NZZ Akzent: Warum Europa ein Heroin-Engpass droht

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/12/23 - Episode Page - 14m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird Ihnen präsentiert von Sustainableswitseln.ch.

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NCZ-Akzent

Ulrich, wer spricht denn da gerade?

Wir hören hier den Taliban-Sprecher Sabiola Mujahid.

Er spricht bei einer Pressekonferenz am 3. April 2022 in Kabul

und verließ eine religiöses Dekret des obersten Führers der Taliban, Haibatullah Achundzada,

indem er ein komplettes Verbot des Anbaus von Opium und des Handels mit Drogen verkündet.

Damals hätte niemand gedacht, dass die Taliban tatsächlich ernst machen mit diesem Verbot.

Denn zu gut lief bis jetzt das Drogengeschäft in Afghanistan.

Das meiste Heroin und Crystal Meth stammt von dort und ist damit eine wichtige Einnahmequelle für die Taliban,

sagt Auslandredaktor Ulrich Schwerin. Ich bin Sebastian Panholzer.

Ulrich, was heißt das denn, das Drogengeschäft ist eine wichtige Einnahmequelle für die Taliban?

Also man schätzt, dass die Taliban 2020 bis zu 460 Millionen Dollar aus dem Drogengeschäft eingenommen haben.

Das sind Zahlen des UNO-Sicherheitsrats.

Und insgesamt nimmt man an, dass der Opiumanbau in Afghanistan 9 bis 14 Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmacht.

Also es ist eine ganz wichtige Deviesenquelle für die Taliban.

In den letzten Jahren eine der einzigen Deviesenquellen neben den Zolleinnahmen.

Und deshalb war man eben auch so skeptisch, als sie dieses Verbot verkündet haben,

ob sie da tatsächlich ernst machen und sich damit letztlich eine ihre wichtigsten Einnahmequelle berauben.

Sieben Monate später allerdings zeigte sich, okay, sie meine es schon ernst.

Und heute sieht man deutlich, sie setzen dieses Verbot tatsächlich um.

Und wie zeigt sich das, dass sie das Verbot umsetzen?

Als sie wohnen, erkennst du das?

Zuallererst hat man das gesehen, das war es schon im vergangenen Sommer.

Damals wurde das aber noch nicht so richtig ernst genommen,

dass die Taliban gegen die Produktion und den Handel von Crystal Mess vorgehen.

Da muss man wissen, Crystal Mess ist neben Opium und Heroin der zweite wichtigste Droge in Afghanistan, die hergestellt wird.

Also bei Crystal Mess handelt sich um eine synthetische Droge,

die in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen hat

und wo bis zu 1000 Tonnen pro Jahr in Afghanistan produziert werden.

Also nicht nur Heroin, also ich habe immer so bis jetzt in Verbindung gebracht,

Afghanistan, Heroin, die Monblumenfelder sozusagen.

Genau, das war auch jahrelang so.

Afghanistan ist schon seit Jahren einer der wichtigsten Opium- und Heroinproduzenten der Welt.

Aber seit 2018 hatte sich auch zu einem ganz wichtigen Produzenten von Crystal Mess entwickelt.

Davor war die Produktion vor allem in Iran.

Aber die Iraner sind dann stärker gegen die Labore vorgegangen,

dann hat sich nach Afghanistan verlagert.

Und dann kam hinzu, dass in Afghanistan man einen neuen Grundstoff entdeckt hat,

der billiger ist als die pharmazeutischen Vorläuferprodukte, die sonst verwendet werden.

Und das ist eine Pflanzen namens Ephedra.

Das ist ein Strauch, der in den hohen Bergen in Afghanistan wächst, über 2500 Meter.

Und aus den Zweigen dieses Strauches kann man Ephedrien gewinnen.

Und Ephedrien wiederum ist einer der Grundstoffe von Crystal Mess.

Und wenn du sagst, es wird dagegen vorgegangen.

Also woher weiß man das nun, dass es vorbei ist mit Crystal Math?

Also eine ganz wichtige Quelle dafür waren Satellitenbilder einer britischen Firma namens Alkis.

Die zeigen, dass einer der wichtigsten Umschlagplätze, ein Basarnamens Abdel-Vadoud im Westen des Landes, heute praktisch verweist ist.

Und da kann man recht eindrücklich auf den Satellitenbildern sehen.

2021 war er extrem belebt.

Da waren zum einen Haufen von Ephedra zu sehen.

Und viele Autos, also viele Käufer.

Und wenn man sich das heute wiederum anschaut, ist nichts mehr los.

Weder die Haufen sind noch da, noch die Käufer sind da.

Und die umliegenden Labore sind offenbar auch zerstört worden.

Es gibt kein Crystal Math jetzt mehr aus Afghanistan, das ist vorbei.

Nein, also man muss davon ausgehen, der Produktion und der Handel sind extrem zurückgegangen.

Und bei Heroin? Also für das Afghanistan ja eigentlich so bekannt ist, sag ich mal.

Ja absolut, Afghanistan ist über Jahre einer der größten Opium-Produzenten der Welt.

Und hat regelmäßig pro Jahr mehr als 6000 Tonnen Opium produziert,

aus dem umgerechnet 350 bis 580 Tonnen Heroin wiederum gewonnen werden können.

Und das entspricht etwa 80% des Heroins weltweit.

Und haben die Taliban auch hier das Verbot durchgesetzt?

Sie haben eben dieses Verbot im April verkündet, da lief gerade die Ernte des Opiums.

Und viele sahen sich dann erstmal in der Skepsis bestätigt,

weil eben die Taliban die Ernte erstmal haben gewähren lassen,

die Bauern haben die Früchte einbringen lassen.

Aber sie sind dann in zwei Phasen vorgegangen.

Sie haben den Kleinbau und eben gesagt oder signalisiert,

dieses Jahr lassen wir euch noch machen, ihr habt das angebaut, ihr habt der Geld investiert.

Das war 22, war das so?

Das war 22 im Frühjahr während der Ernteseaison.

Haben sie eben darauf verzichtet gegen die schon angebauten Mondfelder vorzugehen,

weil das vermutlich großen Widerstand provoziert hätte.

Sie haben auch gesagt, das nächste Mal machen wir ernst, wir lassen das nicht ein weiteres Jahr zu.

Und bei der Saatsaison, die dann im November begonnen hat, im Herbst 2022,

wurde den Bauern dann eben klar gemacht, dieses Jahr gibt es keine weitere Aussaat von Mon.

Du hast ja auch ein Video mitgebracht, wo man sieht, wie irregros die Taliban vorgehen.

Sie schlagen mit Stöcken, die Mondpflanzen, einfach die vernichten einfach die Felder damit.

Genau, das hat man jetzt im Frühjahr gesehen, als es dann wieder Ernteseaison war.

Da sind sie ganz rigoros und konsequent tatsächlich gegen die Bauern vorgegangen,

die trotz des Verbots angebaut haben.

Und da haben sie mit Stöcken oder auch mit Traktoren dann die Felder zerstört

und verhindert, dass dieses Jahr die Ernte eingebracht werden können.

Du hast vorhin eben erzählt, es gibt Satellitenbilder bei Crystal Math.

Gibt es denn auch hier Satellitenbilder, die das noch mal belegen?

Ja, auch hier hat man wirklich sehr eindrückliche Satellitenbilder,

auch von dieser britischen Firma Al-Kis, die auf die Auswertung solcher Open Source-Quellen spezialisiert ist

und wo man sehen kann, dass der Opiumanbau in den Provinzen im Süden Afganistans,

wo der ganz große Teil von Mon im Tradition herangebaut wird, radikal zurückgegangen ist.

Sie sprechen von dem Rückgang um bis zu 99 Prozent in der Provinz Helmand

und man sieht, statt Mon wird oder ist dieses Jahr ganz überwiegend Weizen angebaut worden.

Ja, es ist ein großer Wandel.

Wir sind gleich zurück.

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Also das heißt jetzt, es gibt keine Drogen mehr made aus Afghanistan.

Also im Moment sieht es wirklich so aus, als wenn der Mon anbaut

und damit auch die Opiumproduktion und der Gewinn von Heroin aus Afghanistan

dieses Jahr massiv zurückgeht.

Die große Frage ist allerdings, ob die Taliban das auch ein zweites Jahr durchhalten werden.

Sie haben es im vergangenen Jahr und in diesem Jahr durchsetzen können.

Allerdings gab es großen Unmut unter den Bauern, weil für die meisten Bauern

und gerade eben für die kleinen Bauern gibt es eigentlich keinen wirklichen Ersatz für Mon.

Es gibt nichts, was auch nur annähernd so viel Geld bringt.

Und auch unter den Taliban, die sind ja auch in die Produktion und den Handel von Opium verwickelt,

sind nicht alle glücklich über dieses Verbot, weil sie damit eben auch Einnahmen verlieren.

Und du hast ja vorhin gesagt, aus Afghanistan kommen 80 Prozent der gesamten Heroin-Menge weltweit.

Also wenn es jetzt ein Jahr mal keine Ernte gegeben hat, hat es dann überhaupt irgendwelche Folgen für die Welt sozusagen?

Also das Anbauverbot wirkt sich nicht direkt auf den Drogenmarkt in Europa aus,

weil man davon ausgeht, dass es ein bis eineinhalb Jahre braucht, bis das produzierte Heroin aus Afghanistan nach Europa kommt.

Das heißt, da ist im Moment noch viel Drogen im Umlauf.

Aber man kann davon ausgehen, dass wenn dieses Verbot länger durchgesetzt wird

und wenn die produzierte Opium und dann Heroin-Menge deutlich sinkt,

dann wird das drastische Auswirkungen auf den Drogenmarkt in Europa haben.

Welche?

Also wir gehen davon aus, dass es eine Million Heroinabhängige in Europa gibt.

Davon ist die Hälfte in Behandlung.

Und wenn in Zukunft den der Stoff ausgeht, dann kann das wirklich weitreichende Folgen haben.

Aber warum? Also eigentlich ist es doch eine positive Sache, dass weniger Heroin hier in Europa im Umlauf ist oder sehe ich das falsch?

Ja, das würde man auf jeden Fall so meinen.

Aber ganz so einfach ist es nicht, denn die Drogen abhängen können nicht von einem Tag auf den anderen auf ihren Stoff verzichten.

Und die Gefahr ist groß, dass sie dann auf Alternativen umsteigen.

Und teilweise sind diese Alternativen sehr viel gefährlicher als Heroin.

Dabei insbesondere, denke ich, da an eine synthetische Opioide und wie Fentanil,

was in Amerika derzeit wirklich Verheerung auswirkt.

Es ist 50-mal stärker als Heroin.

Und schon 2 Milligramm kann tödlich sein.

Das ist eine kleine Prise Salz.

Und Experten befürchten nun eben, dass, wenn das Heroin ausgeht, dass die Süchtigen vermehrt auf Fentanil umsteigen.

Deshalb gibt es schon jetzt Aufrufe an den europäischen Staaten, sich auf Lieferengpässe einzustellen

und mehr Entzugsprogramme und Hilfsangebote für die Heroinsüchtigen bereitzustellen.

Aber wenn du sagst, also es ist ein lukratives Geschäft der Drogenhandel für die Taliban

und die Nachfrage ist ja auch irgendwo da.

Es wird jetzt sogar in Europa dann eben vor Lieferengpässen gewandt.

Also warum machen die Taliban das dann überhaupt?

Also warum setzen sie ihr Verbot durch?

Ja, das ist die ganz große Frage und eben ein Paradox.

Sie haben selber sehr von dem Drogenhandel profitiert

und trotzdem verbieten sie es jetzt und bringen sich damit eben auch um eine wichtige Einnahmequelle.

Man muss letztlich davon ausgehen, dass es tatsächlich ideologisch und religiös motiviert ist,

dieses Verbot von ihrem Emir Achonzada.

Und zugleich stellt sich die Frage, wie es langfristig weitergeht.

Und viele Experten glauben, dass die Taliban eigentlich keinen langfristigen Plan haben,

wie sie dieses Drogenverbot auf Dauer durchsetzen können.

Anfang Juni haben die Taliban dann gefordert, dass der Westen seine Entwicklungshilfe erhöht,

quasi als Belohnung dafür, dass sie den Drogenanbau unterbunden haben.

Es ist aber keineswegs absehbar, dass der Westen den Taliban tatsächlich zu Hilfe kommen wird

und sie dafür belohnt.

Und so bleibt es dabei, dass es eigentlich keine wirkliche Alternative gibt für den Monanbau.

Der Weizen ist in keiner Weise ähnlich lokalitiv für die Kleinbauern

und so ist es, sie sind die eigentlichen Leidtragenden dieses Verbots

und letztlich erhöht es einfach nur die wirtschaftliche Misere in Afghanistan.

Liebe Ulrich, vielen Dank für dein Besuch im Studio.

Ja, vielen Dank, sehr gerne.

Das war unser Akzent. Produzent dieser Folge ist David Vogel.

Ich bin Sebastian Panholzer. Bis bald.

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Die Taliban machen Ernst und gehen rigoros gegen den Mohnanbau vor. Das habe vor allem für die Kleinbauern Konsequenzen, wirke sich aber auch auf den Drogenmarkt in Europa aus, erzählt Ulrich Schwerin im Podcast.

Heutiger Gast: Ulrich Schwerin, Auslandsredaktor

Host: Sebastian Panholzer

Produzent: David Vogel

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-taliban-machen-ernst-mit-verbot-des-mohnanbaus-ld.1742957

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