Verbrechen: Die Geschichte von Megi und Mel

ZEIT ONLINE ZEIT ONLINE 6/27/23 - Episode Page - 43m - PDF Transcript

Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, liebes Publikum hier in Wien, mein Name ist Anne Kunze,

ich bin die Kriminalreporterin der Zeit, mir gegenüber sitzt Daniel Müller, der Chefredakteur

des Magazins Zeit Verbrechen. Herzlich willkommen, liebe Daniel. Vielen Dank, liebe Anne. Wir sprechen

heute über die Geschichte einer großen Liebe, die in einem großen Verbrechen geändert ist. Es geht

um Maggie und Mel, zwei sehr unterschiedliche Mädchen und ich wollte dich bitten, ob du uns

einmal mitnehmen kannst ins Jahr 2010 ins westfälische Senden und zwar in die unterschiedlichen

Welten, aus der diese beiden Mädchen kommen, Maggie und Mel. Damals 2010 war Maggie 13 und Mel,

Melina, 12 Jahre alt. Kannst du uns die Mädchen mal beschreiben, die Elternhäuser, wie sie

aufgewachsen sind? Sehr gerne, also sie haben beide eine Migrationsbiografie. Beide Familien sind

nach Deutschland eingewandert in den 90er Jahren. Ich fange mal mit der Familie von Melina an. Die

sind 1992 aus Kyrgizien gekommen, hatten damals schon eine Tochter und einen Sohn und eine ganze

Reihe an Verwandten, die bereits nach Senden gezogen waren. Senden ist so eine 20.000 Einwohnerstadt

in Westfalen, also im westlichen Teil von Deutschland nah an der holländischen Grenze. Und die kamen

da ein stabiles Umfeld? Die kamen ein stabiles Umfeld in so einer durchaus auch religiös geprägten,

katholischen Stadt, in der die CDU noch fast die absolute Mehrheit hat und haben da auch durch

ihren Ehrgeiz, durch ihren Fleiß und den unbedingten Willen, den Kindern eine gute Zukunft

bieten zu können, sehr schnell Anschluss gefunden. Haben schnell Deutsch gelernt, haben beide die

Eltern beide Jobs gefunden. Er in einer Malerei, sie in einer Metzgerei, sie ist dann später Kosmetikerin

geworden und haben also sich ein kleines Haus zu Miete dann irgendwann leisten können. Und 92

sind die gekommen, 97 ist Melina dann auf die Welt gekommen. Als Nesthäkchen. Als Nesthäkchen,

ein russisches Sprichwort sagt, ein Kind ist kein Kind, zwei Kinder sind ein halbes Kind, drei sind

ein ganzes. Und Melina war quasi so die Krönung eben, dieses dritte Kind. Es war eine sehr stabile

Familie und in diesem Milieu konnte sie sich auch sehr gut entwickeln. Kannst du uns dann im Gegensatz

erzählen, wie es bei Maggie aussah, in Maggie's Familie? Und das ist tatsächlich das komplette

Gegenteil bis auf die Parallele, dass sie eben auch eingewandert waren, in diesem Fall aus Polen.

Die kamen also 1996 nach Deutschland ohne Ausbildung, ohne einen Plan von der Zukunft, ohne Halt dort

auch, also ohne weitere Verwandte. Sie waren erst mal in der Nähe von Senden, hatten schon drei Kinder

und Maggie war damals aber auch noch nicht geboren. Die kamen dann ein Jahr

später zur Welt und war im Grunde genommen nichts mehr als ein weiteres Problem in dieser völlig

dysfunktionalen Beziehung, in der der Vater trank und die Mutter verprügelte und die Mutter

ging fremd und verprügelte ihre Kinder. Im Grunde genommen kann man es auf diesen einen Satz so ein

bisschen zusammenfassen. Und die Maggie ist doch dann auch ins Heim gekommen? Die Eltern haben

natürlich irgendwann getrennt und sie war dann mit sieben hat sie noch bei ihrer Mutter gewohnt,

die hat sie aber schon teilweise nächtelang alleine gelassen. Mit sieben? Sie kamen dann einfach

drei Tage nicht wieder und die Geschwister waren schon deutlich älter, das heißt sie war dann mit

sieben auf sich allein gestellt. Elfmal hat sie eine Schule gewechselt, mit zwölf ist sie dann ein

Jahr in ein Heim gekommen, in das sie sich mehr oder minder selbst eingewiesen hat, weil sie weder

zu ihrem Vater noch zu ihrer Mutter wollte und in diesem ganzen Jahr hat ihre Mutter sie zweimal

besucht. Du hast in deinem Text den Satz geschrieben, der mich total berührt hat, wenn ihre Mutter von

Maggie redet, klingt das als spreche sie von einem Haustier. Ja so war das auch, sie hat vor Gericht

gesagt, als sie gefragt wurde warum sie sie denn da nur zweimal besucht habe in diesem Heim, ja sie

wolle sie ja nicht mit Gewalt an sich binden. Aber Gewalt gab es viel in der Familie von Maggie,

ne? Es gab jede Menge Gewalt, also diese ganze Familiengeschichte ist einfach sowas von tragisch.

Der Onkel von Maggie saß im Gefängnis, weil er seine Partnerin getötet hat.

Ihr eigener Bruder hatte mit 25 Jahren 14 Jahre im Gefängnis Maßregelvollzug und in der Psychiatrie

hinter sich. Der saß also ab dem er elf war, im Grunde genommen war er immer untergebracht,

erst mal in der Psychiatrie ohne irgendwelche Straftaten begangen zu haben, dann kam er raus,

hat irgendwelche Straftaten begangen, saß im Maßregelvollzug, dann kam er raus, dann war

wieder ein Knast, also so eine Drehtürbiografie nur schon halt mit 25. Die Mutter, wie gesagt,

habe ich ja schon erzählt, hat sie geschlagen. In der Familie gab es dann noch jemand, der sie

sexuell missbraucht hat. Es gab ihre Cousine, die sie zugleich geschlechtlichem Sex gezwungen haben

soll, das konnte nie so richtig geklärt werden, ob das wirklich alles so passiert ist. Jedenfalls

hat sie berichtet auch den forensischen Psychiaterinnen, die sie untersucht haben. Also es war

wirklich das denkbar ungünstigste Umfeld und ich kann mal vielleicht einmal zitieren,

was in diesem Gutachten so starkeratoartig festgehalten ist.

Entwicklungsbedingungen innerhalb der Familie desaströs. Zentrale kindliche Bedürfnisse

wurden von den Eltern nicht erfüllt. Keine verlässlichen Bindungserfahrung,

keine bedingungslose Liebe, keine Zuwendung durch die Eltern, keine Sicherheit, keine

Förderung ihrer Entwicklung, kein Interesse an ihrer Person, keine erzieherischen Grenzen,

keine älterliche Fürsorge und Aufsicht. Elternhaus von Gewalt geprägt, sexuelle

Grenzverletzungen und Gewalt. Sie hat auch noch einen Suizidversuch, der Mutter miterlebt,

da musste sie dabei sein. Also man braucht nicht viel Fantasie, um zu sagen, dass dieser arme Mensch

im Grunde genommen ihr ganzes Leben ein Opfer war.

Wir haben es ja ganz häufig in ... nun wir recherchieren ja beide viele Fälle,

wir sind oft vor Gericht und ganz häufig begegnet uns ja da diese Frage, wenn jemand

das Leben lang nur Opfer war, wird er dann zum Täter, wird er zur Täterin, wie passiert das,

was setzt sich da in Gang? Kannst du uns einmal diese Liebesgeschichte oder diese Freundschaft,

als solche beginnt ja diese Geschichte, diese Beziehung zwischen Maggie und Mel Schildern,

die lernen sich erkennen, als die beide noch prä-puberter oder gerade so pubertär sind mit 12 und

13. Es beginnt als Freundschaft, die schreiben sich gegenseitig ins Pursi-Album, halten Händchen,

so fängt ja die ganze Geschichte an. Genau, es ist 2010, als die beiden sich kennenlernen.

Maggie hatte mal wieder ein Schulwechsel hinter sich, kam in die Klasse von Melina.

Wo die Melina schon gut integriert war und quasi ganz normal.

Genau, auf der Hauptschule in Senden. Und nun kann man sich ja bei dem, was ich vorgetragen habe,

vielleicht schon ein bisschen vorstellen. Jedenfalls könnte man das annehmen, dass die Maggie

eher so ein Opfertyp war. Man musste nämlich dazu noch sagen, sie war sehr stark übergewichtig,

hatte auch nie gelernt auf sich selbst aufzupassen, weshalb ihr auch so jeglicher Sinn fehlte für

Kleidung, Styling und solche Sachen. Es war hier alles völlig unwichtig und man kann gerade ...

Wie sah sie denn aus?

Das relativ großen, Meter 72, 73, hatte zum Schluss, das war dann später,

ich glaube zu dem Zeitpunkt war sie noch nicht so schwer, aber später, als dann das passierte,

worüber wir gleich reden werden, hatte sie 150 Kilo auf die Waage gebracht,

hatte sich irgendwann so Tunnel-O-Ringen machen lassen, die Haare immer abrasiert,

steht ungeschminkt und eigentlich immer nur im Jogging-Anzug rumgelaufen. Und Melina war das

totale Gegenteil. Wie sah die denn aus? Melina hatte überall im Zimmer so Twilight-Poster,

eine oder andere wird sich vielleicht noch erinnern. Das war damals eine Riesensache, Vampir,

Liebeschmonzetten, möchte ich sagen. Und sie war natürlich ein Riesenfan und hat sich versucht,

so ein bisschen wie die Hauptfigur, die weibliche Hauptfigur zu stylen, die auch mal so ätherisch

schön war. Sie hat dann die Haare immer ganz aufwendig gestylt, bevor sie in die Schule gegangen

ist, wenn sie ein Mantel zugebunden hat. Dann mussten die Enden des Gürtels beide immer exakt

gleichlang sein. Sie hat auch, wenn ihr Vater irgendwie auf den Fest gegangen ist und kein Hemd an

hat, hat sie ihn wieder zurückzitiert, dass er sich mal anständig anziehen soll. Also das war ihr

einfach wahnsinnig wichtig. Und jetzt pralten nun diese beiden Welten. Also in jeglicher Hinsicht,

diametral, einander gegenüberstehenden Welten, pralten also in dieser Hauptschule aufeinander.

Und die Maggies, sagen wir mal, wie hat die sich denn da präsentiert vor der Klasse,

als sie da reingekommen ist? Also es war nicht mehr so ganz natürlich zu rekonstruieren, aber es

haben einige Freundinnen und Klassenkameradinnen auch ausgesagt. Anfangs war sie sehr schüchtern,

das kann man sich ja auch erklären, wenn man so neu in so einen Kreis reinkommt. Und wahrscheinlich

könnte man sie sich jetzt eben so als Opfer vorstellen, aber es war relativ schnell das

Gegenteil. Dadurch, dass sie ein Jahr älter war als alle anderen, war sie auch fast ein Kopf

größer als alle anderen, sehr breit gebaut, das habe ich ja schon gesagt und hat dadurch natürlich

so eine gewisse Einschüchterungswucht vielleicht auch gehabt. Wo ziemlich schnell klar war,

mit der legen wir uns besser nicht an. Ah, sie war eher, wurde eher so etwas wie so eine Anführerin.

Sie war so ein bisschen der Leidwolf. Und das hat Melina dann, glaube ich, auch fasziniert.

Melina war so ein fürchterlich fröhliches, entzückendes, aufmerksames Mädchen, so

wurde sie eigentlich von allen beschrieben, aber auch so ein bisschen ungewöhnlich.

Sag mal ein Beispiel, wo war sie ungewöhnlich?

Zum Beispiel, also sie hat unheimlich große Empathie gehabt. Sie ist jeden Morgen, wenn sie

zur Schule gegangen ist, hat sie beim Bäcker ein Brötchen gekauft und hat es einem Obdachlosen

dem Siegfried gebracht, damit der für den Tag auch schon mal einen Frühstück hat. Und an Weihnachten,

wenn alle irgendwie froh waren und alles strahlte, bunte Lichter geschenke, dann hat sie geweint,

weil sie sich in die Lage von Siegfried versetzt hat und sich gefragt hat, was macht der denn eigentlich

gerade? Und sie hasste einfach Ungerechtigkeit. Und hat sie den Leuten auch gesagt? Das hat

sie jedem gesagt, der dann angefangen hat zu lästern hinter dem Rücken von irgendwem oder so. Und

deswegen war sie jetzt auch nicht mitten im Aufmerksamkeitszentrum dieser Klasse, sondern stand

auch so ein bisschen am Rand, hatte aber durchaus auch Freundinnen. Und die beiden haben sich da

dann nun also kennengelernt. Und am Anfang, du hattest das ja schon mal kurz angedeutet,

war es eher so eine Mädchenfreundschaft. Aber schon eine enge Freundschaft. Es ging relativ schnell,

dass es eine enge Freundschaft wurde. Und vielleicht sagt dem ein oder anderen dieses Akronym noch was,

sie wollten abf sein. Allerbeste Freundin. Allerbeste Freundin, das wollte vor allem Maggie und das

hat sie dann nach relativ kurzer Zeit auch geschafft. Und irgendwann wurde aber, und ich glaube relativ

zügig, aus Freundschaft Liebe zumindest hat die Maggie das so interpretiert.

Die Maggie hat das so interpretiert. Die hat dann angefangen,

eine Liebesbriefe zu schreiben. Für Melina war das sehr komisch, weil das Wort Liebe tauchte

noch nicht so richtig in ihrem eigenen Kosmos auf. Zum einen, zum anderen hatte sie natürlich

in der Familie dadurch, dass ihre Schwester auch älter waren, einige Jahre. Und sie sah eben,

ihre Schwester ist schon verheiratet. Ihre Eltern sieht sie ja nun auch jeden Tag. Sie hat sich unter

Liebe eher immer so einen Mann im Anzug vorgestellt und nicht ein 13-jähriges Mädchen mit Tunnelrohring.

Aber die Maggie hat die Melina davon überzeugt, dass sie jetzt eine Beziehung haben, oder?

Also da ist es auch jemand nach dem, den man fragt. Du hast mit ganz vielen Leuten gesprochen.

Ich habe mit vielen Leuten gesprochen. Ich habe mit der Familie von Melina gesprochen.

Ich habe auch mit Menschen gesprochen, die beide kannten. Und vor Gericht natürlich auch einige

ZeugInnen erlebt, die, wenn sie von der Seite von Maggie kamen, sagten, so naja, die Melina war

schon fast die Stalkerin von Maggie. Und wenn die ZeugInnen aus der anderen Richtung kamen,

also aus Melinas Umfeld eher, dann war es genau anders rum. Und vor allem haben alle relativ

Unisono geschildert, dass die Maggie es irgendwie geschafft hat, wie so eine Marionettenspielerin,

die Melina zu manipulieren. Hat die Melina sich verändert in der Zeit?

Sie hat sich massiv verändert. Also das dauerte dann, also es war so ein Trickle-down-Effekt.

Also es ist so langsam eingesickert. Das Ganze ging, also diese Beziehung der beiden,

jetzt mal die reine Liebesbeziehung, ging allein schon vier Jahre. Also das, was für diese Alter

natürlich sehr, sehr ungewöhnlich ist, egal in welcher Konstellation, ob junge Mädchen,

junge, junge Mädchen, Mädchen, eine sehr lange Zeit. Und die Freundschaft ging eben ja schon

früher los, aber diese klassische Beziehung dann vier Jahre. Und in dieser Zeit hat sich Melina

im Grunde genommen, zumindest äußerlich, aber ich glaube auch ein Stück weit charakterlich,

immer weiter Maggie angepasst. Also früher wahnsinnig aufgeräumtes Zimmer, sehr ordentlich

gekleidet, Styling. Dann hat sie irgendwann angefangen, das Zimmer vermüllen zu lassen. Hat

plötzlich nicht mehr jeden Tag geduscht, hat sich irgendwann auch die Haare abrasiert, wollte

sich dann auch so Tunnel-Orengen machen lassen. Also die wurde immer mehr zu Epigonin im Grunde

genommen ihrer eigenen Freundin. Und das haben die Eltern von Melina natürlich mit sehr großer

Sorge beobachtet, auch weil sie das aggressiv ausagiert hat gegen ihre eigenen Eltern. Also die

haben sie natürlich immer wieder darauf angesprochen und haben sich große Sorgen gemacht, wie diese

Charakterveränderung so vonstatten gehen konnte. Und die Melina hat sich plötzlich gegen ihren

Vater zum Beispiel gewendet. Hast du geschrieben? Das war auch so ein Teil dieser Manipulation, dass

Maggie, die quasi Melina für sich alleine haben wollte, Männer an sich verteufelt hat. Und

sie sagt, Männer sind böse und du musst jetzt auch deinen Vater hassen. Du musst im Grunde genommen

alles hassen, was männlich ist. Und das hat sie sich aus irgendeinem Grunde tatsächlich zumindest

für eine Zeit lang zu eigen gemacht. Wie hat die Maggie sich denn verhalten, als die bei der

Melina zu Gast war? War die da irgendwie integriert in die Familie oder wie sah das dann aus? Weil

die hingen ja viel zusammen rum, ne? Ja tatsächlich war es ja auch gar nicht so einfach, dass sie sich

irgendwie an einem privaten Ort sehen konnten. Dadurch, dass die Maggie immer in so unklaren

Wohnverhältnissen war. Mal hier, bei der Mutter, mal da, bei dem Vater, zwischendurch in diesem

Heim. Das war kurz bevor sie in die Klasse kam. Sie war aber zwischenzeitlich da mit 15 auch mal

in einer Psychiatrie untergebracht, weil sie Suizid gefährdet war und sich selbst ritzte. Das heißt,

die hatten im Grunde genommen als Safe Haven nur diese Wohnung von Melinas Familie. Und das zeigt

vielleicht auch diese Qualität und die Liebe, die Melinas Eltern zu ihrer Tochter hatten, dass sie

das zugelassen haben, obwohl sie es als sehr, sehr schädlich empfunden haben, um ihre Tochter eben

nicht zu verlieren und natürlich vielleicht auch um eine gewisse Kontrolle irgendwie darüber zu haben,

was da eigentlich zwischen zwischen den Mädchen passiert. Und wenn die da aber zu Gast war,

war die Wien geist. Also die war nicht sichtbar, die kam nicht raus aus dem Zimmer oder so. Genau, die

Eltern haben ja erzählt, wir haben die eigentlich gar nicht gesehen. Immer erst wenn wir ins Bett

gegangen sind, kam sie raus und hat gegessen. Oder wenn sie überhaupt raus kam, oft hat sie auch

einfach Melina wie so ein Sklar, wenn losgeschickt, mach mal dies, mach mal jenes. Es war immer so,

das ganz klare Machtverhältnis, Maggie steht hier und Melina steht da und sie muss Dinge machen. Und

wenn sie die Dinge nicht gemacht hat, dann gab es schon auch mal körperliche Züchtigung. Sag mal was?

Also zum Beispiel hat sie dann einmal in so einer Situation, als Melina sich dann geweigert hat,

da gab es auch eine Zeugin, die das mit beobachtet hat, ist sie hier hinterher gerannt und hat ihr

so auf den Rücken gehauen. Dann ist sie so nach vorne umgefallen. Sie hatte auch öfters, haben

viele berichtet, hatte sie so Kratzer im Gesicht, wo sie dann immer diese klassischen Ausreden hatte,

dass sie hingefallen sei und so alles ganz dick überschminkt. Sie hat dann für Melina etwas

sehr Schreckliches getan, als sie einmal sauer auf sie war und zwar hatte Melina, als sie vier Jahre

alt war, ich meine von ihrem Bruder eine kleine Stoffente geschenkt. Und Zippy wurde dann in so

einem Wutanfall eines Flügels beraubt und dann wurde abgeschnitten und dann hat sie noch irgendwas

da abgerissen. Das war für Melina sehr, sehr schlimm. Und von diesen Übergriffen, von diesen

Züchtigungsaktionen gab es eine ganze Reihe. Die Beziehung, die auf mich eher toxisch wirkt,

geht, du hast es gesagt, vier Jahre lang bis zum Valentinstag 2015. Was passiert an diesem

Valentinstag 2015? Vorweggeschickt müsste man vielleicht noch sagen, dass es so ein Kipppunkt in

Melinas Denke, ihrem Gefühlshaushalt gab, in dem Moment, wo ihre Schwester ein Kind zur Welt bringt.

Das war für sie der Moment, wo sie erkannt hat, okay, das ist eigentlich das Leben,

was ich mir vorstelle. Sie will auch ein Baby haben. Mama, Papa, Kind. Und zwei Kinder hat sie

sich gewünscht. Ersten Junge, dann ein Mädchen, das hat sie immer gesagt. Mami, ihre Eltern erzählt.

Und in dem Moment, als sie das merkt, ventiliert sie das auch und erzählt das Magie auch. Und das

war wahrscheinlich auch noch mal so der Moment, wie der Männerhass in Magie noch mal größer

geworden ist. Und sie sich auch so sehr unmächtig fühlte, weil sie wusste, okay, da kann sie jetzt

nun nichts tun. Also egal, was sie machen wird, wenn das ihr Wunsch ist, dann wird sie gemerkt,

haben sie ... Das kann ich nicht liefern. Das kann ich nicht liefern. Sie gleitet mir durch die

Finger. Und tatsächlich genauso war es. Es gab dann eine erste Trennung im Herbst 2014. Dann haben

sie sich danach aber noch mal zusammengerauft und dann am Valentinstag 2015 sind die beiden ins

Kino gegangen und anschließend in ein Restaurant. Und dann hat Melina gesagt, ich will dich nicht

verlieren, aber ich will eine Familie und ich will ein Baby. Und deswegen müssen wir jetzt getrennte

Wege gehen. Und das hat Magie komplett, komplett aus dem Leben fallen lassen im Grunde genommen.

Sie hat das nicht, obwohl sie es hätte kommen sehen, hat sie das komplett zerstört, diese Nachricht.

Also sie verhält sich, als hätte sie es nicht kommen sehen. Ja, ich glaube, das ist natürlich auch so,

diese klassische Strategie, wenn man den emotionalen Haushalt irgendwie bei dieser Biografie zumal

gesund halten will, dass man solche Dinge abspaltet. Also alles, was einem dann noch zusätzlich

schadet, legt man weg. Und es ist ja erst recht erklärbar, wenn man das erlebt hat, was Magie

erlebt hat. Denn Melina war ja für sie im Grunde genommen die erste sichere Bezugsperson, die sie

in ihrem Leben jemals hatte, die erste Person, die ihr Liebe gegeben hat und der sie auch Liebe

geben konnte. Es war also quasi der eine Mensch, der sie aus dieser ganzen Scheiße rausgeholt hat. Und

dieser eine Mensch, der ging nun gerade. Wie geht es denn nach der Trennung zwischen den beiden

weiter? Sehen die sich noch? Haben die noch eine Art von Kontakt? Wie verhält sich Magie denn in

diesen Wochen und Monaten nach der Trennung? Sie haben erst mal ein paar Wochen fast keinen

Kontakt. Also diesmal wird die Trennung durchgezogen? Diesmal wird die Trennung durchgezogen und das

sind dann auch die Wochen, in denen Magie in die Psychiatrie kommt, weil sie sich mit Suizidgedanken

plagt, weil sie sich selbst ritzt und nicht nur das, sie drückt auch brennende Zigaretten auf

ihrem Körper aus, um sich selbst Schmerz zuzufügen, einerseits und natürlich aber auch, um sich

selbst zu spüren. Das ist ja auch eine Funktion quasi dieser Selbstverletzung. Und dann wird sie

eben in diese Psychiatrie eingewiesen und als sie da wieder rauskommt, beginnt der Kontakt

eigentlich wieder von Neuem und es wird auch sehr schnell wieder sehr eng, aber diesmal in einem

rein freundschaftlichen Verhältnis. Allerdings auch in so einem merkwürdigen Verhältnis, weil

sie sich so so auch so ein bisschen umkehrt, weil immer wenn Magie sich dann mal, weil sie es nicht

aushält, entzieht, kommt Melina wieder und zieht uns her an ihr. Das hat die Schwester von Magie dann

später im Prozess am Landgericht Münster auch ausgesagt, dass es Momente gab in dieser Beziehung,

wo sie zum Beispiel nicht das Haus betreten durfte, aus welchen Gründen auch immer, die Melina bei der

Magie und dann hat sie sich quasi vor das Fenster gelegt und hat da geschlafen. Die ganze Nacht.

Angeblich ja, von den Eltern bitte es bestritten und deswegen möchte ich das auch nicht behaupten,

aber das ist das, was die Schwester von Magie ausgesagt hat. Das konnte vor Gericht letztlich

nicht geklärt werden. Aber was schon passiert ist, ist, dass sie sich wieder sehr angenehren haben,

dass sie dann teilweise sogar wieder in einem Bett geschlafen haben, allerdings ohne den Austausch von

Zärtlichkeiten. Es war dann einfach wieder das, was es ganz am Anfang mal war, zumindest für eine

kurze Zeit so diese allerbeste Freundschaft. Gibt es denn was aus deiner Sicht? Du hast ja den

Prozess beobachtet, du hast mit vielen Leuten gesprochen, was den Tod von Melina angekündigt hat.

Also außer die Dinge, die wir jetzt natürlich schon besprochen haben, du hast ja schon die Gewalttätigkeiten,

die Übergriffe geschildert in der Beziehung. Ja, es gab eine Menge Anzeichen und auch tatsächlich

sehr konkrete Drohungen. Einmal ist sie mit einem Messer zu einem Treffen mit Melina gefahren, was

sie dann nicht eingesetzt hat. Die Maggie hatte das Messer dabei und das zeigt ja schon mal so ein

bisschen, womit sie sich trägt, mit welchen dunklen Gedanken. Es gab auch die Fragen an die

eigene Schwester, was passiert eigentlich, wenn man jemanden erwürgt, wie lange dauert es,

wie jemanden zu erwürgen. Und dann gab es vor allem am Tatvortag zwei SMS-Austausche mit einer

Freundin von Maggie, die sie kennengelernt hat, während dieses Psychiatrie-Auffentals oder eines

Kur-Auffentals. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, sie hatte auch noch einen Kur-Auffentalt. Irgendwo

hat sie diese Freundin kennengelernt, die irgendwo in Süddeutschland lebte und einen Tag vor der Tat,

also am 16. Oktober 2015, schreibt sie dieser Freundin, dass sie Geld sorgen habe und vor allem

aber war alles wegen meiner Bitch-Ex, schreibt sie und dann den zweiten Satz, war, bin so psycho

wegen der, ich bringe die um und fertig. Diese Zeugin geht darauf ein und sagt, hey, das kannst

du nicht, was ist los? Also das ist jetzt aber sehr übertrieben und dann plötzlich wechselt sie ins

Englische und schreibt dieser Freundin folgende Nachricht. Das Englisch ist jetzt von ihr nicht, von mir.

I will you, but I can't. First, I must kill Melina. I kill her with und dann kommt so ein Faust-Emoji

und ein Messer-Emoji. When she lives, my heart is, und dann so ein gebrochenes Herz-Emoji. When she is

dead, my heart is, und dann so ein ausgefülltes Herz. I forget she when she is dead. I will in a

prison. I lost all. My heart is broken. I am ill in my head. I am afraid always. I hate the

world. I will kill me, but I can't, because I have lots of hate of Melina. Also wenn wir versuchen,

das zu übersetzen, dann scheint sie die eigene Unzulänglichkeit und Krankheit, also sie bezeichnen

sich als ill, zu erkennen und äußert schon eine Tötungsabsicht und sagt, dann würde ihr Herz

wieder ganz sein, wenn die Melina eben tot sei. Und natürlich müsste man das, aber diese Freundin,

die ist selber noch total jung. Also wenn das jetzt jemand gesehen hätte, der erwachsen und seine

Sinne beieinander hat, dann ist das natürlich eine mehr als eindeutige gefährliche Drohung. Die hat

das wahrscheinlich so ein bisschen so aufgefasst. Ja, das ist jetzt niemandem gemeldet, niemandem

gezeigt in dem Moment. Reden nicht so ein Scheiß, das kannst du nicht machen. Nach dem Motto war die

Reaktion so. Also schon so kurz ernst genommen, so, hey, flieb man nicht aus. Ist ja auch komisch,

dass sie plötzlich ins Englische wechselt. Ja, ist ganz eigenartig. Auch das ist so wieder so,

als würde sie so ein bisschen von sich weghalten, als wäre das so eine abgespaltener Teil. Was passiert

an diesem furchtbaren 17. Oktober im Jahr 2015? Am Tag vorher, an dem 16., wo das hier geschrieben

wird, sie schreibt das in der Nacht vom 15. auf den 16. schreibt sie das. Und am 15. also einen Tag

vor diese Nachrichten in der Nacht versendet werden, hatte Melina, die von Maggie immer Mel genannt

wurde, hatte also Mel an Maggie geschrieben, hey, ich bin am 16. in Münster in der Innenstadt um

10 Uhr und sie wusste, die Maggie ist gerade zu Besuch bei ihrer Mutter für einen Wochenende in

Münster. Ich fahre da mit einer Freundin hin, bitte kommen doch auch, dann können wir zusammen

shoppen gehen und dann abends feiern wir noch eine kleine Einweihungsparty, bei dieser dritten

Freundin, die dabei war. Die hatte gerade eine neue Wohnung in Senden bezogen. Maggie hat darauf

gar nicht reagiert auf diese Einladung, weil sie irgendwie gerade nicht konnte. Sie wollte einfach

gerade nichts mit Mel zu tun haben. Was wiederum zeigt, es war schon beidseitig. Es war nicht

immer nur Maggie, die zog, sondern es war auch Melina, die zog. Und dann fuhren diese beiden

Mädchen damals 17, Melina und ihre Freundin, also nach Münster, kauften noch irgendwie einige

Sachen ein, unter anderem neuen Mantel und Bilderrahmen und so allen möglichen Kleinkramen

und irgendwann dann auch ein paar Alkoholika, Lackritzlikör, so diese Bier-Mixgetränke, die

irgendwie offenbar ja auch getrunken werden. Alkopops. Danke, das Wort habe ich gesucht,

Alkopops und so kleine Klopfer und wollten sich einen schönen Abend machen und haben dann,

als sie mit dem Bus wieder von Münster am Abend nach Senden fahren wollten, gemerkt,

einmal der hält ja fast vor der Haustür von Maggie's Mutter. Da steigen wir jetzt aus und holen

wir die noch. Da haben sie geklingelt und die Maggie wollte nicht und dann haben sie sich aber

überredet, dass sie doch mitkommt und genauso kam es dann aus. Sie kamen mit, sind auch bei

McDonalds was essen gegangen, haben auf dieser Busfahrt schon ordentlich gebechert. Melina saß

wieder bei Maggie auf dem Schoß und hat mal vorstellen, Melina deutlich kleiner und sehr

zierlich. Maggie zu dem Zeitpunkt 18 Jahre alt, 150 Kilo schwer, so das war das große und

stattlich, das größte Verhältnis und diese Zeugin, die Dritte hat dann auch ausgesagt, ja,

das wirkte, als wären die beiden irgendwie freundschaftlich wieder sehr eng verbunden. Also

so innig, du hast doch geschrieben, wie die sich Handyfotos zeigen und so in dem Moment. Genau,

so von früher auch und haben auch darüber gelacht und offensichtlich war Melina das ja auch sehr

wichtig. Das kann man natürlich jetzt auf zweierlei Arten deuten. Zum einen kann man das so deuten,

dass sie irgendwie immer noch auch so ein Teil dieser Liebe gefühlt hat und sich selbst so

unsicher darüber war, ob sie da das Richtige gemacht hat. Man könnte das natürlich aber auch

noch mal verbinden mit der Information, mit diesem Siegfried. Sie konnte ja auch diese

Ungerechtigkeit in der Welt nicht ertragen und wenn etwas offensichtlich war, dann,

dass das Leben von Maggie wirklich schreiend ungerecht gewesen war bis zu diesem Zeitpunkt und ich

glaube, es war auch so ein schlechtes Gewissen, dass sie sich immer wieder auch zurück zu ihr bewegt

hat. Liebe Hörerinnen und Hörer, Sie möchten das Magazin zum Podcast einmal unverbindlich testen,

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neuen Wohnung weiter getrunken und teilweise sind sie auch eingeschlafen und dann war es irgendwann

sechs Uhr morgens, sie waren gut gut angetrunken. Melina hatte am Abend vorher, also am späteren

Abend, so gegen zehn noch mal so einen SMS-Austausch mit ihrer Mutter gehabt und auch mit ihrer

Schwester, wo sie noch mal Fotos geschickt hat von dem neuen Mantel und die Mutter sich große

Sorgen gemacht hat, dass sie nicht nach Hause kommt, aber gesagt, hey, ich vertraue dir und viel

Spaß und dann saßen sie nun also um sechs Uhr morgens Melina und Maggie da und haben sich

gedacht, gut jetzt müssen wir mal irgendwie nach Hause und dann hat Mel Maggie angeboten,

dass sie sie noch zum Busbahnhof bringt. Was Melina nicht wusste, als Maggie dann noch mal kurz

aufs Klo ging, ist sie in der Küche vorbei und hat sich ein Messer eingesteckt. Das hat sie also

nicht mitgenommen zu dem Treffen, sondern es hat sich in dem Moment eingesteckt. Ja, was im

übrigen später auch nicht ganz unwichtig vor Gericht war, weil das natürlich Sachen sind,

die zwischen Mord und Totschlag schon unterscheiden können. Ich glaube, wir müssten uns einmal sagen,

wie Melina gestorben ist. Ja, es ist, er möchtest du sagen oder soll ich es vorlesen?

Hast du, du kannst es auch vorlesen. Ich kann dann noch. Wir möchten es beide nicht sagen,

glaube ich. Lies es ruhig vor, ich kann das dann noch ein bisschen ergänzen. Also ich lese aus

deinem Text vor die aufhinde Situation. Als die Beamten der Polizei senden am 17. Oktober

2015 eintreffen, finden sie zwei Mädchen. Eines mit Lina R, 17 Jahre alt, liegt am Fusse

einer Kellertreppe, 1,65 Meter groß, 56 Kilogramm schwer, tot. Das Gesicht kaum zu erkennen. 49

Mal wurde auf sie eingestochen, allein 41 Mal ins Gesicht. Das andere Mädchen sitzt wenige Meter

von der Leiche entfernt, 1,72 Meter groß, 150 Kilogramm schwer, apathisch angetrunken. Blut

an den Händen und im Gesicht. Maggie B, damals 18 Jahre alt, fragt, habe ich sie umgebracht. Und

dann muss es leider so schlimm, aber man muss noch dazu sagen, dass es mit den Messerstichen nicht

alles war. Sie wurde auch noch erwürgt und die Maggie hat auch noch auf die Mail eingetreten. Also es

ist eine unfassbare Übertötung, dann wird das, wenn der Tod sozusagen nicht einmal vollzogen wird,

sondern wenn durch viele Messerstiche, durch etliche Arten ein Mensch umgebracht wird.

Sie hat ihr auch noch mit einer rostigen Zange, die sie gefunden hat, mehrere Zähne aus dem

Oberkiefer ausgeschlagen und immer und immer wieder mit der Faust auf sie eingedroschen,

sodass auch das Leberband gerissen ist und sie letztlich tatsächlich, deswegen ist der Begriff

des Übertöten auch sehr richtig, sie letztlich auf mutibler Arten auch gestorben ist. Also sie ist

nach innen verblutet, sie ist nach außen verblutet und sie wurde erwürgt. Und das Erwürgen,

dazu muss man vielleicht noch mal sagen, um sich plastisch vorstellen zu können, wie dramatisch

das ist. Wir kennen Erwürgen aus Filmszenen, zu Genüge, aber da werden Menschen immer in

15 Sekunden erwürgt. Der Rechtsmediziner, der in Münster ausgesagt hat, hat noch mal sehr

plastisch dargestellt und auch sich die Zeit genommen, zu sagen, es dauert mindestens 3,

eher 5 Minuten, bis jemand erwürgt wurde. Wenn wir jetzt 10 Sekunden still sind, dann können wir

ermessen quasi, wie lang diese Zeit schon ist. Also 3 bis 5 Minuten, da muss schon wirklich

ein wahnsinniger Furor in ihr gewütet haben und das zeigt auch die Tatsache, dass eben über 40,

dieser fast 50 Messerstiche ins Gesicht gingen. Man kann sich das vielleicht so vorstellen, die

Identität des Menschen verortet man im Äußeren im Gesicht. Also wo erkennen wir die Menschen,

wo erkennen wir ihre Emotionen im Gesicht und das sei auch lautes Rechtsmediziner, ist daher

sehr nachvollziehbar, dass die Gewalt so auf das Gesicht abgezielt hat, weil da diese ganze Wut

hin musste, der einzige Mensch, der mich je verstanden hat, auch der versteht mich jetzt nicht

mehr, der hat mich verlassen und das ist so quasi das, was sich da entleht. Das ist wirklich ein

sehr drastisches Beispiel dafür, dass ja die Rechtsmediziner bei so einer Übertötung immer

davon ausgeht, dass eine Beziehungstat stattgefunden hat. Wenn man Menschen eine Leiche aufhört,

die so übertötet wurde, geht man immer von so einer Beziehungstat aus und das ist ja hier

wirklich der Fall. Das ist sehr dramatisch, ich möchte noch eines, um auch noch mal zu zeigen,

die Melina wurde da so aufgefunden, aber da lag nicht nur ihr Körper, sondern das trage ich mal

kurz aus dem Polizeibericht vor. Auf und neben der Leiche, Damen Kurzmantel Only, C&A Plastiktüte,

Modeschmuck, Tic Tacs, zweimal Schmuckbox im Originalkarton, weiter Modeschmuck Gold,

Armreifen Silber, Deospray Playboy, zwei Packungen Haarklammern, Hautcreme in Verpackung, vier

Bilderrahmen in Verpackung, Tabletcase in Verpackung, Rolle Geschenkband, Schlüsselanhänger

Ötger, eine Packung Fotoklebeecken, Stofftier, Rosa, Kugelfisch, kleiner Tirolerhut zum Aufstecken,

1,5 PET Apfelschorle mit Restinhalt, den Rest hatte sie auch über der Leiche ausgegossen,

LVM Kundenausweis, Schminkpinsel, Apple in ihr Hörer, Passfotos, Lippenpflege und ein stark

blutbehaftetes Portmonee. Das heißt, sie hat also quasi auch noch alles, was sie an Erinnerungsstücken

bei sich selbst getragen hat, aber auch die Melina dabei hatte und überhaupt alles, was die Melina

hatte, noch über ihr ausgelegt und darüber ausgeschüttet. So, als wolle sie einfach alles aus ihrem

System haben. Schon wir tun uns ja schwer, über die Details dieses Verlass zu sprechen. Wie war

das denn im Prozess? Haben das die Leute gut ertragen? Üblicherweise ist so ein Prozess ja auch,

da hat Hollywood uns ja so ein bisschen verdorben, das sind ja keine wahnsinnig emotionalen Veranstaltungen

im Normalfall. Natürlich gibt es immer sehr dramatische Zeugen und Zeuginnen Aussagen, die

einen auch wirklich wahnsinnig anrühren, aber das ganze Setting ist ja sehr technisch im Grunde

genommen. So ein Prozess folgt klaren Regeln, da werden immer die gleichen Abläufe, die Beteiligten

sind oft sehr hart gesotten, weil die das schon seit vielen, vielen Jahren machen, eine Anwälte,

Staatsanwälte, Richter, Innen. In diesem Fall aber hatte man das Gefühl, es ging wirklich allen

extrem nah. Und das zeigte sich auch dadurch, dass während des Prozesses insgesamt zweimal

unterbrochen werden musste, weil zwei Zuschauerinnen zusammengeklappt waren. Einfach aufgrund der

Beschreibung dessen, was da passiert ist, die sind einfach ohnmächtig geworden und mussten aus dem

Saal getragen werden. Und man hatte wirklich auch dadurch, dass die so jung war, 18, die Täterin,

17, das Opfer fand das ganze vor der Jugendkammer statt. Das kann man in Deutschland jedenfalls

noch bis zum 21. Lebensjahr, kann man alles nach Jugendstrafrecht verurteilen. Und deswegen war

das auch, ist oft so, dass in diesen Jugendkammern die Richterinnen so ein bisschen empathischer

sind. Und das war so mein Gefühl, dass dieser ganze Saal natürlich vor allem als die Mutter dann

auch der Getöteten, genauso wie die Mutter der Täterin, ausgesagt haben, dass das sehr, sehr

spannungsgeladen war. Es lag die ganze Zeit so eine Erwartungshaltung, so eine stark emotionale

Erwartungshaltung, das zu verstehen, was da passiert ist in der Luft. Wir sprechen ja auch

deswegen heute über diesen Fall, weil die Erinnerung an einen anderen grausamen Mädchenmord in

Deutschland noch ganz frisch ist, nämlich den an Luisa in Freudenberg. Die war 12 Jahre alt und wurde

von zwei Mädchen erstochen, die selber erst 12 und 13 Jahre alt waren. Und ich würde zum Schluss

gerne Daniel mit dir darüber sprechen über diesen Reflex, den viele Politikerinnen, aber auch Medien

sofort hatten und gefordert haben, die Strafmündigkeit runterzusetzen. Es ist ja in anderen Ländern auch

der Fall, dass auch zehnjährige bestraft werden. Was ist denn da deine Meinung dazu? Sollte man in

solchen Fällen sagen, nee, das ist kein Jugendstrafrecht, da setzen wir die Strafmündigkeit

wirklich runter? Nee, also absolut nicht. Ich bin ein ganz klarer Gegner von einer

Herabsetzung der Strafmündigkeit. Warum? Nein, der forderste Sinn von Strafe ist ja

mal erstmal Generalprävention, zum einen Schuldausgleich, Sühne, so was wie Vergeltung

vielleicht, aber auch Resozialisierung der TäterInnen. So, wenn wir jetzt aber wissen, dass die

Sozialisierung noch gar nicht abgeschlossen ist, weil diese Menschen, die TäterInnen so jung sind,

dann können wir ja nicht ernsthaft schon über Resozialisierung reden. Und wenn man jetzt mal

nicht AfD-Politiker fragt, wie sie das so finden, dass die Schuldfähigkeit erst mit 14 beginnt und

nicht so ein paar hartgesotten Rechtsexperten, sondern die Leute, die es besser wissen, also

Psychologen, Soziologen, Pädagogen, die mit jungen Menschen arbeiten, dann ist im Grunde genommen

unisono die feste Überzeugung, dass der Reifeprozess und auch die Möglichkeit,

Unrecht von Recht zu unterscheiden, also in seiner Afghänze, manchmal sondern natürlich,

also wir kennen ja Kinder, die das auch mit 10 oder 8 auch schon können, das darf ich tun,

das darf ich nicht tun, aber dieser volle Reifeprozess, der ist mit 12 einfach noch nicht abgeschlossen.

Und ich habe da nochmal so eine ganz besonders dezidierte Meinung, deswegen auch dazu,

und das ist mir kürzlich aufgefallen. Wir haben in der Ausgabe von Zeit Verbrechen,

haben wir eine Fotostrecke aus den USA. Richard Ross ist der Fotograf und der hat über viele Jahre

hinweg Kinder und Jugendliche in amerikanischer Strafhaft fotografiert. Da sind zum Teil 10-Jährige

dabei, 11-Jährige in den USA, 13-Jährige und diese Fotos sind so heartbreaking. Die gehen einem so

nah, da sitzt so ein 12-Jähriger Junge in so einer Isolationszelle und ist völlig verängstigt.

Und in den USA verkehrt man quasi nach dem Leitspruch Adult Crime, Adult Time. Also wenn du

einen Erwachsenen Verbrechen begehst, dann musst du auch so lange sitzen. Und das ist einfach eine

völlige Verklärung und Verdrehung all dessen, was Menschwertung ausmacht. Kinder sind eben Kinder

und keine Erwachsenen. Man kann sie nicht behandeln wie Erwachsenen und das darf man auch niemals tun.

Und ich finde 14 ist schon fast, das kann man schon drüber nachdenken, ob das überhaupt so richtig ist.

In Skandinavien ist es 15 in fast allen skandinavischen Ländern. Für schwere Straftaten in einigen

Ländern, ich glaube in Irland ist eine Ausnahme im Gegensatz zu UK sonst. UK sonst hat 12 als

Strafmündigkeitsalter, bei denen ist glaube ich dann erst 16 sogar. Da gibt es also einige Länder,

wo das so ist. Und ich sage mal, die Vorbilder, die das in den letzten Jahren geändert haben,

sind jetzt auch nicht die besten. Es ist zum Beispiel Ungarn, die es von 14 zu 12 zurückgedreht

haben und das ist auch keine lupenreine Demokratie. Sag mal Daniel, wie geht es denn der Merge jetzt?

Ich habe letzte Woche mich nach ihr erkundigt in Vorbereitungen auf diesen Podcast, weil

ihre eigentliche Strafzeit jetzt nämlich abgegolden wäre, vorbei wäre, sie ist damals verurteilt

worden, nicht wegen Mordes, sie war angeklagt wegen Mordes an Melina. Es hat sich ja beim Laufe des

Prozesses unter anderem durch diese Sache mit dem Messer, dass sie erst dann mitgenommen hat,

also ein spontaner Tatentschluss, war es dann relativ schnell klar, dass es doch eher auf

Totschlag hinaus laufen würde, aufgrund aber der Gutachten, die über sie erstattet wurden,

war noch viel schneller klar, dass sie gar nicht für eine reguläre Haft infrage kommt, sondern dass

sie nach § 63 eingewiesen wird. In den Maßregelvollzug hier in Österreich heißt es glaube ich

Anstalt für geistig Abnorm-Rechtsbrecher und da ist sie damals eingewiesen worden für sieben Jahre

und so ein Maßregelvollzug bringt ja mit sich im Gegensatz zu einer regulären Gefängnisstrafe,

die ist dann nicht nach sieben Jahren vorbei, sondern das ist erst dann vorbei, wenn Gutachter

befinden, dass sie keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit ist. Also da ist sie noch. Und sie ist

da jetzt nach diesen sieben Jahren immer noch und man konnte mir nicht genau sagen, inwieweit es

möglich sein wird, dass sie da bald entlassen wird, aber schon das Gutachten, was sieben Jahre alt ist,

hat damals gesagt, auch mit einer sehr langfristigen Therapie gehen die davon aus, dass die

Wiederholung, die Tatwiederholungsgefahr enorm groß ist bei ihr. Vielen Dank für diesen sehr,

sehr tragischen Fall, den du uns mitgebracht hast, Daniel. Sehr gerne.

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Zwei pubertierende Mädchen werden ein Paar. Die Beziehung endet vier Jahre später im Blutrausch. Die Chronik einer verzweifelten Liebe

Folge 145 ist ein Livemitschnitt des Auftritts von Daniel Müller, Chefredakteur des Kriminalmagazins ZEIT Verbrechen, und Anne Kunze, Kriminalreporterin der ZEIT, in Wien.

Der Text zur Folge (“Megi und Mel” von Daniel Müller) ist im Dezember 2019 erschienen.

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