Verbrechen: Schattenmenschen

ZEIT ONLINE ZEIT ONLINE 7/25/23 - Episode Page - 1h 11m - PDF Transcript

Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts

Zeit Verbrechen.

Mein Name ist Daniel Müller, ich bin der Chefredakteur des Magazins Zeit Verbrechen

und mir gegenüber sitzt eine Kunze, die Kriminalreporterin der Zeit.

Wir sind die neuen Hosts dieses Podcasts und werden an dieser Stelle im Wechsel mit Sabine

Rückert und Andreas Sendker Verbrechensgeschichten präsentieren.

Wie Sie sicher wissen, stammen fast alle Kriminalfälle dieses Podcasts aus der Zeit.

Der Fall, über den wir heute sprechen, ist im Wirtschafts-Teil erschienen.

Verbrechen finden in der Zeit nämlich überall statt.

Wenn Sie Lust haben, die Zeit einmal unverbindlich zu testen, dann besuchen Sie gern die Website

abo.zeit.de.verbrechen.

Dort finden Sie ein besonderes Kennenlernen-Angebot, ich wiederhole noch einmal abo.zeit.de.verbrechen.

Anne, wir wollen heute ja über die Fleischindustrie sprechen und in der Vorbereitung für die

heutige Folge hast du mir gesagt, keine Recherche war dir so wichtig wie diese.

Warum?

Weil ich da tatsächlich eine Parallelwelt kennengelernt habe, weil ich es nicht für

möglich gehalten habe, dass Menschen in Deutschland tatsächlich so leben wie die Menschen, die

in der Fleischindustrie arbeiten.

Also ich habe schon in einigen Filmen recherchiert und ich kann dir wirklich sagen, dass in

keiner anderen deutschen Industrie die Verhältnisse so anakronistisch sind wie in der Fleischindustrie.

Ich habe irgendwann so ein fast unwirkliches Gefühl bekommen, was so als könnten solche

Zustände in Deutschland eigentlich gar nicht mehr geben.

Also ich habe die Wohnungen, die Schruppen, die Behausungen der Arbeiter besucht und ich

dachte wirklich ist Jesus Szenen wie aus dem Schwarz-Weiß-Film.

Also tatsächlich als hätten so Relikte dieses krassen, knallharten Manchester-Kapitalismus

bis heute überlebt in unsere postmoderne Gesellschaft.

Und ich habe ganz zu Beginn der Recherche, also ohne irgendwas zu wissen, mich ins Auto

gesetzt und ein Pastor in der Gegend besucht, Peter Kossen.

Und er hat zu mir gesagt, wir haben es hier mit einer Schattenwelt zu tun, bei der die

meisten wegsehen.

Eine Geisterarmee haben wir erschaffen und da hat er Recht.

Du schreibst in deiner ersten von zahlreichen Geschichten über die Fleischindustrie den

tollen Satz.

In dieser Gegend, wo die Orte Oldenburg heißen, Garrel, Essen, Fisbeck oder Bad Bergen, haben

Männer wie Emilian, über den wir gleich noch reden werden, einen Namen.

Waldmenschen.

Was sind denn Waldmenschen?

Waldmenschen kam damals in der Gegend zwischen Oldenburg in Niedersachsen und Räder Wiedenbrück

in Nordrhein-Westfalen, also in Deutschland größter Schlachtanlage, leider immer wieder

vor.

Und zwar, weil es in der Fleischindustrie damals noch eine ganz enge Verquickung gab

zwischen Wohnraum und Arbeitsplatz.

Und wir haben immer wieder Arbeiterinnen und Arbeiter gesagt, wenn irgendwas nicht passt,

wenn du Ärger mit dem Vorarbeiter hast, wenn du rausfliegst, dann schliefst du halt im

Wald.

Und das ist der Name, den die Menschen dort haben, Waldmenschen.

Also man erkennt sie auch an den blauen Plastikkörben, in denen sie ihre Geräte für die Schlachtung

verstaut haben, die sie brauchen für ihre Arbeit in den Schlachthöfen und die stehen

so neben den Mulden, die sie sich im Wald gekraben haben.

Und einen dieser Waldmenschen habe ich auch getroffen, Emilian, du hast ihn ja gerade

schon genannt.

Und ich habe ihn auch gefragt, welche Regeln es gibt für das Überleben im Wald.

Er hat einige Zeit, einige Wochen im Wald gelebt, als er eben keinen Schlafplatz hatte.

Und er hat sofort geantwortet und sehr klar diese Regeln benannt.

Ich sage sie dir mal.

Such dir einen Ort, an dem viele Bäume eng nebeneinander stehen, sodass kein Mensch

hin durchschauen kann.

Stülpe Plastiksäcke über deine Hosenbeine.

Zieh alles an, was du hast.

Hab keine Angst vor der Dunkelheit.

Hab keine Angst vor Tieren.

Es leben Menschen in Deutschland, die einer täglichen Arbeit nachgehen, im Wald, weil

sie Ärger mit ihrem Vorarbeiter haben.

Was machen denn diese Geisterarbeiter, diese Waldmenschen den ganzen Tag?

Die wechseln tatsächlich die Welten.

Also die fahren von ihren tristen Behausungen jetzt, ob es im Wald ist oder in Mehrbetzimmern.

Fahren die jeden Morgen oder jeden Tag zur Schichtbeginn in tatsächlich in so einen

hochtechnisierten Bereich, der mit Stacheldraht geschützt ist, mit Kameras, mit Zäunen, nämlich

den Schlachthof oder die Fleischfabrik.

Und dort verrichten sie den ganzen Tag über dieselbe Tätigkeit.

Also bei manchen Arbeiten steht Erdulden der Monotonie sogar im Arbeitsvertrag.

Schlachten ist eigentlich eine relativ einfache Tätigkeit.

Das bedeutet Halsaufschneiden, Aufhängen, Rektumaufbohren, Entheuten, Aufschneiden,

Zerteilen, Verpacken.

Das sind immer dieselben Handgriffe Tag für Tag.

Also die führen wirklich dieselbe Bewegung den ganzen Tag oder die ganze Schicht über aus.

Und ich habe so viele Menschen getroffen, die so müde waren, die auch nicht denken konnten.

Die haben ja auch gesagt, sie können nichts mehr träumen, sie können gar nichts anderes

mehr tun, als einfach im Halbschlaf ihren Gewohnheiten zu folgen.

Wahnsinn.

In Deutschland werden ja jedes Jahr 53,2 Millionen Schweine geschlachtet, 3,2 Millionen Rinder,

1,6 Millionen Tonnen Geflügel.

Das sind also die Menschen, die uns das Fleisch auf den Teller bringen.

Ja.

Heute haben sich die Verhältnisse ein bisschen verändert.

Darüber können wir ja gleich sprechen, aber das sind auf jeden Fall die Menschen,

wie sie damals geliebt haben, als es eben noch dieses System gab, über das wir jetzt

sprechen.

Wie ist denn Emilian, über den wir gerade schon mal ganz kurz angerissen, gesprochen

haben, einer der Protagonisten deines ersten Dosiers nach Deutschland gekommen?

Der Emilian ist wie die meisten anderen Söldner dieser Geisterarmee von einem Subunternehmen

angeworben worden, und zwar in Rumänien, wo er damals Elektrotechnik studiert hat.

Und er musste, um den Job in Deutschland zu bekommen, ein paar Hundert Euro Vermittlungsgebühr

bezahlen und wurde danach Niedersachsen gefahren.

Und er wurde untergebracht in einer ganz damals typischen Massenunterkunft, vier Männer

in einem Zimmer in Stockbetten.

Er hat bei einem der größten deutschen Produzenten von Hähnchen und Putenfleisch gearbeitet und

dieses Unternehmen hat mir gesagt, dass es nichts weiß von diesen Waldmenschen.

Aber bei Emilian war es eben so, dass er Ärger mit seinem Vorarbeiter hatte, und der Subunternehmer

hat auch oft Wohnraum an die Söldner der Geisterarmee vermietet.

Und deswegen kann Ärger mit dem Vorarbeiter eben heißen, dass es keinen Schlafplatz

in Barmen mehr gibt, sondern eine Unterkunft im Wald.

Und Emilian hat sich eben in der Nähe der Autobahn A1 zwischen Kloppenburg und Wildeshausen

so ein Zuhause aus Decken- und Plastiksäcken gebaut.

Und dort hätte er dann immer geschlafen, nachmittags, bis in die Kälte der hereinbrechenden

Nacht geweckt hat.

Er hat ein paar düstere Gedichte auf Facebook geschrieben.

Eines zum Beispiel heißt, du weißt, dass der Schnee sich drehen wird.

Er ist eine Blutschaufel zwischen zwei Paradiesen, sagt ein Wurf dem anderen, der in der Mitte liegt.

Und dann ist er immer, wenn die Nacht angebrochen ist, auf seinem Rad hin und her gefahren.

Immer nur hin und her hat er mir erzählt, damit er nicht friert, bis morgens um halb fünf

seine Schicht im Schlachthof begonnen hat, in der er dann Puten die Brust aufgeschnitten

hat und Fett rausgeholt hat.

Und er hat immer zu Joy Division gehört, also so ein dunklen, analytischen Postpunk.

Und er war, als ich ihn getroffen habe, 34 Jahre alt, hatte er keinen Partner, keine Partnerin,

keine Kinder.

Und als ich ihn nach seiner Zukunft gefragt habe, ist ihm nichts eingefallen.

Und er hat Rumänien verlassen, obwohl er da studiert hat, weil er irgendwie doch trotzdem

in Deutschland eine größere Perspektive sah.

Ja, weil er nichts verdient hat in Rumänien.

Und ich finde das so mindblowing, wenn man sich das vorstellt, dass er da nur tagsüber

überhaupt mal zum Schlafen kommt, weil es in der Nacht zu kalt ist und dann fährt er

da beim Fahrrad hin und her, bis er dann wieder in den Schlachthof zurückkehrt.

Er ist ja aber nicht der einzige Arbeiter, mit dem du gesprochen hast.

Du hast ja mit fast 150 Arbeiterinnen gesprochen, darunter auch ganz viele junge Menschen,

noch viel jünger als Emilian, unter anderem Johanna und Darian.

Also ich habe sie nicht an einem Tag getroffen, ich auch viele Monate dort.

Und Emilian wollte ich nur noch mal sagen, als Emilian hat dann, als es Herbst und Winter

wurde wieder in der Wohnung gefunden, ich habe ihn dann auch später noch mal in seine

Wohnung besucht, aber er hat eben einige Wochen lang im Sommer so gelebt im Wald.

Und wir nennen jetzt hier nur die Vornamen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes.

Und bei Johanna und Darian haben wir auch die Vornamen verändert, weil sie das so wollten.

Und ich würde gern einmal erzählen, wie die beiden sich kennengelernt haben, weil ich das so berührend fand.

Also Darian hat mir erzählt, dass ihnen eines Abends Freunde angerufen haben und gesagt haben,

du musst sofort herkommen, hier ist ein Mädchen, das wird dir gefallen.

Und er ist dann gekommen in die Disco in Lone und er wusste sofort, wie seine Freunde meinten,

so eine schmale Person mit schwarzen Leggings, pink gefärbte Haare, Johanna.

Sie hat so ganz versunken, getanzt, hat er mir erzählt und ihr Bruder hat gerade aufgelegt,

rumänischen Pop und Darian hat sie die ganze Zeit beobachtet und sie hat mir erzählt.

Sie hat auch sich angeschaut, wie Darian sich ihr genähert hat und jede Geste und jedes Zucken

im Mundwinkel eigentlich schon die Andeutung einer größeren Geste war.

Sie haben sich unterhalten auf romänisch den ganzen Abend über die halbe Nacht und irgendwann hat Darian

zu ihr den schönen Satz gesagt, ich kann nur schlafen, wenn mich jemand in den Armen hält.

Und dann sind sie zu ihr gegangen und auf dem Weg zu ihr hat er zum ersten Mal ihre Hand genommen.

Und dann hatte er so gesagt, ja, wir müssen doch mal ganz kurz bei mir vorbei auf den Dienstplan schauen.

Und auf dem Dienstplan stand aber, dass er am nächsten Tag erst arbeiten muss.

Und dann sind sie in Hand zu Johanna gegangen, sie sind sich näher gekommen

und eine Mitte Nacht hat Darians Telefon geklingelt und sein Vorarbeiter hat so laut ins Telefon gebrüllt,

dass die Johanna, wie sie mir erzählt hat, ihn sogar hören konnte.

Und er hat geschrien, wo bist du? Du musst sofort zur Arbeit kommen.

Weil Darians Arbeit, das war, dass er in der Schlachtanlage an einem Band steht,

das eben so tote Bullen vor das Gesicht, hängt jede Minute in weiteren toten Bullen.

Und Darian hat diesen Tieren mit einem Küchenmesser die Brust aufgeschnitten

und die Haut abgezogen mit bloßen Händen, weil er sagt, dass seine Einweghandschuhe sofort kaputt gegangen sind.

Und dann hat er auch keine neuen bekommen.

Nee, nee, hat keine neuen bekommen.

Und er hat deswegen auch das erste Geschenk, das er Johanna gemacht hat, waren Handschuhe aus Eisen.

Das war ganz schön teuer, hat er mir gesagt, die haben 15 Euro gekostet.

Aber er wollte gerne, dass Johanna sich die Hände nicht verletzt,

weil sie hat den ganzen Tag für Wiesenhof Hähnchen gesäbelt.

Und als ich die beiden kennengelernt habe, haben sie schon nicht mehr in Massenunterkünften gewohnt,

sondern hatten sich selbst eine kleine Wohnung gesucht und auch gefunden.

Und in diese Wohnung hatten sie so eine gigantische rote Couch gestellt,

die den ganzen Raum beherrscht hat.

Und sie haben diese Wohnung wirklich manisch jeden Tag geputzt.

Und im Bad, das fand ich zu seil beeindruckend, hat jeder von ihnen Dutzende von Flakons

verschiedene Parfons aufgereiht.

Also so viele Parfons habe ich außerhalb von einem Geschäft noch nie gesehen.

Das war wie so eine Armada der Düfte.

Und ich habe sie auch gefragt, wie könnt ihr euch das leisten?

Und dann haben sie gesagt, ja, das kratzen wir irgendwie zusammen.

Und es wirkt auf mich so fast, als würden sie den Geruch der toten Tiere.

Vertreiben wollen.

Das ist ein wahnsinnig starkes Bild.

Also die verdienen kaum Geld und investieren im Grunde genommen alles in

dieses liebevolle Zuhause.

Zum einen, aber dann auch eben in die Beseitigung dieser grauenvollen Gerüche,

die sie jeden Tag mit nach Hause bringen, um irgendwie diese Welt vergessen zu können.

Ja. Und es gibt auch fast gar nichts außerhalb dieser Welt.

Sie hatten jetzt auch nicht so richtig viel Freizeitmöglichkeiten.

Also dort ist ja sehr viel gigant da um Lone herum.

Und ich habe sie so gefragt, was macht ihr denn so in eurer Freizeit?

Ja, wir gehen spazieren, wir besuchen die Mutter, die Schwester.

Viele Mitglieder von ihren Familien waren auch in Niedersachsen und standen

dort an anderen Schlachtbändern.

Und Johanna, die ich als unglaublich sehr kämpferische Anfang 20-Jährige

kennengelernt habe, auch Johanna wusste nicht genau, was werden sollte.

Ich habe sie gefragt, was sie mal später machen möchte.

Und sie sagte, ich würde gern bei Aldi, Lidl oder Rewe arbeiten an der Kasse,

damit ich Deutsch sprechen kann.

Und sie hat wirklich super Deutsch gesprochen.

Also wir haben uns mit Darian, habe ich immer über einen Dolmetscher gesprochen,

aber mit Johanna habe ich, sie konnte richtig, richtig gut Deutsch.

Und sie hat sich das selber beigebracht aus Büchern.

Und Darian hat mir gegenüber die Wörter wiederholt, die er auf Deutsch kann.

Und die fand ich ziemlich krass.

Das war schneller, schneller, weiter, weiter, Gas, Polizei.

Das ist das, was er auf Deutsch konnte.

Und die beiden haben mir erzählt, wie sie Weihnachten nach Paris gefahren sind.

Johanna hat gesagt, dass Darian sie angerufen hat mit den Worten,

willst du nach Paris, ich lade dich ein.

Warum hat sie gefragt?

Und er hat gesagt, weil ich dich liebe.

Und sie hat ihn nicht verstanden und hat gefragt, was?

Da muss das noch mal sagen, weil ich dich liebe.

Die beiden sind nur einen Tag geblieben.

Sie konnten sich natürlich kein Hotel leisten.

Sie haben ein paar Fotos gemacht und sie auf Facebook gepostet.

Und als dann aber Darian am Tag nach der Rückkehr in seinem Stachthof erschienen ist,

so hat es mir erzählt, hat ihn sein Vorarbeiter von der Maschine weggezogen

und ihm gesagt, dass er jetzt gekündigt ist.

Der Vorarbeiter sagt Darian, hätte ihm gesagt, wir brauchen dich nicht mehr.

Geh, dein Onkel und dein Cousin auch.

Weil offenbar was einfach nicht vorgesehen.

Das sollten dann diese Geister an mir nach Paris fahren

und sich der Kontrolle der Vorarbeiter entziehen.

Das ist ja wie Sklavenarbeit, also die ständige Kontrolle der Untergebenen im Grunde.

Ja, die krasse Arbeit, die viele Arbeit.

Und also es ist wirklich, ich habe auch viel mit einem Gewerkschafter gesprochen.

Der hat gesagt, das ist wirklich moderner Menschenhandel, was da passiert.

Also für mich hat das den Vorteil, ehrlicherweise, dass Darian ziemlich viel Zeit hat,

mit mir rumzufahren und mir Sachen zu zeigen.

Also zum Beispiel hat er mehr so Straßen gezeigt im oldenburgischen Essen,

wo Schilder hängen, also Hauptstraßen, verlassene Hauptstraßen,

wo die Geschäfte so Schilder haben, medizinische Fußpflege, Immobilien oder Konditorei.

Aber die Schaufenste so verhangen waren mit Pappen und Decken.

Und da fährt man eigentlich dran vorbei und weiß gar nicht, was da drin ist.

Aber wenn man das einmal gesehen hat, dann sieht man die immer wieder in dieser Gegend.

Und das sind tatsächlich ehemalige Geschäfte, Gaststätten, Hotels, Gartenhäuser,

Ställe, irgendwelche Häuser, in denen Menschen gewohnt haben, die dort

in der Fleischindustrie gearbeitet haben, auch Darian.

Und die verhängen natürlich die Fenster, weil sie nachts arbeiten müssen

und tagsüber schlafen müssen.

Deswegen ist das da so dunkel und die machen auch kaum Geräusche.

Und Darian hat am Anfang hat er mir erzählt, mit fünf Männern in einem Zimmer gewohnt

und die Toilette stand mitten im Raum.

Seine erste Unterkunft war sogar mitten auf dem Schlachthofgelände

in einem umgebauten Stall und abends hat er mir erzählt, wurden die Rinder,

die am nächsten Morgen geschlachtet wurden, in den Stallen nebenan getrieben.

Also im Grunde so wie früher, wo man den Stall noch nebenan hatte,

nur eben in einem gigantischen Ausmaß.

Und Darian hat dann mit seinen Kollegen direkt neben den Rindern

übernachtet und er hat, was ich richtig krass finde, 200 Euro für sein Bett

im Monat bezahlt.

Und das Geld wurde ihm auch direkt vom Lohn abgezogen und sein Gehalt hat er

jeden Monat damals bar auf die Hand bekommen.

Und er wusste auch im Voraus nicht, wie viel das war.

Das waren mal 500 Euro, mal 600 Euro.

Und er wusste auch nie, wann er anfangen muss zu arbeiten.

Er musste jeden Tag auf diese Liste in dem Wohnstall schauen,

genau wie in der Nacht, in der er die Journal kennen gelernt hat.

Und ich habe Darian gefragt, wie lange er denn immer gearbeitet hat,

also wie lang seine Schicht ging.

Und dann hat er mich total überrascht angeschaut.

So als hätte er sich das noch nie gefragt und hat dann so zu mir gesagt,

ja, natürlich bis das Band nicht mehr läuft.

Also er wusste immer nur, wenn er Mitte Nacht beginnt,

dann konnte es auch sein, dass er um 15.30 am nächsten Tag erst gehen durfte.

Und ich habe die Firma auch mit den Aussagen von Darian konfrontiert,

aber sie nicht erreicht für eine Stellungnahme.

Geister Armeen, die in geister Städten wohnen,

Orte, die quasi eigentlich nur noch dazu da sind,

die Fleischproduktion am Laufen zu halten.

Es ist also wirklich Industrie pur,

nur eben mit Methoden, die 250 Jahre eigentlich zurück geglaubt liegen.

Es gibt ja quasi eine Sache, die das Ganze ermöglicht hat.

Du hast die Geschichten von Emilian, Johanna und Darian

im Jahr 2014 recherchiert und damals gab es noch

sogenannte Werkverträge in der Fleischindustrie.

Es ist heute anders.

Wir wollen später auch drüber sprechen, ob sich was verändert hat,

ob es sich auch ein bisschen zum Guten gewendet hat.

Aber erklär uns doch mal das System, das du damals vorgefunden hast.

Warum waren solche Zustände nicht verboten?

Also das System, wie es damals war, hat nur funktioniert wegen der Gesetzeslücke.

Und diese Lücke, die heißt, du hast es schon genannt, Werkvertrag.

Und zwar war es so, dass nach der EU-Osterweiterung für eine zeitlang

Betriebe aus den neuen Mitgliedstaaten der EU

deutschen Unternehmen ihre Dienstleistungen anbieten durften.

Und zwar zu den Arbeitsbedingungen ihrer Länder.

Also deswegen konnten rumänische Arbeiter

in Deutschland zu rumänischen Bedingungen arbeiten

und kein Staatsanwalt in Deutschland konnte was dagegen tun.

Es war einfach erlaubt.

Es hat aber dazu geführt, dass es

total um sich gegriffen hat und grassiert hat, dieses System.

Also innerhalb von wenigen Monaten wurden Briefkastenfirmen,

in Polen, Ungarn und Rumänien gegründet, allein zu dem Zweck,

dass Arbeiter für die großen Schlachthöfe in Deutschland angeworben wurden.

Und das ist natürlich eigentlich verboten gewesen.

Eigentlich durften Arbeiter nicht zum Zwecke der Entsendung angeworben wurden.

Und eigentlich war diese Entsendung auch auf zwei Jahre befristet.

Aber ich habe ganz, ganz viele Dokumente gesehen von Arbeiter,

die offiziell entsendet wurden, aber schon viel länger am Schlachtband standen.

Und es ist dann dazu gekommen, dass die Schlachthöfe

ganze Produktionsschritte an Subunternehmer ausgegliedert haben.

Also ein Schritt in der Schlachtung, zum Beispiel Vidarian,

dass er diese Bullen aufgeschnitten hat, als eigenes Werk abgegeben haben.

Also das Zerlegen, das Aufschneiden eines toten Tieres.

Es ist so gut eingespielt, dass es sich auch dann nicht verändert hat,

als Menschen aus den EU-Ländern dann ihren Arbeitsplatz frei wählen durften.

Die Leute wurden dort angesprochen.

Die hatten auch nicht die Möglichkeiten, sich selbst hier in eine Wohnung zu suchen,

sondern sie haben sozusagen auf dieses System vertraut,

das eben schon leider sehr, sehr gut in Kraft war.

Ich habe im Laufe der Jahre ganz viel mit Matthias Brümmer gesprochen.

Das ist der Oldenburger Sekretär der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten,

der für die Fleischindustrie zuständig ist.

Und der Matthias Brümmer hat mir gesagt,

dass durch dieses System von Subunternehmen und Werkverträgen

einen Milliardenmarkt mit mafiosen Strukturen, mit Lohndumping

und wirklich moderne Sklaverei entstanden ist.

Und er spricht so ganz, wir können es auch gleich gerne noch mal anhören,

wie er wirklich spricht, aber er spricht auch so ganz von der Leberwerk.

Er hat mir gesagt, wir leben hier in einem Fettfleck.

Das kann man wirklich sagen, hier gibt es mehr Viecher als Menschen in der Dichte

und auch mehr Scheiße.

Das fährt wahrscheinlich im Kopf ab.

Finde ich einen sehr guten Satz.

Ich mag Matthias Brümmer jetzt schon.

Ich mag ihn auch.

Es gab damals wirklich Zehntausende von

Werkvertragsarbeitern in der deutschen Fleischindustrie.

Und die Preiskalkulation war einfach so eng und die Gewinnspannen waren so niedrig,

dass das System wirklich nur funktionieren konnte mit so einer Geister-Armee

von billigen Söldnern.

Was sind denn so die gängigen Tricks der Subunternehmer?

Was hast du da gesehen?

Also zunächst mal wirklich krasses Lohn drücken.

Ich habe ja mit vielen Arbeiten gesprochen und kaum jemand hat mehr als 1000 Euro

im Monat ausgezahlt bekommen.

Die meisten haben damals so im Jahr 2014 um die 800 bis 900 Euro netto im Monat

verdient häufig bei mehr als 12 Stunden Arbeit am Tag und natürlich an sechs

Tagen in der Woche.

Manche von ihnen haben nicht mal eine Gehaltsabrechnung bekommen, sondern nur

so ein Abrisszettel.

Und von dem Gehalt mussten die Arbeiterinnen auch ihr Bett bezahlen, 200, 300 Euro im

Monat.

Und ihnen wurden alles Mögliche vom Lohn abgezogen.

Rundfunkgebühren, Fahrtkosten, angebliche Vorschüsse.

Häufig mussten die sich auch so Messer, Schuhe und Schürzen, die sie zum Schlachten,

also für ihre Arbeit brauchten, selber kaufen.

Das hieß damals Messergeld.

Und es gab überhaupt keine Regeln.

Also zum Beispiel waren auch manche Arbeiter in Deutschland krankenversichert und andere

nicht.

Aber die meisten sind sowieso nicht zum Arzt gegangen, weil sie sonst Angst hatten,

dass sie sofort rausfliegen.

Ich habe ganz häufig gesehen, dass weder über Stunden noch Urlaube bezahlt wurden,

genauso wie nicht wie der letzte Monatslohn, wenn jemand das Unternehmen verlassen hat.

Ich habe mich im Jahr 2020 mal intensiver mit einem Subunternehmen beschäftigt,

dass damals Gegenstand eine Gerichtverhandlung war.

Und ich habe dann mit ehemaligen deutschen Bürometarbeiterinnen des Subunternehmens

gesprochen, die mir auch gesagt haben, sie hätten massenhaft über Stunden machen müssen

und dass ihr Chef sie nach Feierabend, nachts und am Wochenende angerufen hat und sie dann

immer arbeiten mussten.

Und um mal ein Bild zu bekommen, was für eine Stimmung daherste, will ich dir mal kurz erzählen,

wie mir eine ehemalige Büroangestellte gesagt hat.

Sie hat gehört, wie der Chef mal zu einem Mann gesagt hat.

Wenn du jetzt nicht kommst, kann sich deine Familie einen schwarzen Anzug kaufen.

Also wirklich drohende mit Leben und Tod.

Und es ging um technisches Problem, irgendwas am Computer.

Also es war jetzt nicht, es ging nicht um Leben und Tod, aber er hat es dazu gemacht.

Und diese Mitarbeiterinnen haben ja auch erzählt, dass es unter den Fleischarbeiterinnen

eine extreme Fluktuation gab.

Also sie haben gesagt, dass ihr Subunternehmen zuständig für Fleischzerlegung etwa 4.000

Mitarbeiter im Jahr durchgezogen hat bei geschätzt 350 Jobs.

Also kann man sich ja ausrechnen.

Wahnsinn.

Aber man hat sich natürlich jetzt bei dem, was du alles schon gesagt hast, auch so ein

bisschen gefragt, wer macht das eigentlich mit?

Und das sagt ja nicht nur was über die Zustände in der deutschen Fleischindustrie aus, sondern

auch über die Perspektivlosigkeit vieler dieser Menschen in ihren Heimatländern.

Wenn man sich das antut und wenn man das dann auch nicht nach zwei Wochen abbricht und sagt,

ihr könnt mich alle mal gern haben, den scheiß mache ich hier nicht mit.

Ja, total.

Das ist wirklich, die sind einfach unter enormem Druck die Leute.

Was ich krass fand bei der Beschäftigung mit diesem einen Subunternehmen, weil man da

wirklich gemerkt hat, wie das auch funktionieren kann, war, dass es so ein Chaos war, also

Chaos als Herrschaftsinstrument.

Und diese Mitarbeiterinnen haben ja erzählt, dass sie auch fälschen mussten.

Also die Arbeiter mussten Blankurquittungen unterschreiben, die konnten auch oft gar kein

Deutsch.

Und dann seien da Beträge von nachträglich eingetragen worden, von mal 100 mal 500 Euro

und als sogenannte Vorschuss vom Lohn abgezogen worden.

Und der Subunternehmer haben die Mitarbeiterinnen erzählt, hätte sie auch dazu aufgefordert,

Daten für die Lohnabrechnung immer wieder zu manipulieren.

Also die Daten werden schon, und das ist auch heute noch so, deswegen erzähle ich das so,

von einem Zeiterfassungssystem gespeichert, sobald sich die Arbeiterinnen am Schlachthof

zur Schicht ein- und auschecken, mithilfe von so einem Chip.

Und die eine Büro-Mitarbeiterin hat mir gesagt, dass sie diese Daten täglich durchgehen mussten

und dann gesehen, wenn jemand 15 oder 16 Stunden gearbeitet hat, und erlaubt sind ja aber immer

nur 10 Stunden.

Und dann haben sie die Überstunden sozusagen umgeschichtet, so dass es aus dem Papier später

immer so aussah, als seien die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeits- und Ruhezeiten

eingehalten worden.

Also sie haben dazu genannt, der Chef hat uns gesagt, dass wir die Sachen schön machen

sollen für den Zoll.

Der Chef, der selber ein ziemlich gutes Leben geführt hat und nach wie vor führt, hat

dann oft so gesagt, dass sie die Arbeiter, wenn sie krank waren oder Urlaub hatten,

sollten als unentschuldigtet Fehl-Tage eingetragen werden.

Und wenn der Chef eine Arbeiter bestrafen wollte, hätte es geheißen, ach, der war

heute gar nicht da.

Auch wenn der Arbeiter in Wirklichkeit gekommen ist, sich zur Schicht angemeldet hat und

wieder abgemeldet hat, wurden diese Arbeitsstunden dann gestrichen.

Der Endenwirt-Arbeiterin hat mir gesagt, der Chef hat so gezahlt, wie er gerade lustig

war und er hätte auch kontrolliert, ob sie die Zeiten wirklich verändert haben.

Und ich habe sie gefragt, wie das alles sein kann.

Und dann hat die Berumer-Arbeiterin mir auch gesagt, ja, wir waren ja nicht im Werk,

wir wussten ja nicht, ob der Arbeiter wirklich da war oder nicht.

Und irgendwann haben sie sich alles schriftlich geben lassen, um sich selbst auch abzusichern.

Und sie hat mir das Notiersbuch gezeigt, wo sie das alles eingetragen hat.

Und ich habe dann auch den Manager angerufen, der die Software des Zeiterfassungssystems

entwickelt hat und ich habe ihn gefragt, ob so ein Betrug technisch überhaupt möglich

ist, also ob das wirklich sein kann, dass man das hinterher Arbeitsstunden umgeschichtet

werden.

Und er hat gesagt, ja, ja, die Software ist flexible.

Also es kommt in Betrieben oft zu Fehlern und die müssen dann einzeln behoben werden

und deswegen sind solche Änderungen schon im Nachhinein möglich.

Die werden vom System aufgezeichnet.

Also der Zoll könnte diese Änderungen schon entdecken, wenn er es gewollt hätte.

Aber die Kontrollen finden einfach viel zu selten statt.

Also das ist wirklich, du hast das Wort ja auch schon mal benutzt gerade, das ist die

Rückkehr des Manchester Kapitalismus mitten im 21.

Jahrhundert in Deutschland.

Diese Bedingungen sind derart skandalös, dass man sich ja kaum vorstellen kann, dass erst

deine Recherche das alles sichtbar gemacht hat.

Insbesondere, wenn man bedenkt, dass es ja hier nicht um ein paar kleine Schlachtbetriebe

geht, die unter der Aufmerksamkeitsschwelle irgendwie fliegen, sondern die europäischen

Marktführer am Werke Centenius Wiesenhof Danish Crown.

Wie rechtfertigen die sich denn?

Ja, mit der Grill-Saison, die haben gesagt, wir brauchen für die Saison Spitzen.

Wenn draußen gegrillt wird, brauchen wir einfach dann immer ganz unterschiedlich

Arbeiterinnen, also schlechtes Wetter, gutes Wetter.

Und das ist natürlich Humbug, weil die Grill-Saison beginnt heutzutage auch

oft schon an Silvester, wenn angegrillt wird.

Und das ist ein Argument, mit dem man immer mehr Werkverträge einfach bei sich haben wollte.

Zumal ja dann in der Logik wird in Deutschland ja das ganze Jahr gegrillt.

Genau.

Es ist ja nicht etwas, was sie offenbar nur in den Sommermonaten getan haben, sondern

da wird durchgegrillt.

Ja, genau.

Und trotzdem haben sie gesagt, ja, weil unterschiedlich gegrillt wird, müssen wir ganz flexibel

werden.

Du musst ja diese Leute nicht fest anstellen.

Man muss aber auch sagen, dass es gesetzlich erlaubt war.

Also die haben nicht illegal, also Teile schon, haben wir ja gerade skizziert, Teile sind

natürlich illegal gewesen, aber die Schlachthöfe selbst, die großen Fleischbetriebe, es war

nicht illegal, Subunternehmen einzusetzen.

Die haben das einfach nur ausgenutzt, was quasi im Gesetz möglich war.

Sie haben sich das alles, was irgendwie gerade noch legal machbar war, zu eigen gemacht

und haben es dann aber natürlich auf die Spitze getrieben.

Es ist ja auch, wenn das eine Gesetzeslücke ist, die Zustände, die letztlich dann geherrscht

haben und dieses Anherrschen der Leute, dieses Beherrschen dieser Sklavenarbeiter, man kann

es ja gar nicht anders sagen, das ist ja nicht mehr vom Gesetz gedeckt, sondern einfach

nur quasi das Holen dieser Leute und das Beschäftigen dieser Leute auch zu eben den

Bedingungen des jeweiligen Entsendungslandes.

Vielleicht nimmst du uns noch mal mit, damit wir uns das plastisch vorstellen können auf

so einen Schlachthof.

Wie sieht das da aus?

Wie arbeiten die Leute zusammen?

Man stellt sich das ja ein bisschen vor wie so ein Ameisenstaat.

Ja, also genau wie du gesagt hast, steht da außen der Name des Schlachthofs drauf

und innen drin herrschen ganz andere Zustände.

Also das, was innen drin ist, konnten die Schlachthofbetreiber zurecht von sich behaupten,

dass sie das nicht wissen, weil sie es gar nicht wissen durften, eigene Firmen haben

sozusagen die komplette Schlachtung teilweise gemacht.

Und die Leute, die da im Schlachthof standen, die haben oft gar nicht, es ging alles so

schnell, dass sie gar nicht aufschauen durften und da gab es schon eine ziemliche Hierarchie

auch zwischen den Arbeiterinnen, also nach Ländern getrennt.

Ganz oben standen oft die Polen und die Ungarn, die häufig selbst eben Anwerbes, subunternehmende

oder Vorarbeiter waren, die dann für Mannschaft usw. reingebracht haben.

Danach kamen, wie ich das beobachtet habe, damals die Rumänen und dann die Bulgaren.

Also es quasi immer absteigend und ganz unten am schlechtesten wurden behandelt, die Sinti

und Roma, die anderen Arbeiter am schlecht über sie gesprochen und dem ging es wirklich

am schlechtesten von dem, was ich beobachtet habe.

Was ich auch tragisch finde, ist, dass die Fleische, die ja eigentlich geschützt werden

sollten mit dem Gesetz über Werkverträge, dass sie dann arbeitslos wurden.

Also junge Facharbeiter sind überhaupt nicht mehr nachgekommen.

Das Handwerk ist wirklich ausgestorben.

Ich habe einen Fleischermeister getroffen, der 1986 auf dem Schlachthof angefangen hat

und so gesagt hat, ja, die Arbeit war schon hart, wir mussten manchmal richtig knüppeln,

aber wir haben halt richtig, richtig gut verdient.

Der hat im Akkord gearbeitet und hat pro Stück Fleisch, das er zerliegt hat, ein so genanntes

Kopfgeld bekommen, damals 6.500 Mark im Monat und er konnte sich eine große Wohnung leisten,

Reisen, Autos und er hat auch gesagt, dass die Arbeit zwar hart war, aber die Stimmung im

Schlachthof gelöst.

Also er hat gesagt, wir mussten manchmal das Band abstellen, weil jemand einen Witz gemacht

hat und wir es so lachen mussten.

30 Jahre später war er immer noch zu Geburtstag von ehemaligen Kollegen eingeladen.

Davon kann heute einfach gar keine Rede mehr sein.

Du hast ja gerade schon mal gesagt, dass quasi die großen Betriebe, die Unternehmen gar nicht

so richtig wussten, was in ihren Schlachthöfen eigentlich, wo deren eigener Name draufstand

vorging, weil die Subunternehmer diese Betriebe dann letztlich geführt haben.

Man kann sich aber ja jetzt auch nicht vorstellen, dass die das völlig losgelöst vom Wissen dieser

Unternehmen gemacht haben.

Wie eng war denn die Zusammenarbeit von Schlachthöfen und Subunternehmern?

Also schon echt enger, als beide Seiten zugegeben haben.

Manchmal haben auch Schlachtbetriebe selber über den Stromern Subunternehmen gegründet

und auch Subunternehmer hatten Firmen dann in Osteuropa gegründet, die als reine Anwerbepyros

gedient haben.

Also es war wirklich Menschenhandel mit Billigarbeitern gedeckt durch EU-Recht.

Und ich habe etliche Subunternehmen beobachtet, die mehrere Firmen zugleich gegründet haben

und dann nach ein paar Monaten immer wieder aufgelöst haben, bevor eben die Steuerfahndung

kommt.

Und ich habe mit Insider gesprochen, die geschätzt haben, dass nur etwa fünf Prozent der Betrügereien

überhaupt aufgeklärt werden.

Und wenn es dann doch mal passiert, dann geht es gleich um Millionen.

Also ich habe unterlang zu einem Schleuserprozess, wo sich allein der Betrug an Sozialversicherungen

auf 4 Millionen Euro belief.

Und in der Anklageschrift steht beide angeklagten Handelten, um sich eine auf Dauer angelegte

nicht unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen.

Also die haben einfach mit Daten von Leuten rummanipuliert.

Du hast ja auch ein Täter, das uns ihn ruhig mal so nennen getroffen, in den Verantwortlichen

eines niedersächsischen Unternehmens, das mittlerweile Bankrott ist.

Wie hast du den erlebt?

Hat er sich dir geöffnet?

Wir wollen ihn jetzt mal Frank nennen, er wollte auch nicht seinen echten Namen genannt

wissen.

Und der hat sich schon geöffnet, ist aber 100 Kilometer weit in einen ganz entlegenen

Gasthof irgendwo auf dem Land gefahren, wo ihn ganz sicher niemand erkennen kann.

Ein großer blonderer Mann mit kräftigem Händedruck, gelernter Fleischer und der war Führungskraft

bei dem mittlerweile Bankrott gegangenen Unternehmen namens Schwarzkranz, der ist

zwar damals so ein ganz edles Unternehmen, die Chefin war auch in der Hamburger Heise

Seite gut unterwegs, die haben Aldi und Lidl und so weiter beliefert.

Und dieser Frank war einer von denen, die das System der Subunternehmer bei der Firma

mit aufgebaut hat.

Und er hat auch schnell gemerkt, dass das System auf Ausbeutung beruht, er hat aber

gesagt, ja das war uns scheißegal, Hauptsache es hat funktioniert.

Und er hat die Menschen an den Wändern, Zwangsarbeiter genannt, die Subunternehmer hat

der Menschenhändler oder Sklaventreiber genannt.

Also er hatte da überhaupt keine Illusionen darüber, wie es wirklich aussah.

Und er hat mir schon gesagt, dass er, weil er fest bei dem Unternehmen angestellt hat,

aber gesagt, er hat eng mit den Subunternehmern zusammengearbeitet und er hat dann immer zum

Beispiel den Vorarbeitern seine Wünsche durchtelefoniert, wer ausgewechselt werden soll,

weil vor der Tür stand ja immer schon den Nächsten.

Er hat uns zum Beispiel sowas gesagt, habe ich ihn auch gebeten zu wiederholen.

Er hatte so gesagt, ja, ich habe dann zum Beispiel gesagt, ja, die geht so oft aufs

Klo, die muss weg oder der hat gestern Nacht gesoffen, der muss auch weg, solche Sachen.

Und dann hat er gesagt, ja, die Arbeitszeiten der Arbeit sind natürlich fast nie eingehalten

worden und man hat die Pausen verkürzt, man hat die Leute hochgetrieben.

Von einer halben Stunde Pause sind oft nur wenige Minuten da geblieben.

Und er hat auch gesagt, dass sie die Arbeitszeiten, die per Chip erfasst wurden,

hinterher verändert haben.

Schwarz-Granz, die Firma hat mir gesagt, dass die Förder für nicht gestimmt haben

damals. Ich habe aber mit relativ vielen Mitarbeitern diese Firma gesprochen und die

haben gesagt, dass sie selber ziemlich unter Druck standen, weil sie selber oft

ausgetauscht worden sind. Also, dass Mitarbeiter versetzt worden, abgemahnt

worden und dass man immer so Gründe gefunden hat.

Zum Beispiel ist der damals musste man auch schon Mundschutz tragen, der Mundschutz

verrutscht ist oder man ist durch die falsche Tür gegangen.

Und einer wirklich so ein gestandener Fleischermeister hat im Gespräch mit mir

geweint, als er sich an diese Demütigungen erinnert hat.

Also es gibt wirklich Druck überall.

Und der Frank hat mir erzählt, er hat auch ziemlich vielen Mitarbeitern kündigen müssen.

Und wenn er gewissensbisse hat, er hat er einfach mehr Geld gekriegt.

Also sein Gehalt verdoppelt, einen Firmenhänden, die dann Dienst wagen.

Und wie gesagt, die Firma hat alle Vorwürfe zurückgewiesen.

Gewissensbisse ist ein gutes Stichwort, weil das habe ich mich jetzt gerade gefragt,

als du mit dem Frank gesprochen hast.

Machte der auf dich so einen räumütigen Eindruck, dass er irgendwie tatsächlich

in seiner Seele nochmal gekramt hat und gedacht hat, oh Gott, was habe ich da eigentlich

gemacht? Oder war das so jemand, das kennt man ja auch.

Also diese Psychologie, wenn Menschen Macht erlangen, dass sie fast eine Freude

daran entwickeln. Also ich hatte gerade so ein bisschen diesen Verdacht, als du sagst,

dass er, wenn die dann zu oft aufs Klo gegangen ist, dann hat er sie gefeuert,

dass man dann irgendwann anfängt, in so einer Position genau nach solchen Sachen

zu suchen, damit man jetzt wieder jemanden feuern kann, weil es irgendwie

so eine Freude entwickelt.

Genau, das kann ja auch eine Macht ist ja irgendwie leider sehr, sehr, sehr gefährlich.

Auch gerade in den Händen vielleicht eher kleinere Menschen.

Ich weiß total, was du meinst.

Bei ihm war es tatsächlich so, dass er sich für mich glaubhaft räumütig

verhalten hat und mir eben erklärt hat, unter was von dem Druck er selber stand

und wirklich sichtlich erleichtert war, dass er da raus war, er hat dann was ganz

anderes gemacht, zu dem Zeitpunkt, zu dem ich ihm getroffen habe.

Aber Macht ist trotzdem ein gutes Stichwort, Daniel, weil ich habe mich die ganze Zeit

während der Recherche gefragt, was machen eigentlich diese Deutschen da?

Also das kann doch nicht sein, dass die Menschen mitten unter uns wohnen und niemand

was macht. Und das fand ich wirklich ekelhaft teurer als er.

Also da gab es zum Beispiel Hausfrauen, die da in Essen Oldenburg, dem Hauptsitz

von Danish Crown, zur Werkvertragsarbeiterinnen abgefangen haben und ihnen

angeboten haben, Kindergeldanträge für sie auszufüllen, für 150 Euro.

Und manche sind auch mit zum Arzt gekommen, das kostet dann 50 Euro.

Und das finde ich wirklich krass, wenn dann die Leute, denen es so geht, auch noch

ausgebeutet werden.

Es ist wirklich ekelhaft und das meinte ich übrigens gerade mit kleineren Menschen.

Da meinte ich natürlich nicht die Körpergröße, sondern charakterlich

kleinen Menschen. Und das hier ist der beste Ausdruck für einen charakterlich

kleinen Menschen.

Ja, dazu passt auch ein Raumausstatter, den habe ich besucht.

Der hat in Quarkenbrück Wohnungen in zwei ehemaligen Kasernen vermietet.

Die wurden seit 1933 nicht saniert und der hat 53 Euro im Monat pro Wohnung

genommen, also wirklich günstig im Verhältnis.

Aber das sah aus, es war unglaublich.

Da war Schimmel an den Wänden.

Die Fans waren auch nicht dicht.

Deswegen haben die Bewohner so Heizkörper aufgestellt und hohe

Stromrechnungen und dann hat er so gesagt, ja, die Leute müssen halt

lüften, aber die haben halt einfach andere Sauberkeitsstandards als wir.

Wahnsinn, also auch noch rassistisch.

Rassistisch, genau.

Wirklich der Rückfall in die Barberei, wie der Gewerkschaft der Brümme

mir das gesagt hat.

Jetzt gibt es aber nicht nur schlechte Menschen.

Gott sei Dank, auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gibt es gute

Menschen, die sich dem System entgegenstellen und die versucht haben,

das sichtbar zu machen, Menschen, die das nicht hinnehmen.

Wer hat Menschen wie Joana und Darian und Emilian und all den anderen denn geholfen?

Also ich bin monatelang mit Daniela Reim, Maria Cromova und Sabal

Sepschi von der Beratungsstelle für faire Mobilität durch die Gegend gefahren.

Diese Menschen sind gebürtige Muttersprachler und die haben ein riesiges

Aufgabengebiet und die sind wirklich Expertinnen für das deutsche Behördenwesen

geworden. Die sind den ganzen Tag.

Also zum Beispiel Daniela Reim und Maria Cromova sind den ganzen Tag mit

einem Bulli durchs Land gefahren, haben sich vor Schlachthöfe gestellt

auf die Parkplätze von Netto und Lidl, wo man eben die Menschen trifft, die man

beraten kann. Und das ist ein pausenloses Klingeln ihrer Handys.

Also ich habe es heute noch immer, wie die ganze Zeit das Telefon klingelt.

Und wenn die angerufen werden, geht es nur um existenzielle Probleme.

Also eine Frau, die sich nicht traut, ihrem Vorarbeiter zu sagen, dass sie schwanger

ist, weil sie glaubt, dass sie sofort aussortiert wird.

Ein Mann, dem schon der Finger abgefault ist, den ihr Vorarbeiter aber

nicht zum Arzt lässt, weil der Kranke keine Krankenversicherung hat und solche

Sachen. Ich fand aber ganz toll, dass ich bezeugen konnte, dass auch einige

Arbeiter selbst jetzt angefangen haben, ihre Stimme zu erheben.

Ich habe eine Szene von einem Stall in Garte, auch einer dieser kleinen Horte

in Niedersachsen, verfolgt im Herbst.

Da standen zwölf Arbeiter und es war ganz ungewöhnlich, nicht nur weil sie an

dem Nachmittag nicht in der Fabrik waren, sondern auch weil sie sich überhaupt

getraut haben, sich zu versammeln.

Das waren so zwölf Fahlegestalten in Trainingsjagden, die den Kreis gebildet haben.

Und einer, Nikolai, stand in der Mitte, ganz angreifflustig und hat den Subunternehmer,

der gekommen ist, gefragt, warum wurde so vielen von uns in den letzten Monaten

gekündigt? Warum war denn der Adrian dabei, der seit fünf und einhalb Jahren hier

arbeitet, immer nur nachts und alle Arbeiter haben plötzlich angefangen

zu sprechen mit dem Subunternehmer zum allerersten Mal?

Also, sie haben ihn gefragt, warum bekommen wir nie Geld, wenn wir nachts arbeiten?

Warum bekommen wir nicht alle unsere Stunden bezahlt?

Warum haben wir überhaupt einen Chip, wenn er unsere Stunden nicht erfasst?

Warum haben im letzten Monat 30 Stunden auf einer Abrechnung gefehlt?

Warum dürfen wir nicht nach zweieinhalb, sondern erst nach fünf Stunden Pause

machen? Warum schlafen wir zuviert in einem Zimmer und so weiter?

Was hat er gesagt? Hat er irgendwann gar nichts gesagt?

Und als ich ihn gefragt habe, ist es auch ein Klassiker in der Fleischindustrie,

wie viele Angestellte er hat, weiß er nicht.

Wie viele Firme er hat, weiß er nicht.

Wie seine Firmen heißen, weiß er nicht.

Und der Anwalt hat dann so gesagt, ja, das sind betriebsbedingte Kündigungen.

Und die sind dann zusammen mit mir in so einen ungebauten Stall gegangen,

in dem die Arbeiterinnen gewohnt haben, den der Subunternehmer gemietet hat.

Und das sah eben aus wie solche Behausungen immer aussahen, vollgestopft

mit irgendwelchen Matratzen, ausrangig hätte Bundeswehr, Betten, fleckiges Zeug.

Und ich habe den Subunternehmer gefragt, wie es ihm denn geht, wenn er das so sieht.

Und er hat gesagt, oh, das ist hier standardmäßig ausgestattet.

Und als ich meine Fleischerlehre gemacht habe, hat mir auch eine Matratze

auf dem Boden gereicht, aber er war halt nicht Mitte 40, wie viele der

Fleischarbeiter sind und Familien ernähren müssen, sondern er war damals

ja ein ganz junger Mann.

Und er hat dann so gesagt, ich bin Christ, aber kein Gläubiger.

Und ganz am Ende war die Szene fast so ein bisschen

surreal, weil sich die Subunternehmer Anwalt und Arbeiter so hilflos

nebeneinander standen und wie so peinlich berührt waren.

Und der Nikola hat dann ein paar Mal angefangen zu sprechen,

aber er hat sich nicht getraut und irgendwann, wenn es einen Blick gehoben

ist, gewagt, dem Subunternehmer in die Augen zu schauen und ihm noch eine

einzige Frage gestellt, bitte lassen Sie mich einfach nur arbeiten.

Bitte sagen Sie mir, was ich gemacht habe, weil ja alle gekündigt wurden.

Und der Subunternehmer hat nur da gestanden und geschwiegen.

Nun ist nach Deiner Recherche etwas passiert, was eher selten passiert.

Da Bum.

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Es hat sich ein Bundesminister bei dir gemeldet, der damalige Bundeswirtschaftsminister

und Vizekanzler und Vizekanzler Sigmar Gabriel.

Ja, was wollte der denn?

Ja, der hat sich über einen Kollegen meine Telefonnummer besorgt und hat mir

dann geschrieben, dass er sich schämt als Deutscher und als Sozialdemokrat,

nachdem er in der Zeit von den Zuständen gelesen hat, in denen in Deutschland

Fleisch produziert wird.

Und er hat mich dann eingeladen mit so einem großen Aufgebot von seinem

ganzen Mitarbeiterstab und hat mich gefragt, was können wir tun?

Und dann, das ist ein No-Brainernoss, das ganz einfach Werkverträge verbieten.

Ich bin dann mit ihm mehrfach nach Niedersachsen nach Nordrhein-Westfalen gereist.

Wir sind auch sogar zur Arbeit nach Hause gegangen, nachdem die natürlich

gepreift wurden und die Wohnungen vorher einmal per Sicherheitspersonal

abgesucht wurden.

Und Gabriel hat schon den Fleischbetreibern gesagt, dass Werkverträge nur

ausnahmsweise vorgesehen sind und nicht eben zu zwei Dritteln der ganzen

Belegschaft, wie es damals der Fall war in der Fleischindustrie.

Aber auch ihm haben sie gesagt, die Flachstoffbetreiber, Fleisch ist eben

sehr so nahles Geschäft und so muss es eben sein.

Und das Ergebnis von Gabriels Bemühungen war, dass die Produzenten der

Fleischwirtschaft in Berlin eine Selbstverpflichtung unterschrieben haben,

die hat aber fast gar nichts bewirkt.

Also, manche Dau about nothing, wie es im Englischen heißt, viel lernen um nichts

und apropos Lärm, da gibt es ja einen sehr schillernden

Chef eines großen deutschen Schlachtbetriebes.

Du meinst den größten deutschen Schlachter?

Den größten deutschen Schlachter.

Deutschland sucht den Superschlachter, Klemens Tönnies und den hast du ja

gemeinsam mit Sigmar Gabriel besucht.

Tönnies war damals auch Aufsichtsratschef von Schalke 04, also auch vielen

Menschen in Deutschland über das Fleischbusiness hinaus als schillernder

Sport funktionär, Fußball funktionär bekannt.

Wie war dieses aufeinandertreffen?

Ja, das war auch eine Begegnung der dritten Art.

Gabriel Tönnies und ich sind gemeinsam durch den Tönnies Schlachthof in

Reda Wiedenbrück, also das Stammwerk gelaufen.

Und es haben sich so Schweinehälften am laufenden Band an uns vorbeigeschoben.

Aber Tönnies hat wirklich nur Augen für den Sigmar Gabriel gehabt und hat

ihn zwar am Arm gezogen und reingezogen in die Fabrik, in seinen Lebenswerk.

Beide Männer hatten weiße Schutzanzüge an und vom Weiten haben die

wirklich ausgesehen wie Astronauten.

Und ich immer natürlich hinterher.

Hattest du auch so einen Anzug an?

Ich hatte auch so einen Anzug an, ja, musste ich ja.

Also drei Astronauten?

Drei Astronauten und es waren Astronautinnen und es sind natürlich

noch ein Haufen Leute hinter uns her gelaufen, die auch alle mit dabei waren.

Und wir sind dann alle gemeinsam in die Kantine gegangen und in der hatten

sich schon hunderte Arbeiter aus Osteuropa Werkvertragsarbeiter versammelt.

Und Tönnies hat gerufen, ich lade Sie ein, bleiben Sie bei uns,

bewerben Sie sich um feste Stellen mit so einer großen Geste.

Und die Arbeiter haben ihm applaudiert, obwohl sie vermute ich kein Wort verstanden haben.

Gabriel und Tönnies waren aber hochzufrieden mit ihrer Tat.

Sind aus ihren Schutzanzügen gestiegen und haben sich dann in einem neuen Raum

aufgestellt, in dem schon die bestellten Journalisten gewartet haben.

Und man hat jetzt noch gar nichts offiziell vereinbart.

Aber Tönnies hat schon mal erklärt, dass sich die Fleischindustrie bessern wird.

Und Gabriel hat erklärt, dass Tönnies die Bewegung der Sauberkeit anführen wird.

Und die Bildzeitung hat am nächsten Morgen getitelt Bündnis gegen Dumping-Löhne.

Und ich dachte so, Clemens Tönnies, der König der Schweine als Vorkämpfer

für eine anständige Arbeitswelt, das wird ein interessantes Experiment.

Und dieses Experiment habe ich den neuen Monatelang verfolgt

gemeinsam mit unserem Kollegen Stefan Willeke, dem Chefreporter der Zeit.

Denn deine Sache ist es ja nicht, solche Absichtserklärung abzudrucken

und den Glauben zu schenken, sondern hinter diese Absichtserklärung zu blicken

und die Realität dahinter sichtbar zu machen.

Und dementsprechend bist du und ist der Kollege Stefan Willeke ebenso

nochmal zurück dahin gefahren nach Reda Wiedenbrück und in angrenzende Orte.

Und dort habt ihr mit Arbeitern in der Tönnies Fabrik gesprochen, die diese

ja gerne auch Alcatras nennen oder auch nur das Gefängnis.

Wie haben die denn diesen ganzen neuen Schwung von Tönnies und Gabriel erlebt?

Ja, genau.

Wir haben sehr viel mit Menschen dort gesprochen und uns ganz besonders

mit dem Schicksal einer Rumänen beschäftigt, Mr.

Ela, die war damals 39 Jahre alt, ne ganz zierliche Frau mit so sehr feinen,

fast medienhaften Gesichtszügen.

Wir haben sie oft getroffen, die Mr.

Ela oft in der Kanzlei ihres Anwalts, wo sie nach und nach ihre Geschichte

erzählt hat. Es war recht stockend am Anfang in knappen Sätzen.

Und sie hat ganz, ganz viel geweint.

Es hat wirklich eine Wahl gedauert, bis sie die Angst davor überwunden hat,

über die zurückliegenden Monate mit uns zu sprechen.

Also wir waren neun Monate insgesamt unterwegs, Stefan und ich in dieser Gegend

und haben mit ihr rekonstruiert eben diesen Besuch, über den wir gerade

gesprochen haben. Und Mr.

Ela hat gesagt, sie hat von dem Besuch des Vizekanzlers und Wirtschaftsministers

nichts mitbekommen, weil sie Nachtschicht hatte.

Also als Sigmar Gabriel und ich schon in den Hubschrauber geklettert und zurück

nach Berlin geflogen sind, hat sie noch geschlafen.

Erst um fünf Uhr morgens kam sie immer von ihrer Arbeit zurück und ihr Bett

steht ganz hinten links in einem Zimmer, dass sie sich mit anderen Frauen geteilt hat.

Die Schaumstoffmatratze war ganz durchgelegen.

Es hat muffig gerochen und Mr.

Ela hat uns erzählt, dass sie in dieser Nacht unruhig geschlafen hat.

Wie dauernd. Sie hat immer das Schlagen von Türen im Korridor gehört, weil ihre

Mitbewohnerinnen unterschiedlichen Schichten arbeiten.

Und Mr. Ela hat dann erzählt, wie sie aufgestanden ist morgens und gewartet hat,

bis sie an der Reihe ist ins Bad zu gehen.

Sie hat sich schnell gewaschen, weil draußen vor der Tür halt schon die nächste

Frau gewartet hat und für ein Frühstück hat sie eh keine Zeit gehabt.

Mr. Ela hat gemeinsam mit sieben anderen Frauen in der Zweitzimmerwohnung gewohnt.

Die haben sich alles geteilt, auch den Kühlschrank und alle acht Frauen haben

Fleisch für Tönnies geschnitten und sie haben auch sehr oft untereinander

gestritten hat.

Mr. Ela uns erzählt, weil es einfach viel zu eng war und das ist nicht

ausgeblieben, dass man da streitet.

Und Mr. Ela hat uns erzählt, dass sie, wenn sie Nachtsicht hatte, immer um halb

fünf aus dem Haus gegangen ist nachmittags und gegenüber in weißen Bus

gestiegen ist, der sie zur Arbeit bringt.

Dieser Bus, den haben wir auch gesehen, der hat keine Aufschrift, aber die

Arbeiter haben gelernt, dass es ihr Bus ist.

Der hält relativ oft, weil er ganz viele Arbeiterinnen einsammeln muss.

Und in manchen Nachmittagen hat der Weg zur Arbeit so eine Stunde gedauert.

Und Mr. Ela war relativ ruhig und hat sich nicht so stark beteiligt.

Sie ist wegen Tönnies nach Deutschland gekommen.

Sie hat uns erzählt, dass in den ländlichen Gegenden Rumäniens, wo sie herkommt,

der Name Tönnies, so verheißungsvoll klingt wie Coca Cola.

Sie hat uns auch erzählt, dass im rumänischen Fernsehen Werbefilme

gelaufen sind, die Bilder zu diesem Versprechen geliefert haben.

So ein Tönnies, eine saubere Fabrik, geräumige Unterkünfte, schönes Fachwerk.

Gute Arbeit. Und deswegen hat Mr. Ela im Sommer des Jahres 2013 beschlossen,

ihr Dorf zu verlassen.

Sie kommt aus einem Dorf in der Nähe der Stadt Morini in der Wallachai.

Und sie hat uns erzählt, dass diese Region ziemlich arm ist und die Felder voller

Steine sind. Sie hat damals als Putz vorgearbeitet, konnte aber ihre Familie

kaum ernähren und hat ihren Job aufgegeben.

Sie hat einen 16-jährigen Sohn gehabt, der ist bei ihrer Mutter geblieben

und ihre 19-jährige Tochter war schon verheiratet.

Von ihrem Mann hatte sich Mr. Ela sowieso schon getrennt.

Und Mr. Ela, die wusste damals noch nicht, dass Tönnies mehr als eine Fabrik ist,

sondern Mensch, Clemens Tönnies.

Sie hätte ihn auch niemals erkannt, wenn er ihr Gegenüber auf der Straße

gestanden wäre. Und Mr. Ela hat auch nicht Tönnies gesagt, sondern Tönnies,

also ein Wort ohne Umlaut.

Sie konnte, als wir sie getroffen haben, die Worte Nackenschnitzelarbeit Tönnies.

Also das sind diese Worte, die sie nach 7 Monaten bei Tönniers kannte.

Sie hat so acht, 19 Stunden am Tag gearbeitet.

Sie hat Fleischstücke verpackt und das meiste von ihrem Gehalt

ihrer Mutter geschickt nach Rumänien und für sich selbst immer nur das günstigste

gekauft. Und es war dann jeden Tag dasselbe, nicht das, was der Werbefilm

in Rumänien gezeigt haben.

Aber so ist das ja meistens bei Prospekten, die zeigen ja nur nie das ganze Bild.

Aber dann an einem Tag im März des Jahres 2015 hat

Mia Ela gemerkt, dass irgendetwas anders ist als sonst.

Ja, und sie kann es jetzt auch dann in diesem Tag nicht mehr länger ignorieren.

Ihre Instruation ist schon seit Monaten ausgeblieben und sie hat sich überlegt, ob sie vielleicht schwanger ist.

Vielleicht von dem einen Mann, dem sie nicht mehr wiedergesehen hat nach einer Nacht,

der einfach verschwunden ist und sie hat versucht, hat sie uns erzählt, diese Vorstellung zu unterdrücken.

Sie darf ja nicht schwanger sein, auf gar keinen Fall, weil der Vater würde sich zum Kind nicht bekennen.

Und sie hat dann auch erzählt, wie sie sich so eingeredet hat.

Nein, ich bin 39, ich werde nicht mehr so leicht schwanger.

Und dieser Tonys, das hätten Kolleginnen ihr gesagt, der sei so mächtig, der könnte sogar unbrauchbare

Erarbeiter zurück nach Rumänien abschieben.

Bevor wir weiter über Mia Elas Schwangerschaft reden und über das, was dann passiert ist,

ist vielleicht das jetzt ein ganz guter Moment, wo wir den Tonys ja nochmal gehört haben quasi.

Wer ist das eigentlich, dieser Clemens Tönnies, dessen Vermögen auf eine Milliarde Euro

inzwischen wahrscheinlich sogar noch ein bisschen mehr geschätzt wird?

Dieser Mann, der auch und gerade durch Menschen, die wie Sklaven arbeiten, unsagbar reich geworden ist.

Was kannst du uns über ihn sagen?

Die Lebensgeschichte von Clemens Tönnies beginnt in einer Schlachterei und ich vermute, dass sie dort auch enden wird.

Dass es ein Leben, das von Gehorsem gezeichnet ist und dem unbedingten Willen es nach oben zu schaffen.

Also Clemens Tönnies hat uns erzählt, dass er schon als Kind in der Metzgerei seines Vaters aushelfen musste

und den Satz dort gelernt hat, verdienen kommt von dienen.

Und als er noch ein Junge war, im westfälischen Reder, stand er früh morgens neben seinem Vater im Laden,

Schnittbrötchen und Kotlets und auf dem Schulweg musste er immer die Passanten freundlich grüßen.

Bei jeder Mensch hat es sein Vater ihm gesagt, kann ein Kunde sein.

Und einmal hat Tönnies uns erzählt, hat er sich von seinem Vater auch eine Ohrfeige eingehandelt.

Und zwar als der Vater ihn gefragt hat, was er werden will.

Und der kleine Clemens hat gesagt, Radio und Fernsehtechniker.

Und der Vater hat ihn dann geschlagen und dann nochmal gefragt, Junge, was willst du werden?

Und da hat er Clemens geantwortet, ich will Metzger werden, Papa.

Ich weiß jetzt zwar nicht, wie viel Mitleid Clemens Tönnies verdient, aber das klingt ja doch nach einer relativ freudlosen Kindheit, muss man sagen.

Den Eindruck hatte ich auch, es klingt auf jeden Fall nach der Kindheit eines Menschen, der nicht aufbegehrt,

sondern sich in einem autoritären Mann fügt und auf die Chance lauert, irgendwann mal an dessen Stelle zu treten.

Dann gab es noch einen älteren Bruder Bernd, der war vier Jahre älter als Clemens und den hat der Clemens Tönnies wirklich verehrt.

Wenn der Bernd einen Raum betreten hat, dann war von Clemens nichts mehr zu sehen.

Bernd ist in feinen Anzügen durch die Welt gelaufen, hat eindrucksvolle Reden gehalten,

hat 1971 eine eigene Fleischfabrik in Reda gegründet, hat in der kollabierten DDR eine marode Schlachterei übernommen,

hat die Maschinen schneller laufen lassen, hat die Arbeiter zusammengestaucht, hat wirklich ein kleines Imperium geformt.

Und der Bernd Tönnies ist 1994 überraschend nach einer Nierentransplantation gestorben

und plötzlich musste sein Bruder Clemens das Reich regieren,

zudem auch der Verein gehörte, den du angesprochen hast, der FC Schalke 04.

Clemens Tönnies hat uns gesagt, der Bernd war mein Leidwolf, früher war ich butterweich, heute bin ich härter geworden.

Und er hat uns aber auch gesagt, dass er in des Kargeleben seiner Kindheit des Leben eines, wie er es nannte,

Seitenstraßen Metzgers nie mehr zurück wollte.

Er hat uns das alles erzählt im März des Jahres 2015 in seiner Fabrik im sächsischen Weißenfels

und er hat meinen Kollegen Stefan Willeke und mich durch sein Unternehmen geführt

und dann werden der ganzen Zeit so begeistert von Chinesen Berichte, die auf seine Schweineohren scharf seien,

von Japanern, die sich Schweinebäuche wünschen und vom ungeheuren Fleischbedarf der Griechen.

Und was wir ein bisschen irritierend fanden, war, dass er schon nach einer halben Stunde auf den Dauer

irrigierten Penis seines Todkrankenbruders Bernd zu sprechen gekommen ist,

der im Krankenhaus ein ungeeignetes Medikament erhalten hat.

Und er hat dann erzählt, wie er Clemens Tönnies seinen Bruder vor der Amputation seines Penis bewahrt hat.

Und später hatte er dann von einem Labrador gesprochen, dem man keinesfalls kastrieren darf

und überfeiratete Männerwitze gemacht, die ab 50 keinen Sex mehr hätten.

Also es wirkte auf mich so, als hätte Tönnies die ganze Zeit so einen zweiten Film laufen lassen,

der irgendwas mit Potenz und Männlichkeit im Titel trägt.

Und so ist auch Tönnies Schell auf Vladimir Putin getroffen,

der mit Tönnies so eine Art von Männerbündischer Sympathie offenbar hatte.

Also Putin war ja auch mit dem Vereinsschalke 04

verbandelt. Über Gaspromm.

Über Gaspromm, genau.

Tönnies hatte damals gerade an der Grenze zu keinen gigantischen Massbetrieb für Schweine aufgebaut.

Also die Leute haben auch damals gerne erzählt, dass wenn der schwarze Staatslimousine durch

Reda Wiedenbrück fährt, dass dann Putin vielleicht auf dem Weg zu Tönnies sei, aber das ist natürlich bloß ein Gerücht.

Das ist eine ungleiche Beziehung gewesen.

Aber damals hat Clemens Tönnies noch über Putin gesprochen als einem kleinen Mann,

der auch mal in Arm genommen werden will.

Da hat er uns auch erzählt, dass er Putin versprochen hat, mitzuhelfen in Russland eine funktionierende

Landwirtschaft aufzubauen.

Und Putin hätte auch eins zu eins umgesetzt, was er eben aufgeschrieben hätte.

Und er hat aber sich nach dem aktuellen Kriegsausbruch jetzt von Putin distanziert und auch gesagt, er hätte sich von ihm

getäuscht. Trotzdem hat er auf jeden Fall eine Faszination mit Mächtigen Männern.

Das ist ganz, ganz sicher.

Weil er natürlich gerne selbst einer wäre und sehr wahrscheinlich auch einer ist, muss man sagen.

Und diese Macht, die spiegelt sich natürlich auch in der Angst und der Err-Furcht seiner Mitarbeiter.

Und so kommen wir vielleicht wieder zurück zu Michaela, die Angst oder zumindest sehr großen Respekt vor diesem

Tönnies hatte, von dem sie inzwischen ja auch wusste, dass er tatsächlich ein echter Mensch ist.

Wie ging es mit ihr weiter?

Die Michaela war sich dann im April sicher, dass sie schwanger ist.

Sie hat die Bewegungen im Bauch gespürt, aber sich nicht zum Arzt getraut.

Sie hat uns gesagt, dass sie sich schon die ganze Zeit gefragt hat, was sie tun soll, dass sie aber nichts eingefallen ist.

Es gab einfach niemanden, in dem sie sich anvertrauen konnte.

Nicht ihren Kolleginnen und auch nicht ihren Kindern oder ihrer Mutter.

Und sie stand ja Nacht für Nacht bei Tönnies am Band, aber niemand hat ihren Bauch bemerken wollen.

Ihre Kolleginnen haben zur Seite geschaut.

Und bald hat er auch die Kleidung nicht mehr gepasst, wenn sie sich umgezogen hat, ist sie ins Bad gegangen.

Sie war einfach davon überzeugt, dass sie zurück nach Rumänien geschickt wird, falls jemand sie bei ihrem Vorarbeiter verpfeift.

Und das Kuriose an der Situation fand ich, dass Clemens Tönnies zu Recht behaupten konnte, von all den Dingen nichts zu wissen.

Weil er hat eben auch in seinen Fabriken ein System installiert, das es ihm erlaubt hat, wegzuschauen, eben dieses System der Subunternehmer.

Damit konnte Tönnies völlig unbeteiligt bleiben, sobald unangenehme Fragen aufgetaucht sind, dieses völlig legale System.

Und da ist Mihaela ja auch beschäftigt, nicht bei Tönnies direkt, sondern eben bei einem großen Subunternehmen.

Genau, sie war bei MGM beschäftigt.

Das war damals eine der größten Subunternehmer bei der Schlachterei mit 1900 Mitarbeitern.

Und die Mihaela hat dort auch alles erlebt, worüber wir gesprochen haben, mit Miete vom Lohn abgezogen bekommen und so weiter.

Wir sind, als wir bei ihrem Haus floor waren, haben wir Stapel von Briefen, Deutsche Krankenkassen und Ämter gesehen, die an die vielen Rumänen adressiert waren,

die dort geliebt haben, aber die schreiben Lagen dort einfach im Haus floor stapelweise rum.

Und dort auch, wir haben noch mit anderen Arbeitern von MGM gesprochen, die haben auch gesagt, dass ihnen die Stunden nicht bezahlt wurden, dass sie keine Pausen machen durften,

dass sie die Messer und Handschuhe selbst bezahlen mussten, die sie in der Fabrik brauchten.

Und sie haben auch erzählt, dass sie nicht zum Arzt dürfen, also viele von denen, dass sie nicht zum Arzt dürfen, wenn sie krank sind und nicht mal die Krankenversicherungskarte bekommen haben.

Und dass man, wenn einer Krankenzubehause mal bleibt, dass er dann zur Strafe in ständig wechselnde Schichten versetzt wird.

Also die Arbeiterinnen von MGM haben den obersten Boss Clemens Tönnies fast nie gesehen.

Eine Arbeiterin hat uns gesagt, ihn trifft keine Schuld, er weiß ja nicht, was wirklich passiert.

Und das fand ich krass, weil wenn sogar die Arbeiter glauben, dass der Boss ahnungslos ist, dann muss das System des Wegschauens ziemlich ausgereift sein.

Und das sind natürlich die Geschichten, die sich dann weiter tragen, die die Menschen, die dort arbeiten, die auch auf engstem Raum zusammen wohnen, sich natürlich erzählen.

Und so entsteht natürlich oder wächst dieses System der Angst natürlich kontinuierlich.

Und Mia Elas Familie in Rumänien setzte ja große Stücke auf sie, das Geld weiter dahin zu schicken.

Und so kann man sich natürlich schon vorstellen, wie sie alles versuchte, um diesen Job nicht zu verlieren.

Dementsprechend hat sie vor allen auch diese Schwangerschaft versucht zu verheimlichen und hat letztendlich ihr Kind ganz alleine zur Welt gebracht.

Bitte sag uns doch mal, wie und wo das ablief und auch vor allem, was danach mit dem Kind passiert ist.

Ja, Mitte Juni haben bei ihr dann die Wehen eingesetzt und wir sind in dieser Szene mehrfach mit ihr durchgegangen.

Sie hat die Augen geschlossen, während sie uns davon erzählt hat und das mit uns nochmal nachvollzogen.

Wir sind den Weg dann auch später mehrfach abgegangen.

Also sie hat erzählt, wie sie sich im Bett gewunden hat und schließlich aufgestanden ist.

Es war wahrscheinlich so, wie im Nebel, was dann passiert ist.

Sie hat nach Plastiktüten gegriffen, die Wohnung verlassen und ist auf die Straße getreten.

Das ist ja ganz unvorhergesehen.

Sie ging ja sonst nicht raus nur zum Einkaufen und zu ihrem Bus, der sie zum Schlachthof gebracht hat.

Aber plötzlich geht sie wie im Nebel Wege, die sie gar nicht kennt.

Sie ist dann gegangen, bis sie eine Baustelle entdeckt hat nach kurzer Zeit mit einer halbfertigen Garage.

Und dort in dieser Garage ist sie reingegangen und hat sich breitbeinig auf eine Palette gestellt, sich die Hose bis zu den Knien runtergezogen und im Stehen ihr Kind geboren.

Sie hat die Nabelschnur mit den Händen zerrissen.

Sie hat erzählt, dass das Baby geschrien hat und dass sie sich kurz an die Brust gelegt hat.

Und dann hat sie das Neugeborene Kind, die Plazenta, die Nachgeburt und ihre blutige Unterhose in die rote Plastiktüte gelegt, die sie mitgebracht hat und die Garage verlassen.

So hat sie es dann auch, nicht nur uns erzählt, sondern auch der Polizei.

Und dann ist sie offenbar noch einige Zeit planlos rumgeirrt, bis sie einen Parkplatz bei der Firma Media Markt gesehen hat.

Und dort gab es so ein Gebüsch und dahin rein hat sie die rote Plastiktüte mit dem Neugeborenen gelegt und das Kind wurde dann nach kurzer Zeit von einem Paar entdeckt, das von einem Spaziergang heimgekommen ist.

Das Baby war ganz stark unterkühlt, aber es hat geatmet.

Es ist ein Junge, am Rücken und Kopf waren Erdlumpen.

Der Junge hat überlebt und lebt noch heute.

Der ist bei einer Pflegefamilie aufgewachsen und die hat ihn später sogar adoptiert.

Also, man muss jetzt vielleicht mal einmal zweierlei festhalten.

Auf der einen Seite ist es natürlich einfach grauenvoll, wohin sie auch durch die Zustände getrieben wurde, die dieses im wahrsten Sinne des Wortes Schweinesystem ermöglicht hat.

Aber wir müssen auch einmal festhalten, dass das natürlich ein grauenvolles Verbrechen ist, was sie an ihrem eigenen Kind begangen hat, dass sie es fast hat sterben lassen.

Jetzt kann man natürlich die Verantwortlichkeiten stückweit bei dieser Industrie und dem System suchen.

Man muss sie aber natürlich auch bei ihr suchen.

Das hätte sie nicht machen müssen.

Es ist ihr eigenes Kind.

Das würde ich schon auch einmal festhalten wollen.

100 Prozent Daniel natürlich.

Sie ist dafür alleine verantwortlich und man kann natürlich Tönnies nicht dafür verantwortlich machen.

Trotzdem ist es so, dass die Fabrik ihr Leben war.

Sie stand am nächsten Tag schon wieder am Band und sie hätte sich vielleicht anders verhalten, wenn der Vater sich zum Kind bekannt hatte.

Ich weiß es nicht.

Und es ist auch ihr unklar, was damals in der Vor sich ging.

Trotzdem muss man schon sagen, dass Tönnies das System Tönnies eine Rolle gespielt hat.

Dazu gehört auch, dass noch während die Polizei, die hat ja keine Ahnung gehabt, zu wem das Baby gehört, in der Region Flugblätter verteilt hat und nach der Person gesucht hat, die das Baby

ausgesetzt hat, hat sich ein Mitarbeiter der Firma Tönnies bei der Polizei gemeldet und seine Hilfe angeboten und hat so gesagt, ja, ich bin bei Tönnies für Subunternehmen zuständig.

Er kann zum Beispiel die Flugblätter an die Firmen verteilen.

Der hat dann gleich der Polizei auch gesagt, dass die Vorarbeiter die Schwangerschaft eine Mitarbeiterin bestimmt sofort gemerkt hätten.

Und die Polizei hat dann auch bei MGM angerufen, also der Firma in der Firma, bei der Michaela auch beschäftigt war.

Und da hat eine Frau den Hörer abgenommen, die dort als Verwalterin und Dolmetscher arbeitet und die hat den Polizisten auch angeboten, für sie zu übersetzen, wenn sie Arbeiterinnen von MGM befragen möchten.

Und die Polizei hat, muss man sagen, leider dieses Angebot angenommen.

Dazu gibt es auch Protokolle in der Akte.

Da haben Michaela's Mitbewohnerinnen angegeben, sie hatten von der Schwangerschaft nichts bemerkt.

Und zum Glück ist die Polizei dann nochmal hingegangen in Begleitung mit einem rumänisch sprechenden Polizisten.

Der hat dann sehr genau nachgefragt und dann haben zwei Arbeiterinnen schon von der Blutigen Wäsche im Bad erzählt und auch davon, dass der Bauch von Michaela immer dicker geworden ist und man den Bauch schon deutlich erkennen konnte.

Tönnies und MGM haben damals gesagt, dass niemand hätte erkennen können, dass Michaela schwanger war.

Der Geschäftsführer von MGM hat sogar Fotos von der Familienfeier besorgt, auf den Michaela zu sehen war, allerdings so aus der Halbdistance von vorn aufgenommen,

so dass ihr Bauch eigentlich kaum zu erkennen war, er hat uns diese Fotos gezeigt und hat so gesagt, schauen Sie mal, kein Bauch, kein Bauch.

Aber Michaela hat während ihrer Vernehmung gegenüber der Polizei sofort zugegeben, dass ihr ihr Baby ausgesetzt hat.

Sie hat von ihrer Ratlosigkeit gesprochen und wurde verhaftet und sie saß dann in Bielefeld in Untersuchungshaft und hat sich ganz, ganz schwere Vorwürfe gemacht.

Und dass sie dann später verurteilt worden?

Ja, die Michaela saß in Haft.

Mittlerweile ist sie nicht mehr in Haft, mittlerweile lebt sie an einem anderen Ort, den wollen wir jetzt ausgründen, dass Datenschutzes nicht nennen.

Aber mittlerweile lebt sie woanders und als ich sie das letzte Mal getroffen hat, hatte sie sich Gedanken gemacht, was sie damals dann dreijährigen Sohn schenken könnte zum Geburtstag.

Der mittlerweile adoptiert ist von der Pflegefamilie.

Die Firma MGM, der Subunternehmer, hat übrigens beteuert, dass eine ganze Reihe von ausländischen Arbeiterinnen schwanger geworden ist und Mutterschutz genossen hätte und dass keine schwangere Arbeiterinnen etwas zu befürchten gehabt hätte.

Und die Firma Tönnies hat es auch beteuert.

Aber Michaela, das ist auch klar, hat davon nie was mitbekommen und die hat sich vor Konsequenzen gefürchtet, die auf keinem schwarzen Brett ausgehangen werden.

Aber das ist natürlich auch eine beliebte Methode, das ist so ein Feigenblatt.

Natürlich gab es mit Sicherheit Schwangere, die dann auch später in den Job zurückkehren konnten.

Klar, aber keiner redet über die vielen, vielen, die das nicht konnten und zu denen gehört eben Michaela.

Tönnies wusste von nichts, das glaube ich auch glaubwürdig, wusste er von dem Einzelfall nichts, ob er von dem System nichts wusste.

Das lassen wir mal dahingestellt, aber gestolpert ist er dann ja dennoch mit seinem System.

Genau, also damals, da sagst du völlig richtig, er hat da auch nichts gewusst, wir haben ihn gefragt, wie viele Subunternehmen bei ihm tätig sind.

Weiß er nicht, keine Ahnung, er kann auch gar nicht einen Namen von einem Subunternehmer nennen.

Er hat uns gesagt im Konfrontationsgespräch, Stefan Willecke und mir hat er gesagt, Tönnies, ich bin nicht der große Zampfer, nur der alles regelt.

Aber er hat schon seinen Referenten für Arbeitsrecht ziemlich viele Informationen damals sammeln lassen über Michaela.

Und Tönnies hat gesagt, der Fall hat mich total erschüttert, die Michaela sei im großen Maße kriminell, die hätte eine Vollmeise.

Er hat aber auch gesagt, dass er sich nichts vorzuwerfen hat.

Wie du schon sagst, ist Tönnies dann nicht über den Fall Michaela gestolpert, sondern in der Pandemie, weil durch die Corona-Pandemie die Zustände im Tönnieswerk grell ausgeleuchtet wurden.

Da haben dann wirklich alle Menschen von den Zuständen erfahren, über die wir hier sprechen.

In der Tat, weil es dann einen großen Ausbruch gab in einem der Werke von Tönnies und das natürlich einen wunden Punkt getroffen hat damals und deswegen vielleicht noch mal sehr viel mehr als schon 2014, als du berichtet hattest,

dass Scheinwerferlichte auf die Fleischindustrie geworfen wurde.

Ja, und das Bundesarbeitsministerium, das hatte davor schon einige Versuche unternommen, strengere Gesetze und Kontrollen für die Fleischindustrie zu schaffen.

Aber die Unternehmen hatten immer sich eben rauslaviert und Wege gefunden, ihre dubiosen Praktiken beizubehalten.

Aber jetzt wussten die Beamten, dass ihre Chance gekommen war, als eben dieser große Ausbruch war in dem Tönnieswerk, dieser große Corona-Ausbruch und plötzlich alle Deutschen wussten, wie es in der Fleischindustrie aussieht.

Dann haben sie im Bundesarbeitsministerium Tag und Nacht gearbeitet, den ganzen Sommer über und im August 2020 war der Gesetzentwurf da.

Das sogenannte Arbeitsschutzkontrollgesetz, das ist mal wieder so ein sehr schönes deutsches Wort, wir werden gleich nochmal darüber reden, ob es das auch tatsächlich tut, was es vorgibt zu tun, nämlich den Arbeitsschutz zu kontrollieren, wurde dann gültig ab dem 1.

Januar 2021, aber bevor wir dahin gehen, möchte ich dich noch nach einer schönen Porn zu fragen, denn der von uns ja bereits breit beschriebene Ex-Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel, der einst wie ein Astronaut neben Clemens Tönnies durch seinen Werkschritt, kommt auch hier nochmal ins Spiel.

Oh ja, das kam nämlich auch in diesem Zug heraus, dass Gabriel bei Tönnies als Berater gearbeitet hat, ein paar Monate lang und auch 10.000 Euro im Monat dafür verdient hat, also nicht zu knapp und Gabriel sieht da auch überhaupt kein Problem darin.

Also ich habe nochmal mit ihm darüber SMS ausgetauscht, aus denen ich nicht zitieren darf, aber er ist sich keine Leihschuld bewusst, er hat es unter dem Mathilfe gebraucht und warum sollte ich ihm nicht helfen, so in die Richtung hat er sich geäußert.

Wie mein Vater sagen würde, kannst du dir nicht ausdenken.

Das stimmt.

Aber kommen wir zurück zu dem Arbeitsschutzkontrollgesetz. Was ist das genau für ein Gesetz?

Das verbietet jetzt tatsächlich Werkverträge in den Kernbereichen der Schlachtung, also beim Schlachten, zerlegen und verarbeiten bei Betrieben über 49 Mitarbeitenden.

Also ist wirklich das, was sozusagen im Kern dieses System aushebeln sollte.

Und was hat sich heute verändert? Hat dieses Gesetz seine Wirkung entfaltet?

Also es ist schon so, dass auf den Schlachthöfen die Leute jetzt fest angestellt sind und die Daniela Rhein mit der ich damals so viel Zeit verbracht habe und immer wieder angerufen habe und jetzt auch wieder angerufen habe.

Die hat zu mir gesagt, also das Gute ist, du hast die Firma hier, du kannst bei Verstößen gegen die Firma klagen.

Das ist einfacher als gegen irgendein Subunternehmen mit Sitz in irgendwo zu klagen.

Aber die Arbeiter erzählen, dass die Strukturen gleich geblieben sind, dass die Vorarbeiter eben die gleichen geblieben sind.

Du beschwerst dich, die wird fristlos gekündigt, du wirst krank, die wird gekündigt, dass es weiterhin viel zu wenig Kontrollen gibt.

Sie hat schon gesagt, dass der Mindestlohn bezahlt wird, aber dass trotzdem Überstunden teilweise nicht gezahlt werden, dass der letzte Lohn nicht gezahlt wird.

Sie hat aber gesagt, dass sich schon was verbessert hat, also dass es nicht mehr so viele Tricks gibt, dass es dieses Messergeld nicht mehr gibt, dass man das abgezogen wird vom Lohn, dass Schwangere nicht mehr sofort gekündigt werden,

sondern automatisch Beschäftigungsverbot bekommen.

Es ist schon was verändert, aber nicht genug.

Dazu würde ich auch gerne noch mal Matthias Brümmer jetzt im Original tun hören, was er mir gesagt hat, das ist der Gewerkschafter aus Oldenburg.

Damit ist uns natürlich eine Möglichkeit gegeben, um auch bei den Arbeitgebern zwischen den beiden zu grätschen, um größere Schweinereien, die direkt vor Ort geschehen, zu unterbinden.

Zwei Punkte sind jedoch nach wie vor negativ zu wirken.

Der eine Punkt ist, wir haben nach wie vor den Eindruck, dass die ehemaligen Subunternehmer nach wie vor tätig sind als Berater und als Rekuter im Ausland, wie auch direkt vor Ort und die Beschäftigten anwerben.

Es gibt Gerüchte, die darauf hindeuten, dass nach wie vor hier für Pauschalzahlung von den betroffenen Beschäftigten geleistet werden, genauso wie der Transport nach Deutschland selbstverständlich selbst gezahlt werden müssen.

Und es gibt auch nach wie vor wohl Versprechungen im Ausland, die hier nicht eingehalten werden.

Für uns hat sich damit an dem System der Rekrutierung und damit auch deutlich gesagt, dass Menschenhandels oder das modernen Menschenhandels kaum etwas geändert.

Ja, das sind harte, aber ich glaube, zutreffende Worte von Matthias Brümmer.

Und man muss auch feststellen, dass das Werkvertragsunwesen wirklich mittlerweile um sich gegriffen hat.

Also ganz, ganz viele Branchen beschäftigen heute Leih- und Werkvertragsarbeiter und beuten sie aus, indem sie Betrügen oder Gesetzeslücken ausnutzen.

Es gibt wirklich eine Armee von Arbeiterinnen zweiter Klasse, die im Schatten ihrer regulär beschäftigten Kollegen schuften.

Also die zum Beispiel Kleidung in Pakete stecken und sie ausfahren, Kranke fliegen, Regale einräumen, Lastwagen entladen, Anrufe beantworten, Autos waschen und Hotelzimmer putzen.

Liebe Anne, heute hast du uns das Schauersystem in der deutschen Fleischindustrie näher gebracht.

Dafür ganz herzlichen Dank.

Meine Ahnung ist, dass dieser Ausblick, den du jetzt gerade zum Schluss gegeben hast, dazu führen wird, dass wir an dieser Stelle vielleicht noch das eine oder andere Mal über entrechtete Menschen in der Arbeitswelt, in der deutschen Arbeitswelt reden werden.

Und das hoffe ich auch sehr, denn es ist ungemein wichtig, dass Journalistinnen wie du da ganz genau hinschauen.

Vielen, vielen Dank für heute und bis zum nächsten Mal.

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Sie heißen "Waldmenschen", weil sie keine Bleibe haben und im Unterholz schlafen. Sie haben keine festen Arbeitszeiten und erhalten Lohn nach Gutdünken. Eine Armee ausgebeuteter Osteuropäer malocht in den niedersächsischen Fleischfabriken für einen Hungerlohn.

In der Folge 148 sprechen Anne Kunze, Kriminalreporterin der ZEIT, und Daniel Müller, Chefredakteur des Kriminalmagazins ZEIT-Verbrechen, über das tägliche Gemetzel in den Großschlachtereien, das von Profitgier und Ausbeutung regiert wird.

Der Text zur Folge (Anne Kunze: "Die Schlachtordnung") ist im Dezember 2014 erschienen.

Die neue Ausgabe des Kriminalmagazins ZEIT Verbrechen liegt am Kiosk und ist hier online bestellbar. Sie möchten zwei Ausgaben zum Kennenlernpreis testen? Dann klicken Sie hier.