NZZ Akzent: Österreich: Putins nützlicher Idiot (?)

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/15/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Ein ZZ-Akzent.

Meret, hier wird ganz schön gefeiert.

Ja, genau. Es ist der 18. August 2018 vor fünf Jahren in Gammelitz.

Das ist ein kleiner Ort in der Steiermark in Österreich.

Und hier findet ein großes Hochzeitsfest statt.

Und die Braut ist auch keine Unbekannte.

Das ist Karin Kneisl, die Außenministerin.

Sie trägt ein Dirndl.

Und auch der Breutigam trägt Tracht.

Das ist ein Unternehmer.

Wolfgang Meinlinger heißt er.

Und das Paar tanzt den Eröffnungstanz, ein Walzer.

Wie er sich gehört.

Und danach darf der Ehrengast mit der Braut tanzen.

Und das ist niemand geringer als Vladimir Putin,

der russische Präsident.

Putin ist auch da.

Und die Gäste sind begeistert, zücken die Handys,

filmen, fotografieren mit.

Und dann ist der Tanz zu Ende.

Und es kommt zu einer Szene, die danach um die Welt geht.

Weil Karin Kneisl traditionell, muss man sagen,

am Ende eines Walzers diesen Knicks macht vor Vladimir Putin.

Und das Bild wird dann weltweit zu einem Sinnbild für das Verhältnis

zwischen Österreich und Russland.

Es ist ein Kniefall vor Putin.

Österreich pflegt mit Russland ganz besondere Beziehungen.

Und das seit Jahrzehnten.

Aber wegen des Krieges in der Ukraine wollen sie sich davon lösen.

Doch so einfach geht das nicht, sagt Ausland-Redaktorin Mehret Baum.

Ich bin David Vogel.

Mehret, das ist ja schon ein sehr skurriles Beispiel gewesen.

Mit der damaligen Außenministerin gibt es ihm noch mehr davon?

Ja, es gibt viele Beispiele.

Und das fängt auch schon sehr früh an.

Es gibt berühmte Bilder aus dem Jahr 2001.

Da ist Putin knapp ein Jahr im Amt als Präsident.

Wie ein Skifährt in Tirol.

Und zwar mit dem damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, hieß der.

Und da gibt es berühmte Bilder, wie die beiden auf dem Skilift sitzen.

Dann 2014 wurde Putin mit allen militärischen Ehren

von Staatspräsident Heinz Fischer in Wien empfangen.

Das ist deswegen bemerkenswert, weil vier Monate zuvor Russland

die Grimm annektiert hat, völkerrechtswidrig.

Und eigentlich das Verhältnis deswegen sehr belastet war zu allen europäischen Ländern.

Und dann 2022 kommt es zu einem bemerkenswerten Besuch vom heutigen Kanzler, Karl Nehammer.

Vielen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Der ist kurz nach der großen Invasion in der Ukraine nach Moskau gereist

und wollte mit Putin reden.

Und er ist bis heute der einzige westliche Staats- oder Regierungschef,

der Putin getroffen hat seit der großen Invasion.

Telefonieren ist das eine, dass sich gegenseitig Begegnungen ins Gesicht,

in die Augen schauen, über die Schrecken des Krieges zu diskutieren.

Das sollte noch viel öfter passieren.

Diese Beziehungen zu Russland, die sind eng, zwar schon seit Langem,

gibt es da international Reaktionen dazu?

Ja, vor allem seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine

sorgt das für Kopfschütteln eigentlich weltweit.

So hat zum Beispiel der britische Economist, das sehr bekannte Wochenmagazin,

im Juli quasi so eine Rangliste der nützlichsten Idiotenputins veröffentlicht.

Idioten?

Ja, genau, das ist so eine Bezeichnung für diejenigen, die im Westen

die Position des Kremers verbreiten oder die Propaganda des Kremers.

Und da hat er an erster Stelle die ungarische Regierung genannt,

aber gleich an zweiter Stelle kommen dann die Österreicher.

Also die Österreicher sind die zweitnützlichsten Idioten.

Wenn man dem Economist glauben will, dann ist das so, genau.

Warum ist das so?

Also ich würde sagen, die wichtigste Erklärung dafür ist die Geschichte.

15. Mai 1955.

Im Mai 1955 kommt es zur Unterzeichnung des Staatsvertrags in Wien

und das ist für Österreich ein ganz, ganz entscheidendes Datum,

weil damit wird das Land wieder unabhängig.

Groß und echt ist die Freude, die ganz Österreich erfüllt.

Weil wir müssen uns erinnern, Österreich war Teil von Nazi Deutschland im Zweiten Weltkrieg

und nach dessen Ende war, wie in Deutschland auch,

war das Land aufgeteilt in Besatzungszonen durch die Alliierten.

Also auch mit Franzosen Engländern?

Ganz genau, mit vier Sektoren.

Und erst 1955 sind die abgezogen und haben das Land in die Unabhängigkeit entlassen.

Österreich hat zehn Jahre lang auf diesen großen Augenblick gewartet.

Jetzt ist es erreicht.

Österreich ist frei.

Die westlichen Alliierten waren schnell einverstanden damit,

dass Österreich wieder unabhängig wird.

Und mit der Sowjetunion musste Wien ein bisschen länger und intensiver ringen.

Und dann, 1955, hat Moskau zugestimmt, allerdings unter einer Bedingung,

dass Österreich neutral wird.

Also neutral, also neutral, wie zum Beispiel die Schweiz?

Ja, ganz genau, das wird auch so festgehalten nach Schweizer Vorbild.

So wird die Neutralität definiert.

Und die Zeit danach, nach 1955, bringt dann schnell einen starken wirtschaftlichen Aufschwung.

Viele Länder hatten den nach dem Zweiten Weltkrieg.

Aber in Österreich wird der sehr stark mit dieser Unabhängigkeit

und mit dieser Neutralität verbunden.

Und ab 1955 ist es klar, nach vielen Jahrzehnten der Ungewissheit,

wo man eigentlich hingehört, Österreich ist ein Kleinstaat, ein neutraler Kleinstaat.

Aber Österreich ist nicht Teil des Ostblocks.

Und damit verbinden die Österreicher dann eine gewisse Dankbarkeit Moskau gegenüber.

Wieso Dankbarkeit?

Ich meine, diese Neutralität wurde ja ihnen ja irgendwie auch aufgezwungen von den Sowjets.

Die westlichen Alliierten hätten es ja einfach so gegeben, die Unabhängigkeit.

Ja, aber ich würde behaupten, wegen dieses Aufschwungs wird die Neutralität

sehr schnell dann zu einer inneren Überzeugung und zu seinem identitätsstiftenden Merkmal,

wie es auch in der Schweiz der Fall ist, aber sie ist viel jünger in Österreich

und sie ist eben aufgezwungen.

Aber auch wegen der geografischen Lage, wenn man sich die Karte vor Augen führt,

dann ist diese Rolle so als neutraler Puffer zwischen den Machtblöcken im Kalten Krieg.

Das ist eigentlich naheliegend, dass man diese Rolle einnehmen will, so eine gewisse Brückenfunktion.

Und diese Rolle so als Vermittler, als Brücke, da gab es schon eine Zeit,

in den 60er, 70er Jahren vor allem unter dem legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky,

wo Österreich diese Rolle auch erfolgreich ausgefüllt hat, kann man sagen.

Telefonieren ist das eine, dass sich gegenseitig begegnen ins Gesicht, in die Augen schauen.

Und deshalb war auch dieser Besuch von Nehammer bei Putin kurz nach Kriegsausbruch,

der international sehr viel Kritik ausgelöst hat, wurde in Österreich eigentlich nicht groß hinterfragt,

weil man so die Überzeugung hat, dass Reden eigentlich immer gut ist.

Aber wenn ich nochmal diesen Vergleich nehme mit der Schweiz, also auch hier wird seit dem Beginn der Inversion

sehr emotional über die Neutralität diskutiert und zum Beispiel auch über die Rolle der Banken,

über die Frage, was machen wir mit den Geldern der russischen Oligarchen?

Gibt es das nicht in Österreich?

Also gerade die Debatte über die Neutralität, finde ich, ist in Österreich eigentlich enttäuschend wenig intensiv.

Und Nehammer hat sie wirklich auch sehr kurz nach Kriegsausbruch regelrecht abgewirkt,

indem er gesagt hat, er erkläre diese Debatte für beendet.

Und das war dann quasi so die Ansage, wo auch die meisten Parlamentsparteien bis auf eine kleine Partei einverstanden damit waren.

Also kein Thema, die Neutralität zu tun?

Die Neutralität ist im Prinzip kein Thema.

Man muss aber schon dazu sagen, dass Österreich natürlich bei allen Sanktionen mitmacht,

also sie sind ja in der EU und da auch eingebunden und legen da nie ein Veto ein

und sie verurteilen den Krieg natürlich auch, wiederholt, immer wieder scharf, das schon.

Aber wenn du die Wirtschaft ansprichst, da ist es auch auffällig, dass Österreich Mühe damit hat, sich von Russland zu lösen.

Weil, man muss es so sagen, seit Beginn der großen Invasion hat Österreich Russlands Krieg indirekt mit 9 Milliarden Euro mitfinanziert.

Was heißt das? 9 Milliarden mitfinanzierte Österreich?

Also nochmals, wenn wir uns vor Augen führen, die Karte, die geographische Lage von Österreich und diese Brückenfunktion,

das hat sich auch wirtschaftlich dann ausgewirkt.

Österreich hat nämlich bereits im Jahr 1968 den ersten Gasliefervertrag eines westlichen Landes mit der Sowjetunion abgeschlossen

und das war für beide Seiten von großem Vorteil.

Österreich hat das Gas erhalten für seinen Wirtschaftsaufschwung

und für die Sowjetunion war das auch quasi ein Tor zum Westen, was so ein bisschen aufgestoßen wurde.

Also 1968, das war ja mitten im Kalten Krieg?

Ganz genau, ja, ganz genau.

Und dieser Vertrag, den gibt es immer noch, weil der wurde immer wieder verlängert.

Zuletzt, nämlich im Jahr 2018, als der 50. Jahrestag dieses Abschlusses gefeiert wurde und da wurde er gleich bis 2040 verlängert.

Und das wurde groß gefeiert.

Putin war da auch wieder zu Gast in Wien und wurde empfangen von wiederum dem Staatspräsidenten Alexander van der Bellen, heißt er inzwischen.

Sehr geehrter Herr Präsident Putin, ich freue mich sehr, Sie heute hier in Wien begrüßen zu dürfen.

Der ihn mit blumigen Worten begrüßte.

50 Jahre Gasliefervertrag zwischen Russland und Österreich, eine Zusammenarbeit, die über die Jahrzehnte ausgezeichnet funktioniert hat.

Nochmals, diese Neumilliarden, diese Kriegsfinanzierung, also das sind jetzt also diese Gasrechnungen?

Ja, genau. Also seit Februar 2022, seit der großen Invasion, sind neun Milliarden Euro für Gas aus Österreich nach Moskau geflossen.

Und im Vergleich dazu rund eine Milliarde Euro Hilfsgelder, Unterstützungsgelder an die Ukraine.

Ach krass, ein Verhältnis von 1 und 9.

Ja, darüber erschrickt man auch in Österreich immer wieder.

Also die zuständige Energieministerin hat erst kürzlich wiedergesagt, es könne ja nicht sein, dass man diesen Krieg mitfinanziere.

Das Problem ist allerdings, dass die Wasservertrag eben noch läuft und bis 2040 laufen soll.

Und derzeit kommen immer noch rund 60 Prozent des Gages aus Russland und das ist kaum weniger geworden als vor dem Krieg.

Das ist schon ein Riesenunterschied zu anderen Ländern, wenn ich jetzt an Deutschland denke, die Bemühungen, die da sind, zu kapten.

Diese Verbindung ist schon groß, diese Zahl, 60 Prozent.

Genau.

Würdest du sagen, das ist ein Sinnbild für die österreichische Russlandpolitik, für das Verhältnis?

Ja, so sehe ich das. Also es ist historisch gewachsen.

Das Verständnis der Neutralität ist sehr orthodox, kann man vielleicht sagen, inzwischen.

Man fühlt sich in dieser Brückenfunktion und man profitiert natürlich auch.

Also jahrzehntelang hat Österreich von diesem billigen russischen Gas profitiert und die österreichische Wirtschaft.

Und da ist es jetzt schwierig, rauszukommen.

Und jetzt, was heißt denn das für das Land? Das ist ja kein Zustand irgendwie.

Ja, also bis zum Ausbruch des Kriegs war das kein großes Thema, muss man sagen.

Aber jetzt ist es schon so, man geht ein bisschen verschämt um mit diesem Verhältnis zu Russland.

Trotzdem ist man auch nicht bereit da einen klaren Schlussstrich zu ziehen.

Und es braucht eine gewisse Schadensbegrenzung.

Klar, das ist nachvollziehbar. Das Ausland berichtet über Österreich und spricht eben von einem nützlichen Idioten.

Ja, und diese Kritik aus dem Ausland, das ist immer so in Österreich, die nimmt man schon stark wahr.

Du hast ja auch etwas Interessantes mitgemacht. Das ist die Diskussion über deinen Leitartikel im öffentlich-rechtlichen Sender ORF.

Da zitiert das Darmoderator Armin Wolf aus deinem Artikel.

Österreich hat seit Kriegsbeginn für Erdgas 9 Milliarden Euro an Russland überwiesen.

Praktisch direkt in die Putzinsche Kriegskasser und eine Milliarde an die ukrainian Hilfsleistungen.

Es rechnet heute die neue Zürcher Zeitung vor, auch sehr angesehenes internationales Blatt.

Und Titel, diese Geschichte mit dem Titel Österreich wagt nicht mit Putin zu brechen.

Ja, und zu Gast war da der Außenminister und er muss sich tatsächlich immer verteidigen gegen diesen Vorwurf.

Wir versuchen hier schrittweise sehr deutlich, die Abhängigkeit von Gas zu reduzieren.

Wir sind im Binnenstaat, wir können nicht einfach identifizieren.

Er ist da in einer schwierigen Rolle, muss man schon sagen.

Und die Situation könnte sich eben noch zuspitzen, weil im nächsten Jahr wird gewählt, sind Nationalratswahlen

und in allen Umfragen ist seit vielen Monaten und mit einigem Abstand die FPÖ, die rechtspopulistische Partei, an der Spitze.

Die könnte erstmals überhaupt in der österreichischen Geschichte stärkste Kraft werden.

Und das ist die Partei, die von allen am Russland freundlichsten ist.

Und das könnte die Situation dann für Österreich schon schwierig machen und auch für die EU natürlich.

Wenn ein weiteres Land sich kremlnahe positioniert, dann wird es da schwieriger auch diese Einigkeit natürlich zu bewahren.

Liebe Mehret, vielen Dank.

Also diese Szene mit dem Tanzen, ganz am Anfang, die war schon bemerkenswert.

Ja, leider muss man sagen, die Ehe hat nicht sehr lange gehalten, die ist mittlerweile geschieden.

Und du kannst dreimal raten, wo Karin Kneisel heute lebt.

In einer Datscha bei Putin.

So ist es.

In Russland?

Ja, sie ist in diesem Sommer nach Russland gezogen.

Unglaublich.

Das war unser Akzent. Produzent in dieser Sendung ist Alice Grosjean.

Ich bin David Vogel. Bis bald.

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Das Verhältnis zwischen Wien und Moskau war jahrzehntelang eng. Deshalb tut sich die Regierung in Wien schwer, die Verbindungen nach Russland wegen des Ukraine-Krieges zu kappen – und importiert weiterhin russisches Gas für Milliarden von Euro.

Heutiger Gast: Meret Baumann, Auslandredaktorin

Host: David Vogel

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema:https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-krieg-oesterreich-wagt-den-bruch-mit-putins-russland-nicht-ld.1751849

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