NZZ Akzent: Nigeria: Warum wollen alle weg?

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/6/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird ihn präsentiert von der LGT, ihrer Privatbank in der Schweiz.

Samuel Misteli ist bei mir heute mal zur Abwechslung im Studio. Hallo Samuel.

Hallo Sebastian.

Und bist eben nicht in Nairobi wie normalerweise, sondern du bist gerade jetzt hier quasi zum Start in einer Sommerferien-Tage.

Genau. Ich bin noch ein bisschen am Arbeiten und dann nächste Woche habe ich Wurzeln.

Klar. Sehr schön.

Aber du hast noch eine Geschichte aus Nigeria mitgebracht, bevor du jetzt in die Ferien startest.

Mhm. Und zwar ist es eine Geschichte über Nanna Udoma und seinen VW-Bus.

Das ist ein Mann in Nanna Udoma, der lebt in Lagos, in Nigeria.

Und der parkt seinen VW-Bus jeden Morgen vor dem Passbüro in Lagos.

Warum das?

Weil der Arbeit, das ist sein Arbeitsplatz, er ist Fotograf.

Er macht Passfotos von Leuten, die zur Passbehörde gehen und da sich ein Pass ausstellen lassen wollen.

Und die können sich davor bei Nanna Udoma ein Passfoto machen lassen.

Und Nanna Udoma hat im Moment gerade sehr viel zu tun, weil jeden Tag beantragen mehrere Tausende Nigerianerinnen und Nigerianer ein Pass.

Und sie tun das, weil sie auswandern wollen.

Millionen von gut ausgebildeten Nigerianern verlassen frustriert ihr Land.

Nanna Udoma kennt die Gründe, warum.

Denn er fotografiert jeden Tag seine frustrierten Landsleute für ihren Reisepass.

Erzählt Afrika-Korrespondent Samuel Misteli.

Ich bin Sebastian Panholzer.

Samuel und du hast also Nanna Udoma dort getroffen vor dem Passbüro.

Ja, ich bin am Morgen da hingegangen und da stand er eigentlich.

Das ist praktisch vor dem Eingang der Behörde.

Nanna Udoma, der ist 59, der ist ein relativ kleiner Mann, aber sehr energisch.

Der lacht auf, kann aber auch schnell mal wütend werden.

Habe ich auch ein paar Mal gesehen im Verlauf des Tages.

Und der steht da daneben oder sitzt dann in seinem VW-Bus.

Das ist ein Bus aus den 1980'en, das Modell.

Nicht mehr der Jüngste sieht man ihm an, das Dach rostet vor sich hin.

Die Sitzpolste sind ausgerissen, zum Teil die Farbe ist ausgebleicht.

Also man sieht den Bus das Alter auch an.

Ich habe mit ihm gesprochen, ich habe auch mit vielen seinen Kunden gesprochen,

weil das halt die Leute sind, die auch auswandern.

Und weil ich wissen wollte, wieso sie das Land verlassen wollen,

was ihr Problem mit Nigeria ist.

Udoma war daran, sein Studio einzurichten,

in dem Moment, als ich gekommen bin.

Aber dann ziemlich schnell ist da auch ein Erster Kunde gekommen

und das war Francis Olobumni.

Er hat mir gesagt, er sei ein Geschäftsmann,

er macht ein bisschen Business und gleichzeitig ist er ein Leinenprediger in seiner Kirche.

Und für was braucht er jetzt das Foto?

Er will auswandern, wie ganz viele in Nigeria gerade auswandern wollen.

Und zwar will er zusammen mit seiner Familie auswandern, sie wollen in die USA.

Er hat zwei Kinder, die sind 6 und 8 Jahre alt.

Er hat eine Frau und seine Frau, die bewirbt sich gerade um ein Master.

Sie will ein Master machen in den USA, in Informatik.

Und das ist eine Geschichte, also das er in die USA will.

Ist das typisch für Nigeria?

Ja, das ist sehr typisch.

Auf viele der Kunden von Ultoma, mit denen ich gesprochen habe, haben ähnliche Geschichten.

Meistens sehr häufig aus der Mittelschicht, die Leute, die auswandern wollen,

das sind zum Beispiel Pflege, das sind Ärztinnen, das sind Software-Agenieure, das sind Banker.

Und es ist logischerweise nicht nur Olobumni, sondern es sind viele mehr, es werden auch immer mehr.

Wenn man mit Nigerianen spricht, gerade geht es sehr häufig, geht es um das Land und wie schwierig es ist

und dass ganz viele Leute auswandern wollen.

Also die Migrationsbehörden, die haben im letzten Jahr waren es fast 2 Millionen Pässe, die neu ausgestellt wurden.

Und ich glaube, man kann sagen, die alle meisten, diese Pässe, die werden ausgestellt, weil die Leute auswandern wollen.

Das ist ja schon eine riesen Zahl, wie du sagst, fast von den 2 Millionen, fast die meisten davon.

Ja, es ist eine sehr große Zahl.

In Nigerien ist es halt auch ein Land mit sehr vielen Einwohnern, ein bisschen mehr als 200 Millionen.

Und von denen wollen gerade auch sehr viele weg, weil die Situation im Land einfach schwierig ist und nochmal schwierig geworden ist.

Es gibt ganz viele Gründe, das sind hauptsächlich wirtschaftliche Gründe, dass die Lebenskosten sind viel teuer geworden,

dass Benzin ist teuer geworden, Transport ist teuer geworden, Lebensmittelpreise sind teuer geworden, die Inflation ist sehr hoch,

die Sicherheitslage ist an vielen Orten schlecht.

Ich finde es immer beeindruckend in Nigeria, an vielen Orten fliegen die Leute zwischen Städten.

Sie nehmen nicht die Straße, weil es einfach, weil die Gefahr besteht, dass man entführt wird

oder dass in Lagos ist der verkehrende Katastrophe häufig so, dass Leute in Ambulanzen sterben,

weil die Ambulanzen im Verkehr stecken.

Bleibt es sind ganz viele kleine und große Faktoren, die den Leuten das Leben schwer machen und machen,

dass sie das Land verlassen wollen.

Es gibt auch Umfragen dazu.

Es gibt zum Beispiel eine, da haben mehr als zwei Drittel der befragten Nigerianerinnen und Nigerianer gesagt,

wenn sie den könnten, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten auszuwandern, dann würden sie das auch tun.

Geht's denn Nanna Udoma genauso?

Dann geht's ein bisschen anders.

Ich glaube, er denkt sehr ähnlich wie all diese Leute, die gehen wollen.

Er sagt ähnliche Dinge über die Nigerianische Regierung zum Beispiel.

Aber für ihn ist so ein bisschen der Zug vielleicht abgefahren,

weil er ist fast 60, das was er macht, macht er seit bald 20 Jahren

und ich glaube, er fühlt sich zu alt, dafür wird er jetzt noch zu gehen.

Ich sage meinen Kindern, geh weg, heirate woanders, bleib da und steh dann auch in dem Land.

Wir sind gleich zurück.

In einem turbulenten Marktumfeld brauchen Anleger einen verlässlichen und vertrauenswürdigen Partner.

Die langfristige Ausrichtung von LGT Private Banking gibt ihn Stabilität und Sicherheit.

Mehr erfahren sie unter www.LGT.com

Aber eben Nanna Udoma sagst du will bleiben,

sein Job macht er jetzt seit fast 20 Jahren, also Passfotos zu machen in seinem VW-Bus.

Wie ist er denn überhaupt auf die Idee gekommen?

Das war eigentlich aus der Note heraus, weil er hatte früher mal schon, als er nach Lagos gezogen ist,

ursprünglich aus dem Südosten des Landes, er ist dann aber in den 80ern nach Lagos gezogen

und er hatte dann später ein Geschäft, das war auch für Passfotos, aber das war in einem Gebäude.

Und diese Zeit um die Jahrtausende, das waren bessere Zeiten für Nigeria,

weil das Land ist damals lange, hat es immer wieder Militärregierung geharbt, bis Ende der 90er Jahre,

das gab es dann zur Demokratie, es war eine Zeit, in der es auch wirtschaftlich mehr Hoffnung gab,

als es jetzt im Moment gibt, gerade in Nigeria.

Was ist dann bei Nanna Udoma aber passiert, dass er nicht mehr im Laden ist, sondern jetzt im VW-Bus arbeitet seit 20 Jahren?

Weil da wurde eine Siedlung gebaut, also er hat da sein Lokal verloren und dann hat er die Idee gehabt mit dem VW-Bus.

Komm mal wieder zurück zu deinem Besuch bei Nanna Udoma, wie läuft es denn da für ihn so?

Es war ein geschäftiger Tag, als ich da war.

Häufig hat es eine kleine Schlange vor dem Bus gehabt mit Leuten, die angestanden sind.

Zum Beispiel hat sich da eine junge Frau reingesetzt, sie sitzt auf der Rückbank,

erst sitzt auf seinem Stuhl, vielleicht 1,5 Meter voneinander entfernt.

Er schaut sich dann an, wie sie den Kopf hält, er rückt den Kopf zu Recht, damit er gerade ist.

Und er hat gesagt, man muss gerade sein, man muss bei den Ohren sehen, sonst siehst du aus wie ein Seufel.

Er arbeitet sehr penibel, ein Perfektionist kann man wahrscheinlich sagen.

Und diese junge Frau, die ist 28, das ist eine Werbefotografin, die hat ihre Tochter dabei.

Und sie hat mir gesagt, sie wollte mit ihr Familie auch auswandeln,

weil Nigeria einfach eine Ortzeit, wo man als Familie nicht wachsen könne.

So hat sie das formuliert, dass wir mal nicht vorankommen.

Und wo will sie hin, also auch nach USA, wie der Pasto?

So, Canada.

Nee, sie will nach Kenya, also auch in einem afrikanischen Land, das ist relativ stabil gilt,

das relativ wohl haben.

Die haben mir gesagt, sie möchten den Kontinent nicht verlassen, weil sie Afrika toll finden.

Und dann scheint ihnen Kenya eine gute Option zu sein.

Also es wollen nicht alle ins weit entfernte Ausland wie eben USA gehen.

Nein, es gibt mit den Leuten, mit denen ich gesprochen habe,

denn da war das Englischsprachige Ausland am beliebtesten.

Also schon die USA, Kanada, Großbritannien sind sehr beliebte Ziele,

aber es gibt auch Leute, die wollen in Afrika auch bleiben.

Aber man kann an viele Order auf der Welt gehen

und da hat es eine Nigerianische Jaspora und die sind dann auch sehr sichtbar.

Also keine Ahnung, weil sie zum Beispiel Restaurants aufmachen

oder weil die Nigerianische Kultur halt groß ist.

Also die nigerianische Musik ist riesig, ist mittlerweile auch global bekannt.

Es ist auch eine Jaspora mit einer sehr großen Ausstrahlung

und diese Auswanderung aus Nigeria, die macht das Land auch zu einem globalen Land, würde ich behaupten.

Aber eben, so ist er vorhin gesagt, Nanna Odomo, er denkt da gar nicht daran, zu gehen.

Vielleicht auch, weil er ihm seinen Job Spaß macht und er dort deswegen bleiben will.

Ich glaube schon, dass ihm sein, also er beklagt sich auch gerne,

aber wenn er sich beklagt, dann beklagt er sich eigentlich eher über das Land, nicht über seinen Job.

Ich glaube schon, dass er seinen Job auch gerne macht.

Und wenn man ihn beobachtet, wie er es so mit den Leuten umgeht,

er kann das auch sehr gut, dass er macht viele Witze, manchmal Flirte,

nur wenn es um Geld geht, da hört er Spaß auf bei ihm.

Warum? Also, wie hat sich das gezeigt?

Also ich habe mehrere Male, habe ich auch gesehen, wie er Streit gekriegt hat mir mit Leuten,

das ist mir mal vorgekommen, dass Leute entweder, also dass sie über den Preis gestritten haben

und dann die Leute entweder von selber gegangen sind oder dass Odomo sie fortgejagt.

Okay.

Und dann so gegen 17 Uhr, da wird es langsam Zeit für den Feierabend,

dass auch die Büros, das Passbüro, macht dann zu.

Odomo zählt dann die Scheine, also was er verdient hat an dem Tag.

Hat sich es gelohnt für ihn der Tag?

Ja, er wird nicht reich, als das Geschäft läuft einigermaßen gut gerade,

aber er wird nicht reich, aus dem Ende der Woche wird er nach Abzug alle Ausgaben,

oder vielleicht 20 Franken noch übrig.

Aber na, er kann überleben, aber ist jetzt nicht so mit der Reichwertenwürde.

Sag mal, du hast jetzt einen Tag mit Nanna Odomo verbracht

und hast ja auch gesehen, wie viele Menschen dorthin kamen,

an dem einen Tag nur ein Wiesn dann letztendlich zu beantragen.

Wenn aber so viele Menschen das Land verlassen,

also was heißt das denn dann für die Zukunft von Nigeria?

Das ist nicht gut, weil halt viele der Leute, die gehen,

die gehören zu den Klügsten, die gehören zu den Kreativsten,

das sind häufig gut ausgebildete Leute.

Das ist dann halt ein Problem, wenn ein Land jedes Jahr hunderte Ärzte

verliebt, die dann fehlen im Land.

Also ich glaube, die Regierung lässt das auch geschehen,

weil sie weiß, dass diese Leute dann Geld zurück schicken.

Also das ist jedes Jahr ein zweistelliger Milliardenbrettag,

an Geld aus der Diaspora nach Nigeria zurückfließt.

Also so den Familien dann?

Genau, als zu angehören oder auch Freunden.

Aber es sind ja dann doch recht höchstere Aussichten für Nigeria.

Also was müsste sich denn ändern,

damit nicht mehr so viele Menschen das Land verlassen?

Ich glaube, es bräuchte eine Regierung,

die eine funktionierende Wirtschaftspolitik zum Beispiel macht,

die darauf schaut, dass Jobs geschaffen werden,

dass die Jobs dann auch nach Leistungsprinzip vergeben werden,

dass du einen anständigen Lohn kriegst

und du dich nicht vom ersten Angebot aus England abwerben lassen musst.

Und Udoma, wie geht es bei ihm jetzt nach Feierabend weiter?

Warst du da noch mit ihm dabei?

Er hat dann die Papierschnipsel von den Fotos zusammen gewünscht,

hat den Generator neben dem Bus stand, hat ihn in den Bus gepackt

und dann ist er losgefahren, aber es ist nicht lange gefahren,

es ist nur knapp 200 Meter nach hinten gefahren

und da hat er dann gepackt.

Warum?

Weil das der Ort ist, wo er übernachtet

und am nächsten Morgen wird er dann wieder die 200 Meter nach vorne

und beginnt einen neuen Arbeitstag.

Also wenn all die ganzen Leute, die da kommen und Pässe beantragen,

wenn die dann irgendwann aus Nigeria verschwinden, bleibt er einfach da.

Samuel, vielen herzlichen Dank für deinen Besuch bei uns im Studio.

Vielen Dank, Sebastian.

Das war unser Akzent.

Prozent in dieser Folge ist Alice Gorschen.

Ich bin Sebastian Panholzer.

Und wenn du tiefer eintauchen möchtest

in die wichtigsten Themen unserer Zeit,

dann hol dir deinen NZZ-Probe-Abo für drei Monate zum Preis von einem.

Jetzt unter NZZ.ch slash Akzent-Abo. Bis bald.

Copyright WDR 2021

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Vergangenes Jahr verliessen fast zwei Millionen Menschen Nigeria. Nnanna Udoma kennt die Gründe, denn er fotografiert jeden Tag seine frustrierten Landsleute für ihren Reisepass, wie der Afrika-Korrespondent Samuel Misteli im Podcast erzählt.

Heutiger Gast: Samuel Misteli, Afrika-Korrespondent

Host: Sebastian Panholzer

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informattionen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/wieso-wollen-millionen-von-nigerianern-ihr-land-verlassen-nnanna-udoma-weiss-es-ld.1743572

Hörerinnen und Hörer von «NZZ Akzent» lesen die NZZ online oder in gedruckter Form drei Monate lang zum Preis von einem Monat. Zum Angebot: nzz.ch/akzentabo»