NZZ Akzent: Libanon kurz vor dem Nervenzusammenbruch

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/26/23 - Episode Page - 13m - PDF Transcript

Du bist gerade von einer kleinen Reise zurückgekommen?

Ja, richtig.

Ich bin jetzt wieder in Berut, aber davor war ich im Süden des Libanons.

Ich war dort in einem Dorf, das heißt Marjayun.

Das ist so ein kleiner Ort, ein kleines Städtchen, das liegt so auf einer Hügelkuppe

in dem bergigen Land im Süden des Libanons.

Wenn man da rüber guckt, dann sieht man links davon die Berge hochgehen.

Es gibt so eine kleine Hauptstraße, ein paar gemäuerte Häuser.

Und als ich dahin kam, hat es angefangen zu regnen,

über dem ganzen Ort hingen so ein bisschen eine geisterhafte Stimmung.

Es waren wenig Leute auf der Straße, viele Häuser waren leer,

viele Läden verrammelt und in den wenigen Läden, die trotzdem noch offen hatten, war wenig los.

Also es wirkte alles ein bisschen verlassen.

Warum denn?

Nun ja, in Marjayun, wie eben auch in den umliegenden Dörfern dort unten,

war herrscht so ein bisschen eine Art Stimmung wie vor allem Krieg.

Der Grund liegt darin, dass diese Orte ganz nah an der Grenze zu Israel liegen.

Also ein paar Kilometer weiter südlich liegt diese Grenze.

Und wenn man dort unterwegs ist, dann ist einer, fällt am einerseits auf diese Stille,

aber andererseits ab und an war es dann auch so, dass man in der Ferne so ein leichtes Donnern

manchmal hören konnte, was eben auf Kämpfe bereits hinwies.

Und das alles hat dann sich zu so einer Art merkwürdigen Stimmung verdichtet,

als wäre man in einer Art Wartesaal des Krieges.

Und wenn man durch diese Gegend gefahren ist, hatte man auch den Eindruck,

als befände sich ganz liban aus dem ganzen Land so ein bisschen am Rande eines totalen Nervenzusammenbruchs.

Der Krieg zwischen Hamas und Israel betrifft auch den Libanon,

denn die Hezbollah-Militz droht einzugreifen.

Das könnte die ganze Region in einen Krieg stürzen, sagt Korrespondent Daniel Böhm.

Ich bin Antonia Moser.

Daniel, aber warum droht der Hezbollah denn eigentlich einzugreifen in diesem Krieg?

Der Hezbollah ist mit der Hamas verbündet.

Beide sind islamistische Gruppen, allerdings unterschiedlich.

Der Hezbollah ist jihitisch, die Hamas ist zunitisch.

Beide haben den gemeinsamen Feind, nämlich Israel.

Und beide haben den gleichen Verbündeten, nämlich den Iran.

Nach der Terrorattacke der Hamas in Süd-Israel

und den darauf folgenden Gegenschlägen der Israeli in Gaza gegen die Strukturen der Hamas,

sah sich der Hezbollah deshalb quasi gezwungen,

als Verbündeter für seine Waffenbrüder in Gaza etwas zu unternehmen.

Und es hat ja jetzt dann auch schon dazu geführt,

dass in den letzten Tagen an dieser Grenze eben immer wieder über die Grenze rübergeschossen wird,

dass es Scharmützel gibt und eben auch Leute auf beiden Seiten sterben und zu Schaden kommen.

Scharmützel, ist das denn schon ein Krieg?

Nein, bis jetzt ist das kein offener Krieg.

Es gibt bisher auch keine Anzeichen oder keine offizielle Kriegserklärung oder Ankündigung.

Das Hezbollah, das man jetzt eben in den offenen Krieg gegen Israel ziehen wird.

Aber als ich eben in diesen Dörfern des Süden lieber noch unterwegs war,

da habe ich dann auch Leute getroffen, die sich halt als dem Hezbollah zugehörig erklären

oder sympathisanten sind und manche, die sogar sagen, sie würden für die Partei kämpfen.

Für die Miliz, die ganz klar gesagt haben, sie warten eigentlich darauf, sie sind bereit für den Krieg.

Also ich kann mich erinnern, ich war in einem Elektroladen, in Marjah-June,

da kam so ein Mann rein, muskulöser großer Typ, der gemeint hat, ich kämpfe auch für den Hezbollah

und ich bin bereit, ich habe keine Angst und ich bin sogar bereit zu sterben.

Und dieser mehr törere Gedanke, der hat einen hohen Wert in der Bewegung,

es gibt da eine Bereitschaft in den Krieg zu ziehen, zumindest von der Basis, das merkt man.

Aber wenn wir jetzt auch in den Krieg ziehen, wie kann ich mir das vorstellen,

ist der Hezbollah denn wie so eine Art Armee für den Libanon?

Der Hezbollah ist in erster Linie eine Miliz, ist aber viel mehr,

ist es auch eine Organisation, die zum Teil einen sozialen Flügel hat,

die sich bis sogar Supermärkte betreibt.

Das ist eine religiöse Organisation, gegründet in den 80er Jahren,

ist eine schiitische Organisation, stark unterstützt vom Iran,

die auch die Bewegung mitgegründet haben und aufgerüstet hat.

Der Hezbollah hat großen Einfluss im Libanon, vor allem im Süden,

im Süden, in diesen Dörfern, das sind sehr viele Dörfer, wo Schiiten leben.

Hezbollah hat dort tausende gut trainierte Kämpfer mit Kampfverfahrung aus Syrien.

Man schätzt auch, dass die Bewegung zwischen 100.000 und 200.000 Raketen

dort vergraben hat und man kann sich ja ausrechnen,

was das für eine Auswirkung haben könnte, sollte der Hezbollah

jetzt wirklich in den Krieg eingreifen mit voller Wucht.

Das hätte das Potenzial für einen wirklich großen regionalen Krieg gerade auch,

man bedenkt, dass ja auch der Iran mit dem Hezbollah verbunden ist.

So weit sind wir jetzt noch nicht, was haben denn die Hezbollahkämpfer gesagt,

die du getroffen hast, also auf was warten die jetzt?

Die warten auf den Befehl von oben und namentlich warten sie auf den Befehl

von Hassan Nasrallah. Hassan Nasrallah ist der Anführer der Hezbollah.

Die Hezbollah ist sehr hierarchisch strukturiert.

Nasrallahs Wort ist quasi so etwas wie Gottes Wort für die Anhänger,

das Hezbollah für die extremen Anhänger.

Man kann sich das vorstellen, wenn man sieht, wie Nasrallah zu seinen Leuten spricht.

Er spricht dann über Video, das wird in so eine riesige Halle rein,

die normalerweise in Beirut veriziert.

Und Nasrallah ist dann so etwas wie der Oberst, nicht nur der Anführer dieser Truppe,

sondern ist auch wie eine Art Philosoph und Prophet.

Er erklärt den Leuten die Welt, seine Anhänger verehren ihn, sie lauschen ihm andächtig zu.

Er nimmt die gesamte Weltlage auseinander, gibt Anweisungen

und sein Wort gilt quasi als Befehl.

Aber jetzt zu der Situation zwischen Hamas und Israel, da hat er noch nichts gesagt.

Nein, bis jetzt hat sich eben Nasrallah noch nicht geäußert

und in ganz Liban, also nicht nur im Süden, wo ich unterwegs war,

vor Kurzem, sondern im ganzen Land warten alle Leute sehr angespannt darauf,

was eben Hassan Nasrallah sagen wird.

Denn sobald er eben vor die Kamerastritt, dann wissen alle Leute, dass irgendetwas passiert.

Das heißt, auch dieses Warten ist eben Teil dieser extremen Anspannung in dem Land im Moment.

Aber eben, der Hezbollah ist nicht die offizielle Armee Libanans.

Kann den Hassan Nasrallah trotzdem einfach entscheiden, jetzt gehen wir in den Krieg?

Er kann das sicher nicht alleine entscheiden, denn die Entscheidung liegt auch bei den Verbündeten

und Sponsoren des Hezbollah, nämlich bei Iran, in Tehran, bei den Machtammer dort.

Aber im Libanon selbst gibt es keine Instanz, die gegen den Hezbollah dagegen halten kann.

Die Miliz ist extrem mächtig, sie ist in der Regierung vertreten, sie ist im Parlament vertreten.

Dank seinen Waffen und dem Geld hat sie wahnsinnig viel Einfluss.

Im Libanon selbst, die Regierung ist komplett machtlos, kann sich nicht durchsetzen

und da kann niemandem im Moment der Hezbollah das Wasser halten.

Im Endeffekt sind es, wenn man es auf den Libanon bezieht, halt die vier Hezbollahführer,

die jetzt im Bunker sitzen und halt darüber entscheiden, ob es in dem Land Krieg oder Frieden gibt.

Und abgesehen von diesen Anführern, die Bevölkerung macht die da mit?

Also steht die konsequent hinter dem Hezbollah?

Ja, die Anhänger des Hezbollah im Libanon stehen natürlich hinter dem Miliz

und stehen da fest und fest dahinter.

Aber es gibt natürlich auch viele andere Leute im Libanon, die das nicht wollen.

Man muss ja auch wissen, in den letzten Jahren wurde die Hezbollah sehr stark kritisiert im Libanon.

Es gibt viele Leute, die sich gegen die Miliz positionieren.

Ich habe zum Beispiel Ali, das war ein junger Mann, habe ich im Dorf Apple al-Saki getroffen.

Das ist ein Dorf neben Majayun, dem Ort, den ich am Anfang erwähnt habe.

Er ist selber Shi'id, gehört also zu der Regierungsgruppe im Libanon, wo der Hezbollah sehr tief verwurzelt ist.

Er meinte aber zu mir, schau ganz ehrlich, wir wollen keinen Krieg, wir sind die Leidtragenden.

Wenn dieser Krieg kommt, dann werden unsere Dörfer und unsere Häuser im Süden wieder bombardiert.

Wie 2006, als der Hezbollah und Israel sich zum letzten Mal offen bekämpft haben, das wollen wir nicht.

Im gleichen Dorf traf ich auch einen Christen.

Das ist der lokale Muchda, so ein bisschen wie ein kleinerer Bürgermeister, der ebenfalls gesagt hat, dass er keinen Krieg will.

Diese Leute fühlen sich dann die ganze Situation ausgeliefert, sie sind hilflos.

Sie sind in einer Situation, wo sie selber nicht über ihr Schicksal entscheiden können.

Da spürt man auch die Angst vor dem Krieg und auch die Angst vor den Konsequenzen, die eben so ein Krieg für das Land für Libanon hätte.

Was sind denn das für Konsequenzen?

Das wurde ja immer wieder gesagt, es haben auch israelische Offizielle gesagt, dass so ein Krieg, wenn er den Stadt finden würde,

ein richtiger offener Schlagabtausch, das er für Libanon verheerend sein könnte.

Man muss dazu wissen, dass diese Situation im Libanon eigentlich ja vor dieser Krise schon katastrophal war.

Das Land ist wirtschaftlich komplett am Boden, dort herrscht seit Jahren eine Wirtschaftskrise, es gibt keine funktionierende Regierung mehr.

Die Infrastruktur ist kaputt, Teile der Bevölkerung sind verahnt, es gibt eine Währungskrise.

Ein bewaffneter Konflikt mit Israel, ein großer bewaffneter Konflikt würde diesem Land endgültig das Genick brechen.

Und ich erinnere mich, eine der Frauen in dem Dorf in Eblalzacke von diesen Christen hat das so ein bisschen auf den Punkt gebracht,

die hat gesagt, wenn dieser Krieg wirklich so kommt, dann werden wir in Zukunft wie im Mittelalter wieder auf Pferden reiten.

Aber wenn die Situation im Libanon jetzt schon so katastrophal ist, warum wollen dann viele Hezbollah-Anhänger trotzdem einen Krieg?

Nun ja, die Hezbollah ist für die Anhänger ja mehr als nur eine Partei, das ist eine Weltanschauung,

das ist eine umfassende Ideologie.

Diese Leute glauben, dass der Hezbollah das Gute ist, Israel das Böse und sie sind bereit dafür, in diesen Kampf zu ziehen, wenn der Befehl kommt.

Das ist die ideologische Komponente.

Aber der Hezbollah ist ja mehr, er ist auch durchaus ein strategisch denkender Akteur.

Und das heißt, die Führung wegt auch ab, ob das Sinn macht, in den Krieg zu ziehen oder nicht.

Und auch Iran tut das.

Und im Moment muss man sehen, auf den ersten Blick macht es weder für Hezbollah noch für Iran Sinn, in diesen Krieg zu ziehen.

Für die Iraner ist der Hezbollah wichtig, denn das ist ihre Lebensversicherung.

Diese Raketen sind ja auch so eine Art Schutzschild für das iranische Regime in Tehran.

Gleichzeitig ist die Hezbollah auch eine Schaltzentrale für all die verschiedenen iranischen Milizen in der ganzen Region, die sich Tehran aufgebaut hat.

Diese Dinge wird Tehran wohl kaum leichtfertig für Gaza jetzt aufs Spiel setzen.

Einerseits gibt es die Ideologie, dann aber die Strategie.

Wie schätzt du das ein?

Wie realistisch ist es, dass es bald zu einem Krieg kommt, eben zwischen Israel und dem Lebanon?

Wie gesagt, rational auf den ersten Blick ist es sehr unwahrscheinlich, wenn man sich die Interessen der Akteure anguckt,

aber in der jetzigen Situation, wie rational sind die Akteure eigentlich überhaupt noch?

Es wird ja im Süden gekämpft, das ist eine extrem aufgeheizte Situation.

Es reicht, dass irgendwer ein Fehler macht, dass etwas Schlimmes passiert,

dass mehr Zivilisten in Gaserstreifen getötet werden von israelischen Bombenangriffen oder dass eben diese Bodenoffensive losgeht.

Es gibt so viel unvorhersehbare Dinge, die niemand wirklich kontrollieren kann.

Und für die Leute in Beirut ist es deshalb absolut, auch im Süden, wo ich eben war,

ist es deshalb komplett unabsehbar, was genau passieren wird.

Sie bereiten sich zum Teil auf die Schlimmste vor.

Und deswegen ist ja diese Situation auch so schwierig.

Deswegen ist es ja so nervenaufreibend, weil man einfach nicht weiß, was passiert

und weil man einfach mit dem Schlimmsten rechnen muss.

Daniel, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Vielen Dank dir auch.

Das war unser Akzent.

Produzentin dieser Folge ist Alice Grouchon.

Ich bin Antonia Moser.

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Bis bald.

Copyright WDR 2021

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Der Krieg zwischen der Hamas und Israel bringt die schiitische Hizbullah-Miliz unter Zugzwang. Ihre Kämpfer zeigen sich bereit für den Krieg. Doch die Führung hält sich noch bedeckt.

Heutiger Gast: Korrespondent Daniel Böhm

Host: Antonia Moser

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/gefechte-mit-israel-im-sueden-des-libanon-steigt-die-anspannung-ld.1760988

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