NZZ Akzent: Von der Trans-Ikone zur «Verräterin»

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 8/29/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

Anzitzet-Aktzent.

Da hat aber jemand eine klare Meinung. Wer spricht denn da?

Ja, das ist Caitlyn Jenner und sie ist die wahrscheinlich bekannteste Transfrau der Welt.

Caitlyn Jenner irgendwie klingelt ein bisschen bei mir. Ich verbinde irgendwas mit den Kardashians?

Ja, da legst du nicht ganz falsch. Also Caitlyn Jenner, die hieß früher Bruce.

Und wurde zumindest der jüngeren Generation bekannt als Stiefvater von Kim Kardashian und Khloe Kardashian, wie sie alle heißen.

Okay. Und um was geht es da jetzt genau? Also über was spricht sie da jetzt?

Ja, wir hören ein Interview mit einem konservativen Sender Fox News.

Und Jenner bezieht darin Stellung gegen Transfrauen im Profisport für Frauen.

Sie sagt, dass Transfrauen da nichts zu suchen haben gegen biologische Frauen, wie sie es nennt.

Und damit gilt sie in Teilen der Trans-Community als Verräterin.

Caitlyn Jenner wurde durch ihren offenen Umgang mit ihrer Identität als Frau zur Gallionsfigur für Transmenschen.

Bis sie sich gegen Transfrauen im Sport zu äußern beginnt, erzählt Esti Baumann Rüdiger.

Ich bin Sebastian Panholzer. Esti, sag mal, das ist schon ein bisschen ungewöhnlich,

oder wenn eine Transfrau so gegen ihre eigene Community schießt?

Ja, absolut. Aber um das zu verstehen, muss man ein bisschen ihren Hintergrund anschauen.

Weil Caitlyn, die hieß früher, wie gesagt, Bruce Jenner.

Und Bruce war nicht irgendein Mann, sondern er war der Inbegriff purer Männlichkeit, kann man sagen.

Also er wurde auch im Time Magazine als The World's Greatest Athlete bezeichnet.

Und das, weil er bei Olympia 1976 in Montreal Gold gewonnen hat im Zehnkampf.

Und Zehnkampf, das galt zu jener Zeit und auch heute teilweise noch zu der Männlichkeitsdisziplin schlechthin.

Warum das?

Tatsächlich, weil Frauen gar nicht zugelassen sind zum Zehnkampf bei Olympia.

Weil der Zehnkampf ist so eine Kombination aus verschiedenen Leichtathletischdisziplinen.

Und der bringt bereits die Männer so sehr an die Grenzen, dass Frauen lediglich sieben Kampf machen, also sieben Disziplinen.

Okay, aber Bruce Jenner hat eben da Gold gewonnen, 76 bei Olympia, sagst du.

Genau, ja. Und was damals keiner ahnte, war, dass das eigentlich alles nur eine Maske war, diese Figur von Bruce, dem Übermann.

Und in einer Doku erzählt sie später einen Schlüsselmoment.

Und sie erzählt, dass sie nach Olympia nach ihrem Sieg aufgestanden sei,

im Hotelzimmer und nackt vor dem Spiegelstand und sich die Medaille angezogen habe und sich gefragt habe, was zur Hölle hast du gerade getan?

Und sie das Gefühl beschlecht, dass sie nun wahrscheinlich Bruce so groß gemacht habe,

dass sie vielleicht nun bis ans Lebensende mit diesem Charakter, mit dieser Figur stecken bleibt.

Also, dass sie quasi gefangen ist.

Genau, aber sie entscheidet sich weiter als Bruce zu leben.

Und Bruce heiratet zweimal, bekommt vier Kinder und Bruce lässt sich auch gut vermarkten.

Also, er wird auch ein Werbegesicht für Müsli beispielsweise und vermarktet sich halt so ein bisschen als Machoman.

Innerlich sah es aber ein bisschen anders aus.

Also, er hatte Depressionen.

Er beginnt dann in den späten 80ern erstmals mit einer Transition.

Er lässt sich den Bart wegmachen, die Nase operieren, nimmt erstmals auch Hormone.

Und dann lernt er aber eine gewisse Chris Kardashian kennen und bricht diese Transition ab,

entscheidet sich weiterhin, als Mann zu leben und gründet mit ihr so eine ganz große Patchwork-Familie.

Genau, das ist dann die, die wir wohl aus der Reality Show kennen.

Genau, sie vermarkten sich dann wirklich so als Reality-Familie.

Oh, das muss sich ändern.

Millionen von Menschen schauen die Kardashians.

Also, es war wirklich eine Serie über 15 Jahre, 20 Staffeln.

Und war weit über Amerika hinaus erfolgreich.

Und Bruce begleitet darin so ein bisschen die Nebenrolle als biederen All-American-Dat, kann man sagen.

Bis es dann 2015 zum großen Bruch kommt und seine Frau und er trennen sich,

die Öffentlichkeit weiß nicht ganz genau, was davor sich geht.

Und hinter den Kulissen hat sich Bruce aber entschlossen, seine Figur von Bruce zu töten.

Tönt jetzt recht radikal, das heißt?

Ja, diesmal zieht Bruce durch, was er in den 80ern Jahren angefangen hat.

Also, er vollzieht seine Transition zu einer Frau.

Und dann ist der Paukenschlag im Sommer von 2015 als Caitlyn auf dem Cover der Vanity Fair erscheint.

Eine mittelalterliche, gut gesteilte, wunderschöne Frau.

Und dieses Cover ging dann um die Welt und ist quasi das Outing,

dass Bruce nicht mehr existiert und nun offiziell Caitlyn da ist.

Caitlyn wird sehr gefeiert. Die Männlichkeit, die vorher Bruce so sehr angehaftet hat,

ist quasi verschwunden und umso mehr wird sie nun in der LGBTQ-Szene als mögliche Ikone für ihre Community gefeiert.

Wird sie dann auch zur Ikone?

Anfangs schönes zu funktionieren und dann verstummten aber diese Jubelschreie bald,

weil Jenna ist eine Hardcore-Republikanerin.

Also, sie teilt eigentlich dieses Gedankengut der LGBTQ-Szene gar nicht so sehr.

Im Gegenteil, sie sagt einmal, dass ihr Outing als Republikanerin schwieriger war als ihr Outing als Transperson.

Und dann ab 2021 beginnt Caitlyn sich gegen Transfrauen im Sport zu äußern

und sie sagt, sie möchte den Frauen-Sport schützen.

Warum denn? Also, vor was will sie denn schützen?

Jenna hält es für extrem unfair, wenn Frauen, die zuvor eine männliche Pubertät erlebt haben,

gegen biologische Frauen, so nennt sie es, antreten.

Weil Frauen, die zuvor Männer waren bis nach der Pubertät, die haben längere Arme, längere Beine,

eine größere Muskelmasse und auch Studien zeigen, dass keine Therapie eine männliche Pubertät rückgängig machen kann.

Also, man kann zwar das Testosteron unterdrücken und man kann die Größe der Muskeln ein bisschen reduzieren,

aber man schafft es eben nicht ganz, diese männliche Masse auf die weibliche Masse zu reduzieren.

Also, der Unterschied zwischen Männern und Frauen liegt bei ungefähr 40 Prozent.

Mit dem Einsatz von Hormonen kann man es bis auf ungefähr 12 Prozent reduzieren.

Also, es bleibt einfach ein Leistungsvorteil letztendlich.

Der bleibt bestehen, ja.

Und das merkt Caitlyn Jenner auch selber?

Genau, ja, sie bringt in einem Interview auch das Beispiel vom Golfspielen.

Sie ist noch immer eine passionierte Golfspielerin.

Sie sagt beispielsweise auch heute, 10 Jahre mit Hormontherapie, schlägt sie den Golfspalt immer noch 300 Jahre zu weit,

was so die Spitzenmarke unter Golfern ist.

Also, sie sagt, sie würde nie antreten gegen andere Frauen, einfach aus Respekt und Würde,

und zwar sich selbst, aber auch anderen Frauen gegenüber.

Ich bin ein biologischer Mann, okay?

Das ist meine DNA, aber ich lebe meine Leben als Frau.

Und damit ägt sie natürlich auch an bei der Community,

und die Community reagiert entsprechend empfindlich darauf.

Okay, und du sagst, sie will eben den Frauensport schützen?

Wie macht sie das?

Ja, sie spricht vor allem in Fernsehen sehr, sehr häufig darüber, macht aufmerksam,

sensibilisierte Leute dafür, für diese Ungerechtigkeit, wie sie es nennt,

tritt auch in Podcasts auf, und ja, es ist wirklich ein gern gesehener Gast beim konservativen Sender Fox News.

Aber größeres Aufsehen erregt sie dann erst, als der Fall Lea Thomas Schlagzeilen macht.

Und was ging es da?

Es ging dabei um eine Schwimmerin, um eine Transfrau,

und sie hat bei den College-Meisterschaften 2022 im Schwimmen beim 500-Jahrs-Freistil gewonnen.

Und es gab bis dato kein vergleichbarer Fall in der Leichtathletik mit Transsportlern,

aber es entzündet sich daran ein politischer Streit über die Teilnahme von Transfrauen im Spitzensport.

Gibt es denn da bisher Regeln?

Bis zu diesem Zeitpunkt gibt es keine Regeln.

Okay.

Und Caitlyn Jenner nutzt jetzt eben diesen Fall, sagst du, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.

Genau, ja, hier auf Fox News spricht sie beispielsweise davon, dass es wirklich sehr unfair ist,

dass sie da sitzen kann und sich quasi gut fühlen kann, all diese Frauen geschlagen zu haben,

die ihr körperlich einfach deutlich unterlegen waren.

Sie spricht mit Politikern über ihr Anliegen.

Öffentlich will aber kein konservativer Politiker sich mit ihr quasi verbünden.

Und im April dieses Jahres lanciert sie die Fairness First Initiative,

in der es eben darum geht, den Frauensport zu schützen vor Transpersonen.

Sie macht damit aber vor allem publicity, also das ist wirklich auch weder so eine PR-Sache von ihr.

Okay. Hat sie denn Erfolg mit ihrem Anliegen, also mit ihrem Kampf?

Ja, das kann man eigentlich so sagen, also der Internationale Schwimmverband,

der hat Transgender-Teilnehmerinnen den Staat untersagt, wenn sie eine männliche Pubertät durchlaufen haben.

Dazu muss man aber auch sagen, dass jetzt der Welt-Schimmverband auch noch ein Pilotprojekt gestartet hat.

Und zwar hat er eine offene Kategorie geschaffen, nur für Trans-Menschen.

Okay.

Das soll schon im Herbst am Weltcup in Berlin getestet werden.

Aber auch andere Sportverbände haben reagiert, beispielsweise der Weltleichtathletikverband,

der hat auch Verschärfungen beschlossen.

Und auch dort gilt, dass Transfrauen nur dann antreten dürfen,

wenn sie keine Pubertät als Junge erlebt haben.

Ob jetzt diese Beschlüsse alle wirklich Caitlyn's Engagement zuzuschreiben sind,

das darf bezweifelt werden, aber zumindest hat sie es geschafft, auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.

Aber ich kann mir vorstellen, dass dadurch eben Caitlyn Jenner in der LGBTQ oder Trans-Community

nicht wahnsinnig gut ankommt.

Also du hast ja auch ganz anfangs gesagt, sie gilt als Verräterin.

Genau, ja, sie erntet wirklich teilweise enorme Anfeindungen.

Sie erhält auch Morddrohungen.

Aber das hält sie nicht davon ab, sich weiter zu äußern.

Sie ist auch zunehmend politisch.

Hier hören wir sie beispielsweise auf Sky News Australia.

Und sie schießt auch immer wieder gegen beiden Politik.

Sie unterstützt offen Trump. Sie nennt sich auch Freundin von Trump.

Und sie will auch gegen die angebliche Ideologie in Schulen ankämpfen.

Also sie möchte verhindern, dass Transitionen zu früh unternommen werden,

dass Kinder indoktriniert werden, wie sie es nennt.

Und sie bezeichnet auch die LGBTQ-Community als Radical Rainbow Mafia.

Das ist ein sehr wichtiges Thema.

Ich sage das eigentlich nur eine kleine Minderheit,

die sich halt so krass äußert.

Und der größere Teil habe durchaus Verständnis für ihre Position.

Und damit wird sie natürlich immer mehr zur Feindin für die LGBTQ-Community.

Und sie ist dadurch ja auch irgendwie so ein bisschen,

dass sie nicht nur eine kleine Minderheit,

sondern auch eine kleine Minderheit,

die sich halt so krass äußert.

Und sie ist dadurch ja auch irgendwie so ein bisschen Glücksfall

für die Republikaner oder also für die Konservativen,

wenn sie so einen Standpunkt vertritt.

Ja, durchaus, aber bei dieser natürlich auch zurückhaltend sind sie zu öffentlich zu bejubeln,

weil sie eben trotzdem noch eine Transfrau ist,

die nicht ganz so dem konservativen Bild entspricht.

Sie spricht auch sehr offen über ihre Genderdysphorie,

also eben ihr Transsein,

und dass sie im falschen Körper geboren wurde.

Und damit stößt sie natürlich auch an Grenzen bei den konservativen Verständnissen.

Das passt halt nicht zu den Republikanern im Endeffekt.

Genau, es ist eigentlich da auch so ein bisschen zwischen den Parteien,

weil zu den Konservativen passt sie auch nicht ganz.

Nun kämpft Caitlyn Jenner eben dafür,

dass Transfrauen nicht im Frauensport, im Profisport teilnehmen dürfen.

Esti, wie siehst du das?

Also verändert sich da jetzt vielleicht irgendwie das Klima im Profisport?

Zumindest macht das im Moment den Anschein,

dass sich da die Richtungen ein bisschen ändert.

Also bisher galt der Profisport als sehr offen gegenüber Transmenschen.

Inklusion wurde großgeschrieben,

und jetzt plötzlich scheint ein Tabu gebrochen zu sein.

Gab jetzt diverse Entscheidende vom Verbänden,

und es deutet so ein bisschen darauf hin,

dass man eben nicht mehr nur in konservativen Kreisen darüber diskutieren darf,

sondern dass es wirklich eine offene Diskussion ist,

ob es wirklich fair ist, Transpersonen gegen Frauen antreten zu lassen.

Und Caitlyn Jenner, was macht die nun?

Sie kämpft weiter, sie ist inzwischen eine fixe Kommentatorin bei Fox News,

aber sie taugt halt nicht ganz für die Konservativen als Botschafterin,

aber sie taugt auch nicht als Transikone.

Man kann ein bisschen sagen,

früher passt ihr eigentlich hier inneres nicht so wirklich zu ihrem Körper,

und inzwischen passt ihr Körper vielleicht nicht mehr so ganz zu ihrem Inneren.

Eszie, vielen lieben Dank für dein Besuch im Studium.

Danke auch.

Das war unser Akzent.

Prozent dieser Folge war Simon Schaffer.

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Jetzt unter nz.ch slash akzentabo. Bis bald.

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Caitlyn Jenner gewann unter dem Namen Bruce eine olympische Goldmedaille im Zehnkampf. Später wurde sie zum Reality-Star, dann zur Ikone für Transmenschen. Jetzt gilt sie als in der Community als Verräterin.

Heutiger Gast: Esthy Baumann-Rüdiger

Host: Sebastian Panholzer

Produzent: Simon Schaffer

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/gesellschaft/caitlyn-jenner-war-als-bruce-the-worlds-greatest-athlete-heute-kaempft-sie-gegen-transgender-im-frauensport-ld.1749172

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