Sternstunde Philosophie: Sind wir zu moralisch, Hanno Sauer?
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) 10/7/23 - 58m - PDF Transcript
Die Diagnose scheint klar. Wir leben in moraliensauren Zeiten, sind umgeben von Moralaposten, leiden
unter Tugendwan. Finden zumindest die einen. Andere sehen es genau umgekehrt. Was ethische
Maßstäbe anbelangt, bleiben wir weit hinter dem zurück, was von uns verlangt wäre, um
eine bessere Welt für alle zu erreichen. Was nun? Brauchen wir mehr oder weniger Moral?
Das klären wir jetzt. Und begrüßen dazu darf ich ganz herzlich Hanno Sauer, er ist Professor für
Philosophie an der Universität Uitrecht und hat dieses Buch hier geschrieben. Moral, die Erfindung
von Gut und Böse. Ganz herzlich willkommen, Herr Sauer. Vielen Dank für die Einladung. Freue
mich sehr, hier zu sein. Ja, Herr Sauer, dieses Buch ist ja erst mal eine Überraschung. Es ist
ein totaler Kassenschlager, wird für einen Preis nach dem anderen nominiert, was man ja eigentlich
erst mal überraschen finden könnte, denn sie sagen selbst, Moral, das klingt nach Kategismus,
nach Keuschheit, nach strengen Regeln. Hat sie das überrascht? Eigentlich nicht. Ich habe es schon
auch mit dem Anspruch geschrieben, ein großes und wichtiges, ein ambitioniertes Buch zu schreiben,
was einerseits anspruchsvoll ist, aber andererseits auch potenziell jedenfalls ein großes Publikum
finden kann. Also insofern hat es mich nicht überrascht, dass es auch gut angekommen ist.
Es war natürlich sehr erfreut darüber, aber überrascht im engeren Sinne hat es mich eigentlich
nicht. Und auch das Thema, glaube ich, ist keins, das unpopulär sein muss. Ich glaube, wir alle suchen
Orientierung, suchen Orientierung in unserem Privatleben, in der modernen komplexen Welt,
in der modernen Gesellschaft, in der wir aktuell leben. Und es ist manchmal schwierig, die Orientierung
auf eine solide, durchdachte, rigorose Weise zu bekommen. Und ich habe einen Versuch gemacht,
jedenfalls ein paar Begriffe zu erklären, die diese Orientierung uns verschaffen können.
Und wir werden auch sehen, dass Sie diese Orientierung so verstehen, dass man auch erst einmal die
Herkunft der Moral dann überhaupt klicken muss. Vielleicht bevor wir einsteigen, Sie sind ja sozusagen
auf der Überholspul unterwegs. Sie sind noch jung, haben bereits eine Professur, eine wirklich
sehr beachtliche Publikationsliste vorzuweisen. Sind Vater von Zwillingen, Pendeln zwischen Düsseldorf,
wo sie leben und Utrecht, wo die Professur ist? Wie machen Sie das alles?
Faulheit, glaube ich. Ja, wer Faul ist, muss Zeitsparen. Und ich glaube, ich bin sehr,
sehr gut darin, aus wenigen Stunden viel rauszuholen. Und ich konzentriere mich wirklich morgens so den
goldenen Stunden des Tages zwischen halb elf und halb eins das meiste abzuluchsen. Und es
mir eigentlich ganz gut gelungen. Wie alt sind denn die Zwillinge? Acht Jahre alt. Acht Jahre,
die lassen dann den Papa auch schon mal arbeiten. Ja, natürlich, die sind ja auch in der Schule.
Und das ist kein Problem. Aber es ist wirklich, man muss sich jeden Tag hinsetzen und so ein
bisschen dieses alte Klische, eine Seite pro Tag, ist das Ziel. Und wenn man das 15 Jahre macht,
dann... Kommt ein dickes Buch raus. Also ich lerne schon mal Ihr Begriff von Faulheit. Das
glaube ich nicht ganz meiner. Aber wir werden uns, glaube ich, in anderen Themen finden. Kommen wir
zu Ihrem Buch. Sie haben ja keine, sozusagen, Moral der Geschichte vorgelegt, sondern eine Geschichte
der Moral. Und dazu gehen Sie weit zurück, nämlich fünf Millionen Jahre. Da beginnt sozusagen diese
Geschichte. Sie sagen damals, haben sich die Savannen ausgebreitet auf unserem Globus. Und die
Menschen waren gezwungen, in Gruppen, in diese Graslandschaften vorzudringen und irgendwie noch
zu Futter zu kommen, gemeinsam zu jagen. Und eine Gesellschaft von Ecomanen hätte das gar nicht
geschafft. Ja, so ist es. Also ich wollte das genealogische Projekt in der Moralphilosophie,
das ein bisschen mit Nietzsche verbunden wird, fortsetzen und auf dem neuesten Stand der Dinge
reartikulieren gewissermaßen. Ich sage manchmal so Nietzsche, aber in wahr. Vielleicht müssen wir
kurz erwähnen, Nietzsche hat diese Genealogie der Moral vorgelegt. Ja, genau, genau. Also die Idee
ist hier nicht, dass wir sowas ein Apriori aus reinen Vernunftsprinzipien ableiten, was unsere
moralischen Pflichten sind oder was unsere Werte sind oder wie wir zusammenleben wollen, sondern dass
man untersucht eine Art archäologisches Projekt hat. Man untersucht, was ist denn die Herkunft unserer
Werte überhaupt? Was sind die wichtigsten moralischen Transformationen, die vielleicht die Menschheit
durchgemacht hat? Nietzsche hat sich da vor allem für diesen Wandel von der antiken aristokratisch-
heroischen Moral hin zur christlichen Mitleids- und Demuts-Moral interessiert. Und was ist das?
Sklavenmoral und die Herdenmoral. Und das natürlich sehr, sehr kritisch beurteilt. Ich habe sieben
Transformationen rausgegriffen, die vor fünf Millionen Jahren anfangen, dann 500.000, 50.000,
5550 und fünf Jahre und versuche so die verschiedenen Elemente, die, glaube ich, entscheidend sind für
unserer Moral, Kooperation, Ungleichheit, Strafen, Abhängigkeit und Lernen von anderen, Vertrauen
und so weiter und so weiter, so ein bisschen zu entschlüsseln und zu erklären, welche Rolle die
für uns als biologisches, kulturelles und sozial-politisches Wesen gespielt haben. Und
interessant ist ja, wenn Sie so beschreiben, dass ich den Eindruck habe, ich verstehe, was Sie
meinen, aber ich verstehe nicht, wie das zum Titel passt, die Erfindung von Gut und Böse, denn Sie
zeigen eigentlich eine Entwicklung von Gut und Böse, die fast schon notwendig erscheint, weil
sie was zu tun hat mit unserer Evolution. Also eine Erfindung ist das dann gar nicht. Der Titel
ist, der Untertitel ist so ein bisschen halb ironisch gemeint eigentlich. Also eine Erfindung, in dem
Sinne, in dem andere technologische Innovationen vielleicht erfunden werden, ist es nicht. Es ist
in gewissem Sinne schon wahr, dass unsere Moral, also die Normen und Werte, nach denen wir leben,
ich sag gerne unsere normative Infrastruktur, in gewissem Sinne eine soziale Konstruktion ist.
Also es ist nicht etwas, was wir in der Natur finden, das liegt nicht rum wie Kieselsteine,
sondern das haben wir Menschen gemacht, größtenteils natürlich unabsichtlich, das ist nicht,
steht kein Masterplan dahinter, sondern das sind verschiedene Prozesse, biologischer Evolution,
kultureller Entwicklung, sozialer Genese und institutioneller Reformen und sozialer Bewegung,
die dazu führen, was die Bausteine dieser normativen Infrastruktur sind. Und das alles
entwickelt sich auch in Wechselwirkungen und in Rückkopplungsschleifen mit technischen
Entwicklungen, mit Wirtschaftswachstum, mit strukturellen Reformen, sozialen Praktiken,
Konventionen und so weiter und so weiter. Und natürlich auch Umweltbedingungen. Also wenn
wir uns jetzt darauf anspielen auf die Frühstuffase, unsere Evolution, dann ist es eigentlich,
haben wir eigentlich eine relativ drastische Umweltveränderung in Ostafrika, die mit dem
ostafrikanischen Grabenbruch zusammenhängt und unsere Vorfahren, wir reden jetzt hier von unserer
biologischen Evolution, also unsere noch nicht menschlichen Vorfahren sind gewissermaßen isoliert
worden und da fanden sich dann in diesem Bereich vor und dann gab es gewissermaßen eine adaptive
Prämie darauf, unsere Kooperationsvermögen zu verbessern, um eben mangelnde Ressourcen besser
zu finden und sich anzueignen, aber auch zum Schutz gegen klimatische Veränderungen oder
gegen große Raubtiere und so weiter. Und damit geht so ein bisschen die Geschichte unserer
Kooperationsfähigkeit als dem eigentlichen Fundament unserer Moral los.
Es gibt ja diesen Spruch, der immer zitiert wird von Bertolt Brecht. Erst kommt das Fressen,
dann die Moral. Sie erzählen es eigentlich ungekehrt. Erst kommt die Moral, dann das Fressen,
weil man hat sozusagen nur Futter auftreiben können, wenn man moralisch unterwegs war,
wenn ich es dir nicht verstehe. Ja, also Bertolt Brecht, es gibt viele Beispiele,
war wirklich ein beeindruckender Dichter und bedeutender Dramatiker, aber als Denker eigentlich
an vielen Stellen ziemlich einfältig. Also gerade so die Äußerungen zu Wirtschaft und wie
Wirtschaft funktioniert oder auch wie unsere Moral funktioniert sind schmissig formuliert,
aber klingen tiefer, als sie eigentlich sind. Und dieser Satz ist ein gutes Beispiel dafür,
der ist nämlich komplett falsch. In Wirklichkeit liegt es, gibt es diesen Konflikt zwischen unserer
Moral und dem Eigeninteresse in dem fundamentalen Sinn gar nicht. Natürlich, was es gibt, ist, wenn
man erstmal Kooperationsformen hat und Formen des moralischen Zusammenlebens, dann gibt es immer
wieder natürlich auch Möglichkeiten opportunistisch davon zu profitieren. Also manchmal kann es schon
sein, dass das egoistische Eigeninteresse in die Einrichtung zieht und das, was moralisch geboten
wäre, in die andere Richtung zieht. Aber dass im Großen und Ganzen wir schlecht, sozusagen es nicht
in unserem eigenen Interesse wäre, moralisch zu leben oder uns von moralischen Normen und
Werten irgendwie einschränken zu lassen, das ist wirklich das Gegenteil der Wahrheit. Wir profitieren
an jeder Stelle von den potenzialen, kooperative Gewinne einzustreichen, die uns durch moralische
Normen überhaupt erst ermöglicht werden. Also es ist in unserem individuellen Eigeninteresse
im Großen und Ganzen jedenfalls eine Moral zu haben, kooperativ zu leben und uns auch an
diese moralischen Normen und Werte zu halten. Und in diesem Sinne meinen Sie auch den Satz,
den Sie schreiben, wir sind eigentlich die Nachkommen der Freundlichsten. Oder seine
Selektion, die sozusagen die Moral dann bevorzugt hat, auch wenn es immer Einzelne gab, die sehr
egoistisch unterwegs waren, insgesamt gesehen wurden diejenigen belohnt, die kooperativ altruistisch
waren. Also ich glaube eine, nicht die einzige, aber eine, ein guter roter Faden durch unsere
Moralgeschichte, durch die Entwicklung unserer normativen Infrastruktur ist sich auf die
Entwicklung und die Zunahme unserer Gruppengrößen zu konzentrieren. Technisch bezeichnen wir das
manchmal als die Skalierbarkeit von Kooperationsstrukturen. Das ist ja nicht trivial, wie schafft man es
von kleinen Familien oder Stammesgesellschaft mit vielleicht 15 Mitgliedern, dann 50 Mitglieder,
dann vielleicht 600, 1200 und so weiter. Da braucht man oft ganz neue institutionelle Lösungen und
neue normative Werkzeuge, um diese Skalierungsschritte durchmachen zu können. Und ein wichtiger
Schritt ist eben, dass das Gruppen eben unter dem Druck zu großer Impulsivität oder Aggression
oder Tyranny auch zu Kollabierendrohnen, zu Kollabierendrohnen. Das heißt, man muss irgendwie
eine Lösung dafür finden, wie geht man mit den aggressivsten und unkontrolliertesten und
antisozialsten Mitgliedern in der eigenen Gruppe um, wenn man den nächsten Skalierungsschritt,
den nächsten Schritt des Anwachsens der Gruppengröße gewissermaßen mitmachen will. Eine große Gruppe,
die mit disziplinierteren, freundlicheren, auch konformistischeren Mitglieder ausgestattet ist,
hat da einfach bessere Chancen stabil zu sein. Und wir sehen das eben auch in der Menschheitsentwicklung,
dass das oft einfach dadurch gelungen ist, dass die aggressivsten und impulsivsten Mitglieder von
der Gemeinschaft einfach ermordet worden sind. Und ansonsten haben wir auch punitive Institutionen,
also soziale Sanktionen, Strafinstitutionen erfunden, die nochmal die Gleichung so ein bisschen in
Richtung von Freundlichkeit und Disziplin und kooperativen Verhalten verändern. Wir gehen so sehr
im Schnellzug durch diese Entwicklung durch, weil wir ja vor allem auch über die Gegenwart sprechen
wollen, wie ich es schon angekündigt habe. Machen wir den Schritt zu vor 500 Jahren. Das war so eine
extreme Zäsur. Unter anderem, weil wir da gelernt haben oder begonnen haben, auch Fremden zu vertrauen,
weil eben diese Gruppen so viel größer geworden sind. Wie ist uns das gelungen und was ist da
sozusagen der krasse Schritt, den wir gemacht haben? Ja, also dieses Phänomen bezeichnet man als
impersonale Prosozialität. Das ist verwandt auch mit dem Gedanken des expandierenden Kreises der
moralischen Gemeinschaft, des expandierenden Kreises von moralischem Status. Darf ich Sie da
ganz kurz unterbrechen, weil ich glaube, wir müssen auch sagen, woher dieser Ausdruck kommt,
das nämlich von Peter Singer, die Expanding Circle. Peter Singer, ein ganz einflussreicher
Moralphilosoph, der auch schon in dieser Sendung war. Und er hat dieses Bild eigentlich geprägt,
in diesem Buch 1981 schon. Und vielleicht können wir auch ganz kurz, um das ein bisschen deutlich
zu machen, ich habe jetzt keinen Kreis, ich habe einen Gummiband. Also es ging eigentlich darum,
dass man eben diesen Kreis des Altruismus der Moral begonnen hat, auszudehnen, also dass
man nicht mehr nur diese kleinen Gruppen hatte, das man gesagt hat, nur die Leute in meiner Familie
zählen oder vielleicht noch ein bisschen, fast gleich groß, ein bisschen größer, noch diejenige,
irgendwie meines Tribes, meines Stammes, sondern auch alle Bürger und Bürgerinnen, bis hin dann
eben irgendwann alle Menschen oder sogar alle Tiere. Das ist sozusagen die Idee. Ja, alle leidensfähigen
Wesen. Also Peter Singer hat diesen Ausdruck, diese Phrase popularisiert, ursprünglich aus dem
19. Jahrhundert von William Lecky aus A European History of Morals, wo diese diese Phrase zum
ersten Mal so benutzt wird, Expanding Circle. Und die Idee ist eben in der Tat auch hier wieder
ist die Frage, wie schaffen wir das überhaupt oder was sind die Mechanismen, die dazu führen,
dass wir überhaupt sozusagen über unser eigenes Individuum hinauskommen. Dass sie erst mal
schon erklärungsbedürftig, wenn es, wenn die Evolution angeblich so eine Art Survival of the
fittest ist, aber jedenfalls eine Art kompetitiver Prozess, dann ist ja jede Hilfeleistung, die ich
anderen Menschen angedeihen lasse, erst mal erklärungsbedürftig, weil das stellt ja,
stellt ja, stellt ja sozusagen Nachteil für mich da, das stellt Kosten für mich da,
die irgendwie kompensiert werden müssen. Man hat vor gar nicht allzu lange Zeit erst wirklich
verstanden, wie das funktionieren kann. Das wird inzwischen erklärt mit dem Begriff inklusiver
Fitness oder Kid Selection. Am Ende erklärt sich sozusagen die ängste Stufe unseres moralischen
Kreises oder des Kreises unserer moralischen Gemeinschaft haben, dass wir, dass wir anderen
Individuen Sympathie und Hilfe angedeihen lassen, weil die unsere eigenen Gene tragen. Also das
ist eine Verwandtschaft und unsere und die Bereitschaft dazu, sich altrüstisch zu verhalten,
die nimmt auch ab mit dem Koeffizienten, der mit dem Verwandtschaftsrat gewissermaßen, also schon
bei Cousins, erstens gerade das Zweiten Gratzen und so weiter, nimmt das dann stark ab und irgendwann
sind es Fremde und die interessieren wir uns erst mal gar nicht mehr und die Familie ist das
Wichtigste. Und das ist eine, ein weiter Art, wie man den, wie man diesen roten Faden der Menschheitsgeschichte
oder der Entwicklung unserer, unserer Moral, unserer Norm und Werte erzählen kann, nämlich indem
man sich auf diese Expansion des Kreises des moralischen konzentriert. Und da muss man eben
gucken, was waren die Mechanismen, die es uns erlaubt haben, über diesen engsten Familienkreis
hinaus zu, hinaus uns zu entwickeln. Ein weiterer Mechanismus, der eine große Rolle spielt,
ist Reziprozität. Also ich helfe dir heute, du hilfst mir morgen oder du hilfst mir heute, funktioniert
auch nur in einem relativ kleinen Kreis, weil natürlich sozusagen die soziale Buchführung
irgendwann sehr, sehr, sehr schwierig wird. Schon wenn man 100, 200, 300 Mitglieder in der Gruppe hat,
dann wird es schwer zu überprüfen, wer hat wem geholfen und wie viel. Das muss ja auch alles
irgendwie stimmen. Also braucht man wieder neue Mechanismen, um Kooperation herzustellen. Strafen
spielt nochmal eine stabilisierende Rolle. Kulturelles Lernen, also Lernen von anderen, vor
allem das Lernen von Normen und Verhaltensregularitäten und Konventionen führt dann nochmal zu einem
Anwachsen. Und dann sind wir irgendwann sozusagen am Umbruch in die Moderne angelangt. Und das ist
ein großes Rätsel, was viele Soziologen und Historiker und Wirtschaftswissenschaftler versucht
haben, zu entschlüsseln. Warum ist es manchen Gesellschaften gelungen, sozusagen den Übergang
in die Moderne zu schaffen? Was hat diesen Übergang überhaupt erzeugt? Und es gibt viele Vorschläge,
viele bekannte Vorschläge. Max Weber's protestantische Ethik ist so ein bisschen ein großer Faktor,
dass es sozusagen eine religiöse Grundlage hat, warum in manchen Gesellschaften eine Rationalisierung
der Wirtschaft und des intellektuellen Lebens und der Technologie und der Wissenschaft und so
weiter und so weiter stattgefunden hat. Aber das erklärt ja auch erst mal nicht, warum, wie
kommt es überhaupt, dass sozusagen der Protestantismus an manchen Orten entstanden ist oder protestantismusartige
religiöse Weltanschauungen an manchen Orten entstanden sind oder an manchen Orten nicht. Was
ist eigentlich die fundamentale Ursache? Und da gibt es verschiedene Vorschläge. Der Klassiker vor
vielen hundert Jahren war natürlich ein rassistischer Vorschlag. Es gibt einen manchen Menschen, die
haben einfach höhere kognitive Kapazitäten. Deswegen ist das so und so passiert. Und andere
Menschen nicht. Inzwischen wissen wir, dass das nicht der Fall ist. Jared Diamond hat einen
geografischen Vorschlag gemacht. Er hat gesagt, das liegt an der Ost-West-Ausrichtung des
errasischen Kontinents und an den kultivierbaren Spezies in Flora und Fauna. Und das erklärt
aber natürlich auch nicht, warum die Moderne so aussieht, wie sie aussieht und warum sie da
entstanden ist, wo sie entstanden ist. Und ich glaube, inzwischen haben wir den korrekten
Erklärungsversuch oder wirklich den bei weitem besten Kandidaten dafür, woher kommt die Moderne
und woher kommt auch die Moderne moral mit Individualismus. Jedenfalls der Idee von
Individualismus. Ich bin sehr gespannt, jetzt kommt das Weiß. Die kann ich nicht hin aus dem Hut.
Genau, ich glaube, dass die korrekte Erklärung eine ist, die vor sehr kurzer Zeit erst von Joseph
Henrik vorgeschlagen wurde, der ein Buch geschrieben hat, das nennt sich The Weirdest People in the
World, also die seltsamsten Menschen der Welt. Und Weird ist ein Akronym, also besteht aus
Anfangsbuchstaben, die für Western-educated, industrialized, rich und democratic stehen. Also die
Frage ist, woher kommt sozusagen diese besondere Formation, dieses Individualismuspaket, dass
wir in manchen Weltregionen finden, vor allem Zentral Europa und den kolonialen Projekten von
Zentral Europa, Amerika, Australien und so weiter und so weiter. Was macht das aus und was ist die
kausal Erklärung, warum es so entstanden ist? Und der Vorschlag, den Henrik macht, der wirklich mit
großer Detailversessenheit und mit großer Sorgfalt empirisch untermauert wird, ist, dass es eine
eigentlich 1000 Jahre andauernde Entwicklung war, in der die westliche Kirche, die die Verwandtschaftsstrukturen
in Zentral Europa zerstört hat. Und das hat am Ende dann dazu geführt, dass die ganze westliche
Gesellschaft auf ein ganz neues Paket von Institutionen verfallen ist, die eben mehr auf
freiwilliger Partizipation beruhen und weniger auf Verwandtschaft und Blutsbeziehung.
Und die These ist natürlich auch umstritten. Es gibt immer wieder auch Kritik daran. Ich würde da
jetzt auch gar nicht gerne so tief noch einsteigen darauf, sondern mehr vielleicht auch noch einmal
verstehen. Es geht auch um diesen Individualismus, der entstanden ist und die These oder die Idee,
dass wir eben auch Fremden vertrauen können. Noch einmal zurück zu Peter Singer, weil er hat
dieses Bild eigentlich so gezeigt, dass er gesagt hat, das Gummiband oder der Kreis definiert,
was unser Altruismus ausmacht. Der Bereich des Altruismus, der ist in diesem Kreis angelegt. Und die
Dehnung, sagt er, ist eigentlich eine Leistung der Vernunft, der Rationalität. Dass wir verstehen,
guck mal, ich habe zwar jetzt nicht sofort eine Sympathie für diese Person oder sofort den Drang
zu helfen, aber der ist genauso leidensfähig wie ich. Und das ist eine Leistung der Vernunft.
Ja, das kann ja nicht wahr sein. Es kann nicht wahr sein, weil es das Timing dieser Entwicklung
überhaupt nicht kritte Vernunft und Denkvermögen und Sprache und so weiter gibt es ja schon seit viel
längerer Zeit. Aber was wir rausgreifen müssen, ist, was sind genau die Kausalmechanismen,
die das zu dem Zeitpunkt haben, stattfinden lassen? Und wenn es eine Fähigkeit gibt,
die wir schon seit vielen tausend Jahren haben, dann kann das nicht die Erklärung dafür sein,
was zu der Entwicklung von impersonaler Prosozialität und dieser sozusagen letzten großen Expansion
des moralischen Zirkels geführt hat. Ich sage nicht, dass die Vernunft unwichtig ist dafür,
wenn man diese Entwicklung erstmal hat und diese institutionellen Reformen im Gange sind und sich
Bahn brechen, dann ist es auch sehr nützlich, wenn es intellektuelle und Denker und Wissenschaftler und
Philosophen und so weiter und so weiter gibt, die das zu durchdenken versuchen und die normative
Infrastruktur, die sich ohnehin schon entwickelt, auch intellektuell zu durchdrängen versuchen. Aber
ursächlich kann das eigentlich nicht primär sein. Und das ist glaube ich ein ganz wichtiger Punkt in
diesem Gespräch, nämlich zu unterscheiden zwischen der Begründung moralischer Normen,
also zu fragen, warum sollten wir den Kreis dehnen? Und da bin ich natürlich sofort immer mit dabei,
wenn es um die Vernunft geht. Und auf der anderen Seite zu fragen, wie hat sich das durchgesetzt?
Warum haben wir diese Schritte gemacht? Warum sind wir heute in der Lage überhaupt zu fragen,
was schulden wir beispielsweise Menschen im Sahel oder so ähnlich? Und das finde ich interessant an
Ihnen und an Ihrer Profession, dass Sie auch Philosoph sind, Moralphilosoph auch, Sie sind
Ethiker. Normalerweise befassen sich diese Menschen mit der Begründung von Normen und Werten. Sie
interessieren sich aber sehr viel mehr für die Genese oder zumindest in diesem Buch. War das
schon immer so und wird das so weitergehen? Nicht immer, nicht immer. Aber ich glaube, die
Genese, es gibt diesen Schaffertrennung zwischen Genese und Geltung gar nicht zwischen, zwischen
Herkunft und Rechtfertigung. Und ich glaube, die, die, ein Wissen darum, was die Ursprünge eines
Prozesses, einer Meinung, einer sozialen Praxis sind, kann uns etwas darüber mitteilen, ob diese
Überzeugung, diese Theorie, diese soziale Praxis eine gute Idee ist. Also das ist kein Vernunftskeptizismus.
Ich bin absolut ein Verteidiger dieses Aufklärungsprojekts. Alle meine sechs Bücher, die ich
mich sehr geschrieben habe, enden mit dem Wort Vernunft. Das stimmt, das ist mir hier auch
aufgefallen. Habe ich sogar angestrichen, weil ich dachte, wie kann das jetzt sein? Ich frage
dazu behaupten, dass das kein Zufall ist. Ist es auch nicht? Also ich glaube absolut an das, an
das Projekt. Ich glaube nur, dass Vernunft eben auch etwas, das ist ein reales Phänomen. Das ist
sozial eingebettet. Das ist nicht etwas Gott gegebenes, was in unseren Köpfen lebt, sondern das
ist etwas, was wir als soziale Wesen miteinander etablieren und aussortieren und rausfinden,
worin diese Vernunft eigentlich besteht. Das ist auch hart, auch eine institutionelle Seite. Es gibt
sowas wie epistemische Gemeinschaften, Netzwerke und so weiter und so weiter. Das alles ist unsere
Vernunft. Und wenn man das verstehen will, muss man eben auch die Genealogie auf eine empirisch
solide Art und Weise dieser sozial eingebetteten Denkens verstehen. Und dann sieht man schon,
dass die Verbindung zwischen Genese und Geltung schon etwas enger wird. Natürlich gibt es Fälle,
in denen die Genese einer Idee gar nichts sagt über die Rechtfertigung der Idee. Vielleicht hatte
ich eine super Idee. Ich bin Physiker und hatte eine schöne heiße Tasse Kaffee heute Morgen. Und das
hat mich auf die Idee gebracht, die dann bahnbrechend war. Da hat natürlich sozusagen die Tatsache,
dass ich Kaffee getrunken habe, hat jetzt epistemisch, also was die Rechtfertigung angeht,
gar nichts damit zu tun, ob das eine gute Idee ist oder eine schlechte Idee. Aber man kann solche
Fälle konstruieren. Aber ich glaube, in den meisten Fällen sind die Überzeugung, Theorien, Begriffe,
Konzepte, die wir uns ausdenken, sehr, sehr eng verbunden mit dem sozialen Kontext. In dem
sie entstehen werden auch ausgelebt in sozialen Kontexten. Und wenn man dann verstehen will,
ob das gute Ideen sind, dann ist es mindestens hilfreich, auch zu sehen, was die Herkunft
für sozialen Praktiken war. Bevor wir jetzt zur Gegenwart kommen, vielleicht zum Schluss
dieses Teils noch darüber sprechen mit Ihnen, gibt es eigentlich moralischen Fortschritt. Also Sie
sind da vorsichtig pessimistisch, obstimistisch. Sie sagen, es gibt so was, moralischen Fortschritt.
Es gab 2020 ein Buchtitel von Markus Gabriel, moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten. Und er hat
sozusagen auch für die Möglichkeit von moralischen Fortschritt plädiert, hat aber gesagt, erst mal
leben wir in sehr verdunkelten Zeiten. Die Vernunft kommt dann abhanden aufgrund von postfaktischen
Gegebenheiten zum Beispiel. Aber wir weigern uns auch, sagt er, zu einer Erkennung, wie sehr wir
verkettert sind in ganz ungute Zustände, die beispielsweise die Klimakrise vorantreiben oder
die globale Armut. Was für ein Moralzeugnis haben wir im Moment Ihrer Meinung nach? Und gibt es diesen
moralischen Fortschritt? Also gucken Sie optimistisch in die Zukunft, werden wir noch mehr dazu lernen?
Es ist eine schwierige Frage. Ich bin so 51 Prozent optimist. Und ich bin so ein bisschen
intragenerationell pessimistisch und intergenerationell optimistisch. Also ich glaube, dass jede
Generation eigentlich aus denselben Menschen mit derselben moralischen Qualität bestehen.
Es ist so mittelmäßig eigentlich wie alle. Aber zwischen den Generationen, also im sozialen
Wandel, wenn man so ein bisschen raussumt und sich größere Zeitabschnitte anguckt, dann
scheinen Mechanismen zu greifen, die einen Fortschrittspotenzial haben, dass auch nicht selten
genutzt wird. Das ist so ein bisschen die moderate, sehr qualifizierte optimistische Version dieser
Fortschrittsthese. Es mag sein, dass wir in dunklen Zeiten leben. Aber für die Fortschrittsfrage
ist ja nicht die Frage, wie dunkel die Zeiten sind und ob sie heller sind als früher. Das ist,
glaube ich, definitiv der Fall. Es gibt ganz, ganz viele Parameter, die man sich angucken kann,
was menschliches Wohlergehen, menschliche Freiheiten und Möglichkeiten angeht, soziale Gleichheit,
Rechte von Minderheiten und so weiter und so weiter. Und in so gut wie jeder Hinsicht und auch
an so gut wie jedem Ort, natürlich nicht ohne Ausnahmen und nicht so schnell wie wir das
gerne hätten und oft unvollkommen und oft frustrierend langsam, finden diese Verbesserungsentwicklungen
statt, diese moralischen Dynamiken hin zu auch moralischer Verbesserung und einem besseren
Leben für eine größere Gruppe von Menschen zu egalitären und inklusiveren Bedingungen. Das ist
eigentlich, glaube ich, worin moralischer Fortschritt besteht. Und nochmal, es kommt auf die
komparative Frage an. Das ist richtig, aber es kommt auch auf die komparative Frage drauf an,
was in unserem Vermögen steht. Weil das, was Sie jetzt so ein bisschen erzählen, ist ja auch die
Geschichte von zum Beispiel Steven Pinker oder Juwanua Harari, die alle betonen, dass Böse in der
Welt hat abgenommen, die Gewalt hat abgenommen, die Kriege haben abgenommen. Auch beide waren
auch schon in dieser Sendung zu Gast und haben das genau so formuliert. Aber wir können uns ja auch
fragen, welche Möglichkeiten hatten wir früher, die Welt zum besseren zu verändern und heute
scheinen wir mehr Möglichkeiten zu haben. Nutzen Sie aber vielleicht nicht hinlänglich. Insofern
kann man ja fragen, was vergleicht man womit und bleiben wir nicht stärker als früher vielleicht
hinter unseren Möglichkeiten zurück? Ich glaube, das ist auch alles richtig, was Sie sagen. Deswegen
sage ich auch 51 Prozent. Da gibt es ja dann noch die 49 Prozent Pessimismus. Was sicherlich nicht
stimmt, ist, dass es eben so eine naive, lineare Fortschrittsgeschichte gibt. Es gibt keine
Notwendigkeit, es gibt keine Gesetzmäßigkeiten, es gibt keinen Weltgeist, der das irgendwie
diktiert oder der hier marionettenspielerartig die Geschichte orchestriert zu irgendeinem Ziel
moralischer Vervollkommenung hin. Genau, also diese teleologischen Weltbilder, also zielgerichteten
Weltbilder, die gibt es in allen möglichen Varianten. Auch in religiösen Weltanschauungen gibt es
auch oft so eine Vorstellung, dass die Reise irgendwo hingeht, dass es so ein bisschen so ein
Marsch in die Versöhnung gibt irgendwie oder ein nüngstes Gericht und danach ist irgendwie
auch geklärt, wer was verdient und wie die Ewigkeit gestaltet werden soll. Also so was gibt es
nicht. Es gibt kein definitives Ziel, es gibt kein ideales utopisches Welt-Szenario auf das wir
uns zu bewegen, es gibt keine Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte, die das diktieren. Das stimmt
alles. Es gibt immer das Potenzial des Regresses und des Rückfalls in noch dunklerere Zeiten. Ich
denke, das ist die große Lektion, die das 20. Jahrhundert uns beigebracht hat, dass es eigentlich
keine Garantien gibt, egal wie modern eine Gesellschaft ist, egal wie ausgebildet die
wissenschaftlichen Institutionen sind oder der Kunstbetrieb usw., dass das alles keine
Garantie, keine definitive Absicherung gegen einen Rückfall in die Barbarei und die Immoralität
bietet. Das ist alles wahr und das ist sozusagen die pessimistische Lektion, die wir haben lernen
müssen und die man auch im Kopf behalten sollte. Also das soll kein naiver Optimismus sein,
aber ich glaube schon, dass wir sehen, dass am Ende instabile moralische Normen und instabile
politische Gemeinschaften auch aus Gründen instabil sind, nämlich weil die Gesellschaften
so organisiert sind, dass es keine, dass zum Beispiel manche Menschen oder manche Gruppen von
Menschen nicht von diesen Institutionen so profitieren, wie sie profitieren könnten, als
nicht inklusiv genug ist, nicht gleich genug auf Knechtschaft und Ausbeutung basiert und oft sieht
man, dass diese Gesellschaften auch unter Druck geraten und irgendwann dann auch zugrunde gehen.
Ob sie zugrunde gehen, wissen wir jetzt noch nicht, was das heute anbelangt, aber damit sind
wir eigentlich in den heutigen Verhältnissen. Sie sagen auch, wie immer man diesen Fortschritt
jetzt denken mag, wo immer wir stehen, es ist so, dass der Fortschritt auf jeden Fall eine Art
Überschuß erfahren hat in unserer Zeit. Wir sind gereizt da, wir sind irgendwie in einer
Überschüssigkeit gefangen und oft wird das unter dem Stichwort der sogenannten Wokeness
gelabelt. Was ist genau passiert? Kann man das ganz kurz zusammenfassen? Ganz kurz vielleicht nicht,
aber ich glaube, wir haben eine relativ gute Idee, was da passiert ist. Man muss nicht Wokeness
nennen, man kann es Identitätspolitik nennen oder progressive moralische Reformvorschläge oder
wie auch immer, aber Wokeness ist auch okay, auch wenn das oft inzwischen so ein bisschen abwertend
benutzt wird. Am Ende geht es darum, einen Versuch zu machen, die normativen Ideale,
die unsere moderne Gesellschaft ausmachen, auch wirklich umzusetzen. Und man muss das so ein
bisschen auch als sozialen Prozess sehen, indem wir alle miteinander darum ringen, zu verstehen,
was das heißen könnte. Das Problem ist ja, dass die Gesellschaft, die wir ererbt haben,
diesen Idealen an vielen, vielen, vielen Stellen in keiner Weise genügt, was Gleichheit zwischen
Geschlechtern oder Ethnien usw. betrifft und wir wollen irgendwie rausfinden, wie kommen wir
denn von A nach B? Also Wokeness ist eigentlich... Einige wollen das rausfinden, einige sind doch
auch ganz glücklich, dass wir das noch nicht erreicht haben oder die publieren davon. Einige Leute
sind im Status quo natürlich sehr verhaftet, aber ich glaube, da gibt es auch gute Gründe dagegen.
Normalerweise sind ja soziale Reformvorschläge ernst zu nehmen und verkörpern oft auch gut
ideale und gute Ideen. Und die Vorstellung, dass welche Hautfarbe man hat oder welches Geschlecht
oder welche sexuelle Orientierung keinen Einfluss darauf haben sollte, wie es einem geht in unserer
Gesellschaft. Das ist ja eigentlich eine sehr, sehr, sehr weiten akzeptierte Vorstellung. Und die
Frage ist so ein bisschen, jetzt, wo wir nun mal die Gesellschaft dieses störrische Beast ererbt haben,
dass wir ererbt haben. Wie kommen wir denn jetzt von A nach B? Also wir haben eigentlich sozusagen eine
soziale Bewegung, die sich darum kümmert, ein Übergangsproblem zu lösen und wie diese
Übergang stattfinden soll, das weiß keiner so recht. Und manchmal kommt es da eben auch zu
Exzessen oder zu Übergriffen oder zu einem übertriebenen Moralisieren vielleicht. Das kann
dann auch mal problematisch werden, aber im Großen und Ganzen haben wir eben es mit diesem
Phänomen zu tun, dass wir bestimmte Normative Ideale haben. Das sind auch gute Ideale. Die
Gesellschaft, die wir ererbt haben, genügt diesen Idealen nicht. Und wir versuchen kollektiv rauszufinden,
wie wir unsere Gesellschaft diesen Idealen etwas näher bringen können. Und dabei gibt es manchmal
Exzesse und auch strategisch ungünstige Akteure, die sich vielleicht in diesen sozialen Bewegungen
hervortun und so weiter, dass das alles war. Aber das ist erstmal das hier, was hier passiert. Wir
wissen, dass es auch empirisch extrem gut belegt, dass je ökonomisch reicher und politisch stabiler
Gesellschaften werden, auch ein Wertewandel stattfindet. Die Hauptachsen dieses Wertewandels sind
eigentlich, dass sich die Werte umstellen von einer großen Betonung auf überlieferte Traditionen,
vielleicht auch religiöse Autoritäten und existenzielle Sicherheit, also Stabilität,
Recht und Ordnung, geringe Toleranz gegenüber Vielfalt und Ambiguität und so weiter. Und
diese dann findet eine Abkehrstadt eben im Verbund mit ökonomischem Wohlstand und politischer
Stabilität, findet eine Abkehr von Traditionen, Religion und existenzieller Sicherheit statt,
hin zu individualistischen Werten wie Authentizität, Freiheit, Autonomie, Toleranz gegenüber
Diversität. Und das kann man sehr, sehr, sehr gut belegen, dass dieser Trend immer in dieser Art
und Weise stattfindet. Das ist auch ein globaler Trend, also das ist nicht nur eine regionale Mode,
die jetzt an der Ostküste von Amerika und vielleicht in manchen Taschen in Mitteleuropa
stattfindet, sondern das ist ein globaler Trend, nicht immer gleich schnell und nicht immer gleich
steil, aber im Grunde genommen ist das ein globaler Trend. Und ich glaube, was passiert ist,
ist, dass dieser Trend eben eintritt, weil die relative Wichtigkeit von diesen postmateriellen
Werten eben zunimmt, in dem Maße, in dem unsere materiellen Nöte im Grußen und Ganzen eigentlich
also müssen wir vielleicht kurz übersetzen, wir brauchen nicht mehr, noch mehr Geld, um genug zu
essen zu haben oder um heizen zu können, sondern wir investieren sozusagen in unsere Identität,
unser Standing, unser Status. Ganz genau, diese postmateriellen Werte werden eben relativ
wichtiger und daraus entstehen eben neue Kämpfe um Anerkennung, Kämpfe um Identität. Genau, das ist
sozusagen die Beschreibung jetzt dieser Identitätspolitik. Ganz genau, das ist sozusagen die Beschreibung
der jüngsten Geschichte, die hier steht, sondern der großen Trend in der jüngeren Geschichte
unserer Moral. Und dann hat das irgendwann eben diesen identitären Twist bekommen. Ist nicht so ganz
klar, warum das passiert ist. Eine Möglichkeit wäre, dass natürlich in der Regel die USA kulturell
so ein bisschen dominant sind und kulturell besonders einflussreich. Und da ist natürlich der Rassenkonflikt,
also was man dort als Rassenkonflikt bezeichnet, zwischen der weißen Mehrheit und der afroamerikanischen
Bevölkerung, besonders beschäftigt, besonders die Aufmerksamkeit und hat dann vielleicht
die sozusagen dieser Trend, der überall stattfindet, hat dann eben diesen identitätspolitischen Charakter
als gleichsam als Rassenkonflikt und als Nullsummspiel zwischen der Mehrheitsbevölkerung,
Amerika und der afroamerikanischen Bevölkerung so ein bisschen diese Gestalt angenommen und
sich dann verteilt auf den Rest der Welt. Also was heißt Nullsummspiel in diesem Kontext? Man muss
ja schon sagen, die afroamerikanische Bevölkerung ist klarerweise extrem diskriminiert, nach wie
vor, schon nur wenn man die Zahlen anschaut, wie oft Menschen überprüft werden, auf ihren Pass hin,
wie viel öfters Personen verhaftet werden und so weiter. Ist es schon auch oder eine klare
Diskriminierung, die dann gegangen ist? Absolut, absolut. Also das bestreitet dieser Begriff auch
gar nicht. Aber die Idee ist dabei so ein bisschen, dass das identitätspolitisches Denken immer so ein
bisschen eine Art Nullsummspiel aufmacht, weil eben sozusagen die Vorteile für die eine Gruppe
als Nachteile für die andere Gruppe verstanden werden. Es wird nicht für alle etwas gewonnen. Also es gibt
keine Interaktionen, die für alle positiv sind, sondern die Gewinde der einen Gruppe sind die
Nachteile der anderen Gruppe. Machen wir es vielleicht genau an diesem Punkt konkret, weil genau das,
was Sie beschreiben, man kann ja sagen, diese ganze Wognesbewegung, auch wenn sie jetzt zum Teil
sehr kritisch gesehen wird, die hatte auch extrem viel Gutes, weil gewisse Anliegen deutlich
formuliert worden sind, weil man vielleicht gerade zum Beispiel auch in einem Land der Schweiz
erst in den letzten Jahren noch einmal verstärkt über Alltagsrassismus zu sprechen begonnen hat,
beispielsweise, aber es gibt eben auch diese Kritik, dass es eine Diskursverarmung geben würde
und wir hören ganz kurz Ijoma Mangold zu, der war bei uns zu Gast an einem Stammtischphilosophie,
wo es um Cancel culture ging und er bedauert genau diese Diskursverarmung, wie er das nennt.
Wir leben seit fünf, sechs Jahren sehr stark in einem öffentlichen Diskurs, bei dem der
kulturell hegemonial und die Meinungshoheit hat, der ein möglichst hohen Opferstatus für
sich beanspruchen kann. Sie sprechen die ganze Zeit von den Minderheiten, als wären das gewissermaßen
die Schwächsten der Schwachen. Ich glaube, wir leben längst in einer ganz anderen Gesellschaft,
wo die, wo es einem gibt dafür auch den Begriff der Opfer-Olympiade, der klingt erst ein bisschen
zynisch, beschreibt aber sehr viele Prozesse in der Öffentlichkeit ziemlich genau. Je mehr
gewissermaßen sie sich zurechnen können, einer kollektiven Gruppe, die historisch gesehen
als Opfergruppe dargestellt wird, desto stärker ist ihre Stimme, desto glaubwürdiger. Und dann heißt
es immer, wenn jemand an anderer Meinung ist, der möglicherweise weiß und alt ist und männlich
oder gar ein Zitzmann ist, was heute sogar das Schlimmste ist, dann heißt es, lasst doch mal
erst die Betroffenen zu Wort kommen. Wer nicht selber betroffen ist, kann überhaupt nicht mitreden.
Und das finde ich auch wieder so ein Moment der Diskursverarmung, weil es immer schade ist,
wenn jemand nicht mitreden kann. Eine Diskursverarmung als Resultat dieser jüngsten Bewegungen?
Vielleicht, aber für wen? Was neue Normen führen ja auch immer Einschränkungen mit sich.
Aber manchmal profitieren ja manche Leute davon, dass manche andere Leute bestimmte
Dinge nicht mehr tun dürfen. Also natürlich ist es eine Einschränkung, wenn ich meiner
Sekretärin nicht mehr einen Klapp auf den Po geben darf. Das ist natürlich erst mal eine Sache,
die ich mal tun durfte, vielleicht in den 70ern und die ich inzwischen nicht mehr tun darf.
So eine Einschränkung für mich. Aber sich darüber zu beklagen wäre ja Paradox, weil
das ist natürlich ein klaren Vorteil darstellt für eine andere Gruppierung. Also allein die Tatsache,
dass etwas eine verarmende oder beengende Wirkung erst mal zu haben scheint,
aber es heißt doch nicht, dass es keine gute Idee ist. Manche Dinge sollen ja enger werden.
Manche Dinge sollen ja verarmen und manche Handlungsoptionen sollen nicht mehr zur Verfügung
stehen. Das ist erst mal eine Sache. Natürlich gibt es diesen Begriff Cancel Culture. Es wäre aber
auch ein Irrtum, so zu tun, als sei das etwas Neues. Normen werden immer überwacht und durchgesetzt.
Es gibt immer auch schon soziale Konsequenzen dafür, dass man sich ungeschickt oder problematisch
oder unmoralisch ausdrückt. Das hat es auch immer schon gegeben. Also die Vorstellung, dass Cancel
Culture irgendwie schlimmer geworden ist, die ist, glaube ich, offensichtlich nicht korrekt. Unser
moralischer Diskurs ist auch nicht überhitzt heute, als er mal war. Man muss sich ja nur angucken.
Das ist ja schon eine merkwürdige Vorstellung, dass sozusagen die politischen Spaltung in der
Weimarer Republik irgendwie weniger extrem gewesen sein sollten, als die, die es heute gibt.
Das ist, glaube ich, nicht sehr plausibel. Andererseits gibt es natürlich auch bei diesem Begriff
Identitätspolitik Wokeness und den strategischen Mitteln, die von den Mitgliedern dieser Bewegung
gewählt werden, um ihre Ziele durchzusetzen. Da muss man auch legitim mit Kritik dran üben dürfen.
Es gibt ja wie bei allen sozialen Bewegungen auch strategische Kräfte, die die guten Ziele dieser
Bewegung mit schlechten Mitteln ausstatten können. Und dann sieht man manchmal, dass zum Beispiel
bestimmte Formen der Kritik zu häufig angewendet werden, dass bestimmte moralische Begriffe oder
Begriffe oder Elemente unseres moralischen Vokabulas ungenau verwendet werden. Und das darf man dann
auch kritisieren. Ich fand interessant in Ihrem Buch, dass Sie sagen, eine Begründung, warum sich
sozusagen der Diskurs über Werte und Normen sehr stark ins Symbolische verschoben hat. Und mit
Symbolisch meinen Sie sowas wie, wir streiten über Gendersterne, wir streiten über Toiletten,
die gemischt geschlechtlich sind oder was auch immer. Diese ganzen Fragen, warum sich das verschoben
hat, hat auch damit zu tun, dass da schneller Landgut zu machen sei. Also Strukturen, Institutionen
zu verändern, die soziale Ungerechtigkeit befördern, ist sehr viel härtere Arbeit,
als diese symbolischen Dinge zu verändern. Jetzt ist die Frage natürlich auch, Landgut machen
für wen. Weil das ist etwas, was mich oft beschäftigt, dass ich mich auch oft frage, wer macht
hier eigentlich Land für wen gut? Weil manchmal sind diese ganzen Diskurse ja auch dazu da einfach
das eigene Image aufzupolieren. Und dann sind wir bei diesen Stichworten der Tugendprozerei zum Beispiel,
die ich am Anfang erwähnt habe. Also, dass man sich in Rage redet oder in den sozialen Medien
etwas postet, um sich selber einen noblen Anstrich zu geben und zu zeigen, ich stehe auf der richtigen
Seite, ohne wirklich im Blick zu haben, was die Effekte sind sozialer Natur, die man wirklich
bewirkt kann. Ich glaube, wir haben so eine atmoralische Ungeduld. Wir scheinen doch zu wissen, wie
unsere Gesellschaft sein soll. Wir scheinen doch zu wissen, was Gleichheit und Gerechtigkeit und so
weiter bedeuten und wie die Gesellschaft aussehen soll. Dass man nicht benachteiligt sein sollte,
nur weil man dieses oder jenes geschlechtert oder diese oder jene sexual Orientierung oder diese
oder jene Haupt-Hautfarbe. Und dann ist es frustrierend zu sehen, dass es so schwer ist,
unsere Gesellschaft auch zu steuern, dass sie diesen Idealen genügt. Das erzeugt so eine
atmoralische Ungeduld, glaube ich. Und irgendwann wird die Frustration so groß, dass man sich irgendeinen
Kanal sucht, den man ändern kann. Große Gesellschaften sind komplex und sehr steuerungsunwillig. Aber
was man machen kann, ist natürlich, man kann unser Sprechen und unser Denken oder erst mal
unser Sprechen, unser Vokabular modifizieren, weil das allemal viel leichter zu ändern ist als
störrische, komplexe Träge, Institutionen. Und das ist auch so ein bisschen passiert. Und das ist
das, was mit dieser Verlagerung auf Symbolische meine, dass wir eben das ändern, was leicht zu
ändern ist, auch wenn es eigentlich gar nicht so wichtig ist am Ende und so so so schwerwiegende
Konsequenzen hat. Was es nicht falsch macht, sondern was mir einfach zeigt, warum die Energie
dahin fließt. Genau, das ist erstmal verständlich und es ist auch nicht, dass es gar nicht wichtig
wäre, denn ein inklusives Vokabular sich auszudenken, das ist ja auch was Gutes. Wir sollten
ja zum Beispiel Menschen nicht mehr als Krippel bezeichnen oder so, als nahe das sind alles gute
Entwicklungen gewesen. Wir brauchen keine eigenen Wörter für Minderheiten und das alles abzuschaffen,
ist sicherlich auch eine gute Entwicklung gewesen, aber ist das natürlich nicht die ganze Arbeit.
Und das lädt irgendwann dann auch diesen Vorwurf, dass Sie sagen, Sie sagen jetzt Tugend-Prozerei,
manchmal sagt man Virtue Signalling, also moralische Selbstdarstellung, moralische Effekt-Tascherei,
manchmal auch, dass sozusagen die Idee ist hier, dass der Fokus so stark auf sprachlich symbolische
verlagert wird, dass man am Ende völlig die Aufmerksamkeit verliert für die echten materiellen
Veränderungen, die man schon zugutekommen soll. Obwohl man Sprache immer auch weltgestaltet,
auch das wissen wir natürlich aus der Philosophie. Lassen Sie mich dazwischen was ganz anderes fragen.
Ich höre Ihnen fasziniert zu, Sie können wahnsinnig schnell unglaublich viel Wissen in Sätze packen
und produzieren. Können Sie das auch auf Niederländisch? Weil Sie müssten wahrscheinlich nicht
recht auf Niederländisch. Muss ich nicht, es findet was alles auf Englisch statt. Also ich versuche
es zu vermeiden, es ist eine schöne Sprache und ich spreche sie auch manchmal in Meetings,
aber da geht dann schon viel, viel kognitive Kapazität auch in die Sprachverarbeitung rein.
Ich kann es schon, aber ich fühle mich auf Deutsch und Englisch ein bisschen wohler.
Und wird Ihnen manchmal gesagt, Sie sprechen zu schnell?
Ja, ich habe mich schon mal gehört. Vielleicht, wir haben in Schweizer...
Kann mich ein bisschen zügeln. Vielleicht, das Schweizer Publikum ist manchmal langsamer,
wie Sie sprechen, vielleicht. Aber ich genieße das auch sehr, ihr hohes Tempo und ihre hohe Energie
auch für diese ganze Sache, die mich ja auch sehr, sehr umtreibt. Kommen wir zurück zu unserem
Thema, was ich auch wahnsinnig interessant finde und da sind auch so ein paar ganz Marke Gesetze
in diesem Buch drin ist, dass Sie sagen, beruhigt euch mal. Also in diesem ganzen Streit, den wir
haben, glauben Sie, dass doch viele Meinungsverschiedenheiten, die wir haben, recht oberflächlich
sind und unten drunter sagen Sie, sind wir uns eigentlich doch großso modo einig. Das ist eine
sehr schöne Nachricht, nur vielleicht glauben Sie die meisten nicht. Das mag sein, aber das ist,
glaube ich, das, was die empirischen Studien zeigen. Empirische Daten zeigen, dass diese
Polarisierungsdiagnose, die oft vorgeschlagen wird als eine der großen Krisen unserer modernen
Gesellschaft, dass wir so wahnsinnig polarisiert sind und extreme Meinungen vertreten und einander
nur noch anschreien, dass die so ein bisschen missverstanden wird. Also Polarisierung im engeren
Sinne gibt es eigentlich nicht in der Form, in der wir das normalerweise meinen. Also ein extremer
werden von Meinungen findet nicht so sehr statt. Es gibt eine größere Sichtbarkeit der extremen
Meinungen und eine größere Unsichtbarkeit sozusagen der nicht so extremen Mitte. Und wenn
Sie sozusagen die extremsten ein Prozent auf der einen Seite und die extremsten ein Prozent auf
der anderen Seite gegenseitig anschreien, dann hat man den Eindruck, es gäbe nur diese extremen
Meinungen, aber in Wirklichkeit gibt es da ja natürlich 98 Prozent viel moderatere Personen in
der Mitte, die vielleicht ein viel größeres Verständigungspotenzial haben. Das ist auch so
einen großen Teil, ein Phänomen, das natürlich durch soziale Medien noch verstärkt wird. Aber das
ist erstmal eine Sache. Und was in einem Wahlkampf, wir sind in der Schweiz gerade in einem
Wahlkampf, wir haben im 22. Oktober Wahlen in der Schweiz, da sagen Sie, ist es natürlich auch
ein sehr probates Mittel sozusagen, die Ränder zu bedienen. Also weil es viele Themen gibt,
bei denen man in den Parteien sogar gleicher Meinung sind, alle Schweizer Parteien führen zum
Beispiel das Wort der Freiheit im Parteiprogramm, ist es dann ganz probat sozusagen, die Ränder zu
bedienen und mit den wirklichen Pole-Problemen zu arbeiten. Absolut, es gibt sogenannte
Spaltungsthemen in der Politik und es lohnt sich ja nicht, auf Themen rumzureiten, die die andere
Partei auch vertritt. Man will ja sozusagen kämpfen, um das Quantum der Wählerschaft, das sich noch
auf die eigene Seite rüberzerren lässt und dafür lohnt es sich eben auf diese Spaltungsthemen
zu konzentrieren, die noch kontrovers sind. Und das erzeugt dann den Eindruck, es gäbe nur
diese Spaltungsthemen, dabei gibt es in Wirklichkeit vielleicht einen großen Hintergrundkonsens,
der nur nie thematisiert wird, weil man damit keine Wähler gewinnen kann. Das ist auch schon
ein bisschen eine politische Dynamik, die diesen Eindruck verstärkt, dass wir wahnsinnig polarisiert
sind. In Wirklichkeit ist das aber ein Artifakt unseres politischen Wettbewerbs.
Sie sagen in dem Buch auch einen Satz, der überall zitiert wird, nämlich wir sind gar nicht
unterschiedlicher Meinung, wir hassen einander nur. Und alle Medien haben sich natürlich gefragt,
ist das eigentlich jetzt wirklich eine Beruhigung? Ja, ich dachte immer, das ist eine gute Nachricht.
Ich dachte immer, das ist eine gute Nachricht, das Polarisierung, das stimmt. Also ich bin da
auch so ein bisschen unsicherer geworden, jetzt, wenn in dem Maßen, dem ich mich darüber oft
unterhalten habe. Ich dachte immer, es ist eigentlich eine gute Nachricht, dass die Polarisierung,
die wir zu sehen glauben, eigentlich ein Oberflächenphänomen ist. Es gibt eigentlich gar nicht wirklich
robuste, verfeindete Ideologien. Es gibt gar nicht wirklich unterschiedliche Gesellschaftskonzepte,
die die meisten Menschen haben und die diese Unversöhnlichkeit erzeugen. Sondern es gibt
eigentlich so Gruppenidentitäten und dann eine Aversion zwischen diesen Gruppenidentitäten. Da
gibt es auch viel empirische Belege dafür, dass das so ist, dass Polarisierung also eigentlich kein
ideologisches Phänomen ist. Politikwissenschaftler sagen gerne, die meisten Menschen sind eigentlich
ideologisch unschuldig und haben gar keine durchdachte politische Ideologie, sondern wählen das,
was der Vater gewählt hat oder wählen das, was die Freunde wählen oder was sie immer gewählt haben.
Und die Polarisierung, die wir sehen, ist eigentlich mehr ein affektives Phänomen. Also man kann die
anderen Leute, die zu vermeintlich anderen Gruppen gehören, einfach nicht so sehr leiden, weil das
sind die Gehör nicht zu, das sind nicht Leute wie wir oder das zu denen gehöre ich einfach nicht. Und
ich nehme mich nicht wahr, als jemanden der dieser Gruppe Sympathien entgegenkommen lassen sollte.
Das ist diese affektive Polarisierung. Ob das eine gute Nachricht ist, ich glaube schon, weil eben
dass das keine ideologisch tiefgehenden Konflikte sind, sondern oberflächliche Identitäts-Aversionen,
die, wenn man die erstmal als solche durchschaut hat, glaube ich auch leichter zu überwinden sind.
Ich finde das wirklich wahnsinnig faszinierend, wie Sie es beschreiben. Aber jetzt noch einmal,
ist doch schon ein Stück weit die Frage, wie weit wir bereit sind, das Gummiband auszudehnen.
Also um jetzt mal ein konkretes Beispiel zu nehmen, die Migration. Es macht doch doch einen sehr
großen Unterschied und ich würde doch sagen auch einen ideologischen Unterschied und nicht einfach
nur die Frage zu welcher Gruppe gehöre ich jetzt, sondern wirklich eine ideelle Unterscheidung. Ob ich
der Ansicht bin, erst einmal bin ich verantwortlich für den ganzen Globus, für alle Menschen und das
ist eine humanitäre Pflicht, dass alle hierher kommen können, die irgendwie jetzt nicht nur an
Leib und Leben bedroht sind, sondern die einfach auch Lust haben zu migrieren und vor allem die
einfach auch zu wenig Auskommen haben in den Ländern, wo sie leben. Oder ob wir sagen nein,
wir sind zuerst verantwortlich für unsere Tribes und wir müssen gucken, dass es unserem Start gut
geht und es ist eben keine humanitäre Pflicht allen irgendwie ein gutes Auskommen zu ermöglichen.
Ja. Also da sehe ich jetzt nicht nur Horst, sondern wirklich Meinungsverschiedenheiten.
Das stimmt. Aber das ist glaube ich kein Widerspruch. Natürlich ist es ein großer Unterschied, ob man offene
Grenzen hat und Migration erlaubt oder ob man geschlossene Grenzen hat und Migration nicht erlaubt,
vor allem für die betroffenen Menschen, die vielleicht an bestimmte Orte gehen wollen und sich
ihr Leben aufbauen wollen, aber das nicht dürfen. Das ist ein großer Unterschied natürlich. Aber der
Grund dafür, warum die meisten Menschen entweder das eine glauben oder das andere glauben, ist nicht,
weil die Leute das wirklich sozusagen tief durchdacht haben und sich die empirischen Belege und
die philosophischen und politischen Argumente dafür angehört haben. Sondern es ist mehr oder
weniger, ich gehört der und der Gruppe an und deswegen bin ich für Migration oder ich gehört
der und der Gruppe an und deswegen bin ich gegen Migration. Das ist viel oberflächlicher und wenn
man erst mal auf das Level kommt, wo man sich wirklich damit befasst, was sind denn die ökonomischen
Argumente für oder wieder? Was sind denn die politischen Argumente für oder wieder? Dann glaube
ich, gibt es auf einmal ein viel viel größeres Versöhnungspotenzial und dann redet man rational
miteinander und diese Unversöhnlichkeit und Inkompatibilität von Ideologien, die ist
wirklich gleich nur oberflächlich. Na ja, den zweiten Teil den glaube ich noch nicht. Ich glaube
einfach die Bereitschaft ist nicht so sehr da, wirklich auf Argumente einzugehen, aber kommen wir
noch mal zum ersten Teil ihres Arguments, das Sie nämlich sagen und auch das fand ich wahnsinnig
interessant. In Tat und Wahrheit sind unsere politischen Überzeugungen viel volatiler als wir
meinen. Wir halten uns für unglaublich viel mit unseren Überzeugungen, aber Sie zitieren da eine
Studie von der Universität Lund, die gibt ganz verschiedene Studien, aber diese eine Studie,
die ich jetzt im Blick habe, wurde 2016 anlässlich des Präsidentschaftswahlkampfers in den USA gemacht.
Da hat man Passanten angesprochen in Parks in Manhattan und hat sie gebeten zwischen Donald
Trump und Hillary Clinton auf einem Skiberregler einzustellen, wenn sie zum Beispiel für vertrauenswürdig
erhalten, für ehrlicher oder auch für erfahrener. Da gibt es eine Untersuchung,
Erfahrung, quasi Auszuweisen und da gab es zum Beispiel dann Probanden, die eingestellt haben,
94 Prozent für Hillary Clinton, zugunsten von Hillary Clinton und man hat dann dieses
Platz sozusagen in den Skiberregler zurückgegeben nach einer Weile und zwischenzeitlich manipuliert,
also die Person, die 94 eingestellt hatte, kriegt ihr den Skiberregler zurück mit 56.
Ohne das zu wissen. Geheim manipuliert worden.
Genau. Und sie wurde gebeten zu begründen, warum 56, obwohl sie auf 94 eingestellt hat. Und das
Interessante daran ist, die Person konnte das absolut problemlos. Die hat nicht irgendwie gesagt,
was? Ich habe doch 94 eingestellt, sondern 56. Ja, dann sage ich was dazu. Und damit wollen
sie zeigen, die Umgebung, die beeinflusst uns massiv. Wenn uns jemand das Gefühl gibt, 56 ist okay,
dann begründen wir 56. Ja, so ist es auch. Also das Phänomen politischer Choice Blindness,
also Entscheidungsblindheit. Man weiß eigentlich gar nicht, welche Entscheidung man getroffen hat. Und
wenn man falsches Feedback bekommt, dann sagt man, na gut, dann wird das schon mal eine Entscheidung
gewesen sein. So funktioniert unser Denken übrigens ganz im Allgemeinen. Wir haben gar
nicht so diesen introspektiven Zugang zu unserem eigenen Verstand. Wir nehmen immer externe Signale,
um sozusagen uns selbst zu deuten, was wir eigentlich glauben. Wir haben gar nicht so einen
Zugang zu unseren eigenen Überzeugungen, sondern wir nutzen genau die gleichen Hinweise, die auch
andere Menschen haben, wenn sie unser, unser Verhalten, unsere Überzeugungen zu deuten versuchen.
Und in dem Fall kann man das eben mit politischen Meinungen zeigen, die noch mal instabiler sind
und oberflächlicher und volatiler und unwegbarer als andere Überzeugungen. Und das kann
eigentlich auch gar nicht anders sein. Denn aus das hängt mit der logik kollektiven Handels zusammen.
Manchmal bezeichnet man dieses Phänomen ja der Oberflächlichkeit und ideologischen
Unschuld unserer politischen Meinungen und Einstellungen als rationale Irrationalität. Also
es ist eigentlich rational, politisch irrational zu sein. Und der Grund dafür ist einfach, dass
ich die Vorteile meiner politischen Überzeugung, die stärken meine Gruppenidentität, die geben
mir so ein Gefühl, dass ich moralisch integer bin und so weiter, die gehen alle an mich. Aber die
Nachteile meiner irrational und evidenzfrei geformten politischen Meinungen, die Nachteile
davon, also der Konsum von Irrationalität, den kann ich ja an andere Menschen abgeben
gewissermaßen und meine Wahle Entscheidung, die macht sowieso keinen Unterschied. Deswegen kommt es
nicht so darauf an, ob das wirklich eine gute Entscheidung war. Das ist bei den meisten Konsum
Entscheidungen eigentlich anders. Wenn ich mir einen Fernseher kaufe oder wenn ich die Straße
überquere, dann gehen die Vor- und Nachteile dieser Entscheidungen beide an mich. Aber bei
politischen Meinungen oder der Übernahme von politischen Meinungen ist das anders. Ich kann die
Vorteile internalisieren, die Nachteile externalisieren. Und weil das für alle von uns gilt,
deswegen konsumieren wir alle zu viel politische Irrationalität, was nicht gut ist für unser
Gemeinwilch. Ich bin natürlich jetzt ein bisschen enttäuscht. Ich bin eine überzeugte Demokratin und
wir haben Wahlen hier. Ich werde einen Wahlzettel ausfüllen und Sie sagen mir jetzt eigentlich,
entschuldigen Sie Frau Bleisch, Ihr Wähler wille da. Das ist gar nicht wirklich eine
autonome Entscheidung. Sie machen einfach, was Ihre kleine Gruppe Ihnen als gut vorstellt.
In aller Regel ist das so, ja. Nein. Doch, das sagen die empirischen Belege zu Wahlverhalten.
Man kann ja untersuchen, warum diese oder jene Person dieses oder jenes Wahlverhalten an den
Tag legt. Und in den allermeisten Fällen natürlich gibt es eine kleine Gruppe, die eine Ausnahme
darstellen, die sehr gut informiert sind und sich sehr gut auskennen und sehr hohe Expertise haben,
was politische Abläufe an. Aber die überwältigende Mehrheit kommt nicht mal annähernd in die Nähe von
politischem Wissen, entweder allgemeines Wissen oder konkreteres Wissen, was die Tagespolitik angeht,
dass in irgendeiner Weise deren Wahlentscheidung als besonders qualitativ hochwertig auszeichnen
würde. Das sind wirklich die Fakten. Aber als Philosoph müssen Sie doch den Anspruch haben,
dass wir irgendwie empfänglich sind für rationale Argumente und dass wir uns auch weiterbilden,
dass wir uns weiterentwickeln und dass wir interessiert daran sind, wirklich das Richtige zu
vertreten. Ja, aber wir sind nicht sehr empfänglich für rationale Argumente. An Ansprüchen kann man
ja auch scheitern. Der Anspruch bleibt auch gut und ich glaube, es lohnt sich auch weiter darüber,
weiter sehr intensiv darüber nachzudenken, wie wir diesem Anspruch gerechter werden könnten. Aber
de facto werden wir ihm oft nicht gerecht. Und da machen Sie auch einen Vorschlag und dann möchte
ich zum Schluss unbedingt noch besprechen, weil ich den auch so schön finde, nämlich den sogenannten
ideologischen Turing-Test, der stammt von Brian Kaplan, den Sie da auch einführen. Erklären wir
vielleicht kurz. Es gibt den Turing-Test aus den 1950er-Jahren, glaube ich. Da geht es eigentlich
darum, dass man hinter einem Tuch sitzt oder hinter einer Wand sitzt und eine KI unterhält sich
mit einem echten Menschen. Man hört zu und von dem Moment an, wo man nicht mehr unterscheiden kann,
sprechen da zwei Menschen oder eine KI und ein Mensch hat diese KI sozusagen menschliche Intelligenz
in einer bestimmten Art und Weise erlangt. Sie sagen jetzt ideologischer Turing-Test funktioniert
so, dass ich sozusagen meinem Gegner erklären soll, was er denkt, so dass er sagen kann,
genau so denke ich. Dann haben wir den ideologischen Turing-Test bestanden. Was ist eigentlich eine
gute Übung, oder? Ja, es ist eine sehr gute Übung und viele Leute sind überrascht, wie schwer
das vielen Menschen fällt. Wir neigen dazu, eben die andere Seite auch zu dämonisieren und als
korrupt verblödet oder bösartig darzustellen und haben wenig Verständnis dafür, dass vielleicht
auch die politischen und moralischen Überzeugungen der Gegenseite oder der als solche wahrgenommenen
Gegenseite vielleicht gar nicht so übel sein können. Und dieser ideologische Turing-Test ist
eben so ein bisschen ein Vorschlag. Man sollte eigentlich an politischen Debatten erst dann
teilnehmen, wenn man die Position der Gegner so artikulieren kann, dass die Gegner diese
Artikulation akzeptieren würden. Und erst in dem Moment kann man eigentlich sagen, ich habe wirklich
die Gegenseite so verstanden, dass man dann darüber reden kann, wer denn eigentlich recht hat.
Also es geht hier gar nicht darum sozusagen, die andere Seite zu übernehmen, sondern erst mal auf
einen Level zu kommen, auf dem dann vernünftige Meinungsverschiedenheiten aussortiert werden können.
Und es ist eigentlich ein ganz guter Vorschlag, ein bisschen ein provokativer Vorschlag auch. Und
es ist interessant zu sehen, wie viele Leute diesen Test nicht bestehen würden. Ich finde so
interessant, dass Sie diesen Test ja selber vorgemacht haben. Sie haben nämlich als einzigen
Philosophen, den ich kenne, ein Paper publiziert in einem Peer Review Journal, The End of History.
Und kurze Zeit später eine Reply, also eine Gegendarstellung zu sich selbst geschrieben. Das
Paper wurde auch publiziert. Das heißt, Sie haben eigentlich selber diesen ideologischen Turing-Test
bezogen auf philosophische Positionen vorgeführt. War das hier anliegen, sozusagen zu zeigen,
guckt mal, ich kann eigentlich auch gegen mich mit sehr guten Gründen argumentieren.
Ich glaube schon, ich bin sehr starker Anhänger dieser Idee, dass man mit seinen eigenen Thesen und
Meinungen nicht verheiratet ist. Dass man eigentlich unpersönlich sich verhalten sollte gegenüber
philosophischen Theorien, Konzepten und Begrifflichkeiten. Und dass es keine emotionale oder persönliche
Sache ist, was man glaubt. Jetzt habe ich dieses Paper geschrieben. Die Hauptthese war so ein
bisschen, wir schenken der Geschichte der Philosophie zu viel Aufmerksamkeit und die
ganzen toten Typen zu lesen. Das ist gar nicht so produktiv und gar nicht so interessant. Und habe
schon ein bisschen versucht, auch zu bestabilieren, warum das so sein könnte. Und Leute haben sich
wahnsinnig angegriffen gefühlt, wahnsinnig emotional reagiert und das wahnsinnig persönlich
genommen. Was ja auch interessant ist, weil gerade Sie darauf pochen, dass wir die Geschichte verstehen.
Genau, genau. Es ist auch interessant, weil natürlich, es gibt natürlich auch andere Attacke. Und zum
Beispiel gibt es ja sogenannte moralischen Nihilisten, die behaupten, alle moralischen Kategorien sind
eigentlich wertlos und sind so was wie ein Hexenjagd. Aber eigentlich die normativen Ethiker, die sich
mit Moralprinzipien und kantischer Ethik und Unitalismus beschäftigen, die sich von dieser
Person eigentlich nicht persönlich angegriffen. Also ich habe auch manchmal so ein bisschen das
Gefühl, dass die Tatsache, dass solche Attakten persönlich genommen werden, auch so ein bisschen
daherruhe, dass das vielleicht, dass die Menschen selbst den Verdacht haben, es könnte
vielleicht was dran sein. Es gibt ja diesen schönen englischen Satz, the wicked flea when no man
pursueth. Also die Schuldigen nehmen Reis aus, auch wenn niemand sie verfolgt. Und man hat
so ein bisschen Eindruck, dass das jeder Fall war. Und dann habe ich eben verfolgt, okay, was sind
denn jetzt die besten Gegenargumente, die gegen meine Argumente vorgeschlagen wollen? Vieles davon war
wirklich blamabel in vielen Fällen, nicht in allen Fällen, aber in vielen Fällen. Und ich habe
so ein bisschen versucht, durch die Reaktionen mich durchzusortieren. Was sind denn die besten,
woraus kann man wirklich was lernen? Und dann hatte ich irgendwann sozusagen ein Dokument, das habe
ich gedacht, das kann ich auch ausformulieren. Und dann dachte ich, das ist eigentlich ganz nett,
wenn ich das so schreibe, als habe das eine dritte Person geschrieben über mich, das sind auch
einige ziemlich wüste Beschimpfungen an mich gerichtet in diesem Paper, das ich selbst über mich
selbst geschrieben habe. Das haben aber offenbar die die die anonymem Gutachter nicht moniert,
vielleicht weil sie es ganz gut fanden, dass ich endlich mal beschimpft werde, ohne zu wissen,
dass ich selber bin. Und ich wollte damit so ein bisschen performativ, glaube ich, auch zeigen,
dass man philosophische Thesen nicht persönlich nehmen muss und dass es nicht wehtut, seine
Meinung zu ändern. Ich hätte natürlich jetzt größte Lust, ihnen zu sagen, wir machen in einer
Woche dasselbe Gespräch noch einmal und tauschen die Stühle und streiten von der anderen Richtung
her, weil das scheinen sie besonders zu mögen. Ich danke Ihnen wirklich sehr für dieses großartige
Gespräch. Dankeschön, hallo Sauer. Vielen Dank.
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Hanno Sauer, Philosophieprofessor in Utrecht, sorgt mit seinem Buch «Moral. Die Erfindung von Gut und Böse» gerade für Furore. Vielleicht, weil das Thema so polarisiert? Barbara Bleisch fragt den Jungstar der Philosophie, ob wir es mit der Moral gerade übertreiben.
Die Entwicklung der menschlichen Moral hat schon viele Denker beschäftigt: Allen voran natürlich Friedrich Nietzsche in seiner «Genealogie der Moral», aber auch Yuval Noah Harari oder Rutger Bregman. Hanno Sauer, der sich gerade als neuer Star der öffentlichen Philosophie entpuppt, hat mit seinem neuen Buch eine weitere umfangreiche Globalgeschichte unserer Werte und Normen vorgelegt. Am interessantesten liest sich das Buch, wenn es um die neueste Geschichte geht. Sauer gibt sich nämlich trotz überreizter Debatten über «Wokeness», «Tugendterror» und «Moralismus» versöhnlich: Die Polarisierung in unserer Gesellschaft hält er lediglich für eine «Sortierung». Im Grossen und Ganzen seien wir uns über die zentralen moralischen Werte einig. Wirklich? Barbara Bleisch hakt nach und analysiert mit dem jungen Professor die moralische Grammatik unserer Gegenwart.