NZZ Akzent: Wie die Hamas zu ihren Waffen kam

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/23/23 - Episode Page - 15m - PDF Transcript

NCZ-Akzent

Ueli, was wir da sehen, ist das eine Militärparade?

Das ist eine Militärparade aller Hamas. Die Aufnahme ist ungefähr sechs Jahre alt.

Die Stammt aus der Stadt Raffa im Süden des Gaza-Streifens.

Und wir sehen hier viele, meistens vernummte Kämpfer,

die dadurch die Straßen paradieren.

Das alles ist nicht perfekt, da stimmt der Schritt nicht ganz.

Die Gewehre werden nicht richtig gehalten, die Mützen sind unterschiedlich.

Das alles ist sehr einfach.

Und wir sehen auch die typischen Stirnbänder der Kämpfer.

Mit den muslimischen Slogans, mit den muslimischen Slogans.

Alles macht einen hartgestrickten Eindruck, sehr volkstümlich.

Aber Sie präsentieren ja schon auch Waffen.

Die sieht man auch bei dieser Militärparade.

Sie nehmen ihre persönlichen Waffen mit, also in erster Linie das Gewehr.

Aber auch sieht man Panzerfäuste, man sieht einzelne Raketen.

Insgesamt ist das eine große und klare Demonstration der Stärke.

Und das Willens, sich gegen Israel in Szene zu setzen.

Aber man muss eben auch sagen, dieses Bild täuscht ein bisschen.

Denn hier präsentiert sich die Hamas, also eine typische Volksbefreiungssarmee,

der 70er Jahre.

Aber in Wirklichkeit hat sich die Hamas in den letzten Jahren dramatisch weiterentwickelt.

Sie verfügt über ganz andere Waffen, die sie hier natürlich nicht vorführt.

Und es sind diese Waffen, mit denen Israel in den letzten Tagen angeriffen worden ist.

Die Hamas ist längst keine hemmzärmliche, einfache Kampftruppe mehr.

Der langjährige Nauskorrespondent Ulrich Schmied sagt,

auf welchen Wegen die Hamas zu modernen Waffen kam.

Ich bin Antonia Moser.

Jetzt will ich es aber schon wissen, woher hat die Hamas ihre Waffen?

Ja, das ist natürlich eine lange, lange Geschichte.

Die Hamas existiert ja nicht erst seit gestern.

Gehen wir zurück in die Zeit des ägyptischen Präsidenten Mubarak.

Zu der Zeit kamen die Waffen im Allgemeinen aus Ägypten.

Und zwar durch diese vielen, vielen Tunnels, die es damals gab, an der südlichen Grenze.

Da hat die ägyptische Regierung da einfach ein Auge zugedrückt.

Durch diese Tunnels lief ein riesiger Teil des Außenhandels,

auch des zivilen Außenhandels, von Gaza.

Der ja Gaza am Leben erhielt eigentlich.

Und durch diese Tunnels wurden ganze Autos geschmuggelt.

Aber dann kam der ägyptische Diktator Abdel Fatah al-Sisi an die Macht.

Und seither ist es Schluss mit der offenen Grenze nach Ägypten.

Warum genau?

Es sind eigentlich zwei Gründe, die ihn veranlasst haben,

diese Grenze radikal zu schließen und die Tunnel zu fluten.

Zum einen hat er Angst vor dem verheerenden Einfluss,

den die Hamas in Ägypten haben könnte.

Zweiter ist natürlich, dass Ägypten ganz einfach dieses Problem

der Palästinenser nicht quasi erben will.

Sie wollen diese Grenze geschlossen halten.

Also wie kommen dann die Waffen nach Gaza?

Ja, also wenn man sagt, die Verbindung zu Ägypten ist abgebrochen,

dann stimmt das einfach nicht ganz.

Die Hamas sorgt dafür, dass immer noch Waffen durch Ägypten kommen.

Sie besticht sehr aktiv die Bedouinen in der Gegend

und auch hohe Beamte im ägyptischen Apparat.

Und so können sie diese Blockade von Sisi eigentlich relativ gut umgehen.

Und es gibt, man muss es auch sagen, den Weg, den die Waffen manchmal finden,

wenn sie als Komponenten verpackt und mit israelischen Lieferungen

über einen der etlichen Grenzübergänge nach Gaza gebracht werden.

Die fallen dann nicht auf, aber die sind halt letztlich Komponenten

für Waffen und werden dann zusammengesetzt und können als Waffen dienen.

Also das heißt, es kommen Waffen paradoxerweise auch durch Israel rein.

Der andere Weg ist das Meer.

Über das Meer, also wie?

Das sind Schmuggler, die fahren oft natürlich im Schutze der Nacht relativ nahe

an die Küste von Gaza, aber auch nicht wirklich nahe.

Und dort lassen sie dann versiegelte Kapseln mit den Komponenten von Waffen

oder anderen Geräten ins Meer.

Und die treiben im Meer, die sind aber versehen mit einem GPS-Sender,

der von den Fischern, die dafür ausgerüstet sind, geortet werden.

Dann fahren die Fischer mit sehr kleinen Booten, mit ihren sehr kleinen Fischerbooten,

die man oft auf den großen Meer überhaupt nicht mehr sieht.

Fahren dahin, bergen diese Kapseln und bringen sie ebenfalls im Schutze der Nacht nach Gaza zurück,

wo sie dann sofort in den Tunnel verschwinden und zu diesen Montagehallen der Hamas gebracht werden.

Aber Zwischenfrage, wer liefert eigentlich diese Waffenteile?

Der größte Waffenlieferant der Hamas, das ist selbstverständlich Iran,

das ist die Macht, die in den letzten Jahren sich ganz, ganz klar als die Nummer eins profitiert hat,

was Waffenlieferungen an die Hamas angeht.

Und was schickt da Iran? Also sind das moderne Waffen?

Ja, das sind Waffen, die sind moderner als die früheren, das ist ganz klar.

Die Hamas hat hier große Fortschritte gemacht.

Es sind nicht eigentliche Präzisionswaffen, sie sind meistens nicht mit GPS-Sendern ausgerüstet.

Es sind Drohnen dabei, es sind Mörserbestandteile dabei.

Aber zunehmend, ganz offensichtlich, ist modernere Technik dabei.

Hightech-Waffen, kleinere, für die elektronische Kriegsführung geeignete Geräte werden auch geschmuggelt.

Und das spielt eine immer größere Rolle in der modernen Kriegsführung.

Also elektronische Kriegsführung, was muss ich mir darunter vorstellen?

Das ist im Grunde Kriegsführung im Internet.

Grundsätzlich ist das Ziel dieser Kriegsführung zu verwirren,

auf falsche Fährten zu lenken, abzulenken oder zu überfluten so mit Informationen,

dass sie nicht mehr in der Lage sind, korrekte Daten zu erheben.

Aber woher hat denn jetzt die Hamas dieses Know-how, also solche elektronische Kriegsführung zu betreiben?

Ich würde sagen, zum einen kann das Know-how bis zu einem gewissen Grad im Internet geworden werden.

Das zweite Land, das erwähnt werden muss, ist Iran.

Dann kommt die Türkei und ein ganz wichtiges Land im Zusammenhang mit der Ausbildung von Hamas Kämpfern.

Das ist Malaysia.

Warum Malaysia?

Malaysia hat keine diplomatischen Verbindungen mit Israel.

Malaysia ist ein Land, das sich immer relativ stark hervorgetan hat, hat bei anti-israelischen Aktionen mitgemacht.

Ein muslimisches Land selbstverständlich, ein Land, das Kontakte unterhält zu Hamas Führung.

Und in Malaysia werden junge Kämpfer der Hamas seit Jahren ausgebildet.

Aber jetzt, diese Hamas Kämpfer in Malaysia, was lernen die da genau?

Wie werden die ausgebildet?

Sie werden umfassend im Cyberkrieg ausgebildet, aber nicht nur im Cyberkrieg.

Also im Cyberkriegsektor lernen sie, wie man andere Geheimdienste mit Nachrichten überflutet,

wie man Nachrichten verschlüsselt, wie man Firewalls überwindet.

Aber es gibt auch ganz praktische Dinge.

Sie lernen, wie man Panzer überfällt, mit welchen Waffen man das tut, mit welcher Taktik.

Es werden Sniper-Einsätze geübt, es werden Fallschirman-Griffe geübt, mit diesen Hängegleitern.

Das ist sehr, sehr konkret.

Und dass alle diese Dinge, die sie dort in Malaysia lernen,

die haben wir jetzt beim Überfall der Hamas vor gut einer Woche in Israel gesehen.

Aber jetzt haben wir gehört Malaysia, Iran, Ägypten.

Das gibt mir schon den Eindruck, dass die Hamas sehr abhängig ist vom Ausland,

also von der, von Waffen, von Know-how und so weiter.

Das sind sie ja, die Kleinkomponenten, die können sie nicht selber herstellen,

die Elektronik und all diese Dinge, die müssen definitiv importiert werden.

Es geht wirklich ums Zusammensetzen.

Aber da hat die Hamas in den letzten Jahren außerordentliche Fähigkeiten entwickelt.

Komponenten, ausländische Komponenten, die eben russisch, sovietischer Provinenz sein,

chinesischer, iranischer, die werden eben in diesen Tunnels zusammengesetzt.

Und da haben die Hamas Terroristen hervorragende Fähigkeiten entwickelt.

Also in Tunnels zusammengesetzt, wie muss ich mir das vorstellen?

Die haben in den Tunnels irgendwie noch so Werkstätten eingerichtet.

Oh ja, der größte Teil des 500 Kilometer Tunnelsystems in Gaza dient nicht dazu,

sich nach Israel durchzuschlagen.

Die gehen nicht unter der Grenze durch, sondern die sind einfach unterirdisch angelegt,

so dass die israelische Luftwaffe sie nicht bombardieren kann,

oder eben sie nur mit sehr viel Glück treffen kann.

Und in diesen unterirdischen Tunnels, das sind ganze Produktionsstraßen,

da werden Waffen und Munition gelagert.

Und da sind eben diese kleinen Waffenfabriken, die sind nicht besonders groß, das ist ganz klar.

Aber in denen werden diese Raketen, dieses Gutfatscheraketen,

die verschiedenen Modelle, die Panzerfäuste, da wird das alles zusammengesetzt.

Aber Ueli, jetzt hast du mir das in kurzer Zeit alles erklärt,

wie diese Waffen nach Gaza kommen, wie diese wieder zusammenbauen.

Woher weiß man denn das überhaupt, dass du mir das so in jedem Detail erzählen kannst?

Ja, ich finde diese Frage hervorragend, denn ich finde, man muss dieses Mediare auch immer hinterfragen.

Also woher weiß ich das zum Beispiel?

Ich meine, ich habe mich sehr oft in Gaza aufgehalten,

aber natürlich haben mir die Hamas-Kämpfer diese Produktionsanlagen nicht gezeigt.

Das ist selbstverständlich hochgeheim.

Es war ein paar Mal im Süden an der Grenze zu Ägypten, da habe ich Tunnel gesehen,

aber das war ein Tunnel, die eben nach Ägypten ging und die blockiert wurden dann von den Ägypten.

Also die Eingänge waren noch offen, aber man konnte nicht sehr weit gehen in diesen Tosen.

Ich habe mich kundig gemacht, wie das jeder Journalist tut bei Spezialisten.

Das sind Militärspezialisten, die sitzen in den Fengtanks auf der ganzen Welt,

sehr häufig natürlich in den USA, in Großbritannien, in Europa.

Und die studieren einerseits die militärischen Publikationen der einzelnen Länder,

auf die man sich wiederum nicht besonders verlassen sollte.

Und sie haben ein Netzwerk von weiteren Spezialisten.

Das ist das eine.

Das andere, das sind natürlich die Geheimdienste.

Ich vermute, dass die Geheimdienste sehr gute Vorstellungen davon haben,

was die Gegner jeweils, also in diesem Falle, ich glaube,

dass die israelischen Geheimdienste an sich relativ genau wissen, was die Hamas hat.

Und umso erstaunlicher ist es, dass diesmal die Israeli von diesem Angriff der Hamas total überrascht wurden.

Also eben, der israelische Geheimdienst hatte all diese Quellen ja auch,

wenn du die auch einfach so findest, sag ich mal.

Wie erklärst du dir das?

Also die Quellen, die ich habe, die hatte natürlich der israelische Geheimdienst 100%.

Das ist ganz klar und Sie wissen doch sehr viel mehr.

Naja, da kommen wir auf das wirklich große Problem.

Es ist ein, man könnte sagen, es ist ein Phänomen, es ist fast ein Paradoxon.

Die Israeli wurden trotz ihres ohne jeden Zweifels großen Wissens

von den Kämpfen der Hamas überrascht an der Grenze.

Sie waren nicht da, sie haben es nicht mitbekommen, sie kamen zu spät.

Sie haben eine furchtbare Vorstellung abgegeben, das ist auch keine Frage im Land selber.

Dann haben wir aber auch das politische.

In den letzten Monaten hat Israel absolut nicht mehr auf den Gazastreifen geschaut,

war beschäftigt mit einem ganz, ganz harten, innenpolitischen Kampf.

Netanyahu versuchte mit seiner rechten Regierung die illiberale Justizreform durchzubringen.

Und das hat ziemlich offensichtlich dazu geführt, dass das ganze Land sich ganz einfach

mit dieser Frage, mit dieser vitalen Frage nicht mehr beschäftigt hat.

Das ist natürlich ein eklatantes Versagen.

Netanyahu kann sich da nicht rausreden, denn er war an der Regierung,

er und seine Rechten sind dafür verantwortlich, da gibt es nichts,

das kann er jetzt nicht wieder den Linken in die Schuhe schieben.

Und dieses Versagen wird auf jeden Fall Konsequenzen haben

in der Armee, in den Geheimdiensten und selbstverständlich auch in der Politik.

Da wird es große Verschiebungen geben.

Ueli, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Ja, gern.

Das war unser Akzent.

Das Produzent dieser Folge war Simon Schaffer.

Ich bin Antonia Moser.

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Bis bald.

Copyright WDR 2021

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Die Terrorattacke auf Israel hat gezeigt: Die Hamas ist moderner ausgerüstet als von vielen gedacht. Sie hat ein grosses Waffenarsenal aufgebaut und führt auch Krieg im Cyberspace.

Host: Antonia Moser

Gast: Journalist Ulrich Schmid

Produzent: Simon Schaffer

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/technologie/vor-gaza-werden-einzelne-waffenkomponenten-nachts-ins-meer-gelassen-und-mit-einem-gps-sender-versehen-die-hamas-fischt-sie-auf-und-setzt-sie-zusammen-ld.1760648

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