11KM: der tagesschau-Podcast: Afghanistan: Zwischen Beben und Taliban

tagesschau tagesschau 10/30/23 - Episode Page - 29m - PDF Transcript

Und irgendwann ist es auch in deinem Kopf. Das heißt, die nächsten Tage haben wir uns

immer zwischendurch angeschaut. Ist das jetzt gerade ein Erdbeben?

Nicht nur ein, sondern gleich mehrere schwere Beben erschüttern Mitte des Monats den Westen

Afghanistan. Tausende Tote und Verletzte, komplett zerstörte Ortschaften. Aber angesichts der

aktuellen Weltlage ist diese Katastrophe nur eine Nachricht unter vielen.

Wir bei 11km der Tagesschau-Podcast wollen hinschauen und zwar mit Charlotte Horn,

der ARD-Korrespondentin für Südasien. Sie durfte jetzt nach Afghanistan einreisen.

Unter den Taliban eigentlich für westliche Journalisten kaum möglich, besonders nicht für

weibliche. Eine Woche lang berichtet sie hautnah aus der Krisenregion, um die Betroffene

Stadt Herat und versucht auch zu verstehen, ob die totalitär herrschenden Taliban gute Krisenmanager

sind. Mein Name ist Victoria Kobmann. Heute ist Montag, der 30. Oktober.

Charlotte, herzlich willkommen. Hallo. Es ist genau so, wie alle immer sagen, so ein Erdbeben kann

man ja nicht unbedingt vorhersagen und es hat mich von jetzt auf gleich erwischt. Ich war zu

dem Zeitpunkt in der Lobby von dem Hotel, wo wir eingecheckt hatten. Aber uns war von Anfang an

klar, wir werden nicht in diesen Gebäude übernachten. Das war nämlich ein sechstöckiges Hotelgebäude

und wir haben eben draußen übernachtet. Also das muss man sich vorstellen, ich habe immer wieder

gesagt, das habe ich noch nie gemacht, in einem Hotel einzuchecken, ohne überhaupt in diesem Raum

zu übernachten. Das heißt, wir hatten draußen geschlafen in so kleinen Holzhütten vor dem Hotel

und ich war dann kurz in der Lobby an diesem Morgen, um mein Handy aufzuladen und wirklich von

jetzt auf gleich habe ich so ein dumpfes, ich weiß gar nicht, wie man es beschreiben soll, aus der

Erde so ein dumpfes Geräusch gehört oder so ein Echzen und ich glaube im Nachhinein, ich habe

versucht zu verstehen, was eigentlich passiert ist. Ich glaube, es war so, in die erste Sekunde,

du hörst dieses Geräusch, die zweite Sekunde merkst du, das ist jetzt ein Erdbeben und die

dritte Sekunde rennst du einfach nur raus und das waren 40 Sekunden im Nachhinein und die fühlten

sich endlos an. Und dieses Haus ist massiv, dieses Hotel, sechs Stockwerke hoch. Du siehst

von außen, es wackelt und du weißt nicht, ob es gleich irgendwie in sich zusammenfällt und mit

diesem Wackeln gibt es dieses laute Geräusch natürlich von klappern im Glas, es sind auch Fliesen

runtergefallen, auch am Hotel haben wir später Risse gesehen. In vielen Ortschaften, im besten

Afghanistan, stand kaum ein Stein auf dem anderen. Am Morgen gab es erneut mehrere Erdbeben in der

Provinz Herat an der Grenze zum Iran. Die Menschen kommen nicht zur Ruhe, erneut erschüttete Sonntag

früh, seit einer Woche gab es eine ganze Serie schwerer Beben, so zerstörerisch wie seit Jahrzehnten.

Und die Erde bebt unter deinen Füßen und du bist einfach in dieser Sekunde völlig der Kraft der

Natur ausgesetzt und diese Hilflosigkeit und diese Ohnmacht, das ist glaube ich genau das,

was alle überhaupt in dieser Region in den Knochen haben und was ich und auch mein Kollege und

wir alle, die wir das erlebt haben dort vor Ort, dann nie vergessen werden. Und das Verrückte ist

ja, dass wir im Nachhinein haben wir festgestellt, die Stärke des Erdbebens war 6,3 und das eigentliche

Epizentrum war 30 Kilometer entfernt. Das heißt, ich habe mich immer gefragt, wie muss es erst den

Leuten gegangen sein, die mitten in diesem Epizentrum leben. Ja, du hast dieses heftige Beben

in der Provinz Hauptstadt Herath selbst erlebt. Das war ein Nachbeben, davor hat es ja schon mindestens

zwei starke Beben in der Region gegeben, deswegen bist du ja auch nach Afghanistan geflogen. Wie

hast du die Stadt Herath da erlebt? Genau, inzwischen hat sich diese Stadt Herath in eine

Zeltstadt verwandelt. Das heißt, wenn man, als wir schon reingefahren sind in die Stadt, haben wir

am Straßenrand überall so Zelte gesehen, weil gerade nach diesem dritten Erdbeben noch mehr

Menschen beschlossen haben, no way übernachte ich heute Nacht noch in meinem Haus und auch dann in

der Stadt Herath haben überhaupt viele Häuser dann auch erst Risse bekommen. Das heißt,

das Leben im Moment in dieser Stadt findet draußen statt. Jetzt hast du schon gesagt,

das Epizentrum vom Erdbeben lag ja aber gar nicht in der Stadt Herath, sondern im Umland. Da bist du

auch hingefahren in die Gebiete. Wie groß war da denn die Zerstörung? Genau, wir sind dann nach dem

Erdbeben, was wir dann selbst erlebt hatten, sind wir dort hingefahren und es ging wirklich über

Buckelpisten. Also man muss sich auch diese Landschaft vorstellen, das ist karge Landschaft,

da wächst kaum was. Auch schon auf dem Weg in diese Region sind wir an so Felsvorsprungen

vorbeigekommen, wo so auch so große Felsbrocken durch das Erdbeben so auf die Straße gefallen waren.

Also das ist wirklich kark. Und dann kamen wir in dieses Dorf und ich habe dann gesehen, was es heißt,

wie einfach diese Häuser gebaut sind, nämlich aus Leben. Das heißt, die haben das selber mit ihren

Händen gebaut, wahrscheinlich so eine Mischung aus Leben, aus der roten Erde und Stroh und zusammen

gepappt quasi, wie so Tonhäuser. Und die haben eben so ein rundes Dach wie so ein Dom und wir haben

dann mit einem Geistlichen gesprochen, der direkt am Ortseingang lebt, neben der kleinen Moschee

und der war total entsetzt, weil er gesagt hat, schaut euch mein Haus an, das ist jetzt eingestürzt

bei diesen neuen großen Erdbeben. Wie soll ich das jemals wieder reparieren?

Und dieser Geistliche hat gesagt, wir brauchen jetzt Hilfe, weil der Winter steht vor der Tür und das Gute ist quasi,

dass die ja schon von dem anderen Erdbeben gehört hatten und sowieso draußen übernachtet haben,

eben in so Nomadenzelten, die sie sowieso immer haben. Aber die sind natürlich nicht winterfest,

die sind nicht wasserfest und dieser Geistliche hat mir davon erzählt und neben ihm stand sein kleiner Sohn,

Najib, der ist zehn Jahre alt und der wickte auch sehr verstreckt, der hat so die Arme um sein Körper geschlungen

und man merkte ihm, saß der Schock noch von dem Erdbeben am Morgen so wirklich so in Gesicht

und ich habe ihn gefragt, hey, wie geht's dir denn damit, was hast du gemacht?

Und er meinte, ja, es war so laut und wir sind einfach nur raus aufs Feld gerannt.

Also die Menschen waren wirklich verzweifelt und ich verstehe sie ja nicht, die sprechen eine andere Sprache

und nur mit Hilfe von meinem afghanischen Kollegen, der hat dann übersetzt, habe ich es verstanden.

Aber obwohl ich sie nicht direkt verstanden habe, dann habe ich ihnen angemerkt, diese Verzweiflung einfach.

Da habe ich wirklich gemerkt, was es heißt, so naturgewalten ausgesetzt zu sein, ganz weit draußen auf dem Land in Afghanistan.

Wir haben das bei den anderen verheerenden Erdbeben ja gesehen, die kürzlich passiert sind unter anderem in der Türkei,

in Syrien und auch in Marokko. Da ist es ja ganz wichtig, dass Hilfe so schnell wie möglich kommt,

um noch Menschen retten zu können und Menschen vorzuversorgen.

Welche Hilfe bekommen die Menschen denn gerade in Afghanistan, zum Beispiel in diesem Dorf, wo du warst?

Ich war ja in dem Dorf, wo just am dem Morgen das Erdbeben passiert war.

Das heißt, da war noch keine Hilfe angekommen, weil so schnell waren die dann doch nicht die Hilfsorganisationen.

Aber wir sind dann danach in die Region gefahren, in den anderen Bezirken, wo die Menschen komplett überrascht worden sind,

ja von dem ersten großen Erdbeben. Wir sind da von fern auch über so hügelege Straßen hingefahren

und ich habe schon von weiten, auch so weiße UN-Zelte gesehen, weil sonst sah das nicht wirklich nach Dorf aus.

Wir sind dann ausgestiegen und überall waren so Geröllhaufen und zwischendurch immer auch so persönliche Gegenstände

oder mal eine Matratze oder mal irgendwie so eine Kiste oder ein Stück Vorhang und wir sind dann da durchgelaufen

und dann habe ich erst verstanden, dass überall dort, wo diese Geröllhaufen waren,

müssen vorher Häuser gestanden haben. 130 Lehmhäuser und die waren alle weg.

Und immerhin dort waren die Hilfsorganisationen inzwischen angekommen

und wir haben uns dann durchgefragt und haben dann gehört, ja, geht mal da hinten hin, in einem Zelt, der hält der Dorfälteste,

hält so seine Meetings ab, seine Treffen und berät sich gerade und dann sind wir da in das Zelt gekommen

und das war so wirklich so ein Dorfälteste, wie man sich es vorstellt.

Er hatte so einen weißen Bad und so einen Tourbahn, hinter ihm saßen auch ein paar junge Taliban

und da merkte man auch, der war sehr dankbar für die Aufmerksamkeit, dass wir jetzt auch als internationale Medien dort waren

und gefragt haben, wie geht es euch im Moment?

Und dann hat er aber eben erzählt, ja, wir haben Glück gehabt in anführungsstrichen,

hier sind nur 17 Menschen ums Leben gekommen, weil zum Zeitpunkt dieses ersten großen Erdbebenes,

das war so gegen 11 Uhr Vormittag, seit einem Samstag, waren wohl gerade viele Männer draußen

und waren an einem Bewässerungssystem beschäftigt, was das Dorf wohl ausgebessert hat

und viele Frauen waren wohl draußen zur Zwiebel ernte

und das hat vielen Menschen in diesem Dorf das Leben gerät.

Denn alle anderen, die zu dem Zeitpunkt zu Hause waren, was vor allem immer Frauen und Kinder sind,

gerade in dieser ländlichen Region in Afghanistan, die hatten einfach kaum eine Chance

und was für Hilfe brauchen die Menschen denn da jetzt vor Ort und bekommen die die auch?

Ja, sie brauchen wirklich alles, weil sie haben erstmal ihre vier Wände, ihr sicheres Zuhause verloren.

Das heißt, sie brauchen Zelte, ein vor allem ein wasserfestes Zelt, wenn es jetzt anfängt zu regnen,

ein Zelt, was dicht ist, was für ein Leben ist,

sie brauchen Lebensmittel, sie brauchen Wasser, die ganze Infrastruktur im Dorf ist kaputt

und wir waren dann eben in dem Zelt von dem Dorf ältesten, sind wir dann rausgekommen

und haben gesehen, da war gerade zufällig eine private Organisation, die ganz praktische Sachen verteilt haben.

Also die haben dann die Namen aufgerufen, von der man 80 Familien aus diesem Dorf

praktische Güter verteilt und haben die Namen aufgerufen.

Und die mussten dann ihren Daumenabdruck hinterlassen und dann durfte jeweils

einen Angehöriger einer Familie zu einem Haufen gehen von Gegenständen

und das waren so praktische Sachen wie eine Solarzelle, um zum Beispiel ein bisschen Strom zu haben,

eine LED-Licht, ein Wasserkocher, so ein afghanischer Wasserkocher,

das sieht aus wie ein großer Kochtopf, unter drunter kann man den mit Holz erwärmen,

dass man sich einfach mal auch was Warmes kochen kann,

genau das ist das, was wir hier haben, das ist das, was wir hier haben,

dass wir jetzt erwärmen, dass man sich einfach mal auch was Warmes kochen kann,

genau diese praktischen Sachen brauchen sie jetzt einfach, um über die ersten Wochen zu kommen.

Diese Versorgung mit den wichtigsten Dingen, um die ersten Tage zu überleben, das ist das eine,

aber es geht ja auch darum, die vielen Verletzten zu versorgen.

Die Vereinten Nationen sprechen ja von mindestens 1.400 Toten

und eben laut Taliban-Führung sind tausende Menschen verletzt

und das in einer Region, in der die medizinische Versorgung wohl ohnehin schon eine Herausforderung ist,

wie können die Menschen denn vor Ort in Herat überhaupt versorgt werden medizinisch?

Man muss sich klar machen, dass Erdbeben war ja am heftigsten in diesen Dörfern

und das heißt, man muss einfach traurigerweise sagen, dass für viele Menschen wahrscheinlich die Hilfe zu spät kam,

also auch so Katastrophenhilfe, dass sie vielleicht noch hätten rausgezogen werden können aus den Trümmern.

Die Krankenhäuser in Herat waren relativ schnell voll mit vielen hunderten Verletzten

und ich war dann auch im Regionalkrankenhaus von der Stadt Herat.

Und das ist ein großes, weiträumiges Gelände, also das ist nicht so wie eine Klinik vielleicht in Deutschland,

da hat man ja oft so einen mehrstückigen großen Bau vor sich,

sondern das sind so ein, zwei, drei Stockwerke, sind so verteilt auf einem großen Gelände

und das ist deren großer Vorteil, denn natürlich nach diesen Erdbeben und nach den mehreren Nachbeben,

die es ja immer noch weiter gab, haben die Ärzte dort beschlossen von jetzt auf gleich,

okay, wir versuchen möglichst alle Untersuchungen draußen stattfinden zu lassen.

Das heißt, wir sind dann da über das Gelände gelaufen, bis ans andere Ende

und überall lagen Patienten in Betten, überall saßen auch Angehörige, auch um das Krankenhaus rum.

Und da standen auch mehrere große Zelte und in einem Zelt war dann Ärzte ohne Grenzen,

war dann vor allem dieser Trakt untergebracht mit den vielen Verletzten, Frauen und Kindern

aus den komplett zerstörten Dörfern.

Das sagen auch die Vereinten Nationen, 90 Prozent der Opfer durch diese Erdbeben in Afghanistan waren Frauen und Kinder,

weil die vor allem ja die sind, die sich im Haus aufhalten und eben es nicht geschafft haben,

sich rechtzeitig zu retten und diese Geschichten sind wirklich tragisch und gehen einem wirklich nahe.

Ich habe mit einer Frau gesprochen, die lag da nur apathisch und hat eben trotzdem trotz ihre Schicksalzen mit mir gesprochen

und ich habe dann erfahren, mithilfe eben von meinem ganzchen Kollegen, der übersetzt hat,

dass sie schwanger war, als das Erdbeben passiert ist und sie hat wie durch ein Wunder überlebt,

sie war gerade zu Hause, aber sie hat ihr ungeborenes Kind verloren, sie hat ihr dreijähriges Kind verloren

und sie hat dann so aufgezählt, wen sie alles verloren hat und das waren mindestens sieben Angehörige.

Und ja, es ist einfach, ich weiß gar nicht, wie man darüber hinweg kommt, da kann man ja nicht,

ich weiß gar nicht, wie man damit überhaupt umgehen soll mit so einem Schicksal und...

Und wie hast du das vor Ort gemacht? Wie gehst du da vor Ort mit um?

Also das ist ja bestimmt hart, auch mit so jemandem zu sprechen, oder?

Ja, man ist ja da immer dann in seinem professionellen Modus als Journalistin,

weil ich ja gewohnt bin, Menschen Fragen zu stellen und diese Geschichten beschäftigen mich natürlich jetzt vor allem im Nachhinein,

dass ich noch mehr darüber nachdenke, aber in dem Moment ist man so sehr in seinem Interviewmodus

und dann versuche ich auch, mich so ein bisschen zu distanzieren, weil man muss da ja einfach professionell durchkommen,

aber das ist schon wirklich schwer zu fassen und da stand dann auch ihr Mann daneben

und ich habe dann mit Lisa Machaina gesprochen, mit der Projektkoordinatorin von Erste und in Grenzen.

Also Medikamente und Versorgungstechnisch, das funktioniert schon, aber was...

Und sie hat gesagt, ja, wir haben uns jetzt bis jetzt so gut organisiert, wir können alle Menschen versorgen,

wir haben auch wieder freie Betten, wir haben viele Menschen sogar schon entlassen,

weil wir brauchen freie Betten für mögliche weitere Beben, also die stellen sich immer noch auf neue Erdbeben,

neue Verletzte ein und sie meinte, die größte Sorge bereitet ihr gerade, wohin sie die Menschen entlassen können,

weil diese Menschen haben ihr ihr Zuhause verloren und gerade in dem Einzelt, wo ich war,

die kamen eben alle aus diesem einen völlig zerstörten Dorf und jetzt ist eben die große Frage, wo können diese Menschen unterkommen.

Noch mehr Zerstörung, noch mehr Opfer, noch mehr größere humanitäre Katastrophe.

Das Internet ist zusammengebrochen.

Und sind da denn eigentlich gerade viele Hilfsorganisationen im Land gerade und wie gut können die da gerade arbeiten unter diesen Bedingungen?

Genau das habe ich mich auch gefragt, weil die Situation in Afghanistan ist ja sowieso schon schwierig gewesen

und verschiedene Organisationen haben es so ganz sachlich auf den Punkt gebracht, weil sie gesagt haben,

dieses Erdbeben ist jetzt die Krise in der Krise, weil es den Menschen ja sowieso schon schlecht ging,

also vor über zwei Jahren haben wir die Taliban die Macht übernommen und seitdem ist die wirtschaftliche Lage im Land sehr schlecht,

man sagt so zwei Drittel der Afghaninnen und Afghanen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen

und das Problem ist eben, dass sich viele Hilfsorganisationen ein Stück weit zurückgezogen hatten

und aus Afghanistan und auch viele internationale Hilfsgelder eingefroren worden sind,

weil die Taliban ja vor allem die Rechte von Frauen beschränkt haben und deswegen eben nicht mehr so viele Organisationen im Land sind,

aber trotzdem und das fand ich sozusagen das Gute, trotzdem in dieser Krisensituation sind immer noch einige Organisationen im Land,

also die Vereinten Nationen mit verschiedenen Programmen, also UNICEF habe ich gesehen

und dann eben auch Ärzte ohne Grenzen oder der afghanische Rote Halbmond oder Save the Children

oder eben auch vom afghanischen Frauenverein habe ich mit einer afghanischen Partnerorganisation gesprochen.

Also die Hilfe kam an, das habe ich auch gesehen, die Hilfe kommt an, die kurzfristige Hilfe,

aber das Problem ist eben, wie geht es langfristig weiter, weil jetzt ist ja eigentlich das Thema Wiederaufbau,

der Winter steht vor der Tür und da fragt man sich eben, gibt es eigentlich eine langfristige Strategie, wie man diesen Menschen helfen kann

und ich hatte, bevor ich überhaupt in diese Erdbebenregion gefahren bin,

habe ich mit dem Vertreter, mit dem Sprecher des UN-Welternährungsprogramms gesprochen, mit Philipp Kopf.

Es braucht hier mehr als nur Nothilfe. Das sind Familien, die subsistenzwirtschaft betrieben haben

und der hat mir gesagt, ja, es war sowieso schon schwierig, weil zum Beispiel diese Organisation, die ist die größte im Land, die sind in allen Regionen vertreten

und der sagt, normalerweise können wir überall relativ schnell helfen, aber deren Problem ist, dass sie jetzt dieses Jahr, dass sie 80 Prozent weniger Geld zur Verfügung haben als im Jahr zuvor.

Der Geldmangel des Welternährungsprogramms ist gegenwärtig unser größtes Problem in Afghanistan.

Wir haben 15 Millionen Menschen, die Nothilfe brauchen, um zu überleben, kurz vor dem Winter, von denen können wir nur 3 Millionen unterstützen, weil uns das Geld fehlt.

Das heißt, auch denen wurden drastisch die Mittel geküsst und man muss einfach sagen, um den Betroffenen zu helfen, sind sie auf mehr Spenden aus dem Ausland angewiesen.

Ja, es wird ja weiterhin auch zu Spenden aufgerufen für Afghanistan vor dem einbrechenden Winter.

Jetzt würde diese Hilfe denn auch wirklich bei den Menschen ankommen.

Ich frag deshalb, weil die Taliban ja eigentlich seit der Machtübernahme eher keine Zusammenarbeit oder Einmischung wünschen, eben auch Zahlung gekappt wurden.

Weil die ja nun mal dort an der Macht sind und man das Geld nicht denen geben will.

Ja, ja, total. Dieser Sprecher zum Beispiel vom UN-Welternährungsprogramm hat gesagt, wir kooperieren auch weiterhin mit den Taliban, aber wir stellen definitiv sicher, wir haben bei allen Hilfen vor Ort, das machen wir transparent, wir haben immer jemanden, der das überwacht, dass eben nicht das Geld irgendwo abgezweigt wird.

Aber ich kann Hinweis darauf, dass die de facto Autoritäten im Weg stehen, aber wir arbeiten nicht durch sie, wir koordinieren mit ihnen.

Und was ich besonders interessant fand nach den ersten Beben und nachdem die Taliban auch die Situation vor Ort analysiert haben, haben sie aktiv um Hilfe gebeten, auch im Ausland.

Und es war so interessant, ich habe später mit einem höheren Vertreter der Taliban gesprochen und der meinte, naja, wir haben nicht um Hilfe gebeten.

Wir heißen Hilfe Willkommen und das zeigt ja auch so ein bisschen, dass sie haben einfach gemerkt, alleine werden sie es nicht schaffen, diesen Menschen in der Region jetzt zu helfen, weil es braucht natürlich sehr viel Geld, um da wieder Häuser aufzubauen.

Aber Teil der Wahrheit ist ja auch, dass sie nicht nur internationale Hilfsorganisationen jetzt um Unterstützung gebeten haben, sondern zum Beispiel haben sie mir auch eine Arbeitsgenehmigung gegeben und sie haben ja auch gesagt, wir haben das gemacht, weil es ist jetzt ein Notfall, es ist dieses Erdbeben.

Und wir sind dankbar um Aufmerksamkeit, auch indem ich natürlich diese Geschichten erzähle.

Und das ist eben wirklich interessant, weil gerade zuletzt hatten wir als ARD-Studierner Deli, hatten wir wirklich Schwierigkeiten, eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen.

Also wir haben es mehrmals probiert, auch in diesem Jahr und es war zunehmend schwierig.

Und jetzt auf einmal durch diese Notsituation haben die Taliban uns jetzt als Vertreterinnen und Vertreter der ausländischen Medien diesen Zugang gewährt.

Und das zeigt dann ja auch, dass sie wissen, sie brauchen die Aufmerksamkeit genau jetzt.

Ja, und du hast eben auch gesagt, du hast einen höheren Taliban-Vertreter getroffen, persönlich, du als Frau. Wie ist es dazu gekommen und wie war das für dich?

Ja, und zwar waren wir an dem letzten Tag von meinem Aufenthalt in Afghanistan, waren wir noch in Kabul und da haben wir es wirklich geschafft, dass wir kurzfristig ein Interviewtermin bekommen haben mit dem Sprecher der Katastrophenschutzbehörde.

Und ja, im Prinzip ist das so eine Behörde, so recht einfach, nicht besonders modern.

Man kommt da rein und dann rennt meistens schon jemand rum mit irgendeinem Teekanne, weil Afghans sind sehr gasfreundlich und man kriegt meistens sofort einen Tee angeboten.

Und wir sind dann da reingekommen und da saß auch schon der Sprecher vor seinem großen Schreibtisch mit seinem Mächtigen auf schwarzen Turbarn, oft tragen die Taliban einen dunklen Turbarn.

Leben im Stand groß, die Flagge des islamischen Emirats, diese weiße Flagge mit den Schriftzeichen und er hat dann erst mal höflichkeitsfloskeln ausgetauscht mit meinem afghanischen Kollegen und hat mich dann auch sehr freundlich gemustert und er hat mich auch direkt angeschaut und er hat dann auch seinen Respekt ausgedrückt, dass ich jetzt hier bin und Aufmerksamkeit schenke den Menschen in der Erdbebenregion.

Ja, und dann habe ich ihn direkt gefragt, was tut ihr denn, wie läuft die Hilfe an, was tut ihr konkret für die Menschen in der Erdbebenregion?

Und was hat er gesagt?

Der war sehr selbstbewusst, der hat gesagt, ja, wir schicken Hilfsgüter in die Region, auch Lebensmittel.

Und dieser Sprecher von der Katastrophenbehörde hat gesagt, ja, wir wollen jetzt 2000 Häuser bauen und am besten noch vor dem Winter und auch richtige Häuser, so aus Zement und aus Stein.

Und da kann man natürlich sich fragen, okay, mit welchem Geld wollte ihr das denn schaffen, weil der Winter ist im Prinzip in vier Wochen, wird es so kalt in Herat und das habe ich dann auch gefragt und er meinte, ja, wir hoffen auf Gelder aus dem Ausland, aber wir fragen jetzt auch viele wohlhabende Afghaninnen und Afghanen,

im Land, aber eben auch Menschen, die im Ausland leben, dass sie doch bitte spenden und der war sehr zuversichtlich, dass es klappt.

Und ich war dann überrascht davon, dass sie schon so konkret so einen Plan haben.

Und jetzt ist natürlich die Frage, da muss man auch echt nochmal hinschauen, ob diese Aussage tatsächlich so eintritt, ob sie wirklich es schaffen werden, die Taliban da wirklich Häuser hinzubauen und so schnell.

Wie glaubwürdig sind solche Ankündigungen für dich?

Und es geht ja nicht nur um Häuser, es geht auch um Lebensmittelversorgung.

Wie wirken die Taliban da auf dich als Krisenmanager?

Ja, eigentlich bin ich immer eine Optimistin, aber was das angeht, fürchte ich, wird es einfach noch schlimmer.

Also viele Hilfsorganisationen sprechen jetzt schon von einer großen Hungersnot, die ausbrechen wird und das ist möglicherweise viele Menschen nicht überleben werden diesen Winter, weil sie einfach nichts zu essen haben oder eben draußen erfrieren.

Also es sieht wirklich dramatisch aus.

Ja, die Frage, wie die Taliban diese Krise managen werden, was ich gehört habe, ist, dass es ja vorher gewachsene Strukturen auch schon gab.

Es gab Ministerien, es gab Behörden und die Taliban sind ja reingekommen und haben sozusagen die Führungsebene ausgetauscht.

Aber vielleicht ist ein Stück weit die Hoffnung, dass da im Mittelbau so erfahrene Menschen sitzen und die wissen irgendwie, was sie tun.

Aber nichtsdestotrotz brauchen die ja auch Finanzen, die brauchen Mittel, um Zelte ranzuschaffen oder eben Mittel und Wege zu finden, dort den Menschen vor Ort zu helfen.

Die sind einfach auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen und es sind ja auch verschiedene Länder vor Ort, zum Beispiel China ist da ganz groß vertreten, China hat erst vor kurzem eine Botschaft eröffnet in Kabul und die Hilfsorganisationen, die dort sind, die werden auch weiter aufmerksam machen auf das Schicksal dieser Menschen.

Ja, also die Taliban wollen sich als starke Macher in der Krise präsentieren, offenbar, aber es wird wohl ohne Hilfe von außen nicht gehen.

Das heißt, könnte Afghanistan sich jetzt nach über zwei Jahren unter den Taliban wieder stärker nach außen öffnen in dieser Notsituation?

Ja, das ist genau dieser Grad.

Ich weiß nicht, ich glaube, es ist naiv zu glauben, dass sich jetzt durch dieses Erdbeben komplett was ändern wird, auch in ihrer Einstellung und dass sie sich jetzt doch wieder öffnen für mehr internationale Hilfe und jetzt doch wieder mehr Frauen zulassen, zumindest offiziell.

Unter dem Radar sieht nämlich das Ganze anders aus.

Also ich habe sehr wohl auch Frauen erlebt, die arbeiten am Flughafen oder die auch im Restaurant sitzen.

Also das eine ist immer, was sie offiziell verkünden, aber das andere ist, wie es auch in den verschiedenen Provinzen gelebt wird und da gibt es sehr wohl Nischen, wo Frauen auch weiter arbeiten.

Manchmal sind es ja so kleine Anekdoten, wir waren auf den Straßen unterwegs in der Stadt Herat und sind immer wieder auch an öffentlichen Parks vorbeigekommen und diese Parks haben sich wirklich auch in Zeltstädte verwandelt.

Es sieht aus wie ein riesig großes Camping, muss man sagen.

Und auf einmal meinte der afghanische Fahrer, ja, irgendwie hätte dieses Erdbeben ja auch was Gutes, weil schaut doch mal raus, da laufen überall Frauen zusammen spazieren.

Und das ist auf einmal diese Freiheit, die sie vorher nicht hatten.

Und das fand ich so interessant, dass in diesem Unglück, in dieser wirklichen Katastrophe, es vielleicht so ein kleiner Lichtblick ist für die Frauen,

weil sie jetzt nämlich wirklich zusammen durch den Park gehen können, was ihnen vorher verboten wurde.

Also das zeigt ja wieder, es ist nie schwarz und weiß in der großen Katastrophe.

Hat es zumindest vielleicht einigen Frauen so eine kleine Freiheit ermöglicht und die Taliban sagen da nichts gegen, weil sie können ja nichts dagegen sagen.

Sie können nicht sagen, hier, ihr müsst zurück nach Hause.

Was ich so verstanden habe, ist, dass die Taliban sehr danach gehen, ihr anderen Ländern, vor allem ihr der Westen,

mischt ihr euch nicht bei uns ein, weil wir mischen uns auch nicht bei euch ein.

Also das scheint so sehr deren Maxime zu sein.

Sie wollen respektiert werden und sie wollen auch vor allem als Regierung respektiert werden.

Sie sagen, wir sind jetzt hier für die Sicherheit zuständig, wir sind nicht nur die Taliban, wir sind keine Kämpfer, sondern wir haben jetzt eine Regierung.

Unser Land heißt jetzt das islamische Emirat Afghanistan und so wollen wir angesprochen werden,

weil die Vereinten Nationen haben ja diese de facto Regierung, so nennen die Vereinten Nationen, dieses Emirat immer noch nicht offiziell anerkannt.

Also das sind so diese zwei Pole, deswegen bin ich eher pessimistisch, dass sich so an der großen Linie der Taliban etwas ändert durch dieses doch sehr verheirende Erdbeben jetzt.

Charlotte, danke, dass du uns davon erzählt hast.

Sehr gerne.

Charlotte Horn ist ARD-Korrespondentin für Südasien und in ihrem Berichtsgebiet liegt auch Afghanistan.

Sie berichtet weiter über die angespannte Lage nach der verheirenden Erdbeben-Serie im Westen des Landes.

Auf dem aktuellen Stand bleibt ihr bei unseren Kolleginnen und Kollegen von tagesschau.de.

Auch über diejenigen, die vor Ort besonders gefährdet sind, seit der Machtübernahme der Taliban von gut zwei Jahren, darunter Ortskräfte.

Die wurden auch von der Bundesregierung vor Ort im Stich gelassen.

Darüber haben wir bei FKM eine eigene Folge gemacht.

Gebrochenes Versprechen heißt die, den Link findet ihr in den Show notes.

Auto dieser Folge ist Mark Hoffmann.

Mitgearbeitet hat Lisa Henschel, Produktion Jacqueline Bredcek, Jakob Böttner und Jürgen Kopp, Redaktionsleitung Lena Götler und Fumiko Lipp.

FKM ist eine Produktion von BR24 und NDR-Info.

Mein Name ist Victoria Kopmann.

Wir hören uns morgen wieder. Tschüss!

Und noch ein Tipp.

Wenn ihr mehr von Neudeeli-Korrespondentin Charlotte Horn hören möchtet und einen Blick hinter die Kulissen vom ARD-Studio Südasien ergattern wollt,

dann hört doch mal rein in den Podcast, Korrespondenten in Neudeeli.

Ihr bekommt jede Woche eine neue Folge.

Unter anderem in der ARD-Audiothek.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Gleich mehrere starke Erdbeben erschüttern im Oktober den Westen Afghanistans. Tausende Menschen sterben. Ganze Ortschaften in der Provinz Herat werden zerstört. So kurz vor Wintereinbruch droht eine humanitäre Katastrophe. Die ARD-Korrespondentin für Südasien, Charlotte Horn, durfte nach Afghanistan unter den Taliban einreisen und erzählt in dieser 11KM-Folge, wie die Menschen die ersten Tage und Stunden nach den Beben meistern, wie internationale Organisationen trotz Geldnot versuchen zu helfen und was die Erdbeben-Serie für die totalitär herrschenden Taliban bedeutet.



Aktuelle Berichte zur Lage in Afghanistan findet ihr hier: https://www.tagesschau.de/thema/afghanistan



ARD Korrespondentin Charlotte Horn hört ihr auch regelmäßig in dem Podcast "Die Korrespondenten in Neu-Delhi" mit einem Blick hinter die Kulissen, in der ARD Audiothek:

https://www.ardaudiothek.de/sendung/die-korrespondenten-in-neu-delhi/51190560/



Hier geht’s zur früheren 11KM-Folge "Afghanistan: Gebrochenes Versprechen": https://www.ardaudiothek.de/episode/11km-der-tagesschau-podcast/afghanistan-gebrochenes-versprechen/tagesschau/94810928/



An dieser Folge waren beteiligt:

Folgenautor: Marc Hoffmann

Mitarbeit: Lisa Hentschel

Produktion: Jürgen Kopp, Jacqueline Brzeczek, Jacob Böttner

Redaktionsleitung: Fumiko Lipp und Lena Gürtler



11KM: der tagesschau-Podcast wird produziert von BR24 und NDR Info. Die redaktionelle Verantwortung für diese Episode liegt beim BR.