Verbrechen: „Vom Durchschnittsbürger zum Kindermörder“

ZEIT ONLINE ZEIT ONLINE 4/18/23 - Episode Page - 45m - PDF Transcript

Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts

Zeit Verbrechen und da wir immer wieder auch davon hören, dass es Menschen gibt, die uns

jetzt erst entdecken, möchte ich Ihnen eine ganz besondere Frau vorstellen, die mir

gegenüber sitzt, die heißt Sabine Rückert, ist stellvertretende Chefredakteurin der

Zeit und hat lange, lange Jahre damit verbracht, in Gerichtssälen zu sitzen, Prozesse zu verfolgen.

Und große Kriminalgeschichten aufzuspüren und aufzuarbeiten.

Genau das.

Menschen vor dem Gefängnis zu retten oder wieder rauszuholen, Unschuldige zu verteidigen

und Schuldige ins Gefängnis zu bekommen.

Und mir gegenüber sitzt Andrea Sendker, Chef unseres Wissenschaftsressorts, der hier immer

wieder dringend gebraucht wird bei diversen Folgen, wenn es um Wissenschaft geht.

Heute tut es das nicht.

Aber bevor wir anfangen, möchte ich noch das neue Heft vorstellen.

Das gestattest du mir, ja?

Natürlich.

Es liegt auf deinem Schoß.

Ich sehe es.

Und fang mal an zu blättern.

Ja, heute erscheint das neue Verbrechensmagazin.

Dass ja alle zwei Monate herauskommt.

Und dieses Mal geht es in der Titelgeschichte um die Angehörigen, ein Heft über jene,

die zurückbleiben.

Und ich muss sagen, das ist wieder ein ganz starker Auftritt unserer Kolleginnen und Kollegen,

was sie alles zusammengetragen haben und wen die alles erreicht haben und wen die alles

zum Sprechen gebracht haben.

Das ist wirklich ganz eindrucksvoll.

Viele haben sich auch hier über den Podcast gemeldet.

Ja, erst einmal.

Die hier auftauchen.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist die Geschichte von Eva Suthold, der Redakteurin

im Kriminalmagazin.

Ich muss sehen, wohin mit meiner Wut eine desolate Familiengeschichte, da trifft eine

junge Frau ihre Großmutter.

Und sie reden über den Vater, der in der forensischen Psychiatrie gestorben ist, weil

er straffällig geworden ist.

Und psychisch krank und straffällig.

Und durch das Gespräch dieser beiden Frauen, das von Eva Suthold begleitet wird, also es

ist nicht nur ein Gespräch, es ist nicht nur ein Wortwechsel, sondern auch die Eindrücke

der Autorin fließen mit ein, kommt heraus, dass es eine transgenerationales Trauma, also

es ist eine Katastrophe, Familienkatastrophe, die sich über viele Generationen zieht.

Und diese Großmutter hat an der Krankheit und an der Deviation, also diesen Fehlgeleitetsein

des Sohns einen erheblichen Anteil.

Und das wiederum wirft ihr die Enkelin vor.

Also es ist ein unglaublich intensives Gespräch, wo man es einem wirklich die Schuhe auszieht.

Eine kriminalistische Familienaufstellung.

Ja, genau.

Und das Gleiche ist auch der Fall in dem Stück, das verlorene Kind, ein Trauma vererbt sich

in einer Familie über Generationen hinweg.

Er wird ein Kind getötet und Generationen später sucht die Autorin Chantal Rau diese

Familie auf und findet immer noch die Trümmer jener schrecklichen Bluttat vor.

Und dann sehe ich im Inhaltsverzeichnis ein sehr starkes und sehr bekanntes Filmbild.

Ja, von Georg Cselen ist der Text.

Ja, ein großartiger Filmkritiker, ein großer Kenner des Kinos.

Ja, das stimmt.

Und er hat geschrieben über die Ängste, die Filme bei uns auslösen, über berühmte Schrei-

und Horrorszenen, die dem Betrachter im Gedächtnis geblieben sind.

Und was ich auch empfehlen möchte, ist ein ganz tolles Interview mit dem Bestseller

Autor John Grisham, das hat Daniel Müller geführt, der war bei ihm und hat ihn besucht.

Ich glaube, er hat jetzt sein 40.

Roman veröffentlicht oder so, also jedenfalls ein unglaublicher Vielschreiber und er erzählt,

woher er kommt, wie er auf seine Ideen kommt und warum er niemals aufhören wird zu schreiben.

Und ganz am Schluss will ich noch ein weiteres Stück von Eva Suthold empfehlen über den

Millionärssohn und Serienmörder Peter Hüßel.

Das ist ein historischer Fall, der aber noch gar nicht so lange zurückliegt.

Der Hüßel ist erst vor kurzem gestorben, saß aber dann bis zum Lebensende im Gefängnis

und er hatte ein ganz schreckliches Hobby.

Na, das will ich jetzt aber nicht verraten, jedenfalls schrecklicher sind Hobbys nicht

denkbar.

Jetzt aber, Sabine, musst du uns unseren Gast vorstellen, der, das kann ich jetzt schon

sagen, für die empfindlicheren Gemüter unter unseren Zuhörern einen ziemlich grausamen

Fall mitbringt, eine Familiengeschichte.

Ja, eine grausame Familiengeschichte, aber ich meine, so ungewöhnlich hier für unseren

Podcast ist das nicht.

Wir haben hier viele schlimme Geschichten und viele sehr ernste Geschichten.

Das ist eine davon.

Bei uns ist Anita Blasberg.

Anita, hallo.

Hallo, Sabine.

Hallo, Andreas.

Schön bei euch zusammen.

Sie war noch nicht bei uns.

Sie ist zum ersten Mal da und als diese Geschichte recherchiert und aufgeschrieben wurde von Anita,

waren wir beide in einem Ressort, nämlich im Dossier.

Das ist schon einige Jahre her, die Geschichte ist 2012 erschienen und ich war damals Ressortleiterin

im Ressort Dossier und du warst dort Redakteurin.

Und eines Tages habe ich eine Geschichte erfahren oder von einem Prozess erfahren, der sich mit

einer Tat beschäftigt oder hatte sich mit einer Tat auseinandersetzt, die in Kreiling

begangen worden ist und da ich Kreiling sehr gut kenne, ich komme ja aus München und

auch Kreiling ist mir wohl bekannt, da habe ich natürlich sofort mich dafür interessiert

und eine Reporterin gesucht, die sich dieses Falles annimmt und Anita hatte Zeit und war

auch willens, diese Sache nachzugehen, obwohl es eben wie gesagt eine sehr bittere Geschichte

ist, wo man gute Nerven braucht als Reporterin.

Absolut, ich habe auch ein bisschen geschluckt als der Fall auf meinem Schreibtisch landete

und ich mich einlas und habe das auch so manches Mal verflucht, als ich die Stunden in München

vor dem Landgericht im Gerichtssaal verbrachte und diese grauenhaften Schilderungen angehört

habe, aber ich habe auch viel dabei gelernt.

Ja, ich habe auch viel dabei gelernt, als ich deinen Text gelesen habe, vor allem das,

was man zwar immer wieder erfährt als Kriminalreporte, aber was hier wirklich mit Händen zu greifen

ist, wie dünn die Linie ist zwischen einem ganz normalen, bürgerlichen Leben und dem

Leben eines Mörders und das alles in uns schlummert und nur auf die Gelegenheit wartet, geweckt

zu werden.

Schilder uns doch mal den Mann, der da sitzt in Saal 101 des Münchner Landgerichts, da

sitzt Thomas S. 51, Bostboote, das wäre so die knappeste Zusammenfassung.

Ja, Thomas S. hat uns alle, die wir da im Gerichtssaal saßen, die Journalisten, aber

auch den Richter selbst eigentlich mit seinem Auftreten verstört, er saß da, wog sich,

läß sich hin und her, lachte zwischendurch, winkte manchmal ab, so als ob er ein schlecht

gefiffenes Fußballspiel verfolgt und hat keinerlei Gefühlsregung gezeigt und das mit

anzusehen war schon relativ verstörend.

Aber ansonsten war er ein absoluter jedermann, man hat eben keine seelische Abartigkeit diagnostizieren

können.

Aber zum Tatzeitpunkt Nüchtern, er hatte keine klinische Störung, er hatte ein relativ

normales Persönlichkeitsprofil und das war das erschreckende.

Der psychiatrische Sachverständige hat mir gesagt, dass in seinem Fall drei Merkmale

gereicht haben, um einen völlig normalen Mann, der unauffällig lebte, zu mörder werden

zu lassen und das war bei ihm Gefühlskelte, Rücksichtslosigkeit und Egozentrik.

Der Mann ist Familienvater, hat vier Kinder.

Sechs.

Er hat vier zu diesem Zeitpunkt mit seiner aktuellen Frau.

Er hatte aber eine Ehe davor schon gehabt.

Richtig.

Sechs Kinder.

Und er hat einen Sohn aus seiner zweiten Ehe, genauso genannt wie einen Sohn aus seiner

ersten Ehe.

Weil er den Sohn aus der ersten Ehe nicht mehr sehen durfte, oder?

Nein, er hatte, da glaube ich, keine Interesse mehr dran.

Ich glaube, das ist einfach auch so ein Symptom seiner Gefühllosigkeit oder Empathielosigkeit,

die er auch nach der Tat zeigte, wo er völlig normal seinem Familienleben weiterfrönte,

eine Tochter zum Ballett brachte, seinen Sohn zum Logopäden, gute Nachtgeschichten,

Vorlass und niemand merkte ihm irgendetwas an.

Vielleicht hat er auch vergessen, wie der erste Sohn hieß.

23.

3.

2011, Kreiling bei München, du hast es schon gesagt, wir müssen jetzt aber erstmal

zu Thomas Essen nach Hause, das ist im oberbayerischen Peißenberg, zum kleinen Ort mit 13.000

Einwohnern.

Ja.

Und ein ganz normaler Abend, oder?

Ja.

In der Alpenidyll, da stehen die Kühe auf den Weiden und die Familie von Thomas Essen

lebt in einem großen Haus mit Doppelgarage in einer Neubausiedlung, also ein völlig

normales, bürgerliches Umfeld.

Aprikofen haben gestrichen, verputzt, zwei Stockwerke, je 100 Quadratmeter, also schon

ordentlich groß.

Und der Garten war noch nicht ganz fertig, oder?

Ja, war noch Trümmerfeld, aber die Familie war ein Jahr vorher eingezogen und hatte sich

auch etwas übernommen mit diesem doch sehr großen Haus für einen Postboten, der das

alles finanziell nicht so richtig stemmen konnte.

Aber dazu kommen wir vielleicht später.

Ganz sicher sogar.

An diesem Abend bringt Thomas Essen erstmal seine Kinder ins Bett, also die aus der zweiten

Ehe, die Vier, mit denen das Paar jetzt zusammenlebt, seine Frau Ursula, geht relativ früh ins

Bett, glaube ich, oder?

Sie klagte, glaube ich, über Kopfschmerzen, wollte noch ein bisschen fernsehen und ging

zeitlich zu Betten.

Was sie gar nicht merkt, ist, später wird das so rekonstruiert, gegen Mitternacht muss

Thomas Essen das Haus verlassen haben.

So hat es die Staatsanwaltschaft rekonstruiert und er ist dann mit dem Wagen nach Kreiling

gefahren in den Münchner Vorort, in dem die Familie seiner Schwägerin lebte und ...

So 50 Kilometer, oder?

Genau.

Und er wusste, dass dort in der Wohnung seiner Schwägerin die beiden Kinder von ihr Charon

und Chiara, acht und elf Jahre alt, dass die dort in ihren Betten schlafen und dass

die Tür unabgeschlossen ist und seine Schwägerin, die Mutter der beiden Kinder, die war in einer

nahegelegenen Kneipe, wo sie arbeitete, die wurde von ihrem Lebensgefährten geführt,

die Kneipe und er wusste, dass die Kinder dort alleine und unbeaufsichtigt sind.

Die Mutter hat die Tür immer offen gelassen, falls mal was ist, falls es brennt, damit

die Kinder raus können und er ist dann dort in die Wohnung eingedrungen.

Also dazu muss ich vielleicht als Kennerin des Ortes Kreiling was sagen.

Das ist jetzt nichts, wo man sagt, ja, was ist das für eine Verantwortung, Schlosigkeit.

Kreiling ist ein bis heute bäuerlich geprägter Ort.

Also es ist jetzt nicht, es ist zwar im Speckgürtel von München, aber es ist noch sehr bayerisch

und es gibt viele Biergärten.

Man kennt sich.

Man kennt sich.

Also meine Schwiegereltern lebten dort und zwar direkt um die Ecke vom Tatort, deswegen

kenne ich Kreiling ziemlich gut und ehrlich gestanden, da lässt jeder seine Haustür

offen stehen.

Also das ist jetzt keine große Geschichte, denn da passiert auch irgendwie nix.

Also wenn man da mal eine Katze überfährt, ist schon die Hölle los.

Die Haustür war auch zum Hof und die Kneipe, in der die Mutter arbeitete, waren nur wenige

Meter entfernt.

Das waren ein paar Häuser weiter und dort gingen vor allen Dingen alte Schulfreunde von ihr

ein und aus.

Also das war eine sehr überschaubare Nachbarschaft.

Das war ein regelmäßiger und doch besonderer Abend in dieser Kneipe im Schabernack, denn

es wurde der Music History Award verliehen.

Was ist das?

Da liefen Rock-Klassiker, die dort anwesenden Leute an den ersten Tönen erraten mussten.

Also man bildete so Teams und trat gegen andern an, oder?

Genau, genau.

Zum Kneipenspiel halt.

Die Stimmung war gut und da waren eben wie gesagt viele Leute, die sich aus der Schule

noch kannten.

Die Mutter, die dort arbeitete, hat sich irgendwann dazu gesetzt an den Tisch und es war offenbar

ein sehr netter Abend, der sich sehr lange hinzog.

Das war ein Mittwochabend, der sich in den Donnerstag hineinzog, als sie mit ihrem Lebensgewährten

Heimwärtski.

Da war es schon etwa halb fünf, als die Mutter zusammen mit ihrem Lebensgefährten sich auf

den Weg nach Hause macht und was sie dann in der Wohnung im ersten Stock erblickt, das

ja war ein Bild des Grauens, ihre beiden Kinder waren blutüberströmt.

Ich weiß nicht, wie explizit ich hier werden soll.

Die beiden Mädchen waren auf jeden Fall tot, er drosselt und erstochen und erschlagen und

vor Gericht wird es später heißen.

Der Täter hatte beide Mädchen übertötet, das heißt, sie waren längst leblos, als er

noch weiter Gewalt angewendet hat.

Er hat auch die Tatwerkzeuge vor Ort vorgefunden, das war eine Handel, mit denen er auf sie

eingeschlagen hat.

Das war ein Küchenmesser, mit dem er auf sie eingestochen hat.

Das Seil hat er mitgebracht.

Das Seil zum Erdrosseln hatte er dabei und warum bringt man zwei kleine Kinder um?

Das ist jetzt die Frage.

Das hat sich natürlich auch die Polizei gefragt.

Um 4.45 Uhr an diesem Morgen geht der Notruf ein und erreicht eine Polizeistreife, die

dann rasch vor Ort ist und jetzt beginnen die Ermittlungen.

Die beiden jungen Polizisten, die da am Tatort eintrafen, die haben zwei völlig aufgelöste

Menschen vorgefunden, die Mutter, die schrie in ihrer Verzweiflung der Lebensgefährte,

der auch neben sich stand und alle Wiederbelebungsmaßnahmen waren zum Scheitern verurteilt und die

Ermittlungen, die dann einsetzten, waren gigantisch.

Man hat zunächst erstmal alle Personen, die irgendwie eine Zugangsberechtigung zu dieser

Wohnung haben, um eine Speichelprobe gebeten und hat DNA-Proben genommen.

Dann hat man eine groß angelegte Suchaktion gestartet rund um das Haus.

Es fehlt allerdings tatsächlich noch die Frage nach dem Motiv, weil es war ja nichts geklaut

worden.

Relativ schnell allerdings nach einer Woche ist man dann dem Onkel der Kinder auf die Spur

gekommen, der, wie sich später herausstellte, in der Wohnung auf seine Schwergerin gewartet

hatte.

Wie ist man denn auf ihn gekommen?

Man ist durch die DNA-Probe auf ihn gekommen, weil er am Tatort unfassbar viele Spuren

hinterlassen hat.

Er hat geblutet, eines der Kinder hat ihn offenbar im Kampf verletzt und er hat aber zusätzlich

auch noch Fingerabdrücke auf Fensterrämen und Türklinken hinterlassen.

Und auch auf den Leichen, ne?

Ja.

Und auch an diesem Seil hat man DNA gefunden.

Es gibt die Sokomageräte, die von der Polizei gegründet wird.

Wegen der Margerätenstraße, in der Stadt gefunden hat.

31 Menschen gehören dieser Sonderkommission an.

825 Spuren werden aufgenommen, 200 Gegenstände eingesammelt, 91 Speichelproben genommen und

154 Spuren stimmen mit der DNA von Thomas S.

Überein, also überall in der Wohnung hat er Spuren hinterlassen.

Wie kann man sich das erklären?

Ist er da aus und eingegangen in dieser Wohnung?

War der häufig Gast?

Nein, er war nicht häufig da.

Er war nur zwei Wochen zuvor einmal da, um eine Kleiderstange abzuholen.

Aber an sich hatten die beiden Schwestern und auch er und seine Schwergerin eigentlich

kaum mehr Kontakt.

Das Verhältnis war äußerst schwierig.

Und er war einfach sehr unvorsichtig.

Er hat offenbar keine Handschuhe getragen.

Er hat einfach mit einem herumliegenden Küchentuch die Spuren notdürftig beseitigt und so war

das wirklich sehr einfach, auf ihn zu kommen.

Eigenartig, nicht?

Er war jemand, der so furchtbare Sachen vorhat.

Wir kommen ja gleich drauf, was er noch vorhatte, aber zwei kleine Kinder umbringt, mit einem

Vorsatz da reingeht, da ein Blutbad anzurichten.

Warum der keine Handschuhe anzieht?

Also, das hat sich zudem noch nicht rumgesprochen, dass es eine DNA-Analyse gibt, oder?

Er war ein Mensch, so wird es der Sachverständige, der psychiatrische, später vor Gerichtsschildern,

der die Dinge nicht wirklich durchdacht hat.

Er war zwar überdurchschnittlich intelligent.

Er hat allerdings ja eine gewisse Unfähigkeit, Dinge wirklich zu Ende zu denken.

Er war sehr sprunghaft und zusätzlich extrem optimistisch und glaubte immer, die Dinge

laufen irgendwie zu seinen Gunsten.

Und er glaubte vielleicht auch, er hat noch mehr Zeit.

Er hatte eigentlich vorgehabt, so wird es die Staatsanwaltschaft später rekonstruieren,

auch noch die Mutter seiner beiden Nichten umzubringen.

Er hat in der dunklen Wohnung, nachdem er die beiden Kinder umgebracht hatte, auf seine

Schwägerin gewartet, dass sie nach Hause kommt.

Normalerweise kam sie früher nach Hause und er hat dort gewartet und gewartet und hatte

eigentlich vor, so rekonstruierte man später, dass die Schwägerin umzubringen und es wie

einen erweiterten Suizid aussehen zu lassen.

Also, er hatte schon Wasser eingelassen in die Badewanne, einen Föhn daneben gelegt.

Dazu kam es dann aber nicht, weil er ...

Weil sie eben in der Kneipe geblieben ist und da noch Rockmusik gehört hat.

Weil sie nicht kam und er als Postbote um halb sechs Uhr morgens in Felderfingen an

seinem Arbeitsort sein musste und das als Alibi brauchte.

Aber da bricht ein Mörder seine Bluttat ab, weil er seinen Dienst als Postbote antreten muss?

Ja, das ist ... Wahnsinn, bei Bluttaten ist an der Tagesordnung.

Ich hab viele solche Sachen erlebt, wo man sich denkt, es darf doch nicht wahr sein.

Also, na ja, was will er machen?

Warum er hier alle beseitigen will, da kommen wir ja jetzt gleich drauf.

Aber er hat eben gedacht, er geht rein und hat da nach fünf Minuten sein blutiges Handwerk

da erledigt und kann wieder abhauen und so war es eben nicht.

Erstens haben die Kinder deutlich mehr Schwierigkeiten gemacht, als er dachte.

Das war ja ein langer Kampf mit den Kindern und zweitens kam die Mutter nicht nach Hause

und drittens, klar mal auf, wäre sie mit dem Lebensgefährten nach Hause gekommen.

Daran hat er überhaupt nicht gedacht.

Das wäre noch mal ganz anders ausgegangen.

Wir müssen, glaube ich, noch einmal für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer

die Familienverhältnisse sortieren.

Also Thomas S. 51 Postbote ist verheiratet und Ursula ist.

Das ist die ältere von zwei Schwester.

Zur Tatzeit ist die 44 Jahre alt.

Ihre jüngere Schwester Annette ist 41, nicht verheiratet,

hat aber diesen Lebensgefährten, der das Schabernack führt

und ist quasi alleinerziehende Mutter zweier Töchter.

Was war das für ein Elternhaus, dem die beiden Schwestern entsprungen sind?

Darum geht es ja letztlich auch.

Ja, das war ein gut bürgerliches Elternhaus.

Die Familie besaßt die Generationen, Ländereien, Aktien und ein recht großes Vermögen.

Der Patriarch der Familie war ein hochdekorierter Bundeswehrgeneral.

Der Vater dieser beiden Schwestern, Annette und Ursula, war ein erfolgreicher Ingenieur.

Die Familie hatte immer schon das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.

Das hat dann auch am Ende zu dem Bruch mit der älteren Schwester Ursula geführt,

die irgendwie ihre Mutter enttäuscht hat.

Sie war immer das Sorgenkind der Familie,

hat Schwierigkeiten gemacht in der Schule, sie war kränklich.

Während die jüngere Schwester Annette, also die Mutter der beiden Kinder,

so ein Sonnenschein war, eine gute Schülerin, Abitur gemacht hat.

Und einfach auch ein sehr, sehr fröhliches Kind war.

Dann hat Ursula eine Lehrer als Erzieherin gemacht.

Und als sie dann diesen Postboten Thomas S. heiratete, hörte sie auch ganz auf zu arbeiten,

bekam vier Kinder und das war der Familie ein Dorn im Auge.

Man sah diesen Thomas S. als Schmarotzer und hat auch kein Hehl daraus gemacht,

was man von ihm hielt und das er nicht standesgemäß war.

Und das hat dann die Schwestern und auch die Familie entzweit.

Sie sind ein bisschen wie Märchen, Pechemarie und Goldmari.

Das sind ja diese Märchenmotive, die immer wieder kommen.

Und die ja letztlich auch einer tiefen Wahrheit entspringen.

Diese tiefen psychologischen Deutungen von Märchen sagen ja auch,

dass sie ganz häufig Familienstörungen beschreiben.

Absolut. Also was sehr, sehr interessant ist,

ist, dass das offenbar bei niemandem aufgefallen ist,

wie tief eigentlich die Wunde des Ungeliebtseins bei Ursula war,

die sich natürlich zurückgesetzt fühlte und sich dann dem Vater zuwandte,

der sich irgendwann von seiner Frau hat scheiden lassen.

Und sie hat diese Wut oder vielleicht sogar diesen Hass,

den sie auf ihre Schwester empfunden hat,

sicherlich auch irgendwo auf ihren Mann übertragen.

Das ging sogar soweit, dass Ursula sich nach der Tat,

als noch gar nicht klar war, dass ihr Mann der Täter ist,

es aber schon in allen Medien war.

Sie hat ihrer Schwester nicht kondoliert.

Sie hat sich nicht gemeldet bis heute.

Sie hat sich nicht gemeldet.

Also ihre Nichten sind umgebracht worden auf schreckliche Weise

und die Tante ruft nicht an.

Richtig, sie ist stattdessen mit einigen anderen Verwandten,

die auch ihrem in Anführungszeichen Lager angehörten,

ist sie nur mit dem Auto durch die Margaritenstraße gefahren,

am Tatort vorbei, wo Kerzen und Kuscheltiere alles aufgereit war

und ist aber im Haus vorbei gefahren und hat sich nicht gemeldet.

Eine Frage. Ich habe im Nachgang zu diesem Fall

und das passt hier ganz gut her gelesen,

dass die Familie sie auch später noch verdächtigt hat,

an dieser Tat beteiligt gewesen zu sein.

Also die Geschichte, ich bin früh zu Bett gegangen,

mein Mann nahm das Auto, ich weiß von nichts,

dass das nicht gestimmt haben soll,

sondern dass sie ihn gefahren haben soll.

Denn sie hatte merkwürdigerweise am nächsten Morgen das Auto.

Und diese Theorie gab es offenbar.

Und diese Theorie habe ich später auch noch mal

in einer späteren Veröffentlichung bei einem Interview

mit der Mutter der getöteten Kinder und deren Mutter,

also der Großmutter der getöteten Kinder, gelesen.

Weißt du davon was?

Ja, ich habe das dann später auch gelesen.

Damals, während des Gerichtsverfahrens gegen Thomas S.

spielte das keine Rolle.

Also da hat man das offenbar für glaubwürdig gehalten.

Es gab auch noch den Verdacht,

den Ursula damals äußerte,

dass der Mann Thomas ihr Schlaftabletten verabreicht haben soll,

damit sie auch wirklich nicht aufwacht.

Aber die Beteiligung von Ursula selbst

ist damals vielleicht auch nicht weiter nachgegangen worden.

Weil es da ansonsten, glaube ich,

keine wirklich handfesten Beweise oder Spuren gab.

154 DNA-Spuren, die auf Thomas S. verweisen.

Das ist ja erdrückend, ist der Mann denn geständig?

Nein, der hat nicht gestanden.

Der hat auch während seiner polizeilichen Vernehmung geleugnet.

Wie kann man das leugnen, dass überall sein Blut klebt?

Das war Harnbüchen.

Der hat während seiner 7-stündigen Vernehmung,

als man ihn mit diesen Blutspuren konfrontiert hat,

hat er zunächst mal zu wenig Milch in seinem Kaffee reklamiert

und hat sich dann auf abenteuerliche Weise immer wieder rausgeredet

und hat behauptet, dass Blut sei bei seinem Besuch in die Wohnung gekommen,

zwei Wochen vor der Tat, als er eine Kleiderstange abgeholt hat.

Dabei hätte er Nasenbluten gehabt.

Und hat der Polizei...

Beruhte Nasenbluten.

Und hat der Polizei auch aufgemalt auf mehreren Skizzen,

wo er angeblich mit der blutenden Nase überall sein Blut weggewischt haben will.

Unter dem Bett zum Beispiel.

Und am Bett im Schlafzimmer, auf dem Küchenbrett, auf der Fensterbank.

Er hat sich da in Widersprüche verwickelt.

Aber nein, gestanden hat er bis heute nicht.

Er leugnet die Tat bis heute.

Ja, jetzt kommen wir zum Motiv, nicht?

Also, man kann natürlich sagen,

zwei Schwestern ein tiefes Zerwürfnis, Neid, Eifersucht.

Aber es geht ja auch ums Geld.

Da-Bung.

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slash verbrechen minus testen.

Ein Postbote, eine Hausfrau,

ein großer Neubau im Speckgürtel von München.

Da muss irgendwo Geld sein.

Ich glaube, Ursula S. hat geerbt, oder?

Ursula S. hatte 400.000 Euro geerbt.

Damit baub man so weit, wie es im Speckgürtel von München kein Haus.

Hat sie das geerbt, als ihr Vater gestorben ist?

Genau, das hatte sie geerbt.

Die gleiche Menge Geld hatte auch ihre Schwester Annette geerbt,

die ihr das Geld allerdings nicht mehr hat.

Ursula wiederum kaufte davon das Grundstück

und begann den Bau.

Allerdings schien das Geld nicht wirklich gereicht zu haben.

Denn die Familie geriet in große Schwierigkeiten.

Da waren etliche unbezahlte Rechnungen, Mahnungen.

Das ging sogar soweit,

dass die Gemeinde Peißenberg für die Familie Spenden gesammelt hat,

um damit den Bau zu unterstützen.

Ursula S. war zwischenzeitlich ein Krebserkranker.

Ursula S. war ein Krebserkranker.

Und zusätzlich eines der Kinder von Ursula und Thomas

brauchte eine Lebertransplantation.

Das heißt, die Familie war durchaus in einer Notsituation.

Das Haus war nicht fertig gebaut.

Konnte nicht fertig gebaut werden, weil das Geld fehlte.

Da hat die Gemeinde gesammelt.

Da haben auch örtliche Firmen umsonst das Dach gedeckt,

den Estrich gegossen und eben geholfen.

Und die Familie hat das Geld gesammelt.

Die freiwillige Feuerwehr ist auch eingesprungen

und hat mitgeholfen.

Und 18.000 Euro hat die Gemeinde gesammelt für diese Familie.

Ja, es hat aber offenbar trotzdem nicht gereicht.

Denn sie, die Familie, machte trotz alledem noch Urlaub

in Südfrankreich in dieser Lage.

Und hat das Geld auch großzügig ausgegeben.

Und in der Garage des Täters

fand die Polizei hinterher kistenweise ungeöffnet.

Und es stellte sich heraus,

dass ich kurz vor der Tat tatsächlich

die Schlinge so ein bisschen zuzog um Thomas S.

Das Haus sollte zwangsversteigert werden.

Und die Gerichtsvollzieherin hatte schon mehrfach angemahnt,

dass eine größere Summe, ich glaube, es war ein 16.000 Euro-Ausstand.

Und in dieser Situation braucht er dringend eine größere Summe Geld.

Dazu kommen wir gleich.

Ich habe hier ein paar Zeitzehnte,

die ich in der Zeit hatte,

Dazu kommen wir gleich.

Ich habe hier ein paar Zahlen aufgeschrieben.

Also das Girokonto ist mit 4.000 Euro in den Wiesen.

RWE, voll lang für den Strom 700.

Eine Firma Strohmeier möchte noch 1.000 Euro haben.

Die Postbank nur 98.

Die Gemeinde möchte 1.000 Euro haben.

Und so geht das die ganze Zeit weiter.

Und das Haus selber wird dann begangen,

weil es ja vor der Versteigerung steht.

Und da stellt man fest,

dass sie eine Fußbodenheizung eingeplant hatten.

Eine Impore für die Kinder, eine teure Erdwärmepumpe.

Und als Garagentor, zwei Garagen, hast du gesagt.

Sollte elektrisch sein.

Also es ist jetzt auch nicht direkt ein kostengünstiger Bau gewesen.

Und man hat da auch nicht besonders darauf geachtet,

dass das günstig errichtet wird.

Aber Ursula S. besitzt noch etwas.

Und zwar gemeinsam mit ihrer Schwester.

Eine Wohnung.

Annette und Ursula hatten auch eine Wohnung geerbt.

Und wenige Wochen vor der Tat

haben die beiden sich getroffen.

Weil Ursula S. ihre Schwester gebeten hat,

ihr die Hälfte der Wohnung abzukaufen.

Und sie hatten sich schließlich auf 40.000 Euro geeinigt.

Das zieht sich so ein bisschen hin.

Also es gibt so einen Treffen im August 2010.

Da treffen die sich im Café.

Thomas S. ist dabei.

Und die beiden sagen zu Annette, 50.000 möchten wir haben.

Und als Annette antwortet,

vielleicht kann ich 40 geben, passiert was.

Da war Thomas S. Wut entbrannt, aufgesprungen.

Und er hat seine Schwägerin beschimpft.

Und die haben das Treffen aufgelöst.

Wochen später, allerdings, hat er sich dann,

oder Ursula S. war das, die sich dann gemeldet hat,

sie wolle doch für 40.000 gerne die Wohnung verkaufen.

Im November 2010, genau.

Dann zog sich das aber,

weil Annette erst natürlich erst mal mit ihrem Finanzberater reden musste.

Und so ein Kauf natürlich nicht mal eben von heute auf morgen

über die Bühne geht.

Na ja, klar, man fragt mal nach.

Was ist das Ding denn überhaupt wert?

Wenn ich jetzt hier die Hälfte abkaufe, man holt Gutachten ein,

checkt die Lage, guckt sich der Zustand der Wohnung an.

Das Erbe von 400.000 Euro wird es ja auch nicht

auf dem Chirurgrunde gehabt haben.

Das wird ja irgendwo Festgeld gewesen sein oder in Aktien, oder weißt du?

Genau, Aktien, Immobilien vor allem.

Also es kann man nicht einfach aus dem Sparschwein holen.

Die Schlinge um Thomas S. zieht sich richtig zu.

Im Januar 2011 wird das Haus unter Zwangsverwaltung gestellt.

Wie geht es weiter?

Ja, es folgen dann Schreiben der Gerichtsvollzieherin,

die größere Summen anmahnt.

Es folgen eben weitere Vorladungen, ich glaube auch vom Familiengericht.

Und weil Thomas S. all das offenbar vor seiner Frau weitestgehend,

so zumindest haben beide übereinstimmend ausgesagt, geheim hält,

fürchtet er jetzt, dass die bürgerliche Fassade und seine eigene Fassade

zum Einstürzen gebracht wird.

Denn diejenige, die die Eigentümerin des Hauses ist,

das ist Ursula S.

Und das heißt, wenn die Polizei vor der Tür gestanden hätte,

um einen Haftbefehl zu vollstrecken wegen der nicht geleisteten Zahlungen,

dann hätte man Ursula S. seine Frau mitgenommen.

Und das scheint ihn irgendwie in Panik versetzt zu haben.

Wir haben über die Familie S. also über Ursulas Seite

jetzt gerade schon relativ ausführlich geredet.

Woher kommt Thomas denn eigentlich?

Thomas ist ein Kind, was eigentlich relativ bütet aufgewachsen ist.

Sein Vater war ein Maurer, der immer als lebenslustiger Typ galt

und auch stolz auf seinen Sohn war.

Seine Mutter war Fabrikarbeiterin, die ihm bei den Hausaufgaben geholfen hat.

Der hatte nie Probleme, der war beliebt.

Auf dem Schulhof hatte viele Freunde.

Auch mit den Mädchen lief alles normal.

Er machte ein Abitur.

Danach eine Feinmechanik leere.

Also nichts deutete darauf hin,

dass dieses Leben irgendwann einmal mit einer solch bestialischen Tat

im Gefängnis enden würde.

Liebe Anita, über die Familie S. hast du ja auch einiges geschrieben.

Wir wissen jetzt, dass sie vier Kinder hatten.

Eines davon war Leberkrank.

Die Mutter hatte Krebs.

Aber es war ja nicht nur eine gebeutelte Familie oder eine Familie,

der das Schicksal übeln mitgespielt hat, sondern es war auch eine Familie,

die absolut rücksichtslos war.

Und das hast du sehr ausführlich beschrieben.

Wir haben ja einmal erfahren, dass sie nicht mal bei ihrer Schwester anruft,

um ihr zu kondolieren oder zu fragen, wie ist das mit den Kindern gewesen,

sondern mit dem Auto durch die Margerätenstraße fährt,

um sich den Tatort reinzuziehen.

Und es gab noch andere Leute, die über die Familie S.

einiges zu erzählen hatten.

Nämlich zum Beispiel eine Bäuerin, bei der diese Familie eine Zeit lang geliebt hat.

Warum hat die bei dieser Bäuerin geliebt?

Und was hat diese Bäuerin und die Nachbarn über die Familie S. gesagt?

Ja, die sind bei dieser Bäuerin eingezogen,

weil dieses Haus einfach nicht fertig wurde

und die Familie mit den vier Kindern ja irgendwo hin musste.

Und die Bäuerin hat sie aufgenommen bei sich

und hat sich irgendwann angefangen zu wundern,

dass diese Familie, die anfangs auf sie vollkommen normal wirkte,

eben doch sehr ja eben sehr rücksichtslos war, auch mit den eigenen Kindern.

Wenn das Ehepaar seine Ruhe haben wollte, da konnte es 15 Grad Minus draußen haben.

Dann wurden die Kinder vor die Tür geschickt, ohne Mütze, ohne Schal.

Und dann mussten die so lange draußen bleiben, bis das Ehepaar beschlossen hat.

Also jetzt können die Kinder wieder reinkommen.

Die haben sich auch, sie haben ja sehr, sehr viel Hilfe bekommen.

Nicht nur von der Bäuerin selbst, sondern auch von eben vielen Nachbarn,

von vielen Spendern aus dem Ort, von vielen Firmen.

Und sie haben sich offenbar auch selten bedankt dafür.

Und nachdem sie nach einem Jahr bei dieser Bäuerin ausgezogen waren,

die ihnen ja in der Not geholfen hatte, haben sie einfach deren Haus verlassen,

ohne sich zu verabschieden.

Sie haben einfach wie in einem Hotel den Schlüssel in der Tür stecken lassen

und sind gegangen.

Inzwischen hat ja auch der Postbote Thomas eine merkwürdige Veränderung.

Du hast dir vorhin erzählt, er war in seiner Jugend beliebt.

Er war auch schlau, er hatte Freunde, er war sozial eingebunden.

Das ändert sich.

Also er wird ja zuerst ein Feinmechaniker, wenn ich mich recht erinnere.

Er verlässt diesen Beruf aber und macht Postbote.

Also er fährt mit dem Radel rum und schmeißt Briefe ein.

Zwischendurch hatte er auch noch mal zwei Fächer angefangen zu studieren.

Jura und noch irgendetwas anderes, das aber nach zwei Semestern abgebrochen.

Und dann wurde er Vater.

In erster Ehe hat er zwei Kinder bekommen.

Dann lernte er Ursula S. kennen, bekam noch mal vier weitere Kinder

und hat es sich dann offenbar relativ bequem gemacht,

da die er diese 400.000 Euro geerbt hatte.

Und er selbst hat als Postbote bis elf Uhr morgens gearbeitet.

Die Kollegen berichteten hinterher am Zeugenstand auch,

dass er sich bei der Arbeit nicht überanstrengt hat,

sondern immer als einer der Ersten fertig war.

Und dass man in seinem Spind auch immer wieder

nicht zugestellte Briefe vorfand.

Also er hat Briefe in seinem Spind verschwinden lassen

und hat sich das austragen und gespart.

Vorher erinnerten sich alle, wie kriegt er das Zeug so schnell sortiert

und ausgetragen und dann stellt sich heraus,

einen großen Teil hat er gar nicht.

Also das ist ein durchzugängig diessoziales Verhalten.

Also gegenüber anderen absolut einerlei.

Er war auch nicht beliebt bei den Kollegen,

der nahm an keinen Feierlichkeiten teil.

Er hat eigentlich keinerlei Kontakte gepflegt,

sich kaum mal unterhalten und zu Hause saß er dann,

wenn er um elf nach Hause kam, vor allen Dingen vor dem Rechner

und informierte sich zum Thema Erbrech,

zumindest dann in den letzten Monaten vor der Tat.

So haben das Zeugen berichtet.

Also kann man vermuten, dass das Motiv darin lag,

dass er die Schwester und die Kinder der Schwester

auslöschen wollte, damit das Erbe direkt an Ursula geht.

Das Erbe der Eltern, das der Schwester zugestanden hätte.

Genau. Also Ursula S.

hätte im Fall des Todes ihrer Schwester

hätte sie 400.000 Euro geerbt.

Plus die Wohnung. Plus die Wohnung.

Komplett. Also die Hälfte hatte sie ja schon.

Und das scheint so simpel, wie das ist und so banal und brutal,

wie das ist. Das Motiv dafür gewesen sein,

dass er seine beiden nichtsahnenden Nichten im Schlaf ermordet hat

und auch seine Schwägerin kaltblötig mit ermordet hätte.

Es ziehen sich mehrere Risse durch diese Familie.

Also die Mutter hat die Lieblingstochter, Annette

und die weniger beliebte Ursula.

Man guckt so gegenseitig aufeinander runter,

denn auch das Leben der Alleinerziehenden,

die in die Kneipe geht, wird so ein bisschen

mit gerümpfter Nase betrachtet.

Und ich lese jetzt, dass nach der Tat Ursula

eine kleine Tournee macht, von Fernsehsender zu Fernsehsender

zur Presse und Geschichte erzählt.

Genau. Ja, es war merkwürdig zu sehen.

Die Mutter der beiden Mädchen verstummte.

Sie hat keine Interviews gegeben.

Sie hat auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit

im Gerichtssaal ausgesagt.

Sie war schwer traumatisiert

und während die eine schwer traumatisiert war

und ihre eigene Wohnung nicht mehr betreten konnte.

Hat die andere tatsächlich ein Interview

nach dem anderen gegeben? RTL Sat. 1.

Es wurde koalportiert.

Dem Stern habe sie für 20.000 Euro ein Interview gegeben.

Was hat sie denn da gesagt?

Sie weiß ja doch eigentlich nichts.

Sie kann doch nur über den Mörder sprechen.

Sie hat sich tatsächlich selbst als Opfer betrachtet.

Sie hat über ihren Mann geklagt und über diese furchtbare Ehe,

in der sie unterdrückt und manipuliert worden ist

und hat ihre Geschichte eben verkauft als eine Geschichte,

in der nicht nur ihre beiden nicht die Opfer waren,

sondern tatsächlich auch sie.

Und da haben hier einige Medien eine Bühne geboten.

Ich habe hier zwei Fotos vor mir liegen,

die diese Geschichte wahrscheinlich besser illustrieren

als vieles andere.

Das eine ist das Bild dieses Hauses.

Zwei Geschosse, Aprikofarben.

Die Rollenden sind heruntergelassen.

Die Bildzeile daneben heißt,

das Haus von Thomas S. in Peißenberg soll versteigert werden.

Wahrscheinlich ist es das inzwischen.

Das ist die eine Seite.

Das andere Bild zeigt zwei Kinderserge.

Bund bemalt, über und über geschmückt.

Wir haben mit diesen Bildern damals das dossier aufgemacht.

Wir haben diese Folie, dieser Tat,

über die Banalität dieser Orte gelegt.

Wie schaust du heute mit etwas Abstand auf diesem Fall?

Ja, das war und ist wahrscheinlich der schrecklichste Fall,

der verstörendste Fall, über den ich je geschrieben habe.

Und vor allen Dingen der, der am wenigsten Trost geboten hat.

Normalerweise, wenn wir Journalisten über schlimme Missstände berichten,

dann klären wir die auf, in der Hoffnung,

dass wir damit irgendwie auch was Gutes tun.

In der Hoffnung, dass diese Missstände irgendwie behoben werden.

Und in dem Fall gab es diesen Trost nicht,

sondern es war einfach ein sehr, sehr böser Mensch,

der eine monstrose Tat begangen hat,

die niemand hätte voraus ahnen können.

Und die muss man so leider sagen,

auch jederzeit irgendwie so auch wieder passieren kann.

Der Thomas S. sitzt ja seit 2011, seit man ihn festgenommen hat,

in der JV Orlandsberg, hat 25 Jahre bekommen,

mit besonders schwerer der Schuld.

Das heißt, nach 15 Jahren kommt er nicht automatisch

in die Haftüberprüfung, sondern er wird auf jeden Fall 25 Jahre sitzen,

vielleicht sogar noch länger.

Also er hat lebenslang gekriegt.

Und die Mutter der ermordeten Mädchen hat dann der Abendzeitung gesagt,

es vergeht keinen Tag, an dem ich nicht alle fünf Minuten an meine Kinder denke.

Und was sie auch erzählt hat, war, das fand ich auch irre,

dass sie die Tatordreinigung selbst organisieren musste.

Also, dass das Blut und die ganzen Hinterlassenschaften des Täters da entfernt werden,

das hat sie selbst organisieren müssen.

Man hat auch gesagt, sie soll selber ihre Wohnung aufräumen

und diese ganzen Nacharbeiten selber leisten, das finde ich schon.

Das hat ihr der Weißering sehr geholfen.

Und sie hat dann der Abendzeitung gesagt, dass sie oft daran gedacht hat,

sich umzubringen, aber den Gefallen tue ich wieder dem Mörder noch meiner Schwester.

Schließlich haben die Ermittlungen am Tatort eindeutig ergeben,

dass auch ich sterben sollte.

Ja, und dann habe ich noch was gefunden über den einsitzenden Thomas S.,

der hat nämlich, so wie er bei der Polizei bei seiner Vernehmung

die mangelnde Milch im Kaffee angemahnt hat.

So hat er auch später hier einen Krieg angefangen mit der Staatsanwaltschaft in München.

Er hat nämlich dort eine Rechnung gekriegt,

weil er in Haufen Kosten verursacht hat bei der Strafjustice,

wie sollte er bezahlen, 236.000 Euro Schulden.

Das ist natürlich selbstverständlich, wenn ich so was anrichte

und dann auch noch die Justizmaschine anwerfe,

dann muss ich das eben auch beruppen.

Das ist ganz normal, dass ein Straftäter das bezahlen muss.

Denn manche Straftäter verfügen ja über Immobilien und über irgendwelche Konten

und die werden dann eben aufgemacht und da holt man sich das dann raus.

Und er aber hat dann einen bitterbösen Brief geschrieben

und hat der Sachbearbeiterin geschrieben,

sie können sich ihre Rechnung zerknüllen und bis zum Zwölffinger-Darm in den Arsch schieben.

Sie voll Idioten und Verbrecher seien die Richter gefälschte Beweise.

Er will ein Wiederaufnahmeverfahren.

Also er hat ja viel Zeit in seiner Zelle.

Da ist sogar ein Original.

Der Fokus hat einen Originalschreiben veröffentlicht.

Da schreibt er, von Schreiben dieser Art möchte ich auch zukünftig nicht mehr belästigt werden.

Also Rechnungen meint er damit.

Da sie vollkommen sinnlos sind bei den Einkommensstrukturen bayerischer Gefangener.

Sollte mir die Staatsanwaltschaft München beweisen sollen,

dass dort nicht nur Vollidioten ihre Arbeit nachgehen,

wäre dies durch ein Wiederaufnahmeverfahren möglich,

indem der wahre Sachverhalt gewürdigt wird.

Aber so blöd seid noch nicht mal ihr auf so einen Antrag oder Schreiben werde ich vergebens warten.

Wer hat dann Interesse daran zu beweisen, dass die Richter,

jetzt kommen die Namen der drei Richter, VV sind.

VV ist gleich Vollidioten und Verbrecher und so weiter.

Und er hat dann noch 600 Euro drauf gebrummt gekriegt,

weil er die Justiz beleidigt hat.

Also er sitzt da und belästigt Leute mit Schreiben.

Du hast am Anfang gesagt, der Grad ist wahnsinnig schmal

zwischen dieser alltäglichen, bösen Banalität und dieser unfassbaren Grausamkeit.

Ja.

Das stimmt auch. Und er hat ja einen ganz normalen Anfang genommen.

Das finde ich an diesem Fall so irre.

Ein ganz normalen Anfang genommen und ist irgendwann falsch abgebogen.

Also irgendwas in diesen Jahren zwischen 20 und 50,

in diesen 30 Jahren hat er sich in irgendeiner Art und Weise entwickelt,

die von einem netten und engagierten und zukunftsträchtigen jungen Mann

zu einem absoluten Loser geführt hat.

Ich weiß aber nicht, was es gewesen ist.

Und diese Entwicklung, dass Menschen so eine Entwicklung nehmen können,

das finde ich immer wieder erschütternd.

Ich weiß gar nicht, ob er nicht einfach Mensch ist.

So haben das die psychiatrischen Sachverständigen vor Gericht beschrieben,

der einfach eine sehr, sehr geltungssüchtige Persönlichkeit hat,

eine sehr egozentrische, egoistische Persönlichkeitsstruktur hat

und durch eine sehr, sehr große Gefühlskälte und Rücksichtslosigkeit

sich auszeichnet.

Und solange die Dinge für so jemanden laufen,

ist ja keine Gefahr für andere.

Aber sobald er halt irgendwie sich in die Enge getrieben fühlt,

wurde er halt zur Gefahr.

Aber er fühlte sich ja auch in die Enge getrieben durch eigene Doofheit.

Also das muss man einfach mal sagen.

Wer sich nicht weiterbildet,

wer trotz guter Startchancen nichts aus sich macht,

sondern im Gegenteil downsized,

intellektuell und vom Einkommen her und in jeder Hinsicht

sich auf den Kröten seiner Frau ausruht.

Das sind ja Entscheidungen.

Es ist ja nicht durch Schicksalswalten in die Enge getrieben worden.

Es gab Schicksalsschläge, ja,

es gab aber auch eine gigantische Hilfsbereitschaft von Leuten,

die ihm zur Seite gestanden haben.

Und statt sich da mit denen zu verbünden und es neu anzufangen,

hat er dann die von Kopf gestoßen, unverschämt behandelt

und hat sich die Taschen vollgemacht.

Also das ist doch das Allerletzte.

Ja, es gab zwei Eigenschaften noch,

die die psychiatrischen Sachverständigen rausgestellt haben.

Das eine ist die mangelnde Frustrationstoleranz.

Das heißt, er kann nicht mit Rückschlägen umgehen.

Bei übrigens Professor Sass in sehr, sehr angesehene Psychiat,

vollensicher Psychiater.

Und er rechnet auch nicht mit diesen Rückschlägen,

weil er eben auch nicht wirklich in die Zukunft planend denken kann.

Und vor allen Dingen hat er sich aber auch nie in seinem Leben

anstrengen müssen und er vermeidet Anstrengungen.

Das heißt, er geht immer den Weg des geringsten Widerstandes.

Und das ist natürlich eine schwierige Kombination,

geringe Frustrationstoleranz und den Weg des geringsten Widerstandes gehen.

Und keine Zukunft vor Augen haben, jedenfalls nicht für eine Zukunft planen.

Das sorgt dann dafür, dass Thomas erst nicht nur einmal,

sondern ziemlich oft falsch abgebogen ist.

Liebe Anita, vielen Dank, dass du uns diesen Fall mitgemacht hast.

Anita hat mir vorhin, als wir die Mikrofonen noch nicht anhatten,

gesagt, den Fall hätte ich heute nicht mehr recherchieren können,

wo ich kleine Kinder habe.

Damals hatte sie noch keine, damals konzist noch.

Ich danke dir, dass du da warst, Anita.

Ich danke euch.

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Es war der erschütterndste Mordfall des Jahres 2011. In Krailling bei München werden zwei kleine Mädchen auf schreckliche Weise umgebracht. Der Mörder: ihr Onkel. Ein Gericht versucht, das Unfassbare zu erklären.

In Folge 136 sprechen Sabine Rückert und Andreas Sentker mit der ZEIT-Reporterin Anita Blasberg über jene hauchdünne Linie, die ein Normalbürger überschreiten muss, um zum Mörder zu werden.

Der Text zur Folge ("Die Blutspur des Onkels") ist im März 2012 im ZEIT Dossier erschienen.

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