NZZ Akzent: Der verlorene Stolz der US-Autoarbeiter

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/4/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird ihn präsentiert von der LGT, ihrer Privatbank in der Schweiz.

David, wo sind wir denn da und wer spricht da gerade?

Das ist der amerikanische Präsident Joe Biden, 26. September.

Der ist jetzt in Michigan vor einem General Motors Verteilzentrum.

Die Gewerkschaft hat ja vor drei Wochen zum Streik aufgerufen, die United Auto Workers Gewerkschaft.

Und ja, jetzt streiken etwa 25.000 Arbeiter von allen drei großen Fabriken zusammen.

Also Ford, General Motors und Stellantis.

Und das ist historisch, das gab's seit 50 Jahren nicht mehr.

Und er sagt den Leuten mehr oder weniger, ihr verdient nicht das, was ihr eigentlich verdienen würdet.

Ihr habt die Automobilbranche gerettet, den Firmen geht es gut und wisst ihr was, euch sollt es auch gut gehen.

Am nächsten Tag ist Donald Trump gekommen.

In Michigan across the country tonight, there are countless thousands of water workers and skilled tradesmen.

Hat ebenfalls, ich glaube nicht primär vor Gewerkschaftern, aber vor Fans gesprochen,

er hat ungefähr dasselbe gesagt, er hat gesagt, ihr kriegt nicht, was ihr eigentlich verdienen würdet.

Und dann, typisch Trump, ich werde euch reich machen.

Und du warst auch dort bei den Streikenden?

Ja, ich habe mit mehreren streikenden Arbeitern gesprochen.

Und was ich gemerkt habe, die haben eigentlich ihren Stolz verloren, da in dieser Autobranche arbeiten zu können.

In der US-Auto-Branche wird so heftig gestreikt, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

USA-Korrespondent David Siegner wollte wissen, warum die Streikenden ihren Stolz verloren haben und hat sie besucht.

Ich bin Sebastian Panholzer.

Also ich bin ja nach Wayne gefahren in Michigan, das ist in der Nähe von Detroit.

Da an der Hauptstraße, da steht die große Fortfabrik Michigan Assembly Plant.

Dies im Moment zwar nachts rell beleuchtet mit Flutlicht, aber dies leer.

Und da stehen nun die Streikposten davor.

Ich bin in der Nacht dahin gegangen, die vorbeifahrenden Autos haben gehubt zum Zeichen der Solidarität.

Und da sind also etwa 30 Frauen und Männer da mit Schildern am Straßenrand gestanden.

Und dann hat es Ölfässer, wo Feuer brennen, wo sie sich ein bisschen aufwärmen können.

Da gibt es Thermoskanen mit Kaffee, Snacks und das ist wie in der Fabrik.

Also die haben so sechs Stunden Schichten, wachsen die sich da ab.

Und da habe ich mit verschiedenen Leuten gesprochen.

Einer von ihnen, his Randy Miller.

Und ja, der stand 25 Jahre bei Fort am Fließband.

Jetzt die letzten drei Jahre ist er Techniker geworden.

Und schon sein Vater war Mitarbeiter von Fort.

Und er hat gesagt, ja, früher, da war man stolz, wenn man bei Fort arbeitete.

Das war so die Creme de la Crème der Arbeiter.

Und er arbeitet sehr viel.

Er arbeitet sieben Tage die Woche, auch Sonntag, täglich zwölf Stunden.

Und er sagt, als ich da anfange, da war das eine Mittelklass-Anstellung.

Aber heute, die Leute, vor allem die Jungen, die jetzt da anfangen,

nee, das ist jetzt unter Unterschicht.

Wie meint er das, warum?

Ja, er sagt früher, da hat der Lohn gereicht.

Für ein anständiges Leben, auch als Familie mit Kindern.

Da hat man ein Mittelschichtslben führen können.

Und ja, und dann kommt die Teuerung.

Ich meine, er hat gesagt, seit 25 Jahren, da am Fließband hatte sich sein Lohn nicht verwendet.

Jetzt, wenn er so zurückblickt auf sein Arbeitsleben,

sagt er, ich habe viel geopfert für die Firma.

Aber heute finde ich, das hat sich eigentlich nicht gelohnt.

Ich habe so viel verpasst im Leben, vor allem mit den Kindern.

Das war der, den Aufwand nicht wert.

Also, ist es eigentlich schon ein recht bitterer Rückblick auf sein Leben, oder?

Ja, man muss auch wissen, 2008, da gab es ja dann die Finanzkrise

und dann die große Krise in der Autobranche in den USA.

Und da wurden Milliarden reingebutt dort vom Staat.

Und die Arbeiter haben da auf sehr viel verzichtet zu jener Zeit.

Auf Lohnerhöhungen, Lohn, Überstunden, Kompensation und so.

Und ja, die haben das Gefühl wahrscheinlich zu Recht,

sie hätten die Autobranche gerettet, was auch beiden betont hat.

Jetzt inzwischen hat sich die Branche erholt, die fahren Milliardengewinne ein

und jetzt finden die Arbeiter, wir wollen auch unseren Teil,

weil für sie hat sich ja nichts geändert.

Und was fordern Sie jetzt während des Streiks?

Also, Sie fordern eine ziemlich saftige Lohnerhöhung von 40%.

Sie fordern eine Sicherung der Altersvorsorge, der Pensionen,

auch einen Teurungsausgleich. Zugleich haben viele trotzdem Angst,

dass sie die Arbeitsplätze verlieren, obwohl es der Branche ja eigentlich gut geht.

Aber wir sind jetzt mitten in der Umstellung auf Elektroautos

und das bringt viel Unsicherheit mit sich.

Die brauchen eigentlich weniger Arbeitskräfte, da ist vieles automatisiert.

Da fürchten sie Entlassungen und der große Konkurrenz Tesla,

da gibt es keine Gewerkschaft.

Also, das heißt, Ford und Co. sind da eigentlich weniger konkurrenzfähig.

Und diese Angst vor der Zukunft, die kommt jetzt da noch zu den schlechten Arbeitsbedingungen, also obendrauf?

Ja.

Ich habe zum Beispiel mit einer Arbeiterin namens Nokia Brown gesprochen.

Sie hat dasselbe gesagt, sie war stolz auf ihren Job, sie hat am Fließband gearbeitet.

Sie sagt, es hätte andere Jobs gegeben, wo sie mehr verdient hätte,

ich habe das vorgezogen, bei Ford zu schaffen, eine große Firma, sicherer Arbeitsplatz.

Der Lohn geht vielleicht langsam ein bisschen hoch.

Sie hat mir gesagt, sie hat zeitweise 18 Stunden pro Tag gearbeitet.

Sie hat in zwei Fabriken Schichten gemacht, dazwischen hat sie auf dem Parkplatz

ein paar Stunden im Auto geschlafen und dann ab zur nächsten Schicht.

Der Mann arbeitet in derselben Firma.

Sie sagt, das machen viele so, dann sehen sie sich wenigstens in der Firma,

wenn sie sich schon zu Hause kaum sehen.

Aber sie sagt, die kommen am Abend nach Hause, die bringen kaum ihren Wort raus.

Am schlimmsten sei es halt für die Tochter, die hätte eigentlich gar keine Familie.

Die Eltern sind den ganzen Tag in der Fabrik, wenn sie nach Hause kommen, sind sie hunde Mühde.

Sie spricht jetzt auch davon?

Ich höre irgendwas von ihnen, sie will eine Weiterbildung machen.

Ja genau, sie sagt, der Wandel lässt sich eigentlich nicht aufhalten.

Es bringt nichts, wenn man sich jetzt gegen Elektrofahrzeuge wendet,

weil da Arbeitsplätze verloren gehen.

Man muss mit der Zeit gehen und sie macht das auch.

Sie macht eine Weiterbildung im IT-Bereich, die vom Unternehmen bezahlt wird

und sie hofft, dann halt einen neuen qualifizierteren modernen Job da zu finden, dank der Ausbildung.

Wir sind gleich zurück.

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Du siehst dort die Schreikenden, die frustriert sind wegen den Arbeitsbedingungen,

die wegen der Löhne frustriert sind, aber auch irgendwie schon Angst vor der Zukunft haben bezüglich der E-Autos, die immer mehr kommen werden.

Jetzt streiken sie ja und vielleicht kann man auch so sagen, sie wollen ihren Stolz dort zu arbeiten, zurückerobern.

Ja, es hat jetzt generell so eine Aufbruchstimmung auch mit dem neuen Gewerkschaftsboss, schon fein.

Die Gewerkschaft hat jetzt schon Aufwind und man merkt auch, wie die Leute wirklich hinter dem neuen Gewerkschaftschef stehen

und so ein Gefühl von Einigkeit.

Also ich habe zum Beispiel mit einem gesprochen, Paul Reed, es ist so ein richtig linker Gewerkschafter mit Baud, wie man sich das vorstellt,

so mit Klassenbewusstsein und der hat dasselbe gesagt, der war früher Mittelschicht und ist jetzt anstatt aufgestiegen, abgesackt.

Und er spricht sehr negativ über die alte korrupte Gewerkschaftsführung.

Man muss dazu wissen, die Gewerkschaften in den USA, die haben zum Teil schon einen schlechten Ruf.

Also so Mauscheleien hinter den Kulissen, hinter Zimmerdiels, korrupt.

Hier in Chicago haben sie sogar mit der Mafia zusammengearbeitet.

Aber jetzt der neue, schon fein, der wurde demokratisch gewählt und ja, da spürt man auch, die reden alle sehr positiv über ihn.

Das gibt ihnen so ein Gefühl von Stärke und Einigkeit.

Vielleicht auch so ein Gefühl von jetzt nehmen wir das Heft selber in die Hand, wir reagieren nicht mehr nur, wir fordern jetzt

und sicher auch ein Versuch, die sind stolz zurück zu Europa und da geht schon sehr viel Power aus von denen.

Und wir haben jetzt ganz am Anfang gehört, Trump und Biden waren dort, das ist ja auch ein starkes Zeichen,

eben wenn die beiden dort sind, also hat das irgendwas ausgelöst bei den Streikenden?

Also ich war erstaunt, wie gleichgültig dieser hohe Besuch die Leute eigentlich gelassen hat.

Ich meine klar, tendenziell waren sie eher für Biden, für die Demokraten, aber eigentlich kamen sowohl Biden wie Trump relativ schlecht weg.

Man spricht in der USA ja immer von der Polarisierung, aber hier hat man also nicht viel davon gemerkt,

dass nun die einen total für Biden und die anderen total für Trump waren, was auch viele gesagt haben.

Eigentlich ist uns das relativ egal, was da in Washington geplappert wird.

Also wir wollen einfach bessere Lebensbedingungen fertig, ziemlich pragmatisch, ziemlich unideologisch.

Jetzt geht ja der Streik schon seit fast drei Wochen und kannst du denn sagen, was sind denn die Aussichten?

Also schaffen Sie es wieder irgendwann stolz auf Ihre Arbeit zu sein?

Also die meisten waren relativ optimistisch, dass es da schon zu einer Lösung kommt.

Sie rechneten damit, dass der Streik nach ein paar Wochen weitergeht, aber offenbar sind die Verhandlungen vor allem mit Forder relativ weit fortgeschritten.

Klar 40% Lohnsteigerung kriegen Sie vielleicht nicht, aber die sagen also, wenn die meisten Forderungen erfüllt werden,

dann sind wir eigentlich da, wo wir schon mal waren, dass wir doch stolz auf unsere Arbeitsplätze sein können.

Aber das Problem mit den Elektroautos bleibt natürlich, es werden wahrscheinlich Arbeitsplätze verschwinden.

Vielleicht entstehen auch neue, zum Beispiel in der Batterieproduktion, aber das sind alles so Unsicherheitsfaktoren im Moment.

Jetzt warst du ja dort bei den Streikenden in Wayne, in Michigan.

Du hast jetzt ja viele emotionale Geschichten von Ihnen gehört, die du uns jetzt auch zum Teil erzählt hast.

Mit welchem Gefühl bist du denn da wieder weggefahren, nach Hause?

Ja, ich war schon deprimiert.

Ich wusste, dass die Arbeitsbedingungen hart sind, aber 18 Stunden am Tag für 19 Dollar, die Stunde.

Das ist schon verrückt und ich meine, das ist ja kein Entwicklungsland, das sind die USA.

Viele Arbeiter haben mir auch gesagt, sie fühlen sich irgendwie unsichtbar.

Sie werden gar nicht wahrgenommen, weder von der Politik noch von den Medien.

Und ich glaube, da hat der Recht, viele können sich nicht vorstellen, wie die eigentlich leben.

Und jetzt durch den Streik und auch die Medienpräsenz und die Präsenz der hohen Politiker werden sie ein bisschen sichtbarer.

Lieber David, vielen Dank und liebe Grüße nach Chicago.

Danke, gern geschehen.

Das war unser Akzent.

Produzent in dieser Folge ist Alice Cronchon.

Ich bin Sebastian Panholzer.

Bis bald.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

25 000 Angestellte der US-Autobranche protestieren derzeit vor den Werken von Ford, General Motors und Stellantis. Sie kämpfen gegen miserable Arbeitsbedingungen. Früher seien sie Stolz auf ihre Arbeit gewesen, heute nicht mehr, erzählt USA-Korrespondent David Signer im Podcast.

Heutiger Gast: David Signer, USA-Korrespondent

Host: Sebastian Panholzer

Produzentin: Alice Grosjean

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/us-autoindustrie-die-streikenden-arbeiter-der-ford-fabrik-ld.1757744

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