NZZ Akzent: Explosion in Gaza: Bisan (25) erzählt

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/19/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Ein ZZ-Aktzent.

Wer ist denn das?

Das ist Pisan Ulda. Sie ist eine 25-jährige Filmemacherin aus Gaza.

Die Leute, die zu Hause verabschieden sind, werden jetzt nicht verabschieden.

Wir reden über Kamericklans.

Ich habe mich in diesem Instagram-Video vor einem Spital am Wochenende und erzählt,

viele Spitäler hätten gerade die Aufforderungen erhalten, die Patienten und sich selbst zu evakuieren.

Sie sagt, die Spitäler da, wo aktuell die Menschen Schutz suchen vor den Bombadierungen,

das sind viele Menschen, Zivilisten, alte Menschen, Babys, Mütter.

Sie scheint sehr aufgeregt zu sein.

Ja, sehr. Sie ist sehr emotional, aufgebracht, zählt mehrere Spitäler darauf,

die die Aufforderungen erhalten haben zur Evakuation.

Und sie wiederholt am Schluss nochmals.

Spitäler sind derzeit einzige Ort, wo die Menschen hoffen, in Sicherheit zu sein.

Und jetzt wurde ein Spital von einer Rakete getroffen in Gaza stammt.

Mehrere Hundert Menschen sollen laut Hamasangaben dabei ums Leben gekommen sein.

Wie Bizan Uda die vergangenen Tage in Gaza erlebt hat,

das erzählt Ausland-Redaktorin Karin A. Wenger.

Ich bin David Vogel.

Karin, stelle uns doch mal Bizan Uda an.

Was heißt das, eine Filmemacherin aus Gaza?

Sie ist eine junge Frau, die seit mehreren Jahren Videos produziert,

für Social Media, Instagram vor allem.

Sie hat mit der UNO schon zusammengearbeitet, mit der EU,

hat Videos produziert, zu Frauenrechten, Klimawandel.

Sie versucht vor allem auch Einblick zu geben in das Leben,

im Gassastreifen, in das Leben von den jungen Menschen dort.

Sie setzt sich immer wieder ein für das Leben von Frauen auch.

Und für mich als Journalistin ist es sehr interessant,

das zu sehen und aktuell auch sehr wichtig,

weil internationale Journalistinnen und Journalisten

können seit dem 17. Oktober nicht mehr nach Gaza reisen.

Das heißt, die Informationslage ist schwierig

und Stimmen wie diese von Bizan sind für mich als Journalistin deshalb sehr wertvoll.

Und sie macht das schon länger?

Ja, genau, sie macht das seit mehreren Jahren.

Und sie gehört auch zu den privilegierten Innerhalb des Gassastreifen.

Sie kann nämlich ausreisen.

Kürzlich war sie in Beirut.

Vor zwei Wochen noch postete sie ein Video,

wie sie im Flugzeug sitzt, von ihrem Sandwich im Flugzeug,

wie sie die Füße ins Meer hält in der Libanesischen Hauptstadt in Beirut.

Sie war da eingeladen zu einer Konferenz.

Sie kennt ein bisschen die Welt in Gaza, sie kennt aber auch die Welt draußen.

Kehrt sie noch zurück nach Gaza vor der ganzen Eskalation?

Sie kehrt wenige Tage nur vor dem großen Angriff auf Israel zurück,

nach Hause in den Gassastreifen.

Am 7. Oktober töteten die Hamas-Terroristen 1300 Israeli

und Angehörige von anderen Nationalitäten

und sie verschleppten etwa 200 Menschen in den Gassastreifen.

Wir wissen ja, wie es weiterging.

An diesem Samstag und den darauf folgenden Tagen

erlangte das israelische Militär wieder die Kohheit über das südliche Grenzgebiet

und die Regierung kündigte danach an, die Hamas komplett auslöschen zu wollen

und das israelische Militär begann mit massiven Luftaungriffen auf den Gassastreifen.

Was heißt das für Bisan, wenn Angriffe kommen?

Sie dokumentiert weiter ihren Alltag auf Instagram

und das ist jetzt ein Alltag unter Beschuss.

Am Montag, also zwei Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel,

bekommt Bisan eine SMS wie tausende andere auch

und darin steht, dass die Bewohner des zentralen Stadtteils in der Stadt Gaza

im Stadtteil Rimal ihre Häuser verlassen sollen.

Und sie lebt auch dort?

Genau, sie wohnt dort.

Man sieht in einem Video, wie sie Sachen zusammenpackt

und wie sie ebenfalls ihr Zuhause verlässt.

Sie steigt in ein Auto und fährt zum Schiefer Krankenhaus,

das ist das größte Krankenhaus in Gaza.

Was ist dann passiert?

Ist dann etwas auch mit ihrem Haus passiert?

Ja, ihr Haus wurde zerstört

und ein paar Tage später filmt sie sich,

wie sie eine zerstörte Straße entlang geht.

Und dann richtet sie das Videobild auf ein Haus,

das halb eingestürzt ist und beginnt zu weinen

und sagt, da sei ihr Büro gewesen,

wo sie die letzten Jahre ihre Videos produziert habe,

wo sie quasi ihr zweites Zuhause.

Sie hat viel investiert, damit sie diese Firma gründen konnte

und sie ist am Boden zerstört.

Jetzt musst du mir mal erklären, sie wird per SMS gewarnt.

Israel greift Häuser an von der Zivilbevölkerung in Gaza.

Wie? Was passiert da genau?

Die Lage im Gasserstreifen ist unfassbar kompliziert

und das System der Hamas ist auch sehr perfide.

Es soll ein riesengroßes Tunnelsystem geben,

das tief im Erdreich unterhalb des Gasserstreifens liegt

und manche Tunnel-Eingänge von der Hamas

gehen auch in Wohnhäuser,

also sie nutzen sie viele Infrastruktur,

auch Moscheen, Schulen.

Und für die israelische Armee ist es sehr schwierig zu unterscheiden

zwischen zivilen und militärischen Zielen.

Okay.

Das ist ein sehr wichtiges Problem.

Manche Tunnel-Eingänge von Hamas

sind für sie vielen und militärischen Zielen.

Also sie bekämpfen einen Gegner,

der sich versteckt hinter den Zivilisten?

Sie bekämpfen einen Gegner, der selbstbewusst in Kauf nimmt,

dass die eigenen Leute getötet werden.

Und das israelische Verteidigungsministerium

hat bekannt gegeben, dass sie bisher etwa 6000 Bomben

über dem Gasserstreifen abgeworfen haben.

Das ist eine sehr hohe Anzahl.

2014 wurden innerhalb von 50 Tagen

etwa endlich viele Bomben lanciert.

Und laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium,

das der Hamas untersteht,

wurden bisher etwa 3000 Palästinenserinnen

und Palästinenser getötet

und ungefähr 10.000 verletzt.

Und wie geht's bis dahin?

Sie ist immer noch vor dem Schifa-Krankenhaus,

wie vermutlich tausende andere ebenfalls,

die dort Zuflucht suchen.

Sie schlafen in den Treppenhäusern im Gang,

im Garten des Spitals.

Zum Teil Kartonstücken.

Auch Bizan zeigt ein Video von dem Kartonstück,

wo sie drauf schläft.

Warum immer diese Spitäler?

Was treibt sie dort an, genau dorthin zu gehen?

Spitäler dürfen laut dem Völkerrecht nicht bombardiert werden.

Und auch wenn in diversen Kriegen und auch im Gasastreifen

Spitäler schon attackiert wurden,

erhoffen sich die Menschen trotzdem,

dass sie dort ein Stück weit Sicherheit finden.

Und deswegen sammeln sich so viele Menschen dort an in den Spitälern.

Wie geht's dann weiter?

Am Freitag, der 13. Oktober,

erhält Bizan und 1,1 Millionen Menschen

im nördlichen Teil des Gasastreifens

die Herausforderung von Israel,

das Gebiet Richtung Süden zu verlassen.

Und hunderttausende Folgen diesem Aufruf,

aber relativ viele bleiben auch im Norden.

Es ist schwierig abzuschätzen,

wahrscheinlich etwa die Hälfte bleibt.

Bizan auch?

Ja, Bizan bleibt auch.

Sie und viele anderen fürchten sich,

dass wenn sie jetzt in den Süden gehen,

nie mehr zurückkehren können.

Andere haben schlicht die Mittel nicht umzugehen,

weil sie arm sind, kein Geld haben,

sie haben für das Auto, sind etwa 20 Kilometer zu Fuß,

ist es extrem weit für z.B. alte Menschen oder Verletzte.

Aber du sagst, Bizan will nicht, sie könnte schon?

Nein, sehr viele wollen nicht gehen.

Dazu muss man wissen, bei den Palästinensern

sitzt das Trauma der Vertreibung extrem tief.

Ich habe mit mehreren Menschen im Gasastreifen gesprochen,

die sagen, es erinnere sie sehr stark an die Situation von 1948

bei der Staatsgründung, als sie vertrieben wurden

aus ihren Häusern oder ihre Großeltern vertrieben wurden

aus den Häusern.

Und sie haben extrem Angst,

dass das jetzt wieder passiert im Gasastreifen.

Und auch die meisten Spitaler weigern sich,

die Patienten zu evakuieren.

Schlichtwas logistisch nicht möglich sei, sagen die Ärzte.

Es ist zu gefährlich, Patienten werden beatmet,

Babys liegen in Brutkästen.

Es geht schlicht nicht, das zu evakuieren.

Was sollen sie denn hin?

Wie viele Spitaler gibt es denn überhaupt?

Ich weiß es genau nicht, aber es sind mehrere.

Ich habe mal die Zahl zwölf gelesen.

Es kann auch sein, dass es im ganzen Gasastreifen ...

Es sind ja auch zwei Millionen Menschen, die da wohnen.

Israel hat eine Blockade verhängt.

Das heißt, es kommt kein Wasser, Strom, Treibstoff, Essen.

Nichts mehr kommt rein.

Und die humanitären Organisationen schlagen Alarm.

Bald geht der Strom aus.

Der Treibstoff für die Stromgeneratoren geht ebenfalls aus.

Sobald der Strom weg ist und die Stromgeneratoren ebenfalls nicht funktionieren,

ist das natürlich verheerend für die Spitaler.

Die Trinkwasser-Situation ist aktuell auch sehr prekär.

Okay, das ist ja alles, wie wir es wissen.

Es ist ja alles, bevor dieses Spital getroffen wurde,

am Dienstagabend.

Wie geht es in diesen Tagen davor bis hin?

Bis hin postet Videos und sie zeigt, wie sie wartet.

Die Situation ist überhaupt nicht einfach.

Es ist sehr viel Ungewissheit.

Israel hat gedroht, mit einer Bodenoffensive einzumarschieren.

Niemand weiß genau, wann die startet, ob die startet.

Und es ist einfach ein Warten in Ungewissheit.

Und am Dienstag tagsüber postet sie ein Video, in dem sie sagt,

wir wissen nicht, ob wir überleben,

wir wissen nicht, ob wir in unsere Häuser zurück können.

Wir wissen nicht, wie lange das alles andauert.

Wir wissen eigentlich gar nichts, wir warten hier einfach.

Man spürt schon eine gewisse Erdringlichkeit in diesem Aufruf,

den sie da macht.

Die Ungewissheit muss sehr schwer zu ertragen sein, ja.

Das ist der gleiche Tag, wo dann die Rakete einschlägt.

Genau, sie postet das am Dienstag tagsüber.

Und am Dienstagabend schlägt eine Rakete in ein Spital,

ein paar Kilometer weiter weg vom Schiffa-Spital,

wo Bisan ist.

Die Explosion passierte beim Ali-Arab-Spital auch in Gaza-Stadt.

Und dort haben auch Menschen Zuflucht gesucht?

Ja, aktuell ist sehr viel unklar.

Wir nehmen diese Podcast-Folge am frühen Mittwoch-Nachmittag auf.

Vieles bedeutet darauf hin, dass dort Menschen Zuflucht gesucht haben.

Vieles kann noch nicht verifiziert werden,

aber die palästinensische Gesundheitsbehörde spricht von mehreren Hundert Toten.

Und die Rakete?

Auch das kann ich aktuell nicht beantworten.

Die Hamas sagte sofort, es sei eine israelische Rakete gewesen,

die das Spital getroffen haben.

Und das israelische Militär sagt, sie hätten Beweise dafür,

dass es eine Rakete gewesen sei, die abgestürzt ist vom islamischen Jihad.

Das ist eine radikale palästinense Gruppe, die mit der Hamas kooperiert.

Okay.

Was macht Bisan jetzt? Also sie lebt noch?

Ja, Bisan ist nicht das gleiche Spital, was bombardiert wurde.

Bisan ist beim Schiffer-Spital und das Spital der Explosion

ist das Ali-Arab-Hospital.

Okay. Und was macht sie?

Sie geht dahin, nimmt ein Video auf und ist völlig aufgelöst

über die Zerstörung und die Anzahl Toten.

Wir hören es ja auch. Also schüttelt sie durch.

Ja.

Für sie ist völlig klar, dass es Israel war.

Wie ganz viele Menschen in der arabischen Welt vermutlich alle in der arabischen Welt.

Es gab sofort Reaktionen in Istanbul und in Jordanien

wurde die israelische Botschaft von Demonstranten attackiert.

In Beirut zogen Autokollonen in Richtung der amerikanischen Botschaft.

Und auch politisch hat es sofort Auswirkungen gehabt.

Am Dienstagabend schon hat der Präsident der palästinensischen Autonomie behörte Abbas

einen Treffen mit beiden abgesagt.

Und auch der Jordanische König, eigentlich eher ein Verbündeter des Westens

und eher näher an Israel, hat einen Treffen mit beiden abgesagt.

Also die Leute sind wütend?

Die Leute sind unfassbar wütend im arabischen Raum.

Und was heißt das politisch und auch für den Konflikt, für diesen Krieg?

Was es für den Krieg bedeutet,

kann nicht stand aktuell Mittwoch-Nachmittag nicht sagen.

Das wären Spekulationen.

In den Ideen hat es aber etwas verschoben.

Als der Krieg ausgebrochen ist, gab es viel weniger Proteste.

Es gab viel weniger diese krasse Solidaritätswelle, die es jetzt gerade gibt.

Unter den arabischen Staaten?

Unter den arabischen Staaten, genau.

Ich glaube, die arabische Welt war selten in der letzten Zeit so vereint

hinter den Palästinensern jetzt gerade.

Und das wird Auswirkungen haben auf die politische Bühne, auf jeden Fall.

Israel hat den Informationskrieg verloren innerhalb der arabischen Welt,

egal was bei irgendeiner Untersuchung rauskommen wird.

Ob es jetzt waren oder nicht?

Egal, wer diese Rakete geschickt hat,

die Meinungen sind gemacht im arabischen Raum, dass es Israel war.

Und die Annäherungen, die stattgefunden haben zwischen Israel und arabischen Ländern,

werden politisch in der nächsten Zeit nicht mehr weitergeführt werden können, glaube ich.

Liebe Karten, vielen Dank.

Danke.

Das war unser Akzent.

Produzent dieser Folge ist Sebastian Panholzer.

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Ich bin David Vogel, bis bald.

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«Die Spitäler sind der letzte sichere Ort in Gaza», sagt eine junge Filmemacherin in ihrem Selfie-Video. Wenige Stunden später schlägt die Rakete ein. In Instagram-Posts berichtet Bisan Owda vom Alltag in Gaza. Im Podcast erzählt Auslandredaktorin Karin A. Wenger, wie die Vloggerin die schwierige humanitäre Lage und insbesondere die letzten Stunden erlebt hat.

Host: David Vogel

Produzent: Sebastian Panholzer

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/rakete-toetet-hunderte-in-einem-spital-in-gaza-ld.1761278

https://www.nzz.ch/international/angriff-auf-spital-in-gaza-in-der-arabischen-welt-kocht-der-volkszorn-ld.1761325

https://www.nzz.ch/international/israel-was-wir-ueber-die-explosion-im-spital-in-gaza-wissen-ld.1761345

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