Sternstunde Philosophie: Dieter Thomä – Produktives Stören bringt die Welt voran

Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) 9/23/23 - 1h 0m - PDF Transcript

Die S6 nach Baden fällt aus.

Grund dafür ist eine technische Störung am Zug.

Ja, irgendetwas stört immer.

Die kaputte Fahrleitung, die Mücke im Schlafzimmer,

der Kiesel im Schuh oder die Klimakleber auf der Straße.

Störmomente gehören aber nicht nur zum Leben dazu,

sondern sie bringen uns und unsere Gesellschaft

oft produktiv weiter, behauptet der Philosoph Dieter Thomae.

Wann und wie genau, das finden wir jetzt hoffentlich heraus.

Herzlich willkommen, es freut mich, dass Sie hier sind.

Herr Thomae, es stört mich gar nicht.

Noch nicht?

Noch nicht.

Ja, was stört Sie denn regelmäßig, Herr Thomae?

Komischerweise stört ein Jahr hauptsächlich erst mal was,

wenn was nicht funktioniert.

Dann seht man sich nach der Schweiz, nach der Ordnung,

nach der Pünktlichkeit.

Das ist wahrscheinlich so eine Art Lust an der Gewohnheit.

Und dann gibt es aber natürlich auch diese andere,

was Sie angesprochen haben, diese produktive Lust an der Störung,

dass man auch manchmal Lust hat, selber anzuecken,

wenn irgendwie es zu ordentlich ist.

Dass man dann denkt, jetzt bring ich mal ein bisschen die Temperatur hoch.

Es gibt ja jeweils ein SRG-Wahlbarometer und das Neuste von 2023.

Das hat was Interessantes zu Tage gefördert, fand ich,

nämlich bei den Ärgernissen Nr. 1 war auf dem ersten Platz

Misswirtschaft und Boniexzesse bei der CS.

Darüber regeln sich die Leute offenbar meisten auf,

gefolgt von den Klimaklebern und der Genderdebatte.

Und das finde ich ja erst mal interessant,

weil der erste Punkt ist ja tatsächlich staatsrelevant.

Das sind Menschen Arbeitsplätze, das wird richtig teuer, gefährlich

vielleicht auch für die Schweiz, währenddessen die anderen

beide Dinge ja eher ideeller Natur sind.

Warum regeln sich so viele Leute darüber auf?

Ich finde erst mal natürlich beachtlich, dass Werder auf Platz 1 ist.

Dass das nämlich eigentlich als Störung,

eine Störung ist, die von oben kommt, aus der Mitte des Wirtschaftsplatzes,

wo man ja eigentlich denkt, dass es sozusagen die gesunde Substanz

eine Gesellschaft, die den Motor der Wirtschaft am Laufen hält,

aber dass da das Stottern des Motors von der Bevölkerung

mit Missfallen betrachtet wird, das finde ich wichtig als Befund.

Einfach weil man merkt, die Störung kommt nicht immer von den Zotteliken

und den zottelharigen Außenseitern.

Aber ja, dann sieht sich plötzlich der CEO in der Nachbarschaft

und der Verkleber, die natürlich nicht aus dem, von oben kommen,

sondern von unten, von der Seite reinkrätschen und was durcheinander bringen,

nicht nur ideell, weil ja diese Fragen, Klima und so weiter,

keine ideellen Fragen sind.

Da geht es ja nicht irgendwie um, sagen wir mal, Glaubensrichtung,

sondern es geht um die Existenz unserer Gesellschaft.

Das ist schon wichtig, dass da auch was auf dem Spiel steht.

Ja, wobei es gibt auch das Ärgernis darüber,

dass der Staat oder die Regierung zu wenig tut in Sachen Klimakrise,

aber dieses Ärgernis ist sehr viel weiter hinten.

Also über die Klima-Kleber regt man sich sehr viel mehr auf,

wie über die Tatsache, dass zu wenig getan wird.

Der Konflikt dahinter kreist ja um die Frage,

wie reagiert eine Gesellschaft auf dramatische Herausforderungen.

Und natürlich ist es so, dass wenn eine Herausforderung richtig groß ist,

dann man denkt, okay, der Staat ist auch groß.

Also für große Herausforderungen brauchen wir einen großen Akteur,

und das ist dann der Staat, das kann ich nicht in meinem Hinterhof bewältigen.

Aber wenn dann diese Herausforderung von der großen Instanzstart

vielleicht dann doch nicht ausreichend bewältigt wird,

dann entsteht das, was in der Gesellschaft,

in der Geschichte von Politik auch immer wieder passiert ist,

nämlich dass dann Gruppen sich bilden, die intervenieren.

Und diese natürlich stören Friede.

Ja, ja, die Nerven, die bringen Unruhe,

und die große Frage ist dann immer, was machen die anderen?

Versuchen die anderen, also die Breite der Gesellschaft,

die Stören Friede abzuschieben, an den Rand zu drängen,

oder gar über die Klinge springen zu lassen.

Oder sind die Stören Friede in der Lage,

eine Ausstrahlungskraft zu entwickeln,

sodass dann die anderen so ein bisschen rüberrutschen.

Das muss man sich ein bisschen vorstellen, wie auf so einer Wippe.

Natürlich sitzen erstmal ganz viele,

nämlich die Masse der Gesellschaft auf der einen Seite,

auf der anderen Seite sitzen die Panseln.

Aber wenn die dann kräftig drauf springen,

werden sie schon schwerer,

und dann rutschen vielleicht manche auf die andere Seite,

und am Schluss entwickelt sich eine gesellschaftliche Dynamik.

Aber erst mal nerven die, ja.

Und dieses Nerven, das glitzert für Sie ja auch so ein bisschen,

das hat man am Anfang gleich schon gespürt,

dass Sie gesagt haben, wenn alles zu ruhig ist,

dann möchte man ja auch etwas ein bisschen Explosives da reinkommen.

Sie haben dem Stören Friede, dem sogenannten Puerrobustus,

ein Buch gewidmet, ein ganzes dickes Buch,

und man sagt ja manchmal auch, dass Bücher am besten werden,

und das war ein sehr gutes Buch, ein sehr erfolgreiches Buch,

wenn das Thema einen produktiv umtreibt,

vielleicht sogar biografisch irgendwie verortet ist,

steckt denn Ihnen auch so ein bisschen ein philosophischer Querulant,

Dieter Thomae?

Hoffentlich, ja.

Also Philosophen sind ja seit Sokrates eher Querulanten.

Manchmal war das für die auch ziemlich gefährlich.

Heute sind die Philosophen meistens Beamte,

aber dass wir so eine Art Störpotenzial haben,

liegt schon in unserer Profession begründet,

weil wir irgendwie Selbstverständlichkeiten hinterfragen.

Sich selbst jetzt den Orden des Störenfrieds umzuhängen,

das wäre ein bisschen peinlich.

Den Orden des Störenfrieds, da werden wir noch schauen.

Sie haben vielleicht einen in der Tasche für den Schluss dran.

Genau, Sie haben aber gerade schon gesagt,

wenn man dann so ins System eingepflegt wird,

wird es ja auch ein bisschen schwieriger.

Sie waren Professor für Philosophie an der Hochschule in St. Gallen.

Viele, viele Jahre lang bis diesen Frühling

waren aber auch Gasprofessor an der Brown University,

an der Yale University hatten viele Stipendien auf der ganzen Welt,

sind ein gefeierter Buchautor.

Wenn man dann mal so im System drin ist,

ist es dann nicht wahnsinnig schwierig,

noch sage ich jetzt mal Störungspotenziale

in der Philosophie überhaupt auszuloten und fruchtbar zu machen?

Man braucht halt dann Anreize.

Also wenn mein Sohn denkt, zum Beispiel,

ich würde doch ein bisschen viel am Schreibtisch sitzen

und nur Worte verfassen,

dann ist es für mich auch ein Ansporn zu denken,

okay, dann müssen die Worte wenigstens weilehnlich sein.

Wenn ich an der Universität St. Gallen bin,

dann bin ich natürlich umringt von sehr viel Mainstream,

von Wirtschaftsliberalismus und so weiter.

Und dann juckt es mich auch

und dann kann man da auch so eine produktive Energie entwickeln.

Also es ist klar, dass ich nicht jetzt irgendwie Straßenkämpfer bin,

aber ich glaube, wir haben das vorhin ja schon...

Lass ich aber mal so ein bisschen.

Zumindest Hausbesetzer, Sie bedanken sich auch in dem einen Buch

bei der Regenbogenfabrik in Berlin Kreuzberg

und Sie schreiben, das finde ich ganz schön,

die Sie mit dem Stören Frieden Ihnen selbst bekannt gemacht haben.

Sie waren schon so ein bisschen...

Ja, ich war Hausbesetzer

und die Regenbogenfabrik war mein Zuhause in Kreuzberg.

Und ich denke, das ist auch eine interessante Lehre,

weil man tatsächlich ja nicht einfach

aus eigener Kraft seine Möglichkeiten jeweils aus Kundschaften kann,

sondern man braucht Umstände dafür.

So eine Art gährendes Umfeld.

Und dieses Umfeld damals war tatsächlich so,

dass ich da relativ handlungslos reingeraten bin

und dann Seiten an mir kennengelernt habe, die ich nicht kannte.

Und dafür empfinde ich eine große Dankbarkeit.

Deswegen haben Sie sich bedankt auch im Buch.

Gehen wir noch einmal zurück zu diesen Klimaklebern,

die ja wirklich so ein großes Politikum sind derzeit.

Es war ja lange Zeit so, dass Sie in der Schweiz zumindest,

von Renowate Switzerland, die das vor allem machen,

sich auf die Straße kleben, das eben auf Straßen gemacht haben,

also den Verkehr blockiert haben, um Ihrem Anliegen,

dass die Dringlichkeit der Klimakrise zu wenig ernst genommen wird,

quasi Gehör oder auch ein Bild zu verschaffen.

Mittlerweile hat sich das ein bisschen verändert.

Sie stürmen jetzt auch Bühnen, zum Beispiel kürzlich im KKL,

in einem Konzert.

Und das schauen wir uns ganz kurz an.

Wir haben einen Klimawandel! Wir müssen jetzt haben!

Ja, das ist klarerweise ein Störmoment, wie hätten Sie denn reagiert, das Zuschauer?

Als Zuschauer hätte ich nicht gesagt, wir wollen die Musik hören, wie gerade jemand gerufen hat.

Ich hätte gedacht, okay, jetzt haben wir da alle viel Geld für die Tickets bezahlt und haben uns sozusagen spezialisiert auf Hochkultur.

Aber es gibt eben keinen geschlossenen Raum mehr, also es schwappen die Gedanken über die Musik übrigens auch zum Teil,

aber auch über die Welt in unser aller Köpfe hinein.

Und das heißt, die Klimakrise ist auch im KKL da irgendwie.

Also gibt es halt solche Störungen im KKL auch.

Und dann hätte ich gedacht, übrigens super, wie der Dirigent reagiert hat, Jurovski, der dann gesagt hat, es gibt eine Zeit für deren Statement und dann spielen wir wieder Probner.

Genau, Vladimir Jurovski hat quasi dann unterbrochen und ihnen das Wort gegeben, das hat aber auch wiederum für Proteste gesorgt.

Ja, dann hat er gekriegt, ja.

Ja, aber also jetzt mal ehrlich, Herr Thoma, es ist nicht auch so, dass wir alle ein Anrecht darauf haben, manchmal störungsfreie Momente zu erleben,

gerade weil die Klimakrise uns wahrscheinlich alle beschäftigt, dann hat man doch auch das Bedürfnis, sich mal zurückzuziehen und sich zu erholen.

Also ganz allgemein gesagt geht es ja hier um zivilen Ungehorsams. Niemand wird verletzt, aber es wird gestört.

Die Geschichte des zivilen Ungehorsams, die gibt es ja seit 200 Jahren ungefähr in Demokratien, auch innerhalb von Demokratien gibt es den zivilen Ungehorsams, angefangen in den USA.

Und das ist, was was in Demokratien gewollt ist, das darf man nicht vergessen.

Und warum?

Weil wir nie fertig sind mit der Demokratie und manchmal gibt es einfach eben eine Langsamkeit des staatlichen Apparats, wo dann Leute irgendwie intervenieren und auf Sachen aufmerksam machen, die auf die Agenda müssen und wo was gemacht werden muss.

Das heißt nicht, dass jede Störung, das heißt auch nicht, dass diese Störung da im Konzert sei, ich gut finden würde.

Aber erstmal müssen wir sagen, okay, das gibt es und wir können das nicht von vornherein verurteilen.

Und dann, das heißt für mich ist diese ganze Sache mit den Klimaklebern nicht eine moralische Frage, wo ich die von vornherein verurteilen würde.

Weil das Anliegen, was die haben, da sind ja interessanterweise dann 90 Prozent dafür, plus die Art, wie sie das Anliegen vertreten, da sind dann wie gleich 90 Prozent dagegen.

Und das heißt für mich ist es eine taktische Frage.

Sind die in der Lage, eben die Leute auf der anderen Seite der Wippe auf ihre Seite zu ziehen?

Und da allerdings, muss ich sagen, ist vielleicht nicht der richtige Weg, weil wie Sie sagen, man dann irgendwie manchmal plötzlich völlig deplatziert mit irgendwas konfrontiert wird und dann fehlt einem auch das Verständnis da mitzuziehen.

Und es gibt eigentlich zwei Einfaltstore, so zu sagen, wie man diesen zivilen Ungehörsamen diskutieren kann.

Sie haben es eigentlich gerade gesagt, das eine ist die Frage des Mittels, also ist das Mittel legitim, aber auch ist es pragmatisch klug gewählt.

Also kommen die dann rüber auf der Wippe und das andere ist überhaupt der Zweck, den wir da verfolgen, der Richtige.

Und auch darüber müssen wir ja sprechen, weil wenn wir noch einmal an den Puer robustus denken, an diesen Störefred,

dann ist er ja ursprünglich, so wie Sie ihn auch entwickeln, bei Thomas Hobbs angelegt.

Also im 17. Jahrhundert kommt dieser Puer robustus auf die Weltbühne, sozusagen.

Und das ist ja wirklich ein Quero-Land, der den Staat nicht produktiv stört, sondern attackiert.

Wer fällt Ihnen denn da ein? Interessanterweise wurden Sie ja nach dem Erscheinen des Buches die ganze Zeit nach Donald Trump gefragt.

Was für Figuren sind denn diese Puer-Rero-Busti heute?

Ja, also das ist mir ganz wichtig, einzusehen und das bezieht sich natürlich auch auf die Klima-Kleber und auf den Klimaprotest

und auf den populistischen Protests und auf Trump, auf den Sturmen aufs Kapitol.

Man hat ja, man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass man sich nicht jetzt irgendwie mit so einem romantischen Bild des guten Wilden,

der da alles irgendwie aufmischt, zufrieden geben darf, sondern es gibt eben die dunklen

und die hellen Varianten bei den Störenfrieden.

Und wenn jemand nur an sich denkt oder wenn jemand nur in der Masse sich stark fühlt, wie SS-Schläge oder Kapitolstürmer oder Ausländer, Prügler oder sowas,

dann ist das auch natürlich problematisch, weil dann, ich glaube, bei den guten Störenfrieden ist ein entscheidender Punkt wichtig,

nämlich, dass sie sich über ihre eigene Präkarität und Fragilität im Klaren sind.

Dass sie eben wirklich exzentrisch oder vorweg oder auf irgendwie so eine Art von Reise sind, wo sie nicht automatisch davon ausgehen können,

dass sie in guter Gesellschaft sind, sondern sie bringen tatsächlich was durcheinander.

Aber sie sind davon überzeugt, dass sie die richtige Sache vertreten.

Das ist, was Sie gesagt haben, der Zweck, da muss man dann ganz klassisch, moralphilosophisch auch ran und gucken, was sind denn da die Zwecke, die vertreten werden.

Also feministische Proteste in der Schweiz, Klimaproteste, Hausbesetzer und so weiter.

Gerade bei feministischen Protesten, da werden wir uns nicht einig in der Gesellschaft.

Das ist ja sehr umstritten, wie weit man zum Beispiel gehen soll.

Sagen wir mal, Kampf eines dritten Geschlechts, da gehen die Ansichten auseinander.

Da kann man ja nicht einfach sagen, das ist ein guter Zweck, da geht es lang.

Genau, ich meine aber jetzt beim feministischen Protest erst mal die klassische Frauenbewegung.

Ich meine, im 19. Jahrhundert sind jede Menge Frauen totgeprügelt worden, die sich für Frauenrechte eingesetzt haben.

Das darf man ja auch nicht vergessen.

Und ich glaube, in der Schweiz war das auch nicht so ganz einfach.

Ja, könnte sein, könnte sein.

Aber beim dritten Geschlecht, da sind wir dann wieder richtig im Schlamassel einer sehr komplizierten Diskussion, wo das dann nicht so klar ist, wie bei der Sklaven,

beim Kampf gegen die Sklaverei oder beim Kampf für Frauenrechte.

Ja, ich finde, die Klimatematik ist wieder ein Fall, wo wir bei dem Zweck dann auch wieder in vergleichsweise übersichtliche Lage haben.

Denn niemand würde jetzt wahrscheinlich sagen, okay, es ist irgendwie völlig wurscht, wenn die Welt hops geht.

Da geht es dann wieder eher um die Frage der Mittel.

Das heißt, wir müssen bei diesen Störenfrieden, wenn wir uns über den guten Störenfrieden nähern,

immer die Frage nach dem Zweck und dem Mittel.

Wir müssen auch stellen und die Frage nach der Interaktion zwischen dem Störenfried und dem Rest.

Weil wenn jetzt der Störenfried sich zum Beispiel darin sonnt, so der Oberschlauberger zu sein,

und so wie ein klassischer Avantgardist meint wegen, dann auch eine gewisse Abfälligkeit aufweist gegenüber dem Rest der Gesellschaft.

Dann verbaut er sich selbst natürlich den Weg von der einen Seite zur anderen.

Und er verbaut auch den anderen Weg. Und das ist auch wichtig, diese Interaktion.

Aber Demokratie geht ja immer auch ein Her mit einem Gleichheitsversprechen und auch mit der Idee,

dass alle an diesem Diskurs erst einmal teilnehmen dürfen und einander zugehört werden muss.

Und das bedingt auch auch, dass man irgendwie respektiert, dass gewisse Menschen ein Konzertticket kaufen

und erwarten, dass da Ruhe ist und dass sie dieses Konzert genießen können.

Also man setzt sich dann auch darüber hinweg, dass die anderen als Gleiche zu einer Erkennung sind,

die ihre Stimme auch erheben können, aber an der Wahlur, in politischen Prozessen, in demokratischen Verfahren und so weiter.

Also ein Jurist würde jetzt sagen, es ist wahrscheinlich eine Frage der Dosierung.

Oder ein Arzt würde das auch sagen.

Ich wollte auch gerade sagen, dass doch eher der Arzt zu sagen.

Ja, aber beim Juristentum, bei der Juristerei gibt es ja auch diese Frage nach der Verhältnismäßigkeit.

Der würde sagen, der Jurist ist es verhältnismäßig.

Und es würde mir wahnsinnig stinken, nicht nur als Besucher eines Konzertes dort,

sondern auch als jemand, der das dann hört.

Wenn die die Sache komplett gesprengt hätten, dann wäre für mich die Dosierung überschritten.

Dass man eine kurze Unterbrechung in Kauf nehmen kann, da würde ich dem Publikum einfach ein gewisses Maß von Großzügigkeit wünschen.

Sie plädieren jetzt sehr stark für diese Großzügigkeit, haben aber gleichzeitig auch den Sturm aufs Kapitol in den USA zum Beispiel erwähnt.

Es gibt in der Schweiz ein neures Phänomen, die sogenannten Staatsverweigerer.

Es gibt eine große angelegte Studie von SRF Investigativ, die dem Phänomen auch nachgegangen sind.

Man sagt, es sind bis zu 10.000 Zahl steigend in der Schweiz Personen, die sagen, der Staat ist wie eine Firma.

Wir bezahlen keine Steuern, keine Busse, zum Teil wird unterzeichnet mit einem Blutabdruck.

Und es gibt ganz viele Kantone, die aufrüsten müssen zum Beispiel bei den Betreibungsämtern.

Das scheint ja nun wirklich ein Querulant zu sein, der ganz klar den Staat als solchen infrage stellt.

Also ich nehme nicht an, dass sie dem etwas Positives abgewinnen.

Aber wenn Sie von der anderen Seite draufgucken, wie erklären wir jetzt, dass diese Art von Querulantentum nicht geduldet werden könnte,

also dass das keine produktive Störaktion ist?

Ja, das ist furchtbar traurig. Also dieses Phänomen ist furchtbar traurig.

Aber es ist nur der extremer Rand einer Entwicklung, die in Demokratien seit vielen Jahren um sich greift

und die nicht nur in 10.000, sondern in Millionen zu messen ist.

Und das Stichwort dazu ist Politikverdrossenheit.

Und das ist das, was ein Wahnsinnig macht als Verfechter der Demokratie,

weil Demokratie darin besteht, dass die Leute mitmachen und davon abhängt.

Und dann ausgerechnet in der Demokratie sagen dann Leute, das ist ein Apparat,

der dem ich jetzt auf Wiedersehen sage.

Ich bin mir nicht sicher, Herr Thoma, ich bin mir nicht sicher,

ob die sagen würden, das, was ihr uns als Demokratie verkauft, ist keine Demokratie.

Ich werde nicht gehört, ich werde nicht gesehen.

Der Staat ist eine Firma, die mich abzockt.

Das sagen die, die sagen, dass sie diese Demokratie für eine Scheindemokratie halten.

Und das sagen eben nicht nur diese 10.000, die dann wirklich so ernst machen,

damit keine Stellen mehr zu bezahlen, sondern das sagen leider,

in den USA Millionen, in Deutschland, in Europa auch Millionen.

Die Gelbwesten in Frankreich haben fast das Gleiche gesagt.

Wir werden nicht gehört.

Und da muss man jetzt hier in den Ärmel greifen

und zwei Schwarze Peter haus holen, nicht nur einen.

Und der in einen Schwarzen Peter kriegt der Staat

und den anderen kriegen die Leute.

Also der dicke Schwarze Peter würde ich schon den Leuten geben.

Weil die natürlich, weil es eine billige Ausrede ist, zu sagen, man wird nicht gehört,

dann möchte ich erst mal wissen, wann haben die denn versucht, sich zu Wort zu bringen,

sich zu gehört zu bringen.

Und das heißt also, man kann immer sagen, so beleidigte Leberwurstmäßig,

ich werde nicht gehört und dann den Kopf umdrehen.

Es ist so ein bisschen wie, wenn man verliebt ist in eine Frau

und sich nie traut, sie anzusprechen.

Und dann hinterher sagt, die will mich sowieso nicht.

Aber jetzt wollen wir auch noch sprechen über die Karte, die der Staat kommt.

Ja, der Staat, sehen Sie, es gab, also der Schwarze Peter,

der der Demokratie gehört ist, die Demokratie verfehlt ihre eigenen Ansprüche,

wenn sie nicht diese Anziehungskraft entwickeln kann,

die allen Leuten wirklich die Idee nahe bringt, mach mit.

Und man muss leider sagen, dass das eben auch tatsächlich schief gelaufen ist

in Demokratien und dazu gibt es in der Politikwissenschaft

einen wunderbaren Frauennamen, Tina.

Und Tina ist eine Abkürzung, kein Frauenname, also für there is no alternative.

Und das ist eine Prägung von Margaret Thatcher.

Und das heißt, im Deutschen, ins Deutsche übersetzt,

ist das die Politik des Sachzwangs.

Und das heißt, wenn in der Politik und gerade auch in der Demokratie

immer nur gesagt wird, wir müssen das so machen,

das ist der Sachzwang, das ist systemrelevant bei den Banken,

in der Schweiz kennt man die Diskussion auch,

dann genau ist der Schwarze Peter beim Staat.

Weil dann wird Demokratie in Technokratie verwandelt.

Und dann können die Leute sagen, ja, seht ihr,

there is no alternative, ich habe sowieso nichts zu sagen.

Aber jetzt sehen wir doch schon, es gibt sozusagen

eben produktive Störmomente und nichtproduktive,

es ist aber ganz generell so, dass sich die Demokratie irgendwie verorten muss

zwischen diesen produktiven und unproduktiven Störmomenten.

Wo sehen Sie denn im Moment das größere Problem?

Wird die Demokratie zu sehr gestört, also attackiert und verlaufen

oder zu wenig gestört, indem sie sich dann faul einrichtet?

Wahrscheinlich ist das Verhängnis beides,

das ist beides gleichzeitig passiert.

Also das ist einerseits so, dass wir daran gewöhnt sind,

dass viele politische Fragen in Verwaltungs- und technokratische Fragen

verwandelt werden und man dann denkt, okay, die sind so komplex,

diese ganzen Fragen, die müssen wir jetzt den Experten überlassen.

Und dann kann man natürlich als Souverän,

das Volk ist ja der Souverän, sagen, ja, okay,

Souverän bin ich da gar nicht, ich habe ja keine Ahnung.

Und dann gibt es praktisch eine Entzugswirkung,

wo wir dann praktisch aus der Kurve fliegen als normale Bürger.

Und umgekehrt ist es so, dass eben die Gegenreaktion dann darauf,

und das Besorgniserregendste ist natürlich der Populismus,

darin besteht, dass Leute sagen, okay,

wir machen jetzt so eine Art Verweigerungshaltung

und wir bohren jetzt die Grundfesten an.

Und die größte Herausforderung der neueren Geschichte der Demokratie

sind die nächsten amerikanischen Wahlen.

Weil da geht es dann wirklich ums Ganze.

Aber lassen Sie mich noch einmal nachhaken,

wir sind uns wahrscheinlich einig, dass wir die Demokratie

auf gar keinen Fall preisgeben wollen.

Aber gehen wir mal mit denjenigen, mit den Staatsverweigern,

die genau das tun wollen und die sagen, der Staat ist eine Firma.

Was entgegnen Sie? Also warum genau darf man nicht die heilige Kuh

der Demokratie schlachten und sagen,

vielleicht gibt es ganz andere Formen des Zusammenlebens.

Was entgegnen Sie denen?

Ich entgegne denen, dass Sie sich mal überlegen müssen,

wer Sie sind.

Sie sind Menschen, Menschen sind soziale Wesen

und Menschen leben mit der ganzen Menschheit sozusagen zusammen.

Das heißt, ich würde sagen, dass da so eine Art,

ja, faktisch ja, auf diesem kleinen Globus,

der durchs Altschlittert, leben wir mit allen zusammen.

Das ist irgendeine Schicksalsgemeinschaft.

Wobei genau das ja auch wiederum für Unmut sorgt,

oder weil man kleinere Gemeinschaften keine hätte.

Aber ich würde eben sagen, ich verstehe,

dass ihr euer Dorf gut findet oder eure Familie.

Es gibt ja auch diese ganze Homeschooling-Diskussion,

dass man gerade in Amerika auch und in der Schweiz auch,

also dass man seine Kinder nur noch zu Hause unterrichten darf.

Aber ich würde denen entgegnen, dass Sie tatsächlich

so eine Art von Denkfehler begehen,

dass Sie Ihr soziales Leben in einer Weise einengen,

wie das Ihnen als Menschen eigentlich gar nicht entspricht.

Denn faktisch ist es so, dass es eben doch Grenzen gibt

für diese komplette Autarkie.

Die hat man ja seit Jahrhunderten auch immer wieder ausprobiert.

Es gab Ziedlergemeinschaften, Kolonien aus,

also nicht jetzt Kolonien von Empire sozusagen,

sondern so kleine Aussteigergruppen, die versucht haben,

autonom zu leben, sich selbst zu ernähren und so.

Und man merkt da, wo die Grenzen sind.

Wenn man krank wird, wenn man irgendwie Musik hört,

plötzlich hört man dann, was, was,

hört man dann nur noch die Musik, die man selber komponiert hat.

Also das heißt, man kann nicht irgendwie so eine Art Käseglocke

über sein eigenes Leben stöpen und dann sagen,

das ist alles, was ich brauche.

Das leuchtet einfach nicht ein.

Weil die Menschen soziale Wesen sind,

müssten sie sich irgendwie organisieren.

Und dann können wir fragen, was ist die beste Form

und dann landen wir irgendwann zum Beispiel bei der Demokratie?

Ja, und es gibt natürlich verschiedene Kreise,

in denen man sich bewegt.

Also ich bin ein wahnsinniger Familienfan

und ich finde die Familie ein unterschätztes,

philosophisches Thema.

Ich finde, dieses Generationenspiel ist dramatisch wichtig.

Das heißt, diese Privatesphäre ist für mich sehr wichtig.

Aber sie ist nicht alles.

Und dann gibt es die Gemeinde und dann gibt es den Staat.

Und es gibt dann einfach den Punkt, wo man merkt,

auch die Staatsverweigerer,

wenn meine Kindeskinder irgendwie leben wollen,

dann müssen Maßnahmen ergriffen werden,

nicht nur irgendwie in meiner Käseglocke,

sondern auf der ganzen Welt.

Und was sagen die dann?

Dann sagen die, wollen die dann die Klimathematik irgendwie

in ihrem Haus irgendwie lösen?

Das geht doch nicht.

Lassen Sie uns doch als Zwischenfazit mal feststellen,

dieses ganze Stören ist eine ambivalente Geschichte.

Auf der einen Seite wollen wir es glatt bügeln und ausmerzen,

weil wir natürlich fürchten, dass Grundwerte,

die uns extrem wichtig sind,

wie die Demokratie in Brüche gehen könnten.

Andererseits brauchen wir das Stören,

um die Demokratie, aber auch unsere Gesellschaft voranzubringen.

Man sagt ja auch, Innovation kommt nur daher,

dass Menschen aufstehen und was anders machen.

Und das hat glaube ich nichts so klar gezeigt,

wie der Werbespot von Apple,

der ja fast schon ikonographischen Charakter hat,

von 1997.

Wir schauen uns den kurz an.

An alle, die anders denken, die Rebellen, die Dialisten,

die Visionäre, die Querdenker,

die, die sich in kein Schema pressen lassen,

die, die Dinge anders sehen.

Sie beugen sich keinen Regeln

und sie haben keinen Respekt vor dem Status quo.

Wir können sie zitieren, ihnen widersprechen,

sie bewundern oder ablehnen.

Das einzige, was wir nicht können, ist sie zu ignorieren,

weil sie Dinge verändern, weil sie die Menschheit weiterbringen.

Und während einige sie für verrückt halten,

sehen wir in ihnen Genies.

Denn die, die verrückt genug sind, zu denken,

sie könnten die Welt verändern, sind die, die es tun.

Es ist ja wahnsinnig interessant, 1997 war der Begriff Querdenker

noch positiv konnotiert.

Es ist mir so aufgefahren.

Ja, stimmt, ja.

Es ist Misfits, Rebels, Troublemakers, das ist im Englischen.

Auf Englisch, ja.

Gänsehaut, Moment, der Clip, für mich jedes Mal.

Gänsehaut und Kopfschütteln habe ich, wenn ich es höre, oder sehe.

Lüssen Sie das kurz auf?

Die Gänsehaut, es hat ja eine ungeheure Suggestivkraft,

dass man das Gefühl hat, ja, man feiert irgendwie die,

die was ganz Besonderes tun.

Und die bringen dann die menschliche Gattung voran, heißt das ja auch im Clip.

Und das Kopfschütteln kommt dann rein,

auch wenn ich da so ein bisschen mir fast blöd vorkomme,

weil es natürlich total übertrieben ist zu behaupten,

dass die, die verrückt sind, die menschliche Rasse voranbringen.

Denn manche töten oder machen kaputt,

sind irgendwie Quero-Landen, nicht Quertreiber im positiven Sinn.

Nerven, aber in einer unproduktiven Weise.

Und die, da gibt es überhaupt keinen Punkt in dem Clip,

der irgendwie versucht da sozusagen ein bisschen wenigstens

die Sache einzuschränken.

Und auf der Bildebene gibt es nur die Sonnenseite des Lebens,

Maria Callas und all die wunderbaren positiven Figuren.

Und ich frage mich auch,

wissen wir eigentlich im Vornerein jeweils, wie das ausgeht?

Also nehmen wir Martin Luther King, der ja auch vorkommt im Clip.

Also natürlich gab es ganz viele, die sich massiv gestört gefühlt haben

und auch bedroht gefühlt haben, die nicht gewollt haben,

dass Martin Luther King seinen Kampf weiterführt.

Er ist ein ganz großen Freiheitsheld, aber da war man sich ja erstens nicht einig

und zweitens wusste man vielleicht eine Weile lang auch gar nicht, was passieren würde.

Also wann genau entscheidet eigentlich wer, ob jemand zum Helden wird

oder aus Quero-Land in die Geschichte eingeht?

Das wissen die Leute, die quer denken, manchmal vielleicht auch selber nicht.

Denken Sie? Denken Sie nicht, die sehen sich immer als Helden sozusagen?

Naja, wenn Sie an die Literatur denken zum Beispiel, an diese ganzen,

an Heinrich von Kleist oder Büchner oder Kafka oder so,

die oft dann erst nach ihrem Tod überhaupt so rumgelangt sind.

Und wenn man dann schaut, was die geschrieben haben,

dann ist da natürlich auch eine ungeheure innere Verunsicherung bei denen.

Die merken, sie gehören nicht dazu.

Kleist zum Beispiel sagt, ich passe mich nicht unter die Menschen.

Und dann bringt er sich um. Früher ist 19. Jahrhundert.

Und der war kreuzunglücklich und hat gleichzeitig eine der schönsten Geschichten

über das neue Selbstbewusstsein der Frau geschrieben.

Und das heißt also, es gibt schon auch eine große Verunsicherung bei vielen.

Und dann gibt es natürlich auch die, die, wie Sie sagen,

so felsenfest von ihrer Sache überzeugt sind und dafür dann zu mehr Törer werden.

Das gibt es bei, das würde ich sagen.

Aber ja, die Frage, ob sie dann aufgenommen werden im Schoß der Gesellschaft,

die ist nicht von vornherein zu beantworten.

Und die können auch, die leben, finde ich, diese Quertreiber,

die leben ein bisschen über ihre Verhältnisse.

Man sagt das ja meistens nur, wenn man zu viel Geld ausgibt.

Aber eigentlich meine ich es jetzt hier so, dass Sie über das hinausleben,

wofür Sie richtig einstehen können.

Weil Sie sind ja nur ein Mensch, ein kleiner lächerlicher Mensch.

Und Sie wollen die ganze Menschheit in eine andere Ecke schieben.

Also wobei es gibt ja unterschiedliche, das sagen Sie auch,

unterschiedliche Formen von Störifrieden.

Einer, der positiv konnotiert ist, ist bestimmt derjenige,

der im Anschluss an Rousseau, also ein Störifried,

der sozusagen eben die gute Ordnung im Sinn hat

und die Ordnung produktiv stören will, um sie zu verbessern.

Eigentlich wären wir dann ein Stück weit beim Klimaaktivismus.

Die wollen ja nicht die Ordnung zusammenbrechen lassen,

sondern die wollen im Grunde genommen eine neue Ordnung,

eine bessere Ordnung, die Menschheit voranbringen.

Noch einmal, man kann sich darüber streiten,

ob die Ziele die richtigen sind, ob die Mittel die richtigen sind.

Aber das ist natürlich was anderes,

wie wenn jemand sagt, ich will die Menschheit auslöschen.

Ja, also vielleicht sollte man in der Schweiz mal

eine Verbindung gedanklich herstellen

zwischen Wilhelm Tell und den Klima-Klebern.

Das ist jetzt eine sehr steile These.

Gar nicht steil, weil der Wilhelm Tell ist tatsächlich

dieser nomozentrische Störenfried-Pyke-Célance.

Das alte Stürz, es ändert sich die Zeit

und neues Leben wächst aus den Ruinen.

Und er ist ein wilder Kerl, lauert irgend so eine Mischung

aus dem Vogt an der Hohlengasse auf.

Dann schießt er seinem Sohn, was seine Frau total wahnsinnig macht,

den Apfel vom Kopf, bringt sich da in ein Riesendurcheinander

und tritt natürlich den Leuten auf die Füße,

auch seinen eigenen Landsleuten, die dann irgendwie sich ärgern,

weil er allein gänge macht.

Und am Schluss ist die Schweiz eine andere.

Es ist natürlich nur eine Geschichte von Friedrich Schiller.

Aber es ist ein nationales Idol trotzdem geworden.

Und der Wilhelm Tell, den schreibt Friedrich Schiller,

als so eine Art Variation auf die französische Revolution.

Er stellt sich praktisch eine gute französische Revolution

ohne Terror vor.

Und was Wilhelm Tell macht, ist nicht so viel anders als das,

was die Klima-Kleber machen.

Es ist allerdings viel gewalttätiger.

Ja, und interessant ist ja auch noch einmal,

dass man im Grunde genommen sagen kann,

Wilhelm Tell würde heute ganz anders bewertet,

wenn die Sache nicht gut ausgegangen wäre.

Und da sind wir ein Stück weit bei ihrer anderen Geschichte.

Sie haben eben auch ein Buch geschrieben über Helden,

was erst mal vielleicht ein bisschen irritierend ist.

Warum mögen Sie eigentlich Helden so sehr sprechen?

Wir sprechen gleich darüber.

Aber Wilhelm Tell zum Beispiel,

wenn er sein Kind erschossen hätte beispielsweise,

also das hätte nicht geklappt mit diesem Apfelschuss.

Oder die Ordnung hätte sich dann nicht irgendwie entsprechend verändert,

dann würden wir den heute natürlich nicht auf den Zockel stellen.

Also...

Braucht doch Glück, oder?

Helden brauchen Glück.

Helden brauchen Glück,

und manchmal kommt das Glück nach ihrem Tod.

Und sie selbst ereilt der Tod.

Also manchmal löst sich das, was sie wollen,

erst ein, sie Martin Luther King, wenn sie tot sind.

Das heißt, das Glück, was sie wollen,

und das ist schon ein ganz wichtiger Punkt,

der ins Zentrum des Problems des Heroismus wird.

Was sie wollen, ist ein Glück, das nicht ihr eigenes ist.

Also jedenfalls nicht nur ihr eigenes.

Denn oft gehen sie drauf.

Und wir haben dann wieder natürlich die große Frage,

wollen sie das Richtige?

Okay, das setzen wir jetzt mal in den Klammern,

weil das stellt sich immer, wenn Gesellschaft verändert wird.

Aber klar ist, dass sie etwas wollen, was größer ist, als sie selbst.

Sie sagen, unsere Gesellschaft leide unter Heldenschrumpfung.

Warum denn?

Weil wir, weil uns das eine ungewohnte Vorstellung geworden ist.

Also, dass Leute so herausragen, glaube ich.

Das hat mit der Gleichheit zu tun, die sie vorhin angesprochen haben.

Wir haben noch eine enorme Meritokratie heute.

Ja, aber...

Wir belohnen diejenigen, die herausstechen, in Elite-Gymnasien und so weiter.

Ich weiß gar nicht, ob es einfach nur in die seine Richtung geht.

Zwei Punkte dazu.

Erstens.

Es gibt schon auch in vielen Demokratien so eine Art Rasenmäher-Ideologie

nach dem Motto, der der schneller wechselt als andere,

der wird jetzt erst mal wieder geköpft.

Sagt man von der Schweiz ja auch.

Sagt man von der Schweiz auch.

Ja, ist ja auch klar.

Z.B. fängt im politischen System an.

Man hat nicht den Präsidenten, man hat die Bundesräte.

Und das heißt, die Schweiz ist insgesamt sehr egalitär aufgebaut.

Das ist das eine, was ich dazu sagen würde.

Wenn Sie die Förderung der Eliten angesprochen haben,

das ist nicht genau das Phänomen, was ich im Blick habe,

wenn ich über Helden spreche.

Weil die Meritokratie ist ja eher aufgebaut nach dem Modell.

Der ist besser in etwas, was wir vorher definiert haben.

Also, der kann schneller rechnen.

Der ist schneller mit dem Studium fertig.

Der macht nur beste Noten.

Der hat irgendwie drei Patente oder sonst irgendwas.

Das heißt, das ist praktisch eine Art von stromlinienförmiger Exzellenz.

Und das ist etwas, was enorm populär ist,

auch in der Wissenschaft übrigens,

stromlinienförmige Exzellenz.

Aber natürlich auch unglaublich boniert.

Weil wenn man vorher definiert, worin du gut sein musst

und wenn dann das Kind aber bratsches spielen will statt Klarinette,

dann kriegt es eins auf die Finger.

Und übertragen gesagt heißt es dann,

dass beim Heldentum man eben einerseits Helden hat,

die sich einfach für das bewährte einsetzen.

Die gibt es auch, die ihre Sache überfüllen

und übermäßig gut machen.

Und dann gibt es aber auch Helden.

Und da gibt es dann eine Überschneidung zwischen den Melden

und dem Sternfried, die etwas überwinden.

Und denen vorher zu sagen, so jetzt sei mal besonders gut in Latein,

das wäre dann falsch.

Also das heißt, wenn wir eine Merikotokratie haben

und Exzellenz fördern, dann können wir trotzdem die Helden schrumpfen,

weil wir dann eigentlich demor auf das Sehen wollen.

Also wir müssen eigentlich als Gesellschaft hinreichend pluralistisch

unterwegs sein, tolerant unterwegs sein,

damit wirklich andere Gedanken entstehen können.

Ja, sehen Sie, diese Vielfalt, die wird ja auch gepflegt eigentlich.

Also man will ja tolerant sein.

Und dann sagen viele Leute immer, ja, denk doch mal anders.

Think out of the box.

Das habe ich auch sehr oft gehört in St. Gallen, in der Schweiz,

auf der ganzen Welt, in Amerika.

Think out of the box.

Ist jetzt think out of the box der Königsweg zum Heldentum?

Ich glaube nicht.

Denn dieser Ausspruch hat mich eigentlich immer auch geärgert eher,

weil ich mich da eher an so eine Art von Hundeleine-Syndrom erinnert gefühlt habe.

Also da sitzen dann diese jungen Leute und dann sagt ihnen der Chef

think out of the box und dann haben die hier so eine Hunderhaltsband um den Hals

und dann gibt sie so Hunderhaltsbänder mit dieser Feder drin.

Kennen Sie die?

Also dann gibt es so einen Knopf und dann dürfen die fünf Meter ins Gebüsch.

Und dann drückt man da mal zu mich.

Und das sind dann die Leute, die think out of the box machen

und dann gucken die sich schon immer aufgeregt um.

Ich habe etwas gefunden, was vielleicht ein neues Start-up ist

und was eine Milliarde verdient.

Und dann wird der Knopf gedrückt und sie werden zurückgezogen.

Und dann wird dem Herrchen berichtet, was man Tolles im Gebüsch entdeckt hat.

Das heißt, dieses think out of the box ist ein typisches Beispiel für eine Vielfalt,

bei der dann irgendwann auch so ein bisschen Zahltag ist sozusagen

oder Bilanz gezogen wird.

Okay, was hast du denn jetzt erreicht?

Hast du ein Gedicht geschrieben oder hast du eine Erfindung gemacht,

die die Menschheit weiterbringt oder die mir verwertbar ist?

Die dann für unser Peer-Review wieder einzahlt und die Universität voranbringt.

Das war ja Ihr großes Thema auch an Ihrer Abschiedsvorlesung im Frühling.

Und da haben Sie etwas eine Unterscheidung eingeführt,

die ich wahnsinnig interessant fand.

Sie sagen nämlich, wir müssen eigentlich neu auch noch einmal überlegen,

was wir meinen, wenn wir sagen, anders zu denken.

Think different.

Also wir müssen die Differenz differenziert betrachten.

Und es gibt eigentlich zwei Formen von Differenz, habe ich von Ihnen gelernt.

Es gibt die Distinktion und es gibt die Diversität.

Und die Distinktion meint genau dieses Vergleichbare.

Also ich...

Genau, ich wachse über mich hinaus, indem ich besser bin wie die anderen.

Ich vergleiche mich aber dauernd noch.

Also so wie bei Pierre Bourdieu, der feine Unterschied.

Also man ist immer noch dauernd eigentlich in dieser vertikalen,

kann man sagen, und bringt die Gesellschaft nur insofern voran,

dass man besser ist wie die anderen, aber im gleichen Feld bleibt.

Und das andere ist die Diversität.

Da werden wir bunt.

Oder das ist sozusagen dasjenige,

da würden wir eher aus der Box raus klettern, oder?

Ja, genau.

Also bei der Diversität, da hat man nicht unbedingt diese Wunderleine

noch um den Hals.

Und da ist es dann eher so, dass man sagt, ich bin anders

und das ist gut so.

Und da würde man jetzt eigentlich denken, okay,

werden die Distinktionsfritzen, alle so bonierte Gesellen sind,

die einfach nur ein bisschen besser sein wollen als die anderen,

sind die Freunde der Diversität nun,

die den wahren Geist des Pluralismus in unserer Gesellschaft verkörpern.

Aber aus Gründen, die sie vielleicht nicht überzeugen,

oder doch bin ich auch kein totaler Fan der Diversität.

Und zwar aus ganz sachlichen Gründen,

die auch wieder mit unserer Demokratie letzten Endes zu tun haben.

Weil ich den Eindruck habe, dass viele, die diese Diversität feiern,

dann sich auch eben nicht mehr vergleichen,

nach besser und schlechter und oben und unten,

aber sich auch abkapseln.

Und sich irgendwie in ihrem kleinen Silo einrichten und sagen,

ich bin anders und dann sozusagen auf der Stelle trampeln

und so ein bisschen wütend sagen, so jetzt lasst mich mal so wie ich sein,

wie ich bin.

Also so eine Art behaupten und forcieren von Identität,

der eigenen Identität, die dann am Schluss so klein wird,

dass dann es fast so ein bisschen ähnlich wird wie bei den Staatsverweigerern

von vorhin, die ja nun mit dieser ganzen Diversitätsthematik

wahrscheinlich gar nichts anfangen können.

Aber das Modell ist ziemlich ähnlich.

Es ist irgendwie so eine Art Abkapseln und sich selbst behaupten,

indem man möglichst nur noch sich selbst bejaht.

Und dann gibt es vielleicht noch das, was man neu Deutsch den Tribe nennt,

also den eigenen Stamm, wer dazu gehört.

Aber das dürfen dann auch nicht zu viele sein.

Und dann zerfällt natürlich die Gesellschaft auch.

Das sind wir eigentlich eben auch wieder bei dieser Idee,

dass wir einander brauchen, dass wir soziale Wesen sind.

Das heißt, wenn die Diversität nicht mehr im Blick hat,

dass wir doch ein großes Ganze sind, indem wir divers sein dürfen

und können und auch sollen, finde ich,

weil sonst funktioniert das ja nicht mit der Erweiterung.

Also die Störenfriede, wenn wir über die noch einmal sprechen wollen,

ich denke mir, die findet man doch eher in dieser Diversität,

dass man eben nebendran weiter sucht und denkt

und nicht einfach das, was es schon gibt, noch besser macht.

Da würden Sie ja schon zustimmen, oder?

Wenn wir Helden wollen und produktives Stören,

brauchen wir doch auch mehr Diversität.

Also mein Lieblingswort ist eigentlich die Schwelle.

Und die, die Staatsverweigerer sind,

die, die sich in ihrem kleinen, in ihrer Käseklocke,

in ihrer Filterblase, in ihrer Echokammer einrichten

oder auf ihrer Identität beharren, die bauen Mauern.

Und interessanterweise ist nach 1989,

als die Mauer in Deutschland und auch im ganzen Europa

der eiserne Vorhang zusammengebrochen ist,

dann nach ein paar Jahren plötzlich wieder das Mauerbauen

fröhlich losgegangen, aber im ideellen Sinne.

Also man liebt es irgendwie in dieser unübersichtlichen Welt,

so eine Art klare Grenze zu haben um sich.

Und wenn aber eine Mauer dicht ist um einen herum,

dann hat es ja auch keine Tür.

Wenn es eine Tür gibt, dann gibt es eine Schwelle.

Und diese Schwelle ist der Begegnungsort zwischen dem Störenfried

und dem Meistergesellschaft,

zwischen dem, der auf seiner Identität beharrt,

aber sich auch irgendwie öffnet gegenüber anderen

und nicht die Tür zuknallt.

Und deshalb finde ich, dass wir, es gibt ja das Wort von der

Schwellenangst, oder?

Also dass wir eigentlich von so einer Art Schwellenangst

ergriffen sind in der Gesellschaft.

Und das ist deshalb traurig, weil an dieser Schwelle

die wichtigste Austausch stattfindet,

zwischen entlegenen Ideen und der Normalität

und dem, was Status, es hat auch eine zeitliche Dimension.

Man tritt hinaus ins Freie.

Man tritt in eine neue Zukunft für sich selbst.

Und deshalb würde ich eben für einen Dauerbesuch der Schwelle plädieren.

Aber ist es nicht auch irgendwie verständlich?

Wir sprechen ja so oft über eine sehr unübersichtliche Gegenwart.

Wir sprechen über Polikrisen.

Es ist eine schwierige Zeit.

Man kann sich über Schwellen zu treten, dann noch zusätzlich,

ist doch eigentlich auch wahnsinnig anforderungsreich.

Man versteht doch, wenn man sich gerne zurückzieht in das Bekannte.

Versteht man.

Mir geht es ja genauso.

Und die, die im KKL-Konzert hören, die wollen auch die Schwelle

zumachen, den Eingang zumachen und jetzt Brugner hören.

Klar.

Und dann gehen sie wieder raus.

Dann hat man sozusagen zeitweise diese Echokammer.

Im wahrsten Sinne des Wortes in diesem Fall.

Nur, wenn man jetzt irgendwie drei Jahre lang im KKL-Konzert

mit diesen Leuten da sitzen, dann geht man wieder raus.

Und was ist im Wirtshaus eigentlich doch mit der schönsten Ort,

der wichtigste Ort, da, wo man dann raustritt

und dann kommt jemand anders rein.

Oh, grüezi.

Und lang nicht gesehen.

Das heißt, das ist auch ein Ort der Begegnung.

Und das heißt, die, die jetzt Schwellenangst haben,

die verstehe ich total, weil ich sie auch habe.

Auf der anderen Seite gibt es vielleicht auch so eine Art Höhlenangst,

oder?

Also man will ja auch nicht immer in seinem Zimmerchen hocken,

wo alles heil ist.

Ist ja auch vielleicht ein bisschen zu überschaubar.

Ja, und interessant ist doch auch, dass das eine grundphilosophische Frage ist.

Also wenn wir denken, Wittgenstein hat ja mal gesagt, die Philosophie,

also ein philosophisches Problem hat die Form, ich kenne mich nicht aus.

Das heißt, im Grunde genommen muss man sich auf dieses

ich kenne mich nicht aus, ja, erst einmal einlassen

und dieses Gefühl haben, ich gehe aus meiner bekannten Umgebung hinaus

und merke über der Schwelle, ich kenne mich nicht aus.

Und dieses Stören ist eigentlich die Urform der Philosophie

oder der Beginn der Philosophie.

Ja, ja, und eines der Lieblingszitate von Wittgenstein war von Shakespeare

aus dem King Lear.

Ich leere euch die Unterschiede.

I'll teach you differences.

Und das hat er sehr geliebt.

Und seine ganze Philosophie, die mich sehr beeinflusst hat,

kreist um das genaue Hinschauen auf kleine Unterschiede.

Und diese Sorgfalt im Umgang mit dem kleinen Unterschieden,

die ist, glaube ich, für uns auch wichtig.

Wir brauchen nicht die ganz großen Gesten immer,

sondern wir brauchen auch diese Achtsamkeit für kleine Schritte

und die Schwellen sind auch eng verbunden mit kleinen Schritten.

Einer der die schlimmsten großen Sprüche des 20. Jahrhunderts

in der Philosophie geklopft hat, nämlich Jean-Paul Zadrill,

hat ganz gegen Ende seines Lebens gesagt,

Freiheit ist eine kleine Bewegung.

Das gefällt mir, obwohl mir sonst vieles nicht an ihm gefällt.

Freiheit ist die kleine Bewegung.

Und da hat er recht.

Das ist schön, das muss ich mal so stehen lassen,

weil ich möchte mit Ihnen noch einmal über die Helden sprechen.

Es geht um die Schwelle.

Es sind eigentlich gar nicht immer diese hochtrabenden,

riesigen, neuen Ideen, die uns weiterbringen.

Gleichzeitig machen Sie sich auch lustig darüber,

dass wir von Alltagshelden sprechen.

Und Sie sprechen ganz konkret, ich habe Ihnen die mitgebracht,

von Spielzeugfiguren.

Haben Sie sie gefunden?

Ja, natürlich.

Es gibt eine Packung Alltagshelden, die man kaufen kann.

Der Müllmann, die Lehrerin, auch schön gesendert.

Eine Person aus dem Pflegebereich.

Und Sie sagen, meine Güte, das sind noch alle Helden,

die uns einfallen.

Man spricht von Alltagshelden.

Und das hat so tun für Sie mit Alltagsschrumpfung.

Warum ist es denn falsch,

von Alltagshelden und Heldinnen zu sprechen?

Oder was stört Sie daran?

Mich stört daran,

dass es so eine Art Inflationierung gibt.

Die dann irgendwie eine bisschen billige Geste ist.

So ein falscher Trost für die,

das ging ja hauptsächlich um die Corona-Krise,

als dieses Wort hochkam mit den Alltagshelden.

Es gibt dann so eine billige Geste,

dass man die Leute nicht besser bezahlt,

aber in diese Auszeichnung zuspricht,

dass sie Alltagshelden seien.

Und das,

viele der Betroffenen haben diesen Ausspruch

dann auch zurück gewesen.

Was mich da ärgert zusätzlich ist,

dass ich den Eindruck habe,

dass man da so eine Art Erleichterung spürt.

Ah, jetzt kann ich doch wieder über Helden sprechen.

Aber ich muss es dann so tun,

dass praktisch jeder ein Held ist.

Und das ist natürlich quatsch,

weil Helden schon die Menschen,

weil Helden schon sozusagen Differenzworte sind.

Also, da werden Leute herausgehoben.

Und unsere Gesellschaft meines Erachtens leidet ist,

dass sie eben so eine Art Heldenvermehrung betreibt.

Nach dem Motto, okay, wenn wir schon über Helden sprechen,

muss jeder ein Held sein.

Unsere legalitäre Gesellschaft.

Und umgekehrt gibt es dann eine darübergehende Sehnsucht,

darüber hinausgehende Sehnsucht.

Doch irgendwie.

Und wo ist die dann zu befriedigen im Kino bei den Superhelden?

Also, das heißt, da gibt es doch irgendwie eine Diskrepanz,

die ungesund ist.

Ich gebe Ihnen völlig recht,

und mir gefällt das ja auch,

dass Sie für den Helden oder die Helden wieder plädieren.

Und gleichzeitig dachte ich so, ja,

das ist auch ein sehr männliches Konzept.

Also, man denkt dann auch nach Hill oder so,

oder eben an die Kinohelden,

alles irgendwelche Männer stark berüstet mit vielen Waffen,

Eltern, die fürsorglich im Alltag sind mit ihren Kindern,

die bewegen die Gesellschaft vielleicht am Ende sogar mehr,

wie wenn man diese Einzelkämpfe hat.

Insofern ist es doch richtig, Ihnen auch Helden

oder Heldinnenstatus zu geben.

Ich würde sagen, Vorbilder sind Eltern, ja.

Und das ist eine ziemlich anspruchsvolle Sache.

Denn um Vorbild zu sein,

muss man erst mal überhaupt ein Bild von sich selbst haben.

Sonst kann man niemandem im Vorbild sein.

Und viele haben kein Bild von sich.

Wer will ich sein? Wer bin ich?

Und dann mogeln sie sich durch,

und dann sollen sie plötzlich für Kinder Vorbild sein.

Also, lassen wir mal den Helden,

wie ja, sagt man, die Kirche im Dorf,

und den Helden dort, wo er hingehört.

Also, nicht bei dem Vorbild,

ein Vorbild ist die große Gruppe,

und Helden sind manche Vorbilder.

Weil bei Helden kommt schon noch was dazu.

Ich glaube, Eltern wollen gar nicht Helden sein,

aber Vorbilder sollten sie sein,

und sollten sie auch sein wollen.

Bei Helden kommt schon noch was dazu,

nämlich, dass das eine ziemlich ungemütliche Geschichte sein kann.

Also, dass das mit Gefahr verbunden ist.

Aber ich würde total Proteste einlegen

gegen die Vorstellung, dass Helden was Männliches sind.

Also, klar, das Wort Held ist Männlich.

Nee, nee, das war nicht Männlich.

Aber Heroismus.

Heroisma, von mir aus, oh Mann, ist doch nicht Männlich.

Wenn Hegel über Helden schreibt, denkt er an Effigenie.

Wenn die Bürgerrechtsbewegung über Helden nachdenkt,

denkt sie an Rosa Parks.

Und so weiter und so weiter.

Jean d'Arc, Marianne in der französischen Revolution.

Das heißt also, massenweise Heldinnen

und die lustigste Geschichte dazu ist,

dass in den 40er Jahren während des Zweiten Weltkriegs

nicht nur Superman erfunden wurde von zwei Juden

im Kampf gegen Hitler,

sondern auch Wonder Woman

als Ikone der Frauenbewegung.

Und zwar von einem Achtung, Pärchen,

oder sogar nach einem Menage à Trois,

die alle drei, also Mann und zwei Frauen,

seltsame Beziehung, Feministinnen, Feministen waren.

Und Wonder Woman war eine feministische Ikone.

Also es gibt auch bei den Superhelden sogar weibliche Varianten,

wie man jetzt durch die neueren Filme auch wieder gemerkt hat.

Können wir uns darauf einigen,

dass Heldinnen und Helden schon irgendwie auch stören,

produktiv stören in dem Fall,

eben genau dieses Produktive, was wir betont haben,

während dessen Vorbilder nicht zwingend stören?

Nein, können wir uns nicht vorstellen.

Nein, weil es eben diese Helden auch in diesen zwei Varianten gibt,

nämlich die Helden, die zum Beispiel Bürgermeister sind

und in einem ausländerfeindlichen Umfeld

für die Bürgerrechte eintreten.

Und dann Katzen, Scheiße, entschuldigen Sie,

dass ich das so drastisch ausdrücke, mit der Post bekommen.

Und Ihr Auto zerkratzt, wird dann Ihre Kinder bedroht werden.

Und dann trotzdem Ihren Job machen.

Die stören ja nicht.

Die übererfüllen Ihre Pflicht.

Denn keiner kann von Ihnen erwarten,

dass Sie das durchhalten, psychisch.

Aber manche machen es, weil sie denken,

dir lasse ich mich jetzt nicht klein kriegen.

Das sind also die Helden,

die verteidigen, was uns allen lieb und teuer ist.

Und das sind dann die Helden der Übererfüllung der Pflicht.

Das ist auch philosophisch breit diskutiert worden.

Und das sind natürlich Helden,

die sich in der Mitte der Gesellschaft befinden.

Auch der Held, die Helden, die ins Wasser springt

und jemanden rauszieht und dabei fast selber drauf geht,

die tut ja mehr als die Pflicht,

aber sie stört nicht die Gesellschaft.

Aber es gibt eben auch die Helden der Überwindung,

die eben dann, und das waren natürlich vorwiegend,

deshalb haben Sie das jetzt vielleicht auch gefragt,

die Beispiel, die ich gebracht habe,

mit Rosa Parks und Evgenio und so.

Also es gibt natürlich auch Helden, die überwinden wollen,

die irgendwie weiter treiben.

Und es gibt ja eine große Ähnlichkeit

zwischen der Gesellschaftskunde und dem Bäckerhandwerk.

Das ist Ihnen wahrscheinlich entgangen bisher,

weil man auch die Gesellschaft und die Entwicklung der Gesellschaft

mit einem Hefeteig vergleichen kann.

Also bei Tony de Rood,

dem großen Aufklärer, gibt es diesen Ausdruck von Goethe übersetzt.

Der Störenfried ist wie ein Krümchen-Sauerteig,

das die Gesellschaft in Gehrung bringt.

Und das kann man natürlich auf den Helden übertragen.

Und dann kommt der Teig und wächst und wächst

und die Gesellschaft gehrt.

Und das passiert was, wie jetzt auch mit dem Klima.

Wir wissen nicht, wie gehen wir damit um.

Und dann wird geknätet und in Form gebracht.

Und plötzlich ist diese Hefe dann etwas,

was auch praktisch ein neues Gestalt hervorbringt.

Aber es gibt dann immer auch die Zeiten der Formung, der Festigung.

Und am Schluss wird gegessen.

Und bevor wir aufessen müssen oder das Gespräch beenden,

vielleicht zum Schluss noch diese letzte kurze Frage.

Auf welchen Störenfried hoffen Sie denn?

Ich hoffe doch tatsächlich auf Störenfriede,

die dieses Klimathema zu einem Lieblingsthema,

der ganzen Gesellschaft machen.

Die Brücke bauen, so dass wir alle drüber laufen können.

Vielen Dank für dieses Gespräch, Dieter Thoma.

Danke schön.

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Niemand mag Störungen. Fahrleitungsstörungen oder Störgeräusche sind ebenso unbeliebt wie «Klimakleber», die den Strassenverkehr stören. Der Philosoph Dieter Thomä sagt aber: Störmomente gehören nicht nur zum Leben, sondern bringen uns manchmal entscheidend weiter. Doch was macht Störung produktiv?

Angesichts komplexer und krisenbehafteter Zeiten keimt in vielen der Wunsch nach einer möglichst störungsfreien Welt, nach reibungslosen Abläufen und vertrauten Schemen. So verständlich der Wunsch, so verfehlt ist er, sagt Dieter Thomä, bis vor kurzem Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. In seinem Buch «Puer Robustus. Eine Philosophie des Störenfrieds» hat er sich bereits 2016 intensiv mit der Figur des Querdenkers, Aufwieglers und Querulanten befasst. Für ihn gehören diese Figuren zu jeder Ordnung und namentlich zur Demokratie. Politische Aufbrüche der Moderne werden selten vom Zentrum der Macht, sondern meist von den Rändern her angestossen – nicht zuletzt von Menschen mit Ideen, die als verrückt abgestempelt wurden. Letztlich ist auch die Philosophie in ihrem Ursprung nichts anderes als der Versuch, Bisheriges zu stören und an den Grundfesten unserer Überzeugungen zu rütteln. Doch wann ist der Sand im Getriebe produktiv – und wann wirkt er einfach nur zersetzend? Barbara Bleisch hakt nach.