Apokalypse & Filterkaffee: Heimspiel: Reinhold Beckmann

Micky Beisenherz & Studio Bummens Micky Beisenherz & Studio Bummens 9/17/23 - Episode Page - 48m - PDF Transcript

Guten Morgen, lieber Wolfgang. Guten Morgen, lieber Micky.

Hast du es auch gesungen? Ein Rudi Völler, es gibt nur ein Rudi Völler.

Komm, jetzt raus mit der Sprache.

Nein, ich habe nicht gesungen.

Es hat zugegebenermaßen sentimentale Gefühle in mir ausgelöst,

als ich ihn da wieder auf der Trainerbank hab sitzen sehen.

Ja. Aber meine beiden Favoriten sind nach wie vor

Peter Neurora und Otto Rehagel.

Oh Gott. Otto Rehagel, da lachst du.

Otto Rehagel ist Europameister geworden.

Der weiß, wie es geht, so ein paar Jahre her.

Mit einer Mannschaft, die weiß Gott nicht gut war.

Ebenfalls mit einem Fußballzwerg, richtig.

Und Peter Neurora wartet, glaube ich.

Ich glaube, ich glaube auch. Wobei Peter Neurora, glaube ich, daraus spekuliert,

dass wenn die Bayern dann bald Tuchel rausgeschmissen haben,

dass er dann quasi die heimliche Nationalmannschaft den FC Bayern übernimmt.

Na ja, wie schön.

So sieht's aus.

Hast du denn mit Reinhold Beckmann dich auch über Fußball unterhalten?

Denn da kommt er ja eigentlich her, dieser seltsame Mann mit der roten Jeansjacke,

der irgendwann Anfang der 90er bei Sat.1 den Fußball neu erfand.

Wir haben uns auch über Fußball unterhalten.

Also A, der Erfinder von Rann damals, dann hat er ja 15 Jahre die Sportschau moderiert.

Dann hat er ja dieses legendäre, also in der ARD,

dieses legendäre Viertelfinale 2006 Deutschland gegen Argentinien mit dem Elfmeterschießen

und dem berühmten Zettel von Jens Lehmann reportiert.

Also darüber haben wir klarerweise schon gesprochen und natürlich auch aktuell

über ein paar andere Sachen ist jetzt nun auch unter die Schriftstelle

in Anführungsstrichen gegangen und hat ein wirklich,

also wie ich finde, beeindruckend gutes Buch geschrieben über seine Mutter.

Es ist die Lebensgeschichte seiner Mutter, die fast 100 Jahre alt geworden ist,

kurz vor ihrem Tod, ihm einen Schuhkarton in die Hand gedrückt hat,

mit alten Feldpost-Briefen ihrer gefallenen Brüder und zu ihm gesagt hat, mach was draus.

Und das hat er gemacht, er hat einen Buch darüber geschrieben,

dass ja, obwohl ja diese Männer nun schon sehr, sehr lange nicht mehr leben,

aber das Buch ist ja hochaktuell, kann man schon sagen.

Also diese Situation stellt sich ja tagtäglich gerade irgendwo zwischen

Russland und der Ukraine immer wieder neu.

Ja, also ich bin wirklich beeindruckt von diesem Buch insofern.

Es ist sehr liebevoll und sehr akribisch und gut recherchiert

die Geschichte der eigenen Mutter und der eigenen Familie.

Es ist aber auch parallel dieser historische Abriss,

was der Nationalsozialismus auch veranstaltet hat in diesem kleinen Dorf,

letztlich in dem die Mutter groß geworden ist.

Und offenkundig trifft er mit diesem Buch einen Nerv,

weil Spiegel Bestsellerliste Reinhold Beckmann, Ennis Brüder, Platz Nummer 2.

Oh, okay, das sei ihm von Herzen gegönnt.

Wie hast du ihn, wie hast du ihn wahrgenommen?

Offen, freundlich, nett, also Ken ist jetzt übertrieben,

aber ich habe schon in der Vergangenheit ein paar Mal mit ihm Sendung gemacht.

Also ich glaube, die allererste Sendung habe ich mit ihm damals gemacht.

Da hat er gerade ran aufgebaut und ist anschließend wieder zum WDR zurück

und hat dann angefangen, die Sportshow zu moderieren.

Nee, er ist einfach ein sehr offener Gesprächspartner.

Ich habe ihn dann auch gefragt, wie das ist, wenn du, also du bist ganz oben

in deiner Liga, du moderierst die Sportshow, du machst die Länderspiele,

du hast 15 Jahre eine eigene Talkshow, die deinen Namen trägt

und irgendwann ist das alles weg, ob er das dann auch als Niederlage begriffen hat

und er hat für mich durchaus glaubhaft gesagt, nein, das sind Lebensabschnitte,

ist es immer klar, irgendwann ist irgendetwas auch zu Ende

und die Vorstellung, dass er jetzt mit Mitte 60 an einem Spielfeld dranstehen müsste

und einen 19-jährigen fragen müssen, warum er den Freistoß nach links und nicht nach rechts getreten, so.

Ja, ich würde sagen, da sind sich doch zwei Männer Mitte 60 in ihrer besten Lebensphase begegnet, oder?

Vielen Dank.

Ich freue mich auf euer Gespräch, voll geil.

Alles klar, bis bald.

Ciao, ciao.

Es ist Sonntag, der 17. September.

Apokalypse und Filtercafé, Heimspiel, das Interview am Sonntag mit Wolfgang Heim.

Er ist Journalist, Musiker und Fernsehmoderator.

Er hatte seine eigene Talkshow und hat lange die Sportshow moderiert

und er hat jetzt ein bewegendes Buch veröffentlicht über die Lebensgeschichte seiner Mutter.

Herzlich willkommen, Reinhold Beckmann.

Ja, hallo, moin moin aus Hamburg hier, ne?

Reinhold, deine Mutter ist vor vier Jahren verstorben, im Alter von 98 Jahren

und vor ihrem Tod hat sie dir noch einen Schuhkarton in die Hand gedrückt, was war da drin?

Ja, die Feldpostbriefe meiner Onkel, die ich nie kennengelernt habe, Hans, Franz, Alphons und Willi.

Dieser Schuhkarton war Adidas Brasilias Schuhkarton, da waren ich Fußballschuhe meines Bruders drin.

Fünf Jahre älter, der hatte schon Stollen-Schuhe, ich dagegen spielte in der Zeit mit Adidas Uwe.

Die Noppen, 1990, der Volksfußballschuh damals.

Und wir haben alle in der Familie immer so einen Blick auf diesen Karton geworfen

und ich habe auch mal reingeguckt, aber ich konnte die Briefe nicht entziffern so richtig, weil ich nicht sütterlinfähig war.

Aber was ich gemerkt habe immer, dass diese Briefe so ein Geheimnisvolles hatten,

weil sie da war, jede Fläche, jede kleine Stelle war ausgeschrieben.

Ich habe jetzt beim Recherchieren natürlich nochmal gemerkt,

es gab zwei Dinge, die immer fehlten und das war Papier und Zigaretten.

In vielen Briefen schreiben sie meiner Mutter, Mensch, schick uns noch ein bisschen Briefpapier, schick uns Zigaretten.

Ja, heißt das jetzt unter dem Strich, also diese späte Übergabe dieser Briefe,

dass dieses Thema bei euch entweder keine Rolle gespielt hat oder möglicherweise gar tot geschwiegen,

wurde auch vor diesem durchaus dramatischen Hintergrund,

dass ein junges Mädchen damals in dieser Nazi-Zeit ihre vier Brüder verloren hat,

die alle in diesem sinnlosen Hitlerkrieg ums Leben gekommen sind.

Ne, ist genau das Gegenteil. Also Mutter hat ja geredet, das ist das Gute, sehr drüber gesprochen.

Das war ja nicht in jeder Familie so.

Mein Vater zum Beispiel hat lange gebraucht, um darüber zu reden.

Der hat erst mal geschwiegen und Mutter hat sich auf die Art und Weise, glaube ich,

ihre eigene Familie so ein bisschen erhalten, die sie ja verloren hat.

Es gab so ein Foto bei uns zu Hause.

Erst habe ich das kleine Bängel so draufgekuppt und dachte,

was ist denn das da? Vier Männer in Uniform, alles sieht so dunkel aus, das muss ja Krieg sein.

Bis ich dann kapierte, das sind meine vier Onkel und Mutter hatte die vier Einzelbilder zu einer Foto-Montage gemacht

und sozusagen die Brüder damit wieder vereint, die sie verloren hat.

Und ich kann mich auch noch so an Familienfest erinnern, insbesondere Weihnachten.

Das ist dann so, dass Weihnachten regelmäßig die Tränen flossen.

Die saßen dann gefühlt bei uns mit am Tisch.

Und das ist das Gute. Mutter hat drüber geredet, hat uns ein Bild dieser Brüder vermittelt,

also der Onkel, die wir nie kennengelernt haben.

Aber jetzt durch das Recherchieren für das Buch und sind mir diese vier Onkel Hans, Franz,

Alphonse und Willi noch mal viel näher gekommen. Ich kann die jetzt differenzieren.

Ich kann jetzt unterscheiden, wer ist und wie Franz zum Beispiel war.

Was deine eigene Mutter angeht, deren Lebensweg war genauso schwierig wie dramatisch.

Sie hat die eigene Mutter verloren, da war sie ein Jahr alt.

Sie hat den Vater verloren, da war sie vier Jahre alt.

Und dann, während des Krieges, dann die vier Brüder.

Das klingt nach einer extrem schwierigen Kindheit, nach einer extrem schwierigen Jugend.

Und auch danach, dass deine Mutter es durchaus schwer gehabt hat, ihren eigenen Weg im Leben zu finden.

Ja, es umso bemerkenswerter ist es ja, dass sie es hingekriegt hat.

Man muss sich vorstellen, mit 13 war Schluss mit Schule.

Bildung war nicht vorgesehen.

Um diesen Kontext noch mal zu verstehen, Wolfgang, ist es so, dass ein ganz kleines katholisches Dorf am Rand des Teutoburger Wald ist.

Die waren alle Gottesfurchtig, Gott ergeben.

Die Kirche war immer voll besetzt. Das, was von der Kanzel kam, das war Gesetz.

Die hatten alle ihren Rosenkranz in der Tasche, die haben gebetet, gebetet und gebetet.

Und es ist so, dass der Tod auch irgendwie zum Leben dazugehörte.

Also ihre Mutter ist quasi im Wochenbett gestorben,

weil der Zwillingsbruder ihres Vaters eine TB mitgebracht hatte aus dem ersten Weltkrieg.

Und der Ithiot hat herumgehustet, ihre Mutter wurde angesteckt.

Auch meine Mutter hat ein bisschen was davon abbekommen, aber hat sich als Baby da durchgekämpft,

während ihre eigene Mutter dann starb, als sie 13 Monate alt war.

Und ihr Vater war so, ja, der war kaputt vom ersten Weltkrieg.

Da hatte so eine Art Blutsersetzung, der kam eigentlich nie wieder richtig auf die Beine und starb dann drei, vier Jahre später.

Und sie glaubte immer, weil dann Stiefeltern ins Haus kam, erst eine Stiefmutter und dann Stiefvater,

dass das ihre richtigen Eltern seien.

Man hat ihr das überhaupt nicht erzählt, weil sie hatte ihre eigenen Eltern nicht bewusst erlebt.

Also sie hat schon eine Menge mitgemacht, meine Mutter hat aber trotzdem,

und das ist, was mir jetzt auch nochmal klar geworden ist,

sie hat so eine, wie kann man es beschreiben, so eine Unverlierbarkeit im Guten gehabt.

Sie hat, ob es der große Glauber an den Herrgott war, aber sie hat so eine, ja,

sie hat an das Gute dann doch noch geglaubt.

Hat sie denn diese Gottesfürchtigkeit behalten, trotz dieses großen Verlustes mit den eigenen Eltern

und den eigenen Brüdern und auch angesichts des Umstandes,

dass die katholische Kirche in diesem Dorf irgendwann mal nicht mehr wichtig war,

sondern die Nazis quasi von der Kanzel aus das Sagen hatten?

Ja, das hat ja ein bisschen gedauert zunächst in dem Dorf, aber vielleicht erst mal über meine Mutter

und so ein Gedanke, der sie konnte fluchen, die hat auch manchmal ganz schön geschimpft,

auch gerade, was sie eben so erzählte mit den Weihnachtsfesten.

Also die konnte auch mit ihrem Herrgott schimpfen, aber auf der anderen Seite war so eine tiefe Verlässlichkeit

und tiefes Vertrauen darin. Ich bin aufgehoben und ich weiß noch so die letzten Wochen,

Monate vor ihrem Tod, sie war sich ganz sicher, dass das alles gut werden wird

und wenn es dann soweit ist, sie wusste, dass der Tag jetzt kommt und die fühlte sie irgendwie aufgehoben.

Die war auch sicher, dass da oben irgendwas ist. Wir sind ja alle in unserem jetzigen Leben,

in dieser überindividualisierten Gesellschaft so ein bisschen obdachlos, was das obendrüber betrifft,

aber das hatte meine Mutter überhaupt nicht. Und der andere Punkt, den du angesprochen hast,

es ist mir jetzt auch noch mal klar geworden, dieses Wellenkolzhausen,

dieser Ort am Rande des Tollteburger Waldes, da wo meine Mutter aufgewachsen ist,

steht ja beispielhaft für viele katholische Gemeinden. Die waren ja erst wahnsinnig kritisch

gegenüber den Nazis. Die haben immer ihre Zentrumspartei gewählt, ihre christliche Partei und alles das,

was sozusagen der Pastor am Sonntag sagte. Das war gesetzt, das galt. Die Warn ist ja keine

politische Familie gewesen, eine ganz einfache Handwerkerfamilie, zwei Schuster, ein Schneider

und der jüngste, dann Willi, der 17-Jährige als Automobilschlosser, eigentlich noch der innovativste

Beruf. Und die waren alle gottesfürchtig. Wenn da aufgerufen wurde zur Wallfahrt,

dann sind die nachttächtige Pilger zu Tausenden aus den Nachbordörfern. Das war ein großes

Happening. Und ich habe da noch mal die Zahlen angeguckt, als in den Nachbauorten Melle aus

Nahrbrück, die NSDAP schon längst die Mehrheit hatte, haben die in Wellenkolzhausen immer noch

Zentrum gewählt und kam halt irgendwann die SA ins Dorf und hat sich durch die Kneipen geprügelt

und hat die Leute unter Druck gesetzt, hat mit dem Denunzieren angefangen und dann wurde

der Schulleiter ausgetauscht. Dann begann der Propagandafeldzug, die nächste Generation wurde

dann richtig nationalsozialistisch gedrillt. Also du hast, was die Familiengeschichte angeht,

zwei Dinge gemacht. Du hast zum einen diese Feldbrustbriefe gelesen, ausgewertet, die in den

familiären Kontext gestellt und hast praktisch parallel dazu, wie soll man es formulieren,

die Geschichte des Nationalsozialismus als historischen Abriss eben auch immer mit reingebracht.

Was hast du über die Familie gelernt, was du vorher noch nicht wusstest und vielleicht auch

über den Nationalsozialismus, was dir vorher nicht so klar war? Ja, ich habe jetzt detaillierter

Verstanden, wie es möglich war, in so geschlossenen Gemeinden hineinzukommen. Und wie ich sage,

das war ja so, dass selbst der Pfarrer im Dorf mehrmals von der Gestapo verurteilt worden

musste, Strafgelderzahlen für irgendwelche Äußerungen. Und ich habe mir gedacht,

diese katholische Kirche hatte doch eigentlich so eine soziale Kraft in Deutschland. Sie hätte doch

widerstehen können. Sie hätte doch dem Nationalsozialismus die Stirn bieten können und hat es

nicht gemacht. Und das ist so das, was mir bei der Recherche nochmal klar geworden ist. Und ich wusste,

dass die evangelische Kirche sich früh in den Shows der Nazis gelegt hat. Aber bei der katholischen

Kirche war ich mir zunächst im Detail nicht sicher. Und das kann man ganz beispielhaft an diesem

Dorf auch ablesen. Und das ist halt die tiefe Enttäuschung, dass so ein Bischof in Ausnerbrück,

Berning beispielhaft, aber auch für viele andere Bischöfe einfach diese Chance nicht genutzt hat.

Die wollten dem Hitler gefallen. Die haben sich ihm in den Shows gelegt. Die wollten gesehen werden

und bedeutend sein. Und dann gab es natürlich so immer diesen gemeinsamen Klassenfeind im gottlosen

Bolschewismus. Diese Formulierung taucht ja immer wieder auf in den Texten, in den Predigten.

Aber das ist eigentlich das Erschütternde gewesen, dass die katholische Kirche ihre soziale Kraft,

ihre Chance nicht genutzt hat. Wenn wir die vier Brüder deiner Mutter oder deine vier Onkels,

die du nie kennengelernt hast, ein bisschen genauer angucken, ohne da in alle Details zu gehen. Also die

Geschichte von Franz und von Hans und von Alfons und von Willi. Wie sind die Zitode gekommen?

Hast du das eindeutig recherchieren können? Ja auch. Es bleiben ein paar Fragen zurück, aber

das Interessante war dann, ich habe festgestellt, dass es auch bei uns in der Familie wie auch bei

anderen so was wie Legendenbildungen gibt. Es hieß zum Beispiel bei Franz immer, der sei ja auf dem

Weg nach Hause von Partisan, von polnischem Partisan in der Nähe von Land sich erschossen worden.

So wurde uns das immer vermittelt und erzählt. Und jetzt bei den Recherchen zu dem Buch bin

ich auf so eine Heimkehrer Erklärung gestoßen, die ich gefunden habe. So ein Zettel, so eine

Heimkehrer Erklärung, die ein Alfred Sudmann 1949 gemacht hat beim Deutschen Roten Kreuz.

Und auf diese Heimkehrer Erklärung steht, ich war neben Franz Haber am 16. April 1945,

als der durch einen Volltreffer in der Nähe von Fischhausen ums Leben kam. Fischhausen ist,

ja ist dieser kleine Ort in der Nähe des Hafen Städtchen Spillau, da wo die rote Armee dann

rüberholte und mein Onkel Franz am 16. April dann dort ums Leben kam. Und dann habe ich gedacht,

jetzt will ich mal rauskriegen, vielleicht gibt es diese Familie Sudmann und habe mich dann nach

Delmenhorst aufgemacht. Dieser Alfred Sudmann war also 1949 noch aus der russischen Gefangenschaft

gekommen. Und dann habe ich zumindest seinen Sohn getroffen und er hat mir das alles nochmal

erklärt und erzählt. Und ich habe mich erstmal bedankt, dass sein Vater überhaupt diese Erklärung

gemacht hat. Dadurch wussten wir jetzt, was mit Franz passiert war. Wo und wie sind die anderen

drei Brüder deiner Mutter? Hansus 1942, kurz nach seiner Hochzeit, die sehr kompliziert war,

in der Nähe von Rechef ums Leben gekommen, am September 1942. Rechef ist so eine absurde Schlacht

gewesen, über die nicht so viel berichtet wird, nicht so viel bekannt ist wie natürlich Stalingrad.

Aber dort sind auch viele, viele Menschen ums Leben gekommen auf beiden Seiten und es war die Schlacht

kurz vor Moskau, 50, 60 Kilometer vor Moskau. Franz wie gesagt am 16. April 1945, deshalb tragisch,

weil er kurz vorher seine große Liebe gefunden hatte und am Oktober 1944 noch geheiratet hat.

Er kam noch einmal ins Dorf zurück und sein Cousin sagte zu ihm, sein Cousin Heinz Mensch, Franz

geh nicht zurück nach Russland, du weißt doch wie es dazu geht. Ich verstecke dich, ich habe so

einen Verschlag, die werden dich nicht finden. Aber Franz hat sich nicht getraut, ist dann trotzdem

zurückgegangen. Und dann ist der Alfons, Alfons ist auch eine wirklich tief bewegende und tragische

Geschichte. Alfons ist zwei Jahre älter gewesen als Anne. Die beiden waren tief verbunden.

Kleine Mutter, ja. Ja, aufgrund dieser Nähe. Und Alfons hat sie mir immer erzählt, hätte ich so,

naja, hätte so toll ausgesehen, so hätte so dunkle Haare gehabt, wäre so ein Mädchentyp gewesen und

in den Briefen taucht das auch auf, wie immer wieder versucht irgendwie zu flirten Kontakt zu

halten mit Freunden meiner Mutter, ganz rührend. Am Anfang schreibt er noch so ganz bewegt und

irgendwann, wenn die Briefe immer dünner, immer wortkager, immer enttäuschter, der ist am 24.12.1942

ein heiliger Abend in Stalingrad gefallen und hat, ja, war zwei Jahre lang bis dahin nicht zu Hause

gewesen, bekam als Junggeselle kein Urlaub. Und dann hieß es immer bei uns in der Familie, der ist

vermisst, der ist vermisst. Dieses Wort vermisst, ist ja auch missbraucht worden von den Nazis und

das ist eigentlich so ein, ja, so ein Sehnsuchtswort und aber in diesem Fall ist es natürlich ein

grauenhaftes Wort vermisst und wir haben erst 2003 dann vom Deutschen Roten Kreuz erfahren,

dass man ihn gefunden hat. Da muss man, ja, das wurde gefunden, ein Bunker in Gumbag, das war

der Ort, wo der kleine Behelfflughafen war in der Nähe von Stalingrad und dort war auch ein,

ja, dort war so eine Art Feldlatsachett, da muss er sich vonhin geschleppt haben und

ist 2003 dann in diesem Bunker gefunden worden und ja, ich habe jetzt erst vor kurzem diese

Erkennungsmarke bekommen und ja, es war ein bewegender Moment. Um das abzuschließen, was ist

aus dem letzten, was ist aus Willi geworden? Was ist da passiert? Willi war 17, gerade 17 geworden,

als er am 1. Dezember 1944 abgeholt wurde von den Feldjägern. Klassische Volksturmgeneration und

da gibt es einen Schicksal, wo man sich fragt, das ist ja so fast wie bei Bernard Vicky und in dem

Film Die Brücke. Der war dann in der Nähe von Kassel-Marburg im Spalm-Eder-Kreis und das war

lange schwer, das rauszufinden, was da wirklich passiert ist, weil er ist am 6. April 1945,

also auch wenige Tage vor Kriegsende, noch ums Leben gekommen und die Front war eigentlich über

diese Region des Spalm-Eder-Kreises, Aalsfeld, asterodisch und rüber und die müssen irgendwie ein

paar Tage später dann in einen idiotischen Befehl ausgeführt haben. Die Amerikaner haben ihn zum

Glück ordentlich beerdigt in Biberach und da und das ist trotzdem tief, tief traurig, dass er 17

Jahre da noch zum Schluss ums Leben gekommen ist. Also was meine eigene Familie angeht,

ich habe im Nachlass meines Vaters übrigens selber Geburtsjahrgang wie deine Mutter,

Jahrgang 1921, ich habe keine Briefe, sondern ein Tagebuch gefunden und zwar nicht von ihm,

sondern von seinem drei Jahre älteren Bruder, der 42, 43 in Italien gefallen, so nannte man das

ja damals, gefallen ist und was mir aufgefallen ist, es war eine eine ganz nüchterne Auflüstung von

5.30 Uhr wecken, 6.30 Uhr Frühstück, anschließend Gewehrreinigen, 11.30 Uhr Mittagessen, 20 Uhr

Bettruhe. Also sozusagen das eigene Grauen des Krieges komplett ausgeblendet und alles reduziert

auf fast mechanische tägliche Abläufe. Hast du das bei den Briefen, die du dir angeguckt hast,

auch so zumindest partiell gefunden? Das ist zum Glück bei meinen Onkeln anders. Vielleicht mit

Ausnahme Hans, der sich verpflichtet hatte, zwei Jahre vor dem Beginn des Krieges hatte sich

entschlossen, sich zum Unteroffizier ausbilden zu lassen, weil er merkte, ich werde als Schneider

da nicht so zuverlässiges Geld verdienen, der schreibt nicht kritisch über den Krieg zu Beginn,

nicht nachher schon, aber Franz zum Beispiel und Alphons, aber insbesondere Franz, erzählen mehr

von ihren Gefühlen, aber Franz ist schon 1941 zu lesen, das ist hier die Hölle und dann im Laufe des

Jahres 1942 kommt immer der Satz, wann hört dieser Schwindel endlich auf hier, distanziert sich sehr,

dem Liter-Historiker Sönke Neitzel von der Uni Potsdam, der netterweise nachher noch mal

auch ein Schlusslektorat gemacht hat für mein Buch, Inne und ihre Brüder, hat gesagt, oh,

das ist schon nicht ohne gewesen, dass sich Franz immer so kritisch äußert zu dem Krieg, denn es

gab aber diese Prüfstellen, die geguckt haben, wie ist das mit dem Moral in der Truppe, gibt es

irgendwie Tendenzen, dass da jemand de fetistisch unterwegs ist und die haben die dann rausgezogen

natürlich, aber glücklicherweise wurden diese Briefe von Franz nicht gefilzt und kontrolliert,

aber der hat seinen Frust darüber schon sehr deutlich zu Papier gebracht. Man muss aber denken,

der war ein Tick älter, der war 1945 als er viel, gerade 32 geworden, er schrieb immer, die besten

Jahre werden mir hier genommen, ich kann überhaupt nicht mein eigenes Leben aufbauen, hoffentlich

ist der Krieg bald zu Ende, wann hört dieser Schwindel endlich auf und das ist etwas, was mich

auch sehr berührt hat jetzt beim Lesen, wie sehr Franz wirklich darum kämpft,

diese Familie zu erhalten, dann schreibt er über sein Liebesglück zu, wie verliebt der ist und

das und du weißt ja genau, es wird nicht gut ausgehen und alles und das ist das, was mich

sehr dann auch selber gepackt hat beim Schreiben, wo ich da mein Gott, es ging den wirklich scheiße,

es ging den wirklich richtig beschissen. Um dieses Thema abzuschließen, dieses tiefe Eintauchen

in die eigene Familiengeschichte, was hat es dir persönlich gebracht? Ja, ich wollte dieses Buch

immer schreiben, aber ich habe auch ein bisschen gekniffen immer, ich habe mich auch ein bisschen

weggedugt, das muss man ganz ehrlich sagen, ich kann dir eine Geschichte erzählen, 2004 war

so ein Fall, also das, da wo ich schon mal irgendwie über Nacht gedacht habe, Wiebgebruns war

bei mir in der Sendung, die war zweimal da und stellt die Buch meines Vaters Land vor. Nun ist

das nicht zu vergleichen, hier ist es bei uns eine ganz einfache Familie, aber die Wiebgebruns-Familie

und der Vater war ja sozusagen, das war eine richtige Adelsfamilie, das für die war Krieg,

Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, irgendwie als Soldatenfamilie irgendwie ganz wichtig und

nachher war natürlich auch einer derjenigen, der beim Attentat, beim Versuchtenattentat am 20.

Juli mit dabei war, so und die hat immer gesagt, Reinold, du musst irgendwann deine Geschichte

aufschreiben und dann habe ich das immer beiseite gelegt, ich habe mich da nicht ran getraut so

richtig und dann gab es den Song für Brüder, den wir im Bundestag gespielt haben, anlässlich

der Gedenkfeier zum Volkstrauertag und ich habe auch gesehen, dass dieser Song war vielen so eine

Reaktion hervorbrachte, viele haben bei YouTube dann in der Kommentarsparte ihre eigene Geschichte

reingeschrieben aus der Familie, da habe ich gedacht, jetzt kannst du nicht knifen und dann kamen

zwei Verlage und dann habe ich gesagt, okay, dann muss ich jetzt mein Leben neu sortieren, bin hier

in der Filmproduktion zu meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegangen und zu meinem Partner

habe gesagt, Leute, ich bin jetzt mal ein Jahr raus, vielleicht auch anderthalb Jahre, ich bin maximal

einen Tag in der Woche da, ich will dieses Buch schreiben, denn eins war mir klar, ich kann das nicht

nebenher machen, das ist zu komplex, entweder tauch ich richtig ein und lass mich drauf ein,

sonst wird das nichts. Weil du gerade deine eigene Talkshow angesprochen hast, die du ja immer in

15 Jahre gemacht hast, ich habe noch mal so im Internet mir die Gästeliste angeguckt, sehr,

sehr viele, sehr spannende, auch sehr illustre Namen auf Position 1 vermutlich auch in deiner

Wahrnehmung Helmut Schmidt Fragezeichen. Ja, Schmidt war oft da, auch Loki war oft da, mit Loki

verbindet mich auch da viele Erinnerungen an diese Zeit, auch wie Nationalsozialismus entstehen

konnte, wir haben oft darüber geredet, weil Loki kam aus ganz armen Verhältnissen, einfachen

Verhältnissen, ich kann mich noch an so einen Satz von Helmut Schmidt erinnern, sagte mal Beckmann,

Sie glauben gar nicht, als ich damals junger Mann zu Fuß hingegangen bin, um meine Auffahrtung zu

machen, um Loki für mich zu gewinnen, ich dachte so was gibt es gar nicht, so eine Armut hatte

ich noch nie gesehen und das ist die Zeit der Weimar Republik halt gewesen, was wir leicht

vergessen und auf dem Land sind die Menschen noch irgendwie klargekommen, weil die Bauern irgendwie

teilweise bei meinem Großvater mit Lebensmittel bezahlt haben, wenn sie neue Schuhe haben wollten,

aber hier in den Städten zum Beispiel Hamburg oder aber auch im Ruhrgebiet den Leuten ging es

richtig schlecht und das war natürlich auch die Basis für den wahnsinnigen Hitler sozusagen,

dann doch seine Mehrheiten zu gewinnen Stück für Stück und davon hat Loki immer viel erzählt,

Loki Schmidt, aber Helmut Schmidt auch, daran kann ich mich gut erinnern. Helmut Schmidt war ja eine

eine in jeder Beziehung beeindruckende Persönlichkeit, also ich durfte einmal ein Interview mit ihm

machen, war damals bei der Zeit in Hamburg, sein damaliger Büro-Nachbar. Der Qualm kam unter

den Türen raus oder was? Der hat den Kontakt, ich musste dann vor der Tür etliche Minuten warten

bei den Bodyguards, ich habe dann hinter erfahren, dass es dann eine feine Abstufung gab, also ich

musste beispielsweise logischerweise deutlich länger warten als Henry Kissinger, aber auch der durfte

nicht sofort rein und um es mal sozusagen, er hat mich dann schon sehr ernst genommen,

ich habe es dann daran gemerkt, dass er meine Einstiegsfrage in fünf Minuten korrigiert hat,

weil die gänzlich falsch gestellt war, aber anyway es hat dann schlussendlich funktioniert und ich

hatte, jetzt komme ich wieder auf dich, ich hatte, als ich ihn sah, ein Gefühl von Beklommenheit,

dass ich sonst nicht kannte, Punkt 1 und Punkt 2, ich sah diesen Mann und es war wie eine Zeitreise

in die 70er Jahre und mein Bundeskanzler spricht zu mir. Kennst du das? Hast du das auch so erlebt?

Ja, am Anfang hatte ich das auch, weil Schmidt hatte ja auch so eine, fast so ein inszenierter Art,

die Leute ein bisschen auflaufen zu lassen, weil er konnte ja Pausen inszenieren und dann hast du

da als Fragen da gesessen und musste es das aushalten, du musstest sozusagen diese Pausen ertragen

und hast die gefragt, kann ich das wo dazwischen fragen oder ist es eine Denkpause, wo ich dem

heiligen Kanzler bloß nicht dazwischenträte, dieser Moment war zu Beginn unerträglich,

nachher war mir das ein bisschen egal, weil ich war quasi adoptiert von Loki, Loki liebte mich

und ich liebte Loki auch, das war ganz klar und das musste Helmut ertragen und ich war oft bei

denen zu Hause in Langhorn und wir haben viel geschnackt und wir haben auch mal ein Buch zusammen

gemacht, Loki und ich. Nach zwei, drei Stunden kam er in den Raum, der schon ohnehin vollgequatscht

war und Loki hat dann, ich sag, Loki, kann ich mal das Fenster aufmachen hier? Nein, nein, ich könnte

mich hier erkälten, Reiner, lass das mal. Und dann kam er nachher zum Schluss und hat sich dazugesetzt

und hat dann auch noch seine Fragen gestellt und das war köstlich und irgendwann habe ich gemerkt,

der spielt natürlich mit diesen Situationen, der Sausack, um seine Autorität auch dadurch ein

bisschen aufzubauen und im Grunde genommen war der gar nicht so, der hatte eine umgängliche Art und es

war eine Freude mit dem auch irgendwie zu scherzen und zu lachen, wenn dann sozusagen

sich sein ganzes Gebiss zeigte, der hat ja irgendwie einen Lachen gehabt, das war ja ganz

besonder. Viele und große Zähne. Es sind auch nur 32 gewesen, keine 64.

Er konnte vieles, aber das konnte er nicht. Wir hatten einmal Loki Schmidt in Erinnerung geblieben,

ist mir noch, dass sie vor der Sendung sagte, junger Mann, zwei Dinge müssen klar sein.

Erstens, ich brauche Toilette und zweitens, ich brauche Aschenbecher. Das war der Einstieg.

Ja, so war sie. Das ist etwas Loki in diesen Tagen, wenn sie noch da wäre, es wäre zu schön.

Wie war es eigentlich, um auf einen ganz anderen Menschen zu kommen? Wie war es mit Helmut Berger?

Schwierig, heftig, brutal? Ja, es war, glaube ich, ein langer Weg, der Redaktion ihn zu gewinnen.

Daran kann ich mich noch erinnern. Wir haben geackert, es dauerte Monate, Monate ihn zu überzeugen,

aber als er dann da war, war es irgendwie ganz, das ist ja wie so oft bei Torggästen,

die sonst nicht regelmäßig irgendwo hingehen und eher auch verschüchtert und zurückgezogen sind.

Und ja, es war einfach der Wunsch, die Sehnsucht Helmut Berger einfach noch mal zum Reden zu bringen

und über, es ist ja eine besondere Zeit gewesen, ich meine. Ich glaube, das Leben als Schauspieler

und all das, es hat ihn selbst überrascht. Es hat ihn fast selbst überfahren, würde ich sagen.

Uns am Schluss eine gebrochene Figur? Ja, kommt ja schon mal öfter vor am Leben.

Wenn du irgendwie so früh, so jung rausgestellt bist und die Öffentlichkeit irgendwas projiziert,

und du weißt vielleicht selbst gar nicht, ob du das bist, was die Öffentlichkeit da sieht.

Du hast auch mit zwei Figuren aus dem Sport-Sendung gemacht und sie auch näher kennengelernt,

die Idole waren in Deutschland. Der eine ist es bis heute trotz seiner tragischen Lebensgeschichte,

Michael Schumacher, der andere ist eher ein gefallener Held, Jan Ulrich. Wie sind dir die beiden in Erinnerung?

Bei mich ist es bei mir eine echt tiefe Trauer geblieben, weil wir haben uns,

ja, wir waren uns wieder zum Schluss sehr nah und waren eigentlich verabredet miteinander.

Ich musste einst dazu sagen, ich war als junger Typ, als ich nach Köln kam, war ich auf den Kerpen

und bin da auf der Kartbahn des Vaters ein paar Mal gefahren und kam ich noch an den Kartoffelsalat

und die Bockwurst von Mutterländern. Und Michael war immer in der Garage und schraubte an irgendwelchen Gokarts rum.

Der schraubte und schraubte und Ralf war noch ganz klein. Ralf fuhr immer vorweg und wartet in der Kurve auf uns

und zeigte uns an sozusagen den kleinen Stinkgefingern nach dem Motto, edge, edge, ihr kriegt mich nie,

ihr kriegt mich nie, weil das natürlich auch schon gut konnte. Wir sind ja nur hingefahren,

um ein bisschen Spaß zu haben und irgendwann habe ich über die Familie Schumacher einen Film gemacht

für den WDR. Ja, und darüber und über andere Dinge haben Michael und ich irgendwo

in den ein, zwei Jahren vor seinem Unfall geredet und uns versprochen, dass wir uns jetzt regelmäßiger

sehen und dann passierte dieser blöde Skiunfall und irgendwie, ja, lässt einen das dann mit doch

tiefer Trauer zurück, dass der so viel gewagt hat,

so viel als Sportler erreicht hat, dass das Leben danach ihm nicht gegeben ist. So, das ist irgendwie traurig.

Jan Ulrich, wie hast du den in Erinnerung? Oh, was für ein großes Talent auf dem Rad,

was für ein Talent, mein Gott. Ein guter Freund von mir hat ein Kollege ja,

Bying, Jan Ulrich, jetzt nochmal eine mehrteilige Serie über Jan Ulrich gemacht und

es ist so schade, dass Jan das irgendwie nicht hingekriegt hat, da vernünftig rauszukommen

aus dieser Situation, aber es bleibt immer wieder spannend, das zu sehen, wenn man sich das anguckt,

was er sich damit Armstrong gegeben hat, wenn man dahinein guckt in die Tour de France, also

das bleibt unvergessen, aber es war halt eine Zeit, wo die alle dermaßen gedobt

waren, was da gelaufen ist. Mein Gott, dass die es überhaupt überlebt haben, dieser Fall.

Du warst ein überaus erfolgreicher Fernsehmann, die eigene Talkshow 15 Jahre zu machen,

kriegt auch nicht jeder hin. Du hast viele, viele Jahre, ich glaube fast 20 Jahre die

Sportschau moderiert, du hast Fußball-Länderspiele gemacht, du warst derjenige, der glaube ich auch

damals 2006 das Viertelfinale der WM Deutschland Argentinien reportiert hat mit dem legendären

Elfmeterschießen. Ja, ja und auch das Finale Italien gegen Frankreich, ja. Du hast viele

Auszeichnungen bekommen, die goldene Kamera und das Bundesverdienstkreuz und, und, und

und irgendwann hat beides aufgehört, irgendwann hattest du die Talkshow nicht mehr und irgendwann

warst du auch kein Sportschau-Moderator mehr. War das jetzt in deiner eigenen Bilanz sozusagen

eine, eine Form von Niederlage, die du erlitten hast oder war es einfach ein, ein, du lachst,

ein, ein, ein selbstverständlicher Gang der Dinge, das irgendwann irgendwas halt auch mal vorbei ist?

Ja, also ich, inzwischen empfinde ich das als Gewinne und als richtigen Schritt. Ich stelle

der vor mit 67 Jahren, ich bin 67, jetzt würde noch am Spielfeld dran stehen und die Millionäre,

die Supermillionäre von heute interviewen. Absurd, würde ich nicht wollen und ich finde,

man muss auch selber beschließen und gucken wann Schluss ist. Ich empfinde das als solchen Gewinn

wieder ins normale Leben zurückgekehrt zu sein. Das ist, ja, es gibt mir Unabhängigkeiten und

Freiheiten, die ich vorher nicht hatte. Das lange öffentliche Leben hat auch einen anstrengenden

Faktor, eine anstrengende Seite und ich empfinde das wirklich als Gewinn, diese Dinge tun zu können,

was das Musikmachen betrifft, was das Schreiben des Buches angeht. Das wäre alles nicht entstanden,

Wolfgang, wäre alles nicht möglich gewesen. Ich wollte gerade sagen, mit der Musik hast du ja

für dich auch eine wunderbare Alternative gefunden, dich noch mal komplett neu zu erfinden und

eine neue auszuleben mit eigener Band, mit dem Einspielen von CD's, mit Live auftreten?

Ja, wenn einem dann irgendwie auch noch so was gelingt, wie mit vier Brüdern, womit ich ja gar

nicht gerechnet hatte, dass das so eine Reaktion da geben würde, dass so viele Familien und Leute

sich in dieser Geschichte wieder finden, tut das natürlich gut für uns als Band, aber auch, dass

das Schreiben solcher Stücke dann auch irgendwo die Leute erreicht. Aber noch mal zurück zu

den Grundgedanken und so deiner Frage. Es ist, ich finde, man muss irgendwann mit solchen Dingen

auch abschließen können, zu glauben, immer öffentlich zu sein, immer öffentlich zu bleiben. Das ist

auch irgendwie nicht schön. Ich finde das nicht angenehm, da hinten raus immer noch mit so einer

Alarmleuchte durchs Leben zu laufen, nennen wir es mal so. Und ich habe das als wirklich ein

Gewinn erfahren und als Chance, Dinge tun zu können, die ich eigentlich schon immer etwas

intensiver machen wollte. Also, nehmen wir das Buch, das Thema war immer da, ich habe mich nicht

rangetraut. Jetzt hat sich die Frage nicht nur gestellt, sondern ich habe es einfach gemacht.

So, und das andere ist, was die Musik angeht, immer schon nicht nur Sehnsucht gewesen, ich habe

immer Musik gemacht, natürlich nicht in der Intensität wie heute. Wenn du auf der Bühne

stehst und dein Programm spielst, dann müssen die Leute auch erwarten, dass du es gut machst.

Also, ich habe jetzt die Freiheit, jeden Tag zu spielen. Ich muss es auch, muss jeden Tag meine

zwei, drei Stunden spielen und mich mit der Musik beschäftigen. Und das ist ein Zugewind. Ich sitze

zwar jetzt hier, wenn wir reden, hier in unserer Fernsehproduktion, wo ich jetzt auch ein bisschen

mehr als einen Tag in der Woche wieder bin. Wir produzieren ja seit vielen Jahren Inas Nacht und

viele andere Formate, Olli Dittrich und auch die Sendung Konfrontation mit Markus Feldenkirchen,

Jesse Wellmer ist hier, Bettina Tietjen mit ihrer Camping-Serie oder auch unsere Doku-Abteilung.

Das ist immer noch eine große Freude auf diese Art und Weise hinter den Kulissen, sich um Fernsehen,

um das Handwerk auch zu kümmern. Und ich vermisse das vor der Kamera überhaupt nicht.

Wir leben nun in außerordentlich schwierigen und komplizierten Zeiten. Ironischerweise hast du

dieses Buch über den Krieg und was dieser Krieg mit deiner Familie und deinen Onken gemacht hat,

geschrieben in einer Zeit, in der in Europa wieder ein Krieg ausgebrochen ist, nämlich der in der

Ukraine, der russische Angriffskrieg, würdest du sagen auch angesichts dessen, was aktuell in

Deutschland passiert. Also heute habe ich beispielsweise die Meldung gesehen, jeder vierte Bundesbürger,

jede vierte Bundesbürgerin, ist der Meinung, dass die Regierung das Volk betrügt. Das ist

ja eine absolut dramatische Kernaussage. Siehst du, unsere Art zu leben oder ganz pathetisch

formuliert, siehst du unsere Demokratie ein Stück weit in Gefahr?

Naja, erst mal Fernab vom Ukraine kriegt. Der wirtschaftliche Druck, den jeder erfährt,

der finanzielle Druck ist so gegenwärtig wie lange lange nicht mehr. Und das verändert natürlich.

Menschen, das verändert auch den Blick auf die Regierung, wie sie sich verhält. Die Frage

kriegen die das da eigentlich richtig hin, managen die das richtig. Was jetzt, geben wir mal weit zurück

jetzt in den letzten Tagen, letzten Wochen. Die Regierung ist zerzaust in die Sommerpause

gegangen und kam noch zerzaust da wieder raus und fragst sich, Mensch, müsste denn jeden Konflikt

auf offener Bühne austragen. Die Leute wollen einfach, dass sie das richtig gut macht,

richtig gut managed. Und ihr sollt nicht jeden Konflikt irgendwie draußen darstellen und fast

als unlösbar verkünden. Da verliert man tatsächlich das Zutrauen und das Vertrauen in die Leute,

die das da oben machen. Das ist der eine Punkt. Und wenn dann so eine Formulierung kommt, so AfD,

ja, das ist die schlechte Launapartei, wie Olaf Scholz das formuliert hat, das verstärkt den

Frusterer, die möglicherweise dieser Regierung auch mit so einer Stimme mal so ein Denkzettel

geben wollen. Es gibt ja nun auch ein paar kluge Leute, die diese 22 Prozent, die angeblich

bereit wären, die AfD zu wählen, auch analysiert haben. Es gibt einen völkischen Anteil, es gibt

einen radikalen Anteil. Der radikale Anteil wächst leider, aber es gibt natürlich diesen Denkzettel

Anteil. Und wenn man ins Ruhrgebiet guckt, da muss gerade die SPD sich fragen. Es gab über Generation

immer die SPD-Wähler. Über Generation. Es gab gar keine andere Frage. Da wurde immer das Kreuz bei

der SPD gemacht. Und die sind weg und die wählen AfD plötzlich. Und das ist eine Entwicklung,

die man nicht irgendwie auf die leichte Schulter nehmen kann. Und das ist das, was ich so ein

bisschen sehe, dass man diese Entwicklung nicht richtig ernst nimmt an Berlin.

Okay, aber wenn ich Reinhold einen kleinen Einwand machen darf, also bei aller berechtigten Kritik

am Zustand der Ampelkoalition. Man kann übrigens die Union mit einschließen, die als Opposition

jetzt auch nicht die allerbeste Figur macht. Egal. Jeder muss sich doch die ganz einfache

Fragen stellen, ob er es auch für sich verantworten kann, seinen Kreuz bei einer Partei zu machen,

die diese Demokratie ablehnt und diese Demokratie verachtet.

Würde ich dir nicht viel sprechen. Ich rede ja nur über den Phänomen, dass 22 Prozent angeblich

bereit wären, dieses zu tun. Da muss man drüber diskutieren, muss man drüber reden.

Und es ist ja so, dass das andere kann ich nur unterstreichen. Es ist immer wieder der

gleiche Trick, also wie die AfD sich sozusagen in die Öffentlichkeit hinein begibt durch billige

Provokation. Sie nutzt die Freiheit der Demokratie, um diese am Ende abzuschaffen. Der Trick ist

immer wieder der gleiche. Ich kann mich noch erinnern an diesen Satz von Gauland. Das war

berechnend gesagt damals. Er ist doch alles nur ein Vogelschiss gewesen, das sogenannte

tausendjährige Reich. Meine Mutter und ich, da lebte meine Mutter noch und haben gesagt,

komm, lass uns das mal versuchen. Lass das mal machen. Mal sehen, was passiert. Dann haben

wir Gauland verklagt. Der hatte diese Rede gehalten bei der Jugendorganisation der AfD

in Meining in Thüringen. Da mussten wir dann dort auch die Klage einreichen und dann hat es ein halbes

Jahr gedauert, bis die Staatsanwältin uns eine Antwort schickte und unsere Klage abwies.

Weil sie sagte, ja, das sei der Meinungsfreiheit doch geschuldet und er habe sich danach ja

von distanziert. Und das ist immer der Trick, ja, erstes rauszuhauen, sich danach, ach,

ich habe es ja gar nicht so gemeint. Wir haben damals nicht Paragraph Volksverhetzung geklagt,

sondern haben uns Hilfe geholt von Bernard Dockl, das ist ein Menschenrechtsanwalt,

Freund von mir, der damals Bremen glaubt. Genau, der hat Murat Konatz damals aus Quantanamo

geholt und der hat gesagt, lass uns lieber Paragraph 189 machen vor Unglimpfung des

Andenkenstverstorbener, weil es ist eure Familiengeschichte mit den vier Brüdern deiner Mutter,

die nicht zurückgekommen sind. Dann haben Mutter und ich das gemacht und uns war klar,

dass wir damit sehr wahrscheinlich nicht durchkommen, aber dass wir es getan haben,

einfach, das war uns wichtig, das war, war mal ein bisschen stolz darauf, dass wir es einfach

getan haben. Aber wir haben natürlich auch wieder gemerkt, wie das alles abläuft.

Also es gibt nach meiner Beobachtung zumindest, also was die AfD angeht, was die ganze Querdenker-Szene

angeht, was die Verschwörungsschwurble angeht, es gibt einen Riss, der zum Teil in die Familien

reingeht und einen Riss, der in Freundschaften reingeht. So, jetzt sind wir bei einer Geschichte,

die dir passiert ist vor ein paar Jahren. Matthias Matusek, war mal ein renommierter Spiegeljournalist,

ist vorsichtig formuliert, sehr nach rechts außen abgebogen. Du warst, weil mit ihm befreundet,

auf irgendeiner Geburtstagsfeier von ihm und hast Gitarre gespielt.

Ne, ich war nicht allein, es war ja so fast eine Spiegelredaktionssitzung, von der Zeit waren

auch einige da vom Stern, es war journalistisch, war das alles gut vertreten. Es waren diejenigen,

die alle glaubten, vielleicht ist der Kerl ja noch zurückzuholen. Also, hast du es auch geglaubt?

Ja, das doch ein bisschen habe ich auch geglaubt, aber von dem Tag an war alles klar, hoffnungslos.

Hoffnungslos. Ich war nach 50 Minuten raus aus der Tür, weil ich merkte am Publikum jetzt weg hier.

Ich war 50 Minuten auf dieser Fete. Ja, aber das ist ja nicht kein Einzelfall.

Harald Schmidt ist in die Kritik gekommen, weil er sich bei einer Veranstaltung hat,

er hat sich auch sehr verlaufen. Auf einer komischen Fetel da, ja.

Mit Mathe-Selck und... Ja, noch Glas Wein in der Hand gab, Mensch.

Mit dem anderen, der auch. Hat sie jetzt auch gerechtfertigt? Früher hat er gesagt,

rechtfertigen ist, würde ich nie tun, jetzt habe ich in der Zeit was gelesen,

mit Harald. Was hast du da gemacht? Was wolltest du nennen da?

Nein, also ich muss, wenn ich persönlich werden darf, also Gott sei Dank war ich nie in der Situation,

mich sozusagen entscheiden zu müssen, ob ich eine Freundschaft beibehalte oder sie beende wegen

so einer AfD-Geschichte. Ist dir das, abgesehen von Mathe-Selck in anderen Fällen, schon mal passiert?

Nee, nee, aber ich kenne Fälle im Freundeskreis bei anderen, ja.

Und was machen wir damit? Muss man sich entscheiden, muss man sagen, aus vorbei. Tschüss.

Enne und ihre Brüder, das ist dieses Buch, das du jetzt veröffentlicht hast. Hast du für dich

dann die Konsequenz draus gezogen, dass es ein neues Buchprojekt geben wird? Mit welchem Inhalt

auch immer? Oder weißt du es noch nicht? Auch witzigerweise hat der Verlag vorhin angerufen

und er gesagt, nach dem Buch ist vor dem nächsten Buch. Ich dachte, das klingt halt ein Trainer-Weißheiten,

das sagen die im Fußball auch immer. Also ich überlege mir das jetzt mal. Welches Thema?

Ja, da gibt es zwei, drei Ideen, aber erst mal will ich im nächsten Jahr eine neue Platte machen

und da habe ich jetzt ein paar Sachen geschrieben und Musik machen im nächsten Jahr.

Ist wichtig und erst mal gehe ich jetzt auf Lesetour bis Ende des Jahres und das ist für

mich auch ein neues Feld, eine neue Erfahrung. Bin da ein bisschen angesteckt von Elke Haydenreich,

die vom Beginn eine große Unterstützung dieses Projekts war und mich immer angefeuert hat und

das Buch auch liebt und wir haben bei der Lit Colony zusammen gelesen und auch zusammen gesungen,

sodass ich da jetzt doch ein bisschen angesteckt bin. Das ist ja auch ein neues Umfeld für mich,

ein neues Szene und ich überlege mir das jetzt. Ich danke dir für das Gespräch und ich wünsche dir

alles Gute. Danke, danke. Heimspiel. Apokalypse und Filtercafé ist eine Studio-Bummens-Produktion mit

freundlicher Unterstützung der Florida Entertainment. Redaktion Wolfgang Heim,

Executive Producer Tobias Baukage, Produktion Hannah Marahil, Ton und Schnitt Christian Pfeiffer.

Halt, halt, halt, halt, halt. Fast hätte ich es vergessen. Ihr liebt Apokalypse und Filtercafé.

Ihr wollt das Ganze mal live erleben, dieses herrliche Zusammenspiel von mir,

Loffy und unseren tollen Gästen, die ihr auch bereits aus unserem Podcast kennt. Dann habt ihr

jetzt die Gelegenheit, euch Tickets zu sichern für Städte wie München, Stuttgart, Frankfurt am

Main, Dortmund, Bremen, Berlin, Dresden, Hannover, Köln, im Oktober und November ist es so weit.

Apokalypse und Filtercafé live mit mir, Loffy und ganz vielen fantastischen Gästen. Wir freuen

uns auf euch. Wir wissen noch nicht, was passiert, aber es wird fantastisch. Informiert euch doch einfach

bei Contrapromotion oder bei Eventim, da gibt es die Tickets. Also wir sehen uns auf der Bühne

und im Saal. Bis dann.

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Reinhold Beckmann ist deutscher Fernsehmoderator, Fußballkommentator, TV-Journalist und Musiker. Nun hat er ein Buch veröffentlicht, in dem er sich einem ganz anderen Thema widmet - der bewegten Lebensgeschichte seiner Mutter Aenne. In “Aenne und ihre Brüder” geht es um das von Verlusten gezeichnete Leben Reinhold Beckmanns Mutter, die vier Brüder hatte, welche alle im Krieg gefallen sind. Anders als viele andere ihrer Generation hat Aenne hat ihre Erlebnisse und Erinnerungen nie für sich behalten und immer offen über ihre Familie gesprochen.

Im Gespräch mit Wolfgang reflektiert Reinhold Beckmann außerdem noch seine Zeit bei der Sportschau, welche Rolle der Fußball noch in seinem Leben spielt und wie er die aktuelle politische Lage im Land einschätzt.

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