?

Es ist mehrfach passiert, wenn diese Beben wandern augenscheinlich Richtung Westen auf Istanbul zu.

Und du hast jetzt gesagt, innerhalb der nächsten 20 Jahre vielleicht erwartende Experten in Erdbeben, also wie groß ist dieses Mega-Beben, was da erwartet wird?

Das wird ein Beben, so in der Größe von Erdbebenstärke 6 bis 7 erwartet, ungefähr die Stärke wie das Erdbeben im Süden der Türkei, jetzt Anfang des Jahres,

in dieser Größenorten und so ein Erdbeben wird dort erwartet.

Natürlich können die Wissenschaftler nicht sagen, an welchem Tag das stattfindet oder in welchem Jahr, aber die rechnen ganz einfach mit Wahrscheinlichkeiten.

Also die wissen, diese Platte bewegt sich, die bewegt sich jedes Jahr und da staut sich halt die Energie auf, dass es praktisch unausweichlich und die wird sich irgendwann in einem großen Ruck entladen.

Und das, was das Gebiet um Istanbul so sehr zu einem Katastrophengebiet macht, können uns ja vorstellen, wenn dieses Erdbeben irgendwo in der Pampa passiert, wo niemand lebt, dann ist es ziemlich egal.

Also jetzt, erst mal wird keine Katastrophe drauf, sondern es ruckelt irgendwo und wir laufen später hin und gucken uns das an und sagen, uiuiui.

Wenn das Ganze aber jetzt unter einer Millionenstadt wie Istanbul ist und das ist echt beeindruckend, also kannst du mal Berlin, London und Paris zusammenkleben.

16 Millionen Menschen ungefähr leben da, ne? Sehr viele Menschen.

Also Minimum offiziell und einige sagen sogar bis zu 20 Millionen im Großraum. Also dieses Erdbeben würde dann praktisch einen Punkt stattfinden, der extrem besiedelt ist.

Das lässt daraus eine Katastrophe werden.

Ja. Es ist eine gruselige Vorstellung auf jeden Fall, ne? Und dann, dass die Menschen da auch auf so einem Pulverfass, glaube ich, kann man ja sagen, leben.

Wie geht es denn da den Leuten in Istanbul mit? Also ist diese Gefahr da präsent, haben die da auch Sorge?

Ja, ja, die haben Sorge, die ist präsent. Aber stelle vor irgendeiner Sache dir mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent wird es in München, du lebst in München, ne?

Zu einer Überschwemme kommen, die bis zum zweiten Stockwerk geht. So, was würdest du machen?

Ja, ist eine gute Frage. Also wenn, also je nachdem, wie da die Zahlen sind, wie wahrscheinlich das ist und ob meine Wohnung dann unter Wasser steht, dann würde ich vielleicht wegziehen.

Aber ich wohne schon oben auf dem Giesinger Berg zum Glück.

Kurz, stelle vor, da wohnt es und ne, worauf ich hinaus will, dass das natürlich extrem abstrakt ist. So ein Unglück, so eine Katastrophe, die in der Zukunft liegt.

Das ist nicht fassbar. Also ich meine, die Leute, die sich damit intensiv beschäftigen, die sagen natürlich, ja, ich würde Istanbul verlassen oder so.

Aber dann musst du dir auch vorstellen, du hast ja dein Lebensmittelpunkt. Istanbul ist das wirtschaftliche Zentrum in der Türkei.

Du kannst aus praktischen Gründen ganz einfach, nicht so einfach dein Leben verändern und irgendwo hinziehen, wo es sicher ist.

Wenn wir uns diesen Ernstfall jetzt mal vorstellen, also es gibt jetzt Erdbebenalarm in Istanbul, was passiert dann genau dann?

Dann wird, also die haben ungefähr fünf Sekunden Zeit von der ersten Warnung, bis die gefährliche Erdbebenwelle aufdrückt.

Fünf Sekunden.

Das ist sehr kurz, ne? Also wenn ich mir jetzt vorstelle, wie weit kann ich in fünf Sekunden laufen, das ist im Zweifel nicht weit.

Im Prinzip kann man da ja gar nichts mehr machen.

Also fünf Sekunden reichen gerade aus, um dir ein vernünftiges Signal zu geben, dass ihr kapiert, dass es ernst ist.

Was natürlich geht, ist, dass große Infrastrukturen abgeschaltet werden.

Also dafür gibt es tatsächlich ein Frühwarnsystem, dass die Ampeln auf rot geschaltet werden, dass der Verkehr stoppt, dass Kraftwerke runtergefahren werden und solche Dinge.

Das kann man in der Zeit schaffen.

Für eine normalen Bewohner Istanbul gibt es keine Chance, seine Lage jetzt großartig zu verändern innerhalb der Zeit.

Ja. Welche Frühwarnsysteme gibt es da, um so ein Beben vorzeitig zu erkennen?

Es gibt ja, glaube ich, auch manchmal vor Erdbeben so ganz kleine Beben vorher, die das ankündigen, die man aber gar nicht merkt.

Ja, das ist so ein bisschen geile Gegral der Seismologen und Seismologinnen.

Die versuchen natürlich, Erdbeben so früh als möglich vorherzusagen.

Das Problem ist, dass jedes Erdbeben, je nachdem, was es ist, hat ein anderes, muss dann anderen Verlauf.

Das heißt, du kannst dich ganz einfach sagen, wir haben jetzt hier dieses Zeichen und in, was weiß ich, fünf Minuten wird ein schweres Erdbeben passieren.

Grundsätzlich, also Stand des Wissens ist, ein Erdbeben lässt sich im Prinzip nicht vorhersagen.

Erdbeben sendet zwei Formen von Wellen aus.

Die einen sind die primär genannten Wellen, also die zuerst laufen, die sind ungefährlich.

Die sind etwas schneller als die gefährlichen zweiten Wellen, sekundär Wellen, die die Erde praktisch seitlich bewegen.

Und diese ersten Wellen sind etwas schneller.

Das heißt, wenn das Erdbeben stattgefunden hat, am Epizentrum, laufen diese ersten Wellen los und können natürlich aufgenommen werden von Stationen, die relativ nah an dem Erdbebengebiet sind.

Und diese Stationen können dann über Funk senden, Holla, jetzt kommt ein Erdbeben.

Und dann hat man halt die Zeit, die diese erste Welle schneller ist.

Das war zum Beispiel, ich glaube, in Mexico City vor ein paar Jahren der Fall.

Da haben sie tatsächlich so ein Frühwarnsystem.

Und da hatten sie einige 10er Sekunden oder sogar Minuten Zeit, bis die Erdbeben Wellen eingetroffen sind.

Und das hat dann ausgereicht, dass die Leute sich auf Plätzen oder irgendwo in Sicherheit bringen konnten.

Ja gut, also so viel länger ist das jetzt auch nicht, als ich dachte.

Also wenn man Frühwarnsystem hört, dann denkt man irgendwie, okay, lässt sich das vielleicht schon Monate vorher sehen, dass da irgendwie eine Aktivität ist.

Aber das geht anscheinend bei den tektronischen Platten nicht so.

Das ist momentan überhaupt nicht möglich.

Also für die Menschen in Istanbul bleibt es erst mal bei diesen kurzen 5 Sekunden, um sich irgendwie in Sicherheit zu bringen.

Jetzt waren wir dort unten mit der Patricia Martínez-Gasson unterwegs.

The development of new methods, like artificial intelligence, new processing techniques, what it is called, the big data, so that we are able to process efficiently vast amounts of data at the same time.

Give us a new hope that it is worth to revisit new cases and still look for new types of signals, that maybe before we are not identified.

Das ist eine Wissenschaftlerin vom Geoforschungszentrum Potsdam, die so was wie eine Erdbebenjägerin ist.

Und ihr Ziel ist es praktisch, eine Erdbeben, das passieren wird, vorher zu sagen.

Erdbebenjägerin ist ja auch in ihrer Begriff. Also das heißt, die jagt den Erdbeben hinterher, oder will sie schneller sein?

Ja, sie will eigentlich schneller sein, bisher kann sie eine Erdbeben praktisch nur hinterherrennen.

Das heißt, sie schaut sich die seismischen Aufzeichnungen an, die es bei existierenden Erdbeben gibt.

Und die Idee von ihr und vielen anderen Seismologen und Seismologen ist im Endeffekt.

Kann man irgendwie in den Wellen, die vorher aufgezeichnet werden, Muster erkennen, die auf ein schweres Erdbeben hinweisen?

Du denkst ja, naja, da haben wir das große Erdbeben, da muss es doch vorher irgendwas geben, dass das ankündigt.

Das ist bisher nicht möglich, weil es diese auswerte Kapazität nicht gibt.

Dann ist aber die Hoffnung, dass jetzt schöne neue Welt, mithilfe von KI, bessere Rechnertechnik, es doch irgendwie gelingen könnte, vielleicht.

Und sei es auch nur ein paar Sekunden oder Minuten vorher zu erkennen, dass ein schweres Erdbeben stattfinden wird.

Und das wäre natürlich ein Quantensprung in der Erdbebenforschung, wenn sowas gelänge.

Okay, zeitlich vorhersagen ist jetzt das eine.

Aber können diese Erdbebenjäger denn auch vorhersagen, wie stark das Beben dann wirklich werden könnte?

Man versucht jetzt rauszufinden, ob es vielleicht sozusagen einen kleinen Hochnungsschimmer gibt,

dass auch in Istanbul eine griechende Verwerfung existiert.

Was heißt das genau?

Die sind im Gebiet, wo die Platten relativ weiche aneinander sich vorbeibewegen.

Das heißt, dass die Reibung nicht so stark ist, sich nicht so heftig auflöst.

Mit unserer Recherche haben wir versucht, den Fault zu determine, ob der Fault lockt ist.

Und es hat einen höheren Potenzial für einen sehr großen Erdbeben, von Magnetus 7 oder mehr.

Oder der Fault ist krippig.

Das bedeutet, dass die beiden Seiten des Faults ein bisschen steigern.

Und nicht so viel Energie steigen.

Und dafür, dass der Erdbebenpotenzial ein bisschen kleiner ist.

Sie spricht also davon, dass die Platten entweder verhakt sein könnten,

dann wird es ein richtig starkes Beben.

Oder dass sie quasi aneinander vorbeischrammen.

Kann man das eigentlich irgendwo sehen, wie die Platten sich bewegen?

Das war der Nähe von Ismet Passer, ungefähr auf 1000 Meter Höhe.

Also wir hatten dort Schnee, es war kalt.

Und die Sassmologen und Sassmologen haben da halt die Messstationen, die dort aufgebaut sind, gewartet.

Und das ist eines der wenigen Gebiete, wo so eine griechende Plattengrenze bekannt ist.

Das ist schon für Erdbebenforscher so ein wichtiger Ort, wo man gerne mal hingeht,

um sich das anzugucken.

Und tatsächlich gibt es dort eine Mauer, die praktisch über diese Plattengrenze gebaut wurde.

Und die hat sich in den letzten 50 Jahren um einen knappen Meter,

70 Jahren knappen Meter versetzt.

Also du musst dir das forschen, dass die eine mitten in der Mauer ist, die durchbrochen.

Und das eine Stück ist dann türkische Stück auf der naturlischen Platte,

ist dann knapp ein Meter Richtung Westen gewandert in der Zeit, nachdem die gebaut wurde.

Weißt du, wie lange die da schon steht?

Die wurde in den 50er Jahren gebaut.

In den 50er Jahren, okay. Und in der Zeit ist die jetzt einen Meter gewandert.

Wow, okay. Wie groß ist die Mauer?

Knie hoch, fällt ihr eigentlich gar nicht auf.

Ah, okay. Also ganz unscheinbar, aber da sieht man dann quasi wie die Erdplatten da drunter aussehen.

Du siehst, dass die Erde lebt an so einer Stelle.

Also ohne dass es weh tut wie jetzt beim Vulkalausbruch oder beim Erdbeben.

Ja, also da ist es ganz unscheinbar, da muss man das schon wissen,

um zu sehen, dass sich da die Erdplatten bewegen.

Aber ihr wart mit der Erdbebenjährerin für euren Film eben auch da unterwegs,

wo man sehen kann, was so ein Beben anrichten kann,

wo so viele Menschen im Februar umgekommen sind.

Wie sieht es da heute aus, wie er so das erlebt?

Die Städte sind teilweise vollständig zerstört im Inneren.

Du siehst die Leute, ich weiß nicht, wie es jetzt aktuell ist,

aber ich vermute mal, dass sich nicht viel geändert hat.

Die Leute leben in großen Zeltstätten, die der Katastrophenschutz aufgebaut hat.

Viele sind zu Verwandten gezogen, haben also die Region verlassen,

die diese Möglichkeit nicht haben, versuchen halt irgendwie zur Hand zu kommen,

aber es ist natürlich wie Berlin nach dem Krieg oder so, muss man sich das vorstellen.

Was interessant ist, dass du natürlich immer so eine Ambivalenz hast,

wenn du dir solche Naturkatastrophen anguckst,

weil wir sind dann zu einem großen Bergsturz gefahren,

der so ein bisschen abseits war, in der Nähe von dem Dorf,

wo auch keine großen Schäden waren.

Wow!

Wow!

Schau an diese schönen Städte!

Das ist möglicherweise der Beginn eines neuen Ballets hier, oder?

Wir assistieren zu den Bergen eines neuen Ballets.

Und da hat es dann praktisch den ganzen Oliven ein,

ein paar Meter talabwärts rutschen lassen und eine große Spalte, mehrere 10er Meter groß,

hat sich die Erde aufgerissen.

Und da steht es dann davor und denkst dir, boff, was ist denn hier los?

Also das war wirklich sehr beeindruckend und sind da rumgelaufen.

Da ergänzt natürlich auch, dass diese ganzen Naturphänomene

auch in irgendeiner Form eine Faszination und Schönheit haben.

Aber eben auch so eine große Macht und das, was diese Städte da so zerstört hat,

was man dann da sieht, das sind ja gar nicht die Risse in der Erde,

sondern das sind die zerstörten Häuser.

Große Bereiche sind in Schutt und Asche.

Also wirklich so, die Gebäude sind vollkommen zerstört, ist nichts.

Und direkt daneben steht ein Haus, das wahrscheinlich genau so ausgesehen hat,

wie das, was eingestürzt ist und das ist nicht zerstört.

Und du läufst dann durch diese Stadt und fragst dich, was ist hier los?

Warum?

Und dann kommt dir wieder in Erinnerung, was viele sagen,

dass es nicht die Erdbeben sind, die töten, sondern es sind die Gebäude.

Die Gebäude, die schlecht gebaut sind, die nicht erdbeben sicher sind,

die stürzen ein und begraben die Menschen unter sich.

Also es sind vor allem die schlecht gebauten Häuser, die die Menschen gefährden.

Bei den großen Erdbegen rund um Hartei, da sind über 50.000 Menschen gestorben.

In Istanbul könnten es bei einem Beben noch deutlich mehr sein.

Wie ist denn die Situation in Istanbul, was die Gebäude angeht?

Ist die genauso wie da?

Die ist genauso teilweise sogar schlimmer, wie man mir sagte.

Aber gehen wir ganz einfach davon aus, dass sie ähnlich ist.

Stell dir vor, du nimmst ein paar Bauclötze, so Holzbauclötzchen,

baust du die übereinander.

Dann siehst du, dass diese einzelnen Klötze nicht miteinander verbunden sind.

Die sind ganz einfach aufeinander gesetzt.

Jetzt stupst du mal dagegen und du kannst dir vorstellen,

dieser Bauclotz-Turm bricht in sich zusammen.

Jetzt macht das gleiche mal mit Legus, die da aufeinandersetzt,

die ineinander stecken.

Du kannst dir vorstellen, dass du dagegen stupst, dass es stabil ist.

Und jetzt sind die Häuser in der Türkei häufig so gebaut,

wie diese Bauclötze, die aufeinander stehen.

Die Stockwerke sind aufeinander gesetzt,

ohne eine Verbindung miteinander zu haben, also ohne Bewert zu sein.

Zum Beispiel durch Stahlträger.

Das kennt man zum Beispiel, wenn einer Baustelle vorbei ist,

sie ist ja immer so Stahlleistende aus dem Beton rausgegucken.

Das wird dort häufig nicht gemacht.

Das heißt, die Stockwerke liegen loser aufeinander.

Wenn diese Stockwerke nicht miteinander verbunden sind,

dann kippt es ganz einfach zusammen wie ein Kartenhaus.

Und das ist halt dort sehr häufig, weil es halt die billigere Baumethode ist,

weil dort halt auch viel in den Städten viel Raum gebraucht wird.

Und dann wird so ein Haus ganz einfach hochgezogen,

so schnell wie es geht, so billig wie es geht.

Die Leute ziehen ein, sind dann froh, dass sie eine Bleibe haben.

Naja, und wenn es dann wackelt, dann fallen die Dinger halt in sich zusammen

wie ein Pfannkuchen.

Aber das, finde ich, ist doch irgendwie schon überraschend, oder?

Also man denkt sich so, Puh, also diese Situation in Istanbul,

die ist nicht neu, ne?

Du hast eben schon gesagt, ganz große schwere Erdbeben gehören

zu der Geschichte dieser Region.

Wieso ist es so?

Also wieso wird da nicht Erdbeben sich ja gebaut?

Ja gut, ich mein Geld.

Also im Endeffekt kann es darauf runter reduzieren,

dass natürlich die Menschen, die dort hinkommen,

um irgendwie einen Job zu suchen oder Arbeit zu suchen,

dass die vielleicht nicht so viel Geld haben

und billigen Wohnraum suchen.

Und natürlich ist die Gesetzgebung, also es gibt seit dem Erdbeben 1999,

da gab es schon mal ein schweres Erdbeben in der Nähe von Istanbul,

ein bisschen weiter östlich.

Da wurde die Gesetzgebung geändert

und es musste Erdbeben sicher gebaut werden.

So ist es aber so, das sagte uns ein Stadtplaner,

dass nur maximal die Hälfte aller gebauten Gebäude

überhaupt kontrolliert wurden auf dieses Gesetz hier,

die seit 1999 gebaut wurde.

Also es ist nicht passiert, was damals eigentlich geplant war?

Es ist nicht in dem Maße passiert, wie es hätte passieren sollen.

Dazu kommt dann halt noch, dass die sozusagen durchführenden Bauunternehmen

teilweise selbst ihre Gutachter waren.

Das hat halt dazu geführt, dass es in Istanbul jetzt geschätzt

ein paar hunderttausend Häuser gibt, die nicht Erdbeben sicher sind.

Ja, ich kann mich erinnern, nach diesen großen Erdbeben im Februar dieses Jahr

war das ja auch ein Vorwurf an Erdogan und an seine Regierung,

der sogar angezeigt worden von der Gruppe Juristen wegen Tötung,

wegen fahrlössiger Tötung.

Und das war ja auch ein ganz, ganz großer Vorwurf.

Also ist das der Grund oder viel war auch die Rede von Korruption?

Also kann man schon sagen, man hätte es besser machen können?

Ja, so kann man es sagen.

Du hast natürlich auch die Situation,

dass Istanbul wahnsinnig ein Zuzug hat an Menschen.

Also die brauchen ganz einfach, die suchen was.

Ja, da gibt es sich das gegenseitig die Hand, die Situation,

die Wünsche.

Ich meine, es tut sich auch ein bisschen was.

Also es gibt auch Gebäude, die werden neu und Erdbeben sicher gebaut,

das geht.

Und es gibt jetzt auch ein Programm, das dann Mieter,

ein Gutachter kommen lassen können, der halt nachschaut,

ob ihr Haus Erdbeben sicher ist.

Und also es ist nicht so, dass man da in Istanbul so vollkommen

machtlos dasteht und gar nichts macht.

Aber naja, es dauert halt alles ewige Zeit.

Das ist ein einziges Kudelmuddel, die Situation, die wir da haben.

Und vor dem Hintergrund ist natürlich klar,

dass das nicht so schnell passieren wird,

wie es theoretisch passieren könnte, was nötig ist.

Ja.

Und ich meine, die Zeit ist ja begrenzt.

Du hast eben gesagt, die Wissenschaftler gehen davon aus,

dass es vielleicht in 20 Jahren schon passiert,

dieses riesige Erdbeben.

Bis dahin müsste Istanbul dann also Erdbeben sicher gemacht werden.

Ja, genau.

Also die können bauen, wie die bekloppten.

Und das wird nicht ausreichen.

Also vor dem Hintergrund muss man einfach praktisch alles nehmen,

was irgendwie geht, um das Risiko für die Menschen zu verringern.

Aber kann man sagen, was ist jetzt die Lehre,

die daraus gezogen wurde aus diesen großen Erdbeben im Februar?

Wird sich jetzt mehr an diese Bauvorschriften gehalten?

Werden die Häuser wirklich neu gebaut?

Und zwar mit der Ambition, dass es in 20 Jahren sicher ist?

Das hängt von der Regierung im Endeffekt ab.

Das hängt von der Politik ab.

Wie sehr die das bereit sind, durchzusetzen?

Wie sehr die bereit sind, die ganzen Verbandlungen

zwischen Bauwirtschaft und Politik und Behörden aufzulösen?

Dass ja im Endeffekt ein großer Sumpf, indem man sich da reinbegibt.

Und die Zeit hat ja gezeigt, dass nach 99 zwar was passiert ist,

aber aber weitem nicht das, was hätte passieren sollen.

Und der Verdacht liegt nach, dass es jetzt ähnlich ist.

Also da bin ich jetzt nicht ausreichend Türkei-Experte,

um das beurteilen zu können.

Aber die Leute, mit denen wir gesprochen haben,

sind extrem skeptisch, dass daraus ausreichend Lehren gezogen werden.

Okay, also die Katastrophe ist laut Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftlern unausweichlich.

Und es ist nicht nur ein Wertrennen gegen die Zeit,

sondern eben auch gegen Korruption und gegen Geldgier.

Und das Problem dabei ist ja,

die Menschen, die in Istanbul leben, die können ja nicht einfach weg

oder wollen nicht einfach so weg.

Die Stadt pulsiert, die lebt, die Leute sind da drin, die gehen nicht weg.

Du siehst ja heute, dann kannst du ja ausmalen, na gut,

jetzt lass hiervon nur jedes Dritte in sich zusammenbrechen.

Und du weißt, in jedem Stockwerk leben zwei Familien von mir raus.

Ja, dann kannst du dir vorstellen, was dort passiert.

Da kann man nur hoffen, dass die Wissenschaftler eigentlich nicht recht haben,

dass alles quatsch ist und dass alles gut geht.

Aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß dafür.

Hilma, danke, dass du uns das erklärt hast.

Ja, vielen Dank für die Gelegenheit, das zu erzählen. Tschüss.

Das war 11 km.

Heute dabei der SWR-Wissenschaftsjournalist Hilma Liebsch,

der uns erklärt hat, wie groß die Gefahr ist,

dass Istanbul und die Menschen dort von einem schweren Erdbeben getroffen werden.

Den Link zu seiner Doku, Istanbul am Abgrund, keine Rettung vor dem Mega-Beben,

stellen wir euch in die Show notes.

Und aktuelle Informationen zum Erdbeben in Marokko,

findet ihr wie gewohnt auf tagesschau.de.

Wenn euch diese Folge oder 11 km allgemein gefällt,

empfehlt uns doch weiter.

Oder, wenn noch nicht geschehen, lasst uns gern ein Abo da.

Autorin dieser Folge ist Marlene Obst.

Mitgearbeitet hat Stefan Beutting.

Produktion Jacqueline Bretschek, Konrad Winkler,

Fabian Zweck, Jürgen Kopp und Simon Schuling.

Redaktionsleitung Lena Götler und Fumiko Lipp.

11 km ist eine Produktion von BR24 und NDR Info.

Mein Name ist Victoria Kopmann.

Wir hören uns am Montag wieder.

Dann fliegen wir gemeinsam auf den Mond, wo gerade viel los ist.

Warum?

Das sagen wir euch nach dem Wochenende. Bis dahin.

Ciao.

An dieser Stelle gibt es noch einen Hörtipp zum Thema Klimaaktivismus.

Der war ja auch bei FKM bereits mehrfach Thema.

Im neuen Podcast Hitze geht es um die letzte Generation.

Das Team um Haus Daphne Ivana Sagner hat mehrere AktivistInnen

und Aktivisten monatelang begleitet

und intime Einblicke bekommen in einen Alltag

im sogenannten Klimakampf.

Die letzte Generation.

Geh weg.

Sie stört.

Dabei rückt sie immer mehr an den Brennpunkt der Debatten

über Verantwortung und Klimakrise.

Mein Name ist Daphne Ivana Sagner.

In dem neuen Podcast Hitze gehen wir mit rein in diesen Brennpunkt.

Um zu verstehen, wie das ist,

Teil einer verschworenen Gemeinschaft zu sein.

Geht ihre Strategie auf?

Und welchen Preis zahlen sie dafür?

In diesem Podcast schauen wir,

wie ein Leben im sogenannten Klimakampf funktioniert

und was es mit allen Beteiligten macht.

Das ist Hitze.

Letzte Generation, close up.

Eine Co-Produktion von THZ Media und dem RBB.

Ab dem 31. August.

Werbe frei in der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcast gibt.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Marokko zeigt aufs Neue: Der Zeitpunkt starker Erdbeben ist kaum vorhersagbar. Auch das Beben Anfang des Jahres in der Türkei mit über 50.000 Toten war verheerend, aber das nächste könnte noch viel schlimmer ausfallen. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler:innen steht die Millionenmetropole Istanbul vor einem gewaltigen Beben. Die Stadt sitzt auf einem geologischen Pulverfass. Im Moment bleiben den Menschen vor Ort ca. 5 Sekunden von der Warnung bis zur ersten Erdbebenwelle. Dabei sind es vor allem die Häuser, die bei einem Erdbeben zur Gefahr werden. Laut Schätzungen sind Hunderttausende Wohngebäude in Istanbul nicht erdbebensicher gebaut. Die Stadt befindet sich in einem Wettlauf gegen die Zeit, aber auch gegen Korruption und Geldgier. In dieser 11KM-Folge gehen wir mit dem Wissenschaftsjournalisten Hilmar Liebsch der Frage nach: Können Politik und Wissenschaft das Schlimmste noch abwenden oder ist es längst zu spät?



Link zur Doku: Istanbul am Abgrund – keine Rettung vor dem Megabeben?

https://www.ardmediathek.de/video/ard-wissen/istanbul-am-abgrund-keine-rettung-vor-dem-megabeben/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2FyZC13aXNzZW4vMjAyMy0wNi0xOV8yMi01MC1NRVNa



Link zu unserem Podcasttipp "Hitze:

https://www.ardaudiothek.de/sendung/hitze-letzte-generation-close-up/94732324/



An dieser Folge waren beteiligt:

Folgenautorin: Marlene Obst

Mitarbeit: Stephan Beuting

Produktion: Jacqueline Breczek, Konrad Winkler, Fabianz Zweck, Jürgen Koop

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler



11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Episode liegt beim NDR.