NZZ Akzent: Lukaschenkos Todesscherge erzählt

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 8/30/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

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NCC Parkzent.

Es ist der 7. Mai 1999,

ein lauer Früh-Sommerabend in Minsk und

Jurisacharenko befindet sich auf dem Heimweg.

Weißt du's?

Das ist ein bekannter Oppositionspolitiker,

ein Regime-Kritiker, eigentlich ein Gegner von

Alexander Lukaschenko.

Lukaschenko, den gab es schon 1999.

Ja, der war damals schon an der Macht ein, einige Jahre.

Und der war dabei, immer autoritär zu werden,

seine Machtbefugnisse zu stärken.

Aber Sacharenko hat sich dagegen gewährt

und er wird dann zu einem seiner ersten Widersacher.

Okay, und er läuft jetzt nach Haus?

Er läuft nach Hause, genauso ist es.

An diesem lauen Sommerabend ruft dann seine Frau an.

Und sagt, er sei jetzt gleich zu Hause.

Und das ist das letzte Mal, dass seine Frau mit ihm spricht.

Oha.

Zwei Männer sprechen Jurisacharenko an.

Sie zeigen die Ausweise und packen dann Handschellen aus,

nehmen Handschellen und führen ihn dann in einen

dunklen Opel Omega.

Dort stülpen sie ihm eine Maske übers Gesicht

und drücken dann den Kopf zwischen die beiden Vatersitze.

Danke.

Vier Männer sitzen im Auto, sie fahren los

und es ist unbekannt wohin.

Und einer von ihnen ist Jurika Raffski.

Jurika Raffski, das ist ein junger Mann damals ungefähr 18 Jahre alt

und er ist Mitglied einer berüchtigten Sondereinheit,

einer Todesschwadron, sozusagen.

Er ist ein Scherche des Regimes.

Und das lange her, 1999.

Ja, aber 24 Jahre später

muss er sich vor einem Kreisgericht in der Ostschweiz

im Kanton St. Kallen verantworten.

Dort wird er angeklagt.

Vor über 20 Jahren liquidierte Jurika Raffski

in Weißrussland Oppositionelle im Auftrag des Regimes.

Wie es dazu kam, dass er jetzt vor einem Schweizer Gericht steht,

erzählt Inland-Redaktor Daniel Gerney.

Ich bin David Vogel.

Daniel, wer ist Jurika Raffski?

Jurika Raffski ist 1978 in Minsk geboren worden.

Er lebte dann die ganze Zeit in Weißrussland.

Er ist ein Riesenmogner, er ist fast zwei Meter groß.

Er ist heute etwa 45 Jahre alt.

Er war als junger Mann im obligatorischen Militärdienst

in Weißrussland und ist dann, hat dann gewechselt in eine Sondereinheit,

die sogenannte Sondereinheit 32, 14,

die dann zur Einheitssober wurde.

Was ist das, meine eine?

Offiziell bekämpft die so die organisierte Kriminalität,

aber eigentlich hat sie Regime-Kritiker überwacht.

Sie hat auch Regime-Kritiker entführt und ermordet,

dass es eigentlich eine Todesschwadon war.

Okay, und das heißt,

dieser Geraffski macht eigentlich die Drecksjob für Lukaschenko.

Und er sitzt als Mann dieser Einheit von Sober im Auto

und entführt diesen Oppositionellen, von dem du mir am Anfang erzählt hast.

Genau, er sitzt in diesem Wagen zusammen mit drei anderen Sobermännern.

Sie fahren mit diesem Opel, mit diesem Opel Omega etwa 30 Minuten weg von Minsk.

Ihnen folgt ein zweites Auto, auch dort sitzen vier Geheimpolizisten

und sie gehen zu einem Schießstand des Innenministeriums

in den etwa 20, 30 Minuten von Minsk entfernt.

Im Auto wird während dem ganzen Fahrt kaum gesprochen.

Es läuft eigentlich nur Musik aus dem Radio,

außer einem einzigen Satz, der von Juris Arengo kommt,

dem Entführungsopfer.

Er sagt nämlich, tut es so, dass ich keinen Schmerz verspüre.

Woher weißt du das?

Ja, es gibt zahlreiche Unterlagen.

Ich habe beispielsweise die Anklageschrift in diesem Fall sehr genau studiert.

Wir konnten vor drei Jahren auch schon einmal selbst mit Jury Garavski sprechen

und bei diesem Gespräch war auch ein Team der deutschen Welle dabei.

Ein Key Witness hat vorhin kommen.

Diesen Film erzählt Garavski eben auch von dieser Zeit damals in Weißrussland.

Das, was wir jetzt gerade hören.

Genau diese Geschichte.

Und dann ist es schon weiter.

Es ist nur von ihnen und unserer belarussischen Systeme.

Der Entführte, also er weiß, es kommt nicht gut.

Ja, genau, er muss es ahnen.

Und was passiert?

Als sie dort an diesem Schießplatz angekommen sind,

zähren die Polizisten Sacharenko aus dem Auto,

werfen ihn zu Boden und lassen ihn da mal liegen.

Sie rauchen dann eine Zigarette und dann folgt die Hinrichtung.

Und zwar ist es der Chef von Garavski,

der Soberchef, der sich eine Waffe bringen lässt

und Sacharenko zweimal in die Herz gegenschießt.

Okay.

Bis heute ist die Leiche von Sacharenko verschwunden.

Niemand weiß offiziell, was passiert ist.

Er wird immer noch vermisst.

Garavski fährt weg, sein Auftrag ist erledigt

und drei Wochen später erhält er Lohn 500 $ in Bra.

Okay.

Und ist es für dich klar oder ist es für die Anklage klar,

er hat für das Regime gehandelt?

Ja, es gibt Indizien, Garavski selber,

was er erzählt von dieser Geschichte.

Aber es gibt auch beispielsweise die Waffe.

Es ist eine Waffe mit Schalldämpfer,

die in Weißhausland gebraucht wurde,

um Exekutionen auszuführen.

Damit ist eigentlich klar,

dass das eine offizielle Sache war,

dass dahinter der Start steckte.

Okay.

Und Garavski wusste davon, was ihn bei diesem Auftrag erwarten?

Er selber sagte, er habe es nicht gewusst.

Er wusste, dass es um eine Entführung ging.

Er wusste nicht, um wen es ging.

Und er wusste nicht,

dass die betreffende Person getötet werden soll.

Und danach, was das passiert war,

er sagte, er habe drei Tage nichts mehr essen können

und sei wirklich wie eine leere Hülle gewesen.

Also dieser Hühne, der zwei Metermann, hat gewissensbisse?

Ja, das hat er, aber nur ein knappes halbes Jahr später,

nimmt er wieder an einer solchen Aktion teil.

Was passiert?

Im September des selben Jahres 1999 ruft der Sobo-Chef

seine Leute wieder zusammen und Garavski ist da wieder dabei.

Und diesmal werden ein Politiker und ein Unternehmer entführt.

Und beide gehören auch der Opposition an wie Sachorenko vorher.

Und auch die beiden werden entführt und getötet.

Okay.

Das scheint also System zu haben?

Das scheint System zu haben.

Zwei Torte Regime, Kritiker an einer Abend.

Da gibt es dann 1000 Dollar Lohn.

Für Garavski?

Für jeden, der beteiligt war das davon.

Man muss wissen, diese drei Leute, das waren nicht die einzigen.

Es sind zu dieser Zeit in Weißrussland viele Leute verschwunden

und getötet worden.

Schätzungen gehen davon aus, dass es 30 waren.

Und das Ganze verschwinden lassen wurde 2004,

also 3, 4, 5 Jahre später, dann auch untersucht vom Europarat.

Und was haben die herausgefunden?

Die haben herausgefunden,

dass Spuren von diesem verschwinden lassen

und von diesen Morden direkt ins Machtzentrum von Weißrussland führen.

Okay.

Das heißt direkt zu Lukaschenko und seinem Umfeld?

Nach ganz oben würde ich mal sagen, ja.

Okay.

30 Leute sind verschwunden oder getötet worden.

In diesen Jahren, 1999, Jahrtausendwände,

war Garavski da überall beteiligt?

Nein, er war nur bei diesen beiden Fällen beteiligt,

von denen ich jetzt gerade erzählt habe.

Aber er war loyal, systemtreu,

er war ja sogar der stellvertretende Kommandant dieser Sobo

und wusste zumindest auch im zweiten Fall,

nachdem er den Ersten erlebt hat, was da passieren wird.

Aber man muss umgekehrt aussagen, es ist natürlich

in einem solchen System schwierig, sich dazu wehren zu setzen

und sagen, ich beführe die Befehle nicht aus,

dann landet man wahrscheinlich selber im Sarg.

So ist unklar wie genau, wie sich Garavski dabei fühlte.

Er bleibt aber bis 2003 bei dieser berüchtigten Sobo-Einheit.

Und er behält diese Taten, während 20 Jahren für sich erzählt nichts,

bis so eines Tages sein Schweigen bricht.

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Daniel Juri Garavski ist Mitglied einer berüchtigten Sondereinheit,

die für das Regime Lukaschenkos die tödliche Drecksarbeit

gegen Regimekritiker erledigt.

Aber Daniel, was hat denn das jetzt mit einem Gericht in der Ostschweiz zu tun?

Wie gesagt, die Geschichte, die ich erzählt habe,

die bleibt während 20 Jahren unter dem Deckel niemand erfährt davon.

Aber dann fliegt Garavski in die Schweiz

und der verrückten Umständen er klettert in der Schweiz aus einem Kofferraum

und fährt an einem Auto heraus und erzählt,

er habe sich nicht mehr sicher gefühlt in Weißrussland.

Er kommt ins Bundesasylzentrum und stellt dort ein Asylantrag.

Es ist des 7. Januar 2019 und du musst dir vorstellen,

dieser Juri Garavski im Büro wird von einem Migrationsbeamten befragt

und erzählt jetzt diese unglaubliche Geschichte.

Packt richtig, gehen da aus. Führt aus und erzählt.

Und der Beamte sitzt da und hört diese unglaubliche Geschichte.

Was erzählt er ihm denn?

Er erzählt die ganze Geschichte, die ich jetzt erzählt habe von diesen Entführungen,

von diesen Morgoten, wie die Abläufe waren, was da passiert ist,

auf den Skisplätzen und so weiter und so weiter.

Er erzählt alles.

Er packt aus.

Er packt richtig, gehen da aus.

Aber man glaubt ihm nicht, weil diese Geschichte so irrklingt,

so wie aus einem Agentenfilm, dass man denkt, ja, kann das wirklich stimmen?

Es gibt ja auch keine Beweise, es gibt keine Leichen, es gibt keine Spuren.

Und die Beamten fragen sich,

ist das vielleicht auch ein Vorwand, um als Kronzeuge in der Schweiz bleiben zu können?

Es ist keine einfache Situation, nämlich an für die Beamten

oder wenn da jemand kommt und so etwas erzählt, kann sein, kann aber nicht sein.

Ja, natürlich.

Also, glaubt man ihm, glaubt man ihm nicht, das ist oft sehr schwer zu beurteilen.

Aber es ist halt doch glaubwürdig, weil er wirklich sehr viele Details weiß.

Und dann, was passiert mit ihm?

Ja, auch die Schweizer Strafe, die steht vor einem enorm komplexen Fall.

Denn wie geht man mit einem solchen Fall um?

Oder die Opfer sind Weißrussen.

Der Täter ist auch Weißruse.

Und die Tat hat auch in Weißrussland stattgefunden.

Das heißt, es gibt eigentlich gar keine Anknüpfung an die Schweiz.

Und deshalb ist die Schweizer Strafe, die es eigentlich gar nicht zuständig gibt.

Eigentlich, oder?

Jetzt hast du ja eben gesagt, bald beginnt der Prozess in der Ostschwelle.

Ja, genau.

Dazu muss man wissen, weil dieses Verschwinden lassen von Regime gegen ein großer Problem

ist überall auf der Welt nicht nur in Weißrussland.

Hat die UNO eine Konvention verabschiedet, um dieses Problem zu lösen.

Man muss wissen, zwischen 1990 und 2010 sind es 50.000 Leute nach Schätzungen der UNO,

die so verschwunden sind.

Und 50.000 sagt die UNO damals.

Und da wollte man etwas unternehmen, hat diese Konvention geschaffen,

damit man auch dann anklagen kann, Leute wie Garawski anklagen kann,

wenn die Länder eigentlich nicht zuständig sind.

Und diese Konvention, die hat die Schweiz ebenfalls unterzeichnet,

und auch das Strafrecht angepasst und einen neuen Strafartikel geschaffen,

der jetzt genau auf diese Sektation passt.

Okay, also wenn ich mir das Bildhaft jetzt vorstelle, da sitzt ein Asylbewerber aus Weißrussland

und er erzählt, dass er dafür gesorgt hat, dass Menschen verschwinden.

Das heißt, man kann ihn jetzt dank dieser Konvention anklagen,

weil diese Konvention in das Strafgesetz, in das Schweiz, hineingeflusst.

Genau so ist es, man kann ihn anklagen für das Verschwinden lassen,

dieser drei Opfer, nicht für die Morte, nicht für die Entführung,

aber für das Verschwinden lassen.

Und das Verrückte ist, dass diese Änderung des Strafgesetzes

erst gerade zwei Jahre vor der Flucht von Garawski in Kraft gegetreten war.

Das war ein bisschen eine Glückssache, dass man da wirklich ein Instrument hatte,

um ihn vor Gericht zu stellen.

Und die Schweiz ist eines der ersten Länder,

in dem diese Strafbestimmung und diese Konvention überhaupt zur Anwendung kommt.

Und dass das so ein prominenter Fall ist in einer so wichtigen Sache,

damit hat natürlich niemand gerechnet,

dass man diese Konvention und diese Änderung des Strafgesetzbuches verabschiedet hat.

Und dieser Prozess findet jetzt statt Mitte September in St. Gallen.

Das wird zweifelos für eine riesige mediale Aufmerksamkeit sorgen, auch international.

Und jetzt wird das Gericht entscheiden, was mit Garawski passiert in der Schweiz.

Wachst du eine Prognose, wie das Gericht das entleidet?

Ich glaube, die Chancen stehen recht gut, dass Garawski verurteilt wird.

Und das wäre nicht nur juristisch interessant, das wäre eben auch politisch ein Signal.

Juristisch ist es ein Präzedenzfall, weil es eben erst mal ist,

dass diese Bestimmung zur Anwendung kommt.

Politisch wäre es eine starke Aussage.

Nämlich es würde bedeuten, dass erstmals ein Gericht indirekt

die Beteiligung von Lukaschenko vom Regime in Weißhausland

an einer Serie von Entführungen und Ermordungen feststellt.

Das wäre das politische starke Signal von solchen Verurteilungen.

Das heißt, eigentlich steht nicht nur Garawski in Rohrschach vor dem Richter so?

So ist es genau.

Und Garawski ist natürlich die Person, die angeklagt ist,

aber im Fokus ist das Regime von Diktator Alexander Lukaschenko.

Liebe Daniel, vielen Dank.

Ich danke dir.

Das war unser Akzept.

Produzentin dieser Folge ist Marlen Öler.

Ich bin David Vogel.

Bis bald.

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Juri Garawski entführte und liquidierte Regimekritiker – im Auftrag des Diktators Lukaschenko. Heute steht er in der Ostschweiz vor Gericht. Wie kam es dazu?

Heutiger Gast: Daniel Gerny, Inlandredaktor NZZ

Host: David Vogel

Produzentin: Marlen Oehler

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