Verbrechen: Der letzte Bürger der DDR

ZEIT ONLINE ZEIT ONLINE 3/7/23 - Episode Page - 1h 11m - PDF Transcript

Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, liebe Leipzigerinnen, liebe Leipziger, liebe

Fans hier im Kupfersaal. Wir freuen uns total hier zu sein und wir haben vor mit euch eine

Zeitreise zu unternehmen hier rund um Leipzig. Dabine, du hast vor einigen Jahren, exakt zehn

Jahre nach der Wende nach einem ganz bestimmten Menschen gesucht, der sich selbst den letzten

Bürger der DDR genannt hat. Ja, insofern war dieser Fall wirklich etwas Ungewöhnliches,

denn normalerweise kommen ja die Fälle so, dass die Leute mir schreiben oder ich gerate

irgendwie anders in Kriminalsachen rutsch ich da rein oder ich gehe in irgendwelche Hauptverhandlungen

und dann recherchiere ich dann drum rum oder so. Aber diesmal war es so, dass es das Jahr 1999

schlug. Ich war damals Redakteurin im Dossier der Zeit und wir haben gedacht, was machen wir denn zum

zehnten Jahrestag der Wiedervereinigung? Ja, haben wir uns gedacht, was machen wir denn? Und dann

habe ich gedacht, wir könnten doch zum Beispiel mal jemanden vorstellen, der die Wende gar nicht

erlebt hat, sondern eben zehn Jahre später die Wende erlebt hat. Aus der Welt war und dann in

der DDR verschwand und in der BRD wieder raus kam und wo ist das? Im Gefängnis. Leute, die

eingesperrt worden sind und unser Kandidat hier wurde ja kurz ein halbes Jahr vor der Wende eingesperrt,

genauer gesagt am 13. Oktober 1988. Da kann man erst mal ein U-Haft nach seiner Tat, glaube ich,

oder? Ja. Denn verurteilt wurde er am 7. Juni 1989, kann schon jetzt verraten, zu 15 Jahren,

genau, fünf Monate vor dem Mauerfall. Genau. Und er hat die Zeit im Gefängnis verbracht,

in welchem Dach darüber reden wir gleich, aber er hat eben erst mal nichts mitbekommen von der

Bundesrepublik, sondern er hat es im Fernsehen gesehen, so wie ein Marsmobil, die Oberfläche des

Mars nach unten funkt und wir gucken uns das im Fernsehen an. So hat er die Wende miterlebt,

nämlich im Fernsehen durch Nachrichten aus einem fernen Land, das seines war und das dann eben

nicht mehr seines war, als er rauskann. Und das war die Idee und deswegen musste ich einen Finden,

einen Bürger, der DDR, der noch im Gefängnis war. Genau, Saas. Und da kann man sich natürlich

vorstellen, dass das jetzt kein, sagen wir mal, kein Strauchdieb war oder Kleinkrimineller,

sondern das muss ja jemand sein, der bereits seit über zehn Jahren saß. Und da kann man sich

vorstellen, dass man ein Leute gerät, die, naja, also schon Schwerverbrecher sind und genau das war

er auch. Und dann habe ich mehrere Schwerverbrecher angeschrieben. Wo schreibt, wo genau schreibt man

damit? Wenn man schreibt dann die Gefängnisse und schreibt den ja grundtage, ich hätte gerne,

dann kommt denn hier einer raus, so ungefähr, und kann man den mal kennenlernen und kann man mit dem

die Wände erleben, seine Wände, zehn Jahre nach den anderen, 16 Millionen, die die Wände schon hatten.

Ja. So viele gab es da gar nicht und das war natürlich alles mehr da. Klar. Und dann einige

haben gesagt, nö, lieber nicht und außerdem muss ich noch fünf Jahre oder zehn Jahre brummen, also

bei mir dauert es noch. Aber einer hat tatsächlich gesagt, ja demnächst komme ich raus und ich mache

das und ich werde, ich weiß nichts, ich weiß nichts von Westdeutschland und ich gehe mit ihnen zum

ersten Mal rüber und so bin ich auf Fred Müller gestoßen. Fred Müller hat mir dann geantwortet und

so habe ich ihn kennengelernt und er ist mit mir zum ersten Mal in den Westen. Ich habe ihn rüber

gefahren. Im Austausch. Du saß am Steuer. Ich saß am Steuer. Dazu gibt es eine Passage in deinem

Text. Ja, ich habe ja dann eben zum Jahrestag 1999, zehn Jahre Mauerfall, habe ich dann einen Text

geschrieben, ein dossier in der Zeit und da kam diese Passage vor. Das hieß, glaube ich, wo ist

denn hier die Mauer? Wo ist denn hier die Mauer? Wir sehen ja nachher die Titelgeschichte. Versat

nicht so viel. Ja. Dann will er die Grenzen sehen oder besser ihren früheren Verlauf. Er geht

durchs Brandenburger Tor, er lässt sich auf der Ostseite fotografieren und auf der Westseite die

Köpfe, die Schweife der Quadrieger im Hintergrund. Den Pariser Platz kennt er aus dem Fernsehen. Er

hat den Freudentaumeln damals mit den Knastbrüdern auf Sat.1 verfolgt, etwa so wie die Menschheit

Aufnahmen bestaunt, die ein Marsmobil zur Erde funkt. Ihm unbegreiflich heute, dass es Autos

erlaubt ist, über diesen heiligen Ort zu fahren. Er bemüht sich, den genauen Verlauf der Mauer zu

rekonstruieren, wie sie vom Potsdamer Platz herankam, den Pariser Platz durchschnitt und hinterm

Reichstag verschwand. Er versucht, Reste des Todesstreifens zu finden. In großen Schleifen will

er mit dem Auto gefahren werden. Von Ost nach West, von West nach Ost, tausend Mal passiert

er ungestraft die Grenze. Über die Lindenstraße hinter dem Springerverlag von Ost nach West,

über den Checkpoint Schali, wieder in den Osten, über die Willermstraße zurück in den Westen,

über die Leipziger Straße in den Osten, er kann es nicht fassen. Das war am 22. Mai 1999,

bin ich mit ihm darüber gefahren in diesen Schlaufen und es war praktisch nichts mehr zu sehen von der

Grenze. Also es gab natürlich noch das Grenzmuseum und sowas. Also es war schon alles historisiert und

es war schon alles im Sarcophag der Geschichte. Und das war für ihn unvorstellbar, dass er jetzt

die ganze, deswegen war er auch überhaupt nicht lustig. Ich habe gedacht, er freut sich jetzt,

aber weit gefehlt. Er war außerordentlich ernst und verbittert, kann man sagen, weil er das

alles nicht erlebt hat und weil er gemerkt hat, er war damals 37 Jahre alt, also er war ein Jahr

jünger als ich. Er ist 1962 in Facha geboren und er war nicht gut drauf. Er hat eben gemerkt,

dass ihm jetzt eine dekade Leben fehlt. Dabei war Fred Müller ein echter Westfan, muss man sagen.

Ein Westdeutschlandfan. Ja, ein Westfan. Ach so, ja, ja. Ein Westfan. Er war ein echter Westfan.

Seltsames Wort. Kannst du ein bisschen über Fred Müller erzählen? Ja, also Fred Müller,

er ist also 1962 geboren und er war ein klassischer Langfinger. Also er hat erst mal eine Leere

zum Maschinisten gemacht, 1977 im VEB Braunkohle Kombinat Espen ein. Und dann ist er in die

Landwirtschaft gegangen, dann hat er da gearbeitet, dann ging er zur deutschen Reichsbahn. Und bei

der deutschen Reichsbahn geriet er dann in Versuchung, denn da kamen die ganzen Waren für die

Inter-Shops an. Die kamen mit dem Güterwagen. Die kamen mit dem Güterwagen aus dem Westen und

er fand das interessant und hat dann eben auch die eine oder andere Ladung aufgemacht. Also er

war damals in Ilmenau und hat dann daraus sich bedient. Also er hat dann Seife mitgenommen,

er hat Handschuhe mitgenommen, er hat alle möglichen Lebensmittel mitgenommen, hat die zum

Teil selbst verbraucht und hat sie auch verschärbelt. Also der Westen kam vor allem als Konsumwelt

bei ihm. Ja, das fand er toll und er hat natürlich auch gesagt, ich würde gerne mal darüber gehen.

Und das wurde dann langsam, erst war es so ein Wunsch und dann wurde es zur Besessenheit. Er

wollte in den Westen und er hat dann auch versucht, rüberzukommen und es hat dann natürlich dümmlich

allen möglichen Leuten erzählt. Er ist dann nach Rostock gefahren und hat dann da Leute Schiffer

angesprochen, Matrosen angesprochen, hat gesagt, hallo, sag mal, ihr fahrt doch da auf der Ostsee rum,

kann man da mal mitfahren. Wie kann man denn hier Matrose werden und so weiter? Ich würde gerne mal

darüber und das ist dann langsam durchgesickert. Und da er schon das eine oder andere Mal eine

kleine Geldstrafe bekommen hat, wegen Langfing, wegen allerhand Liebstellen, wurde er dann irgendwann

mal auch überwacht von ja, IEMs, die aber keine richtigen IEMs waren, obwohl sie doch bei der

Stasi zur Stasi gehörten. Aber es war alles sehr kompliziert, denn es gab nicht nur bei der Stasi

IEMs, sondern auch die Kriminalpolizei hatte IEMs. Und wenn dann so unsichere Kandidaten waren wie

unser Herr Müller, dann wurden auf den auch IEMs angesetzt. Sie hießen aber nicht IEMs, sondern

die hießen IKMOS, das waren in offizielle kriminalpolizeiliche Mitarbeiter im operativen

Einsatz. Und dann gab es die sogenannten FHs, das waren die freiwilligen Helfer. Und die hat man

da in großer Zahl, hier ein, so der Führungsoffizier, der hieß Knabner, hoffentlich hört er uns jetzt zu.

Also Herr Knabner hat diese ganzen IKMOS und FHs da geleitet und die haben ihm dann Sachen zugetragen.

Und hat unseren Westfan Fred Müller uns stellt.

Genau, als sich das durchsickerte, dass das ein Westfan ist, hat man ihn überwacht. Und es gab

dann alle möglichen, angeblichen Freunde von ihm, die dann eben hier solche Berichte geschrieben

hat, haben zum Beispiel der IEM-Konflikt. Das war sein Name.

Ich dachte, die hätten so harmlose Namen.

Ja, es gab auch noch einen Max, aber der Einer hieß hier, da ist eine ganze Akte hier, schau, IEM-Konflikt.

Und der schrieb zum Beispiel Sachverhalt. Der ehemalige Rangierleiter und jetzige Bahnhofshelfer Fred Müller

wurde bis Februar 1984 operativ überwacht. Wegen umfangreicher Diebstähle zum Nachteil

des sozialistischen und persönlichen Eigentums wurde Müller im März 1984 vom Kreisgericht Ilmenau zu einem

Jahr und sieben Monaten Freiheitsentzug als Selbststeller verurteilt.

Das war aber auf Bewährung. Durch IKMO sowie durch FH konnte festgestellt werden, dass Müller nach seiner

Verurteilung oft in der Gegend herumfährt, die verschiedensten Sachen, Klammerauftaschen, Rechner,

Bierkrüge und Textilien, Klammer zu, auf Bahnhof Ilmenau zum Kauf anbietet und sich täglich bis

Mitternacht in Gaststätten aufhält. Weiterhin wurde bekannt, dass Müller zum Ausdruck brachte,

dass er am liebsten einen Antrag auf Übersiedelung in die BRD stellen würde, das er darum erzählt

besoffen, weil er dadurch keine Schwierigkeiten bekäme. Es kann eingeschätzt werden, dass Müller keine

festen Bindungen hat und ihn praktisch nichts in der DDR hält. Er verherrlicht die BRD und die westliche

Lebensweise. Aufgrund dieser negativen politischen Grundeinstellung seiner Verhaltensweisen und der

bestehenden Konfliktsituation macht sich die operative Bearbeitung des Müller erforderlich. Das

steht da zum Beispiel in seiner Überwachungsakte und dann steht ganz viel, die ist ganz dick,

aber ich will euch jetzt nicht das ganze Akte vorlesen, aber ich habe dann hier zum Beispiel

einen Bericht von einem gewissen Decknamen Uwe vom 28.09.1983. Der Rangierleiter Müller Fréd

arbeitet seit etwa neun Monaten auf Bahnhof Ilmenau. Er ist vorbestraft wegen Eigentumsdelikten. Auf

dem Bahnhof interessiert er sich für alles und ist sehr neugierig, was in den Wagen ist. Kleinere

Diebstahlshandlungen führt er durch. So entwendete er vor 14 Tagen von einem Exportwagen ein circa

2,50 Meter langes Brett. Ich stand unmittelbar daneben. Müller sagte noch zu mir, von dieser Sorte

brauche ich mehr. Ja. Was macht man auch mit einem Brett? Ja, was macht man mit einem Brett?

Jedenfalls so lief das und so wurde er überwacht und eines Tages hat man ihn dann festgenommen,

als er dann darum fragte in Rostock, wo das nächste Schiff geht und hat ihn dann für 34 Monate ins

Zuchthaus gesteckt. Da wurde er umerzogen und er hat ja eine dissoziale Grundstruktur gehabt. Das

muss man einfach sagen. Also er konnte einfach die Finger nicht stillhalten und hat ständig auch

sehr viel getrunken. Er hatte was Haltloses, aber in diesem Zuchthaus hat man ihn praktisch

gebrochen. Also es hat er mir dann auch später erzählt, dass dort eben derjenige der Meister und

der Gewinner war, der sich total unterworfen hat, der also seine Hemden auf Dienervier legen konnte

und der keinen Mux gemacht hat und dessen Bewegungsdrang sich in den Kreisen im Hofgang

erschöpft hat und der alles gegessen hat, was grauenhaftes Zeug, was man ihm vorgesetzt hat,

und wer nichts, nicht Mo und nicht mehr gesagt hat und immer nur gesagt hat, der Staat hat recht,

der durfte dann vorzeitig raus und dazu hat er halt nicht gehört. Doch man hat ihn doch rausgelassen

am 8. April 1987. Ja und das war auch interessant. In der DDR wurden die Gefangenen, wenn sie ihre

Strafe abgesessen hatten, hieß es am Morgen, so heute frei, heute ist aus. Heute kommst du raus,

wiedersehen. Und hat die nicht vorbereitet? Nein, man hat ihn nicht vorbereitet. Man hat also nicht

gesagt, da haben sie eine Wohnung, kennen sie Leute, haben sie Arbeit, sondern man hat gesagt,

wiedersehen, Herr Müller. Wir haben für sie übrigens eine Wohnung angemietet oder ein Zimmer. Da

gehen sie jetzt mal hin und an Arbeit haben sie auch. Die haben wir gleich für sie ausgesucht,

gehen sie mal hin da und dann ist er daraus getaumelt ins Tageslicht und wart in der Regel bald wieder da.

Und so war es bei unserem Müller auch. Also unser Müller verließ den Knast und er wurde dann ein

Boararbeiter bei Erkundungsbohrungen, was auch immer man da gebohrt hat. Das geht aus der Akte

nicht hervor. Man hat irgendwie, wahrscheinlich suchte man Gas oder weiß der Teufel, jedenfalls suchte

man was und da hat er Boararbeiter bei Erkundungsbohrungen und er war gleichzeitig auch ein, wurde

er mehr und mehr zum Alkoholiker und er wurde zum Glücksspieler. Also man muss jetzt wissen,

er ist jetzt Anfang 20. Also er ist ein ganz junger Mann und gerät völlig aus der Tüte. Obwohl er doch

immer zu eingekastelt wird, gerät er völlig aus der Tüte. Er holft ihre Schulden an, er heiratet

und kann überhaupt nicht mit Geld umgehen. Null. Und er heiratet dann eine Frau, irgendeine, die er

seit vier Wochen kennt. Also auch, er hat dann auch einen Tagebuch geschrieben, da lese ich nachher

ein bisschen was daraus vor. Da beschreibt er, dass er eine Frau kennenlernt und der er total verfällt

und dann sagt die, ich bin verheiratet, dann sagt er okay, dann nicht und dann geht er drei Wochen

später hat er eine andere und die heiratet er dann. Also vollkommen überstürzt und völlig ohne Plan.

Er heiratet nicht nur, er wird auch Vater einer Tochter. Stabilisiert das sein Leben nicht,

das ist ja oft so ein Faktor, wo dann so Ruhe einkehrt. Bei ihm nicht? Nein, also im Gegenteil,

er hat dann das Gefühl, jetzt muss er die Schulden auch begleichen. 5000 Mark hat er Schulden, das

ist ein Haufen Geld, er kriegt das Geld nicht zusammen und er fängt wieder an zu stehlen. Und

dann eines Tages fasste einen Plan und zwar sagt er, ich werde jetzt mal richtig ausräumen und geht

nach Talltits bei Plauen. Wahrscheinlich kennen das viele Leute hier, ich kenne es nicht, ich war

auch nicht da, aber da gibt es einen Zeltplatz, ein Campingplatz und da an der Talsperre gibt es

ein Campingplatz und da wollte er am 26. Juli 1988, wollte er da einen richtigen Plünderungszug

machen. Auf einem Campingplatz? Ja. Interessante Strategie. Welche Motive ihn da weiter getrieben

haben, das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß, der hat gedacht, da kommt da leicht rein, da muss er

keine Türen einschlagen. Ich weiß auch nicht, warum er abends losgefahren ist, normalerweise sind die

Leute hier abends im Zelt, aber vielleicht hat er sich auch gedacht, die sind alle auf dem Wirtshaus

und dann geht er mal in die Zelte rein und da sieht ihn keiner in der Dunkelheit und da räumt er

mal aus. Und so hat er das gemacht, er hat einen Kraftrad, ein Krat sozusagen und fuhr dahin. Und

das ist jetzt wichtig, er fuhr also relativ lang dahin, also es ist jetzt nicht um die Ecke Plauen

und er hatte eine relativ lange Fahrt und überholte da Leute und passte auf den Verkehr auf und

überholte Schulklassen, das spielt nachher eine Rolle beim Urteil. Und gegen 22 Uhr kommt er

da bei diesem Campingplatz in Taltitz an und dann sieht da eine junge Frau, die läuft da an der

Straße entlang und dann sagt er, fragt er die, wo ist denn hier der Campingplatz? Dann sagt die

hier oder vorne links oder was? Und dann sagt er, wo gehen sie denn zu spät noch hin? Soll ich

sie heim fahren? Und dann sagt sie, ne, ne, ich bin gleich daheim, alles gut. Und dann sieht er,

dass sie eine Tasche hat. Sie hat eine Umhängetasche. Und er fährt da vorbei und bleibt da stehen und

dann denkt er sich, was ist wohl in der Tasche drin? Und dann schaut er in seinen Werkzeugkasten,

er hat bei dem Kraftraden Werkzeugkasten dabei und holt einen Hammer raus, 400 Gramm schwerer Hammer,

den er zum Reparieren von irgendwelchen Sachen braucht und dann macht er das Licht aus und wartet

im Dunkeln, dass die Frau vorbeikommt und die kommt vorbei und dann greift er sie an und schlägt

ihr mit der Hammer auf den Arm, an dem sie die Umhängetasche hat und will die Umhängetasche

ihr entreißen, aber sie hält die fest und dann nimmt er den Hammer und schlägt ihr auf den Kopf

und die hält die Tasche weiter fest und schaut ihn an und er schlägt ihr dann auf die Stirn und

dann fällt sie um und dann schlägt er auf den Hinterkopf. Also furchtbar, er weiß gar nicht mehr,

wie oft er zugeschlagen hat. Die Frau, der zerbricht der ganze Schädel und das Gesicht wird

mit Leidenschaft gezogen, die wird dann wochenlang auf der Intensivstation liegen. Sie wird das überleben.

Das ist ein Mordversuch, kein Mord. Ja, ein Mordversuch, aber also hier in Deutschland,

in Westdeutschland ist Mordversuch und Mord wird gleich bestraft. Also man kann für Mordversuch

lebenslang kriegen und sie ist eben extrem schwer geschädigt. Sie heißt Viola G. Und ich muss ganz

ehrlich sagen, als ich mich jetzt wieder mit der Sache beschäftigt habe und auch in den Jahren,

die dazwischen gelegen haben, habe ich mir gedacht, habe ich diese Geschichte eigentlich richtig geschrieben.

Also ich würde sie heute, wenn ich sie heute schreiben würde, würde ich sie anders schreiben,

denn die Viola G spielt in meinem Dossier keine Rolle. Es war, der Fokus war, was passiert mit

einem, der zehn Jahre später den Westen erlebt. Aber sie hat ja den Westen dann auch erlebt,

vielleicht nicht zehn Jahre später, vielleicht hat sie ihn ja auch gar nicht erlebt. Das weiß ich gar nicht.

Und ich würde heute die Geschichte der Viola G auch erzählen. Das tut mir heute leid, dass ich

das nicht getan habe. Er fährt auf seinem Kraftrad, er ist unterwegs, aber er ist gleichzeitig stark

alkoholisiert. Es hat ja alles er selber gesagt. Man hat das zwar so zum Teil nachherstehen können,

wo er überall was eingeworfen hat, aber letztlich bezog sich diese alkoholisierungsdichte da,

die bezog sich auf seine eigene Aussage. Also es war jetzt nicht so, dass da einer eben hinterher

Blut abgenommen hätte, sondern er hat ja und deswegen habe ich die Geschichte mit dem Überholen

erzählt und so weiter. Das hat natürlich später dazu geführt, dass das Gerichts gesagt hat,

also Motorrad fahren konnte und er konnte alle möglichen Leute überholen und ist niemandem

aufgefallen. Es war eine Strategie zu behaupten, ich habe einen Dutzend Biere getrunken, Wein,

Wodka und so weiter und eigentlich war ich nicht mehr zurechnungsfähig. Genau, darauf wollte

er dann auch hinaus und das hat ihm das Gericht nicht geglaubt. Und er hat sich dann zu Hause versteckt,

er hat auch den Hammer entsorgt und hat sich dann zu Hause versteckt und hat in die Tasche

reingeguckt und da waren 160 Ostmarkt drin. Deswegen hat er fast jemanden umgebracht. Und er

waren aber nicht nur Ostmarkt drin, sondern es waren auch Schäcks drin, und zwar so Schäckvordrucke,

die du einlösen konntest mit deinem Ausweis. Und dann hat er nach 14 Tagen und das fand ich dann

auch noch besonders inform, muss ich sagen. Nach 14 Tagen hat er sich gedacht, ach komm,

da kann ich doch jetzt von dem Konto was abheben. Und hat dann in den Ausweis dieser Frau G das

Bild seiner Frau reingetan, hat es da abgelöst mit Wasserdampf und hat da ein neues Bild reingeklebt

und hat seine Frau in eine Bank, in Mark Kleberg, Leipzig, Mark Kleberg, alle kennen es, nur wir

nicht, hingeschickt in eine Bank und hat gesagt, weißt du was? Geh mit dem Ausweis dahin, sag du

bist die Frau G und hebt da 500 Mark ab. Und die ist dann da reingewackelt und hat gesagt, ja, ich

bin die Frau G, je müssen wir 500 Mark und dann hat der Bankbeamte gesagt, also die Schäcks sind

gesperrt und ihren Ausweis behalte ich jetzt. Und dann ist sie geflüchtet aus der Bank raus, die sind

dann schnell in die nächste Trambahn gesprungen und nach Hause gefahren und haben sich da ganz still

verhalten und haben alles vernichtet, alles vernichtet, was irgendwie mit diesem Überfall auf die Frau G

zu tun haben könnte, aber die hatten natürlich das Foto jetzt, sie hatten natürlich das Foto,

sie hatten das Foto und das Foto war dann in der Zeitung und da hieß es, wer kennt diese Frau und

nach fünf Minuten hat sich einer gemeldet und hat gesagt, ich kenne sie und das ist die Frau Müller

und dann war natürlich die Kripo da und hat gleich mal die Frau Müller einkassiert und dann ging

Herr Müller, als er den Anruf bekam, ihre Frau ist verhaftet, ist er da hingegangen. Voll Sternhagelblau,

das notiert auch die Kriminalpolizei, vollkommen voll trunken, hat er die Wache betreten und hat

gesagt, Frau ist unschuldig und dann wurde er vernommen und hat das alles gestanden. Und wandert

an 13. Oktober 1988 ins Gefängnis. Der Prozess findet dann später statt. Ja, am 7. Juni bekommt

er das Urteil vom Bezirksgericht Karl-Marx statt und die Heike trennt sich von ihm und die Kinder

werden ihr weggenommen, weil sie auch vollkommen, also völlig aus der Tüte ist, sie kann überhaupt

kein Leben mehr führen, also sie ist vollkommen chaotisch, sie ist nicht mehr in der Lage, das

Kind hat sie dann bekommen, sie hat auch noch, deswegen Kinder, sie hat auch noch ein Kind mit in

die Beziehung gebracht, die werden ihr weggenommen und kommen erst vier oder fünf Jahre später wieder

zu ihr. Am 7. Juni 1989 fällt das Urteil, ich habe ein bisschen nachgeblättert, am 7. Juni 1989

gibt es in Berlin die erste Demo gegen eine gefälschte Kommunalwahl, das erste Mal, dass Menschen

in der DDR gegen eine gefälschte Wahl auf die Straße gehen und da zeichnet sich schon etwas,

da zeichnet sich schon länger deutlich ab, was bald passieren wird. Ich wollte noch was zum Urteil

sagen, also er hat dann später, haben seine Rechtsanwälte aus Rheinbach, hat er dann zwei

Rechtsanwälte, die haben dann für ihn ein Gnaden gesucht, er hat 15 Jahre bekommen wegen

Mordversuchs, er hat nicht lebenslang bekommen, sondern 15 Jahre und es war er, also er hatte erst

einen Anwalt, der hat ihm gesagt, ja das sind vier Jahre, da machen sie sich mal, die sitzen

sie auf einer Arschbacke ab und dann fiel das Urteil und es waren 15 und er war vollkommen davon

überrascht und hat gesagt, es kann doch nicht sein, ich war doch betrunken, ich weiß ja gar nicht,

was ich getan habe und so und das übliche, was man eben dann auch, dass die Leute dann mit ihrer

Straftat eben einfach das nicht zugeben und sich das nicht eingestehen wollen und er hat dann eben

den Rechtsanwalt gewechselt und hat später, als er dann in Waldheim einsaß, aber da kam er

erst später hin, wir werden ja gleich sagen, was dazwischen war, aber er hat dann später ein

Gnadengesuch geschrieben an den Ministerpräsidenten, Gnadengesuche werden immer an die Ministerpräsidenten

gestellt, in diesem Fall an den Herrn Biedenkopf und da hat er geschrieben, da haben die Rechtsanwälte

geschrieben, sehr geehrte Herr Prof. Dr. Biedenkopf und dann Herr Müller ist einer der wenigen

Strafgefangenen der JVA Waldheim, die noch zu DDR-Zeiten und nach Altem recht verurteilt wurden

und die nicht in den Genuss einer der Amnestin nach der Wende gekommen ist. Herr Müller wurde

seit 1984, also bereits vor der Straftat, also stimmt auch nicht, er wurde ja schon seit 82

observiert, erwurscht jetzt, also seit 84 bereits vor der Straftat vom MFS observiert. Die Akten

wurden unter der RIG-Nummer 7028 Schreckstrich 84708 8411 942 geführt und kann der beurteilenden

Kommission gern zur Prüfung des Gnadengesuchs zur Verfügung gestellt werden. Zwar ist ein

unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Arbeit des MFS und dem extrem hohen Urteil des Herrn Müller

nicht nachzuweisen. Nach allgemeiner Kenntnis der Verhältnisse in der ehemaligen DDR ist jedoch

unbestritten, dass es zwischen MFS und Justiz ständig enge Kontakte gab und dass sowohl die

Ermittlungsbehörden in Strafangelegenheiten als auch die Justiz selbst von der Stasi bezüglich der

anzuwendenden strenge Hinweise erhielten. Es ist somit mit an Sicherheit Grenzen der Wahrscheinlichkeit

davon auszugehen, dass allein die Tatsache, dass Herr Müller vom MFS als negativ eingestuft wurde,

mit zu dem hohen Strafmaß geführt hat und es sei eben DDR-Wilkür und die Republikflucht,

die er vorher da geplant gehabt habe, sei auch noch mit eingeflossen und es seien systemtreue

Richter gewesen und das mag gewesen sein. Aber der hätte im Westen das Gleiche gekriegt. Ich

habe mir das, als ich das alles gelesen habe, habe ich mir gedacht, wie kommen die darauf vier Jahre

für so eine Tat? Sind die wahnsinnig? Und natürlich sind 15 Jahre angebracht und angemessen für so

eine Tat. Ich weiß gar nicht, was die hier haben. Also kann froh sein, dass er nicht lebenslang gekriegt

hat. Ja, interessant ist, wenn wir einmal zurückschauen in welches Gefängnis und in welches

Gefängnissystem Fried Müller jetzt kommt, denn im März 1989 sitzen in DDR-Gefängnissen 25.000

Menschen. Man kann das als Quote ausrechnen. Im Westen sitzen damals 66 von 100.000

Bundesbürgern im Gefängnis. In der damaligen DDR sind es 149 von 100.000, deutlich mehr als

doppelt so viel. Die Haftanstalten quellen über. Er kommt in die JVA Brandenburg, die ist gebaut

worden für 1.900 Gefangene. Da kommt er zunächst hin. Da kommt er zunächst hin. Und sie ist besetzt

zeitweise zwischen 3.000 und 4.000 Gefangene. Sie ist deutlich überbelegt. Es gibt eine Revolte

im Gefängnis. Im Zuge dieser Revolte bekommt ein Gefängnisfahrer zum ersten Mal in die Zellen und

sieht kleine Haftzellen, in denen zwölf Leute untergebracht sind, in drei stückigen Betten.

Es gibt Zellen, da sitzen bis zu 20 Leute drin. Es hat er auch erzählt. In dieses System kommt

Fried Müller rein. Tatsächlich gibt es im Rechtssystem der DDR von staatstreuen Richtern sehr

harte Strafen. Ich habe gelesen von einer Frau, die sitzt auch nach der Wende im Gefängnis,

weil sie acht Jahre für den Diebstahl von 1.600 Ostmark aufgebrummt bekommen hat.

Es war so, dass im Herbst 89 30.000 Gefangene und Verhaftete in der DDR festgehalten wurden

sind und im März 1990, also nach der Wende waren es noch 7.000, 30.000, 7.000. In Waltheim,

wo er dann hinkam, nachdem er in Brandenburg war, von dem Aufstand, reden wir gleich. Im Waltheim

waren von 1.800 Gefangenen noch 300 übrig, von 1.800 noch 300 übrig. Und dann wurden die Urteile

noch mal überprüft durch die West-Juristen, die rüber kamen, ob die systemabhängig gewesen wären und

dann blieben 35 Häftlinge übrig. Und als ich Müller traf, 1999 waren 480 Gefangene wieder

in Waltheim, aber nur drei hatten ein DDR-Urteil, drei. Das waren zwei Mörder und Müller. Und das

heißt, dass jede Menge wohlwollender und systemkritischer West-Juristen rübergekommen waren

und Richter und haben sich das angeschaut und haben gesagt, der Müller hat aber eine gerechte

Strafe gekriegt. Und deswegen saß er noch. Es gab mehrere Entlassungswellen. Zuallererst

sehr, sehr früh schon die sogenannten politischen Gefangenen rausgelassen, also wegen Republikflucht,

Flucht für Urteile und Ähnliche. Dann Menschen, die so als DDR-System als nicht sozial kompatibel

galten, zum Beispiel Arbeitsbummellei als Urteil und schließlich jene, die weniger als drei Jahre,

so weniger als drei Jahre verurteilt worden sind. Müller blieb übrig und er hat, ich

glaube, dir erzählt, du hast ja gesagt, auch in dieser JVA in Waltheim sind viele entlassen

worden, die meisten habe ich entlassen. Was meint er denn damit?

Das kommt aber nachher. Jetzt wollen wir erst darüber reden, was in Brandenburg war.

Ich merke es mir. Also Brandenburg war eine riesige Haftanstalt.

Ich glaube die zweitgrößte. Ja, und die haben dann die Wände mit dem Radio mitgekriegt

und mit Z1, mit dem Fernsehraum. Im Moment für das Fernseh gucken mussten die erst in

Hungerstreik treten. Da haben sie erst in Hungerstreik und dann gab es einen riesigen Aufstand

in der JVA. Das kann man auch aus dem Archiv nachlesen. Er war in der Reinigungskolonne

und dann hatten die so Blocker. Das sind Steine, weißt du noch?

Ja, so schwere Dinge mit zu filzen. Als ich ein Kind war, gab es den Blocker auch noch.

Das waren Steine, Marmorsteine, da waren Lappen drum rumgebunden und damit hat man dann die

Böden spiegelglatt geblockt. Und das hat der gemacht. Und mit diesen Blockern sind die dann auf die

Wachhabenden los und haben die Wände eingeschlagen, die Fenster eingeschlagen und haben ganze...

Ja, die haben Abrissarbeiten gemacht. Das waren wie Abrissbörnen und haben sich dann

tatsächlich durch die Wände rausgehauen. Die waren so wütend, weil sie gesehen haben,

es kommen Amnesty-Wellen und die Amnesty trifft sie nicht. Die Wellen gehen halt eben vorbei.

Ja, und da wurden die dann so wütend, deswegen hat man dann auch die Urteile alle noch mal

überprüft. Brennende Matratzen sind da in den Hof geflogen und Müller hat zu mir gesagt,

ich wusste gar nicht, was durch so ein Gitterfenster geht, wenn einer es wirklich will.

Und dann kamen da die bewaffneten Einheiten angerückt und der Müller, der dann also auch

gegen das Tränengas einen nassen Handtuch um den Kopf hatte, der hat dann irgendwann mal in eine

Waffe reingeguckt und dann war es aus, dann war es aus mit dem Aufstand. Er hat ja später

ein Tagebuch geschrieben oder einen Rückblick, ein Lebenslauf geschrieben, der eigentlich ziemlich

ehrlich ist, bis auf die Straftat, die lässt dann ein bisschen draufgehauen, also ein bisschen mit dem

Hammer. Also da macht er eine Pause, aber sonst ist er relativ ehrlich. Ich habe das ja auch zum

Teil checken können hier mit den anderen Akten. Uns wurde viel erzählt, schreibt er da, so zum

Beispiel, dass alle einen Straferlass erhalten und die, welche LL, also lebenslang haben,

sollten begnadigt werden, woher das hergehört hat. Alle Versprechungen waren aber nur Lüge und so

kam es, dass alles außer Kontrollegerät und die Strafgefangenen an die Bevölkerung herantreten

wollten. Wände wurden durchschlagen und Brennende Matratzen flogen aus den Fenstern. Die Freihöfe

sahen aus wie Müllhalden. Einige hatten es geschafft, sich aus ihren Zellen zu befreien, doch die

wurden schnell gestoppt. Auf dem Flur standen schon schwer bewaffnete Polizisten und man fing an

mit ihnen zu verhandeln. Wieder wurden wir alle mit Lügen und Versprechungen beruhigt und gingen

deshalb wieder zurück in unsere Zelle. Das schreibt er. Na gut und da hat er einen Antrag gestellt,

dass er in die Nähe seiner Familie möchte, er hatte ja relativ viele Geschwister und deswegen

kam er in die Höhle von Sachsen, nämlich in die JVA Waldheim. Und das war mit Bautzen zusammen,

war das so die schlimmste JVA, dies gab. Man muss sagen und das schilderst du in

deinem Text ganz deutlich, Fritt Müller erlebt zwar die Wände außerhalb des Gefängnisses nicht,

er erlebt aber die Wände innerhalb des Gefängnisses. Ja, er erlebt. Und das ist eine intensive Wende. Ja.

Und das ist dann ganz interessant. Also meine Vorstellung, ich treffe jetzt einen und mit dem

gehe ich über die Grenze. Der ist dann also, er fühlt sich auch einmal wie auf den Seitschellen

oder so. Das hat sich gar nicht bewahrheitet, denn der Müller hatte schon Ahnung vom Westen

inzwischen. Und zwar nicht, also erstens natürlich durchs Fernsehen, es gab ja jetzt überall

so Westfernsehen und zweitens durch die Westler, die rüber kamen und die kamen natürlich auch in

die Gefängnisse. Und zwar hielten dann da auf einmal Einzugpfarrer, Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen,

Suchtberater, Konfliktbewältigungsprogramme gab's, Selbstsicherheitstraining, Rollenspiel,

Alkoholtherapie, Frustrationstoleranzübungen, soziale Kompetenzübungen und Einzeltherapie. Er

selber war zwei Jahre in der Sozialtherapie und da lernte er dann, wie gehe ich aufs Amt? Oder wie

bediene ich einen modernen westlichen Automoten? Und wie werde ich nicht sauer, wenn ich das nicht

bekomme, was ich habe? Genau, wie halte ich mich zurück, wenn ich das nicht bekomme, was ich gerne

haben möchte? Das hat er da gelernt, aber vorher hat er noch geschrieben und deswegen ist das

ganz interessant. Vorher, also so, als er da so drei, vier Jahre einsaß, das war dann im 1993

starb sein Vater. Er hat dann übrigens auch eine Ausbildung bekommen, also er wurde dann, er ist

in die Ansteißdruckerei gekommen, dann wurde er Dreher, dann hat er im Heizhaus gearbeitet, also

er hat sich überall nützlich gemacht und er war auch in der Effektenkammer, also in der so

genannten Hausfahrterei. Das war die Kammer, wo die persönlichen Gegenstände der Gefangenen

verwahrt wurden und wo die auch ausgegeben wurden, wenn die alle entlassen wurden und es wurden ja

alle entlassen, bis auf ihn und die Zweimörder. Und da hat er die Sachen rausgeben müssen und die

Hausfahrterei war relativ weit oben, also die war nicht unten am Ausgang, es hat mich gewundert,

aber die war relativ weit oben und er hatte dann den Überblick über den Hof und sah die dann da unten

raus. Erzeugt mitgegeben? Genau, die sind da unten rausmarschiert und haben gejolt und geschrien

und haben rauf gewunken und sind dann zum Bahnhof und haben sich da erst mal voll laufen lassen. Und

dann kamen sie in der Regel auch gleich wieder und haben dann nochmal eine Nacht, da ist er in der

Ausmissionszelle. Und er saß da oben und hat die da beobachtet und war grün vor Neid und war hat die

Gehast, wie die da unten jetzt Spaß haben und dann haben die da mit Bier rum gespritzt und also ein

Riesendings haben die da gedreht und er musste da oben sitzen und im Fernsehen da sich die Segnungen

des Westens anschauen, wo er doch immerhin wollte. Aber man muss sagen, als du ihn besucht hast in

der Haftanstalt, da saß er nicht mehr im Anführungszeichen hinter Gittern, also jedenfalls nicht

hinter den Klassischen. Ja, das war aber dann viel später, als ich ihn besucht habe. Aber ich

rede ja jetzt von 1993, als noch die alten Verhältnisse da waren und der Westen noch nicht zu

ihm vorgedrungen waren und all die netten Sozialarbeiterinnen, mit denen ich dann auch gesprochen

habe, es erzähle ich gleich, was die über ihn gesagt haben und die ganzen Psychologinnen und die

Damen vom Arbeitskreis Resozialisierung, laut das so Damen in meinem Alter, die da auch an das Gute

im Müller geglaubt haben, die haben dann alle über ihn gesprochen, aber es erzähle ich nachher.

Jetzt wollte ich erst mal noch erzählen, was er über Walterheim gesprochen hat, wie da mit den

Leuten umgegangen worden ist und er hat seinen Vater verloren, er hat auch seinen Mutter verloren

und er hat sein Bruder verloren, während er da drin war und er hat immer beantragt, dass er zur

Beerdigung gehen darf und da schildert er die Beisetzung seines Vaters so. Nach der Beisetzung

fragte meine Mutter mich, ob ich noch mit zum Café kommen kann, doch das lehnte mein damaliger

Hausdienstleiter ab. Ich musste ins Auto und es ging wieder nach Walterheim. Da fragte ich,

warum müssen wir denn schon zurück, weil es war nämlich erst 14 Uhr und meine Ausführung war

bis 16 Uhr genehmigt. Der Hausdienstleiter sagte, ich bestimme, wann es zurückgeht. Da bekam ich zu

begreifen, was in Walterheim los ist. Jeder Bulle wollte hier ganz groß rauskommen und da war

ihm jedes Mittel recht. Also ich meine, der hat seinen Vater verloren und dann hat man ihn die

zwei Stunden mit der Familie nicht gegönnt. In kurzer Zeit später ist die Mutter gestorben,

es war dann im Dezember des selben Jahres und es schildert er so. Es kamen zwei und sagten mir,

dass sie mir Handschellen anlegen wollen, also aufs Begreppnis seiner Mutter will. Ich dachte,

ich höre nicht richtig und fragte, wo das steht. Doch ich bekam nur zur Antwort, das legen wir fest.

In Borna auf dem Friedhof angekommen, warteten meine Angehörige schon auf mich, nun wurde mir das

Blumenpaket auf die Hände gestellt und ich durfte zu meinen Angehörigen gehen. Meine

Schwester kam hier entgegen und wollte mir die Hand geben. Ich sagte ihr, das geht aber nicht,

weil ich die Handschellen drumherum habe. Nun umarmten mich alle und wir gingen in einen Raum,

wo meine Mutter aufgebahnt war. Ich saß da und konnte meine Träne nicht zurückhalten. Mir lief die

Nase und ich konnte sie nicht putzen. Nachdem die Trauerfeier auf dem Friedhof in Borna vorbei war,

hatte ich noch für zehn Minuten Zeit mit meinen Angehörigen zu sprechen, zehn Minuten. Nun sahen

alle, dass ich die ganze Zeit Handschellen anhatte und sie konnten es nicht verstehen. Später schrieb

ich einen Brief an die Abteilungsleiterin, um mich nach den Handschellen zu erkundigen und ich

erfuhr, dass keine Festlegung für Handschellen vorgelegen hatte und die Bediensteten sie einfach

von sich ausgelegt hatten. Also die haben ihn einfach hier... Willkür. Die haben ihn fertig

machen wollen. Das war der Sinn der Veranstaltung hier und das fand ich schon also oberübel. Du

hast das so in einem Satz zusammengefasst. Das Gefängendesystem war so, dass möglichst wenig

störendes von den Gefangenen übrig blieb, was den Staat hätte irritieren können. Ja, so hat

er es mir erzählt und so habe ich das ja auch. Ich habe ja ganz viel recherchiert. Ich war ja bei

den Gefängendesleitern. Ich war bei den Leuten, die den Justizvollzug geleitet haben. Ich war auch

in den Ministerien und so weiter. Ich habe aber tausend Schriften gelesen. Daher habe ich auch

diese ganzen Zahlen. Die habe ich vom Justizministerium Sachsen bekommen und dann habe ich eben auch mit

den Damen von der Resozialisierung gesprochen. Genau, die Wende. Ja, vom Arbeitskreis Resozialisierung

und die haben dann eben sehr nett über Herrn Müller gesprochen. Der Müller hat einen guten Kern. Man

muss ihn nur freilegen und eigentlich ist er ein guter Kerl. Er hat sich nur einfach nicht im

Griff und so. Also die hatten sehr nett über ihn gesprochen. Die haben auch sehr nett... Ich glaube,

sie haben ihn mit Döner und Lasagne freigelegt, oder? Bitte? Sie haben ihn mit Döner und Lasagne

freigelegt. Ja, die haben ihn dann... Langsam kam der Westen ja auch in anderer Form. Nicht nur in

Form von Sozialarbeitern, sondern auch in Form von Dönerläden und in Form von Italienern und so

weiter. Da kam er in den Osten rein gerückt und da hat er natürlich dann immer, wenn er dann mal

rausdurfte und er kam ja dann langsamer der Lockerungen bekommen. Und er durfte dann auch ins

Freigängerhaus. Als ich ihn dann, und jetzt sind wir bei dem Thema, als ich ihn dann besucht habe,

da war er im Freigängerhaus und da war er gar nicht mehr untergebracht in der eigentlichen

Waltheim JVA, sondern gegenüber in einem Haus, wo er, er hat auch den ganzen Tag gearbeitet

inzwischen. Er war irgendwo in der Nähe, war er beschäftigt, ich weiß gar nicht wo, und ist

dann abends zurückgekommen und hat da die Nacht verbracht und am Wochenende durfte er zu seiner

Schwester fahren.

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Es gibt Ende 1998 sozusagen den ersten Freigang von ihm, der ihn raus aus der Haftanstalt führt

und hier nach Leipzig. Der ist bemerkenswert. Und zwar durfte er da alleine fahren. Er hat also

Ende 98 sein, also ein Jahr, das war ein Jahr bevor er raus durfte, muss man mal wissen. Also er

hat, es muss man vielleicht auch vorausschicken, er hat die 15 Jahre, das ist dann eigentlich

das Strafende wäre, Oktober 2004 gewesen. Aber man hat ihn im Oktober 1999 rausgelassen,

man hat ihn also auf zwei Dritteln rausgelassen. Wenn du eine gute Prognose hast, kannst du

entweder zur Hälfte, halb, halbstrafe, kriegst du dann, dann kannst du zur Hälfte, wird es

geprüft, ob man dich weiter behält und das passiert dann relativ häufig, zwei Drittel.

Zwei Drittel hat er, also zehn Jahre, hat genauer gesagt, mit der Untersuchungsaft elf Jahre abgesessen

und dann hat man ihn rausgelassen. Aber bevor man ihn rausgelassen hat, er war übrigens Maurer,

er hat eine Maurerausbildung gemacht bei der AWUS, das war so eine Fortbildungsorganisation.

Genau und da war er, soweit ich weiß, war er da schon in Grimmar und er hat dann einen ersten

Ausflug alleine machen dürfen nach Leipzig und ist dann da mit der Bahn hingefahren. Hatte kein

Geld dabei, man hat gesagt zu ihm, Herr Müller, nehmen Sie bitte kein Geld mit, sonst geben

Sie das sofort aus. Es hat sich ein bisschen was geändert in Leipzig und dann ist er da hingefahren.

Ich war heute auch, ich bin heute auch am Leipziger Hauptbahnhof angekommen. Wie ich? Und habe ich mir

auch gedacht, hoppla, da ist ja ganz schön was los, also ein riesiges Warenhaus mit Gleisanschluss.

Und das hat er auch gesehen, also er kam da hin und er hat gesagt, es hat ihn der Schlag getroffen.

Er wollte eigentlich einen Ausflug durch Leipzig machen, aber er ist nicht mal aus dem Bahnhof

rausgekommen. Es gab so viele Ausgänge, dass er sich nicht rausgetraut hat. Er ist im Bahnhof

geblieben und hatte Angst, dass er sich verläuft in Leipzig, weil er schon den Bahnhof nicht mehr erkannt hat.

Und man hat ihm, glaube ich, gesagt, vergleich doch mal die Preise, so als Therapie, also wenn du ganz verwirrt

bist, vergleiche die Preise. Und dann ist er von Geschäft zu Geschäft gelaufen, hat die Preise

verglichen und hat Angst gehabt, dass er es nicht mehr pünktlich nach Hause schafft und das hat dann

irgendwie das Vertrauen, dass in ihn gesetzt wird, enttäuscht und so weiter. Darum hat er die

ganze Zeit auf die Uhr geguckt und ist dann wieder nach Hause gekommen.

Vollkommen groggy. Am Wochenende durfte er dann auch wegbleiben übers Wochenende.

Also das merkt man ja auch nicht. Also dieses Resozialisierungsschritte waren dann eben erst

mal begleitete Ausführungen, dann darf er allein einen Ausflug machen. Wenn er wieder kommt,

dann darf er auch mal übers Wochenende wegbleiben. Dann wird er Freigänger, er kommt also in den

Freigängerhaus und dann arbeitet er und muss nur noch abends die Nacht da verbringen und so

weit. Dann wird geschaut, hat der sozialen Anschluss. Gibt es jemanden, der sich für ihn

interessiert? Gibt es jemanden, der ihn vor dem Absturz bewahrt? Und es gab es hier, es gab

seine Schwester. Seine Schwester und die Schwester, die habe ich auch kennengelernt, die hatte einen

Garten in Grimmer und in diesem Garten verbrachte der Herr Müller seine Tage und er am Wochenende

und hat dort gezeltet. Er ist gar nicht mehr in eine Wohnung reingegangen, sondern er hat im Garten

ein Zelt aufgeschlagen und da hat er gewohnt. Und zwischen den Beten, er hat also sehr viel Gemüse

gezogen und Lauch und Salat, Kolrabi und mit Gartenzwergen dazwischen und da schlief Herr Müller

und er konnte also keine geschlossenen Räume mehr ertragen, sondern hat dort seine Zeit verbracht

und war dort glücklich. Und seine Schwester hatte einen Job gefunden, die war extrem strukturiert.

Also seine Schwester war eigentlich seine Mutter, die war zehn Jahre älter als er, also als ich ihn

kennengelernte, war er 37, sie war 47 und die hat auf ihn aufgepasst und zwar mit einer großen

Liebe, einer großen Liebe und hat eben selber auch einen Job gehabt als Diätköchin, hat sie sich

ergattert und der Schwager war in einem Elektrohandel und der Sohn war bei einem Autohändler

angestellt und der kleinere Sohn, der hatte auch irgendeinen Aussicht auf irgendeinen Job und da

hat man auch gemerkt in den Gesprächen mit den Leuten, da brach ja die gesamte Wirtschaft zusammen,

also die gesamte Ostwirtschaft war ja zusammengebrochen, die Leute haben ums Überleben gekämpft,

auch die Konkurrenz und auch der Ausbilder von Herrn Müller, mit dem habe ich auch gesprochen,

der hat gesagt, ehrlich gestanden, ein bisschen weniger Konkurrenz und ein bisschen mehr Solidarität

wie wir es im Osten hatten, würde jetzt ganz gut sein für Herrn Müller, aber Herr Müller kommt

jetzt hier ins Heifisch becken. Ja, es ist kalt da draußen geworden. Ja, es ist kalt. Aber ansonsten

hatte sich der Kapitalismus, der Kapitalismus, der Kapitalismus hatte sich schon ein bisschen

erschöpft, als er nach Grimach kam, da wurden die Häuser halt neu angestrichen und da wurde die

Kanalisation repariert, aber das war es dann eigentlich auch und das kam also in sehr vorsichtigen

Schritten und der Herr Müller wollte auf einmal nicht mehr in den Westen. Er war sehr froh,

dass der Westen weit weg war und er in dem Gebiet, in dem er sich auskennt, in Grimach bei seiner

Schwester und so weiter, dass er da zu Hause war. Und das war ganz interessant, er war ehrlich

gestanden, geheilt. Nach diesem Ausflug nach Leipzig war er geheilt. Du hast noch einen anderen

Teil seiner Familie kennengelernt, nämlich seine Ex-Frau, die inzwischen einen neuen Lebensgefährten

hat und seine Tochter. Seine Tochter, ich weiß gar nicht, ob er die überhaupt je gesehen hatte,

also jedenfalls seine Tochter hatte 10. Geburtstag und er hat mich mitgenommen und dann sind wir

gemeinsam dahin gefahren, wo seine Frau lebte mit ihrem neuen Mann und neuen Kindern und zwar nach

Espenheim. Das ist 25 Kilometer südlich von Leipzig und Herr Müller hat ja hier auch vor

den Gefängnisseaufenthalten gelebt und ich weiß nicht, ob du weißt, wie Espenheim war, also

zu DDR-Zeiten. Espenheim klingt so schön, ich habe es nachgelesen. Wir haben ja auch Fotos dabei,

das können wir vielleicht jetzt schon mal verraten, wir zeigen im Anschluss Fotos und da ist auch

eins von Espenheim dabei, da kann man sich dann ein Bild davon machen, wie es damals dort aussah.

Ich kenne die Passage aus deinem Text einmal vorlesen zu Espenheim. Im Sommer 1999 ist das

Gebiet des ehemaligen Braunkohlekombinats Espenheim Todesland. Auf dem Parkplatz wüsten

kein Auto. Aus gewaltigen Backsteinruinen starren gebrochene Fenster. Brickettfabrik 2 ist

abgerissen. Brickettfabrik 1, in der Müller früher als Brickettmacher arbeitete, steht noch.

Die Türen verrammelt, die Lugen vermauert. Es sollen niemand eindringen in den Verfall. Wo

1.8.500 Arbeiter im Rhythmus der Schichten von den rußgeschwertsten Fabriken angesaugt und

ausgespielen wurden, wo Eisenbahnwaggons anstanden, ihre Dreckigelast abzuholen und die

Schwälereien jeden namenlosen Dunst in die Luft entließen, liegt heute das Land in Brache. Auf

dem Bahn geleisen wachsen Schafgaben. Doch Espenheim ist an Synonym für Hölle geblieben. Die Hölle

der Flugasche verwandelte sich in die Hölle der Arbeitslosigkeit, der radikalen Vernichtung

von Ostwirtschaft. Offiziell ist ein Drittel derer, die arbeiten können, ohne Beschäftigung.

Da war ich. Und man hat mir dann auch erzählt, wie es früher in Espenheim aussah. Also die Leute

mit denen ich da, mit der Ex-Frau und ihrem Mann, habe ich ja dann gesprochen. Die haben ja

erzählt, wie es aussah in Espenheim und dass sie da, also die Wäsche, wenn sie die draußen

aufgehängt haben, ihre gewaschene Wäsche, dass sie die da schwarz reingeholt haben und dass sie

das Fenster immer geschlossen halten mussten, weil da irgendwelche giftigen Dämpfe reingezogen sind

und dass es Flugasche gab und sonst war es. Also es war wie auf einem Planeten, auf dem eigentlich

kein menschliches Leben vorgesehen ist. Täglich 20 Tonnen Schlefeldioxid, 4,4 Tonnen Schlefel

Wasserstoff, 4 Tonnen Kohlestaub, 4 Tonnen TRA-Aerosole, 1,5 Tonnen Ammoniak, gehen ohne Filter

aus den Schloten. Das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Es ist ein, das

Braunkohlewerk, übrigens die Braunkohle ist sehr terhaltig. Das erste Werk ist von den Nazis gebaut

worden, um die Wehrmacht mit Treibstoff auszustatten. Man hatte damals eine, für damalige Verhältnisse,

wahnsinnig fortschrittliche Technologie, wo man aus dieser Braunkohle Treibstoff machen konnte

und viele andere Produkte noch. Es gibt so eine richtige Produktlinie, die da rauskam. Und im Krieg

ist natürlich dieses Werk total zerstört worden. Die DDR hat es wieder aufgebaut. Hat es aber nie

ertüchtigt, weil man dachte irgendwann braucht man diese Braunkohle nicht mehr, man kann ja Öl nehmen

als Ausgangsstoff und dann kam die Ölkrise und dann hat man das Ding einfach weiter laufen lassen

und zum Teil wirklich bis ans Limit gefahren, weil die DDR ein ähnliches Ziel hatte, wie manche

starten heute, nämlich Energie autark zu sein, möglichst unabhängig von Importen. Darum hat man

ohne Rücksicht alles durch die Schornsteine geblasen. Und trotzdem war die Familie, die ich da

kennengelernt habe, vollkommen demoralisiert. Also die hatten alle keine Arbeit und die hatten auch

kein Fernseher und sie hatten auch kein Telefon. Es gab damals noch keine Handys und man hatte auch

kein Telefonanschluss und mir kam das vor, als ob die auf einer Insel lebten, die von der Welt

abgeschnitten war. Die hatten zwar Fernsehen, aber sie haben sich dann gegenseitig besucht und das

war es. Also sie waren wie eine eigene Gemeinde, die irgendwie keinen Anschluss an die Welt mehr hatte.

Die hatten nur noch eben die Eindrücke aus dem Fernsehen, sie hatten kein Auto, kein Telefon und

sie waren irgendwie wie vergessene Ureinwohner jenseits der Dortumsgrenze. So lebten die und

waren unglaublich sauer und waren unglaublich schlecht gelaunt und böse. Also sie waren richtig

wütend und das hat mich sehr beeindruckt, dass die, also obwohl sie jetzt schnaufen konnten, haben sie

eben immer gesagt, früher war alles besser. Früher hatten wir ein Job, früher wussten wir, wo wir

hingehören. Jetzt sitzen wir den ganzen Tag hier im Zimmer und gehen uns gegenseitig auf die Nerven.

Und der einzige in diesem Raum, der guter Dinge war und halbwegs gut gelaunt, war Herr Müller.

Herr Müller sagte ja, also ich habe eine Perspektive, ich weiß auch schon wo ich arbeite. Ich

komme ja bald raus und über ihn kam der Westen sozusagen in kleinen therapeutischen Dosierungen

und er wurde dann sozusagen gewöhnt, fahren sie mal ohne Geld in den Hauptbahnhof. Und hier wurden

die Leute also vom Westen überfallen. Der kam wie ein Räuber, hat ihnen alles entrissen, hat ihre

Häuser noch angemalt und ist wieder abgedampft. So war das. So haben wir das empfunden. Und das

war fand ich sehr interessant, dass der Müller sozusagen für mich auf mich noch den hoffnungsvollsten

Eindruck in dieser ganzen, in diesem ganzen Nachmittagskaffee gemacht hat. Er hat Pläne,

er hat Ideen, er hat Ehrgeiz, er ist jetzt ausgebildet, er will arbeiten, schreibst du. Genau. Und so

verliess ich ihn. Das war 1999. Im September ist das Stück erschienen und dann kam er raus und hat

mir noch eine Karte geschrieben und dann habe ich ihn aus den Augen verloren. Du schreibst seine

größte Aufgabe, ist es jetzt seiner kleinen Tochter die Welt zu zeigen, die er selbst nicht

kennt, wenn er ab 13. Oktober ein freier Mann sein wird. Genau. Das ist der letzte Satz. Das ist der

letzte Satz und dann haben wir ja das Kriminalmagazin erfunden in der Zwischenzeit und 20 Jahre

später, also 2019. Wir haben gedacht, was ist denn eigentlich mit dem Herrn Müller? Jetzt ist es 20

Jahre her. Da könnten wir doch eigentlich die Geschichte, wie es weiter ging, mal im Kriminalmagazin

nachdrucken und nach recherchieren. Was ist mit Herrn Müller und seiner Tochter? Was ist mit Herrn

Müller und seiner Tochter? Und dann habe ich gedacht, frage ich doch am besten ein Landeskind,

das den Herrn Müller ausgräbt und bin dann hier auf Martin Machowetz gestoßen, der damals der

Leiter unseres Leipzig-Büros war. Martin ist auch da. Hallo Martin, wo bist du? Martin,

komm doch einfach mal hoch. Da ist er. Ich komme von hinten. Ich komme von hinten. Schönen guten Abend.

Hallo Sabine. Martin ist dann 20 Jahre später, hat er sich auf die Socken gemacht und

hat Herrn Müller gesucht. Und ja, was hast du gefunden? Erzähl mal. Es ist ja bei der Zeit

relativ berüchtigt, wenn Sabine anruft, dann weiß man, jetzt gibt es was, vor dem kann man nicht

fliehen. Und ich hatte also eines Tages Sabine am Telefon und sie sagte, Martin, du musst den Müller

finden und dann dachte ich, okay, dann muss ich jetzt den Müller finden und erzählte sie mir

die Geschichte und startete mich mit ein bisschen Wissen aus und ich schaute mir diesen Text an. Der

Wahnsinnig beeindruckend war, ich finde es so toll, dass du damals ja auch so empathisch beschrieben

hast, wie hart das für die Leute war. Du bist ja selbst noch in der DDR geboren, ne? Ja, ich habe noch

den DDR-Impfpass 1988, im gleichen Jahr wie Müller's Tochter übrigens. Du beschreibst in diesem Text

ganz wunderbar, wie krass das war, dass der Westen über dieses Land gefahren ist und manche nicht wussten,

wie ihn geschah. Und den ersten Tipp, den du mir, glaube ich, gabst auf der Suche nach Fritt Müller

war, das gibt da so ein Anwalt, den man fragen kann, der ist da in Waldheim und dann habe ich den auch

gesucht, den gibt's auch noch, da wo Müller zuletzt ein saß und du gabst mir, glaube ich, auch aus

den Akten den Namen, Herr Schlesier hieß er, glaube ich, und das ist ein Mann, der hat ganz viele

Mörder und Vergewaltiger vertreten und ich habe ihn angerufen und er sagt, der Hammer Müller, der

Hammer Müller. Na klar kenne ich den noch, das war einer der charismatischsten und freundlichsten

Mandanten, die er je hatte, sagt er. Auch ganz beliebt unter den Mithäftlingen und dann habe ich

ihn gefragt, ja und wo ist er heute? Keine Ahnung, wie wir da was gehört. Ich glaube, der gab mir noch

den Tipp, es mal in Grimmar zu versuchen, weil er auch wusste, dass es der Familie gab. Aber wir

wussten nicht mehr, wie die Schwester heißt. Na ja. Es gibt doch Momente des Vergessenes. Ich dachte

erst mal, Fred Müller, Grimmar finde ich auf Facebook, ginge auch nicht. Müller ist jetzt

auch nicht der seltenste Name und habt dann auch ein paar Müllers durchtelefoniert. Natürlich

eine sagenhafte Quatsch-Idee. Und dann wusstest du aber doch auch noch den Namen der Schwester,

die ich dann auch irgendwie gesucht habe, auch nicht gefunden habe. Ich kann mir auch sagen,

wo ich es herhatte, ich hatte dann nämlich doch, ich habe ja hier die ganze Recherche Müller mitgeschrieben.

Im Blog. Endlose Interviews und auf einer dieser Seiten habe ich den Namen der Schwester dann

gefunden. Das ist gemein, wenn Journalistinnen sagen, ich habe es im Blog. Nachdem ich einen

Kleingartenkolonien abgefahren war, einen Namen gegoogelt, hat der Anwälter angerufen, sagt

du, ach, ich habe sogar die Adresse. Ja, aber da musste ich erst dann diese ganzen Kritzeleien von

damals durchlesen. Du musst dich auch warnen. Und außerdem 20 Jahre später ist eine Adresse

auch nicht mehr viel wert. Dachten wir. Dachten wir. Aber es gab noch einen Straßennamen. Es gab

noch einen Familiennamen. Ich sagte den jetzt hier nicht, aber gab es alles noch. Und es gab

sogar noch eine Telefonnummer. Aber da ging niemand dran. Ich bin hingefahren. Der Name stand dran.

Da war so eine Siedlung mit so ganz niedrigen, vier Geschosse, Platten, Bauten. Grimmer ist

eigentlich ganz schön, aber eine sehr schöne Stadt, super schöne Stadt, aber nicht dort. Und dann

habe ich einen Brief hinterlassen und auf den AB gesprochen und es meldete sich niemand. Und dann

eines Tages hatte ich sie doch am Telefon, rief sie mich zurück. Und ich fragte, sind sie die Schwester

von Fred Müller? Und sie wurde so ganz wortkark und wollte nicht sprechen. Und man weiß ja, als

Journalisten, für Journalisten ist so der Moment, wo man jemanden am Telefon hat, den man die ganze

Zeit gesucht hat und ihn dann irgendwie überzeugen muss, mit einem zu reden. Das ist ja so der

entscheidende einer jeden Recherche eigentlich. Und ich habe dann irgendwie... Kommen sie halt vorbei.

Und dann bin ich wieder ins Auto gestiegen und nach Grimmer gefahren. Und jetzt lese ich noch ganz

kurz den Anfang des Textes vor. Sieht er glücklich aus, wie er da am gedeckten Tisch sitzt, im weißen

Volpolover Mager mit großer Pilotenbrille auf der Nase. Immerhin ist er in der Stadt, in der er

immer leben wollte, Grimmer an der Mulde in Sachsen im Wohnzimmer seiner Schwester. Ja, er lächelt.

Aber das Lächeln ist leer, es drückt nichts aus, keine Freude jedenfalls. Und da ist auch

keine Freude, wenn er im Garten bei den anderen sitzt, mit nichts als einem Unterhemd an. Es sind

nicht nur die Tattoos auf seinem Arm, die verraten, wer er ist, ein Mann mit einer bösen und schwierigen

Geschichte. Ein Mann, der lange im Gefängnis war ein überfordertes, schmaler, ältlich wirkender

Kerl von damals nicht einmal 40 Jahren. Damals. Fred Müller ist seit 17 Jahren tot. Er existiert nur

noch auf den Bildern im Album seiner Schwester, 66 Jahre alt. Am 4. Dezember 2002 starb er drei

Jahre nach seiner Entlassung aus dem Knast. Mensch, so lange ist das her, wundert sie sich. Also als

ich daheim traf, gab es nicht nur Fred Müller nicht mehr, sondern es gab auch sein Grab schon

nicht mehr. Das war auch schon seit mehreren Jahren nicht mehr da. Das erzählte mir dann der Mann

und meine Recherche begann also dann im Grunde damit, dass er tot war. Und sie hatten aber Fotos von

allem vom Grab, von seinem kurzen Nachleben nach dem Gefängnis aufenthalt und man merkte, okay,

da diese Wohnung in Grimmar super aufgeräumt, kein Kornstaub ist so der einzige Ort auf der

Welt, an dem die Menschen noch an Fred Müller dachten. Und er hat das habe ich irgendwie auch

dann in diesem Text aufgeschrieben, im Leben von anderen Menschen als seiner Schwester und ihrem Mann

keine Spuren hinterlassen. Bei uns hat er das. Bei uns, ja. Und jetzt bei ganz vielen hier im Saal.

Absolut. Es stellte sich raus, dass also die Schwester und ihrem Mann ihn schon im Gefängnis ganz

oft besucht hatten und ihn nach der Entlassung zu sich geholt haben und ihm eine Einraumwohnung

gleich um die Ecke besorgt haben in der Straße der Jugend. Er hat bei einer Gerüstbaufirma

angefangen und die Schwester sagte, er sei da unfassbar tüchtig gewesen, aber er habe weiterhin

kein Verhältnis zum Geld aufbauen können. Wir merken ja, er ist so ein, wir haben ja schon erzählt,

er ist so ein Suchtyp, also er trinkt, er macht alles exzessiv. Absolut. Was er tut,

macht er exzessiv. Absolut. Und was macht er jetzt? Also sie sagte, sie musste vor allem erst mal immer

mit ihm einkaufen gehen, weil alleine konnte er das gar nicht. Wenn er irgendwo in den Supermarkt

gegangen ist, hat er alles Geld sofort ausgegeben für irgendwas, was er nicht brauchte. Und er wurde

spielsüchtig. Das war er auch in seiner Jugend ja schon mal gewesen. Automatenspiele. Anfangs

hat er nur ein paar Runden gespielt und später unfassbar gezockt. Einmal kam er mit 8000 Mark nach

Hause oder waren es schon Euro? Ich glaube, waren es sogar schon Euro, glaube ich. Und ein paar Tage

später war alles weg. Dann hat er sich verschuldet. Dann ist seine Schwester mit ihm zur Schuldnerberatung

gegangen, also sie hat sich wahnsinnig rührend um ihn gekümmert, hat Finanzpläne mit ihm gemacht

und hat ihm einen Platz in einer psychiatrischen Klinik in Wiesenburg bei Zwickau verschafft wegen

der Spielsucht. Und von da haben sie mir auch Fotos gezeigt, ein ganz dürrer abgekämpfter Mann,

der ganz unglücklich und überfordert aussah und da sagte dann die Schwester, dort geschah der Nackenschlag.

Es gab irgendwie eine Routine-Untersuchung im Juni 2002 und die Ärzte haben Schatten auf seiner

Lunge entdeckt und es war Krebs. Und die Schwester sagte, als wir dachten, nun wird alles gut in

seinem Leben, kam die Krankheit und hat ihn sich geholt. Er hatte sein Leben lang geraucht und

gesoffen, bis zur Zeit im Knast, nach dem Knast, nie wieder Alkohol angerührt. Aber die schlechte

Ernährung, dem hätten auch die Vitamine gefehlt, sagte der Mann der Schwester. Es war einfach Krebs

und im Sommer 2002 ist er in einem Krankenhaus in Leipzig gestorben. Wollen Sie Fried Müller kennenlernen?

Wir haben ein paar Fotos mitgebracht. Die sind entstanden Sabine im Rahmen deiner Recherche.

Und der Fotograf hat sich sozusagen euren Weg durch Berlin nachfotografiert. Das ist er. Und das

war damals das Dossier im 2. September 1999. Da sitzt Fried Müller. Also das haben wir nicht

aufgestellt für ihn, sondern dieses Bild, da war irgendein Event vor dem Brandenburger Tor und dann

hat der Fotograf zum Müller gesagt, setzen Sie sich doch mal da rein. Da steht ein aufgeblasener Sessel

vor dem Brandenburger Tor. Und er hatte sich da reingesetzt und das ist das Bild. Aber so

war er auch angezogen und so war er auch geblickt, als ich mit ihm kurz vorher immer wieder über die

Berliner Grenze gefahren bin. Und der Fotograf hat dann den Weg mit ihm in der Bahn gemacht. Da

fahren sie über den Potsdamer Platz oder sie sind kurz davor und machen sozusagen mit dem

Bildmaterial nochmal die Reise in den Westen. Wir sehen einen tätowierten Mann im Jeanshemd.

Das versuche ich jetzt immer, den Menschen zu erklären, die uns nur zuhören. Das wird ja ein

Podcast, insofern ist es vielleicht ganz gut, wenn du auch erzählst. Das ist glaube ich der Potsdamer

Platz, oder? Nein, da ist er auf dem Alexanderplatz. Da hat er den Neptunebrunnen geflucht, weil da war er

schon mal, da ist in der Mitte ein dicker Mann mit seinen Weibern, hat er gesagt. Und da hat er

damals eine Münze reingeworfen und hat gesagt, er kommt wieder. Das ist auf dem Alexanderplatz in

Berlin. Er schaut total verloren, aber auch irgendwie sympathisch aus, ne? Ja, er war auch sympathisch.

Das ist wirklich wahr. Also diese Tat war schrecklich, aber er hatte auch was Nettes. Das ist

sein Zimmer im Freigängerhaus in Waltheim. Da ist er schon aus dem Knast raus und hat ein eigenes

Zimmer. Aber er war natürlich ein extremer Raucher, muss man auch sagen. Gek, Walm von morgens bis

abends. Und das ist ja in Grimmer. Das ist nicht seine Schwester, sondern seine Tante. Es gibt Kaffee

und Kuchen. Man sitzt unter einem dieser Plastikzelte, die garantiert aus dem Westen gekommen sind,

neben anderen Hässlichkeiten. Da hinten ein Grill und er hat ja den Garten nicht mehr verlassen. Er

war ja immer nur im Garten. In diesem Garten hat er sich noch mal spät verwirklicht, weil die Tante

nicht mehr so richtig sich darum kümmern konnte und er hat da irgendwie mit einer wahnsinnigen

Akribie sich um die Beete und Pflanzen und Dinge gekümmert. Ja, da ging es ihm gut. Und jetzt sind

wir in Espenheim. Das ist eines seiner Wirtshäuser, die er damals aufgesucht hat, um die Asche aus der

Kehle zu spülen. Bis Mitternacht. Wie er mir gesagt hat, ja. Und da guckt er dann rein. Und das

war Espenheim. Genau, und zwar zu seinen besten Zeiten. So sah es da aus. Man kann sich das heute

nicht mehr vorstellen. Das ist eine Landschaft mit qualmenden Schloten, die ungefiltert den Dreck

in die Luft blasen. Also eigentlich, wenn ihr morgen noch hier werdet, müssen wir mal zusammen heute

nach Espenheim fahren, weil das ist ja eine wunderschöne Gegend inzwischen mit dem Heiner

See. Die ganzen früheren Tagebau-Löcher sind heute traumhaft schöne Sehen geworden und man

kann sich wirklich nicht mehr vorstellen, wie das mal ausschaut. Wo früher rußgrauer Häuser stehen,

gibt es heute großartige Wasserlagen. Absolut. Und die, die die schlimmste Wohnlage eins hatten,

haben jetzt die allerbeste. Echt? Teilweise. Manche wurden auch vertrieben. Ja, das ist das letzte

Bild. So wie der, das ist ja du. Da bin ich. Ja. Genau, da bin ich mit Fred Müller und seiner

Schwester. Und es ist soweit ich mich ins Sinne grimmer. Das ist, glaube ich, grimmer. Ja. Da

stehen wir irgendwie etwas verloren auf dieser Brücke. Ich war damals deutlich schlanker,

aber ich war auch 23 Jahre jünger. Ja, und was hast du noch rausgefunden? Naja, ich bin auch

noch mal... Das Foto muss ich noch dazusagen. Hast du besorgt? Das Foto wurde damals nicht

geschossen, sondern das hast du 20 Jahre später? Die Schwester hat mir ihr Familienalbum geöffnet

und ich stieß plötzlich an ganz vielen Ecken und enten auf Sabine. Ah, du bist im Fotoalbum

der Familie Müller. Das ist das Familienalbum der Familie Müller. Ja. So schließt sich ein

Kreis. Aber ich glaube, er schließt sich fast auch an das ein bisschen. Ich bin dann auch noch mal

nach Espenheim gefahren, weil in der Geschichte spielt ja diese Tochter so eine wahnsinnige Rolle

und ich wollte eigentlich auch wissen, wer diese Tochter ist und was sie von ihm weiß. Sie war

gerade geboren, als er ins Gefängnis kam und hat es für uns schon gesagt, genauso alt wie ich. Und die

Schwester sagte mir auch nach der Entlassung, sei er noch mal mit ihr in den Zoo gegangen,

offenbar. Und die Schwester sagte vielleicht sei der Kontakt wegen der Spielsucht abgebrochen und

vielleicht auch, weil die Mutter der Tochter kein Interesse mehr dran hatte und den neuen Mann

hatte. Und ich habe aber beschlossen, dass ich, dass ich die Tochter nochmal finden will. So und

ich konnte das in der Zeitung nicht schreiben, weil sie es nicht wollte, was ich auch gut verstehen

konnte. Und ich habe sie aber über Facebook ausfindig gemacht. Sie schrieb mir, dass sie bei

ihrer Mutter und ihrem Stiefvater aufgewachsen ist und dass ihr Vater sich ganz zu Beginn mal habe

sehen lassen, aber eigentlich unsichtbar gewesen sei bei der Familie und dass der Kontakt eben so

abbrach, als sie 19 Jahre alt war. Und sie verstand auch so ein bisschen, dass der Kontakt abgebrochen

ist, weil sie glaubte, dass ihre Eltern da sicher einfach Frieden und Ruhe in der Familie haben

wollte, aber wollte auch nicht so gern drüber sprechen. Und ich habe sie das erste Mal schon

gesprochen, als ich noch nicht wusste, was mit Fred Müller passiert ist. Und sie sagte mir,

sie würde auch wahnsinnig gerne wissen, was aus ihm geworden ist. Und ich solle ihr das bitte

sagen, wenn ich es rausgefunden habe. Ja und dann habe ich sie auch nach meinem Treffen mit der

Schwester noch mal besucht in Espenheim, in einer Kneipe und sie hatte ihren Mann mitgebracht und

war eine erwachsene Frau. Und ich habe ihr dann sagen müssen, dass ihr Vater eben nicht mehr am Leben

ist und habe ihr aber viele Fotos mitgebracht von der Schwester, die ich irgendwie kopiert hatte

und auf eine CD gebrannt hatte. Und sie hat damals gesagt, vielleicht bringt sie den Mut auf,

Kontakt zu der Schwester aufzunehmen, würde sie wahnsinnig gern machen, wusste noch nicht,

ob sie es machen würde. Ich habe ihr beide sozusagen wechseln, seit ich mit den Kontakten

ausgestattet und weiß bis heute nicht, ob sie es gemacht haben. Also keine Ahnung. Ich habe aber

heute noch mal auf der Facebook-Seite der Tochter nachgeschaut und gesehen, dass Fred Müller vor

einer Woche Großvater geworden wäre. Ja damit endet unser Abend. Diese Geschichte endet hier. Sabine,

Martin, vielen Dank, dass ihr sie mitgebracht habt. Ihnen euch ganz herzlichen Dank fürs Zuhören.

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Fred Müller hat eine junge Frau fast umgebracht. Dafür wird er in der DDR zu 15 Jahren Haft verurteilt. Erst zehn Jahre nach der Wiedervereinigung wird er entlassen – und erkennt seine Heimat nicht mehr.

In Folge 133 sprechen Sabine Rückert und Andreas Sentker in Leipzig vor Publikum über einen doppelt eingemauerten Mann

Sabine Rückert: Wo ist hier die Mauer?, Dossier vom 2. September 1999

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