NZZ Akzent: Ukraine: und jetzt noch Wassermangel

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/10/23 - Episode Page - 14m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird Ihnen präsentiert von Sustainableswitseln.ch

Gemeinsam machen wir die Schweiz nachhaltiger.

NCC-Aktzent.

Ivo, wo bist du da?

Ich bin in der Südostukraine am Fluss Nibro,

gleich unterhalb der Großstadt Saporizia.

Wir sind da unterwegs vom Ufer hinunter zum Flusslauf des Nibro.

Dort steht ein Hobbyfischer, einer von mehreren.

Er ist 63, er hat seit Pensionier gewesen,

hat für einen harten Job gehabt und jetzt fischt er halt einfach.

Und er steht so auf einer Sandbank und überall auf dem Weg,

dorthin hat er so Muscheln gehabt, die knirschen, wenn wir durchgehen.

Und das ist halt deshalb, weil dort früher der Fluss war.

Sogar früher war dort ein ganzer Stausee,

aber Anfang Juni ist weiter unten im Süden der Staudamm gebrochen

und hat die ganze Flusslandschaft massiv verändert.

Der Fluss ist jetzt viel schmaler, 100 Meter statt mehr in Kilometer breit.

Aber der Fischer ist glücklich.

Glücklich? Ja.

Warum ist er glücklich?

Er hat noch nie in seinem Leben so viele Fische rausgezogen,

weil die jetzt gezwungen sind, in einem viel schmaleren Lauf sich zu bewegen.

Und da kann er sich an eine gut positionierte Stelle hinstellen und die rausziehen.

Nach der Zerstörung des Karchow-Kastaudamms Anfang Juni

ist nichts mehr, wie es war in der Region,

erzählt unser Korrespondent Ivo Mainzen, der zum Fluss Nipro gereist ist.

Ich bin David Vogel.

Ivo, ich erinnere mich noch gut an diese Tage, als der Staudamm gebrochen ist.

Wir haben ja eine Folge mit dem Kollegen Andreas Rösch gemacht

und er hat sich sehr besorgt, gezeigt und geäußert.

Das Ausmacht macht so vorgelernt, das ist die größte Katastrophe.

Seit dem Beginn des Krieges.

Das habe ich mir wieder angehört, bevor wir jetzt miteinander reden.

Jetzt überrascht du mich schon ein bisschen, wenn du vom glücklichen Fischer sprichst.

Ja, es ist natürlich ein bisschen irreführend, sogar sehr irreführend,

weil der Fischer ist die Ausnahme.

Nach dem Dammbruch des Karchow-Kadams am 6. Juni war die Sorge riesig,

dass jetzt eine Katastrophe kommt.

Und jene, die das vielleicht nicht mehr so präsent haben,

in der Nacht auf den 6. Juni ist dieser Damm gebrochen.

Es ist bis heute umstritten, ob das Resultat einer absichtlich

durch die russischen Besatzer herbeigeführten Explosion war

oder ob das die Folge einer monatelangen Vernachlässigung durch die Russen waren,

durch die der Damm irgendwann brach.

Auf jeden Fall ist dieser Damm zerstört worden.

Das sind mehrere hundert Kilometer weiter unten von der Stelle, wo ich war.

Und das Wasser dieses Karchow-Kastausees

ist praktisch vollständig abgeflossen.

Und zur Vorstellung der Größenordnungen,

das ist mehr als ein Drittel des Bodensees.

Wie muss ich mir das jetzt vorstellen, wenn du so einen riesigen See hattest

und jetzt stehst du dort und der ist verschmunden?

Wie sieht es dort aus?

Ich glaube, man kann sich den Unterschied auch nur vorstellen,

wenn man es früher gesehen hat.

Ich habe das früher gesehen.

Und das war wirklich, das hieß ja auch das Meer von Karchowka, das ist so breit,

das ist einfach eine blaue Landschaft.

Und jetzt ist aber dieser See einfach weg.

Und dieser See, der war das Lebenselixier für hunderttausende von Menschen dort in der Region.

Das ist eine ländlich geprägte Region.

Es gibt zwar mehrere Kleinstädte, aber sonst sind das viele Bauernhöfe,

auch teilweise große Felder.

Und was ich einfach gemerkt habe, was mich auch beeindruckt hat,

ist, dass der Alltag der Menschen wurde radikal verändert.

Zum Beispiel beim Fischer, den du trist?

Ja, der Fischer ist eines der wenigen Beispiele, wo das positiv ist.

Aber wenn man jetzt zum Beispiel schaut, die Berufsfischer,

für die dieser See natürlich ein extrem wichtiger Ort war,

die haben ja anders gearbeitet.

Die haben Boote gehabt, mit denen sie auf den See gefahren sind.

Diese Boote, die stehen jetzt auf Sandbänken, mehrere Meter über dem Wasserniveau.

Sie durften eigentlich schon seit eineinhalb Jahren

eh nicht auf den Fluss aus Sicherheitsgründen, seit der Krieg begonnen hat.

Aber vor dem Krieg war das wirklich bedeutsam.

Das waren bis zu 2600 Tonnen Fisch pro Jahr, das heißt, diesem See gefangen wurde.

Und jetzt ist der See weg und natürlich auch viele der Fische weg.

Und die Schäden sind schwer zu schätzen.

Ich bin auch nicht sicher, wie verlässlich die Zahlen sind,

aber unmittelbar nach dem Dammbruch haben die Ukraine

etwa 300 Millionen Franken ungerechnet geschätzt.

Und diese Fische, die sind jetzt zum Teil arbeitslos.

Ein Teil ist sicher auch geflüchtet.

Andere haben vor dem Dammbruch illegal gefischt,

aber das ist natürlich heute auch nicht mehr möglich.

Das ist ein ziemlich harter Schicksal für die Fische.

Was ist eigentlich mit den Leuten, die neben dem Fluss gearbeitet haben,

die Bauern zum Beispiel?

Diese Region der Ukraine ist eine der wichtigsten Landwirtschaftsregionen,

also vielleicht sogar weltweit, weil ja auch viele der ukrainischen Getreide

und Mais und andere Landwirtschaftsprodukte werden ja auch exportiert.

Und diese Landwirtschaft blüht.

Das war auch eine dieser sowjetischen Großprojekte aus den 50er, 60er Jahre,

wo man wirklich diese Steppe in eine Landwirtschaftsregion verwandelt hat

durch ein ausgeklügliches Bewässerungssystem.

Es hat überall Kanäle, Gräben, Rohre, die in diesen See eingelassen wurden.

Und darüber hat man eine halbe Million Hektar Land bewässert.

Und auch das, um sich das vorstellen, das ist etwa ein Achtel der Schweiz

und doppelt so groß wie das Saarland.

Riesig?

Ja, es ist riesig, ja.

Und wenn man nun natürlich dort unterwegs ist, da sieht man,

diese Bewässerungsgräben, die sind leer.

Die Felder sind trocken, sie sind oft auch nicht bestellt.

Und das ist natürlich etwas, was auch längerfristig große Folgen hat.

Wir haben ja schon öfters über diese Kornkammer der Ukraine gesprochen.

Also was heißt denn, dass die Bauern die arbeiten gar nicht rund um den Fluss?

Es gibt viele Bauern, die nicht mehr arbeiten können aus Sicherheitsgründen,

auch weil sie geflohen sind.

Aber wir haben tatsächlich auch Bauern getroffen, die dabei waren,

die Wintersaat auszubringen.

Und das sind zwar sehr staubige Felder und zum Beispiel die ganzen

Bewässerungsanlagen, die können sie nicht mehr brauchen.

Aber sie können Dinge wie Raps ansehen.

Und dieser Wintersaat, weil es im Winter mehr regnet,

braucht weniger Wasser, weniger Bewässerung.

Aber es bedeutet auch, dass es halt 30 Prozent weniger Ertrag gibt.

Und die Frage, was dann im Frühling kommt, wo die Bewässerung dann viel

wichtiger ist, die ist sehr ungewiss.

Was ist eigentlich mit all den Menschen?

Du hast ja ganz am Anfang gesagt, doch einige Hundertausend Menschen leben

rund um den nicht mehr existierenden Staudaum.

Ja, es ist natürlich eine sehr schwierige Situation, weil man hat einerseits den Krieg,

man hat die Front, die nahe ist.

Und andererseits hat man in den Städten kein Trinkwasser mehr.

Das heißt, die hatten damals das Trinkwasser direkt aus dem Stause genommen?

Ja, die hatten Röhren, die sie ins Wasser gelassen haben.

Und da der Fluss jetzt tiefer ist, sind diese Röhren natürlich

liegen in der Luft.

Und das sieht man zum Beispiel in der Kleinstadt Marhanetz,

die hatte 70.000 Einwohner vor dem Krieg.

Und dort müssen die jetzt das Wasser tatsächlich über die Eisenbahn bringen.

Die haben Zisternenwagen, die kommen dahin.

Und das wird dann in der Stadt an verschiedenen

Verteilstellen per Lastwagen verteilt.

Und dort gibt es dann so Kanister, wo das Wasser drin ist.

Vieles davon ist sogenanntes technisches Wasser, also was man zum Beispiel zum

Spülen brauchen kann. Trinkwasser ist dann noch einmal etwas anderes.

Und das heißt, dass die Leute wirklich jeden Tag fast dorthin fahren mit ihren

ein bisschen so ruckligen Wägelchen, wo sie so sechs Liter Kanister

und Flaschen drin haben.

Und die müssen dann wirklich jeden Liter Wasser, den sie brauchen,

müssen sie nach Hause bringen und vielleicht bis in den neunten Stock hochtragen.

Und wie gehen die Leute damit um mit dieser Situation?

Für die Leute ist das sehr anstrengend, das nagt an der Moral,

weil im Sommer ist es heiß und du musst dir dann jeden Schritt

in deinem Alltag nicht überlegen, ob du das jetzt machen willst, ob du kochen

willst heute oder nicht, weil du ja Wasser dafür holen musst.

Und dazu kommt eine Latentegefahr.

Machen jetzt liegt nur einige Kilometer entfernt vom AKW Saporizia.

Das ist russisch besetzt.

Da wird immer wieder geschossen.

Das ist sehr gefährdet.

Man hat auch Angst gehabt, dass das kein Wasser mehr hat.

Das ist jetzt nicht ganz so schlimm gekommen.

Aber das hängt wie seine dunkle Wolke über über dem Leben der Menschen.

Und dazu kommen weggeschwemmte Minen, die bewegt wurden

jetzt durch dieses Wasser, das abgezogen ist.

Und drittens natürlich wird doch auch jeden Tag immer noch geschossen.

Die Russen beschießen diese Ufergebiete.

Wir sind gleich zurück.

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und seine Menschen.

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Also eigentlich fast nicht mehr lebenswert dort.

Wenn man es ganz ehrlich sagt, das ist hart.

Ja, das ist sehr hart.

Und viele Leute haben das Gefühl, dass die Russen zuerst sie überfallen haben.

Dann haben sie die ganze Strominfrastruktur versucht, zu zerstören Energie.

Und jetzt haben sie ihnen auch noch den See genommen.

Und die Hoffnung, dass das besser wird, ist nicht sehr groß.

Und wenn dann erst über längere frisst.

Und gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass die ganz, ganz große Katastrophe

ausgeblieben ist. Inwiefern?

Ja, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen zynisch und ich meine,

es ist wirklich nicht so.

Aber man hat ja wirklich auch nicht Angst, dass das alles in kurzer Zeit

zu einer Wüste wird, dass dieser ganze Staub, der auch sehr belastet ist

von den ganzen Schwermetallen aus der Landwirtschaft, von früher,

dass das sich überall hin verteilt mit riesigen gesundheitlichen Folgen.

Und das hat sich teilweise jetzt wirklich nicht als richtiger Wiesen,

weil wir waren dann auch noch unterwegs im oberen Teil

und dort sieht man, dass diese Landschaft sich eigentlich ganz anders

entwickelt hat, als man das vielleicht zuerst befürchtet hatte.

Es hat nicht eine Versandung gegeben,

sondern die Natur hat da Büsche wachsen lassen, Pappeln, Trauerweiden.

Und das ist etwas, was zumindest Diökologen mit den wir geredet haben.

Die sagen, das ist immerhin ein Hoffnungsschimmer

in dieser ganzen tragischen Situation.

Und das heißt, dass da ein neues Ökosystem entsteht,

was natürlich ganz anders ist und extrem schwierig wird

für die Menschen zum Leben und vielleicht auch für viele das Überleben

auf der bisherigen Basis nicht mehr ermöglicht.

Aber die Natur passt sich an.

Und das ist auf eine Weise geschieht, das war nicht niemand so genau weiß,

wie sich das jetzt in den nächsten 10, 20, 30 Jahren entwickeln wird.

Aber so ein kleiner, leises Hoffnungsschimmerschen

ist da am Blün dort oben?

Ja, übers Blut ist die andere Frage.

Aber man merkt schon, also die Ukraine sind ja auch wahnsinnig gut,

darin Hoffnung zu finden in einer sehr schwierigen Situation.

Ich glaube, das macht sie auch so stark und so bereit, weiterzukämpfen.

Weil von außen gesehen denkt man ja schon, das ist so eine schwierige Situation.

Da hätte man vielleicht schon lange aufgegeben und das werden sie nicht.

Liebe Ivo, vielen Dank.

Danke auch.

Das war unser Akzent.

Produzent in dieser Folge ist Malen Oehler.

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Ich bin David Vogel, bis bald.

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Am 6. Juni brach der Damm des Kachowka-Stausees in der Südukraine. Unser Korrespondent Ivo Mijnssen erzählt im Podcast von seinem Besuch im einstigen «Meer von Kachowka» und sagt: «Jetzt müssen die Menschen in der Südukraine auch noch einen akuten Wassermangel ertragen».

Host: David Vogel

Produzentin: Marlen Oehler

Weitere Informationen zum Thema https://www.nzz.ch/international/ukraine-krieg-nach-dem-dammbruch-muss-der-sueden-fast-ohne-wasser-leben-ld.1754982

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