NZZ Akzent: Ukraine: Warum stockt die Offensive?

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/7/23 - Episode Page - 18m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird ihn präsentiert von der LGT, ihrer Privatbank in der Schweiz.

Enzitzettokzent.

Erfolgsmeldung für die ukrainische Armee.

Gleichzeitig gereiht die Ukraine unter heftigen Beschuss.

Teglich erreichen uns Nachrichten, Berichte aus der Ukraine, die von den Erfolgen der Ukrainer berichten.

Aber es gibt auch die Berichte über diese massiven Angriffe der Russen.

Ich muss sagen, es ist recht schwierig, da irgendwie den Überblick zu beharten.

Es ist ein bisschen verwirrend. Gib uns doch einen Überblick.

Ende August kam es wieder von mehr zu Angriffen in Russland und der Ukraine.

Russland hat aus der Luft die Hauptstadt Kiev angegriffen, die schwersten Angriffe seit Monaten.

Und die Ukrainer wiederum haben mit Drohnen ihrerseits den größten Angriff seit Kriegsbeginn verübt in Russland.

Russland hat teilweise deshalb den Luftrahmen über größeren Teilen des Landes geschlossen, zumindest temporär.

Wie hart ist denn das für Russland?

Die Angriffe sind zunächst mal einfach peinlich, weil diese Drohnen über hunderte von Kilometern nach Russland fliegen konnten, ohne abgeschossen zu werden.

Es ist aber schon auch so, dass da wichtige Infrastruktur getroffen wurde, wichtige Kampf- und Versorgungs- und Transportflugzeuge zerstört wurden.

Für die Ukraine heißt das aber trotzdem nicht, dass es jetzt einfach wäre, an der Front einfach durchzumarschieren.

Das sehen wir im Süden, wo die Offensive immer noch nach drei Monaten nur sehr langsam vorankommt.

Und es gab da sehr hohe Erwartungen, die leider nicht erfüllt wurden.

Und ich habe mich gefragt, was macht das mit den Soldaten, die jetzt an der Front sind?

Und deshalb ist unser Korrespondent Ivo Mainzen in die Südukraine gefahren, um zu verstehen, warum die Offensive der Ukraine stockt.

Ich bin da mit Fugl.

Ivo, ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie es an der Front aussieht.

Beschreib sie mir.

Die Front ist zunächst mal extrem flach.

Das war für mich irgendwie das überraschendste Fluss, was da ist.

Und wir waren in der Nähe des Dorfes Velikanovasilka.

Das ist an einer der wichtigsten Achsen, wo die Ukraine vorrücken wollen.

Und das liegt im Gebiet Saporizia, an der Grenze zwischen Saporizia und Donetsk, also dem Donbass im Südosten der Ukraine.

Und wir waren dort zu dritt mit dem Mainz der Fotografen Dominik Nah, mit dem ich schon mehrfach gearbeitet habe in der Ukraine,

und unserem lokalen Produzenten Kostya.

Und wir haben dann dort zwei verschiedene Brigaden getroffen, einerseits ein bisschen hinter der Front, in einem Trainingsgelände,

und andererseits wirklich in einer sehr, sehr exponierten Position, ganz nahe an den russischen Stellungen.

Und das war für mich also auch eine neue Erfahrung, eine ziemlich verrückte Erfahrung, da so nahe an der Front zu sein.

Wie ging es dir da?

Ja, ausgeregt bin ich dann schon, weil du hast dann deine Schutzweste an und es knallt halt ständig,

und man sieht auch rauch, einmal zischte auch ein Geschoss vorbei, da haben wir dann später gesehen, wo das getroffen hat,

einige Kilometer hinter uns, und da fühlt sich dann der Krieg schon nahe an.

Jetzt hast du ganz am Anfang gesagt, die Ukraine schaffen es nicht, einfach so durchzumarschieren.

Und jetzt, wo du dort bist, kann man das wirklich sagen, die Offensive kommt nur schleppen voran?

Also nimmst du das so wahr dort?

Die Offensive kommt definitiv nur schleppend voran, auch wenn kürzlich mit der Erroberung des Dorfes Robotine ein sehr wichtiger Ort endlich errobert wurde,

aber das dauerte drei Monate.

Im Frontabschnitt von Velika Navasilka, wo wir waren, kamen sie etwa zehn Kilometer voran in drei Monaten,

und nur um das in Beziehung zu setzen, es wurden bisher so um die 500 Quadratkilometer befreit, das ist natürlich viel,

aber es ist sehr wenig im Vergleich zu den 45.000 Quadratkilometer, alleine im Süden, die noch russisch besetzt sind.

Und warum ist das so? Ich meine, als die Offensive losging, da hatten wir ja alle große Erwartungen.

Ich glaube, die hohen Erwartungen hatten viel damit zu tun, dass man das Gefühl hat, das läuft wie letztes Jahr.

Letztes Jahr haben die Ukraine die Russen überrumpelt, sie haben sie überrascht, die Russen haben die Ukraine unterschätzt,

und jetzt aber ist es so, dass die Russen wussten, wo dieser Schlag kommen würde,

und die Russen haben nach dem Gegensatz zum Anfang des Krieges, haben sie sich vorbereitet.

Und wenn du jetzt an der Front bist, wie merkst du das, dass sich die Ukraine an den Russen, wie soll ich sagen, die Zähne ausbeißen?

Wir waren nicht in den Schützengräben, aber die Geschichten, die man hört gleich dahinter, sind natürlich sehr beeindruckend.

Wir waren bei der 110. Brigade der Landwehr in Saporizia.

Das ist eine Einheit, die teilweise seit Kriegsbeginn diese Front hält.

Wir waren auf einem Trainingsgelände, wo einerseits ältere Soldaten, also erfahrene Soldaten, Schießübungen gemacht haben,

und andererseits aber auch frische Infanteristen ausgebildet wurden.

Und wir kamen da an eine solche Ausbildungseinheit heran, wo ein Saper, also ein Saper, das ist ein Spezialist für Minenräumung,

hat den Infanteristen erzählt, welche Gefahren an der Front auf sie warten.

Und der hat ein extrem ungeschminktes Bild dieser Front dargelegt,

hat erzählt, wie die Russen unter Panzerminen, weitere Minen verstecken, um eine Art Falle zu legen,

hat erzählt, wie in den Schützengräben Sprengfallen liegen und die Ukraine da teilweise zerfetzt werden.

Also das war wirklich sehr heftig, dem zuzuhören.

Und man hat auch gemerkt, dass diese Infanteristen, die jetzt nicht wie die durchtrainiertesten Kämpfer aussehen,

sondern relativ frisch warm in unserer Wahrnehmung, die haben den wirklich zugehört,

diesem Luty, Luty hat der Instruktor geheißen, und er hat ihnen erzählt, wie sie einfach vorsichtig sein müssen,

wie sie bei den Minen auch diese Sapöre ihre Arbeit machen lassen müssen.

Und er hat dann aber auch viele Sachen einfach gezeigt, er hat gezeigt, wie er mit seinem Stock die Minen sucht,

er hat aber auch gezeigt, wie man mit 200 Gramm TNT eine Mine in die Luft jagen kann.

Und das hat dann auch ziemlich laut geknallt, das hat mich auch beeindruckt.

Und das ist ein Problem, diese Minen?

Diese Minen sind ein riesiges Problem.

Es gibt viele Experten, die sagen, das sind die größten Minenfelder der Welt, die Russland da gelegt hat.

Um sich das vorzustellen, ein Expert hat mir gesagt, dass auf 20 Kilometer Front über 16.000 Minen liegen.

Also das heißt, da ist alle Meter still, liegt da so eine Mine, die ist überall, die ist auch gestaffelt.

Die Russen haben auch Möglichkeiten, neue Minen außer Distanz wieder hinzuwerfen.

Und die Ukrainer, sie haben Minenräumfahrzeuge, sie haben auch so Möglichkeiten, wie so eine Kette mit TNT,

so außer Distanz in diese Minenfelder zu werfen und die dann so in die Luft zu jagen, das gibt es schon.

Aber es ist auch sehr schwierig, weil natürlich diese Minenräumfahrzeuge sind relativ langsam.

Sie sind groß, sie sind sichtbar, das heißt, die Russen versuchen natürlich auch, die mit Artillerie zu zerstören, wenn sie diese Möglichkeit haben.

Kann man jetzt also sagen, die Minen sind ein Grund dafür, dass es so langsam vorangeht an der Front?

Ja, die Minen sind ein absolut zentraler Grund, dass es nur so langsam vorangeht.

Sie sind aber nicht das einzige Problem, weil wir haben dann im weiteren Verlauf unserer Reise,

sind wir dann ja näher noch an die Front runtergefahren und waren dann bei einer Marinebrigade,

die zu den Einheiten gehört, die den Sturm anführen auf die feindlichen Positionen.

Aber wir waren bei einer Artilleriegruppe, die in so einer Waldhecke sich versteckt hat

und haben dann mitbekommen, wie sie ihr Geschütz, also diese sogenannte Selbstfahrlauffette,

das ist eine Art fahrende Kanone, wie die sie versucht haben, auszurichten, die war schon bereit.

Sie sind da eingestiegen in diese Luke, haben es geladen, haben das Rohr ausgerichtet

und dann kann plötzlich ganz rasch der Befehl über Funk, dass man den Beschuss abbricht.

Und der Grund war, dass jemand im Himmel eine russische Drohne gesehen hat

und man weiß da jeweils nicht so ganz genau, was das für eine ist,

ist das eine Aufklärungsdrohne, ist das eine, die diese Position angreift.

Aber alle wissen, das ist extrem gefährlich, vor allem weil natürlich so ein Schuss Rauch ausstößt,

weil er Lärm macht und die drei Soldaten, die sind also sofort aus diesem Fahrzeug rausgesprungen,

haben den Motor ausgeschaltet, haben das Tarn jetzt drübergespannt und sind zurück in den Schützengeraden gerannt.

Also was heißt denn das genau, also die Drohne, die schafft es eigentlich diesen Schuss zu verhindern?

Ja, Drohnen gibt es überall, man muss sich vorstellen, das ist ein topfebenes Land mit wenig Deckung

und in der Luft fliegen alle möglichen Drohnen, die sind hoch, die sind tief, die sind bewaffnet, die sind nicht bewaffnet,

aber die sehen das und die melden das häufig dann zurück an die russische Artillerie,

die dann so weiß, okay, hier steht etwas Größeres, das auf uns schießt

und das heißt, deren Artillerie schießt dann natürlich zurück

und das ist deshalb so gefährlich für die Ukraine.

Und die Drohnen haben einen absolut zentralen Stellenwert, weil einerseits gibt es wahnsinnig viele,

sie sind relativ billig, sie sind einfach ersetzbar, aber es gibt eben auch eine ganze Reichweite,

es gibt also alles von der Drohne, wie man sie sich vorstellt, die man bei uns bei Frust kaufen kann,

bis zu mehrere Meter langen Drohne, die eigentlich eine Art Kleinflugzeug ist, ein unbemanntes,

die wie ein Kampfchat dann fast schon agiert. Also das ist wirklich eine radikale Veränderung des Krieges

durch diese Drohnen, die alles sehen, die sehr flexibel sind, die schnell sind, die eingesetzt werden können auf ganz verschiedene Arten und Weisen.

Und was bedeutet das jetzt für die Soldaten an der Front?

Die Einheit, die wir gesehen haben, für die bedeutet das, dass sie einerseits extrem vorsichtig sein müssen,

sie müssen zum Beispiel auch häufig ihre Stellungen wechseln, also die werden dann in der Nacht,

diese Stellungen teilweise neu ausgehoben, wird auch das schwere Gerät nur in der Nacht verschoben,

weil am Tag wäre das ja sichtbar. Und es heißt natürlich auch, dass man nicht größere Gruppen von Fahrzeugen oder Soldaten

an einem Punkt an der Front zusammenziehen kann, sondern man muss die Einheiten verteilen,

man kann dann nur mit kleineren Einheiten angreifen und das ist zum Beispiel jetzt auch ein Grund,

warum es eben nur langsam vorwärts geht, weil diese Taktik, die die Ukraine am Anfang hatten,

dass man massiert an einem Ort quasi so blitzkriegmäßig durchstoßen will,

das hat eben nicht funktioniert, weil sie schnell gesehen haben, dass sie da einfach so große Verluste erleiden,

dass sich das nicht lohnt und deshalb versuchen sie jetzt mit kleineren Gruppen, aber das braucht dann natürlich auch mehr Zeit.

Wir sind gleich zurück.

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Also Evo, wir haben die Minen, die Drohnen und das alles in einer Topografie, die den Ukrainien nicht entgegen kommt.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Geduld damit ein bisschen strapaziert wird, sowohl in der Ukraine als auch im Westen, bei der NATO, USA.

Ja, wobei ich auch finde, diese großen Erwartungen, die man da hatte an die Ukraine, waren von Anfang an unrealistisch

und das ist glaube ich auch politisch einfach, war das eine Notwendigkeit, dass man da jetzt schnelle Erfolge haben wollte.

Aber der Druck auf die Ukraine, der steigt, es gibt Kritik aus den USA und es gibt natürlich da auch den Druck,

der sich dann von oben in der Armee nach unten durchsickert

und dass diese Erwartungen jetzt vormarschieren, durchbrechen, reingehen und zeigen, dass man eben Erfolg hat.

Spüren das die Soldaten, die du da besuchst?

Ja, das merkt man schon, weil die sind natürlich auch extrem hungrig.

Es gab auch solche, die tatsächlich wirklich ihre Heimatdörfer durch die Feldstecher eigentlich schon sehen.

Also die wollen da natürlich durchbrechen, wissen aber auch, dass sie halt auch nicht, wie die Russen irgendwie Tausende von Gefangenen haben,

die sie einfach mal kurz irgendwie in die Minenfelder schicken.

Also es ist ja auch eine Armee, die davon lebt, dass die Menschen für ihr Land kämpfen und auch eine Motivation haben.

Und diese Motivation, auch die Moral, das ist extrem wichtig in der ukrainischen Armee.

Und was ich zum Beispiel in dieser Stellung gesehen habe, ist auch diese Diskussionskultur, die sie haben.

Also dass da einfach endlos geredet wird, man raucht, man diskutiert, man schimpft über die Generäle.

Also das hat auch so ein bisschen etwas populistisches irgendwie.

Aber das ist natürlich wahnsinnig wichtig auch für die Psychohigiene.

Und das ist auch ein wichtiger Kontrast, denke ich, zur russischen Armee, wo eine Art von Kadavergehorsam herrscht,

wo man mit Terror und Einschüchterung und auch mit roher nackter Gewalt die Leute an die Front treibt.

Und das ist nicht so bei den Ukrainen.

Und das heißt aber auch, dass kleine Erfolgserlebnisse und einfach diese ständige Formage, auch wenn er langsam ist,

dass das Gefühl bleibt, es geht wenigstens ein bisschen vorwärts, das ist wahnsinnig wichtig.

Und die Ukrainer haben ja Erfolgserlebnisse, also du hast ja vorher ja erzählt von diesen Drohnenangriffen in Russland selbst.

Ja, diese Angriffe sind natürlich extrem wichtig für die Psychologie.

Und es ist für die Russen auch wirklich ein Problem, weil ein Grund oder der wichtigste Grund, warum die Ukrainer da im Süden ja versuchen durchzustoßen,

ist, dass diese Streifen von etwa 100 Kilometer breitet, denn die Russen kontrollieren, dass der relativ schmal ist.

Und wenn die Ukrainer da gelingt, diese Versorgungswege zu unterbrechen oder unter Feuer zu nehmen,

dann ist das eine wichtige Voraussetzung dafür, dass zum Beispiel die Krim nicht mehr versorgt werden kann

und dass die auch entsprechend dann vielleicht aufgegeben werden muss von den Russen.

Also deine Erzählungen sind beeindruckend, was du erlebst an der Front,

aber dennoch wirkt das Ganze, die ganze Situation an der Frontlinie selber, wie festgefahren?

Ja, es ist natürlich eine Enttäuschung da und es ist auch so, dass diese Männer häufig jetzt seit 18 Monaten an dieser Front stehen.

Und das ist psychisch eine sehr schwierige Situation, das ist für alle wahnsinnig schwierig zu ertragen.

Gleichzeitig gibt es eine eigentliche Kriegsmüdigkeit in der Ukraine, glaube ich, nicht.

Es ist doch immer noch das Gefühl da, es gibt keine Alternative, weil die Alternative wäre diese Unterjochen durch Russland.

Und das will man nicht, man will sein eigenes Land behalten, das ist eine große Motivation, aber es braucht Zeit.

Und wie viel Zeit, das werden wir sehen und wer am Schluss den längeren Atem hat, das kann, glaube ich, im Moment niemand sagen.

Lieber Ivo, vielen Dank und pass auf dich auf.

Danke.

Das war unser Akzent. Produzent in dieser Sendung ist Alice Grosjean. Ich bin David Vogel. Bis bald.

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Ukrainische Verbände rückten in den vergangenen Tagen erstmals über russische Panzersperren vor. Doch die Kriegsentwicklungen sind aus westlicher Perspektive eher enttäuschend. Im Podcast berichtet unser Korrespondent Ivo Mijnssen von seiner Reise an die Front.

Host: David Vogel

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/ukraine-krieg-minen-auf-dem-schlachtfeld-im-sueden-und-himmel-voller-drohnen-ld.1752745

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