NZZ Akzent: Vergewaltigung als Waffe im Sudan

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/19/23 - Episode Page - 15m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird präsentiert vom Zürich Filmfestival.

NCZ-Aktzent.

Karin, was hören wir da?

Wir hören Kriegsgeräusche. Seit dem 15. April herrscht im Sudan ein brutaler Krieg.

Und zwar bekämpfen sich die sudanesische Armee und die paramilitarische Gruppe RSF.

Genau, das war ja auch schon Thema hier im Podcast.

Ja, ich habe aber jetzt auf etwas geschaut, worüber man noch sehr wenig gehört hat.

Und zwar, es geht um sexualisierte Gewalt.

Also konkret geht es darum, wie Vergewaltigungen als Waffe in einem Krieg eingesetzt werden.

Also das passiert in dem Fall auch im Sudan?

Ja, und zwar hat eine UNO-Vertreterin kürzlich gesagt,

sexualisierte Gewalt passiere im Sudan in einem abscheulichen Ausmaß.

Im Sudan herrscht seit Mitte April ein brutaler Bürgerkrieg.

Besonders die Frauen zahlen dafür einen hohen Preis, sagt Auslandredaktorin Karin Avenga.

Karin, sexualisierte Gewalt in einem abscheulichen Ausmaß im Sudan, was heißt das genau?

Es ist schwierig, es gibt wenig verlässliche Zahlen,

aber es gibt immer mehr Berichte von Menschenrecht zur Organisation

und eben, wie ich erwähnt habe, auch der UNO.

Und um genauer zu erfahren, was geschieht, um mir ein besseres Bild zu machen,

habe ich mit einer sudanesischen Menschenrechtsaktivistin gesprochen.

Sie heißt Enas Musammel und ich habe mit ihr via Sprachnachrichten auf WhatsApp kommuniziert,

weil ich habe sie versucht anzurufen, aber die Verbindung ist immer wieder abgebrochen.

Und sie hat mir auch bestätigt, dass es sehr, sehr viele Fälle gibt.

Sie hat aufgehört zu zählen sogar.

Man kann also sagen, im Sudan wird ein Krieg auf den Körpern der Frauen ausgetragen.

Wie meinst du das genau?

Das ist eine systematische Gewalt gegen Frauen, das ist eine bekannte Kriegsstrategie

und auch im Sudan, in diesem Krieg jetzt, begann das quasi von Tag 1 an.

Enas erzählte mir, dass sie sich in den ersten Kriegstagen zu Hause verschanzt hatte,

also als die Kämpfe losgegangen sind, in der Hauptstadt in Khartoum, wo sie auch wohnten

und sie blieb dann einfach zu Hause, wie das viele andere Sudanesinnen und Sudanesen bis heute tun.

Also weil es draußen einfach zu gefährlich ist?

Genau, es ist eine Kriegssituation mitten in einer Stadt in Khartoum und auch in der Region Darfur.

Da finden Schissereien statt, sie schmeißen Granate und das sind wirklich auch so schwere Artillerie.

Und die sudanesische Armee kämpft gegen die paramilitärische Gruppe RSF mitten in einer Stadt.

Das ist sehr chaotisch und unberechenbar.

Und Enas Musamel ist dann zu Hause?

Enas bleibt weiter zu Hause, sie ist eine Aktivistin, sie gründete vor einigen Jahren eine eigene Organisation,

die sich für Frauenrechte und Menschenrechtsaktivistinnen und Aktivisten einsetzt.

Es dauert etwa sieben, vielleicht acht Tage, ganz genau erinnert sie sich nicht mehr

und dann hörte sie das erste Mal von einer Vergewaltigung durch Militäre.

Sie sagten, es war sehr traurig, schockierend und deprimierend und sie verstand, das ist ein Krieg.

Aber wie meint sie jetzt das? Also warum merkt sie von dieser Vergewaltigung, dass es dann ein Krieg ist?

Sie sagte mir, in den ersten Tagen hätte sie sich noch an der Hoffnung festgehalten,

dass es nur ein Clash-Side zwischen diesen zwei Parteien, der dann schon vorbeiginge.

Und mit dieser Vergewaltigung hat sie gemerkt, nein, das ist ein viel größeres Ausmaß,

das ist viel brutaler, das wird die ganze Gesellschaft betreffen.

Und eben auch Zivilistinnen und Zivilisten, Frauen werden hinein gezogen.

Und das hat dann auch Folgen für Enas Musammel?

Ja, Frauen beginnen sich bei ihr zu melden, sie wird kontaktiert von Freundinnen und Freunden

von ihrem Netzwerk, sie ist sehr gut vernetzt im Sudan, vor allem auf WhatsApp.

Sie liest Berichte von Gewalt, von Vergewaltigungen.

Ein Beispiel, das sie mir erzählte, war, dass sich Freundinnen einer jungen Frau bei ihr gemeldet haben.

Die junge Frau wurde vergewaltigt von Milizionären.

Und die junge Frau war so traumatisiert, dass sie ihren Freundinnen danach im Wetter gesagt hat, sie wolle sich umbringen.

Und sie erzählte aber ihre eigenen Familie nichts, weil sie sich schämte,

weil sie Angst vor der Reaktion hatte.

Und sie hat gesagt, dass sie sich nicht mehr über die Reaktion hatte.

Und sie hat gesagt, dass sie nicht mehr über die Reaktion hatte.

Und sie erzählte aber ihre eigenen Familie nichts, weil sie sich schämte, weil sie Angst vor der Reaktion hatte.

Warum?

Um das zu verstehen, muss man vielleicht erklären, der Sudan ist ein Land mit einer sehr konservativen Gesellschaft.

Das Land war jahrelang von islamistischen Gesetzen geprägt, Frauen durften beispielsweise gar keine Hosen tragen.

Und das hat sich jetzt zwar geändert, seit der langjährige Herrscher nicht mehr an der Macht ist,

aber die Mehrheit der Gesellschaft bleibt natürlich immer noch konservativ.

Das prägt sich auch diesen Krieg, stelle ich mir vor.

Ja, natürlich. Für Frauen ist es extrem gefährlich, rauszugehen, für Männer natürlich auch.

Besonders in der Region Khartoum und Darfur, wo sich die Kämpfe konzentrieren.

Ich habe richtig gelesen von Leichen, die auf der Straße liegen bleiben, die nicht einmal weggeräumt werden.

Vermutlich sind im ganzen Konflikt bisher mehrere Tausend Menschen gestorben.

Die UNO spricht von drei Millionen intern Vertriebenen.

Und schätzungsweise 900.000 Menschen sind ins Ausland geflüchtet.

Oder eben, sie verschanzen sich zu Hause, wie Inas Musamel das tut?

Genau, aber selbst zu Hause sind die Sudanesinnen und Sudanesen nicht mehr sicher.

Inas hat mir erzählt, dass Militionäre in Häusereinfallen,

teilweise zum Beispiel Wohnblöcke durchsuchen,

teilweise sogar vor den Augen der eigenen Familie.

Das ist schon heftig.

Ja, und internationale Organisationen schlagen auch Alarm.

Amnesty hat ein Bericht veröffentlicht, indem sie schreiben von 24 Frauen und Mädchen,

die unter sklavenähnlichen Bedingungen verschleppt und gehalten wurden, mehrere Tage lang

und von den Militionären vergewaltigt wurden in dieser Zeit.

In diesem Bericht ist auch der Fall von einer zwölfjährigen Dokumentiert,

die ebenfalls vergewaltigt wurde.

Das ist schon sehr krass.

Ja, es ist schwer zu verdauen, das Ganze zu lesen, das Ganze zu hören.

Und auch Inas Musamel hat mir gesagt, sie halte es kaum heraus,

weil es einfach so viele Berichte sind, die täglich auf sie einprasseln.

Sie erhält ständig WhatsApp-Nachrichten von Dingen geschehen,

also Vergewaltigungen, aber auch sonstigen natürlich Gewaltverbrechen.

Und das lässt sie natürlich nicht in Ruhe, es ist ständig damit konfrontiert.

Für sie sind solche Berichte nicht per se neu,

dass sie als Menschenrechtsaktivistin schon früher von schrecklichen Dingen hörte,

aber seit Kriegsbeginn hat es massiv zugenommen.

Und wie geht sie denn damit um?

Sie tut das, was sie schon immer gut gekonnt hat.

Sie versucht zu helfen.

Sie hilft Betroffenen, wenn wir zu diesem Fall zurückgehen,

der jungen Frau, die vergewaltigt wurde,

und ihre Freundinnen haben sie kontaktiert.

Sie hat in diesem Fall geholfen, eine Psychologin zu organisieren,

mit der die junge Frau telefonieren konnte.

Manchmal vergesst sie nicht,

für Hausbesuche, das ist aber auch schwierig,

gerade wenn z.B. in Dörfern außerhalb etwas passiert ist.

Und sie versucht auch Geld zu organisieren,

also Spendengelder vor allem für ihre Organisation,

die sie dann einsetzen, um z.B. Menschen zu helfen, zu flüchten,

eine neue Wohnung zu finden,

oder einfach an einen sicheren Ort zu transportieren werden.

Aber ich stelle mir das extrem schwierig vor,

in so einer Situation,

dass man in einer Situation,

wo eigentlich noch Krieg ist, rundherum.

Ja, total.

Die ganze Infrastruktur ist eigentlich kaputt.

Besonders in Khartoum, der Hauptstadt,

und auch in Dörfern ist das extrem schwierig.

Ich habe gerade gelesen, kürzlich,

dass die Unorschärzte etwa 80% der Spitäler

zerstört oder unbenutzbar geworden sind.

Opfer können nicht mehr behandelt werden.

Es hat viel zu wenig Personal in diesen Spitälern,

die noch funktionieren.

Klassischerweise versuchen Hilfsorganisationen

betroffenen von sexualisierter Gewalt,

eine Pille danach zu organisieren,

auch Tabletten z.B. um eine HIV-Infektion zu verhindern.

Also, und die Pille danach, damit sie nicht schwanger werden?

Genau, ja.

Und Tabletten gegen sexuell übertragbare Krankheiten.

Aber all diese Medikamente sind extrem schwierig zu erhalten aktuell,

da sie teilweise in Lagerhäusern gelagert sind,

und es ist zu gefährlich, dahin zu fahren.

Abschreibungen sind sowieso kaum möglich im Sudan.

Die waren verboten,

mit ganz wenigen Ausnahmen,

und es ist extrem schwierig,

so eine Ausnahme zu erhalten,

weil man dafür beweisen muss,

dass man vergewaltigt wurde.

Und das war schon vorher sehr kompliziert.

Und nun auch die Polizeistationen geschlossen sind.

Das ganze Gerichtssystem funktioniert nicht mehr.

Also, es ist eigentlich unmöglich geworden,

eine legale Abtreibung zu haben.

Es gibt dann gewisse Frauen,

hat mir Renasse erzählt,

die versuchen natürlich, das auf andere Wege zu machen,

und das sind nicht besonders schöne Geschichten.

Wir sind gleich zurück.

Es ist schon heftig.

Also, dann werden diese Frauen zuerst vergewaltigt,

auf brutalste Weise.

Und danach sind sie eigentlich auch auf sich alleine gestellt.

Also, es gibt keinerlei Versorgung,

wo sie irgendwie Hilfe bekommen könnten.

Ja, und das, was ich persönlich schwer zu ertragen finde,

Sudan ist ein Beispiel von vielen.

Also, man hört früher schon aus Kriegen, Bosnien Krieg,

auch aktuell in der Ukraine.

Eigentlich kann man das nicht mehr tun,

sondern auch aktuell in der Ukraine.

Eigentlich kann man sagen, seit es Kriege gibt,

werden Vergewaltigungen eingesetzt als Waffe.

Aber warum?

Also, was, glück gesagt, erhofft man sich davon?

Vergewaltigung als Kriegswaffe zielt auf die ganze Gesellschaft ab.

Es ist nicht nur eine Demütigung der Frauen,

sondern gleichzeitig auch der Männer,

gerade in einer konservativen Gesellschaft.

Die Männer haben dann das Gefühl,

sie konnten ihre Frauen nicht beschützen.

Es verbreitet wahnsinnig viel Angst.

Man hört dann, es gibt dann Gerüchte,

man weiß vielleicht von Betroffenen

und als Frau und auch als Männer.

Logischerweise hat man dann einfach Angst,

dass es einem auch passiert.

Es ist ein sehr brutales Mittel,

um den Willen zum Widerstand der Gegenseite zu brechen.

Und es demütigt die ganze Gesellschaft,

es spaltet auch das soziale Gefüge.

Und das Ganze passiert eigentlich im Wissen,

dass den Militionären wahrscheinlich nie was passieren würde.

Es herrscht eigentlich eine Straflosigkeit.

Es ist das Gefühl der kompletten Überlegenheit und der Macht

und sozusagen eine psychologische Waffe.

Die wurde auch schon vor 20 Jahren im Sudan eingesetzt,

im Darfur-Konflikt.

Aber wenn das früher schon so war, vor 20 Jahren,

hat sich denn da nichts getan?

Ja und nein.

Auf der internationalen Ebene wurde im Jahr 2000

die UNO-Resolution 1325 verabschiedet.

Vor allem auch als Folge von den Kriegen in Rwanda und Bosnien,

wo sexualisierte Gewalt und Übergriffe

in einem riesigen Ausmaß passiert sind.

Und diese UNO-Resolution heißt

Women Peace and Security, also Frau Friedensicherheit.

Und das gilt als eine große Errungenschaft,

um Frauen in Kriegen zu schützen.

Aber mitten in einem Konflikt, so wie jetzt aktuell im Sudan,

in diesem rechtsfreien Raum,

nützt eine solche Resolution den Menschen auch nicht besonders viel.

Und was noch hinzukommt, ist auch,

dass auf der internationalen Ebene

man einfach nicht so viel über dieses Thema spricht.

Und so sind dann eigentlich die Menschen

auf der untersten Ebene auf sich alleine gestellt

und sie müssen sich selber helfen.

Also eben Menschen wie Enas Musamel im Sudan?

Genau, wie Enas Musamel.

Sie hat mir berichtet, dass ganz viele verschiedene

Frauenorganisationen zusammenspannen, sich gegenseitig helfen.

Sogar solche, die früher sich politisch nicht unbedingt einig waren,

die unterschiedliche Meinungen vertreten haben,

die ziehen jetzt gemeinsam an einem Strick.

Sie kochen zusammen oder wenn eine Frau kocht,

dann lädt sich ganz viele andere ein zum Essen, in Khartoum.

Das ganze Netzwerk hilft sich gegenseitig,

wie ich vorher schon erzählt habe,

um Ärzte zu vermitteln, um psychologische Hilfe zu vermitteln.

Das ist ein großes Netzwerk, das ist ein ganz starkes Netzwerk im Sudan,

besonders von Frauen, auch von Männern.

Und es gibt dann so ein Gefühl der Solidarität.

Das gibt immerhin so etwas wie einen Hoffnungsschimmer

in diesem doch schrecklichen Thema?

Ja, es ist das Einzige, was ihnen aktuell bleibt.

Aber selbst Enas Musamel musste flüchten nach Äthiopien,

weil es stich zu gefährlich wurde für sie im Sudan.

Und sie macht aber weiter via ihr Telefon.

Karin, danke, dass du da warst.

Danke, dass ihr diesem Thema Aufmerksamkeit gebt.

Das war unser Akzent.

Produzentin dieser Folge ist Alice Grouchon.

Ich bin Antonia Moser.

Bis bald.

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In den Strassen der sudanesischen Hauptstadt Khartum tobt ein Krieg zwischen der Armee und einer Miliz. Eine Aktivistin erzählt, wie dieser Konflikt auch auf dem Körper der Frauen ausgetragen wird.

Heutiger Gast: Karin A. Wenger, Auslandredaktorin

Host: Antonia Moser

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/vergewaltigung-als-kriegswaffe-frauen-im-sudan-ld.1751005

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