NZZ Akzent: Nordkorea: Ein Diplomat flüchtet

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/5/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird ihn präsentiert von der LGT, ihrer Privatbank in der Schweiz.

NCZ-Aktient.

Ich bin in einer Wohnung, irgendwo im besten Großbritanniens-Teppich, ist etwas abgewetzt.

Es muffelt etwas, der Fensterkit ist etwas abgebröckelt.

Ja, und da wohnt Hansjin Myeong, ein 48-jähriger Mann, der stammt aus Nordkorea.

Was machst du dort mit ihm?

Wir sitzen zusammen auf einem Sofa, er zeigt mir Bilder auf seinem Computer.

Da ist er eine Party mit Diplomaten in H9, also in Vietnam.

Er zeigt mir ein Bild aus der berühmten Hallung Bay, malerische Kalksteinfelsen.

Zusammen mit Botschaftskollegen sind die da im Wasser.

Dann gibt es Bilder von Streifzügen, die er auf seinem Roller macht durch H9.

Es sind Bilder eines Diplomatenlebens, wo Cocktailabende, Karaoke und Trinksprüche dazugehören.

Aber es ist alles sehr lange her.

Die Bilder sind neun Jahre alt.

Seitdem ist Herr Hann auf der Flucht.

2014 hat sich der nordkoreanische Diplomat unter großem persönlichen Risiko ins Ausland abgesetzt.

Auslandredaktor Marco Kaufmann hat ihn getroffen.

Ich bin David Vogel.

Marco, wo hast du ihn denn getroffen?

Das darf ich leider nicht sagen, eben nur irgendwo in Westen, Großbritanniens.

Ich durfte ihn auch nicht aufnehmen, darum habe ich keine Töne dabei.

Auch den Namen, den wir verwenden, ist nichts ein richtiger.

Was ich sagen kann, Herr Hann, wie wir ihn nebennennen, er hat kurze graue Haare, er trägt eine schwarze Brille.

Er empfing mich mit Shorts und einem T-Shirt.

Und was mir wirklich auch in Erinnerung geblieben ist, ein schwerer Raucher, der immer wieder eine Rauchpause braucht.

Und ein Mensch, der für mich recht offen wirkte im Umgang.

Obwohl er im Untergrund lebt.

Genau.

Türkling ist nicht angeschrieben, die Vorhänge waren zugezogen.

Wenn er in den Garten geht, um einen zu rauchen, dann ist das mit Holzwänden verdeckt.

Aber ich habe es so empfunden, dass er halt auch einsam ist.

Und wenn jemand mit ihm spricht, dass er das irgendwie auch schätzt, zu erzählen, wie es ihm geht,

wie es zu dieser Situation gekommen ist.

Und wie ist es denn so weit gekommen?

Ja, sein Geschichte, das ist mir fast ein bisschen zu verharmlosen.

Also sein Schicksal, das begann eigentlich in Pyongyang, der Hauptstadt Nordkoreas.

Ein diktatorisches Regime mit kommunistischer Ideologie herstort.

Und sein Weg war eigentlich vorgezeichnet für eine Karriere als Teil der Elite Nordkoreas.

Denn als Sohn eines Parteifunktionärs leistete er zuerst elf Jahre Militärdienst.

Er war sehr loyal, stieg in der Kim Il-Sung-Universität ein.

Das ist eine Karterschmiede, lernte dort sehr gut Französisch und lernte das Diplomatenhandwerk.

Aha, das heißt, es war klar, der wird mal in den Diensten des Nordkoreanischen Außenministeriums unterwegs sein.

Genau, und so begann dann seine berufliche Laufbahn als junger Beamter im Außenministerium.

Er betreute Equatorial-Genere, eine andere Diktatur in Afrika.

Und er hat mir erzählt, er war sehr loyal, er war fleißig.

Er hat dort eigentlich einen guten Job gemacht.

Und dann?

Nach dieser, sagen wir, Bewährungsprobe wurde er eben dann als Diplomat nach Hanoi versetzt.

Eines Morgens, ein Pionang auf dem Bahnhof fährt da los.

Das sind 24 Stunden nach Peking, zuerst mehrere Stunden durch Nordkorea.

Und als er dann bei Dandong heißt, dass eine Brücke bequert,

verlässt er zum ersten Mal das Land.

Das ist nicht so einfach.

Das ist in der Tat sehr selten, man muss vielleicht wissen, Nordkorea ist eines der abgeschottesten Länder der Welt.

Nicht nur das Land zu verlassen ist schwierig, es braucht sogar eine Bewilligung, um sich innerhalb des Landes zu bewegen.

Es hat überall Straßensperren, es geht nicht einfach so, dass man von der einen Stadt in die andern kann.

Also für ihn war es ein großer Schritt, das Land zum ersten Mal zu verlassen, zu maler, das alleine machen musste.

Frau und Sohn bleiben zurück in Pionang.

Warum?

Das ist eine Art Sicherheitsmaßnahme des Regimes.

Die Nordkoreanische Regierung nimmt quasi die Familie in eine Art geiselhaft, soll verhindern, dass Diplomaten fliehen.

Und Herr Hahn, der ist also unterwegs.

Wie reist er jetzt nach Vietnam?

Er reist zuerst nach Peking, macht einen Zwischenstopp dort auf der Nordkoreanischen Botschaft

und er erzählt mir, wie er aus dem Staunen nicht mehr herauskommt.

Er sieht erstmals Reichtum, er sieht Konsumwelten in Peking, das war ihm alles völlig fremd.

Und was mir in Erinnerung geblieben ist, wird dann mit dem Flugzeug von Peking nach Honeuflug

und wie im Landeanflug auf eine Stadt schaut, die leuchtet und Reklam hat und so.

Da sagt Pionang ist eine dunkle Stadt, es gibt dort keine Werbebanner, es gibt wenige Stunden Strom.

Das war für ihn so ein Bild, jetzt bin ich in einer anderen Welt.

Löst das etwas in ihm aus, in diesem Moment auch bezüglich seinem Verhältnis zu seinem Heimatler?

Nein, zu diesem Zeitpunkt nicht, ich glaube er zweifelt nicht am Regime.

Das hat aber auch sehr pragmatische Gründe, weil er sagt sich, wieso soll ich meine Privilegien aufgeben,

er ist sich schon bewusst, dass er viel besser lebt als der normale Nordkoreaner, die normale Nordkoreanerin.

Vor allem aber auch weiß er, dass seine Familie in Gefahr wäre, wenn er kritisch würde, wenn er sich absetzen würde.

Im Moment startet er eigentlich seinen Job als diplomatischer Mitarbeiter, aber er wird bald merken, dass das alles ein bisschen anders funktioniert.

Inwiefern?

Ja, und zwar ist es so, dass er in Hanoi einen Dienst Mercedes bekommt, also ein Art Geschäftsauto.

Wie bei Diplomaten üblich ist das steuerfrei, d.h. dieser Mercedes ist günstiger als normal.

Und was er dann macht, nicht als Privatperson oder als Hinterzimmigeschäft, sondern mit offiziellen Wissen

in der Armordnung der Botschaft, er verkauft diesen Wagen an einen Vietnamesen und macht dadurch einen Gewinn.

Und wie er mir erzählt ist, das ist nicht ein Einzelfall, sondern es ist quasi ein bisschen das Geschäftsmodell dieser Botschaft.

Sie hat zwischendurch mehrere Dutzend Autos und es läuft so, dass er Vier-Fünftel des Gewinnens, der er macht, gibt er seinem Chef den Botschafter ab.

Also da werden dubiose Autogeschäfte gemacht, aber von Diplomatie keine Spur?

Diplomatie auch, er muss natürlich auch die nordkoreanische Politik erklären, aber dieses Autogeschäft ist offenbar eine wichtige Einnahmensquelle.

Und zwar muss man vielleicht wissen, es gibt 55 Außenstellen ungefähr, Nordkoreas, und die müssen sich zu einem rechten Teil selber finanzieren.

Also das heißt, sie müssen selber Finanzmittel beschaffen und sie müssen die Wiesen auftreiben, die sie dann nach Hause schicken.

Es gibt kein Geld aus der Hauptstadt?

Es gibt Geld, aber das würde nie genügen, um den Unterhalt der Botschaft und die Lebenshaltungskosten zu decken.

Weil man muss wissen, Nordkorea ist bitter an, es ist völlig abgeschottet, es ist eines der am stärksten sanktionierten Länder dieser Welt wegen einem sehr teuren Raketen- und Atomprogramm.

Also das ist quasi der Ursprung der Sanktionen und ja, ein Raketen-Atomprogramm kostet.

Deshalb sind die Botschaften ein, ein Rädchen in diesem ganzen Räderwerk, dass es diesen Start, dass dieses Programm letztlich finanziert.

Okay, und Hahn, ist er ein kleines Klitz, ein kleines Rädchen davon? Was passiert danach?

Ja, in der Anfangsphase hat er mir erzählt, er macht diese Auto-Geschäfte und er liefert artig sein vier Fünftel ab.

Den restlichen Fünftel braucht er für sich, aber auch für seine Familie zu Hause in Pyongyang.

Doch dann gibt es plötzlich Streit um die Gewinnverteilung der Botschafter will nämlich alles.

Da geht Hahn auf die Hinterbeine, er weigert sich und sagt, das war nicht die Abmachung und diese Streit hat aber Konsequenzen.

Er wird so ein bisschen als Troublemaker gebrannt mag, der Botschafter wirft ihm auch vor, er sei kapitalistisch geworden

und eines Tages hört er dann, dass er irgendwie auf eine Liste vorgemerkt wurde.

Eine Liste?

Genau, eine Liste von Personen, die sich irgendwie illoyal zum Regime verhält.

Er sagte mir, mir war klar, mein Name wurde an den Sicherheitsdienst in Pyongyang gemeldet

und das wiederum heißt, dass die Gefahr einer Zurückbeorderung sehr groß wäre.

Zurückbeorderung heißt nicht im Kontext Nordkorea, dass man dann einfach einen Bürojob macht,

sondern er muss sich ernsthaft damit rechnen, dass er ins Arbeitslager kommt, das gefoltert wird.

Sogar eine Exekution von vermeintlichen und richtigen Regime-Kritiken ist durchaus möglich.

Und alles nur, weil er diesen Fünftel nicht abgeben wollte?

Das war natürlich der Auslöser, aber letztlich geht es darum, Nordkorea ist wirklich ein totalitäres System.

Wer sich gegen Anordnungen der Nomenklatura widersetzt, der ist wirklich in Schwierigkeiten.

Und da sagte sich Han, ich muss weg.

Aber es gab ein Problem, und zwar die ständige Überwachung.

Also auch die nordkoreanischen Diplomaten überwachen sich gegenseitig.

Man trifft nie einen nordkoreanischen Diplomaten alleine.

Auch auf dem Botschaftsgelände hat das überall Überwachungskameras

und Han sucht überall nach Schwörstellen in diesem Überwachungssystem,

bis er schließlich eine Entteckung macht.

Zwar ein toter Winkel zwischen den Bäumen.

Das heißt also, wo die Kamera nicht hingucken kann.

Und es klingt ihm, dass undenkbare im Dezember 2014, also rund zwei Jahre nach seiner Ankunft in Hanoi,

flieht er, das ist etwas, was vor ihm lange keinem anderen mehr gelungen ist.

Wir sind gleich zurück.

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Also, Han gelingt die Flucht.

Du triffst ihn ja dann auch in Großbritannien irgendwo.

Wie ist er denn von Vietnam nach Europa gekommen?

Das darf ich leider nicht erzählen.

Ich kann nur das sagen.

Er wollte so weit weg von der koreanischen Halbinsel wie immer möglich.

Aus der Sicht des Regimes ist er ein Abtrünniger.

Und als hochrangiger Republikflüchtling ist er potenziell in Lebensgefahr.

Also, es sind andere Republikflüchtlinge.

Es sind ermordet worden im Ausland.

Das hat es mehrfach gegeben.

Deshalb muss er untergetaucht und völlig anonym leben.

Aber wovon und wie lebt er denn in England?

Er macht Gelegenheitsjobs.

Er hat gezügelt zum Beispiel.

Also, wirklich schwere physische Arbeit.

Er kriegt etwas Sozialhilfe.

Und er hat in Großbritannien Asyl beantragt.

Aber das wird nicht einfach werden,

weil die Engländer sagen,

er müsse nach Südkorea ausreisen.

Da muss man vielleicht wissen,

die koreanischen Flüchtlinge werden in Südkorea automatisch

die Staatsbürgerschaft erhalten.

Für ihn ist das aber schwierig,

weil er sagt, ich muss meine Familie schützen.

Und nordkoreanische Überläufer,

vor allem wenn sie Diplomaten sind,

werden nachher von der südkoreanischen Propaganda

auch ausgeschlachtet eine Art Trophäe sagen.

Die sind zu uns gekommen.

Und da würde ich meine Familie gefährden.

Also das Risiko, dass die Familie noch stärker bestraft wird,

womöglich das will er nicht eingehen.

Er möchte nicht noch mehr Öl ins Feuer rießen.

Genau.

Wie geht es ihm denn jetzt dabei,

Emin, konnte er dich, einen Journalisten aus der Schweiz empfangen

und seine Geschichte offen erzählen?

Ich muss sagen, ich habe ja einen Mann erlebt,

der zwischendurch aufblüht,

auch wenn er von seinem früheren Leben erzählt,

einer französische Sprichwörter recitiert,

er hat gut französisch gelernt

und plötzlich kippt das wieder.

Und das ist mir in einer Situation sehr bewusst geworden.

Wir haben dann wieder mal auf den Computer geschaut

und da kommt plötzlich ein Foto von seinem Sohn.

Er sagt, er ist im Kindergartenalter.

Als man das Foto aufgenommen hat, war er so ein Kindergartenalter.

Inzwischen ist er 15 Jahre alt und er hat ihn nie mehr gesehen.

Und man muss wissen, in Nordkorea gilt eine Sippenhaft.

Das heißt, seine Frau, die zurückgeblieben ist,

sein Sohn, auch seine Eltern, die wurden vermutlich hart bestraft.

Arbeitslager, was auch immer.

Und er fühlt sich schuldig.

Und das zeigt sich, als er dieses Bild mit dem Sohn zeigt,

da zittern seine Lippen.

Er sagt mir auch, dass er seinen Sohn eigentlich um Verzeihung bitten möchte.

Lieber Marco, vielen Dank.

Danke dir, David.

Das war unser Akzent.

Produzent in dieser Folge ist Marlen Öler.

Ich bin David Vogel, bis bald.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Als Diplomat gehörte Han Jin Myung zur Elite Nordkoreas. Jetzt lebt er als untergetauchter Flüchtling in Grossbritannien – und packt aus.

Heutiger Gast: Marco Kauffmann Bossart, Auslandredaktor

Host: David Vogel

Produzentin: Marlen Oehler

Weitere Informationen zum Thema https://www.nzz.ch/international/devisenbeschaffer-fuer-kim-diktatur-nordkorea-ld.1744189

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