NZZ Akzent: Was ist los im Kosovo?

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/5/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird ihn präsentiert von der LGT, ihrer Privatbank in der Schweiz.

Entitet Aktient.

The United States has warned Serbia to pull back its forces

und aufmarsch von serbischen Truppen an der Grenze zu Kosovo.

Das Ausmaß sei, Zitat, beispiellos.

Freitag, 29. September, haben die USA eine sehr deutliche Warnung an Serbien ausgesprochen.

Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte, wir fordern die Regierung in Belgrad auf,

die Truppen sofort von der Grenze zum Kosovo abzuziehen.

Die USA hatten, davor hatten sie schon von einem beispiellosen Aufmarsch von Truppen

an der Grenze gesprochen.

Es war die Rede von einer äußerst unstabilen Situation

und eben diese Auffordung an Belgrad jetzt unverzüglich die Truppen wieder abzuziehen.

Also die USA wählen deutliche Worte.

So deutliche Worte zeigen, dass der Konflikt auf dem Balkan zwischen Serbien und Kosovo

eine neue Dimension erreicht hat

und dass die Sorge sehr groß ist, dass die Situation eskalieren kann.

Der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo erreicht eine neue Eskalationsstufe.

So angespannt war die Situation in der Region seit Jahren nicht mehr.

Sagt unser Südosteuropa-Korrespondent Volker Papst.

Ich bin Marlene Ueller.

Volker, also sogar die Amerikaner machen sich jetzt ernsthaft sorgend?

Ja, das ist eine neue Gefahrenstufe erreicht.

Die Lage hat sich dramatisch zugespitzt,

sodass jetzt auch das Weiße Haus sehr klare Worte findet.

Wie konnte sich die Lage denn so zuspitzen?

Für den unmittelbaren Auslöser müssen wir ungefähr eine Woche zurückgehen zum 24. September.

Und zwar hat sich da im Norden Kosovo ein Überfall ereignet.

Das war beim Dorf Banskar.

Das ist in der Nähe von Serbien, eine Region in Kosovo, wo hauptsächlich Serben wohnen.

Da gab es eine Straßenplokade, die Polizei ist ausgerückt.

Das war mitten in der Nacht und das empuppte sich dann schneller als Hinterhalt.

Die Polizisten wurden beschossen, da gab es ein Feuergefecht.

Die Angreifer haben sich in einem Kloster verschanzt.

Es gab weitere Schießereien.

Den ganzen Tag über war die Situation sehr unruhig und volatil.

Und dann zum Abend hin war ein Polizist tot.

Drei Angreifer waren getötet, einige waren verhaftet worden

und viele andere sind geflohen nach Serbien.

Es hieß dann, dass etwa 30 Männer insgesamt an diesem Angriff beteiligt gewesen waren.

Kennen weiß man etwas über die Rädelsführer oder wer das war?

Zuerst ist das unklar, aber es gibt dann schnell viele Vermutungen, Theorien, Spekulation

und sofort gegenseitige Schuldzuweisung.

Wer beschuldigt wen?

Die Regierungschef von Kosovo, die gesamte Regierung in Kosovo

und ihr Chef Albin Kurti beschuldigen Serbien, etwas damit zu tun zu haben.

Das sieht man zum Beispiel hier in dieser Szene.

Das ist am Tag nach dem Angriff.

Da zündet Kurti eine Kerze vor dem Bild des getöteten Polizisten an

und hält eine Rede.

Und indem er auch sehr klar macht, dass er davon überzeugt ist,

dass Serbien hinter diesem Angriff stecken.

Dazu muss man wissen, das Verhältnis zwischen Serbien und Kosovo ist ja sehr schwierig.

Also Serbien erkennt Kosovo gar nicht als Staat an,

sondern sagt, das ist eine serbische Provinz,

betrachtet also das eigene Territorium

und nimmt auch großen Einfluss auf die serbische Minderheit, die im Kosovo lebt.

Also die große Mehrheit der Bewohner Kosovos sind Albaner.

Auch in der Regierung stellen die Albaner natürlich die große Mehrheit.

Aber es gibt Minderheiten und die wichtigste Minderheit ist die serbische.

Dann kocht dieser Konflikt auch immer wieder auf,

oder zwischen diesen ethnischen Gruppen?

Ja, genau. Und das geschieht vor allem im Norden Kosovos,

also dort, wo jetzt sich auch dieser Angriff ereignet hat.

Deswegen steht er auch ein Stück weit exemplarisch für die Situation.

Die meisten Serbenskosovos leben im Norden, in einem kompakten Siedlungsgebiet,

das direkt an Serbien angrenzt.

Die erkennen eigentlich auch den Kosovaischen Staat nicht an,

also sagen auch von sich selber, sie leben in Serbien.

Wenn man dort spazieren geht, auf den Straßen hängen überall serbische Flakken,

man bezahlt mit serbischen Dinars,

die Telefone haben eine serbische Vorwahl.

D.h. dort ist dieser Konflikt besonders spürbar.

Und Serbien hat entsprechend auch großen Einfluss in dieser Region.

Wie?

Ja, da ja dieser Status dort auch besonders ungeklärt ist,

ist auch ein großer Raum entstanden für die organisierte Kriminalität,

für Banden und Gruppierungen.

Es wird auch immer wieder vorgeworfen, dass Serbien diese dann unterstützt

oder instrumentalisiert, um den Konflikt anzuheizen.

Z.B. was regelmäßig vorkommt, ist, dass Straßensperren errichtet werden.

Oft mal stehen dann solche Gruppen dahinter.

Und es ist nie ganz klar, ob vielleicht der Befehl aus Belgrad kam

oder zumindest eine Unterstützung aus Belgrad kam.

Okay.

Und bei diesem Vorfall, den du vorhin geschildert hast,

wird das da auch vermutet, also dieser Graubereich,

diesen Einfluss Serbien?

Ja, dafür spricht vieles.

Also Serbien streitet das ab.

Die Regierung in Belgrad hat immer gesagt, wir haben nichts damit zu tun.

Aber es gibt doch einige Hinweise.

Also einerseits hat man direkt nach der Schisserei

dann einige Tage später nochmal große Waffenarsenale gefunden,

mit sehr modernen Waffen, die Privatperson jetzt nicht ohne Weiteres

sich beschaffen könnten.

Auch das Vorgehen dieser Gruppe von Männern,

die den Angriff ausgeführt haben, war ziemlich professionell.

Also das deutet schon darauf hin, dass da eine gewisse Unterstützung gab.

Und dann, fünf Tage nach dem Angriff, legt dann die kosovarische Polizei

auch die ersten Belege vor.

Also man zeigt Drohnenaufnahmen, wo man die Gesichter der Angreifer kennt.

Und dann heißt das, guck mal hier, sieht man Milan Radoycic.

Das ist ein im Nordkossovo sehr berüchtigter Mann,

der ist Geschäftsmann, der ist aber auch Politiker,

mit guten Kontakten zum Serbischen Präsidenten,

Alexander Wucic.

Man sagt eigentlich, ihm gehört der Nordkossovo,

weil das einer der einflussreichsten Männer dort ist.

Und der scheint an diesem Anschlag beteiligt gewesen zu sein.

Also wenn er ein Bekannter ist von Wucic,

würde das auch beweisen, dass Serbien irgendwie seine Finger mit dem Spiel hat.

Es legt das zumindest sehr nahe.

Und wie gesagt, Herr Radoycic ist der Vizeschef der wichtigsten Partei der Serben in Kosovo,

die die Unabhängigkeit Kosovo nicht akzeptieren wollen,

die sehr enge Kontakte zu Belgrad pflegen.

Und all das spricht dafür, oder er lässt es sehr unwahrscheinlich erscheinen,

dass Belgrad nicht informiert war über diesen Angriff.

Wir sind gleich zurück.

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Also es ist ein Mann, der vom Anschluss Serbians eigentlich träumt

und der ist jetzt nach Belgrad gefüchtert.

Und wie geht es jetzt weiter?

Ja, dann kommt es zu einem Auftritt von Radoycic's Anwalt in Belgrad.

Und der ließ dann eine Stellungnahme vor,

in der sagte Anwalt im Namen seines Mandanten,

dass Herr Radoycic an diesem Angriff beteiligt wurde,

ihn sogar geplant und ausgeführt hatte.

Aber dass er das in Eigenregie getan habe

und die serbische Regierung oder Vertreter des serbischen Staates

in keiner Weise informiert oder daran beteiligt gewesen sein.

Was hast du da gedacht, dass du das gehört hast?

Ist das glaube ich?

Nein, ich hielt das für unwahrscheinlich

und ich glaube, so ging es den meisten.

Es ist klar, was das bewirken soll.

Also Radoycic soll als Einzeltäter dastehen,

dass Belgrad die Finger nicht im Spiel hat dabei,

aber der serbische Präsident Alexander Wucic hat sehr große Macht

und eigentlich seine Regierung kontrolliert weite Teile dessen,

was im Land geschieht.

Und dass eine so professionelle Angriff mit so moderner Ausrüstung

geplant und ausgeführt werden kann,

ohne dass die Regierung das mitbekommt,

ist eigentlich sehr unwahrscheinlich.

Und dann kommt schon die nächste Entwicklung am selben Abend noch,

kommt diese Meldung der USA, die wir am Anfang gehört haben,

dass es große Truppenkonzentrationen an der Grenze zu Kosovo gibt

auf der serbischen Seite

und die USA sprich von einem prezidenzlosen Aufmarsch der serbischen Armee.

Das gab es schon bei früheren Krisen zwischen Serbien und Kosovo,

dass die Serben ihre Truppenpräsenz verstärkt haben,

aber diesmal fand das in besonders großem Ausmaß erstattet

und mit schwerem Gerät, Luftabwehr, Artillerie,

also relativ große Drohkulisse wurde da aufgebaut.

Das ist irgendwie unlogisch,

wenn die sagen auf der einen Seite, wir haben damit nichts zu tun,

dann schicken sie den gleichen Abend Truppen,

die Serben schicken Truppen an die Grenze,

als Machtdemonstration.

Ja, tatsächlich wirkt das nicht ganz koärent,

die Serben haben das auch immer geleugnet.

Ich glaube, das war einfach eine Machtdemonstration.

Es war aber auch ein signal, ein innenpolitisches Signal,

also die Forderung gegen Kosovo kompromisslos aufzutreten,

ist in großen Teilen der serbischen Bevölkerung ziemlich populär,

vor allen Dingen in den nationalistischeren Kreisen,

die auch zu den Anhängern des Präsidenten gehören.

Aber es ist vielleicht auch so ein typisches Spiel,

dass der Präsident Alexander Wucic schon oft gespielt hat.

Dann lässt eine Situation eskalieren, um sie dann zu lösen.

Also man schafft ein Problem,

und dann tritt man als konstruktiver Problemlöser auf,

um dann zu sagen, guck, ohne mich geht's nicht,

ich bin hier die Kraft, die das alles unter Kontrolle hält.

Und vielleicht spielt ja auch das eine Rolle.

Aber dieses Säbelrassen, diese Drohkulisse,

das ist schon auch ein gefährliches Spiel, irgendwie.

Auf jeden Fall.

Kosovo wurde das auch absolut so wahrgenommen,

also die Regierung hat ja sehr heftig reagiert.

Zum Beispiel hier hört man wie die Präsidentin des Landes,

Jossos Manig im britischen Fernsehen sagt,

dass Serbien Kriegsvorbereitung unternehmen.

Auch später noch wird die Regierung sagen,

es gäbe Hinweise, dass Serbien nach diesem Überfall

habe einmarschieren wollen,

um den Nordkosovo zu besetzen.

Also in der Darstellung der Regierung Kosovo

sieht das so aus, dass halbe Serbien sich hier

auf einen bewaffneten Konflikt vorbereitet.

Also auch Beobachter waren zum Teil sehr beunruhigt,

und auch die diplomatischen Kreise waren sehr beunruhigt.

Das merkt man ja auch an dieser doch außergewöhnlich

scharfen Reaktion der USA.

Und ich glaube, dass dies dann auch gewirkt hat.

Als man weiß, das amerikanische Außenminister

hat mit Belgar telefoniert mit dem Präsidenten.

Und am Samstagabend gab es dann die erste Bestätigung,

dass ein Teil der Truppen wieder abgezogen worden sei.

Also ein Stück weit Entwarnung.

Ja, es ist nicht mehr so prekär, wie es zuerst aussah,

aber das Problem ist ungelöst

und auch die Drohkulisse bleibt bestehen.

Nur schon am nächsten Morgen wieder keilt

der serbische Präsident Alexander Wucic

ein Instagram-Video aus seinem, ich glaube,

seiner Küche, in seinem Privathaus.

Und da sitzt er und wendet sich direkt an die serbische Bevölkerung

und sagt, ich zeige euch in den nächsten 24 Stunden die Weise,

was alles vorgefallen ist im Banskar.

Also bei diesem Überfall war das?

Bei diesem Überfall genau, der das alles ausgelöst hat.

Und stellt es wieder dar, dass eigentlich Serbien ist das große Opfer

und alle haben sich gegen Serben verschworen.

Ja, das ist eigentlich das Narrativ,

dass Wucic immer wieder bemüht, wenn er unter Druck gerät.

Und hat Wucic denn die versprochenen Beweise geliefert 24 Stunden später?

Ja, Wucic legt da, dass einer der drei getöteten Angreifer

offenbar aus nächster Nähe erschossen wurde,

als er schon reglos am Boden lag.

Das müsste wahrscheinlich eine unabhängige Untersuchung klären,

aber wichtiger ist, warum er eben so große Bedeutung beinmisst,

weil Wucic schon lange sagt, dass die serbische Minderheit in Kosovo

unter der Regierung von Kurti, also dem fossovarischen Regierungschef,

leide, dass sie terrorisiert werde.

Und dass halt alles, was jetzt geschehen sei,

eigentlich eine Art Akt der Selbstverteidigung war.

Er sagt, ich heiße es nicht gut, dass ein Polizist erschossen wurde,

aber man muss doch verstehen, diese Leuten geht so furchtbar schlecht.

Und einer hat jetzt halt zu den Waffen gegriffen,

weil er es nicht mal ausgehalten habe.

Das ist das offizielle Narrativ aus Belgrad.

Okay, das ist Propaganda auch oder politische Propaganda,

aber hat das eine Funkenwahrheit irgendwo drin?

Also Kosovo ist eigentlich ein Staat,

der sehr weitreichende Minderheitenrechte hat

und gerade für die serbischen Minderheiten.

Jetzt gibt es bei der Umsetzung bestimmt teilweise auch Probleme.

Ich glaube, das Wichtigere ist aber,

dass sich die Fronten verhärtet haben in letzter Zeit,

weil Kurti und die Regierung in Pristina mit starken

oder mit viel stärkerem Nachdruck darauf trinkt,

dass endlich die Unabhängigkeit Kosovo anerkannt wird von Serbien

und man weniger bereit ist, zu Kompromissen.

Und zum Beispiel gibt es so eine Vereinbarung,

dass man eine Art Teilautonomie gewähren müsse,

den Serben in Kosovo.

Und Kurti sagt, das mache ich erst,

wenn ihr uns anerkennt als eigenständigen Staat.

Und in dieser Gemengelage verherrten sich die Fronten

und kocht sich das hoch und daher kommt dieses Narrativ.

Aber dass die Serben in Kosovo terrorisiert werden,

nein, das ist nicht der Fall.

Okay, Volker, was bedeutet das denn jetzt für den Kosovo,

diese Eskalationsspirale, die wir da gesehen haben,

in den letzten Tagen?

Es zeigt, dass der Konflikt ungelöst ist,

dass er gefährlich bleibt

und dass die Vermittlungsbemühungen der EU gescheitert sind.

Man muss wissen, die EU hält seit Jahren,

organisiert man Verhandlungen zwischen Pristina und Belgrad

und damit kommt man nicht weiter.

Und ich glaube, das hat diese Episode gezeigt.

Volker, also dieser Vorfall im Nordkosovo, den du beschrieben hast,

mit diesem Kosovo Serbischen Extremisten,

könnte das denn allenfalls sogar zum Funken werden,

der das Ganze fast zum Explodieren bringt?

Ich halte das weiterhin für eher unwahrscheinlich.

Also, wenn Serben versuchen sollte, sich Kosovo mit Gewalt zurückzuholen,

würde das bedeuten, dass Serben in Konflikt mit der NATO treten wird.

Es gibt 5.000 NATO-Soldaten in Kosovo.

Und ich glaube nicht, dass das ein Risiko ist,

dass der Präsident eingehen würde.

Wucic will auch weiterhin sein Land eigentlich in die EU führen.

Ich sage aber nicht, dass das harmlos war, was geschehen ist.

Die Situation ist sehr unberechenbar.

Sie zeigt, wie schnell die Ereignisse eskalieren können,

wie schnell sich etwas instrumentalisieren lässt.

Aber solange Serbien Kosovo nicht anerkennt,

solange diese beiden Nachbarn nicht ein normales Verhältnis

zueinander haben, wie es zwischen zwei Nachbarstaaten üblich ist,

kann es jederzeit wieder zu solchen Episoden kommen

und wird es einfach unruh bleiben in der Regierung.

Liebe Volker, vielen Dank.

Sehr gerne.

Das war unser Akzent.

Die Produzentin dieser Folge ist Alice Groschon.

Ich bin Marlene Öler. Bis bald.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo erreichte am Wochenende eine neue Eskalationsstufe. So angespannt sei die Situation in der Region seit Jahren nicht mehr gewesen, sagt Korrespondent Volker Pabst im Podcast «NZZ Akzent».

Heutiger Gast: Volker Pabst: Südosteuropa-Korrespondent

Host: Marlen Oehler

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/kosovo-serbische-armee-kommt-aus-drei-richtungen-ld.1758696

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