NZZ Akzent: Wie der blinde Ben surfen lernte

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/21/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird präsentiert vom Zürich Filmfestival.

NZZ-Aktzent.

Matthias, wo bist du denn gerade unterwegs?

Ich bin in München, mitten in der Innenstadt.

Gleich beim Eingang zum englischen Garten fließt der Eisbach.

Neben der Straße gibt es hier eine Surferwelle.

Rundherum stehen Zuschauer, Touristen, Filmen mit ihren Händis.

Studenten trinken hier ihr erstes Bier.

Dann ist es drei Tage Nachmittag, Ende Mai,

das Wochenende fängt gerade an.

Und am Eisbach tun man sich etliche Surfer.

Ich muss sagen, ich kenne diese Gegend sehr gut,

weil ich dort aufgewachsen bin.

Deswegen Eisbach Surferwelle, das ist für die Surfer

und eine absolute Touristenattraktion.

Ich glaube, das steht sogar nicht im Reiseführerzeichen mittlerweile.

Ja, genau, das ist so.

Das ist der Surfspot in München.

Aber wer hier surft, muss schon etwas können,

dann ist es sehr gefährlich, hier zu surfen.

Und wenn ich da so zuschaue, sieht man links und rechts,

am Ufer des Bachs, sieht man Warteschlangen von Surfern,

die sich da anstellen.

Jetzt steigt hier Ben Neumann auf sein Surfbrett.

Er ist 18 Jahre alt, trägt einen schwarzen Neoprenanzug,

neungelbes T-Shirt, ein Helm.

Was aber viele Leute hier gar nicht auffällt,

Ben Neumann ist blind.

Seit er ein kleiner Junge war, ist Ben Neumann blind.

Heute surft er auf der ganzen Welt.

Sportredaktor Matthias Vennetz

hat Ben in München beim Surfen getroffen.

Ich bin Sebastian Panholzer.

Matthias, du hast es eben gerade gesagt, der Eisbach,

der ist nichts für Anfänger.

Aber Ben, der ist blind und surft dort.

Wie geht es?

Ja, das habe ich mich auch gefragt,

als ich zum ersten Mal von ihm gehört habe.

Deshalb habe ich mir gesagt,

ich kontaktiere ihn und fahre nach München

und schau mir das an.

Ich habe dann Ben und seinen Vater Peter dort getroffen,

am Eisbach.

Ich habe ihn zugeschaut, wie sie da gesurft sind.

Ich bin dann später mit ihnen in eine Bar

und habe mir ihre Geschichte angehört.

Ein Eischen?

Zwei.

Und was hat Ben dir erzählt?

Ben hat mir erzählt, wie er zum Surfen gekommen ist

und wie er blindet ist.

Initial war es für meine Eltern viel schwieriger,

das zu verarbeiten, als es jetzt für mich ist.

So, dass er mit sechs Jahren, mit seinen Eltern

zu einer Routine-Untersuchung ging beim Arzt

und diese Routine-Untersuchung hat sein Leben verändert.

Weil der Arzt hat ihm mitgeteilt,

dass er unter einem Gen-Deffekt leidet

und es war klar, er würde er blinden.

Das war aber für seine Eltern, die ihn begleitet haben,

ein größerer Showkalt als für Ben selber.

Warum das?

Ben hat mir erzählt, dass er damals mit sechs Jahren

das Ausmaß dieser Diagnose gar nicht verstanden hat

oder gar nicht abschätzen konnte, was sich alles verändern wird.

Seine Eltern aber schon.

Die Familie wohnt in Garmisch-Partenkirchen.

Es ist ein Ort 100 km südlich von München.

Eine absolute Wintersport-Destination.

Direkt an den Bergen, an einer Zugspur.

Genau.

Das heißt, in Garmisch, da fährt man draußen,

da wandert man, da läuft man Schlittschuh.

Für die Familie war das aber auch klar,

wir möchten unserem Kind diese Leben weiterhin ermöglichen.

Die Familie ist sehr aktiv, die ist sehr sportlich unterwegs.

Genau, die sind ständig draußen, die treiben Sport

und das wollen sie jetzt auch weiterhin.

Und wie machen die das?

Schon im ersten Winter,

nach der Diagnose, gehen sie wieder Skifahren wie üblich,

wenn sie da noch etwas.

Aber es ist schon klar, dass ihr erblinden wird.

Aber die Familie beschließt, das findet jetzt nicht hinter.

Peter, der Vater,

dann kontakt mit einer Skischule in St. Moritz, in der Schweiz aufgenommen,

die Erfahrungen hat mit Skisport für sehr beeinträchtigte Menschen.

Und die haben nie mehr erzählt,

Schau, es gibt hier Funkgeräte

und über Headsets kann da einiges tun.

Und Ben hat mir dann erzählt,

dass sein Vater ein Funkgerät gegeben hat,

selber auch eins mitgenommen hat.

Und dann ist er vorausgefahren, Ben.

Und sein Vater hat ihn dann per Funk

hinten vor Hindernissen oder Steilhängen und so weiter geworden.

Also beim Skifahren meinst du jetzt?

Genau, genau.

Oh wow, also ich finde, da verkocht es mega viel Mut dazu,

sich blind auf Skier zu stellen.

Ich meine, es braucht schon genug Mut, sich sehnen,

den Abhang runterzustürzen, aber blind ist es schon sehr mutig.

Ja, absolut.

Als ich mir einen Eindruck von Ben gemacht habe,

konnte ich dann feststellen,

er ist ein sehr neugieriger Mensch, sehr selbstständig.

Aber ich war auch überrascht,

weil er kann mir nicht vor wie ein Draufgängertyp.

Aber funktioniert es dann über Funkgeräte,

so wie es Ben und sein Vater ausprobiert haben?

Klappt das?

Ja, das funktioniert gut.

Und das funktioniert auch so gut,

dass die Familie dieses System jetzt eigentlich weiter anwendet.

Also die Jahre vergehen.

Also 13 ist, macht die Familie dann

einen Ausflug in eine Erlebnis Arena in München.

Das heisst, was ist Erlebnis Arena?

Ja, es ist ein Ort, wo man klettern kann,

wo Leute hinfahren, um zu surfen auf einer Indoorwelle.

Es passt einfach zum Lebensstil der Familie.

Es ist aktiv und sportlich.

Und nach diesem Ausflug, also Ben geht dahin

und hat doch schon gehört, dass man da surfen kann.

Er probiert das auch aus.

Und fast dann den Entschluss.

Ich will das auch lernen.

Wir sind gleich zurück.

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Ich weiß ja jetzt schon, er traut sich einiges.

Oder wie man bei uns in Bayern sagt, er scheißt sich nix.

Also jetzt lernt er auch surfen.

Er stellt sich jetzt aufs Brett.

Genau, das ist zunächst einmal eine Herausforderung,

aber nicht nur für Ben, sondern auch für seine Eltern.

Sie sagen sich aber, dass das möglich sein muss.

Und sein Vater übernimmt dann quasi auch die Rolle

als erster Trainer, was er ja schon beim Skifahren

quasi gemacht hat. Anweisungen per Funk und so weiter.

Aber jetzt beim Surfen ist es anders,

weil da ist sein Vater ein Laie.

Das heißt, er muss sich einlesen, die Technik,

welches Material und so weiter.

Genau, sie machen das aber alleine.

Also die Familie, Vater und Sohn.

Also es gibt nicht irgendwie einen Surfer ein für Blinde,

wie du es vorhin eben erzählt hast,

dass es beim Skifahren, beim Surfen hat es das nicht.

Also die Familie macht es einfach selbstständig.

Und ich erkläre mir, dass auch so das Ben, die Neugierde,

die ich schon erwähnt habe, ein bisschen Familien,

ein Familienwert ist für mich.

Und wie geht es dann weiter?

Ben beginnt jetzt zu surfen auf der Indurwelle in München.

Und auch hier, wie schon beim Skifahren,

kommuniziert er mit seinem Vater über Funk.

Es hört sich jetzt sehr...

Außergewöhnlich an.

Aber für Ben ist das gar nicht so abwege,

weil wenn er surft, hat er viele Hindernisse nicht.

Die sind nicht da, die er sonst hat,

wenn er sich in einem Raum bewegen will.

In einem Raum keine Schwellen, keine Stufen.

Und Ben hat mir gesagt, ja, was hat er das nicht.

Und dann wie geht es weiter bei Ben?

Also er lernt jetzt surfen per Funk mit seinem Vater.

Er rübt weiter.

Er bleibt nicht nur in dieser Arena.

Er besucht Flusswellen in Bayern.

Er fährt in die Schweiz nach Sion,

wo es auch eine Surferanlage gibt, eine künstliche.

Dann nimmt er auch einen Weltkämpfenteil.

Er fliegt nach El Salvador, nach Indonesien.

Sein Stil wird immer ausgefeilt.

Und er wird richtig gut.

Er gewinnt zum Beispiel 2001

an der Para WM die Bronzemedaille in den USA.

Wow.

Ja, er ist jetzt auch Teil der deutschen Nationalmannschaft.

Er fährt mit seiner Familie schon um die ganze Welt, um zu surfen.

Aber er ist eben auch da, wo du ihn gesehen und besucht hast,

in München auf der Eisbachwelle.

Genau, und da habe ich mit Ben und seinem Vater

den ganzen Nachmittag verbracht,

um zugeschaut, wie das Ganze abläuft,

wenn er auf sein Brett steigt und surft.

Das war gar nicht schlecht,

aber das war natürlich das Problem,

wenn die jetzt da mehr Dedication dahinter setzt.

Wir hören uns jetzt auch hier die Funksprüche,

die Anweisungen, die der Vater Ben durchgibt.

Ja, er beschreibt sein Sohn immer wieder,

wie die Welle beschaffen ist.

Die Eisbachwelle verändert sich immer ein bisschen.

Sie ist da einfach wissen, dass die Bucke relativ hoch sind.

Sie können auch vergleichen, ja.

Sie ist ein bisschen buckeliger als gestern.

Aber eben während des Surfen ist die Funkstille.

Also sobald...

Damit er sich konzentrieren kann, wahrscheinlich, oder?

Genau.

Da gibt es nur Ben, sein Brett und das Wasser

und sein Vater schaut zu.

Und wenn er dann seinen Turn abricht,

stürzt er ins Wasser, taucht er unter

und taucht dann etwas Flussabwärts wieder auf.

Dann gibt es dann wieder Feedback.

Also dann geht das Funkgerät quasi wieder an

und dann sagt sein Vater, okay,

das war jetzt zu wenig Dampf.

Oder hat er das einmal auch genommen?

Ich kann es nicht im Turn, sondern da muss man eigentlich mit Dampf fahren.

Ben kommt dann und sagt, nein, das ist das falsche Wort.

Und sie fachsimpelt dann richtig nach ihrem Rahmen.

Nein, ja, Dampf ist das falsche Wort.

Zwischenzeitlich witzeln sie aber auch.

Das ist jetzt nicht nur eine absolut ernste Angelegenheit,

sondern es macht schon auch Spaß.

Man merkt, es macht Spaß.

Und irgendwo sind die Grenzen auch fast fließend.

Sie machen das sehr schon ernst, aber auch spielerisch, muss man sagen.

Wenn Sie damit durch sind, bewegt sich Ben eigentlich

sehr selbstständig zurück, wieder in die Reihe,

steigt an auf einen kleinen Mauer

und stellt sich an für den nächsten Versuch.

Ich kenne diese Stelle wie gesagt

und ich weiß, dass es jetzt nicht so ungefährlich dort ist,

stellt man sich vor blind anzustellen,

weil es ist eine relativ schmale Mauer,

wo du dadurch entlangbalancierst schon fast.

Ich finde das sehr beeindruckend.

Ja, auf jeden Fall.

Wenn man dazu schaut, würde man auch nicht merken,

dass Ben nicht zieht.

Irgendwo ist da Routine, er kennt die Distanzen,

er kennt die Hindernisse.

Das einzige, was ein Vater ihm eigentlich

in diesem Prozess sagt, wo er sich wieder anstellt ist,

kann sich aufrücken, noch ein bisschen vornehmen.

Ben ist jetzt 18 Jahre alt,

das heißt er ist jetzt ungefähr seit 11 Jahren blind.

Die ersten Jahre seines Lebens hat er noch was gesehen.

Habt ihr darüber auch gesprochen,

wie es denn für ihn ist, blind zu sein?

Ja, Ben hat mir erzählt,

dass er gar nicht mehr viele Erinnerungen daran hat,

wie es war, als er auch gesehen hat,

als er Erinnerungen visuell abgespeichert hat.

Er weiß eigentlich auch gar nicht,

wer richtig seine Eltern aussehen.

Besonders erstaunlich fand, er träumt auch nicht visuell,

sondern er arbeitet in seinen Träumen

dann anderen Sinn des Eindrücken.

Er sagt aber auch, dass ihm gar nichts fehlt,

dass jetzt quasi das Fehlen,

das See sind, in seinem Hirn Platz gemacht hat

für anderes, für das Hören, Riechen, Tasten.

Konkret sieht das dann so aus,

dass er beim Surfen extrem stark wahrnimmt,

wie das Wasser, wie sich Wassertropfen auf seiner Haut bilden,

wie der Wind ihm ins Gesicht bläst

und wie das Surfbrett unter seinen Füßen Geschwindigkeit aufnimmt.

Deshalb sagt er auch, sei Skrivarn

und vor allem auch Surfen für ihn viel mehr als Sport,

sei für ihn auch eine Therapie.

Also ein absolut positiver Mensch, als ich bin, oder?

Ja, so wirkt er auch auf mich.

Als ich mich dann mit ihm unterhalten habe nach dem Surfen,

habe ich gemerkt, dass ein sehr vielfältig interessierter junger Mann,

der sich mit vielen verschiedenen Dingen beschäftigt

und viele Dinge machen will,

dass einerseits die Möglichkeit,

dass Surfen bei den Paralympischen Spielen 2028 zugelassen wird

und sollte das passieren, weil er da unbedingt teilnimmt,

dann steht er aber auch kurz davor, sein Abitur abzulegen

und beschäftigt sich das aber auch damit, was er studieren möchte.

Man kann sich da Astrophysik vorstellen, Psychologie.

Wow!

Irgendwie fand ich es passend, dass er dann auch gesagt hat,

vielleicht mache ich auch was ganz anderes

und Weltmethaltrainer.

Grundsätzlich sagt er aber auch,

wenn es irgendetwas davon nicht möglich sein sollte,

wenn er jetzt nicht Astrophysik oder Psychologie studieren kann,

dann sei das nicht wirklich ein Problem für ihn.

Er hat gesagt, er würde damit nicht haben.

Das liegt daran, dass er sehr früh lernen durfte,

dass sich das Leben nicht am Planen hält

und dass man immer eher die Möglichkeit sehen soll

und nicht die Einschränkung.

Matthias, vielen Dank, dass du da warst im Studio

und dass du die Geschichte von Ben dazelt hast.

Danke dir.

Merci dir.

Das war unser Akzent.

Produzentin dieser Folge ist Alice Gorschen.

Ich bin Sebastian Panholzer.

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Als kleiner Junge erblindet Ben Neumann. Als Teenager lernt er surfen und findet seinen eigenen Stil. Heute bereist er die ganze Welt, um mit den Besten zu surfen.

Heutiger Gast: Matthias Venetz, Redaktor

Host: Sebastian Panholzer

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/sport/nur-im-wasser-steht-ihm-nichts-mehr-im-weg-ben-neumann-ist-blind-und-surft-ld.1739400

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