NZZ Akzent: Israel: ein Land im Schock

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/12/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

Unser Nahost-Karrespondent Daniel Böhm ist jetzt quasi ja virtuell bei mir hier im Studio.

Daniel, wo erreiche ich dich denn gerade?

Ja, ich bin jetzt in Israel in Tel Aviv und ich bin da seit ein paar Tagen, seit Sonntag genau

und ich war zuvor auf Reportage unterwegs, außerhalb des Landes und dann kam plötzlich die Nachricht rein am Samstag,

dass es zu diesem schweren Angriff auf den Süden Israels gekommen ist und dann habe ich sofort versucht da hinzukommen.

Es war aber dann schwierig, viele Flüge wurden gestrichen, viele internationale Airlines sind nicht mehr reingeflogen

und deswegen bin ich über die Landgrenze nach Israel gekommen und damit ich am Sonntag-Nachmittag in Tel Aviv angekommen.

Und ja, das war dann die Ankunft ein bisschen in der Mehrgeisterstadt.

Es war alles leer, alles zu und die Leute waren regelrecht unter Schock

und da habe ich dann angefangen zu arbeiten und da versuch, daraus zu finden, wie es den Menschen hier nach dem Angriff geht.

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel sitzt der Schock im Land immer noch tief.

Die Menschen können einfach nicht fassen, was ihnen da passiert ist, sagt Nahost-Karrespondent

Daniel Böhm. Ich bin Sebastian Panholzer.

Daniel, du bist in Tel Aviv dann am Sonntag angekommen. Was war denn dein Plan? Wo wolltest du dann hin?

Ja, wir haben natürlich versucht dann sofort in den Süden zu fahren, in die Grenzregion am Gaza-Streifen,

wo ja die ganzen Kämpfe stattgefunden haben und im Sonntag auch noch Gerüchte waren,

dass eben immer noch gekämpft wird zwischen der Hamas und der israelischen Armee.

Und dann bin ich halt mit meinen Fotografen, sind wir dann zu zweit im Auto losgefahren

und sind eben in Richtung Süden gefahren, das sind ungefähr 40 Kilometer, die man da durchs flache Land fährt.

Wenn du durchs flache Land fährst, also was siehst du da, wenn du unterwegs bist?

Ja, auf die erste Sicht ist es vor allem halt aufgefallen, wie leer das es ist

und dass halt ganz viele Militärtransporter und so in den Süden unterwegs sind.

Also man sieht halt, Panzer, die auf großen Tiefladern gefahren wurden, ganz viele Truppentransporter und so.

Man merkt halt, wie da wieder aufgebaut wird.

Und ja, wir sind dann als erstes nach Sderot gefahren, das ist so ein bisschen die Stadt, die wichtigste Stadt in der Region dort,

die eben auch hart angegriffen wurde.

Wie wurde die Stadt angegriffen?

Ja, als wir reingefahren sind, hat man halt die Polizeistation gesehen oder das, was noch übrig geblieben ist.

Da haben sich Hamas Leute drin verschanzt und die israelischen Sicherheitskräfte haben lange gebraucht,

um die wieder rauszukriegen.

Und das ist einfach nur noch ein rauchender Trümmerhaufen, den man da gesehen hat.

Und dann haben wir mit den Nachbarn gesprochen und da hat gegenüber hat so ein Taxifahrer,

ein älterer gewohnt in einem Haus, der die ganze Zeit den Bunker verbracht hat,

der einmal dann zwischendurch kurz raus war und halt gesehen hat, wie da gekämpft wurde,

wie eben Hamas Angreifer mit Maschinengewehren und Maschinenpersonen alles gefeuert haben.

Und ja, den haben wir dort getroffen und haben uns mit ihm unterhalten,

um ein bisschen zu verstehen, auch wie die Leute das erlebt haben.

Was hat er dir erzählt?

Ja, er hat eben erzählt, viele mit denen man spricht, die sich natürlich dann relativ schnell versucht haben,

in Sicherheit zu bringen und in einem kleinen Bunkerraum drin waren, zum Teil für Tage.

In dieser Region ist es ja nicht zum ersten Mal, dass die Leute angegriffen werden.

Da gibt es ja immer Raketen, die aus dem Gasserstraf vorüberfliegen, schon seit Jahren.

Und deshalb haben die meistens so eine Art Bunker in ihren Häusern drin.

Und da hatte er halt mit zehn Leuten, also mit seiner Frau, aber auch noch mit Kindern und Großkindern,

stundenlang verbracht und hat gewartet, dass sich die Lage irgendwie beruhigt.

Und den wir halt dann mit ihm gesprochen haben, gab es dann wieder Alarm.

Und wir mussten dann in diesen Bunker reinrennen, weil auf den Raketen flogen.

Und wenn man sich mit ihm unterhalten hat, dann hat er schon gemerkt,

dass das halt auch so eine gewisse Wut da war.

Er hat dann auch gesagt, wir müssen das jetzt einfach mal beenden.

Man hat gemerkt, wie dieser Schock, der da war, langsam auch an der Wut gewichen ist in dem Fall.

Wie meint er das?

Ich glaube er hat damit gemeint, dass es weiß ja niemand, wie Israel's Armee jetzt regieren wird,

auf diesen schrecklichen Angriff und was sie tun werden.

Aber das wird halt jetzt auch in der israelischen Gesellschaft diskutiert, wie man auf das antworten will.

Und fast alle Leute natürlich, mit denen man spricht, sind der Meinung,

dass das eine sehr harte und große Antwort sein muss.

Wie lange musstet ihr denn da im Bunker sitzen, bis du wieder weiter konntest?

Das war nicht lange, das war einfach wirklich nur so ein paar Minuten.

Also es war so eine Art normaler Raketenalarm, wie es dort immer mal wieder gibt.

Und wie es auch vor diesem brutalen Angriff eben auch immer wieder mal gab.

Und wir sind dann nach kurzer Zeit auch wieder raus und sind dann weitergefahren

und sind dann in dieser Straße, die hat dem Gassastreifen entlangführt.

Und da war auch wieder, das wirkt wie ein Aufmarschgebiet,

Militärtransporter, Panzer, Truppen, die in die Station gehen, Artillerie,

die sich in den Feldern vorbereitet.

Im Horizont sieht man Rauch, man sieht die Bomben, die auf Gas auffallen,

also diese Fliegerbomben und hört halt die israelischen Kampfjets

und sieht diesen Rauch aufsteigen und so.

Und gleichzeitig war es aber auch auffällig, dass eben in der Region immer noch gekämpft wurde.

Wir sind dann so ein bisschen weitergefahren

und da kam dann Checkpoints, wo wir auch zum Teil durchgefahren sind.

Und bei manchen haben wir angehalten und da hat man dann eben Soldaten gesehen,

die dort in Position waren, die sind dann zum Teil auch, haben sich auf den Boden gelegt

und dann gefangen zu schießen, man hat überall Schüsse gehört

und versucht auch mit ihnen zu reden.

Es war aber wirklich nicht einfach, weil viele halt eben mich sehr, sehr nervös waren

und man hat auch gemerkt, dass sie sehr gestresst sind

und nicht groß was sagen wollten, sehr, sehr, sehr vorsichtig.

Und man hat dann auch relativ schnell gesehen, warum,

weil in dem Gras, was um diesen Checkpoint rum war,

lagen eben Leichen, das waren Leichen von Hamas-Leuten, die vor Kurzem da angekommen sind

und die Soldaten haben uns dann gesagt, ja, schaut, wir haben sieben Terroristen hier getötet.

Jetzt stehst du da bei den Soldaten.

Wie geht es dir eigentlich, als du da mittendrin stehst und das siehst?

Ja, in dem Moment ist man halt einfach auch sehr fokussiert,

weil es ist ja ein Kampfgebiet und man muss halt wirklich aufpassen,

weil man weiß ja nicht, von wo vielleicht geschossen wird.

Dazu kommt, dass die israelischen Soldaten in dem Gebiet halt auch extrem nervös sind.

Das heißt, es besteht auch die Gefahr von sogenannten Friendly-Fire,

also dass man auch von denen unter Beschluss genommen werden könnte.

Das gab es ja auch ein paar Mal scheinbar.

Das ist alles sehr unübersichtlich und sehr nervös.

Also man muss da wirklich aufpassen und deswegen ist man halt extrem einfach nur darauf fokussiert,

dass einem nichts passiert und so Gedanken darüber, was das bedeutet und so,

das macht man sich dann vielleicht später.

Wenn du sagst, du bist auf der Straße, am Gasserstreifen unterwegs,

sagen wir mal, wie weit ist die Straße eigentlich von der Grenze entfernt?

Das kommt drauf an.

Das sind ein paar Kilometer, manchmal ist es mehr, manchmal ist es weniger.

Oben bei der Ort und so in diesen Dörfern, da ist es relativ nah.

Wenn man dann in andere Orte weiter südlich fährt, das sieht zum Teil weiter weg.

Es kommt darauf an, es ändert sich auch jeden Tag in dieser Region.

Also wir sind dahin gefahren, da waren manche Orte zu, als wir da waren,

weil es eben Kämpfe gab, die am letzten Tag noch offen waren.

Und man sieht das halt überall.

Also wenn man durchfährt, sieht man halt überall auch noch die Autos

von den Leuten, die dort exekutiert unterschossen wurden, von den israelischen Zivilisten.

Und da sind die ganze Straße entlang.

Ist das wie so ein Todesallee, wo überall diese zerschossenen und abgebrannten Autos stehen,

wo die Hamas dann einfach Zivilisten entweder halt vom Auto aus zerschossen hat

oder halt einfach angehalten und exekutiert vermutlich.

Die Leichen haben wir aber nicht mehr gesehen, die waren schon wieder weggeräumt.

Wo bist du denn dann das Nächstes hin?

Wir sind dann weitergefahren in eine Stadt, die hieß Nettivot.

Das ist 50.000 Einwohner, ist ein bisschen weiter südlich.

Das ist ein Ort, der auch ein bisschen weiter weg vom Gasonstreifen liegt.

Die wurden auch angegriffen, aber die Stadt hat sich geschafft,

so meint jedenfalls einer von den Sicherheitsleuten dort,

hat sich geschafft, sich selber zu verteidigen

und konnte nicht gebütet werden wie eben in anderen Orten.

Und dort haben wir halt dann den Bürgermeister gesucht

und sind in einem Bunker gelandet,

weil die gesamte Stadtverwaltung ist quasi in den Keller gegangen,

die hatten dort so eine Art Kommando-Bunker unter der Erde,

von wo sie halt dann versucht haben, irgendwie die ganze Verwaltung aufrecht zu erhalten.

Wie kann ich mir das davorstellen, die ganze Verwaltung in einem Bunker?

Wie sieht das da aus?

Ja, das sieht halt wirklich so ein bisschen aus wie ein War Room,

man hat da irgendwie Leute, die verrechnen sitzen,

man hat einen Bereich mit so einer Art Konferenzraum, so Operation Room,

mit so einer riesigen Leinwand, überall laufen Typen mit Pistolen am Halb,

da rum ist es nervös.

Und mittendrin war dann durch Zufall auch noch der israelische Außenminister.

Konntest du irgendwie mit dem reden, also hat er Zeit für dich?

Ja, also wir haben dann mit ihm gesprochen und haben ein kurzes Interview gemacht.

Das hat eben auch gezeigt, wie die Dinge halt im Moment im Fluss sind.

Der war halt auf Tour im Süden, um irgendwie mit den Leuten da zu reden

und was halt auffällig war, dass es ihm halt sehr auch nahe ging

und natürlich er dann auch immer wieder darauf hingewiesen hat, was für ein Ausmaß,

diese Massakke im Süden offenbar angenommen haben,

er hat auch Bilder gezeigt von Leuten, die ihr Kinder verloren haben.

Also man hat schon mitbekommen, wie nahe, dass eben auch den Hohen Offiziellen geht.

Dann sind wir weiter und sind zurück Richtung Tel Aviv gefahren.

Wie weit fährt man dann von dort nach Tel Aviv?

Das ist ungefähr eine Stunde, ein bisschen mehr.

Das Land ist ja sehr klein, es ist ja auch wieder, dass es auffällt.

Es ist ein kleines Land, die Wege sind kurz und jeder kennt jeden

und das ist ja auch so eine Sache, die einem so bewusst wird.

Jeder hat einen Freund oder einen Bekannten oder aus der Familie,

den jemand verloren hat oder jemand sucht.

Also diese geschätzte Anzahl an Toten, das weiß ja bis jetzt noch keiner,

wie viel das wirklich sind, aber das muss man ja auch auf die Größe des Landes beziehen

und es ist ein kleines Land und das schlägt dann auch auf die Gesellschaft.

Natürlich nieder, das hat wirklich sehr, sehr viele Leute auch direkt betroffen sind.

Und es trifft jetzt das Land eben, wie gesagt, auch im speziellen Moment.

Es gab ja in den letzten Monaten diese tiefe Spaltung in Israel,

es gab ja die Proteste gegen Justizreform der Regierung, die sehr umstritten war

und das trifft das Land natürlich deswegen auch zusätzlich noch in einer schweren Zeit.

Das heißt, du bist also Montag gegen Abend wieder zurück nach Tel Aviv gefahren.

Mit welchem Gefühl bist du denn wieder zurück?

Du hast ja da unglaubliches Zähnen gesehen und mit Menschen gesprochen,

die, wie du auch sagst, auch persönlich betroffen waren.

Ja, also ich muss sagen, ich habe die Toten und die Leichen,

also ausseheben jetzt den gefallenen Kampfgebiet, abgesehen davon,

habe ich keine mehr gesehen, die waren alle weg.

Man hört aber diese Geschichten und man hört sie den ganzen Tag

und ja, es ist natürlich schockierend und es ist im Ausmaß auch schwer begreiflich,

es ist wirklich extrem.

Ja, was man macht, ist, man arbeitet und konzentriert sich auf die Arbeit

und schaut, dass man eben die ordentlich und sauber macht

und das ist das, was man tut in dem Moment.

Man liest ja jetzt momentan auch immer wieder genau eben dieses Spannungsfeld

zwischen diesem Schock und der Trauer und der Wut auf der anderen Seite.

Hast du auch das spüren können, als du unterwegs warst?

Ja, natürlich.

Es ist halt, das spürt man überall, wie langsam diese extreme Schock

und dieser Unglaub beweicht, wie die Leute natürlich anfangen zu,

also wie sie in diese Verarbeitung reinkommen und wie man eben beides hat.

Man hat eben die Trauer, man hat die Wut, man hat bei manchen Leuten

den Ruf nach Hache, bei anderen nicht.

Man spürt diesen Mix sehr und man darf natürlich auch nicht vergessen,

es ist alles immer noch sehr früh, das ist am Samstag passiert,

es kommen immer noch neue Geschichten raus, immer wieder,

es gibt immer wieder Neuigkeiten und neue Details, was scheinbar passiert ist

und was passiert ist dort und entsprechend.

Es ist sehr, sehr früh jetzt zu sagen und ich glaube, die meisten Leute

hier sind dergleichen Meinung, wie mit ihnen redet,

dann sind sie immer noch in diesem Unglauben und Schock

und langsam war ich das jetzt so.

Jetzt bist du ja seit Sonntag in Tel Aviv,

jetzt während wir aufzeichnen, ist es Mittwoch am späten Vormittag

und wie hat sich dein Tel Aviv, jetzt bist du ja ein paar Tage da,

hat sich da irgendwie die Stimmung verändert,

hast du was, du hast gesagt, am Sonntag war es, wie leergefegt alles,

wie ist es denn jetzt, wenn du dort unterwegs bist?

Ja, jetzt ist es ein bisschen anders, Leben kommt ein bisschen zurück

und vor allem sind die Leute halt sehr aktiv,

das ist halt vielleicht auch eine Art, wie sie damit umgehen,

also man sieht überall, freiwillige, überall Leute, die halt Soldaten

oder Familien im Süden mit Essen und dem Lebensnutzigen versorgen,

es gibt überall freiwilligen Teams, die Leute rausholen.

Ich glaube, das ist für viele Leute eben auch jetzt so eine Art,

wie man damit umgeht, also abgesehen davon,

dass es natürlich ganz viel Bedarf gibt,

ist aber auch für viele Leute glaube ich eine Art,

wie sie mit dem Schock umgehen, dass sie eben etwas tun

und das ist halt so etwas, was mir ganz groß aufgefallen ist.

Und dazu kommt halt auch, ich glaube und das trägt dazu bei,

dass über dieser, also jenseits von der menschlichen Dimension,

ist halt dieser Angriff vom Samstag,

ist natürlich für Israel ein extrem existenzieller Moment,

also es gab das halt noch nie in der Geschichte.

Viele Israelis vergleichen das mit dem Yom Kippur Krieg,

in 1973, als Israels Armee überrascht wurde von syrischen

und ägyptischen Truppen, aber selbst das sagen die meisten,

ist kein Vergleich, weil das war eine normale militärische Konfrontation

zwischen zwei Armeen hier, war es ein Angriff

zu einem großen Teil auf Zivilisten

und das ist für viele Leute, es ist ein großer Schock

und ich glaube, viele sagen eben auch,

dass das Land danach nicht wieder das Gleiche sein wird.

Liebe Daniel, vielen lieben Dank, dass du die Zeit genommen hast.

Ich weiß, du musst jetzt gleich wieder los,

deswegen hören wir jetzt auch hiermit auf.

Danke dir, Daniel.

Danke dir.

Das war unser Akzent.

Produzent in dieser Folge ist Alice Groschon.

Ich bin Sebastian Panholzer. Bis bald.

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Angehörige trauern, Überlebende flüchten, und Soldaten bereiten sich auf den Gegenangriff vor. Der Nahost-Korrespondent Daniel Böhm beschreibt die Stimmung in einem Land zwischen Trauer und Wut.

Gast: Daniel Böhm, Nahost-Korrespondent

Host: Sebastian Panholzer

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/israel-im-sueden-wird-auch-am-montag-noch-gekaempft-ld.1760055

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