NZZ Akzent: mRNA-Impfstoff: die besessene Forscherin

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/16/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird Ihnen präsentiert von Sustainableswitseln.ch

Gemeinsam machen wir die Schweiz nachhaltiger.

NZZ-Aktzent.

So ja, wo sind wir denn da jetzt gerade?

Hier wird gerade Katalin Kariko von unzähligen Fotografen umzingelt.

Sie ist auf dem roten Teppich. Alle rufen ihren Namen, sie soll hinschauen für das beste Bild.

Sie hat gerade einen Preis gewonnen, den Breakthrough-Preis.

Das ist so was wie der Oscar der Wissenschaft.

Und wer ist Katalin Kariko?

Sie ist eine ungarische Biochemikerin. Sie erforschte jahrzehntelang RNA-Moleküle.

RNA sagt mit schon was im Zusammenhang mit dem Corona-Impfstoff?

Ja, genau. Durch ihre Forschung ist Kariko während der Pandemie quasi über Nacht zum Star geworden.

Wir haben es ihr zu verdanken, dass innerhalb von kürzester Zeit ein Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt werden konnte.

Und damit konnten ja wirklich Millionen von Menschen gerettet werden.

Ohne Katalin Kariko wäre der mRNA-Impfstoff nicht möglich gewesen.

Jahrelang wurde sie zuerst belächelt und unterschätzt,

und das obwohl sie die Medizin eigentlich nur vorwärts bringen wollte,

erzählt Wissenschaftsreaktorin Joja da Silva.

Ich bin Sebastian Panholzer.

Du sagst, Katalin Kariko hat einen entscheidenden Part gespielt bei der Forschung des Impfstoffs für Corona.

Warum wurde sie denn dann belächelt?

Ein Grund dafür ist sich ihre Herkunft.

Sie kommt aus Ungarn, hat an einer weitgehend unbekannten Universität studiert, an der Universität Sage.

Die ist wirklich nicht so bekannt. Sie ist in einer Kleinstadt aufgewachsen, in ärmlichen Verhältnissen.

Man muss sich vorstellen, kein fließend Wasser zu Hause, das Ungarn hinter dem Eis einen Vorhang.

Also nicht unbedingt jetzt gerade die besten Verhältnisse für eine steile akademische Karriere?

Nein wirklich nicht. Ihr Vater war Metzger, ihre Mutter war Buchhalterin.

Sie hat ein Schweine zu Hause, in die Nachbarn hat ein Kühe.

Und so hat sich Kariko schon damals als Kind irgendwie viel Biologie interessiert.

Sie studiert dann auch Biologie nach dem Jahr 1973 und beginnt dann auch schon nebenbei zu RNA zu forschen.

RNA, wir hatten sie ja gerade vorhin schon im Zusammenhang mit dem Corona-Impfstoff,

aber kannst du mir noch mal bitte kurz erklären, was RNA denn jetzt genau heißt?

Ja genau, also du kennst ja sicher DNA, das ist so ein Strang, so wie eine Strickleiter, eine gebogene.

Das ist das Erbgut.

Genau das ist das Erbgut. RNA ist sozusagen die Hälfte von dieser Strickleiter.

Es funktioniert eigentlich als eine Art Bauplan.

RNA zeigt eine Zelle, wie sie ein bestimmtes Protein herstellen muss.

Das kann zum Beispiel ein Antikörper sein gegen eine Krankheit oder irgendwie so eine Virushülle oder irgend sowas.

Okay und du sagst Kariko, sie studiert Biologie, sie beginnt auch schon mit der RNA-Forschung

und wie geht es dann bei ihr weiter?

Sie beendet ihr Studium, macht einen Doktor, forscht weiter zu RNA, aber dann wird ihr Labor geschlossen, indem sie arbeitet.

Sie verliert die Finanzierung und damit auch ihren Job.

Das heißt, ohne Job und Finanzierung ist es wahrscheinlich auch sehr schwierig, dass sie weiterforscht?

Ja richtig, Forschung ist ja teuer und ohne Geldgeber ist das einfach nicht möglich.

Aber Kariko ist vom Typ her jemand, der einfach nicht so schnell aufgibt

und sie sucht andere Stellen, auch sonst noch in Europa, findet aber dann eine in den USA.

Also ich kann mir vorstellen, Ungarn in den 80ern, eben hinterm eisenden Vorhang, wie du gesagt hast,

ist es wahrscheinlich gar nicht so einfach in die USA zu ziehen oder?

Das stimmt, das ist wirklich nicht einfach.

Sie hat inzwischen geheiratet und eine Tochter bekommen.

Zusammen darf die Familie 100 Dollar ausführen, das muss man sich mal vorstellen, mit 100 Dollar ein neues Leben aufzubauen.

Aber Kariko lässt sich nicht so schnell unterkriegen, sie schmuggelt dann 900 Dollar aus dem Land.

Sie nimmt den Cash und schlitzt den Teddybär, ihre Tochter auf und stopft diese Noten in den Teddybär.

Und wo zieht sie dann hin?

Sie ziehen nach Pennsylvania, sie beginnt dann an der Temple University zu forschen.

Also ich nehme an sie forscht weiter in Richtung RNA?

Ja richtig, es läuft aber nicht gut, sie hat eigentlich kaum Erfolge.

Es gibt immer wieder Rückschläge in ihrer Forschung und sie findet weiterhin keine Geldgeber.

Und warum ist das so? Also gibt es einen Grund dafür, dass sie einfach so schwer Geld findet?

Ja, der Forschungsfeld, die RNA ist, hat noch total unbekannt, elementares Wissenfeld.

Es ist radikal neu, niemand glaubt daran.

Und ja, da muss man vielleicht auch sagen, dass Kariko von einer unbekannten Universität kommt.

Sie hat noch einen Akzent irgendwie, weil sie vielleicht auch dadurch nicht so ernst genommen wird.

Sie hat keine Ausbildung einer bekannten amerikanischen Universität.

Sie hat keine Mentoren und kein Netzwerk.

Irgendwie will niemand mit ihr zusammenarbeiten, sie wird belechelt und nicht ernst genommen.

Aber du sagst vorhin auch schon, sie gibt nicht so leicht auf.

Also ich nehme an, sie beißt sich weiter durch.

Ja, ich würde sagen, dass sie fast schon wie eine Besessene weitermacht.

Sie wird Assistenzprofessorin an der Pennsylvania University

und sucht weiter nach Geld geben und Forschungspartner.

Es ist aber immer schwierig.

Irgendwie verliert sie ein paar Mal fast ihre Stelle, findet dann aber gar noch so jemand,

der sie trotzdem noch unter den Flügel nimmt und sie anstellt.

Zusammen mit einem Kardiologen gelingt ihr dann in den 90er Jahren ein erster Durchbruch.

Welcher?

Es ist das erste Mal, dass es gelingt, dass mit RNA Zellen das machen, was sie eigentlich sollen.

Bisher konnte man RNA gar nicht im Labor zuverlässig herstellen, geschweige denn.

In Zellen einschleusen, geschweige denn, würden die Zellen das machen, was sie sollen.

Das gelingt jetzt hier zum ersten Mal.

Der einzige Haken hier ist, das gelingt nur in der Petrischale,

also in einer Zellkultur, in einer Glasschüssel, in einer kleinen

und nicht in einem lebendigen Organismus.

Wir sind gleich zurück.

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unseren Planeten und seine Menschen.

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Und jetzt gelingt ihr immerhin, wie du sagst, ein Durchbruch nach schon Jahren der Forschung.

Das heißt, jetzt geht es für Sie endlich erfolgreich bergauf?

Ja, fast. Also, es gelingt ihr in Durchbruch, wie du sagst, das ist richtig.

Aber ihr Labor schließt und Kariko verliert wieder einmal alle ihre Forschung.

Schon wieder? Okay, und dann?

Sie schafft es dann, gerade noch so in ein anderes Projekt reinzurutschen.

Und auch hier hat Kariko wieder Misserfolg, Unmisserfolg.

Also, irgendwie scheint es bei ihr einfach nicht dauerhaft wirklich zu klappen?

Das ist richtig, aber das ist ja bei der Forschung irgendwie auch nichts Außergewöhnliches.

Es geht auch ganz viel falsch, bis man was gelingt.

Es ändert sich dann langsam, als Kariko Drew Weissmann kennenlernt, der forscht zu HIV.

Die beiden treffen sich an einem Drucker und beginnen über Impfungen zu sprechen.

Also, einfach irgendwo im Büro an einem Drucker treffen die sich?

Ja, richtig genau, die lernen sich so kennen.

Weissmann pusht Kariko dann in eine andere Richtung zu denken,

und zwar die RNA-Forschung als Impfung zu denken und nicht mehr als Behandlungsstrategie.

Tatsächlich schaffen die zwei dann einen weiteren Durchbruch bei der RNA-Forschung.

Und zwar finden sie einen Weg, wie Zellen RNA verwenden können in einem lebenden Organismus.

Also, jetzt kommt dann endlich der Erfolg, auf den sie auch schon so lange hofft.

Ja, eigentlich schon. Sie meldet ein Patent an, sie gründet eine Firma, das ist in den 90ern Jahren.

Aber trotzdem interessiert sich irgendwie niemand richtig dafür.

Es ist nach wie vor einfach zu neu und zu radikal.

Auf den ersten Blick scheint sie mit ihrer wissenschaftlichen Karriere auch ein bisschen gescheitert.

Wenn man sie so betrachtet von außen, sie hat weniger Folge vorzuweisen

in all den Jahren der Forschung, Jahrzehnten der Forschung.

Sie forscht eigentlich in einer Nische.

Andere Forscher, wenn sie erfolgreich sind, dann haben sie irgendwann ihre eigenen Labor,

sie delegieren die Laborforschung an immer mehr Angestellte.

Das ist bei Kariko alles nicht der Fall. Sie ist eigentlich da immer noch irgendwie am Werkeln.

Zuversich alleine.

Ja, irgendwie für sich alleine und sie kämpft aber besessen weiter.

Sie bleibt im Labor, macht Experiment um Experiment.

Sie ist in der Wissenschaftszene inzwischen schon auch ein bisschen bekannt geworden.

Also, ihr Name ist mit RNA verknüpft.

Man wird dann auf sie aufmerksam in der deutschen Firma Biontech.

Die sagt am spätesten seit der Pandemie was dieser Firma?

Ja, richtig. Die forscht unter anderem auch an RNA.

Sie machen ihren Jobangebot und Kariko zieht deshalb mit 58 Jahren nach Deutschland.

Beziehungsweise sie pendelt zwischen den USA und Deutschland hin und her.

Oh, okay. Es bestimmt jetzt nicht so die einfachste Pendelweg.

Ja, stimmt. Es ist sehr schwierig.

Man muss sich vorstellen, sie ist eigentlich ja kurz vor der Pension.

Sie hat mit ihrem Mann ein großes Haus mit einem Waldstück.

Jetzt muss sie in Deutschland in eine kleine Einlegerwohnung.

Sie vermisst ihr zu Hause.

Sie erzählte für verschiedene Medien, dass sie sich in der ersten Woche in Deutschland jede Nacht in den Schlaf weinte.

Aber es geht ihr schnell besser. Sie hat sehr viel zu tun.

Also, es läuft dann gut bei Biontech.

Ja, das kann man so sagen. Sie arbeitet jetzt nicht mehr nur in der Grundlagenforschung,

sondern auch jetzt wirklich mit der Idee, ein Medikament oder eine Impfung herzustellen.

Und dann 2020 ist es ihre Technik, die hilft, in ganz kurzer Zeit den Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln.

Und dafür wird natürlich Kariko jetzt richtig bekannt und auch gefeiert.

Innerhalb von zwei Jahren bekommt sie dutzende Preise.

Sie räumt richtig ab.

Unter anderem vom deutschen Zukunftspreis, den Golden Plate Award.

Dutzende Ehrendoktortitel.

Es wird sogar eine Astheorie nach ihr benannt.

Und dann eben auch diesen Breakthrough-Preis.

Das ist so eine Art Oscar der Wissenschaft im April dieses Jahres.

Also es ist sehr pompös aufgezogen jetzt, denn das sieht ein bisschen aus wie bei den Oscars.

Tatsächlich, da sitzen in Publikum diverse Stars und Sternchen.

Man muss sich vorstellen, da trägt Chris Pine, der Hollywood-Star, auf die Bühne und kündigt Kariko an.

Sie kommt dann in ihrem langen, dunkelblauen Kleid, hält eine Rede.

Bedankt sich bei ihrer Familie und den Leuten, mit denen sie geforscht hat.

Sie ist jetzt wirklich zum Star geworden.

Und jetzt fließt nach Millionen Anforschungsgeldern in die RNA-Forschung.

Also jetzt, seit der Pandemie, wird auch die RNA-Forschung richtig ernst genommen.

Und auch sie.

Genau, jetzt das Tüpfchen auf dem E geschadern Anfang Oktober dieses Jahres.

Katalin Kariko gewinnt den Nobelpreis für Medizin, zusammen mit Drew Weissmann, ihrem Forschungskollegen.

Also, sie hat es jetzt wirklich gegen Ende ihrer Karriere fast schon den absoluten Durchbruch geschafft.

Was macht sie denn jetzt?

Im Moment reist sie wirklich von Preisverleihung zu Preisverleihung,

einfach weil sie wirklich da so viele Preise abstaubt, genau.

Sie ist nicht mehr bei Biontech.

Sie hat ihre Stelle gekündigt.

Sie ist jetzt auch wirklich im Pensionsalter.

Aber sie nutzt jetzt diese Aufmerksamkeit, die sie jetzt kriegt, um Werbung zu machen für die Forschung, die Grundlagenforschung.

Sie macht sich auch stark für die Kinderbetreuung, weil sie halt auch sagt, ohne eine bezahlbare Kinderbetreuung

hätte sie gar nicht so viel arbeiten können, wie sie es getan hat.

In dem Sinn hat sie ihr schon auch geholfen, eine Karriere aufzubauen

und schlussendlich in ihrem Fall ja wirklich Millionen von Leben zu retten.

Liebe Georgia, vielen Dank für dein Besuch im Studio.

Danke vielmals für die Einladung.

Das war unser Akzent.

Produzent in dieser Folge ist Alice Crochant.

Ich bin Sebastian Panholzer.

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Lange wurde sie belächelt. Dann kam die Pandemie, und Katalin Karikó wurde quasi über Nacht zum Star. Die Geschichte einer Frau, die jahrzehntelang fast wie besessen weiterforschte.

Gast: Gioia da Silva, Wissenschaftsredaktorin

Host: Sebastian Panholzer

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/wissenschaft/die-besessene-nobelpreistraegerin-katalin-kariko-wich-nie-von-ihrem-ziel-ab-obwohl-niemand-an-sie-glaubte-ld.1758926

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