NZZ Akzent: Sie erforschte Ehrlichkeit. Und log

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 8/28/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

Hi everyone. I am so sad that I am not currently attending the Gala for Thinkers 50.

Was hören wir da?

Wir hören gerade Francesca Gino. Sie sitzt wahrscheinlich in ihrem Büro.

An der Harvard Business School im Hintergrund sehen wir die Bücherwände, die sich da türmen bei ihr.

Und sie hält gerade einen Preis, einer von vielen Preisen, den sie bereits erhalten hat.

Den Thinkers 50-Rewort vor ca. 3 Jahren.

Und sie hält jetzt ihre Dankesrede für diesen Preis.

Jetzt musst du mir aber noch schnell sagen, wer ist Francesca Gino?

Francesca Gino ist eine preisgekrönte Wissenschafterin, noch relativ jung, erste 45 Jahre jung,

Professorin an der Harvard University.

Sehr produktiv, hat bereits mehr als 120 Artikel publiziert in ihrer jungen Karriere.

Und ist wahrscheinlich das, was man entstarne in dem Bereich der Verhaltenswissenschaften.

Sie fordert vor allem auch zu Fragen der Ehrlichkeit, also wie man Menschen dazu bringen kann, ehrlich zu agieren.

Aber jetzt scheint es so, dass ausgerechnet sie es mit der Ehrlichkeit nicht so ganz ernst genommen hat.

Francesca Gino gehört zu den Stars in der Welt der Wissenschaft.

Nun aber scheint es so, als sei ihr Stern verglüht, sagt Thomas Fuster.

Ich bin Antonia Moser.

Thomas, bevor wir jetzt zu dieser Ehrlichkeit kommen, warum ist Francesca Gino so ein großer Star?

Ja, es hat wahrscheinlich schon ein bisschen mit den Themen zu tun, die sie erforscht.

Das sind alles sehr lebensnahe Themen.

Es geht um Fragen wie Kreativität, Motivation und wie gesagt nach Fragen der Ehrlichkeit.

Das sind natürlich Fragen, die auch für Leute außerhalb von Universitäten sehr relevant sind.

Und zudem hat sie auch als Wissenschaftlerin eine sehr, sehr steile Karriere, einen sehr, sehr steilen Aufstieg gehabt.

Was heißt das?

Also sie stammt ursprünglich eigentlich aus Italien, wie der Name ja wahrscheinlich nachherlegt.

Und hat dort auch Wirtschaft und Management studiert.

Sie hat dann aber nach ihrem Doktorat den Sprung in die USA und zwar an die Harvard University geschafft.

Eine sehr, sehr gute Adresse natürlich, eine Elite Uni.

Und er hat dann nachher an verschiedenen anderen Unis gearbeitet, hat dann aber den Sprung zurück zu Harvard University geschafft

und ist dort im jungen Alter von 32 Jahren bereits Professorin geworden, wie gesagt mit ihrem Spezialgebiet der Verhaltenswissenschaften.

Vielleicht kannst du mir da noch kurz erklären, was sind genau die Verhaltenswissenschaften?

Also wie es der Name eigentlich sagt, man untersucht, wie sich Menschen verhalten, wobei man verschiedene Disziplinen zusammenbringt.

Also da geht es um Ökonomie, um Psychologie, auch um Soziologie, aber auch um Neurowissenschaften.

Also die Frage, was sich nun zum Gehirn abspielt bei Entscheidungen.

Und man untersucht vor allem auch, wie man mit kleinen Eingriffen Leute in eine gewisse Richtung schubsen kann.

Also das nennt sich dann ein Fachbegriff Nudging.

Also was heißt das genau, wie schubsen, wie kann ich mir das vorstellen?

Ja, das sind so quasi minimalinvasive Eingriffe.

Also das geht dann nicht um Sportmene, also um Preisveränderungen.

Und es geht auch nicht um Gebote oder Verbote, sondern um bedeutend kleinere Eingriffe,

mit denen man dafür sagen will, dass Leute ihr Verhalten ändern.

Also zum Beispiel?

Ja, so ein berühmtes Beispiel, das immer wieder zitiert wird, um Leute vielleicht zu einer gesünderen Ernährung zu motivieren,

ist das Dessertpüffe.

Und da könnte man beispielsweise vielleicht die gesunden Früchte am Anfang des Püffes hinstellen

und vielleicht das eher etwas ungesundere Musserschokola.

Das bedeutet, dass natürlich viel, viel mehr Zucker hat.

Am Schluss, wenn der Teller eigentlich schon voll ist,

und man eigentlich gar keinen Platz mehr hat für dieses Musserschokola.

Das ist so ein kleiner Eingriff, der die Freiheit des Einzelnen nicht einschränkt.

Er kann weiterhin alles nehmen, was er will.

Aber es hat allenfalls dann doch den Effekt, dass mehr Leute vielleicht Früchte essen und weniger Schokolade.

Und das ist ein Thema, das auch außerhalb der Wissenschaft eine sehr, sehr starke Prominenz erhalten hat eigentlich.

Also viele Firmen haben sich dafür interessiert.

Warum?

Weil es natürlich interessierte, wie man vielleicht mit kleinen Veränderungen auch Mitarbeiter zu einem besseren Verhalten motivieren kann.

Oder auch Regierungen.

Es gibt beispielsweise in Großbritannien gibt es ein eigenes Nudging-Departement.

Die kümmern sich nur um solche Verhaltensänderungen, so kleine Eingriffe,

wie man die britischen Bürger quasi zu besseren Bürgern machen könnte.

Also kann man sagen, Francesca Cino liegt mit ihrer Forschung ziemlich im Trend?

Ja, das kann man sicher sagen.

Also zu meinen sind natürlich die Verhaltenswissenschaften voll im Trend.

Zum anderen hat sie sich einen guten Ruf erarbeitet in dieser Wissenschaft.

Sie wird sehr oft zitiert, sie wird auch eingeladen an Konferenzen, an Symposien und bekommt dafür auch sehr viel Geld.

Also wenn man auf die Website ihrer Agentur geht, die sie vermittelt für solche Auftritte,

dann ist da die Rede von Honoraren von 50.000 bis 100.000 Dollar pro Auftritt.

Das ist ein ziemlich stolzes Honorar, wie ich meine.

Und auch für ihre Professur an der Harvard University,

da soll sie ein Gehalt von rund 1.000.000 Dollar erhalten.

Das ist ebenfalls ein sehr gutes Honorar.

Und sie schreibt auch Bücher, 2013 ist ihr erstes Buch rausgekommen.

2018 gab es einen eigentlichen Bestseller, der nennt sich Rebel Talent

und im Untertitel heißt es, Deutsch übersetzt,

warum es sich lohnt, bei der Arbeit und im Leben die Regeln zu brechen.

Today we are so excited to have Dr. Francesca Gino here joining us.

Und zu diesem Buch hat sie verschiedene Vorträge gehalten natürlich auch.

Thank you so much for having me and thank you so much for all of you too.

Und auch bei Google, wir hören jetzt gerade einen Ausschnitt aus diesem Referat.

I want to share some stories, a little bit of the research behind the scenes.

Aber warum es sich lohnt, die Regeln zu brechen,

das klingt für mich so ein bisschen nach einem Ratgeberbuch,

irgendwie die 10 besten Business-Tipps oder irgendwie so was.

Ja, das ist es wahrscheinlich teilweise auch ein bisschen.

Es ist sicher nicht ein hochwissenschaftliches Buch,

sondern eher so ein bisschen auf der populärwissenschaftlichen Ebene.

Von daher natürlich auch zugänglich für eine sehr breite Leserschaft,

was miterklärt, dass sie sehr populär ist

und viele Fans quasi hatte in der Öffentlichkeit.

Und die These, die sie da ein bisschen verfügt in diesem Buch,

ist die Idee, dass es halt wichtig ist,

vor allem auch in Organisationen, dass man solche Regelbrecher hat,

vielleicht auch ein bisschen Störenfriede vielleicht,

oder weil nur so unbequeme Leute den Input bringen,

damit sich Organisationen und Menschen weiterentwickeln können.

Also sieht sie sich selber denn so eine Art Querdenkerin auch?

Ja, sicher schon.

Das sieht man, wenn man sie an Auftritten miterlebt,

dass sie ein Plädoyer quasi für dieses Querdenken ein bisschen

und macht das sehr erfolgreich, macht das sehr eloquent.

Und thematisiert auch sehr, sehr unterschiedliche Sachen.

Auf YouTube beispielsweise gibt es Videos,

wo sie so eine Analyse macht, der Fernsehseries Accession,

wo sie quasi das Verhandlungsverhalten der Protagonisten

dieser Serie da analysieren.

Das sind natürlich sehr populäre Themen

und die werden nach gern und oft gesehen.

Und durch solche Auftritte ist Francesca Gino noch bekannter geworden,

hat noch mehr Fans quasi erhalten,

vor allem auch auf den Social Media Kanälen,

bis dann mit der Uni einige Forscher zum Soldat gekommen sind.

Das wahrscheinlich mit den Studien von Francesca Gino

einiges nicht stimmen kann.

Was wird ihr denn vorgeworfen?

Ironischerweise geht es natürlich um eine Studie,

die sich um Ehrlichkeit dreht.

Und zwar hat sie versucht zu erforschen,

wie man Leute dazu bringen kann beim Ausfüllen von Formularen.

Sei das beispielsweise eine Steuererklärung

oder ein Schadenformular bei einer Versicherung,

wie man sie dazu bringt,

bei diesen Formularen ehrliche Angaben zu machen.

Und sie scheint dann herausgewunden zu haben,

dass man bedeutend ehrlicher agiert,

wenn man gleich zu Beginn, zu Oberstaff,

diesem Formular eine Ehrlichkeitserklärung ausfüllen muss.

Meistens sind diese Ehrlichkeitserklärungen ja ganz am Schluss.

Also ich bestätige hiermit,

dass ich alles rechtmäßig ausgefüllt habe.

Genau, in der Schweiz muss man es jetzt ja machen,

wenn man die Steuererklärung ausfüllt ganz am Schluss.

Aber sie kam jetzt quasi zum Resultat,

dass es bedeutend wirksamer wäre,

wenn man diese Ehrlichkeitserklärung ganz an den Anfang stellt.

Und der Effekt war sehr, sehr groß.

Also dann betrügen nur 37% der Leute.

Und wenn man die Erklärung am Schluss hat, sind das 79%.

Ein großer Unterschied.

Das ist ein sehr, sehr großer Unterschied.

Und diese Studie hat dann ziemliche Schlagzeilen gemacht.

Die wurde in der Folge dann hundertfach zitiert,

hat sehr hohe Wellen geschlagen.

Und verschiedene Behörden, aber auch Firmen,

haben dann rund um den Globus quasi ihre Formulare entsprechend angepasst.

Nun kommt aber raus,

dass Gino wohl die Daten so hingedreht hat,

dass das Ergebnis dann am Schluss so rauskam, wie sie es wollte.

Also wie geht das?

Ja, sie scheint offensichtlich wirklich massiv Daten gefälscht.

Also man muss sagen, frei erfunden zu haben,

fast schon mit krimineller Energie.

Aber wie kam das jetzt raus, wenn das schon so tausendmal zitiert wurde?

Es gibt eine Forschergruppe, das sind drei Personen,

allesamt Verhaltenswissenschaftler, die einen sehr, sehr guten Namen,

eine gute Reputation haben in ihrer Disziplin.

Die nennen sich Datacolada.

Und die haben sich zum Ziel gesetzt,

einfach andere Studien aus dem Bereich der Verhaltenswissenschaften

kritisch zu evaluieren, kritisch hinzuschauen,

ob da alles mit rechten Dingen zu und hergegangen ist.

Und sie haben sich da jetzt verschiedene Studien von Francesca Gino zu Herzen genommen

und haben herausgefunden, dass nicht nur diese eine Studie manipuliert worden ist,

sondern gleich drei weitere.

Und sie vermuten, dass da wahrscheinlich noch eine relativ große Dunkelziffer vorhanden ist.

Also dass es allenfalls Dutzende von weiteren Studien geben könnte,

die manipuliert worden sind.

Okay, also kein Zufall?

Kein Zufall, so wie es aussieht.

Und sie haben das auch sehr, sehr minutiös und mit vielen Details

haben sie das irgendwie hergeleitet, was da alles manipuliert worden ist.

Und die Beweislaste ist sehr, sehr erdrückend.

Was sagt denn Francesca Gino dazu?

Ja, sie ist ein bisschen abgetaucht.

Man hört jetzt eigentlich nichts mehr von ihr.

Sie hat über ihr LinkedIn-Profil eine kurze Stellungnahme abgegeben.

Da schreibt sie, dass sie die Anschuldigungen prüfe.

Aber sie sagt es nicht explizit, dass diese Anschuldigungen unwahrsein,

dass sie irgendwie nicht fundiert seien.

Und es wäre wahrscheinlich auch schwierig,

wenn sie diese Vorwürfe zu negieren versuchte,

weil dieses Forscher-Kollektiv da sehr, sehr klar und stichhaltig

diese Manipulationen nachgewiesen hat.

Und was ist dann passiert?

Hat das irgendwelche Auswirkungen, diese Kritik, diese Veröffentlichung?

Für einen Arbeitgeber ist es natürlich alles andere als erfreulich.

Für die Howard Business School ist es verständlich, oder?

Frau Gino wurde dann unmittelbar beurlaubt.

Und die Howard University untersucht jetzt diese Sachen selbst auch.

Und es gab natürlich einen lauten Aufschrei auch in der Wissenschaft.

Das ist ausgerechnet quasi einer der großen Stars

innerhalb der Verhaltenswissenschaften.

Und eine Expertin namentlich zu fragen,

der Ehrlichkeit quasi über die eigene Unehrlichkeit gestolpert ist.

Doch sehr speziell.

Aber ich frage mich schon.

Also ich meine, Howard ist deine große Universität.

Francesca Gino ist dein Star.

Warum ist das nicht früher aufgefallen, dass die da irgendwie betrügt?

Ja, das fragen sich momentan natürlich viele Leute.

Und ich habe da auch keine klare Antwort darauf, oder?

Allenfalls hat man ihr Tun einfach nicht mehr in Frage gestellt,

weil sie schon einen sehr, sehr guten Namen hat.

Da dachte man, das sei sicher alles ganz rechtens.

Und ein Problem war vielleicht auch,

dass die meisten dieser Arbeiten, die jetzt monopoliert worden sind,

dass sie die nicht alleine erstellt hat, sondern es waren Koautoren.

Das war vielleicht eine Gruppe von drei, vier Wissenschaftern,

die rund um den Globus verteilt.

Und da dachte man, die schauen sich ja irgendwie gegenseitig über die Schuld,

dann das wird sicher die Rechten sein, was die da machen.

Aber sehr, sehr oft ist die Arbeitsteilung bei solchen Koautoren,

schafft eben die, jemand macht nur die Daten, der andere kümmert sich um die Theorie,

die dritte Person macht vielleicht die historische Einbetten

und die vierte nochmals etwas anderes.

Und jeder ist quasi ganz speziell, nur auf seinen Bereich fokussiert.

Und man fügt einfach am Schluss alles irgendwie zusammen?

Man fügt am Schluss alles zusammen und eigentlich eine wirksame Kontrolle bleibt da aus.

Aber warum macht Francesca Cino so etwas?

Also, ihre Karriere ist ja wahrscheinlich da mit vorbei, stelle ich mir vor.

Ja, das denke ich auch.

Ich kann mir schwer vorstellen, dass sie da wieder an die Uni zurückkehren kann,

weil die Glaubwürdigkeit ihrer bisherigen Forschung ja da wirklich jetzt am Boden ist.

Ein möglicher Grund, aber sicher keine Entschuldigung,

mag vielleicht sein, dass natürlich der Wissenschaftsbetrieb einen starken Druck ausübt

auf die Wissenschaftler.

Man muss viel publizieren in einer hohen Kadenz.

Man muss außergewöhnliche vielleicht auch originelle Resultate zeigen können.

Die müssen dann statistisch auch wirklich stich und hiebfest sein.

Und das führt natürlich zu einem gewissen Druck.

Und vielleicht auch zu einer Versuchung,

dass man es vielleicht mit der einen oder anderen Studie dann nicht mehr so ernst nimmt.

Thomas, herzlichen Dank, dass du da warst.

Danke für die Einladung.

Das war unser Akzent.

Produzent dieser Folge ist Sebastian Panholzer.

Ich bin Antonia Moser, bis bald.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Die Verhaltensforscherin Francesca Gino zeigte auf, wie Menschen mit einfachen Massnahmen zu mehr Ehrlichkeit bewegt werden können. Damit verdiente sie Millionen. Doch anscheinend hat sie ihre Studien gefälscht.

Heutiger Gast: Thomas Fuster, Wirtschaftsredaktor

Host: Antonia Moser

Produzent: Sebastian Panholzer

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/wirtschaft/francesca-gino-harvard-professorin-verdiente-millionen-mit-ihrer-forschung-ueber-ehrlichkeit-bis-sie-selbst-betrog-ld.1746326

Hörerinnen und Hörer von «NZZ Akzent» lesen die NZZ online oder in gedruckter Form drei Monate lang zum Preis von einem Monat. Zum Angebot: nzz.ch/akzentabo