NZZ Akzent: Iran: Der Widerstand lebt weiter

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/28/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird präsentiert vom Zurich Filmfestival.

Enzo Z. Accent.

...

... Azadi, Azadi, Azadi, Azadi, Azadi, Azadi.

Azadi, Azadi.

Desseo, was wir da gerade hören, ich erinnere mich sehr gut.

So hat sich's angehört vor einem Jahr im Iran.

Genau vor einem Jahr ist eine junge Frau namens Massagina Amini

auf einer Straße in Tehran verhaftet worden,

weil ihr Kopftuch nicht richtig saß aus Sicht der Sittenpolizei.

Und diese Frau ist dann wenige Tage darauf

in Folge der Misshandlungen auf der Polizeistation verstorben.

Das hat im Iran heftige Massenproteste ausgelöst.

Die Menschen haben auf den Straßen

Frau, Leben, Freiheit gerufen.

Oder auch, wir wollen keine islamische Republik mehr.

Die Menschen sind zu Tausenden auf die Straßen gegangen,

im ganzen Land, Frauen haben ihre Kopftücher verbrannt.

Sie haben sich aus Protest die Haare abgeschnitten.

Und jetzt, ein Jahr später?

Ja, jetzt ist es ruhiger geworden.

Man hört vor allem auch in den Medien nicht mehr viel.

Aber was sicher ist, die Flamme des iranischen Widerstands

ist nicht erstickt im Gegenteil.

Auch ein Jahr nach dem Tod von Massa Amini

gibt sich der Widerstand in Iran nicht geschlagen.

Doch das Regime greift hart durch,

erzählt Korrespondent Teseo Lamaka.

Ich bin Sebastian Panholzer.

Teseo, du sagst, der Widerstand ist nicht erstickt.

Woran siehst du das denn?

Dazu muss ich sagen, ich bin jetzt selbst schon seit fast einem Jahr

nicht mehr persönlich im Iran gewesen.

Ich war das letzte Mal im Oktober dort,

als so gerade als die Proteste auf Hochdouern liefen.

Und schon damals hat man in Tehran bemerkt,

dass man, wenn man durch die Straßen läuft,

so viel Haar sieht, so viel weibliches Haar,

wie man es seit 44 Jahren nicht mehr gesehen hat.

Also seit die Mullahs im Iran, im Zuge der islamischen Revolution,

an die Macht gekommen sind.

Was ich jetzt eigentlich höre,

wenn ich noch oft in Kontakt bin mit meinen Bekannten im Iran,

und die berichten mir, dass sich das eigentlich noch

verstärkt hat in den letzten Monaten,

dass es mittlerweile völlig normal ist, nicht nur in Tehran,

sondern auch in anderen, in kleineren, in konservativeren Städten

Frauen ohne Kopf durchzusehen.

Es gehört mittlerweile ganz normal zum Straßenbild im Iran.

Mhm. Aber geht das so problemlos?

Nein, das ist eigentlich gefährlich,

weil die Sittenpolizei, die schon damals für den Tod

von Massaminie verantwortlich war, ist wieder überall.

Und ganz allgemein versucht das Regime,

den Status Antikor mit eiserner Hand wieder herzustellen.

Das merkt man auf ganz verschiedene Weise.

Mir hat eine Bekannte neulich erzählt.

Sie war auf dem Weg zu ihrem Lieblingscafé in Tehran,

ist von einer Polizeistreife angehalten worden,

weil sie ihr Kopfduch am Steuer nicht trug.

Und dann ist herausgekommen,

dass sie schon dreimal verwarnt wurde bei SMS.

Es gibt mittlerweile im Iran überall auf den Straßen

Überwachungskameras mit Gesichtserkennung.

Und Frauen am Steuer, die sich dem Hitchabzwein widersetzen,

die werden damit erkannt.

Was jetzt ihr drohen kann, wenn sie noch mal erwischt wird,

als nächstes müsste sie ein Bußgeld zahlen, bis zu 700 Euro.

Das klingt für uns vielleicht nicht so viel.

Wir sind im Iran das Equivalent von drei bis vier Monats löhnen.

Und es droht ja eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren.

Mhm.

Aber eben, wie du sagst, jetzt auch ein Jahr nach,

den Massenprotesten,

die so viele Frauen momentan auf den Straßen zu sehen,

wie seit Jahren nicht mehr.

Sie protestieren ja damit weiter,

also eher in so einem stillen Protest, sage ich jetzt mal.

Aber gibt es denn auch noch so laute Proteste,

wie wir sie ganz am Anfang gehört haben,

wie sie vor einem Jahr waren aktuell im Iran?

Das gibt es auch, aber du hast absolut recht,

das passiert nicht mehr in dem selben Ausmaß.

Viele gehen auch nicht mehr protestieren,

weil es zu gefährlich ist.

Man muss bedenken, es sind da über 500 Menschen getötet worden

seit dem Beginn der Protest im letzten Jahr.

Das Regime versucht auch mittlerweile gezielt Menschen einzuschüchtern.

So geht es zum Beispiel Erfan,

mit dem ich über Telegram geschrieben habe vor zwei Wochen.

Erfan, wer ist das?

Erfan heißt eigentlich Anders.

Er ist ein iranischer Aktivist,

der ziemlich aktiv war in dieser Protestbewegung,

er ist selbst auf die Straße gegangen

und hat einmal auch selbst eine Kundgebung organisiert.

Und wenn du sagst, du hast mit ihm geschrieben über was,

habt ihr euch unterhalten?

Also ich wollte eigentlich von ihm wissen,

ob er vor hat, zum Jahrestag vom Tod von Masamini

wieder auf die Straße zu gehen.

Und er hat mir dann berichtet, das geht nicht,

weil er schon seit mehreren Wochen Droh anrufe bekommt.

Das muss man sich so vorstellen,

er bekommt dann mehrmals am Tag einen Anruf von einer unbekannten Nummer.

Und wenn er abhebt, sagt eine tiefe Stimme

an der anderen Seite der Verbindung,

wir haben genug Beweise gegen dich,

wir könnten dich jederzeit festnehmen

und pass ja auf, was du tust, wir beobachten dich ständig.

Also es ist gerade zu gefährlich für ihn.

Und deshalb führt er die Proteste jetzt gerade lieber

aus seinem Zimmer sozusagen im Hintergrund weiter.

Und wie macht ihr das? Sie kann ich mir das vorstellen?

Die Aktivisten sind auch bemüht,

gerade eine Infrastruktur aufzubauen,

um damit diese Proteste, wenn es das nächste Mal dazu kommt,

länger anhalten können,

damit sie besser untereinander organisiert sind.

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist das Starlink-Netz.

Das Satellitenetz von Elon Musk,

also dass die das Internetzugriff gewährt.

Genau, das wäre ganz wichtig für die iranischen Demonstranten,

dass sie sich auch dann noch untereinander kommunizieren können,

sich organisieren können,

wenn das staatliche Netz komplett heruntergefahren wird.

Das war in der Vergangenheit ein großes Problem.

Das Videos und Fotos von den Protestaktionen

nicht mehr geteilt werden konnten

und auch, dass die Verbrechen des Regimes

nicht an die Öffentlichkeit gingen.

Das ist für die Demonstranten ganz wichtig,

dass die Welt erfährt davon, was im Iran gerade passiert.

Erfern ist deshalb auch als Informant für Journalisten tätig,

vor allem für ausländische Barsesprachige Fernsehsender.

Mhm. Aber ist das denn jetzt nicht auch gefährlich

für die Aktivisten, für Erfern,

wenn das Regime dahinter kommt, was sie da machen?

Natürlich, das Regime geht sehr hart gegen solche Aktivisten vor.

Das mündet dann meistens in mehrjährigen Haftstrafen

und auch Körperstrafen, Ausbeidschungen sind mit dabei.

Also, dass das Regime jetzt so hart durchgreift,

das zeigt schon auch, dass das Regime

ein bisschen nervös geworden ist und um das eigene Fortbestehen fürchtet.

Darauf deutet auch seine gelickte Tonaufnahme hin.

Herr German Schalter, bei der Alleeheise.

Ich habe eine Studie nach dem Haufen.

Ich wurde vor drei Wochen, kurz vor dem Jahrestag, veröffentlicht.

Ich habe eine Schubmutzung,

meine Englischung, ich habe eine Schubmutzung.

Darin richtet sich ein Ranghoffizier der Revolutionsgarten

an andere Offiziere und warnt sie.

Bitte, haltet diese Proteste unter Kontrolle,

weil sollten die wieder die Straße reichen,

könnte das uns zu Ende sein.

Die Moritzuhrheit schon, oder?

Also, die haben tatsächlich wirklich Angst davor,

dass wieder solche Massenproteste passieren,

wie sie vor einem Jahr ausgebrochen sind.

Aber da hat man doch jetzt nichts gehört,

dass dort wieder große Proteste passiert sind, oder?

Ja, tatsächlich, es war viel ruhiger als erwartet.

Aber das hat vor allem auch damit zu tun,

dass die Polizeipräsenz auf den Straßen extrem war,

an dem Tag, auch schon an den Tagen zuvor.

Man muss sich vorstellen, es gab in den größeren Städten

an einfach jeder Straßenecke bewaffnete Reginkräfte und Agenten.

Und sobald Menschen angefangen haben, sich irgendwie zu versammeln

oder irgendwelches Logans zu rufen,

haben die Agenten gleich angefangen zu schießen.

Es ist also vergleichsweise ruhig geworden.

Und das, obwohl Amines Vater eigentlich zu einer Trauerbekunft

in den sozialen Medien aufgerufen hat.

Aber auch diese Trauerzeremonie, da ist das dem Regime wiedergelungen,

sie komplett unterbinden.

Es sind alle Zugangstraßen zur Geburtsstadt von Masa Amine,

zum Friedhof, komplett abgesperrt worden.

Es gab keine Möglichkeit, für irgendeinem da hinzukommen.

Und trotzdem, man muss sagen,

grad so Hinterbliebenen wie der Vater von Amine

oder auch die Hinterbliebenen von anderen getöteten Demonstranten,

spielen gerade eine unheimlich wichtige Rolle,

damit diese Flamme des Widerstands am Brennen bleibt.

Wie meinst du das genau?

Man muss dazu wissen, im Iran gibt es einen unheimlich starken

Mertürokult.

Das heißt, Menschen, die für den Glauben

oder für eine gerechte Sache gestorben sind,

werden in dieser Kultur so wie die ultimativen Helden verehrt.

Das Interessante, was jetzt passiert ist im letzten Jahr,

aber auch schon zum Teil davor,

ist, dass dieser Mertürokult auch die Sekularen Iraner erreicht hat.

Aber die praktizieren jetzt das Mertürokult in Bezug auf

jungen Menschen, die da alles riskiert haben, um auf die Straße zu gehen

und dabei umgekommen sind, um für ihre Freiheit zu kämpfen.

Von diesen Familienangehörigen

geht daher eine unheimlich starke Symbolkraft

auch aus, so eine Vorbildrolle.

Die haben auf den Kanälen in den sozialen Medien

10.000 bis 100.000 Follower.

Und ich habe auch selbst immer wieder gehört,

wenn ich mit Iranern gesprochen habe,

wie wichtig diese Verstorbenen sind,

um so diesen Geist des Widerstands aufrechtzuhalten.

Die sagen einem dann zum Beispiel,

an diesen getöteten Menschen sind wir es schuldig,

weiter zu kämpfen und unser Ziel zu erreichen.

Wir sind gleich zurück.

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Wenn du jetzt erzählt hast,

dass die Frauen ohne Kopftuch vom Regime bestraft werden,

dass die Aktivisten, die im Untergrund weiter

die Proteste am Laufen halten, bestraft werden.

Ich kann mir vorstellen, dass das jetzt eben

bei den Angehörigen dahinter blieben,

dass im Regime das durchaus bewusst ist,

was für eine Bedrohung von denen aus geht.

Absolut, gerade diese Hinterbliebenen,

von denen geht ein enormes Mobilisierungspotenzial aus,

gerade weil ihnen so viele Menschen folgen,

gerade weil sie eine so starke moralische Autorität haben.

Und das Regime hat in den letzten Wochen,

gerade im Vorfeld zum Jahrestag,

alles getan, um diese Familienangehörigen einzuschüchtern.

Viele wurden festgenommen oder entführt,

andere haben ihre Arbeitsplätze verloren.

Denn meisten wurden die Handys, die Smartphones konfisziert,

damit sie in den sozialen Medien nicht mehr aktiv sein konnten.

Also man versucht auf jede erdenkliche Weise,

diese Familienangehörigen Munddot zu machen.

Also das Regime versucht wirklich alles,

um zu verhindern, dass die Proteste wieder aufflammen wie vor einem Jahr.

Ist das denn überhaupt realistisch, dass es auf Dauer funktioniert?

Weil, ich meine, sie betreiben ja momentan schon einen sehr großen Aufwand.

Alle Beteiligten zu überwachen, zu verfolgen, zu bestrafen.

Ja, das ist die Frage.

Ich denke auch, dass der Repressionsapparat

kurzfristig extrem effektiv ist.

Das muss man dem Regime wirklich lassen.

Aber man muss auch sehen, wie viel Energie und Geld die da reinstecken.

Und dieses Geld, auch die Energie, das fehlt dann natürlich anderswo.

Das fehlt bei der Infrastruktur, bei der Bildung.

Der Iran kämpft überhaupt zurzeit mit einer schweren Wirtschaftskrise.

Die Wut der Menschen wird immer höher, die wissen,

wir haben keine Arbeit, weil das Regime das ganze Geld

in das eigene Überleben reinsteckt.

Wenn man mit den Menschen spricht, man merkt, die Wut ist eigentlich ...

noch immer, da ist eigentlich noch stärker als vor einem Jahr.

Die Protestflamme sozusagen, die brennt zwar vielleicht eher so ein bisschen

auf einer Sparflamme, sag ich mal.

Was fehlt denn oder was würde denn fehlen, was würdest du denn brauchen,

damit die Proteste wieder so richtig zum Laufen kommen,

damit die Menschen wieder auf die Straße gehen?

Ja, der Widerstand ist alles andere als gebrochen.

Aber wie du sagst, es ist eine Sparflamme, es köchelt so vor sich hin.

Was es gerade braucht, damit man wirklich wieder

eine kritische Masse auf die Straße bringt,

da genügt es nicht, einige tote Symbolfiguren zu haben.

Es braucht lebendige Anführer,

es braucht auch eine einheitliche Zukunftsvision.

Tatsächlich fehlt gerade beides der iranischen Opposition.

Es gibt kein Lager, keine Gruppe,

die irgendwie den Anspruch aktuell erheben könnte,

diese Proteste anzuführen.

Aber das kann noch kommen, das könnte in einigen Monaten entstehen,

das könnte auch erst in zehn Jahren kommen.

Deshalb spricht der Iranforscher Ali Fathola Nejatio

von einem langfristigen revolutionären Prozess.

Aus seiner Sicht hat dieser revolutionäre Prozess

nämlich nicht erst im letzten Jahr

schon mit den Protesten 2017, 2018 begonnen.

Und ganz objektiv sind die Proteste seit damals

jedes Mal mit jeder neuen Protestwelle massiver und stärker geworden.

Und das ist eine Entwicklung,

die auf lange Sicht zum Sturz des Regimes führen wird.

Teseo, vielen lieben Dank.

Danke dir.

Das war unser Akzent.

Produzentin dieser Folge ist Alice Crochant.

Ich bin Sebastian Panholzer. Bis bald.

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Es ist ruhiger geworden um die Proteste in Iran, denn die staatliche Repression ist stärker als je zuvor. Korrespondent Teseo La Marca erzählt im Podcast , wie Aktivisten und Hinterbliebene dennoch weiterkämpfen.

Heutiger Gast: Teseo La Marca, Korrespondent

Host: Sebastian Panholzer

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/ein-jahr-nach-dem-tod-von-mahsa-amini-lebt-der-widerstand-in-iran-weiter-ld.1756301

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