Sternstunde Philosophie: Lorraine Daston – Die Regeln unseres Lebens

Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) 8/26/23 - 56m - PDF Transcript

Guten Tag und ganz wichtig, heute unbedingt bis zum Ende dranbleiben.

Schließlich soll man den Tag nicht vor dem Abend loben, außerdem keine Menschen töten,

sich mindestens zweimal am Tag die Zähne putzen und niemals nie sagen, um nur einige

wichtige Regeln unseres Lebens zu nennen.

Über andere, ja alle anderen wichtigen Regeln unserer Kultur hat die Wissenschaftshistäugerin

Lorraine Desten ein Leben lang nachgedacht und geforscht und ist dabei auf tiefirreguläre,

ich möchte sagen verstörende Einsichten gestoßen.

Herzlich willkommen in der Starnstunde Philosophie.

Vielen Dank.

Frau Desten, jeder Mensch hat ja so seine Lebensregel, oft ist es ein Lebensmotor.

Wie lautet denn das Ihre?

Ich habe sogar zwei, eine ist berühmt glaube ich, angeblich von Karl Kraus, die Situation

ist hoffnungslos, aber nicht ernst, die Erwiderung von Wien nach Berlin und die zweite ist keine

E-Mail nach neun Uhr abends schreiben.

Und darf ich auch gleich fragen, wenn Sie das ja eine sehr kluge Lebensregel, da schützt

man sich vor der Informationsflut.

Gibt es denn auch eine Regel in Ihrem Leben, die Sie noch nie gebrochen haben?

Gravitationsgesetz, nie.

Das haben Sie noch nie geschamt, das zu bringen.

Haben Sie es denn mal versucht?

Wir versuchen alle, alle wollen fliegen, ohne Flugzeug.

Also Sie sehen, es gibt Lebensregeln ganz verschiedene Art, es gibt welche, die man sich selbst setzt,

es gibt welche, die uns gesetzt werden und dann gibt es sogar Naturgesetze, die auch eine

gewisse Regelmäßigkeit beschreiben, die wir vielleicht gar nicht überschreiten können.

Und wenn man einmal darüber nachdenkt und mit Ihrem schönen Buch, das Sie jetzt geschrieben

haben, Regeln, eine kurze Geschichte, ergibt sich etwas, was ganz fantastisch ist.

Auf einmal sieht man überall Regeln, das ganze Leben, unsere ganze Kultur.

Überall gibt es Regeln.

Ich soll nicht in die Kamera schauen, ich darf nicht aufstehen, wir müssen beide miteinander

reden.

Unser ganzes Leben ist, als ob es ein Netz von Regeln gäbe, das überall und immer mitbestimmt,

was wir tun.

Man fühlt sich vielleicht ein bisschen gefangen am Anfang, aber wenn man denkt, was wäre

die Alternativ, ist man eher dankbar, dass wir in diesem Netzwerk eingebettet sind.

Es gibt natürlich eine Wir-Wahr von Regeln, wenn man denkt zum Beispiel an die verschiedenen

Kulturen der Welt, auch historisch gesehen, aber es gibt so gut wie keine Kultur ohne

Regeln.

Und das mit gutem Grund, ohne Regeln wäre das Leben miteinander fast unvorstellbar.

Wir müssen miteinander koordinieren und ich würde sogar sagen, selbst wenn man ganz

allein leben würde wie Robinson Crusoe, würde man für sich schnell Regeln machen.

Zum Beispiel würde man sagen, steh nicht nach dem Eulnur auf, versuche Feuerholz zu sammeln,

wenn es regnet, solche Dinge, das heißt jeder Mensch braucht als soziales Wesen und als

einzelnes Wesen gewisse Haltegriffe im Leben, gewisse Orientierungspunkte, vielleicht Geländer

und diese Geländer sind meistens regelförmig.

Richtig, es gibt natürlich eine Palette von Regeln, Maxime, Prinzipien, Algorithmen und

so weiter, das heißt das ist ein Genus mit vielen Spezien, aber letztendlich sind die

alle Regeln und die sind für uns unverzichtbar.

Es ist ja ein bisschen komisch, wissen Sie, wenn man über Regeln spricht, dann denken

manche Leute, das sage ich ziemlich langweilig, außerdem mag ich keine Regeln.

Es ist gerade so, als ob der moderne Mensch sich nur selbst finden könnte, wenn er Regeln

bricht, aber wenn man ihr Leben, ihr Buch liest, hat man das Gefühl, ein Leben, das nur Regeln

brechen würde, das wäre ein selbst verwirrtes, chaotisches, sogar unmögliches Leben.

Ich glaube, es wäre wirklich ein Albtraum, also denken wir darüber nach, was das heißen

würde.

Es würde heißen, dass ich ihr Verhalten überhaupt nicht vorher sagen kann, das heißt, es kann

sein, dass wir jetzt freundlich miteinander reden und in der nächsten Minute, dass Sie

vielleicht gewalttätig werden.

Es kann sein, dass mein Nachbar, der heute mir hilft, morgen mich angreift.

Es kann sein, dass alle Versprechungen nichts wert sind.

Es wäre also, ob man nicht mehr vorher sagen könnte, ob es so einen Aufgang und Untergang

geben würde.

Das wäre wirklich die Höhle.

Sie sagen ja, Voraussage, Berechenbarkeit, Stabilität, das ist etwas sehr Wichtiges,

was Regeln uns geben.

Und Sie haben als Wissenschaftshistorikerin, die Sie sind, ein Leben lang darüber geforscht,

insbesondere, wie wissenschaftliche Regeln Voraussagbarkeit, Regelmäßigkeit, Stabilität,

Stabilität gewährleisten.

Sie haben angefangen, über Wahrscheinlichkeitstheorie zu forschen und die Geschichte der Wahrscheinlichkeitstheorie,

die haben später über Anomalien und Monster geforscht und wie die Wissenschaft damit umgeht.

Und Sie haben als Wissenschaftshistorikerin auch das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte

geleitet sind.

Vielfach ausgezeichnet in Preisen für ihre Forschungen, kann man sagen, dass wissenschaftliche

Regeln und damit auch Naturgesetze mit die wichtigsten Regeln sind, nach denen der Mensch

sucht.

Die sind natürlich die starsten Regeln, die wir kennen.

Deswegen habe ich als Beispiel zu Ihrer Anfangsfrage Gravitationsgesetz gegeben, weil das eigentlich

halb ein Witz ist, aber die sind längst nicht die einzigen.

Und es ist ganz interessant, dass die Natur Gesetze heißen.

Wer gibt diese Gesetze im 17. Jahrhundert?

Als man angefangen hat, von Naturgesetzen zu reden, war das klar, das war Gott, Deus-Legislator.

Gott gibt der Natur Ihre Gesetze?

Genau, richtig.

Und mindestens im Prinzip könnte er jede Zeit diese Gesetze ändern, das heißt ein Wunderveranstalten.

Aber diese Terminus hat diese Nebenbedeutung von übelnaturlichen Legislationen längst

verloren.

Aber die heißen immer noch Gesetze, was komisch ist, weil wir wissen allzu gut, dass unsere

Gesetze immer Ausnahmen haben.

Es ist allzu möglich, diese Gesetze zu verletzen, aber die heißen immer noch Naturgesetze.

Aber darf ich mal fragen, man kann ja Naturgesetze gerade so verstehen, und so werden Sie auch

verstanden oft, dass das die Gesetze sind, die kein Mensch willendlich brechen kann?

Richtig, das kann man so verstehen und dann würde man fragen, warum dann diese Metaphorik

Gesetze, warum nicht Naturregelmäßigkeiten, Naturregeln vielleicht, aber das ist immer

noch sehr anthropozentrisch, anthropomorphisch.

Ich frage Sie, warum haben wir diesen Terminus ausgewählt, um solche übermenschliche Regelmäßigkeiten

zu beschreiben?

Es gibt ja eine begriffliche Differenz, das ist vielleicht verwandt mit diesem Gedanken,

zwischen Regeln entdecken und Regeln erfinden.

Generell sagt man, wir entdecken Naturgesetze und wir erfinden Verkehrsregeln, dass man

zum Beispiel nicht rechts fahren soll oder bei einem Vorfahrtsstedt halten soll.

Die Regeln könnten anders sein, aber bei Naturgesetzen haben wir doch nicht das Gefühl, dass

wir da selbst etwas konstruieren, sondern dass da etwas vorliegt, was wir entdecken.

Richtig, oder wenn irgendjemand diese Gesetze enden könnte, das wäre nicht ein Mensch,

sondern Gott.

Richtig, ja.

Die sind uns gegeben und vielleicht ist das auch Teil der Metaphor, die Idee Gesetze,

wir machen die Gesetze nicht, wir Bürgerinnen und Bürger, die werden uns auferlebt.

Und da gibt es also eine Analogie zwischen oder eine Parallele zwischen dem Gedanken,

dass Gott der Natur die Gesetze gibt und dass die Staatschefs oder diejenigen, die über

die Gesetze verfügen, den Menschen die Gesetze geben.

Und das sind die beiden Formen, über die wir als Gesetze nachdenken.

Ja, es ist kein Stufa, dass diese Metaphor Naturgesetz ist im 17. Jahrhundert, das heißt

das Seidhalter des Absolutismus entstanden.

Ja.

Und diese Parallele, die Sie gerade gezogen haben zwischen Staats-Obeführer und Gott,

das war explizit in der Formulierung.

Also der absolute Herrscher, Ludwig IV, gibt dem Staat die Gesetze, wie Gott der Natur

die Gesetze gibt.

Genau.

Es gibt den berühmten Briefwechsel zwischen Leibniz und ein Englender Namen Samuel Clark,

es ist klar, dass Samuel Clark tatsächlich hier für Nudensprach, Leibniz sagte, Gott

macht die Naturgesetze und er endet die nicht, er ist der Allerbeste Herrscher, er weiß ihn

voraus mit seiner Weisheit, seiner unendlichen Weisheit, alles was passieren wird und die

Naturgesetze werden entsprechend formuliert.

Und Clark als Befürworter von Newton erwidert Nein, jemand der seine eigene Gesetze nicht

enden kann, ist kein Herrscher.

Ist ganz auch nicht ein Mächtig, nicht wahr?

Richtig, genau, richtig.

Daxin, gibt es schon viele Paradoxien und was ja so interessant ist, wenn man ihr wundervolles

Buch liest, ist, dass man auf einmal Parallelen sieht und Analogien, die man sonst nicht gesehen

hat, allein schon diese Idee, dass der Herrscher die Gesetze gibt, wie Gott die Naturgesetze,

da kann man viel, viel drüber nachdenken und wenn wir über Berechenbarkeit und Voraussagbarkeit

nachdenken, dann ist es ja so, dass das Buch selbst, wie sie schreiben in einer Phase,

entstanden ist, in der auf einmal alle Regeln nicht mehr galten, nicht mehr so galten,

wie wir sie gekannt haben, nämlich in der Corona-Zeit.

Das war eine seltsame Zeit, auf einmal waren Notwendigkeiten, nach denen wir unser Leben

ausgerichtet hatten, die waren auf einmal nicht mehr da.

Man musste nicht mehr ins Büro gehen, man konnte auf einmal dies und das tun und auch dies

und das nicht mehr tun.

War das für Sie so ein Erweckungserlebnis, wo Sie gedacht haben, wow, in so einem Ausnahmezustand,

da muss man über Regeln nachdenken?

Ja, das war der Fall.

Ich habe das Buch vorher angefangen, aber das wirklich habe ich entdeckt, die Tugend der

Lamsankeit.

Es hat so lange gedauert, bis ich das Buch fertig schriege, dass schon, es war mittendrin

in der Pandemie, war ich noch nicht fertig und dann musste ich wirklich die ganze Narrativ

des Buches ändern.

Aufgrund der Erfahrung?

Genau, weil es mir klar geworden ist, dass meine allzu bekannte Narrativ von vor- und

bis zu-moderne, von eher flexiblen Regeln bis zum starken Regeln, das ist alles nicht

stimmt.

Es gibt keine Notwendigkeit von dieser Entwicklung.

Von heute auf morgen könnte sich alles ändern wegen einer Revolution, wegen einer Pandemie

und dann plötzlich sind wir in einer Situation, wo alle Regeln neu gemacht werden müssen.

Darf ich mal die Wissenschaftshistorikerin fragen, würden Sie denn auch sagen, es besteht

keine Notwendigkeit, dass die Sondermorgen wieder aufgeht?

Ich würde sagen, es gibt eine Notwendigkeit, aber das kann man nicht nur von der Wahrscheinlichkeit

zur Rechnung behaupten.

Der berühmte Mathematiker Pia Simona Plas hat am Anfang des 19.

Jahrhunderts versucht die Wahrscheinlichkeit, dass Adam und Eve einmal einen Sonnenaufgang

gesehen haben.

Was wäre die Wahrscheinlichkeit, wenn man nichts anderes wusste, dass es morgens stattfinden

würde und er hat, das ist eine nicht besonders tragfähige Rechnung, er hat zu dem Ergebnis

zwei Drittel gekommen.

Mindestens selbst ohne jedes wissenschaftliches Wissen von Gravitationskraft und Himmelsmechanik

könnte man mit Laplace sagen, mit Sicherheit nicht, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Sie sehen, das ist existenziell so verunsichert, wenn man sich erst mal klar macht, wo die

Regeln herkommen, dann beginnt man irgendwann in einen Abgrund zu schauen und zu sehen,

das sind aber nur Regeln, das sind nur Regelmäßigkeiten, die könnten auch anders sein.

Und zum Beispiel in dieser Corona-Zeit war ja eine Erfahrung, dass die Leute einerseits

neue Freiheitsspielräume gefunden haben, gesehen haben, dass sie ihr Leben anders gestalten

konnten und andererseits eine geradezu Regelfixierung herstellen, man wollte Regeln haben, an die

man sich halten kann, damit man nicht so verunsichert ist.

Anders gefragt, es gibt da offenbar eine Ambivalenz in unserem Leben, dass wir Unsicherheit und

Freiräume brauchen und andererseits nichts Dringlicher ersehen, als die Sicherheit die Regeln geben.

Ja, es war ein erstaunliches natürlich Experiment dieser Zeit, weil wir alle unter Regelschwindel

gelitten haben, weil, wie Sie sagten, also die Regeln waren nicht nur nötig, weil wir alle Regeln brauchen,

die waren lebenswichtig.

Überlebenswichtig, ja.

Genau, richtig, genau.

Und deswegen war es wichtig zu wissen, welche Regeln sind wichtig, welche nicht, warum ändern sich

die Regeln jede Woche, je nachdem, was das neueste wissenschaftliche Ergebnis ist und so weiter.

Eine ganz eigenartige Zeit.

Aber die Tatsache, dass Regeln Konventionen sind, heißt nicht, dass sie keinen Halt haben.

Ich denke an die Autografie, das heißt, wie wir zum Beispiel, die Rechtschreibung,

ja, wenn man alt genug ist, würden man sich vielleicht daran erinnern, diese Bruchacher in Deutschland,

ich glaube, das war ungefähr in den, ungefähr 95 war das, als man vorgeschlagen hat,

kitzekleine Änderungen zu machen, zu Gunsten von Schulkindern, die schreibweisen Meisten mussten.

Es gab eine solche Aufruhr, man glaubte es nicht, 500 Universitätsprofessoren haben

einen Prozess vor dem Verfassungsgericht geraten.

Die Welt geht unter.

Die Welt geht unter, Untergang des Abenländes und es ist nicht nur die Deutschen, ich möchte das unterstreichen.

Es war auch die Franzosen.

Die Akademie Francaise ist seit 1635 dafür verantwortlich, Rechtschreibung in der französischen Sprache zu bestimmen.

Die haben vorgeschlagen, ein pH mit F zu ersetzen.

Neofahr, das ist ein Wasserliniengabich, heißt das auch.

Eine winzige Änderung.

Und dann gab es sogenannte Gerdinnenfahr, Krieg des Wasserlinien.

Und letztendlich musste die Akademie Francaise zurücktreten und sagen, okay, okay, ihr dürft eure pH behalten.

Frau Dessen, Rechtschreibung ist eines, da kann man noch sagen, da streitet man über dies und das.

Wir leben ja gerade in einer Zeit, in der Sprachregelungen auch neu gefordert, genahmt, vielleicht auch erfunden werden.

Und man hat das Gefühl, da gibt es extreme Allergien.

Würden Sie denn sagen, es hat etwas mit unserem Regelbewusstsein zu tun, dass die Leute sagen, ich habe mich jetzt an diese Regel gewöhnt.

Und die neue Regel, die entspricht mir nicht, die passt mir nicht, die will ich nicht.

Zum Beispiel, wenn man jetzt nicht mehr sagt, Wissenschaftler, sondern Wissenschaftlerinnen, nicht wahr?

Das ist ja das Aussprache.

Da muss man noch eine Pause machen und auf einmal gibt es da eine neue Sprachregel, die unheimliche Allergien auslöst.

Wie schätzen Sie das ein?

Es ist ganz interessant als Phänomen.

Ich glaube, ich kann das nicht ganz erklären, weil natürlich müssen wir uns ständig an neue Regeln gewöhnen.

Ich hasse es, ein neues World-Programm zu lernen, aber ich mache es.

Und zwar mit Seufzeln, aber nicht mit Empörung, aber hier gibt es wirklich Empörung.

Und das war auch der Fall mit dieser Rechtschreibungsreform in den 90er-Jahren in Deutschland, auch in Frankreich.

Und die Frage ist, warum ist unsere Empörungsschwelle so niedrig, wenn es um eigentlich, um eine kleine Änderung geht?

Und ich glaube, das hat mit der Tatsache zu tun, wir lernen diese Regeln, wie man spricht, wenn wir Kleinkinder sind.

Die sind vielleicht die allerersten Regeln, die wir beherrschen müssen.

Und vielleicht sitzt das so tief, obwohl wir wissen, die sind keine Konventionen.

Also ich aus Ausländern kann sagen, man muss nicht Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sagen.

Man könnte das schon abschaffen, aber dass wir nicht in meiner Lebenszeit stattfinden.

Ja, das ist wahnsinnig interessant, weil man könnte einerseits sagen, Regeln machen bequem und es ist unbequem, die Regeln neu zu lernen.

Aber Sie haben auch etwas anderes angedacht.

Wie gesagt, die Sprache und die Sprachregeln, die sind so tief in unserer Subjektivität verankert, dass jede Änderung als ein Angriff auf die Person selbst gedeutet wird.

Ja, und sogar, jetzt gab es wirklich ein, ich sage zwar ein Brief, vielleicht an die vornfügigte allgemeine Zeitung, während diese Zeit von Rechtschreibungsreform als die Kontroverse noch heiß war.

Das gibt es in Deutschland, gibt es aber in der Schweiz natürlich auch ähnliche Probleme.

Richtig, ja, überall, wo man versucht, die Sprache zu rationalisieren oder zu modernisieren.

Und derjenige, der diesen Brief verfasst hat, sagte, ich verliere mein Heimatsgefühl, wenn wir die Sprache ändern.

Das ist mit meinem Gefühl verankert, in diese Welt zu sein.

Das klingt ein bisschen pathetisch und ist sicher eine Übertreibung.

Aber es steckt etwas darin, glaube ich.

Es ist dann eigentlich so, dass Politiker oder Politikerinnen, wenn es solche Sondersituationen gibt, wie zum Beispiel Corona oder bei Rechtschreibungssachen, die ja sehr stark mit Regeln verbunden sind, wenden die sich manchmal als Wissenschaftlerin, als Regelexpertin und Regelhistorikerin und sagen,

wie schätzen Sie denn das ein? Was sollen wir denn jetzt tun?

Gott sei Dank, nie, nie, das passiert nicht, wie schade.

Ein anderer Aspekt, auf dem man gestoßen wird, wenn man ihr Buch liest und wenn man über Regeln damit nachdenkt, ist ja, dass es zum Beispiel auf dem Büchermarkt eine ganze ozeanische Inflation von Ratgebern gibt.

Die geben einem Regeln, wie man abnehmen soll, wie man einen Six-Pack hat, wann man seinen Kind schlafen geben soll.

Regeln, wie man sich ernähren soll, wie man reich wird, wie man Krypto-Geld anlegt.

Überall Ratgeber und all diese Ratgeber, viele davon, treten mit dem Anspruch auf, das Patentrezept jetzt endlich gefunden zu haben.

Jetzt müssen wir gespielt.

Und was jeder weiß, das stimmt nicht. Die Lage ist komplizierter.

Aber die Hoffnung stirbt nicht.

Ist denn das wirklich eine schöne Hoffnung, dass man die Regel gefunden hat, die einem für ein für alle Mal sagt, wie es zu tun sei?

Ja, vielleicht ist das, wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, nicht so schön.

Aber wenn man ein schreiendes Kind hat und das Kind geht nicht ins Bett, man hat seit Tagen nicht geschlafen, kann man schon nachvollziehen.

Alles, was Linderung bringt.

Genau.

Aber es ist ja schon interessant, dass das moderne Individuum, das will so emanzipiert, das will so selbstbestimmt, das will so autonom sein.

Und dann hat man das Gefühl, es schreit öffentlich, gebt mir Regeln, an die ich mich halten kann.

Ich will endlich wissen, wie man es richtig macht.

Von Kochregeln bis zu Ernährungsregeln bis zu Sportregeln.

Ich finde das wirklich verwirrend.

Und das war auch etwas, was mir ihr Buch so zu denken gegeben hat.

Ist doch irgendwie, wenn man ein innerer Widerspruch unserer Existenz, der da besteht.

Richtig.

Wir müssen mit Regeln leben, aber wir mögen es nicht.

Aber wenn man sich diese Gedankenexperiment macht, womit wir angefangen haben, wie wäre mein Leben ganz ohne Regeln, wenn man erschreckt.

Unvorstellbar schlimm.

Und die Frage ist, welche Regeln mögen wir nicht?

Wir mögen die Regeln, die uns sagen, dass wir machen müssen, was uns nicht lieb ist.

Aber sobald das irgendjemand anders das macht, sagen wir, Regeln bitte, das muss geregelt werden.

Also ist die Regel auch so ein bisschen so etwas neidisches, wo man sagt, der hält sich nicht dran, dann muss ich mich auch nicht dran halten.

Genau, genau.

Denkt man an, zum Beispiel, Schlangeverhalten beim Postamt, zum Beispiel.

Das nähert sich an eine Regel, die fast von selbst durchsetzt, weil die anderen so neidisch sind,

dass wenn man es versucht, nach vorne zu trinken, wird man sofort korrigiert die älteren Damen zuerst sagen, Entschuldigung, es gibt hier eine Schlange.

Ja, aber wissen Sie da, aus meiner Lebenserfahrung, es macht einen Unterschied, ob man sich in der Schweiz, in Finnland oder in Andalusien anstellt.

Da gibt es doch ganz höhere Flexibilitäten in der Art und Weise, wie Sie Schlangenstrukturieren.

Und können Sie das beschreiben?

Ich würde sagen, in meiner Erfahrung nach gibt es in südlichen Kulturen, in romanischen Kulturen, würde ich sagen,

einen höheren Spielraum, wie man mit der Starheit der Schlange umgeht.

Es gibt noch völlige Regeln im Süden.

Genau.

Wo das Leben noch nicht so vorherseinbar sein muss.

Es ist ein bisschen offener.

Und ein bisschen spielerisch.

Ich bin offen für Überraschungen.

Sie sagen jetzt etwas, und das ist eine ganz wunderbare Unterscheidung.

Sie unterscheiden verschiedene Arten von Regeln.

Und eine wichtige Unterscheidung, die wichtigste in Ihrem Buch, denke ich, ist die zwischen Schlanken und völligen Regeln.

Was hat es denn mit dieser Unterscheidung auf sich?

Ich glaube, es ist ein bisschen offener.

Es ist ein bisschen offener.

Es ist ein bisschen offener.

Es ist ein bisschen offener.

Vielleicht ist das auf Deutsch nicht so klar.

Man muss sich vielleicht den Michelin-Mahn vorstellen.

Er ist gut gepolstert.

Der Michelin-Mahn ist dieses Maskottchen von der reifen Firma.

Richtig.

Eine völlige Regel ist gut gepolstet,

weil es alle möglichen Shocks überleben muss.

Alle möglichen unerwartete Umstände,

die man im Voraus nicht vorhersehen hätten können.

Was ist denn ein Beispiel für eine solche völlige robuste Regel?

Ein Paradebeispiel.

Ein Paradebeispiel.

Im Buch habe ich über die Benediktinerklosteren geschrieben.

Dort gibt es, es ist berühmt,

eine Regel.

Die Idee besteht aus 73 Prozepte.

Auf dem ersten Blick

sehen die aus wie wirklich starre Prägel.

Die Regeln des Klosterleben.

Richtig.

Wann soll man aufstehen?

Was soll man tun?

Zu welche Stunde soll man das tun?

Was darf man essen?

Wie viel darf man essen?

Zu welcher Jahreszeit macht man dieses?

Jede Detail wird geregelt.

In diesen 73 Prozepten.

Aber in dem nächsten Satz

gibt es immer eine Ausnahme.

Außerdem, dass der Art meint,

dass unter Umstände es anders gehen sollte.

Man soll beim Essen schweigen.

Das ist wirklich wichtig.

Es gibt nur eine Stimme zu hören.

Ein Mann liest vor.

Außerdem, der Art meint,

dass ein Gast,

ein Konversationspartner braucht.

Dann gibt es eine Ausnahme.

Das ist ein Samusorium.

Von Regeln,

mit vorgesehenen Beispielen und Ausnahmen.

Nicht,

dass man alle möglichen Ausnahmen

im Voraus hätte sehen können.

Sondern, um die Idee zu vermitteln,

dass es Ausnahmen geben wird.

Man muss flexibel bleiben.

Diese fülligen Regeln sind an sich spezifisch.

Aber sie haben einen Offenheitsspielraum.

Den machen sie auch explizit.

Dann gibt es diese nicht so fülligen Regeln.

Die haben genau das nicht.

Diese Regeln erwarten keine Überraschung.

Die sind Regeln,

die gemacht werden für eine Welt,

die stabil,

und gleichförmig ist.

Die sind Regeln für standardisierte

Gewichte.

Die sind Regeln von Verkehrsregelungen,

die sogar beachtet werden.

Die sind Regeln,

die ganz schlank sein können,

weil man keine Ausnahmen erwartet.

Die sind Regeln, die ganz schlank sein können,

die man nicht erwartet.

Die Art und Weise, wie man mit Ausnahmen und Regeln umgeht,

die ist irgendwo wichtiger.

Man könnte sagen, logische Regeln oder mathematische Regeln.

Das sind schlanker Regeln.

Da erwartet man nicht so gerne Ausnahmen.

Frau Dessenweise über Mathematik,

die Geschichte der Mathematik,

und der Wahrscheinlichkeitstheorie,

die in dieser Reihe ausgedacht wird.

Ich zeige Sie kurz mal.

0, 2, 4, 6.

Vielleicht kennen Sie das auch aus diesem IQ-Test.

Jetzt ist die Frage,

wie lauten die nächsten beiden Zahlen dieser Reihe?

Ich gebe Ihnen das mal.

Ich habe mir gedacht, dass da eine Regel dahinter steht.

Ich würde Sie bitten, auszuführen,

und Sie geben die Antwort, die Ihnen gemäß erscheint.

8, 10.

Also 0, 2, 4, 6, 8, 10.

Das ist die Additionsregel.

Da wird immer plus 2 addiert.

Ich habe mir was anderes dabei gedacht.

0, 2, 4, 6, 0, 2.

Ich dachte, das ist die Regel,

dass es nach 4 Ziffern wieder von vorne losgeht.

Und das wäre auch eine Regel,

die in dieser Beispielreihe angelegt wird.

Das ist ja ein bisschen komisch,

dass man von einer Anzahl von Beispielen heraus

ganz viele verschiedene Regeln ableiten kann.

Unendlich viel, auch in der Mathematik.

Wie lernen wir dann überhaupt Regeln?

Weil wir lernen doch Regeln nur durch Beispiele.

Das war ein Rätsel von Wittgenstein.

Wir haben sogar ein Bild angeblendet,

der sich sehr viel über Regel und Regelfolgen Gedanken gemacht hat.

Er hat gesagt, eine Regel kann nicht durch Beispiele

festgelegt werden und wir können sie auch nicht so lernen.

Nur mit Erwartungen können wir

konvergieren auf eine Antwort.

Er meinte, es gäbe nie

wirklich eine mechanische Regel.

Eine Regel, die so schlank ist,

bei diesem Terminus zu bleiben,

wo man mit Sicherheit erwarten könnte,

dass die Maschine diese Reihe

so fortsetzt,

dass wir das erwartet haben.

Es wird immer diese Freiheitsgraden geben.

Und deswegen ist Regelfolgen

immer eine Sache der Deutung,

der Erwartungen, wie er sagte,

von Gebräuchten und Institutionen.

Aber es ist doch ein bisschen seltsam,

denn wenn ich einen Taschenrechner hätte,

der meiner Regel folgt, den würde ich sofort wegschmeißen.

Der würde nicht das leisten, was er leisten sollte.

Es gibt anders gesagt, mittlerweile Maschinen,

die sehr schlanke Regeln, z.B. die logischen Regeln,

die Aditionsregeln, völlig starre ausführen

und wir sind geradezu verliebt in diesen Maschinen.

Was ist das für ein Spiel von Intelligenz an sich?

Die Frage ist,

wie sind wir dazu gekommen,

solche Leistungen als Intelligenz zu bezeichnen?

Es war ganz anders vor ungefähr 100 Jahren,

als man zuerst angefangen hat,

wirklich mit Maschinen zu rechnen.

Die waren keinen Taschenrechner,

die wir jetzt kennen.

Es waren große Geräte,

Tische, ähnliche Geräte,

mit Zahnrädern und Hebel und so weiter.

Richtig noch maschinell alles, so mechanisch.

Richtig mechanisch, viel Lärm.

Als man angefangen damit zu rechnen,

war plötzlich rechnen,

keine Intellectual Leistung mehr,

weil Maschinen das angeblich durchführen könnten.

Diejenigen, die Maschinen bedienen mussten,

hauptsächlich Frauen in dieser Zeit.

Wir haben da übrigens auch ein Bild eingeblendet

von einem NASA-Rechenzentrum,

in dem Frauen an Rechenmaschinen arbeiten.

Da arbeiten Menschen und Maschinen noch Hand in Hand.

Und die Frauen helfen den Maschinen beim Rechnen,

aber sie können es auch schon ein bisschen selber.

Richtig, und das ist sehr wichtig.

In 1999 gab es einen Umfall

mit einem Mars Rover von NASA.

Es gab ein Crash,

also wirklich eine Panne.

Und der Grund dafür war,

dass man zweierlei Massanheiten,

die englischen und die metrischen...

Also die Pounce und die Kilos.

Genau, richtig.

Das heißt, diejenigen, die die Computer

von diesem Mars Rover programmieren hätten müssen,

haben nicht daran gedacht, was sie eingetippt haben.

So ohne dieses Mitdenken

gibt es eine 125 Millionen Dollar Panne.

Weil niemand da war,

und der Computer da selbst natürlich nicht überrissen hat.

Woher soll der das wissen?

Aber sie sagten noch etwas.

Das war gerade das Gegenteil von Intelligenz.

Das war ein ganz stures, starres Regelfolgen.

Und das ist eher etwas, was wir mit Dummheit verbinden

und nicht mit Klugheit.

In ihrem Buch erzählen Sie auch die Geschichte der Algorithmen,

die für die künstliche Intelligenz, wie wir es heute nennen,

so wahnsinnig wichtig sind.

Und da sagen Sie zum ersten, es ist ein relativ junges Erfindung,

dass es den Algorithmen gibt.

Und es war überhaupt kein Stern unter dem Intelligenz lief,

sondern das war ein Stern, der ganz mechanisch dumm und dröge war.

Ist doch interessant, dass das, was wir heute als Künstliche Intelligenz nennen,

auf etwas beruht, was kulturell die reine Dummheit war.

Richtig. Die Algorithmen haben eine sehr lange Geschichte.

Und die waren fast immer mit Rechen verbunden.

Zum Beispiel die ganz einfache arithmetische Operationen,

Additionssuproktionen.

So wie diese Regel hier. Genau.

Das war seit Jahrtausende der Fall.

Was sich geändert hat in dem Jahrhundert,

war genau diese hybride Situation von Maschinen und Menschen,

die zusammen gerechnet haben.

Und man sah, sobald das möglich war,

es gab natürlich Rechenmaschinen vorher, Leibniz, Pascal,

haben Prototypen entwickelt.

Aber das Problem damit war, dass die nicht sehr zuverlässig waren.

Man musste alle Ergebnisse per Hand kontrollieren.

Dann braucht man sie gar nicht machen lassen.

Das ist der Sinn der Sache.

Aber ungefähr 1870 war es möglich,

mehr oder weniger zuverlässig mit solchen Geräten zu rechnen.

Und dann plötzlich war es keine mathematische Begabung mehr.

So zum Beispiel der große Mathematiker Gauss war beruhmt,

als Kind, als Wunderkind.

Weil er mit drei Jahren erstaunlich gute Rechnen konnte.

Er konnte wirklich erstaunliche, lange Summen im Kopf rechnen.

Das war nicht mehr ein Zeichen von mathematische Begabung.

Ganz im Gegenteil.

Ab etwa der Jahrhundert, wenn der 1900 so.

Genau, richtig.

Ganz im Gegenteil.

Man wurde als ein Idiotservon bezeichnet danach.

Ein Freak, kann man sagen.

Und sogar das war keine mathematische Leistung,

sondern etwas für das Theater.

Und ein vulgares Theater.

Zirkus, so was.

Varietä.

Genau, Varietä, genau.

Und das war die Situation,

bis ungefähr den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts.

Und dann plötzlich fängt die Idee,

Kunstlichintelligenz ist nicht nur Intelligenz,

sondern auch Mächtige als menschliche Intelligenz,

diese Idee zu entwickeln.

Das ist vor 50 Jahren erst passiert.

Ja, genau.

Und ich glaube, das hat wirklich damit zu tun,

dass zum ersten Mal waren die Rechnungsschritten

des Algorithmus undurchsichtig.

Ein Grund, warum wir über Urteilskraft ständig streiten,

ist, dass die Schritten undurchsichtig sind.

Es kann sein, dass ich ihre Urteilskraft vertraue,

ohne zu wissen, wie sie tatsächlich ihr Ergebnis erreichen.

Welcher Regel ich folge?

Genau.

Und das macht es,

und das ist natürlich ein Zentralbegriff

des politischen Wortschatzes unserer Zeit.

Das macht es untransparent.

Und deswegen verdächtig.

Und unheimlich.

Und unheimlich, aber auch irgendwie magisch.

Und ich glaube, sobald die Computer so schnell und kompliziert

geworden sind, dass sie auch undurchsichtig für uns

mindestens geworden sind,

dann hatte die Idee von Kunstlichintelligenz

mehr Pausibilität gewonnen.

Das ist nur eine Spekulation.

Was ist eine sehr interessante?

Ich habe zum Beispiel dieses Computerprogramm AlphaGo,

ein sehr bekannter Fall,

wo dann die Schöpfer dieses Programms bekannten,

dass sie ab einem gewissen Punkt nicht mehr sagen können,

was das Programm eigentlich macht

und weshalb das Programm tut, was es tut.

Und da hat dann jeder gedacht, oh, da ist etwas passiert.

Da ist was Interessantes passiert.

Man hat das sogar so formuliert,

das kann auf einmal selber denken.

Richtig.

Das war genau der Übergangspunkt.

Man sieht, es gibt zwei Schulen der künstliche Intelligenz,

die klassische Schule, und das ist eigentlich Logik.

Wir brauchen ganz schlanke Regel,

Axiomata und so weiter,

genau wie Euclide sozusagen,

um ein Programm aufzubauen.

Und die andere Schule ist Machine Learning,

und das ist AlphaGo.

Wir wissen nicht, wie der Computer das macht,

hauptsächlich macht er es

und macht er es richtig.

Und das ist eine ganz andere Art von Intelligenz

als unsere Intelligenz.

Das wissen wir mindestens.

Ist es denn eine Form von Intelligenz, würden Sie sagen,

oder ist es einfach eine spezifisch intransparente Form

von Regelfolgen?

Erletztere und erkläre warum.

Denken wir darüber nach,

wie Kinder eine bestimmte Leistung lernen,

ein Elefant zu erkennen.

Wenn man ein zwei- oder dreigjähriges Kind

einige Bilder von Elefanten gibt,

fünf reichst völlig,

dann hat das Kind den Begriff Elefant.

Egal, ob das Kind jetzt ein Elefant im Sausit

oder im Barbar,

ganz in Anzug gekleidet und so weiter,

das Kind hat den Begriff.

Es dauert hunderttausende von Beispielen

bis ein Machine-Learning-Programm

den Begriff Elefant begriffen hat.

Oder begriffen ist vielleicht ein Anführungszeichen,

wo es zuverlässig Elefanten identifizieren kann.

Es ist diese Beleistung, kann man sagen,

aber offensichtlich sind die Methoden völlig anders.

Es gibt in Ihrem Buch einen Satz,

der mir als der Unheimlichste

Satz dieses Buches erschien,

der ist so ganz nebenbei gesagt,

heute sind wir alle untertanen der Algorithmen,

steht in diesem Buch.

Und das zeigt ja, dass wenn wir über Regeln nachdenken,

wir über Macht nachdenken, über Bestimmen,

hört man ja schon im Englischen,

to rule heißt zu bestimmen und das ist die Regel.

Und ich habe das so gelesen,

dass Sie glauben, dass unsere gesamte Lebenswelt derzeit

sich auf Algorithmen umstellt

und auf sehr schlanke, starre Regeln,

die dem Menschen eigentlich gar nicht entsprechen,

weil der Mensch anders denkt.

Oder einfach verschieden denkt.

Also jede von uns, der ein Formular online ausfüllen müsste,

weiß, wie stark diese Regeln sind

und manchmal, wie unsinnig sie sind.

Ja, und wie zum Kopfzerbrechen dumm die Antworten sind,

die man dann erhält oder die Anweisungen.

Richtig, genau.

Das meinte ich mit Unterteilung.

Aber es gibt kein Protest.

Also wie soll man dagegen protestieren?

Wenn man zum Beispiel bei der Kundendienst anruft,

hört man eine sehr höfliche Mensch sagt,

okay, ich tut mir wahnsinnig leid für Sie,

aber die sind die Algorithmen

und ich habe keine Kontrolle.

Ich weiß nicht, wie die funktionieren.

Aber sehen Sie, es ist doch noch etwas anderes im Spiel.

Es wird ja nicht nur behauptet,

dass diese Algorithmen als künstliche Intelligenz

spezifische Leistungen erbringen.

Es wird sogar behauptet,

dass sei das eigentliche Grundgesetz

des menschlichen Denkens selbst.

Die Idee ist, dass wir alle eigentlich Algorithmen denken

und nur Algorithmen denken

und dass wir eigentlich dann nur

nicht so besonders leistungskräftige Computer sind

und wir haben eben jetzt Neuere,

die das besser können, die alles besser können,

was wir können.

Ich zweifel nicht daran,

dass es manche Tätigkeiten gibt,

wo die Computer tatsächlich viel besser sind.

Und Rechen ist eine lange komplizierte Rechnung.

Wenn die gut programmiert sind

mit den richtigen Einheiten,

keine Frage

und mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit.

Aber anderen Elefanten erkennen,

wir sind viel besser auch.

Das heißt, unsere Gehirne sind für andere Aufgaben

gebaut sozusagen von der Evolution

und offensichtlich mit unterschiedlichen Methoden.

Und die Frage ist, warum versuchen wir

oder warum versuchen die IT-Leute

Programme zu entwickeln,

um menschliche Fähigkeiten zu duplizieren,

statt eine Arbeitsteilung einzuführen.

Hier ist der Mensch überwiegend, so soll er bleiben.

Hier ist der Computer überwiegend wunderbar.

Wir müssen nicht mehr lange Summen in Kopf rechnen.

Aber das passiert eigentlich nicht.

Als Grund, in die wahrscheinlich weniger

mit künstlicher Intelligenz zu tun haben,

als mit Kapitalismus.

Das ist also eine ganz andere Logik,

der die Sache folgt.

Wir hatten vor nicht allzu langer Zeit

den Philosophen Markus Gabriel im Gespräch.

Da ging es um eine seltsame Sehnsucht,

die er die Sehnsucht nach Unmündigkeit nannte,

die sehr viel mit Regeln zu tun hat.

Wir hören uns mal kurz an, was er dazu gesagt hat.

Menschen wollen sich mit einem Ding

in der Wirklichkeit identifizieren.

Das ist die alte Idee, die der Philosoph Stanley Kavell

folgendermaßen wunderbar auf den Punkt gebracht hat.

Ein amerikanischer Philosoph, der jüngst verstorben ist,

muss man sagen.

Stanley Kavell bringt das so auf den Punkt.

Nichts ist menschlicher als der Wunsch, kein Mensch zu sein.

Das heißt, wir suchen immer nach irgendetwas,

mit dem wir uns identifizieren können,

dass nicht wir selbst sind.

Könnte man diesen Satz variieren und sagen,

nichts ist menschlicher,

als das Bedürfnis einer Regel blind folgen zu können?

Alles hängt davon ab, was man mit blind meint.

Ich bin gespannt.

Nicht umsonst hat Kant geschrieben

selbstverschuldete Unmündigkeit.

Wir sind schuld daran.

Es ist nicht das System.

Das ist der berühmte Satz, der Aufklärung.

Was ist Aufklärung?

Der Ausgang des Menschen aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Genau.

Deswegen steckt es wirklich ein Stück Wahrheit,

in was Herr Gabriel behauptet.

Die Menschen sind auch diejenigen,

die die Regeln für sich selber machen wollen.

Und spätestens,

wenn jemand anderes die Regeln für uns macht,

spüren wir das.

Zum Beispiel.

Wer von uns will wirklich wieder 14 sein?

14 ist ein Alter,

wo man klug genug ist,

hat genug Erfahrung,

selber zu sehen, was geht, was nicht geht,

was nicht interessant ist, was nicht interessant ist.

Aber man ist immer noch

in einer Phase der Unmündigkeit.

Noch nicht ganz mündig?

Ja, genau.

Das ist vielleicht der unbequemste Alter

im menschlichen Leben.

Ich würde gerne wissen,

wer wieder 14 sein wird.

Ich wäre manchmal gerne 14,

weil man die Welt dann ganz neu zu sehen bekommt.

Es ist so, als ob man die Welt noch mal neu entdeckt.

Dinge sind wundersam, die es davor nicht waren,

und die es danach auch nicht mehr sein werden.

Warum nicht 4 oder 5?

Noch wundersamer?

Kann ich mich jetzt nicht daran erinnern an Sie?

Was ich sagen will, ist diese Pubertät,

die für die Eltern so schwierig ist,

weil alle Regeln in Frage gestellt werden,

die ist ja auch deswegen schön, weil man auf einmal merkt,

ich könnte ja ganz anders handeln.

Ich könnte es anders machen.

Meine Eltern sind vielleicht gar nicht die Vorwäder.

Genau, ich könnte die Regeln selber machen.

Und Sie sagen, das ist mindestens so menschlich,

wie den Regeln blind folgen wollen.

Es ist effizient, es spart Energie,

um die Regeln blind zu folgen.

Deswegen brauchen wir Regeln, die wir blind folgen,

zum Beispiel 2-mal im Tag die Zähne zu putzen.

Man denkt darüber nach,

wie ermüdend es sein würde, alles neu zu entscheiden,

jeden Tag.

Das brauchen wir, aber nicht durchgehend.

Aber es gibt ja nun einige Probleme.

Ihr Buch hat sehr viel mit künstlicher Intelligenz zu tun.

Es sieht eine Art Vorgeschichte, kann man sagen.

Der künstliche Intelligenz.

Es gab ja Versprechungen, die sich nicht erfüllt haben.

Zum Beispiel eine dieser großen Versprechungen war

mit den selbstfahrenden Autos,

die es schaffen würden, sämtliche komplexe Umwelt

in einem Regelsystem so zu erfassen,

dass sie da adäquat reagieren können.

Das ist zum Beispiel ein Bereich,

in dem diese starren, engen, schlanken Regeln

immer noch überfordert sind,

weil diese selbstfahrenden Autos dann schön misstmachen.

Richtig, reden Sie mit den Leuten in San Francisco zurzeit.

Neulich hat man vor einigen Wochen

ein Experiment genehmigt,

das ungefähr 400 selbstfahrenden Autos rumfahren dürfen.

Und es gab ein Chaos.

Einen von diesen selbstfahrenden Autos

ist ins Nazi Beton gefahren.

Die gehen unheimlich langsam,

weil sie sehr vorsichtig sein müssen.

Wenn irgendetwas auf dem Dach steht,

dann funktionieren die Sensors nicht mehr.

Und darüber hinaus natürlich

sind die Menschen immer gut für Überraschungen.

Und alle Überraschungen können nicht vorprogrammiert werden.

Und wenn es eine Überraschung gibt aus Vorsichtsgründen,

steht das Auto still und verursacht ein Verkehrskaus.

Das ist parallelisiert, weiß nicht mehr, was es tun soll.

Richtig, genau.

Und alle müssen rumfahren und auch halten.

Das ist nur in San Francisco.

Vorher meinte man, man könnte alle Straßen vorprogrammieren,

alles vorprogrammieren.

Und selbst dieses Experiment

ist dem selbstfahrenden Autos nicht gelungen.

Was denken die Leute eigentlich,

wenn sie mal durch ein italienisches Dorf gefahren sind?

Die Leute, die es nicht mehr kennenlernen müssen,

um da unfallfrei durchzukommen.

Es scheint mir nicht plausibel,

dass man das jemals wird programmieren können.

Ja, von Cairo zum Schwalben zum Beispiel.

Aber es gibt eine seltsame Fähigkeit.

Die spielt in ihrem Denken und in ihrem Buch eine Rolle,

die den Menschen befähigt,

Ausnahmen von der Regel zu integrieren, darüber nachzudenken

und dann eigenständig weiterzumachen.

Und diese Kraft heißt Urteilskraft.

Die Frage ist, warum halten wir das für mysteriös?

Urteilskraft ist absolut zentral für unser Leben.

Wie würden Sie das denn bestimmen?

Im Handel Kant ist der wahrscheinlich der Philosoph,

der die Urteilskraft am wichtigsten etabliert hat.

Der letzte, der wirklich ...

Ja.

Er war der letzte,

der wirklich eine Großabhandlung darüber geschrieben hat.

Und seitdem ist die Urteilskraft verdächtig geworden.

Und ich glaube,

das hat wirklich mit politischen Entwicklungen zu tun,

insbesondere natürlich diese Touren von Transparenz.

Urteilskraft funktioniert, niemand zweifelt daran.

Wir würden keine Minute überleben ohne Urteilskraft.

Aber wir können uns nicht erklären, wie wir das machen.

Oder besser gesagt,

wir können das nicht in Regeln erklären.

Gibt es dafür keinen Algorithmus?

Wer weiß.

Also, wenn man an eine Art von kognitive Wissenschaft glaubt,

dann muss es einen Algorithmus geben.

Wir wissen es noch nicht, aber es muss es geben.

Unser Gehirn ist letztendlich durch Algorithmen so die Theorie.

So ist die Behauptung?

Ja, das ist die Behauptung.

Aber bis jetzt ist es niemandem gelungen,

überzeugendes Modell davon zu entwickeln.

Die Frage ist, warum es uns so wichtig zu wissen,

ob es Algorithmen dafür gibt.

Ist es nicht wichtig, dass wir diese Fähigkeit haben

und dass es in der Leben funktioniert?

Das ist wirklich die Frage,

die, glaube ich, ein Philosophie-Historiker sich stellen muss.

Warum ist die Urteilskraft verdächtig, mysteriös,

irgendwie mit Machtausübung verwechselt?

Ein politisch denkender Mensch würde ja sagen,

wenn ich wissen will, wie jemand wirklich funktioniert

und ich weiß es, dann habe ich Macht über diesen jemand.

Deswegen ist das Begehren zu wissen, wie man tickt

und das algorithmisch fassen zu können,

ist eigentlich ein Machtbegehren über den anderen.

Und das ist wirklich die Schartenseite

von dieser Vorhersagbarkeit,

womit wir angefangen haben.

Natürlich ist es für uns, unser kollektives Leben wichtig,

dass unser Verhalt in einigermaßen vorhersagbar ist.

Aber diese Vorhersagbarkeit kann ein Waffen werden.

Das ist absolut richtig.

Sie haben in Ihrem Leben auch viel über absolute Unregelmäßigkeiten

in der Natur nachgedacht, zum Beispiel über Monster.

Da haben Sie geschrieben und nachgedacht.

Das heißt, in unserem erlebenden Welt kommen immer wieder Dinge vor,

mit denen absolut niemand gerechnet hat,

weder die Naturgesetze noch die Menschen selbst.

Und am Ende Ihrer Überlegung zu diesem Buch

lese ich so etwas wie eine Mahnung.

Und die Mahnung besteht darin,

dass man sich nicht der Illusion hingeben soll,

dass man aufgrund der Regeln, die man jetzt schon hat,

wissen kann, was in Zukunft eintreten wird.

Ja, das ist in der Tat, wenn es eine Lehre gibt.

Ich mache solche Lehren nicht gerne, aber das ist richtig.

Ich denke immer an Aristoteles.

Aristoteles war natürlich ein großer Naturforscher.

Und er hat sich sehr für Regelmäßigkeiten der Natur interessiert.

Aber er hat diese Regelmäßigkeiten anders beschrieben,

als wir die beschreiben würden.

Nicht das Naturgesetze im Sinne von keine Ausnahmen und Universal.

Das heißt, die gelten für hier, jetzt, in diesem Raum

und auch in einem fernen Galaxie.

Aber Aristoteles hat das so von mir gesagt,

was passiert meistens, immer oder meistens?

Er hat immer Spielraum gelassen.

Spielraum für Überraschungen.

Wie Monstern zum Beispiel.

Er hat sich natürlich für eine kausale Erklärung

von solchen Ausnahmen interessiert, zum Beispiel Monstern.

Aber er meinte, es gibt Kombinationen von Ursachen.

Sie so kompliziert sind, so schwierig zu vorhersehen sind,

dass wir immer mit Überraschungen konfrontiert werden.

Ist das zu politisch, wenn man das zum Beispiel

auf die Frage der Klimaentwicklung anwendet?

Ja, das gibt es.

Da gibt es Gesetze, die uns mutmaßlich sehr genau sagen,

was in 15 Jahren der Fall sein wird.

Und dann ist es doch ein bisschen heikelnicht wahr,

als Wissenschafts-Historikerin zu sagen,

rechnet mal damit, dass auch diese Prognosen

vielleicht gar nicht so stimmen,

dass es da eine Offenheit gibt, die wir noch gar nicht absehen können.

Ja, die Frage ist, welche Grate von Offenheit?

Ich glaube, alle Klimaforsche werden sofort zugeben,

dass es sehr viel Unsicherheit in diesen Modellen gibt.

Deswegen gibt es mehrere Modellen.

Deswegen braucht man tatsächlich die allemächtigsten Supercomputers,

weil es so viel Parametern gibt.

Und wenn man, man muss die Parametern einschätzen.

Und wenn es Tausende von Tausenden von Parametern,

natürlich gibt es Unsicherheit dabei.

Niemand würde das bezweifeln.

Die Frage ist, wie viel Unsicherheit und in welchen Zeitraum?

So in fünf Jahren, in zehn Jahren, in 15 Jahren?

Ja, es ist auch eine Frage von Turbulenzen.

Also, wir kennen alle diese El Nino-Effekt,

wo ganz klitzekleine Ursachen,

eine Kaskade, ein Wasserfall von Effekten auslösen können.

Was man auch einen Schmetterlingseffekt nennt.

Irgendwo eine kleine Änderung, das ganze System geht in die andere Richtung.

Ein Vulkan, zum Beispiel.

Ja, richtig, genau.

Und solche Effekte sind in der Wissenschaftlung sehr gut bekannt.

Und deswegen gibt es Unsicherheit.

Aber es wäre kein Grund, jetzt an die kurzfristige Vorhersagen zu zweifeln.

Die sind diejenigen, die am sichesten sind,

weil wir die Parameten am besten einschätzen können.

Und haben Sie sich mal mit diesen Modellen auch beschäftigt,

worauf Sie beruhen und wie Sie sie einschätzen?

Es zweifelt ja niemand, der vernünftig Wissenschaft betreibt,

an der prognostischen Kraft dieser Modelle so weit ich es sehe,

was den Klimawandel angeht.

Gibt es denn aus wissenschaftshistorischer Sicht etwas?

Man könnte ja sagen, die Klimamodelle waren wahrscheinlich die ersten wissenschaftlichen Beobachtungen,

weil das für die Menschen am wichtigsten war,

zu sehen, wie das Wetter in drei Monaten wird.

Und da gab es am Anfang nur Bauernregeln, soweit ich das begreife.

Ja, die Bauernregeln sind ganz interessant,

weil bis ins 19. Jahrhundert waren die Meteologenleide davon überzeugt,

dass die Bauernregeln akkurate waren als die meteorologische Vorhersagen.

Und es ist auch interessant zu sehen, wie es gab einen Art des,

das war der erste Folgenart des im 19. Jahrhundert.

Ein Volksatlas mit lauter Regeln für das Wetter.

Genau, richtig, genau.

Und wenn man den Briefwechsel von den Wissenschaftler damals anschaut,

die haben sehr viel Respekt vor diese Bauernregeln.

Und diese Bauernregeln haben die eigentlich, sagen wir mal,

ein empirisches Fundament.

Haben die eine prognostische Kraft?

Oder sind das wirklich so recht füllige Regeln,

mit denen man besser nicht die Aussaat regelt?

Die sind füllige Regeln, das auf jeden Fall.

Man könnte sagen völkisch.

Also, die sind robust, aber sie muss adjustiert werden.

Dieses Regel adjustieren, das scheint ja etwas zu sein,

was unseren ganzen Alltag die ganze Zeit beherrscht.

Wir sind relativ gut darin, die Regeln helfen uns, sie beschränken uns.

Frau Dessen, als letzte Frage, bevor wir auseinandergehen,

gibt es denn soweit Sie wissen, eine Regel,

die bislang ohne Ausnahme geblieben ist?

Und ich darf nicht zweimal Natur gesetzt werden.

Nein, davon könnten wir das ja auch nicht genau wissen.

Wie wäre es mit einem Mettregel, nämlich es gibt und es gab

und es wird geben, keine menschliche Kultur ohne Regel?

Schauen wir mal, ob das zutrifft.

Ich will es hoffen, ich will es für uns hoffen,

dass wir uns in dem Sinne, wie Sie darüber nachdenken,

sehr viel intensiver und tiefer mit Regeln beschäftigen.

Denn wenn nichts anderes, dann steigert das unsere Mündigkeit.

Und das ist doch sehr, sehr wichtig.

Herzlichen Dank, dass Sie heute da waren, Lorraine Desten.

Eine Freude, danke schön.

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Keiner mag sie. Doch in Wahrheit prägen sie unsere gesamte Existenz: Regeln. Ohne sie gäbe es keine Wissenschaft, keinen Staat, keine Sprache, kein Sport. Gespräch mit der Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston über die Notwendigkeit von Regeln – und die Befreiung, sie immer wieder zu brechen.

Auch wenn sie meist nerven: Regeln sind die wahren Retterinnen unserer Welt. Ohne sie könnten wir weder denken noch sprechen. Weder spielen noch kochen. Gäbe es weder Mathematik noch Kunst. Über das scheinbar allmächtige Netz von Regeln, das der Mensch über die Wirklichkeit wirft, hat Lorraine Daston ein Leben lang nachgedacht. Und als eine der bedeutendsten Wissenschaftshistorikerinnen der Gegenwart nun eine Weltgeschichte der Regeln geschrieben. Ihre Einsichten und Fragen führen direkt ins Herz unserer Gegenwart: Welchen Regeln gehorcht künstliche Intelligenz – welchen gerade nicht? Gibt es für jede Regel eine Ausnahme? Was unterscheidet eine Faustregel von Faustrecht, was Fakten von Fake News? Und ist der Mensch am Ende das einzige uns bekannte Wesen, das Regeln immer wieder selbstbestimmt überschreitet, bricht, gar revolutioniert?
Im Gespräch mit Wolfram Eilenberger legt Daston die Tiefenstrukturen unseres Daseins frei – und befördert gleichzeitig höchst irreguläre Einsichten ans Licht.