NZZ Akzent: Eine Überlebende des Hamas-Massakers

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/25/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Hello Katarina.

Hallo Marlen.

Du bist ja als Reporterin der NCZ kurzfristig nach Israel gereist, aber jetzt bereits fast

schon wieder auf dem Weg zurück.

Ja, genau.

Ich bin im Flughafen Ben-Gurion in Tel Aviv und warte hier nach einer längeren Sicherheitskontrolle.

Wir müssen alle angehörten vier Stunden vor dem Abflug hier zu sein.

Vielleicht hört man im Hintergrund manchmal Geräusche.

Sag mal, wie geht es dir denn nach diesen zehn Tagen in Israel in einem Land, dass wahrscheinlich

im Schock Zustand ist?

Ja, es waren intensive Tage.

Ich bin schon ein bisschen erschöpft.

Es ist hier wirklich in dem Sinne intensiv, dass viele Leute oder mehr, als ich so gewohnt

bin, mit mir als Reporterin sprechen wollen.

Ich habe viele Geschichten gehört, die mich auch selber bewegt haben und bin dabei immer

wieder auch zurückgekehrt in Gedanken zu meinen Gesprächen mit einer Frau aus Beere.

Ihr Name ist Michal Weiß.

Sie hat ihre Eltern beim Angriff verloren.

Sie hat auch viele Freunde verloren, Nachbarn.

Und ist schwer traumatisiert, aber auch wütend.

Wütend auch auf die israelische Regierung.

Die Überlebenden des Hamas Massackers im Kibbutz-Beeri sind jetzt zwar in Sicherheit, doch sie haben

Fragen.

Erzählt Sonderkorrespondentin Katharina Bracher, die mit der Überlebenden Michal gesprochen

hat.

Ich bin Marlene Uller.

Katharina, wie treffst du denn diese Überlebenden?

Ich treffe sie in einer Hotel-Lobby in Israel.

Eine riesige Lobby, also so riesig wie eine Kathedrale, es ist sehr laut, es ist voller

Leute, also Kinder auf ihren Dreirädern, Hunde, die ohne Leine herumrennen und ältere

Leute, die vor sich hinstauen.

Jugendliche am Smartphone.

Wo ist das gedacht?

Also ich darf nicht sagen, wie der Ort genau heißt oder wie das Hotel heißt, außer

dass es am Toten Meer liegt.

Der Grund ist, dass es sich bei diesen Menschen in der Hotel-Lobby überlebende des Massackers

handelt.

Also bis jetzt dort, wo diese Überlebenden in Sicherheit sind, kannst du denn mit den

Überlebenden sprechen?

Wollen die mit ihr sprechen?

Natürlich nicht alle, aber es gibt einige, die wollen unbedingt mit Medien sprechen.

Und dazu gehört zum Beispiel Michal, sie will eigentlich immer und immer wieder darüber

reden, das sagt sie selber, sie sagt, ich könnte mich auch verkriechen, bis der Schlaf

mich erlöst, aber ich will jetzt darüber sprechen und ich will, dass die ganze Welt

weiß, was uns passiert ist.

In diesem Kibbutz-Beeri, der einst über 1000 Einwohner zählte und von dem 200 fehlen

jetzt, die einen wurden verschleppt, die anderen sind tot.

Beeri, was ist das für ein Ort?

Beeri ist ein sogenannter Kibbutz und diese Kibbutz-Zim gibt es schon seit vor der Staatsgründung

von Israel.

Es sind landwirtschaftliche Siedlungen, die sozialistisch-basisdemokratisch organisiert

sind.

Die Idee ist, dass alle für die Gemeinschaft arbeiten und sich das Einkommen teilen und

auch gemeinschaftlich leben.

Und Beeri im Speziellen wurde gegründet, in einer Initiative die Nähefüste zu besiedeln,

also jüdisch zu besiedeln und zu begrünen und Beeri wurde sehr nahe an Gas, also zwei

Kilometer Distanz zur Grenze befindet er sich und ist deswegen auch ziemlich exponiert.

Also es ist gefährlich da zu leben, diese Nähe zu Gasern.

Ja, es gibt immer wieder Luftalarm dort, die Raketen aus dem Gasastreifen fliegen, dann

haben die Bewohner von Beeri 15 Sekunden Zeit sich in ihren Schutzraum, in den Mamat zu

begeben, der Mamat ist in jedem Haus da, um Sicherheit zu geben und gehört auch zum

Leben dazu im Kibbutz.

Es gehört also auch zu Michaels Leben, sie kommt ja aus diesem Kibbutz.

Ja, genau, und davon erzählt sie mir jetzt im Garten von diesem Hotel am Toten Meer.

Ich bin in der Kibbutz gegründet, das ist mein Haus.

Michael ist vor 44 Jahren in Beeri geboren, ist Lehrerin im Kibbutz, er arbeitet dort

an der Schule und Michael kennt nichts anderes, das ist ihre Heimat, sagt sie auch selbst,

sie hat nie darüber nachgedacht, wegzuziehen, klar, da war die Nähe zu einer Masse und

auch die Gefahr von Raketen, aber die hilft sie eigentlich für überschaubar diese Gefahr.

Ich war nie von den Bommen oder den Raketen gefeiert, es ist ein bisschen unkomfortabel,

okay, ist es okay.

Doch dann am 7. Oktober gibt es wieder Alarm, Michael sagt aber, ich habe gemerkt, dass

irgendetwas nicht gut ist, es ist halb sieben Uhr morgens, es ist nicht die übliche Zeit

eigentlich für Raketenangriffe, sie holt ihre Kinder, die noch geschlafen haben und sie rennt

noch barfußig mit dem Pijama in diesem Schutzraum, alles was sie dabei hat ist ihr Handy und ein

Ladekabel und sie schreibt in die WhatsAppgruppe ihrer Familie und es geht es gut.

Also die ganze Familie lebt in diesem Kibbutz in Beere.

Genau, es gibt verschiedene WhatsAppgruppen, die Familie hat eine und in der Regel schreibt

Michaels Mutter darin und fragt nach, wie es jedem geht, das macht sie auch jetzt.

Eine Stunde später schreibt die Mutter, wir hören arabische Stimmen

draußen und dann ist eigentlich klar, dass Eindringlinge im Kibbutz sind und die sagt

dann irgendwann, sie haben deinen Vater erschossen.

Michael versteht das nicht sofort, weil sie denkt, warum hat der Vater den Schutzraum

verlassen, sie versucht die Mutter wieder zu erreichen und die Mutter ist nicht online

und sie checkt andere Chats von anderen Bewohnern und die fragen sich alle, wo ist die Armee,

wo ist die Armee, warum hilft uns keiner.

Und diese Frage ist auch im Rückblick verständlich, denn bei diesem Angriff wurde ein Fünftel der

Bevölkerung von Bejährigen tötet oder entführt und auch der Kibbutz wurde dem Erdboot gleich gemacht

von der Hamas.

Okay.

Und was ist mit Michael in der Zeit, bis die Armee kommt?

Also sie hat mit Mann und Kindern aus in diesem Schutzraum, 16 Stunden.

Sie hat erzählt, dass sie in der Eide kein Wasser oder Essen mitgenommen haben.

Sie bleiben also dort und versuchen einfach mit der Außenwelt über WhatsApp in Kontakt

zu bleiben und dann werden sie nach 16 Stunden befreit von der Armee.

Von dort werden sie direkt in einen Bus gebracht, ans Tote Meer.

Michael hat mir gesagt, sie hat nicht mal gewusst, wohin der fährt, sie sind einfach

eingestiegen im Schock.

Sie erfährt auch erst im Hotel, was wirklich passiert ist.

So Stunden später, dass die Eltern getötet wurden, hört sie von ihrem Bruder, der beim

Sicherheitsdienst arbeitet und der ist auch da im Hotel.

Genau, der wurde dann auch evakuiert.

Sie erfährt dann, dass die legendäre Armee, der sie so sehr vertraut hat für ihren Schutz,

für den Schutz ihrer Familie, Stunden lang brauchte, um überhaupt zu reagieren.

Wie wirkt Michael denn auf dich, wenn sie dir das alles erzählt, dieses schrecklichen

Erlebnis?

Das ist bemerkenswert, weil Michael wirklich gefasst und ruhig wirkt, entschlossen fast.

Entschlossen jetzt diese Geschichte zu erzählen, dass das wichtig ist, aber zwischendurch merkt

man, dass sie sehr schreckhaft ist.

Wir sitzen ja im Garten und jedes Mal im Gespräch, wenn jemand hinter ihr durchläuft oder laut

spricht, dann zuckt sie zusammen.

Irgendwann biete ich ja dann an, dass ich mit dem Rücken zur Tür sitze, damit sie sieht,

wer aus dem Hotel kommt, wenn ich jedes Mal zusammenzuck.

Also quasi unter der gefassten Oberfläche von Michael, da versteckt sich ein riesiges

Traum.

Ja, davon muss man ausgehen.

Michael hat gerade ihre beiden Eltern verloren und der Vater wurde durch die Türe des Schutzraums

hindurch erschossen von den Terroristen.

Dieser Schutzraum war ja also der Imbegriff, der Sicherheitsgefühl.

Also das ist etwas, was Michael wahrscheinlich jetzt sehr stark noch beschäftigt.

Ich gehe in diesem Hotel am Totenmeer, kann Michael da etwas durchatmen oder Momente

der Ruhe finden oder ist sie noch ganz im Schock gefangen, wie ihr lebt so das?

Also für mich hat sie gewirkt, dass wäre sie noch ganz in diesem Schock gefangen, noch

daran zu realisieren, was passiert ist.

Sie hat sich auch immer wieder selbst vergewissert, indem sie es erzählt hat, was da passiert

ist.

Aber sonst hält sich vor allem beschäftigt.

Sie ist sehr engagiert, jeder kennt sie ja in der Gemeinschaft, sie packt mit an, ist

am Organisieren, sie hat eben auch zahlreiche Interviews, sie hat eine sehr aktive Rolle

in dieser Gemeinschaft, das merkt man.

Also es kommen auch immer wieder Leute, sprechen sie an oder umarmen sie und irgendwann kommt

ein blonder Junge mit einem Tennischläger in der Hand auf sie zu und streicht ihr über

die Schulter und sagt Hallo immer.

Der Junge ist ja Sohn und Michael lächelt müde und sagt dann sehr stolz, auch meine

Kinder waren sehr tapfer in diesen 16 Stunden, sie haben sich nicht einmal beklagt, sie

haben geschreckliches erlebt, gesehen und gehört, aber die Kinder waren wirklich ihr

größter Trost.

Trotzdem ist aber spürbar, dieses Leiden, das hat kein Ende, es, dieser Horror geht weiter.

Wie meinst du das?

Also sie wissen jetzt überhaupt nicht, wie es weitergeht, also es wurde ihnen versprochen,

dass staatliche Hilfe kommt, dass eine Soforthilfe kommt, auch ein Plan für den Wiederaufbau

etc. und all das, darauf warten sie jetzt noch und alle Hilfe, die sie jetzt bekommen, das

hat mir Michael so erzählt, alles kommt von freiwilligem.

Also die medizinischen Behandlungen, die Kleider, Hygieneartikel, Spielsachen für die Kinder,

psychologische Unterstützung, sogar der Bus für die Evakuation wurde privat bezahlt,

das Hotel, wo sie über Nacht verrechnet, keinen Schäkel dafür, also es kommt alles noch

vom Privat.

Wo bleibt denn der Staat?

Das ist die große Frage, wo bleibt der Staat, also offenbar und das schreiben israelische

Zeitung, Medien so, die staatliche Hilfe steckt in der Bürokratie fest, man hat zwar relativ

schnell beschlossen, dass man eine Administration, eine Behörde gründet, die genau das machen

soll, soforthilfe, aber die Kritik ist jetzt groß daran, also nicht nur von links wie üblich,

sondern auch von rechts, man merkt einfach, dass die Israelis das Vertrauen in die Regierung

und Netanyahu auch ziemlich verloren haben, das zeigen ja übrigens auch Unfragen, es

sind laut neuesten Unfragen 56%, die eigentlich einen Rücktritt von Netanyahu nach Ende des

Kriegs wollen und drei von vier Israelis sagen auch, dass sie diese Regierung die Hauptverantwortung

geben für dieses Versagen der israelische Armee und die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen

im Süden Israels.

Sind ja die Hauptkritikpunkte?

Also unter anderem wird kritisiert, dass anscheinend unter Druck der religiösen Politiker, vor

allem Truppen in die US Bank verlegt wurden, um dort radikale Siedler zu schützen, das

heißt, dass es einen Abzug ab von Streikräften von Gasastreifen ins Westjordanland.

Die dann eben fehlten, um die Bevölkerung in der Nähe des Gasastreifens auf Israel

schütze?

Genau.

Was heißt denn das politisch?

Also in Israel, egal mit wem man spricht, denken die Leute, dass Netanyahu das politisch

nicht überleben wird und dass es da zu einem Wechsel kommen wird.

Okay.

Und was immer die Konsequenzen auch politisch sein werden, so wie du das auch schilderst,

Katarina, das Trauma ist da, das Gefühl von Sicherheit ist verloren und Michael, was

macht sie jetzt?

Also ich habe gestern nochmal mit Michael Kontakt, einfach so per WhatsApp, der Stand

ist da selbe.

Sie wartet ab.

Es ist eigentlich immer noch alles ungewiss, wie es weitergehen wird, wo sie hinkommen

werden.

Sie haben jetzt dort angefangen, neben dem Hotel Zelte aufzubauen mit Klimaanlagen.

Das sind seine provisorischen Schulen für die Kinder, ebenfalls von privaten finanziert.

Und auch Michaels Kinder werden dort zur Schule gehen, sobald wie möglich.

Sie will jetzt einfach abwarten.

Sie ist vor allem mit Überleben beschäftigt.

Das ist mein Eindruck.

Und der Trauer.

Und der Trauer.

Wahrscheinlich.

Genau.

Vieles ist noch sehr unklar in Michaels Leben, aber sie weiss jetzt schon, das hat sie mir

auch immer wieder gesagt, sie will zurück mit ihrer Familie nach Beere.

You know, we want to come back to the Kibbutz, and we will build it back, but it has to be

safe.

Wie erklärst du dir das nach all dem, was sie jetzt da erlebt hat?

Wieso will sie zurück?

Ja, ich habe sie das mehrmals gefragt, weil es für mich auch schwierig ist, zu verstehen,

nach all dem, was man erlebt hat, dieses Trauma, diesen Ort zurückzukehren, die Nähe

zum Feind.

Das weiß man jetzt ganz sicher, diese Unsicherheit dort mit der ganzen Familie, das konnte ich

nicht richtig verstehen.

Aber für sie ist es wirklich so, ich will dahin zurück, das ist meine einzige Heimat.

Da bin ich zu Hause, das ist für sie sehr stark an den Ort gebunden.

Ihre ganze Familie ist halt von dort, für sie gibt es keine Alternative.

Sie hat dieses Heimatgefühl, was gebunden ist, an Beeri und will diese zerstörte Heimat

jetzt wieder aufbauen.

Und vielleicht steckt dahinter auch ein bisschen diese jetzt erst recht Einstellung, ich verlasse

mich nicht vertreiben, ich bleibe hier.

Danke und liebe Grüße nach Tel Aviv, ich wünsche dir einen guten Heimflug.

Danke.

Das war unser Akzent, Produzent dieser Folge ist Simone Schaffer, ich bin Marlin Öler,

bis bald.

Copyright WDR 2021

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Die Überlebenden des Massakers von Beeri leben in einem Hotel an einem geheimen Ort. Nach allem, was sie erlebt haben, regt sich Kritik an ihrer Situation, denn die Hilfe kommt ausschliesslich von Freiwilligen.

Heutiger Gast: Katharina Bracher

Host: Marlen Oehler

Produzent: Simon Schaffer

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/israel-die-ueberlebenden-der-massaker-erhalten-vom-staat-kaum-hilfe-ld.1761657

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