Sternstunde Philosophie: Omri Boehm, lässt sich ohne Hass über Nahost sprechen?

Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) 10/28/23 - 59m - PDF Transcript

Das Grauen, das die Hamas am 7. Oktober mit ihrem Blutbad angerichtet hat, ist kaum

in Worte zu fassen. Viele fürchten eine weitere Eskalation der Gewalt hinaus und das Reden

darüber fällt schwer. Dennoch wollen wir versuchen, über die derzeitige Lage und das

öffentliche Gespräch darüber philosophisch nachzudenken mit einem ausgewiesenen Experten

für diese Fragen dem deutsch-israelischen Philosophen Omri Böhm. Ganz herzlich willkommen,

Herr Böhm. Ja, wir sitzen hier zu zweit in dieser Sendung. Wir haben das Programm aus

aktuellem Anlass umgestellt. Wir ringen nach Antworten und wir sind sehr froh, dass Sie hier

sind, Herr Böhm. Sie haben sich ja intensiv mit der Lage auseinandergesetzt, auch mit einer

möglichen Zukunft Israels. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie von dieser brutalen

Attacke zum ersten Mal gehört haben? Das ist schwierig, in Worte zu fassen. Die

erste Reaktion war nicht rational. Sie mag durch den Kopf gegangen sein, vor allem aber war

sie eine körperliche. Zwei in Zustand des Schocks, der Wut des Abscheus über die Geschehnisse. Das

Denken setzt erst später ein. Wir suchen immer noch nach wegen, diese Dinge im Kopf zu verarbeiten.

Als erstes war da eine körperliche Wahrnehmung, dass ein historischer Moment, vor dem wir uns

alle gefürchtet hatten, tatsächlich eingetreten ist und dass wir uns erst klar darüber werden

müssen, wie man ihn einordnen soll. Sie leben in New York mit ihrer Familie. Sie

lernen dort an der New York School of Social Research als Professor für Philosophie. Sie sind

aber israelischer Staatsbürger, haben Verwandte, Familien, Israel. Das waren doch intensive,

auch vor allem sorgenvolle Wochen. Absolut. Im engeren Familienkreis haben es die meisten

gut überstanden, auch wenn sie in Tel Aviv und anderswo gezwungen sind, bis zu sieben Mal am

Tag in ihre Schutzunterkünfte zu fliehen. Im weiteren Umfeld hörten wir dann Horrorgeschichten

von einem Freund, der in Gaza war und noch ist. Andere Bekannte wurden massakriert, die Geschichten

sind schockierend. Wir leben jetzt mit ihnen Tag für Tag. Und diese Brutalität, sie sagen es

gerade schon, schockiert, nicht nur die Geschichten, auch die Brutalität. Es kursierten sofort auch Bilder,

die sich als Unwahr herausgestellt haben, dennoch weiß man heute, es wurden Menschen enttaubtet,

es wurden ganze Familien ausgelöscht. Wir wissen auch aus den Untersuchungen,

dass zum Teil Menschen bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Wenn man sich das alles vor Augen

führt, dann ist eine Sicherheitsillusion auf jeden Fall in sich zusammengebrochen,

nämlich diese Vorstellung, dass Israel die sichere Heimstadt aller Juden sein könnte.

Das ist richtig. Die Leute dachten, wir haben jetzt einen Staat, in dem wir in relativer

Sicherheit leben können. Natürlich gab es auch Stimmen, die vor der Gefahr für so viele Juden

in Israel unser wenig friedlichen Bedingungen warnten und zum Beispiel in New York als

sicherer Erachteten als Israel. Wir hatten aber immer das Gefühl, dass wir dort trotz gelegentlicher

Gewaltausbrüche in relativer Sicherheit und Frieden leben könnten.

Selbst unabhängig von diesem grausamen Massenmord verändert sich die ganze Region.

Die Vorstellung, dass der Staat Israel aufgrund seiner militärischen Stärke eine

sichere Heimstadt bieten kann, ist auf lange Sicht kaum aufrecht zu erhalten.

Einige von uns haben seit Jahren darauf hingewiesen, ohne eine einfache Lösung anzubieten.

Wir haben darauf hingewiesen, dass die Vorstellung, wir bräuchten,

dank der Stärke unseres Militärs keinen Frieden und keinen politischen Prozess gefährlich ist.

Heute sind wir offenbar an diesem Punkt angelangt.

Interessant ist ja, wenn ich das noch anfügen darf, dass Präsident Netanyahu nach den Anschlägen

in Bataklan, in Paris damals gesagt hat, kommt zu uns, zu den Juden, kommt zu uns. Ihr seid bei uns

sicher, so eine Aussage wäre undenkbar jetzt. Das stimmt. Schon damals war es eine ungeheuerliche

Aussage. Wenn ich mich nicht irre, verwiesen die Franzosen denn auch zurecht. Empört darauf,

dass diese Juden französische und nicht israelische Bürger seien. Und es Frankreich obliege,

sie als Teil der französischen Nation zu verteidigen. Sie bräuchten nicht nach Israel zu gehen,

um sicher zu sein. Die damalige Aussage resultierte aus einer problematischen

Denkhaltung. Auch unabhängig von der Frage, wo die Menschen am besten geschützt wären.

Sie sind in einer Gemeinde in Galilea aufgewachsen. Die Bedrohungslage war ja immer da, sie war immer

gewusst. Es gab aber nicht nur für die Feinde Israels, sondern für Israelis selbst auch den

Mythos der Unangreifbarkeit, der sehr zur Sicherheit Israels beigetragen hat. Man kann sagen,

dass dieser Mythos erschüttert ist und auch die Art und Weise, wie er erschüttert worden ist,

ist in besonderer Weise bedenklich. War diese Form des Angriffs für sie biografisch je denkbar?

Das stimmt zum Teil. Es ist nicht ganz so, dass wir davon ausgehen, niemand könne und würde

uns angreifen. In gewisser Weise ist sogar das Gegenteil der Fall. Es wurde uns eingebläut,

dass wir uns der Bedrohung stets bewusst sein müssen. Das israelische Ethos der Stärke des

Militärs und des Dienstes im Militär, dem auch ich angehöre, beruht weitgehend auf der Gewissheit,

dass jederzeit ein Angriff droht, was natürlich auf den verinnerlichten Holocaust und die Progrome

zurückgeht. Trotz der Gefahr wähnten wir uns unseren Feinden und vor allem den Palästinensern

gegenüber als dermaßen überlegen, dass wir uns dank der Wehrfähigkeit des israelischen Staates

relativ sicher fühlen und ein ziemlich normales Leben führen konnten. Diese Blase ist jetzt geplatzt,

das ist eine neue Situation. Wir sind nun alle keine Militärexperten, aber die Art und Weise

dieses Angriffs, Übergriffs und der Massaker ist ja nun besonders, das war ein Parakleider,

das war teilweise Menschen, die Zäune durchschnitten haben mit Pro Pets, eigentlich eine sehr archage,

eine alte Weise in ein Land einzudringen und das wäre aus meiner Sicht doch ein besonders verunsichernder

Moment, dass es nicht hoch technisierte Formen waren, sondern eine koordinierte Aktion mit vergleichsweise

simplen Mitteln. Ja und das liegt nicht nur an den Methoden, welche die Hamas benutzt hat,

um in Israel einzudringen. Tatsächlich haben sie mit sehr einfachen Mitteln einen ernsthaften

Sieg über eine der höchst gerüsteten Armee in der Welterung. Das ist Teil des heutigen Traumers.

Eigentlich sollte das hoch entwickelte Militär die Antwort auf die Traumarteil der Vergangenheit sein,

das ist kein Klischee, das ist in Israel sehr real. Die Juden leben mit einem kollektiven

Gedächtnis, welches kritisch hinterfragt werden muss und worüber ich auch geschrieben habe.

Doch dieses kollektive Erinnern der Progrome und des Holocaust ist echt und breit verankert. Ob der

Vergleich zwischen dem, was die Hamas getan hat und dem Holocaust und dem Progromen angemessen ist

oder nicht, ist eine andere Frage. Man könnte sagen, wir reden ja heute viel über Retraumatisierung

von Gesellschaft. Das wäre nun ein eminenter Fall von einer Retraumatisierung. Das ist absolut

richtig. Gerade weil die Massaka so grausam waren, stellen sich diese Traumata sofort allen,

was auch ausgenutzt wird. Und nochmal, ob die Vergleiche angemessen sind oder nicht,

ist eine andere Frage, über die man reden kann. Es besteht aber kein Zweifel, dass das Trauma sehr

bedeutende politische Auswirkungen haben wird. Es sind sehr schwierige politische Zeiten, es sind

aber auch schwierige Zeiten fürs Gespräch an sich. Und auch wenn die Verurteilung der Terrorattacke

einhellig erfolgt, gibt es gerade auch in westlichen intellektuellen Kreisen sehr oft ein

Sekundieren eines Ja-Aber, sofort dieses Ja-Aber. Wenn es nur das wäre, man hört manchmal Ja-Aber,

manchmal aber auch nur das Aber. Es gibt eine verbreitete Abneigung klar gegen die

Hammastellung zu nehmen. Oft wird die Tat selbst sogar gebilligt. Lassen Sie uns da ein bisschen

tiefer eintauchen, wie wir überhaupt sprechen, wie wir damit umgehen. Es gibt einige Beispiele,

die man in diesem Kontext nennen könnte. Sehr viel diskutiert wurde über einen Essay der

US-amerikanischen Philosophin Judith Butler, erschienen in der London Review of Books, aber auch

über die Rede des lovinischen Philosophens Lavashisek an der Buchmesse in Frankfurt. Gaben

großen Skandal um beide Events. Wir gucken ganz kurz einen Ausschnitt aus dieser Rede von Lavashisek.

Aber nicht vergessen diesen schwarzen, abschleunigen Hintergrund, die Palästinien.

Die zweite Sache ist, dass die Lösung nicht ein Kompromiss ist. In dem fünften Sinn

der Probermaßnahme zwischen den beiden Extremen. Viele meiner Freunde sagen das. Sie sagen,

Palästinien haben das Recht, ein bisschen antisemitisch zu sein. Schauen Sie, was die Israelis

tun, oder auf der anderen Seite. Die Israelis haben das Recht, ein bisschen

violent zu sein. Schauen Sie, was wir in der Holocaust gemacht haben. Ich denke, es gibt nichts,

hier zu verstehen. Man sollte bis zum Ende in beide Richtungen gehen. In der Defensive

der Palästinien reicht, als auch in Fighting Antisemitism. Wir sehen hier einen Denker,

der das offene, riskante Wort schätzt, der aber selber auch um Worte ringt, in den Bemühen

beiden Seiten gerecht zu werden. Und das Ja aber kommt in dieser Rede auch mehrfach vor.

Und es dringt auf das Bedürfnis zu kontextualisieren. Selbst in solch einer Situation zu kontextualisieren.

Wie schätzen Sie dieses Bedürfnis als erste oder vielleicht auch zweite Reaktion ein?

Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, dass dies ein Fall von Ja aber ist. Hier wurde

nicht versucht zu sagen, dass das, was die Hammers getan hat, zwar nicht gerechtfertigt

werden kann, aber, sondern dass das, was die Hammers getan hat, nicht gerechtfertigt

werden kann. Punkt. Und dann müssen wir auch den Kontext betrachten, um darauf politisch

zu reagieren. Die Kontextualisierung war kein Versuch, die ursprüngliche Verurteilung

des grausamen Angriffs der Hammers abzuschwächen. Solche Versuche habe ich gesehen. Bei Jijeks

Aussage sehe ich das nicht. Und das ist extrem wichtig oder festzuhalten. Kontextualisieren

heißt nicht rechtfertigen. Und Sie sagen jetzt, Jijek hat das nicht getan. Jijek hat

nicht gerechtfertigt. Er hat kontextualisiert, aber er hat ganz klar festgehalten. Im Übrigen

ja auch im Beitrag von Judith Butler muss man sagen. Auch sie sagt ganz klar, es gibt

nichts daran, irgendwie zu entschuldigen, zu rechtfertigen oder schön zu reden. Das ist

eine absolut zu verurteilende grauenhofte Attacke gewesen. Dennoch muss man sagen, manchmal

kommt dieses Kontextualisierungsbedürfnis meinem Empfinden nach zu schnell. Im Angesicht

eines Akutbösen. Es ist ja kein Banalböses, das irgendwie entfernt Grausamkeiten beginge.

Da werden Köpfe abgeschnitten, da werden Säuglinge massakriert. Muss man doch vielleicht erstmal

bezeugen, eine Pause lassen und dieses grauen als grauen anerkennen. Anders gefragt, ist

der Kontextualisierungstrang ethisch gleich als erster nicht auch problematisch?

Ich spüre hier den Druck. So habe ich mich auch gefühlt, als die ersten Nachrichten

über die Geschehnisse eintrafen. Ich erhielt viele Interviewanfragen und habe der Versuchung

genau deswegen erst einmal wieder standen. Trotzdem denke ich, es ist unsere Pflicht,

die Dinge rasch einzuordnen. Das bedeutet aber nicht, den unsäglichen Horror, der sich

in den Dörfern und den israelischen Kibbutz durch die Hammersmörder ereignet hat, zu

kontextualisieren. Eine solche Kontextualisierung zur Rechtfertigung oder zur Erklärung ist

nicht hilfreich. Ich glaube nicht, dass der Kontext der israelischen Kolonisierung, der

israelischen Besatzung, der Abregelung des Gasastreifens, die übrigens alle Verbrechen

sind, irgendetwas daran rechtfertigt oder hinreichend erklärt, was die Hammers getan hat,

Gott bewahre. Dennoch müssen wir über den Kontext sprechen, um die Situation politisch

und rational anzugehen. Wir müssen das sogar sehr rasch tun. Auch wenn uns die Worte fehlen.

Auch wenn wir fühlen, dass die richtige Antwort auf diese Schrecken schweigen ist.

Müssen wir sehr schnell unser Wort erheben und auch denen widersprechen, die sagen, dass

jede Kontextualisierung, also der Versuch, politisch auf die Situation zu reagieren,

falsch ist. Wir können vielleicht hier auch ganz kurz festhalten, dass über die

politische Situation, über den historischen Konflikt auch und über die Rolle der Religionen

sprechen unsere KollegInnen von der Sternstunde Religion in einer eigenen Sendung, die man

in der Mediathek sehen kann. Aber noch einmal zurück zu diesem Bemühen der Kontextualisierung

Moshe Zuckermann, ein israelischer Soziologe, hat jetzt gerade kürzlich in einem Interview

gesagt, Terror entsteht immer in einem Kontext. Und er erzählt dann diese Geschichte 2005,

dass die Israeli den Gasastreifen verlassen haben, aber natürlich etwas zurückgelassen

haben. Ein Volk, das ringt, um Elektrizität, um Treibstoff, um Wasser, überlebensnotwendige

Medikamente und Güter fehlen, viele Menschen leben eng zusammen gepfercht. Und das ist

sozusagen seine Idee. Wenn man lange genug ein Kollektiv gängeln würde, dann müsse man

sich nicht wundern, wenn Terror entstehen würde. Nun ist eine solche Rede tatsächlich sehr,

denke ich, am Rand dessen, was man noch sagen kann, weil es fast schon so klingt, das würde

man etwas entschuldigen. Wie sehen Sie diese Rede, wenn man Terror zu erklären versucht?

Ich möchte gar nicht erst versuchen, diesen Terror zu erklären. Erstens, weil es hier

nicht um Terrorismus handelt. Es ist schlimmer als Terrorismus. Es gibt kolossale Terrorakte,

die nicht diese Form der IS-artigen Grausamkeit zeigen. Das hier ist nicht allein Terrorismus,

es ist schlimmer als das. Jeder Raketenabschuss der Hamas aus dem Gasastreifen auf den südlichen

Teil Israels ist ein terroristischer Akt, der verurteilt werden muss. Und er entsteht in

einem bestimmten Kontext. Man müsste irrational sein, dies abzustreiten. Mit Blick auf diese

Bilder scheint aber jede Kontextualisierung falsch, wenn sie eine hinreichende Erklärung

zu liefern vorgibt, die als Rechtfertigung dienen könnte. Dem muss man entgegentreten.

Man darf durchaus sagen, dass die Tat der Hamas einen ausreichenden Grund dafür darstellt,

dass die Hamas idealerweise nicht mehr existieren und definitiv nicht mehr das palästinensische

Volk repräsentieren sollte. Ob dies militärisch erreicht werden kann, ist eine andere Frage.

Aber um auf die Situation politisch zu reagieren, müssen wir sagen, was Zuckermann gesagt hat.

Das dient aber nicht zur Erklärung von Terrorismus.

Aber der Diskurs über diese Vorgänge ist gemäß hysterisiert, medial. Und es ist ja erstaunlich,

dass eine Trivialität, die darin besteht, dass wenn man irgendetwas verstehen will, es in

einen Kontext stellen muss, eine Art Skandalisierung erfährt, als ob man irgendetwas tun wollte,

um zu legitimieren. Dabei würde man ja sagen, es ist das Gesundeste eines Menschenverstandes,

was man überhaupt denken kann, um eine Situation behandelbar und einschätzen zu können,

sie in einen breiteren Kontext zu stellen.

Ich möchte vorschlagen, die Sache von der anderen Seite her zu betrachten.

Wir sind uns einig, dass Kontextualisierung problematisch sein kann.

Andererseits müssen wir aber auch die Bedeutung von Kontext verstehen.

Betrachten wir es einmal von der anderen Seite.

Israel ist gegenwärtsige Bombardierung des Gasastreifens, legt einen schweren Verstoß

gegen das Völkerrecht nahe. Dies wird auch durch Erklärungen hochrangiger israelischer

Vertreter, einschließlich des israelischen Präsidenten und hochrangiger Sprecher des

Militärs bestätigt, die kaum verbergen, dass sie, Gelinde gesagt, wissentlich das

Völkerrecht ausreizen. Sie sagen sehr deutlich, dass sie bereit sind,

völkerrechtswidrig zu handeln und ihr Ereignisse in Gaza legen ein solches Vorgehen,

mindestens sehr nahe.

Sollen wir das nun kontextualisieren oder nicht?

Darf man nun anführen, dass es sich um eine Antwort auf die Tat der Hamas handelt

und Israel zurückschlägt, um seine Bürger zu schützen?

Solches zu sagen, ist tatsächlich wichtig. Israel hat das Recht, und die Pflicht,

seine Bürger zu schützen, auch durch eine sehr aggressive Antwort auf die Geschehnisse.

Andererseits rechtfertigt das keine Kriegsverbrechen, keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit,

kein abstellendes Wassers in Gaza. Es rechtfertigt nicht die Aussage des israelischen Präsidenten

gegenüber den Medien, er unterscheide nicht zwischen beteiligten und unbeteiligten Zivilisten

in Gaza, weil sie alle für die Unterstützung der Hamas verantwortlich sein.

Diese Dinge gehören absolut verurteilt, was aber nur wenige Menschen um uns herumtun.

Das muss gesagt werden. Allerdings sollten wir uns, wenn wir sie verurteilen, auch um

Einverständnis für die politischen Gründe dafür bemühen und eine Antwort,

eine Alternative vorschlagen. Ich habe meine Befürchtungen in Bezug auf diese Einwände

zur Kontextualisierung auf beiden Seiten, sowohl von Seiten einiger meiner StudentInnen

in New York als auch einiger meiner Freundin Berlin.

Sie sind gegen die Kontextualisierung, weil sie davon ausgehen, dass die Antwort

Gewalt sein wird. Wer die Taten der Hamas in einen Kontext einordnet, geht davon aus,

dass Israel nicht das Recht hat, sie zu bombardieren. Wer umgekehrt Israel's Handeln

kontextualisiert, geht davon aus, dass die Hamas durchaus das Recht hatte, Israel

anzugreifen. Beides ist falsch.

Das wäre ja schon ein strategischer Sieg der Terroristen oder der Massakrierer,

dass sie diese Kontextualisierung selbst unterbinden, in gewisser Weise.

Es ist ja wirklich so, dass in vielen medialen Debatten, ich habe auch schon verschiedene

Beispiele erwähnt, die Begriffe wirklich mit strategischem Einsatz gewählt und geprägt

werden und vielleicht um noch einmal diesen Text von Judith Butler aufzunehmen.

Wir wollten übrigens auch in diesen Tagen mit ihr sprechen, sie musste aber aus

familiären Gründen absagen. In diesem Text fallen Begriffe wie Besatzung,

Kolonialismus oder Apartheid-Regime. Und viele haben darauf reagiert und gesagt,

diese Wortwahl ist absolut abstoßend und falsch. Das gibt eine Form von Schulzuweisung

an die Seite Israels und macht eine Gleichsetzung beispielsweise mit dem Apartheid-Regime

in Südafrika, was so einfach nicht zutrifft.

Nun, wie sehen Sie diesen Einsatz von solchen strategischen Begriffen?

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, die spezifische Frage der Apartheid und ähnliche

Themen zu debattieren. Die Frage ist, ob der Kontext der Kolonisierung der Apartheid

einbezogen werden soll. Ich habe die Debatte zur Apartheid geführt und ich denke,

dass der Vorwurf berechtigt ist. Aber es geht jetzt nicht darum, sondern ob die Erwähnung

der Begriffe Besatzung, Belagerung von Gaza in diesem Artikel sinnvoll ist oder nicht.

Ich denke, sie ist absolut angezeigt, um sagen zu können, was Judith gesagt hat,

nämlich, dass die Taten der Hamas selbst vor diesem Hintergrund unbedingt zu verurteilen sind.

Man muss den Kontext erwähnen, sonst kann man nicht argumentieren, dass die Verbrechen

der Hamas Kontext unabhängig zu verurteilen sind.

Ich bin nicht ganz einverstanden damit, weil Kontextualisierung immer nur durch Begriffe geschieht.

Das heißt, die Wahl der Begriffe determiniert die Kontextualisierung.

Und es von Apartheid zu sprechen, wie sie es teilweise in ihrem Buch auch tun,

ist ein sehr harter Kontextualisierungs-Einsatz. Und man kann sich fragen,

ob er nicht nur derzeit taktvoll wäre, das ist ja eine Frage, aber auch gemäß wäre,

um das Geschehene zu kontextualisieren.

Ich bin anderer Meinung.

Und der Grund dafür ist, dass Butler auch spezifisch auf Tendenzen in den Vereinigten Staaten reagiert,

gerade wegen des Kontextes, die Hamas nicht zu verurteilen.

Solche Tendenzen sehe ich auch in meiner eigenen Universität, und ich kämpfe stark der Gegend an.

Wenn man den Kontext nicht klar benennt und die Tatsache ignoriert,

dass Israel seit Jahrzehnten systematisch Verbrechen gegen die Palästinenser begeht

und gleichzeitig die Hamas verurteilt, fordert man die Frage geradezu heraus,

um klar und deutlich sagen zu können, dass absolut nichts das Rechtfertigt, was die Hamas getan hat.

Muss man zumindest auf die Verbrechen hinweisen, die dies nicht rechtfertigen.

In der Debatte erscheint ein Perspektivenwechsel schon fast schockierend, verstörend oder problematisch.

Wenn wir Israels Verstöße gegen das Völkerrecht verurteilen,

sofern es diese gibt und die Feststellung davon ob liegt nicht mehr,

das wird ein Richter entscheiden müssen,

muss auch dies in den Kontext der grausamen Verbrechen der Hamas gegen die israelische Bevölkerung gestellt werden.

Wenn wir das nicht tun, legen wir wieder falsch.

Sie haben es schon so ein bisschen angetönt, die ganze Situation in den USA,

Sie unterrichten ja auch in den USA,

vielleicht nur um ein Beispiel zu nennen, ein Artikel von Franziska Brüwiler in der NCZ,

wo es um die Harvard-Linke geht und ihre Liebe zur Hamas steht hier im Titel.

Es ist eine Tatsache, dass beispielsweise in Harvard eine Koalition von 30 studierenden Gruppen öffentlich bekannt gegeben hat,

die Schuld sei allein, an das israelische Regime zu überantworten.

Und es hat sehr lange gedauert, bis das Rektorat reagiert hat.

Und diese Situation geht es ja auch zu beachten.

Bei aller Liebe zur Kontextualisierung, das es auch auf linker Seite ein großes Zögang gibt,

ganz deutlich eben diese Attacke zu verurteilen.

Das muss verurteilt werden.

Ich habe ähnliche Tendenzen auch an meiner eigenen Universität,

beobachtet, und ich finde sie beschämend.

Ich sage das öffentlich, an meiner Universität und auch hier.

Ich bin enttäuscht, aber nicht wirklich überrascht.

Das ist Teil der Situation, in der wir uns befinden.

Aber Herr Wilmer, kann Sie hier fragen, was ist mit einem akademischen Klima geschehen,

einem progressiven Klima geschehen,

dass sich fakultätesweit auf die unbedingte Verdammung von Mikroaggressionen eignen kann?

Es aber schwer hat, angesichts dieser Tatsachen eine Konsens-Mail zu schreiben,

die an alle Fakultätsmitglieder geht.

Ich habe das selber erlebt, kürze ich in den USA.

Das ist doch eine Verwerfung, die sehr, sehr tief blicken lässt.

Das steht meiner Ansicht nach im Zusammenhang mit den Identitätstendenzen

an den westlichen Universitäten, die das Grundprinzip der Menschenwürde

als Fundament unserer Normen ablehnen.

Ich habe darüber auch geschrieben.

Sie sehen es als ein Erbe des westlichen Kolonialismus,

das dekolonisiert werden muss und nicht als eine Antwort darauf.

Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

Ich bin enttäuscht, aber nicht überrascht.

Über die Haltung von Leuten, die niemals eine Normalisierung

jeglicher Mikroaggressionen akzeptieren würden,

von denen so viel die Rede ist an amerikanischen Universitäten.

Wenn man dann sieht, wie schwangere Frauen abgeschlachtet werden,

ich will die Beschreibungen gar nicht erst wiederholen,

ist es schockierend, oder eben auch nicht,

dass gleichzeitig dieselben Leute, die keine Normalisierung von Mikroaggressionen dulden,

nicht Makroaggression, sondern barbarische Massaker,

nicht verurteilen oder sogar gutheißen.

Sie haben dieses Buch jetzt schon erwähnt,

radikaler Universalismus jenseits von Identität, ihr jüngstes Buch.

Und tatsächlich kann man sagen,

wir befinden uns vielleicht fast schon in einer dilematischen Situation.

Israel hat jedes Recht, sich zu verteidigen gegen dieses grauenhafte Geschehen.

Gleichzeitig muss man auch ganz klar festhalten,

jedes Leben zählt gleich viel.

Jedes Kind, das im Gasastreifen jetzt zu Tote kommt,

zählt gleich viel sein Leben wie jedes Leben eines israelischen Kindes.

Und das ist das Fundament des Universalismus,

das Fundament auch unserer Menschenrechte.

Kann man nicht sagen, angesichts dieses Grauens

beginnt man aber auch ganz kurz zu zweifeln daran,

ob es diesen Universalismus so geben kann?

Dieser Universalismus ist niemals diskretiv, er ist normativ.

Es geht um die Frage nach den Normen, denen wir verpflichtet sind.

Ich bezweifle nicht, dass die Menschen in der Hamas diese Normen nicht akzeptieren.

Leider habe ich den Eindruck,

dass auch die Menschen an der Harvard-Universität diese Normen nicht akzeptieren.

Das ist gleich.

Ja, trotzdem akzeptieren sie diese Normen nicht.

Eine gängige Reaktion auf mein Buch war, mir zu sagen,

es ist nicht so ernst.

Sie mögen sagen, dass sie die kantische Vorstellung

der Würde des Menschen nicht absolut akzeptieren

und sie dekolonisieren wollen,

aber sie tun es letztlich im Namen dieses Prinzips.

Dem trete ich entgegen.

Wenn man dieses Prinzip aufgibt, wird das Folgen haben.

Und diese Folgen sehen wir jetzt.

Darf ich noch etwas hinzufügen?

Ich bin aber auch besorgt darüber,

dass ich seitens der europäischen AutorInnen und PolitikerInnen,

die sich schockiert, zeigen über die Reaktionen in Harvard,

nicht sehe, dass sie selbst sich diesen Prinzip verpflichtet fühlen

und Präsident Yitzhak Herzog verurteilen.

Für die Art und Weise, wie er über die Palästinenser in Gaza gesprochen hat.

Ich sehe nicht, dass sie von Israel die Einhaltung des Völkerrechts verlangen.

Ich kann mich an keine Aussage deutscher Politiker erinnern,

in der Israel mit klaren Worten aufgefordert wird,

sich an das Völkerrecht zu halten.

Herr Böhm, ist das die akademische Version zu sagen,

es gibt einen Doppelstandard, wie man sagt, einen doppelten Standard?

Um Doppelmoral handelt es sich nur auf den ersten Blick.

Alle sind sicher einig,

dass mit der Idee der Menschenwürde oft leichtfertig umgegangen wird.

Die Frage ist nur, von welcher Seite?

So sind auf der einen Seite die Israelis und einige europäische Verbündete

nur allzu bereit, die Idee zurückzuweisen,

dass das Leben unbeteiligter Zivilisten in Gaza

genauso verteidigt werden muss wie das Leben israelischer Juden.

Aber darf ich ganz kurz,

weil ich fand das so wichtig, was Sie gesagt haben,

diese Idee des Universalismus ist nie deskriptiv.

Das ist keine beschreibende Idee, das ist eine normative Idee.

Aber es gibt natürlich diese Position hier,

die würde des Menschen ist antastbar von Roman Bucheli,

ein Beitrag in der NCZ, den ich gelesen habe.

Und er sagt natürlich ganz klar, Entschuldigung,

aber wir sehen, für die Hamas gilt das nicht.

Das mag man noch lange als ideal, als norm hervorheben.

Aber die nehmen das nicht ernst.

Und vor Momenten, wo man sieht, die nehmen das nicht ernst,

kann man auch nicht mehr daran appellieren.

Das ist ungefähr die Idee.

Die Hamas hat sich nicht im Grundsatz verschrieben,

dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

Das ist offensichtlich.

Es reicht Ihnen zuzuhören, es versteht sich von selbst.

Es käme niemanden in den Sinn, die Hamas dafür zu kritisieren,

dass sie die Idee der Menschenwürde nicht respektiert.

Das wäre schon fast ein bisschen grotesk.

Ich kritisiere aber die Studentenorganisationen in Harvard scharf,

die dies nicht anerkennen.

Oder auch den israelischen Präsidenten und die Partner hier in Europa,

die sich so schockiert und wütend zeigten über die Leute in Harvard.

Sie sollten nicht mit zweierlei Maß messen

und wirklich darauf bestehen,

dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

Herr Böhm, ich glaube, wir kommen philosophisch an einen entscheidenden Punkt.

Sie verstehen sich als Kantianer.

Diese Würde des Menschen unantastbar ist in der Verfassung meines Landes

ein erster, ein wichtiger Satz.

Man kann sagen, das ist ein Satz, der keiner Kontextualisierung bedarf,

der überhaupt ohne Kontext verständlich sein muss

und anerkannt sein will.

Das wäre dann doch ein Punkt, den wir erreichen, wo wir sagen,

hier ist Kontextualisierung nicht anders.

Hier ist es, wo jede Form von Kontextualisierung beginnen muss.

Ich stimme Ihnen zu,

aber das steht nicht im Widerspruch zur Kritik an der Kontextualisierung.

Der Punkt ist eben, dass wir kontextualisieren dürfen,

um politische Lösungen zu finden

und um überhaupt am Grundsatz festzuhalten,

dass dieser Satz absolut wahr ist

und ungeachtet eines jeden Kontextes gilt.

Der Gedanke.

Wir dürfen uns nicht nur an der Kontextualisierung,

wir dürfen nicht kontextualisieren,

beruht auf dem Denkfehler,

dass wir uns durch die Kontextualisierung von diesem Prinzip verabschiedeten.

Ich sage, gerade weil wir diesem Prinzip

unabhängig vom Kontext verpflichtet sind,

müssen wir kontextualisieren, um die politische Situation

politisch zu verstehen und darauf politisch zu antworten.

Ich will das philosophisch jetzt nicht zu tief treiben,

aber es ist für unser Zeitalter

und auch für unsere philosophische Kultur

gar nicht einfach den Gedanken anzuerkennen,

dass etwas ohne Kontext überhaupt gelten könnte.

Man könnte auch sagen, metaphysisch gilt, unbedingt gilt.

Und das ist ja auch eine Denkaufgabe für unser Zeitalter.

Dem stimme ich voll und ganz zu.

Das soll jetzt keine Werbung von meinem Buch sein,

aber genau das war der Gedanke, der mich dazu motiviert hat.

Radikaler.

Genau, radikal daran ist,

dass wir uns unabhängig vom Kontext

diesem Grundsatz verpflichtet fühlen müssen.

Der Widerstand gegen Kontextualisierung auf beiden Seiten

beruht auf der Tatsache, dass wir nicht wirklich Universalisten sind

und uns diesem Grundsatz nicht wirklich verschreiben,

obwohl wir dies vorgeben.

Und ich glaube tatsächlich, wie du es gerade gesagt hast,

das ist philosophisch gesehen eine der ganz großen Fragen unserer Zeit.

Aber vielleicht können wir es auch noch einmal wieder auf den Boden holen,

der auch breiten Bevölkerung der Sorgen, die sich Menschen machen

und diesen Universalismus zu verteidigen fällt doch vielen zunehmend schwer,

auch Personen, die ihn eigentlich immer hochgehalten haben.

Und eine Person, die das in diesen Tagen sehr deutlich gemacht hat,

ist der Schweizer Schriftsteller Thomas Meier.

Er erzählt davon, die eigentlich immer an diesen Universalismus geglaubt hat

und sich jetzt irgendwie sehr, sehr schwer tut in dieser Situation.

Ich habe an Frieden geglaubt.

Ich habe geglaubt, dass eine Aussöhnung möglich ist.

Aber das geht mit dieser Terrorgruppe niemals.

Offensichtlich ist diese Gruppe darauf aus, möglichst viele Juden zu töten

und jegliche Friedensbemühungen im Keim zu ersticken,

weil das ihr selte auch die Legitimität absprechen würde.

Sie ist dazu da, zu töten, zu morden und Frieden zu verhindern.

Ich habe jahrelang die Augen verschlossen.

Aber nachdem, was am 7. Oktober passiert ist, kann es keinen Zweifel mehr geben.

Und wer jetzt nachdem, was geschehen ist, ernsthaft in dieser Bande,

dieser Mörderbande noch etwas menschliches, etwas vernünftiges,

etwas heldenhaftes sieht, hat ein Problem.

Das sind eine sehr offene, sehr ehrliche Worte.

Es ist ein Mensch, der beschreibt, dass er aus einer Art Schlummer einer Illusion erwacht ist.

Und man könnte sagen, er ist in einem Albtraum erwacht.

Denn es ist ein Albtraum, der in der Dynamisierung der Menschlichung sehr weit geht,

der nicht mehr in der Lage ist, im anderen, im ganz anderen überhaupt noch Menschliches zu erkennen.

Und man kann das vielleicht auch breiter fassen.

Das ist die Dynamik, die wir im Nahen Osten derzeit sehen.

Und das ist die Gewaltspirale, die so sich weiterdreht.

Es gibt per all dem, was er gesagt hat, nicht viel,

die mich widersprechen möchte, bis auf einen Punkt.

Seiner Aussage, wonach die Hamas versuche, so viele Juden wie möglich zu töten,

würden wohl viele Leute entgegenhalten, dass die Hamas eine Befreiungsorganisation sei,

die sich nur gegen Israelis richtet.

Wir müssen ganz klar festhalten, dass die Hamas Gründungskarte von 1988

ausdrücklich antisemitisch ist und völkermärterische Absichten verfolgt.

Man hört manchmal, die Hamas habe sich von dieser Karte hat distanziert.

Um ehrlich zu sein, wir brauchen nicht noch mehr Beweise dafür,

dass sie die ursprüngliche antisemitische genozidale Karte von 1988 ernst nimmt.

Die Ereignisse vom 7. Oktober sprechen für sich selbst.

Insofern unterschreibe ich seine Aussage voll und ganz.

Genau aus diesem Grund lehne ich zwei Aussagen ab,

von denen eine vielleicht nur implizit gemacht wurde.

Erstens verwehre ich mich dagegen, der Hamas jede Menschlichkeit abzusprechen.

Wir müssen verstehen, wie abscheulich der Hamas ist und, dass sie menschlich ist.

Es ist wichtig zu erkennen, dass Menschen zu so etwas fähig sind.

Wir dürfen dies auch im Kampf gegen sie nicht vergessen.

Wir sind diesem Wissen verpflichtet.

Wir schulden es uns selbst, nicht ihnen.

Ich habe keine Verpflichtung gegenüber der Hamas.

Ich bin mir selbst gegenüber verpflichtet, meine eigene Menschlichkeit zu bewahren.

Das ist das eine.

Dann möchte ich noch etwas hinzufügen,

dass, soweit ich gehört habe, nicht gesagt wurde.

Man sollte klar unterscheiden zwischen der Bekämpfung der Hamas

und der Suche nach Frieden mit den Palästinensern.

Ich war früher Vertrauter mit dem Gasastreifen

und erfuhr aus erster Hand, dass damals Palästinenser gegen die Hamas kämpften,

weil sie sich immer noch Frieden mit Israel wünschten.

Die gleichen Leute, die sich jeder Kontextualisierung verschließen,

betrachten das Geschehene als unvermeidlich.

Sie sehen die einzige Lösung darin, nur noch mehr Bomben auf die Palästinenser abzuwerfen.

Die Wahrheit ist eine ganz andere.

Trotz aller Gefahr, trotz der Unmenschlichkeit der Hamas,

der Morte muss eine politische Lösung mit den Palästinensern angestrebt werden.

Das darf nicht unterbleiben, wenn die Hamas-Täter als Untermenschen bezichtigt werden.

Ich möchte nicht irgendwelche unpassenden Vergleiche ziehen

und trotzdem vielleicht noch eine andere Idee einführen,

nämlich die Idee der Transitional Justice.

Also dieser Idee, das für Sie als Philosophie auch ein bekanntes Modell,

dass wir Übergänge brauchen, wenn Konflikte so lange andauern,

Modelle brauchen, wie Frieden möglich wird.

Das kennen wir aus dem Nord-Irdland-Konflikt,

wir kennen es aus dem Konflikt um die Apartheid in Südafrika.

Und die Idee war eigentlich immer die gleiche, sich zu überlegen,

wie kommen wir an einen Punkt hin, wo es uns gelingt, nicht mehr aufzurechnen,

aus dieser Spirale der Gewalt irgendwie herauszufinden.

Nun sind wir natürlich an einem falschenglühenden Punkt des Konfliktes,

um darüber schon zu reden.

Und trotzdem würde ich mir gerne erlauben, diese Frage zu stellen.

Und ich glaube, das war auch Judith Butler's anliegenden Stück weit,

mit dieser Idee der Betrauerbarkeit.

Also diese Menschlichkeit in den Vordergrund zurück und sich zu fragen,

können wir im Gegenüber so grauenhaft alles ist,

noch diesen Kern an Menschlichkeit sehen und darum kämpfen,

diesen Kern immer besehen zu wissen.

Das ist richtig. Hier stimme ich mit Butler überein.

Ich habe den Artikel so verstanden,

dass es nicht mit der Verurteilung enden darf.

Wichtiger als die Problematik der Kontextualisierung

und der Verurteilung ist die Frage,

welche Lebensform es uns erlaubt, an diesem Ort in Frieden zu leben.

Das muss die wichtigste politische Frage sein.

Ich mache mir größte Sorgen.

Soweit ich weiß, ist Butler auch in Deutschland heftig angegangen worden

von Leuten, die Israel verteidigen

und meiner Meinung nach eine falsche Vorstellung davon haben.

Angegriffen wurde sie aber auch von der postkolonialen Linken in Harvard

und anderswo, die Butler jetzt also etwas wie eine zionistische Kolonisatorin betrachten.

Ich teile Butler's Haltung zu dieser zentralen Frage,

auch wenn ich von ganz anderen Voraussetzungen ausgehe.

Wir müssen jetzt die Frage stellen,

welche Lebensform uns in die Lage versetzt, uns eine Alternative vorzustellen.

Es gibt Ansätze dazu von Juden und Palästinensern,

die beide Seiten verurteilen und unabhängig vom Kontext klar sagen,

das darf nicht sein.

Diese Frage, welche Haltung und welche Lebensform ein zukünftiges Zusammenleben möglich macht,

ist ja sehr schwierig.

Sie ist sehr gespannt.

Man kann auch fragen, wie weit will man da philosophisch oder religiös gehen?

Man könnte an Denker wie Simone Mehl denken, die uns dazu auffordern zu sagen,

wir müssen die Hamas-Täter als Opfer sehen,

als selbst als Menschen sehen, die das nicht gewollt haben,

sondern in einem sozialen Kontext großgezogen,

vielleicht sogar herangezogen wurden, um das zu tun.

Das sind Grenzen, denke ich, der Empathie, die man erreicht.

Ist das für Sie auch eine Grenze, wo Sie sagen,

das ist kein philosophischer Einsatz mehr,

sondern einer, der von Vergebung spricht und dann ins religiöse Lager wechseln muss?

Ich betrachte einen Hamas-Kämpfer nicht als Opfer.

Dafür bin ich als Mensch zu sie der Aufklärung verpflichtet.

Sie sind ungeachtet jedes Kontextes verantwortlich.

Wichtiger ist hier etwas anderes,

nämlich die Frage nach der Grundlage für ein Zusammenleben mit den Palästinensern.

Möglich wird es dann, wenn mein palästinensischer Nachbar und Freund zum Thema Hamas sagt,

wir verurteilen die Taten der Hamas absolut.

Wir werden die Menschen in dieser Region, die Hamas kondemnen, absolut.

Ohne eine Verpflichtung auf dieses Prinzip lässt sich auch in der Theorie

keine Einstaatenlösung denken.

Das gilt aber auch umgekehrt für die Juden,

unter denen es auch wenige gibt, die das so sehen.

Das muss man sagen.

Damit die Palästinenser sich ein Zusammenleben vorstellen können,

braucht es Juden, die jetzt auf Gaza blicken und sagen,

was macht ihr da? Hört auf.

Seht euch den Horror an, der in Gaza geschieht.

Ihr habt nicht das Recht, dies zu tun.

Die Bürger von Gaza sind unsere Landsleute.

Darf ich vielleicht da noch kurz nachfragen?

Mir scheint es so zu sein,

aus meiner kleinen Einsicht, die ich habe oder gewinnen habe,

können in den letzten Tagen,

dass es schon relativ viele israelische Stimmen gibt,

die auch kritisch auf die Diskussion blicken

und auch die Regierung Netanyahu kritisieren.

Man vermisst ein Stück weit palästinensische Stimmen,

die sehr kritisch sich äußern.

Geht ihnen das auch so?

Oder ist das mein sehr viel zu kleiner Blick auf das Ganze?

Es steht mir fern, ihren Blick zu kritisieren.

Aber ich sehe es anders.

Netanyahu zu kritisieren ist ein Volkssport unter Israelis,

der schon lange vor dem 7. Oktober begonnen hat.

Und auch jetzt beschweren sich die Leute gerne über Netanyahu.

Allerdings kritisieren sie ihn nicht für das,

was jetzt im Gaza-Streifen passiert.

In der israelischen Gesellschaft herrscht breitester Konsens darüber,

dass das, was das Militär jetzt in Gaza tut, akzeptabel ist.

Wer auf die Notwendigkeit hinweist, sich ans Völkerrecht zu halten,

gilt in Israel als Verräter.

Entsprechend wenige tun es.

Die Kritik an Netanyahu

bezieht sich auf die Mangel der Effizienz seiner Regierung

und die fehlende Strategie.

Es gibt keine Verurteilung der Bombardierung des Gaza-Streifens,

so wie sie jetzt stattfindet.

Und die Stimmen auf der anderen Seite?

Nur sehr wenige Menschen auf beiden Seiten.

Ich sage es nochmal.

Wir wenige Menschen auf beiden Seiten

fühlen sich dem unendlichen Wert des Lebens verpflichtet.

In meiner Wahrnehmung am ehesten noch die palästinensischen Israelis,

weil sie seit Langem eine Doppelexistenz leben.

Viele Israelis hatten solches nicht nötig.

Sie lebten zwar auch in enger Nachbarschaft

mit palästinensisch-israelischen Mitbürgern,

aber in einem jüdischen Staat.

Wir haben noch etwas sehr Mutiges getan.

Das war ein Mut, der auch aus einem Erwachen selbst entstanden ist,

nämlich aus dem Erwachen.

Das ist in der Einsicht bestand,

dass die zwei Staatenlösung ein nicht mehr realisierbares Projekt ist.

Aufgrund der Siedlungspolitik, so wie Sie das analysieren,

man könnte sogar sagen, Sie würden vorwerfen,

dass die Siedlungspolitik diese zwei Staatenlösung bewusst hintertrieben

oder unmöglich gemacht hat.

Und die Utopie, die Sie entworfen haben in Ihrem Buch Israel,

basiert auf der Unbedingtheit der Werte der Aufklärung

für alle Menschen, die in dieser Region leben.

Sie ist ein mutiger Appell, mutig auch deswegen,

weil sie eine Einstaatenlösung vorschlagen

für Israel als einer Föderation,

also nicht mehr als eine Demokratie des jüdischen Volkes.

Das stimmt.

Solche Haltungen sind offensichtlich stark unter Druck geraten.

Wohl fälschlicherweise,

denn der Vorschlag einer Föderation zwischen Juden und Palästinensern

ging nie davon aus, dass eine solche unmittelbar bevorstehen würde.

Der Vorschlag steht vielmehr für die Warnung,

dass angesichts des Scheiterns der zwei Staatenlösung den zwei Völkern,

die in einem Land leben,

keine politische Alternative angeboten wird.

Manges jeder politischen Vorstellungskraft und Hoffnung

werden wir die Dynamik eines absoluten und sogar totalen Krieges erleben.

Genau das sehen wir jetzt.

Die Menschen scheinen heute fast vergessen zu haben,

dass wir in diesen historischen Moments

durch die Hintertür eines anderen geraten sind.

Gerade haben wir noch alle über die juristische Reform

der rechtsradikalen Regierung in Israel gesprochen,

bei der es im Grunde darum ging, sich das gesamte Gebiet anzueignen

und die Rechte der Palästinenser vollständig zu zerschlagen.

Im Wissen um die historische Dimension,

dass es keine zwei Staatenlösung geben würde,

stimmten die Israelis für die extreme Rechte.

Auf der anderen Seite sehen wir,

dass die Palästinenser so handeln wie wir.

Die Warnung des Buchs lautete,

wenn ihr keine Alternative zur Trennung entwickelt,

ist es nicht so.

Es ist nicht so.

Es ist nicht so.

Wollten Sie vielleicht noch mal genau umreißen,

worin dieser Vorschlag besteht,

weil die Kritik, die Sie am derzeitigen Status des Staates Israel üben,

ist eine, die Hannah Arendt auch schon in den 40er-Jahren geäußert hat.

Sie besteht darin,

dass Israel sich als ein Nationalstaat alter Prägung versteht

in den Territorium, Volk und Staatlichkeit als eins gedacht werden.

Und heute Israel umspannt.

Das ist natürlich für viele, man kann sagen,

ein philosophischer Vorschlag,

den ihre Kritiker als den Selbstmord Israel sehenden Augens beschreiben würden.

Wer das als Selbstmord des Staates Israel sieht,

hat, glaube ich, eine schlechte Vorstellung davon,

was Israel sein sollte,

was auch eine Form des Selbstmords wäre.

Im heute von Israel kontrollierten Gebiet

lebt eine palästinensische Mehrheit.

Die Zahlen sind etwa 50 zu 50,

mit einer kleinen Mehrheit für die Palästinenser.

Selbstverständlich darf man die zwei Staatenlösungen immer noch verteidigen.

Wer das will,

bitte sehr, wir können darüber diskutieren.

Es leben etwa 7 Millionen Juden

und 7 Millionen Palästinenser im selben Land.

Wenn man ohne ein echtes Bekenntnis zur zwei Staatenlösung

daraus einen jüdischen und demokratischen Staat machen will,

führt das, wie erwähnt,

zu Formen des totalen Kriegs und endloser Zerstörung.

Leider Gottes ist das so.

Um dem heftigen Aufschrei, der jetzt gleich folgt,

vorzugreifen sei gesagt,

dass dies nicht die Art von Gewalt rechtfertigt,

welche die Hamas ausgeübt hat.

Aber diese Art von Gewalt wird wieder aufleben,

und das ist übrigens der Hamas

und als Reaktion darauf auch vonseiten Israels.

Vergessen wir nicht,

dass in der israelischen Regierung Leute im Kabinettsitzen

die lange Vordertat der Hamas

über Jahre in ihren Parteiprogrammen ausdrücklich den totalen Krieg

gegen die Palästinenser

und ihre Vertreibung aus dem Land propagiert haben

als Lösung für den arabisch-israelischen Konflikt.

Es stellt sich die Frage nach der Alternative.

Haben wir eine Alternative?

Diese Alternative sind die Republik Haifa,

an der Idee von der real existierenden Stadt Haifa, modelliert,

wo bereits sowohl Araber wie auch Juden friedlich koexistieren,

gemeinsam zusammenleben.

Man muss natürlich schon sagen,

das Ganze ist eine extreme Utopie.

Auch hier wieder radikal, könnte man sagen.

Das Buch muss man auch sagen, ist schon 2020 erschienen.

Es ist nicht brandneu,

in der Konflikt kommt jetzt hier noch nicht drin vor.

Aber um das vielleicht noch einmal deutlich zu machen,

es ist vielleicht gerade so eine prophetische Idee.

Weil wenn man jetzt die Situation anschaut,

dann hat man mit den Eindruck,

wie können Sie tatsächlich auf diese Idee kommen,

dass man je friedlich zusammenleben könnte?

Weder die Hamas, noch Itamar, Benkvir, noch Besalels, Modric ...

Genau, niemand unter ihnen vertritt die Mehrheit der Juden

beziehungsweise der Palästinenser.

Es braucht Alternativen zu deren Programmen.

Die israelische Linke hat es versäumt,

Alternativen zur Zweistaatenlösung anzubieten.

Deshalb ist Benkvir in der Regierung und seine Politik

die derzeit einzige israelische Politik.

Würden Sie denn diese Zweistaatenlösung als die Lebenslüge

der linken israelischen Politik bezeichnen?

Nach den schrecklichen Geschehnissen

ist es heute schwierig, solche Begriffe zu verwenden.

Wir können aber die Frage nach einem politischen Plan

für Israel stellen.

Ich habe den militärischen Plan zur Kenntnis genommen

und er wird debattiert.

Aber gibt es auch einen politischen Plan?

Oder glauben wir wirklich, dass das militärische Vorgehen

einen politischen Plan ersetzen kann?

Das käme dem Vorschlag von Ithama Benkvir sehr nahe.

Sie haben den Begriff prophetisch erwähnt.

Ich glaube nicht, dass die Idee eine Haifa-Republik

oder eine binationalen Förderation morgen umgesetzt werden kann.

Ich denke, es ist die Aufgabe von Leuten wie mir in diesen Tagen,

die einzigen ethischen und politischen Lösungen,

die uns bleiben, aufzuzeigen.

Man mag einwenden, dass sei unrealistisch.

Aber in Tat und Wahrheit ist dies das einzige realistische

politische Programm, das ich kenne,

als Alternative zu einer militärischen Lösung

für das Problem Palästina.

Viele Menschen in Haifa, Palästinenser und Juden,

sind heutzutage eher geneigt, klar zu sagen,

was die Hamas getan hat, muss unabhängig vom Kontext

absolut verurteilt werden.

Wir Palästinenser werden dagegen vorgehen

und man sieht auch Juden, die das genauso sehen.

Adalah ist eine der wichtigsten palästinensischen

Menschenrechtsorganisationen in Israel.

Wenn ich mich nicht irre,

befinden sich ihre Büros in Haifa.

In Israel werden sie oft als Verräter angesehen,

die Israel der Apartheid beschuldigen

und die Einhaltung des Völkerrechts fordern.

Es dauerte nur einen Tag, bis sie eine klare Erklärung abgaben,

dass die Tat der Hamas ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt

und verurteilt werden muss.

Sie waren die Ersten.

Gleichzeitig haben sie auch Israel angehalten,

sich ans Völkerrecht zu halten.

Das habe ich von meinen Präsidenten in Israel

oder den Leuten Harvard oder von führenden Politikern

in Europa nicht gehört.

Adalah hat es sofort gesagt.

Sie tragen ein Licht ins Dunkel,

das es eines Tages möglich machen wird, zu sagen,

die Würde aller Menschen in der Region ist unantastbar.

Dieses Licht, das wird ja gerade gesucht.

Sie haben ihrem Buch Israel,

eine Utopie, ein Satz von Tio der Herzl vorangestellt.

Wenn ihr wollt, ist das kein Märchen.

Man könnte auch sagen, wenn ihr wollt, ist das kein Traum.

Man könnte formulieren, so wie er es jetzt macht,

wird das ein Albtraum und ist es ein Albtraum.

Das ist eine schwierige Diskussion,

dass Situationen wie diese, radikale Situationen,

Situationen der Katastrophe,

Situationen sind, in denen man auch gerade utopisch denken muss

und soll, weil man sich der Ausgangslosigkeit

der jetzigen Situation bewusst wird.

So habe ich das noch nicht gesehen.

Das ist eine tolle Wendung des Satzes von Herzl,

die ich für meine Zwecke angeeignet habe.

Dass ich ganz kurz nur sagen, Herzl ist einer der Denker des Tionismus,

nur dass man das vielleicht ganz kurz ...

Ja, oft wird er als Prophet des Tionismus bezeichnet,

der gesagt hat, wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.

Viele haben wohl ein anti-tionistisches Buch von mir erwartet.

Gerade deshalb habe ich dem Buch dieses Motto

als Vision vorangestellt.

Aber es trifft zu, dass einige Entwicklungen denkbar sind,

die diesen Traum zum Albtraum machen.

Das Argument lautet wie folgt,

der einzige Weg zur Verhinderung des Albtraums

von der Hamas massakriert zu werden

oder selbst zum Mördern zu werden.

Der einzige Weg liegt darin,

den Bezug des Wortes ihr zu ändern.

Das heißt, mit dem Satz, wenn ihr wollt, ist es kein Märchen,

nicht nur die Juden, sondern Juden und Palästinenser

gemeinsam anzusprechen.

Die nun neu mit diesem Irr angesprochenen Menschen werden sagen,

wir haben diesen Traum.

Wir sagen unabhängig vom Kontext,

der Wert des menschlichen Lebens ist auf beiden Seiten gleich wichtig.

Deshalb appellieren wir zumindest an die Vorstellungskraft,

sich ein Zusammenleben denken zu können.

Ich habe den Eindruck,

Sie finden sich sehr in diesem Gedanken, und ich teile ihn auch.

Diese Vorstellung eines vielleicht prophetischen Gedanken,

den wir brauchen, der Schimmerlicht, der irgendwo hindurchschimmert.

Sie haben so schön gesagt,

wenn die Philosophie etwas vermag,

dann ist das genau jetzt Ihre Aufgabe,

das ist das, was wir tun sollten.

Wenn ich das vielleicht ein bisschen kontakarieren darf,

es gibt natürlich auch diejenigen, die sagen,

genau deswegen ist Philosophie so gefährlich.

Genau deswegen können wir Philosophie gerade jetzt nicht brauchen,

weil es geht darum, Konflikte zu lösen, realpolitisch zu lösen.

Und deswegen auch meinen Ringen mit der Philosophie gerade aus der Philosophie heraus.

Was können wir wirklich, was vermögen wir,

was kann der Beitrag der Philosophie gerade in dieser Situation sein?

Ich verstehe die Frage, denn ich komme aus der Region

und weiß, was es bedeutet, die Frage nach der Würde des Menschen zu stellen,

wenn auf einen geschossen wird.

Ich würde darauf bestehen, dass sie extrem wichtig ist.

Vielleicht könnte man es so angehen,

dass man die Rolle der Philosophen

mit der Rolle der Rechtsexperten vergleicht.

Kaum jemand würde heute die Bedeutung

von Völkerrechtsexperten unterschätzen.

Sie sagen, was legal ist und was nicht.

Auch mit Blick auf die Menschen im Gasastreifen,

die Hannah Arendt einmal entbeerliche Menschen nannte.

Ich habe mich auch sehr gefreut,

dass sie keine sovereignen Staaten haben

und keine internationalen Mächte, die sie verteidigen.

Auch das Völkerrecht steht nicht wirklich für sie ein.

Sie sind wirklich schutzlos.

Und das ist eine schreckliche Situation.

Es ist deshalb an den Völkerrechtsexperten

klipp und klar und öffentlich zu sagen,

was rechtlich vertriebbar ist und was nicht.

Was legal ist und was nicht.

Die Rolle der Philosophen besteht meiner Meinung nach darin,

die schlimmen philosophischen Anschauungen zu kritisieren,

die uns weiß machen wollen,

dass das Völkerrecht selbst

nur eine Form der Colonisierung ist.

Wir müssen darlegen,

dass jeder Versuch der Autorität

und die inherente Bedeutung des Rechts

zur Verteidigung der Menschenwürde zu untergraben.

Wir müssen das Völkerrecht,

dass wir neue Denkansätze finden müssen.

Wir kommen langsam zum Schluss.

Wir müssen, glaube ich, konstatieren,

die Perspektive war schon zuvor auswegslos.

Jetzt ist sie vielleicht geradezu apokalyptisch im Moment,

muss man sagen.

Vielleicht zum Schluss trotzdem.

Wo sehen Sie denn Anzeichen von Hoffnung?

Ist es wirklich in diesem ganz kleinen Zusammenleben

in diesem Haifa, beispielsweise?

Ob in Haifa oder anderswo.

Ich sehe vereinzelte Zeichen und der Hoffnung da,

wo Juden und Palästinenser sich zusammentun

und die jeweiligen Verstöße

auf beiden Seiten sehr klar anprangen.

Es gibt diese Menschen.

Sie existen.

Die Kraft von ihnen, ich glaube,

leuchtet.

Ihre Kraft leuchtet.

Ihr Licht erstrahlt vor dem Hinzug

rund der Katastrophen, die in der Region,

in Israel, im Gaza-Streifen, in Palästina geschehen.

Sie sind die offensichtliche Alternative

zu dem, was sich andernorts zeigt,

zum Beispiel an den Universitäten

und anderen Zentren schädliche Theorien.

Es sind Menschen, die offensichtlich

die Gespräche miteinander sprechen.

Das wäre mein Grund zur Hoffnung.

Es ist eine kleine Hoffnung.

An die zu klammern, es sich lohnt.

In der Tradition der Aufklärung muss man sagen,

Mut ist der Anfang, ist der Ausgang aus dieser Situation.

Mut über dieses Thema zu sprechen, den braucht man.

Den haben Sie gezeigt.

Danke, dass Sie heute unser Gast haben.

Copyright WDR 2021

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Die Terrorattacke der Hamas wird einhellig verurteilt. Gerade bei westlichen Intellektuellen wird sie aber teilweise von einem «ja, aber» sekundiert, was wiederum für Empörung sorgt. Wie lässt sich über die Situation in Nahost sprechen und ist ein Weg aus dieser Spirale des Hasses überhaupt möglich?

Das Grauen, das die Hamas-Terroristen mit ihrer unglaublich brutalen Attacke gegenüber unschuldigen Israelis angerichtet haben, ist kaum in Worte zu fassen, und das Reden darüber fällt schwer. Der Angriff wird in aller Schärfe verurteilt, einige schieben jedoch ein «ja, aber» nach, wollen den Terror kontextualisieren und verweisen auf die humanitäre Katastrophe im Gaza. Droht damit eine Verharmlosung, gar Rechtfertigung, und lässt sich das «akut Böse» überhaupt kontextualisieren? Andererseits: Lässt sich Terror losgelöst von einem Kontext beurteilen? Warum scheint es gerade so schwer, diskursiv zu trennen zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus, und wann ist diese Fähigkeit zur Differenzierung abhandengekommen? Wie kann ein Ausbruch aus dem Denken der Vergeltung hin zur Vergebung gelingen, wenn Unrecht und Schuld so tief eingegraben sind?

Zu Gast ist der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm, Professor an der renommierten New School for Social Research in New York, der die Zweitstaatenlösung als definitiv gescheitert bezeichnet und der 2020 in seinem Buch «Israel – Eine Utopie» eine binationale Republik auf dem Gebiet des heutigen Israels und Palästina vorgeschlagen hat. Mit Omri Boehm sprechen Barbara Bleisch und Wolfram Eilenberger.