NZZ Akzent: Warum prügeln sich die Eritreer hier?

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/20/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird präsentiert vom Zürich Filmfestival.

NCC Dachzent.

Tobias, was ist da los?

Wir sind in einem Park, in einem Vorort von Zürich,

Opfikon, heißt der Ort.

Es ist der 2. September, ein schöner Abend,

Samstagabend auch.

Und dann sehen wir im Park hunderte Männer, die sich versammeln.

Und diese Männer stammen aus Eritrea.

Und auf einmal taucht auf der anderen Seite des Parks

eine andere Gruppe auf.

Und auch die stammen aus Eritrea.

Und sobald die sich da gegenüberstehen,

gehen die auch schon aufeinander los.

Und das ist dann auch ziemlich brutal anzuschauen.

Die haben Schlöcke dabei, die haben Fahnenstangen dabei,

die prüben sich mit Fäusten.

Und die Leute sind geschockt.

Also Anwohner filmen das, Leute rennen davon.

Und das Ganze dauert auch eine Ewigkeit,

bis dann auch die Polizei irgendwann auftaucht

und diese beiden Gruppen voneinander trennt.

Also ziemlich heftig.

Ziemlich heftig, ja.

Also du sagst, beide Gruppen sind Männer, die aus Eritrea stammen.

Weißt man denn mehr?

Wer hat gegen wen gekämpft?

Genau, also gekämpft haben auf der einen Seite

die Anhänger des Regimes in Eritrea.

Und auf der anderen Seite sind das die Oppositionellen.

Also die, die eben dieses Regime nicht unterstützen

und dagegen ankämpfen.

Was man sagen muss, ist schon,

es ist natürlich eine politische Auseinandersetzung.

Aber das Ganze geht auch viel weiter.

Es geht um Geld, es geht um Erpressung, es geht um ein System.

Muss man sagen, dass man fürs Aufgebaut ist.

Und aufgebaut hat dieses System,

dass die Eritrea so gegeneinander aufbringt,

der Machthaber von Eritrea.

Zürich Redaktor Tobias Martier erklärt die Hintergründe.

Ich bin David Vogel.

Also das sind wirklich heftige Szenen, die du da beschrieben hast.

Was ist da genau los?

Kannst du mir erklären, warum gehen die so heftig aufeinander los?

Da muss man vielleicht zuerst mal nach Eritrea selber schauen,

um das zu verstehen.

Eritrea ist ja ein Land am Horn von Afrika.

Und das ist ein Land, wo ein Mann herrscht.

Das ist der Isayas Verwerke.

Und der ist vor 30 Jahren an die Macht gekommen.

Und das war früher ein Freiheitskämpfer.

Okay.

Weil Eritrea hat sich von Äthiopien losgelöst.

Das war ein schlimmer Krieg.

Da hat auch ziemlich lange gedauert, 30 Jahre.

Okay.

Und damals sind viele Leute vor diesem Krieg

auch in die Schweiz geflüchtet.

Jetzt ist es aber so, wie so oft oder in der Geschichte

ist dann der Freiheitskämpfer,

wurde der dann irgendwann auch zum Bösewicht, muss man sagen.

Also der ist mittlerweile eben ein Diktator,

der herrscht über ein Parteiensystem.

Da gibt es keine wirklichen Wahlen.

Es ist ein Militärstaat, also alles wirklich sehr militärisch aufgebaut.

Und ganz wichtig, da gibt es diesen Militärdienst.

Und den muss man absolvieren, egal ob Mann oder Frau.

Und es ist auch nicht so klar, wie lange es da dauert.

Da kann Jahre dauern, aber auch Jahrzehnte.

Und vor diesem System flüchten die Menschen

eben seit ungefähr den 2000er Jahren.

Also die flüchten jetzt von diesem Verwerke.

Und die Leute, die jetzt zu uns kommen,

die stehen gegen ihn ein.

Und bei uns leben aber Menschen, die eigentlich Anhänger sind.

Von ihm, die, die damals in den 70er, 80er nach Europa gekommen sind.

Bei uns leben die, genau.

Und das ist ja das Problem, dass wir wirklich die alte Garde haben.

Die sind mittlerweile auch eingebürgert viele.

Und dann eben die Flüchtlinge, die auch laufen natürlich immer wieder,

neu hinzukommen.

Aber warum kommt es dann gleich zu einer gewaltvollen Auseinandersetzung?

Im Exil.

Das Problem ist natürlich, dass der Diktator hat einen sehr langen Arm.

Da gibt es eigentlich kein Entkommen.

Also es wurscht, ob ich jetzt in der Schweiz bin

oder in Italien oder sogar in Nordamerika.

Das Regime hat immer noch Zugriff.

Weißt du, wie, wie, wie, wie zeigt sich das?

Das zeigt sich am deutlichsten daran,

dass Eritrea nur 2% Steuer verlangt.

Und jetzt reden wir nicht von den Leuten da,

sondern eben den Eritreeren im Ausland.

Was zahlen Steuern in Eritrea?

Die zahlen Steuern für das Regime, aber die leben in der Schweiz.

Die Leute müssen diese Steuer zahlen,

weil das alles so gesteuert ist.

Das ist ein System aufgebaut eigentlich von der Botschaft in Genf,

hier in der Schweiz.

Und dann laufen die Fäden zusammen.

Aber die Leute sind ja geflüchtet.

Wie kommen dann zum Beispiel die Flüchtlinge von heute

mit der Botschaft von Eritrea in Kontakt?

Das ist leider so, dass wenn du geflüchtet bist,

dann bist du in einem Asylverfahren drin.

Und dann ist es ein Teil von diesem Verfahren,

dass ich auch sagen muss, wer ich bin.

Das ist eigentlich recht schladlich ganz klar.

Und um diese Identität zu überprüfen,

dann dazu muss ich zu meinem alten Heimatlang gehen.

Und das ist die Botschaft da von Eritrea.

Und sobald ich da ein Fuß reinsetze,

habe ich eigentlich gar keine große Wahl mehr.

Ich bin den dann ausgesetzt, weil ab da macht das Regime Druck.

Also du musst zuerst mal unterschreiben, dass du geflüchtet bist

und du hast dich vor diesem Dienst gedrückt

und du bist eigentlich ganz ein Böser und so.

Und dann aber musst du sagen, wer auch deine Familie ist,

also wie du heisst, alles, weil so machen sie Druck

und musst dann ab diesem Zeitpunkt natürlich diese Steuer auch zahlen.

Und wie kommt die von der Schweiz nach Eritrea?

Das ist ein ziemlich kompliziertes Gefläch

und das läuft über Dubai.

Weil in Dubai wird das dann verwischt, das Ganze.

Das geht dann zu Händlern, das sind Eritreische Händler,

Regimtreue natürlich.

Und die kaufen dann mit dem Geld verschiedene Waren,

die sie dann auch wieder exportieren.

Nach Eritrea.

Nach Eritrea, genau.

Und aus dem Geld dann, das fließt dann zum Regime.

Das ist eigentlich Geldwäsche.

Man muss aber sagen, dass das ganze Wirtschaftssystem

das Landes auf dem basiert.

Weil es gibt nur eine kleine offene Wirtschaft,

wo hauptsächlich Landwirtschaft betrieben wird,

die nicht so viel abwirft, weil das Land es isoliert.

Und dann gibt es eben diese Schattenwirtschaft

und die UNO sagt, dass auf dem Weg

landen hunderte von Millionen von Dollar in Eritrea.

Also das Regime braucht diese der Wiesen.

Okay.

Wie viele Eritrea leben eigentlich im Ausland?

Weißt du mal das?

Das Land hat ungefähr um die vier Millionen Einwohner.

Und man sagt so, ein Viertel lebt im Ausland.

Das wären dann um eine Million Eritrea.

Okay. Und jeder von denen muss zahlen.

Zwei Prozent des Einkommens.

Auf das Einkommen, genau.

Und sonst?

Ja, sonst gibt es Probleme.

Nämlich, weil die Leute Verwandtschaft haben in Eritrea.

Also jeder hat ein Bruder oder Eltern,

die zum Beispiel dann nicht mehr Zugang haben

zu Gesundheitsversorgung.

Oder mein Vater braucht einen neuen Führerschein.

Den kriegt er dann nicht.

Oder der Bruder wird vielleicht ein bisschen näher

an den Frontverlauf verschoben oder ein bisschen härterer Dienst.

Oder wird überhaupt erst zum Militärdienst eingezogen.

Also das gibt dann wirklich viele Druckversuche

über die Verwandtschaft.

Okay, eine Art Sippenhaft.

Genau.

Und das ist ja eigentlich die Crux an der ganzen Sache.

Nämlich Leute, die nach Europa flüchten,

die machen das ja auch,

um die der Heimgebliebenen zu unterstützen.

Genau. Und das ist eigentlich das Perfidiam-System,

dass es noch weitergeht.

Diese Unterstützung wird natürlich auch noch mal besteuert.

Aha. Inwiefern?

In der Schweiz, aber auch im Ausland gibt es ja verschiedene Shops auch.

Von Eritrean.

Das ist eine Community, vergleichbar mit anderen.

Und die bieten Spezialitäten an das Land.

Das ist natürlich wirklich für die eigenen Leute.

Ich hab mir auch so ein Laden mal angeschaut hier in Zürich.

Wenn man den Laden betritt, dann duftet es schon ein bisschen anders.

Ein bisschen würziger.

Es gibt ganz viele exotische Gegenstände zu kaufen.

Also von der Perücke bis zu Leder-Sandalen.

Es gibt ganz Regale mit Herzenmehl.

Das ist natürlich so ein Grundnahrungsmittel.

Und es gibt eine Fleischstärke,

wo dann Halallammestücke verkauft werden.

Also alles ganz spannend und auch sehr nett.

Die Leute sind ja sehr hilfsbereit

und wollen auch ein bisschen erzählen, wenn man da im Laden ist.

Aber du sagst, hier spürt man auch das Regime?

Das ist das Verrückte, genau.

Wenn man dann hinter die Kulissen schaut von diesen Läden,

dann merkt man, dass die natürlich auch ein Teil sind

von diesem ganzen Regime und dem ganzen Geldtransfer.

Man muss sich das so vorstellen.

Es gibt einen Retrait an die Western Union,

und ich kann jetzt der Krankenhoma Geld schicken.

Das läuft über diese Läden.

Was hat das mit dem Regime zu tun?

Das Regime kontrolliert die Geldflüsse, auch im Laden.

Und all diese Kanäle werden vom Regimenträum Personen betrieben.

Das ist auch in Zürich jetzt so.

Der Shopbetreiber ist natürlich ein überzeugter Anhänger des Diktators.

Das sieht man auch, wenn man hinter die Kulissen schaut.

Ich hab das gesehen, dass der dann in sozialen Medien

das Zeug natürlich wieder postet und so.

Der hält das nicht versteckt. Das ist dann ganz offensichtlich.

Kannst du mir konkret erklären,

wie genau spürt jetzt ein Flüchtling,

der vor der Militärdienst geflüchtet ist, lebt in Zürich,

kommt in diesen Shop, möchte die Familie unterstützen mit Geld?

Wie genau merkt er diesen langen Arm des Regimes?

Der merkt das schon nur, wenn er mit 300 Franken in den Shop geht

und er will den Betrag der kranken Mutter schicken,

dann bekommt die davon 100 Franken.

Ein Drittel?

Das ist der Kurs, den das Regime angeht.

Hoher Zins. Okay.

Das ist nahenlos.

Zwei Drittel geht ans Regime.

Zwei Drittel geht ans Regime.

Man muss sich das vorstellen, ich bin geflüchtet von dem Regime.

Aber ich habe keine Chance,

wenn die Mutter nicht verhungern soll oder der Bruder in den Krieg.

Ich muss das so bezahlen.

Und ich werde dann natürlich nahenlos, werde ich da abgezockt.

Woher weißt du das eigentlich? Gibt es offizielle Tarife?

Ich habe selber nichts einbezahlt, muss man sagen.

Ich weiß das von Oppositionellen, die mir das geschildert haben.

Und diese Oppositionellen haben mir auch erzählt,

dass es noch einen dritten Weg gibt, wie das Regime Druck macht,

nicht nur die Läden, sondern auch Kulturfestivals.

Und diese Kulturfestivals gibt es überall in Europa.

Das ist wirklich ein großes Ding.

Und hier zum Beispiel hören wir jetzt eine Aufnahme

eines Kulturfestivals im Wallis, in der Schweiz, von letztem Jahr.

Du hörst Musik, du siehst Leute, die tanzen, essen.

Das ist eine richtig schöne Feier.

Da gehen Eritrea hin, auch solche, die sich als neutral definieren.

Aber der Punkt ist natürlich,

das Festival ist nicht nur im Festival,

da steckt noch mehr dahinter.

Das ist organisiert von der Botschaft

oder mitorganisiert von der Botschaft und vom Regime.

Und das ist eigentlich ein Ort, wo Geld gesammelt wird

und wo Propaganda gemacht wird für das Regime.

Aber okay, da kann man ja, hast du ja selber gesagt,

da gehen auch Leute hin, die sich ja neutral definieren.

Aber man kann auch nicht hingehen.

Man kann auch nicht hingehen.

Der Punkt ist einfach der, dass natürlich sehr wohl registriert wird,

wer ist da und wer fehlt.

Weil es ist auch eine Art Loyalitätscheck, ganz einfach.

Die wollen wissen, bist du loyal, erscheinst du,

im besten Fall bezahlst du da auch noch mal was extra

für die Märtyra. Es wird immer gesammelt für die Märtyra.

Darum ist das ja auch teilweise so militärisch.

Man sieht, jetzt hier auch im Wallis Leute mit Uniform,

auf der Bühne mit so Kalaschnikoff gewähren.

Wahrscheinlich nicht echte, aber das ist alles sehr martialisch.

Und da wird gesammelt, und da wird geschaut, wer da ist.

Natürlich, das ist auch eine Feier.

Und die Leute aus der Diaspora wollen sich ja auch austauschen.

Da werden wahrscheinlich auch Rezepte ausgetauscht.

Und Dorftradsch.

Und da ist eben noch ein doppelter Boden da.

Wir sind gleich zurück.

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Cause Life is Better with Movies.

Man flüchtet aus Eritrea, hat aber sofort mit einer Botschaft zu tun,

die einem erpressen kann.

Man hat Mühe, die Familie zu unterstützen,

weil die Geldflüsse kontrollieren.

Und sozial und kulturell nimmt der Druck auch nicht ab

an diesen Festivals.

Der Druck ist überall da.

Genau, dieser Druck ist brutal.

Man merkt das auch jetzt mit der Opposition,

dass die genug haben.

Die sind zu allem bereit, sag ich mal.

Und das ist denen auch gelungen.

Also jetzt an dem Wochenende, als in Zürich das passiert ist,

war auch in der Ostschweiz, im Kanton Bern und in Neumburg

auch was geplanten Festivals.

Man musste abgesagt werden, eben genau wegen diesem Druck.

Und man merkt jetzt auch, das Ventil ist jetzt auf.

Die Woche vor Zürich war in Gießen, in Deutschland,

ist die Lage eskaliert.

Am Wochenende, als Zürich passierte, war es in Norwegen

und Israel ging es zur Sache.

Und das merkt man schon.

Wie gehen denn die Behörden damit um?

Ja, also so Geld eintreiben für eine fremde Steuer,

das geht ja eigentlich nicht.

Und die Behörden hier haben das schon auch auf dem Radar.

Wir wissen das schon lange.

Das Problem ist, dass die sich die Zähne daran ausbeißen.

Es gibt Ermittlungen zu diesem System.

Aber man muss eben beweisen,

dass eben dieses ganze Geld nicht freiwillig gespendet wurde,

sondern dass das unter Zwang passiert ist.

Und da ist das Problem, ich brauche jemand, der redet.

Zeugen. Genau.

Bis jetzt hat sich niemand öffentlich dazu gemeldet.

Also bei den Behörden gemeldet, muss man sagen.

Und entsprechend gibt es auch...

Hier gibt es keine Anklage.

Es gab Ermittlungen, aber die wurden dann am Ende fallen gelassen.

Wie bei der Mafia.

Ich brauche jemand, der eben ein Zeug ist.

Und vielleicht redet ja bald auch jemand.

Das ist sehr gut möglich, dass eben der Druck jetzt so groß ist,

dass jemand bereit ist, auszusagen.

Aber solange das nicht der Fall ist,

ist der lange Arm des Diktators auf Verwerke.

Dann reicht er bis in die Schweiz.

Liebe Tobias, vielen Dank.

Ja, tschüss.

Das war unser Akzent.

Produzent dieser Folge ist Simone Schaffer.

Ich bin David Vogel, bis bald.

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Bereits in der Vergangenheit kam es zwischen Eritreern zu Gewalttaten. Aber die jüngsten Krawalle in Zürich, Tel Aviv und Stuttgart sind grösser und sichtbarer als sonst. Was ist los?

Heutiger Gast: Tobias Marti, Zürich-Redaktor

Host: David Vogel

Produzent: Simon Schaffer

Weitere Informationen zum Thema https://www.nzz.ch/zuerich/eritrea-der-arm-von-diktator-afewerki-reicht-bis-nach-zuerich-ld.1755158

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