Verbrechen: Der Fall Dieter Wedel, Teil 3: Der Unantastbare

ZEIT ONLINE ZEIT ONLINE 2/21/23 - Episode Page - 28m - PDF Transcript

Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, Wedel ist vielleicht der schlimmste, aber nicht

der einzige. Das war der letzte Satz von Folge 2 über Dieter Wedel und wir haben die Frage

gestellt, wie steht es denn um das System, dass diese Dinge, diese Vorgänge, dass solche

Übergriffe auf Frauen möglich macht? Und Sabine, unsere Gäste sind noch da?

Unsere Gäste sind noch da, ich wollte aber vorher noch was sagen, weil du gerade so schön

vom System redest. Das System, so hieß ja auch der dritte Artikel, den die Zeit zum

Thema veröffentlicht hat, diesmal wieder im Magazin, also das erste Stück im Magazin,

das zweite Stück im Dosier, das dritte wieder im Magazin. Das Magazin hat damals aufgemacht

mit einem Bild, mit einem Cover, das Ende der 90er Jahre im Stern erschienen ist, der

Aufreißer bei den Schlagzeilen. Da sieht man Wedel mit schwarzer Sonnenbrille, ober

Don Kuhl melennartig in einem Sessel sitzen und hinter ihm hat eine Frau die Beine gespreizt

und beugt sich vor und zeigt dann noch ihr Dekolltee. Eine zweite Frau lehnt sich gegen

sie, das handelt sich um die Schauspielerinnen Sonja Kirchberger und Julia Stemberger, die

im Schattenmann mitgespielt haben. Ich erzähle das jetzt nur, weil wir solche Bilder und

andere Bilder, die über die ganzen Folgen reichen, viele unserer Protagonistinnen im

Bild zeigen, damals gezeigt haben und jetzt auch wieder zeigen in unserem Newsletter,

wer also den Bild hintergrund unserer Erzählungen hier mitverfolgen will, der sollte unseren

Newsletter abonnieren und er bekommt dann noch weitere Hintergrundinformationen von uns

und von den Protagonisten, mit denen wir es zu tun haben.

Ja, wir machen ja normalerweise so eine Mauer Schau, das ist so ein alter Theaterbegriff,

wir tun so, als würden wir auf etwas schauen, tun wir natürlich auch tatsächlich, um beschreiben

den Menschen, die das nicht sehen können, was sie jetzt sehen können, ähnlich wie

du das gerade gemacht hast. Außer sie haben den Newsletter, dann können sie selber sehen.

Ja, und in diesem Fall lohnt es sich wirklich schon, um so den zeittypischen weißen Rollkragen-Pullover,

den Wedel trägt, nochmal genauer in Augenschein zu nehmen und sich so richtig in diese Zeit

zurückzuversetzen. Das ist ein abscheuliches Bild.

Ein Sternchefredakteur, der jetzt gerade seit kurzer Zeit nicht mehr Sternchefredakteur

ist, hat dazu Stellung genommen, hat gesagt, heute würde der Stern dieses Titelbild nicht

mehr drucken. Da bin ich mir sicher.

Ihr habt das System recherchiert. Ihr seid losmarschiert und habt Drehbuchautoren gefragt,

ihr habt Produzenten gefragt, ihr habt Menschen gefragt, die damals als Journalisten über

die Szene berichtet haben, berühmte Szenereporter, Gesellschaftsreporter wie Michael Gräter,

ihr habt den Bildunterhaltungsschef gesprochen, ihr habt Udo Röbel, den ehemaligen Bildchef

gesprochen. Ihr seid also viel unterwegs gewesen, um zu erfahren, wie verbreitet war

das damals, diese Art, wie Wedel mit seinen Leuten umgegangen ist, war das so ein Fallwedel

oder gab es das ähnlich oder war das zeittypisch, wo er hat er sich bewegt? Was habt ihr herausgefunden?

Zunächst mal sollte man vielleicht erwähnen, dass wir bei der dritten Geschichte dann eine

ziemlich große Truppe waren und ich würde gern einmal die Namen der Kolleginnen und

Kollegen erwähnen, die mit uns recherchiert haben. Das waren also Nadine A. Amrai Cohen,

Christian Fuchs, der hier auch ist, Götz Harmann, Anne Kunze hat mit recherchiert,

Hoepham, die im vorherigen Teil dabei war, die haben uns beide, Jana Simon und mich dann

in dem letzten Teil noch unterstützt. Und das, was eigentlich bei dieser Systemrecherche

herauskam, ist, dass Dieter Wedel aufgrund seines Erfolgs eine nahezu biblische Machtfülle

hatte, wie es ein Redakteur von Sat 1 im Interview mit uns erzählt hat. Er hatte sich einen Namen

gemacht mit seinen irrsinnigen Einschaltquoten, jeder wollte mit Wedel arbeiten. Wedel hat irrsinnig

viel mit dem NDR gearbeitet, dann war er eine Zeit lang ans ZDF gebunden, Sat 1 wollte dann auch

mit ihm arbeiten beim König von St. Pauli und er hatte ja schon, wie wir in der letzten Folge eben

geschildert haben, 1981 gelernt, dass er eigentlich machen kann, was er will. Es gibt keine Konsequenzen,

das war der Fall Esther Gemsch, der ja sogar aktenkundig geworden ist, bis hoch zum Intendanten,

alle wussten, was passiert ist. Und es hatte überhaupt keine Konsequenz und das war, würde

ich jetzt so interpretieren, das Signal an ihm, dass er unantastbar ist. Und es gibt eine Schauspielerin,

die das auch so ein bisschen beschrieben hat, Astrid Fornell, die von ihm auch schon viel

früher bei einem Dreh zu das Kurheim, wie sie sagt, schikaniert wurde. Also es gab dann einen

Kameramann, der ihr zur Rettung gekommen ist und gesagt hat, Dieter Wedel soll jetzt aufhören,

sie zu quälen. Aber das war eine einzige Person, die ihr geholfen hat, sonst niemand aus dem Team.

Ich arbeite nicht dort, wo Menschen gequält werden, hat der Kameramann gesagt und hat seinen Platz

verlassen und ist rausgegangen. Und damit war der Drehtag erst mal zu Ende, auch Kameramänner haben

Macht. Du musst, glaube ich, diese Szene einmal schildern. Ich erinnere mich an die Szene mit Esther

Gemsch, da wird sie in einem schweren Barockkostüm auf die Bühne gestellt und mit ihrem kaputten

Hals und Wedel probiert lauter Einstellungen aus, lässt Schienen für Kamerafahrten verlegen,

abbauen, wieder neu verlegen. Und diese Szene ist irgendwie ähnlich konstruiert. Es ist eine

ähnliche Qual, oder? Die da richtig, richtig herbeigeflichtet. Genau, es ist das gleiche

Muster. Auch Astrid Fornell hat erzählt, dass sie eine nächtliche Einladung in Wedels Wohnung

abgelehnt hat. Und dann danach ging die Schikane los. Es war so, dass sie bei dem Dreh, es waren 30

Grad im Studio, sagt sie. Da hat die Kostümbildnerin plötzlich zu ihr gesagt, sie soll jetzt fünf

Pullover übereinander ziehen. Die Figur, die sie spielt, solle dick sein, hat der Regisseur

entschieden. Und es hatte 30 Grad, sie hatte fünf Pullover an, sie hat unfassbar geschwitzt, der

Schweiß ist ihr runter gerannt. Sie wusste nicht, was sie tun soll. Sie sagt, sie ist eigentlich

fast zusammengebrochen. Und dann kam eben dieser Kameramann auf den Plan und hat gesagt, wo Menschen

gequält werden, arbeite ich nicht. Und erst dann hat Wedel, so wie sie sagt, ihr erlaubt, dass sie

die Pullover wieder auszieht. Und wir haben natürlich sie und auch die anderen Schauspielerinnen

gefragt, warum sie denn sich dann auch nicht gewährt haben. Keine ist ja damals zu Studio Hamburg,

die die Produktionsfirma war. Keine ist zu Studio Hamburg gegangen und hat sich beschwert. Und da

hat sie eben halt gesagt, das Problem liegt in dem System, dass Schauspielerinnen frei beschäftigt

sind. Die Rollen hatte Wedel selbst geschrieben. Er hat die Rollen besetzt. Und sie wusste, dass es

ganz schnell geht, dass sie nie mehr wieder eine Rolle im Fernsehen bekommt. Der schien ihr

unantastbar. Und das war ja bis zu einem gewissen Grad auch. Also der hatte, obwohl er gar nicht

angestellt war, bei Studio Hamburg zum Beispiel sein Büro, damals bei Studio Hamburg gleich neben

dem Intendanten. Und alle Sender wollten mit ihm arbeiten. Und das haben wir übrigens auch gehört.

Das war nicht nur eine Ankündigung von Wedel, das er gesagt hat, wenn du mir nicht gefügig

bist, dann werde ich dir versorgen, dass du nie wieder ein Fuß auf den Boden kriegst,

sondern wir haben gehört von Schauspielagentinnen, damals auch Frauen, die er angerufen hat.

So gesagt hat hier diese Frau nicht mehr besetzen. Mit ihr habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.

Also er hat wirklich eine Macht gehabt, die er auch ausgenutzt hat. Und ähnlich ging es in die Medien

sogar. Also er hat ein sehr gutes Netzwerk unter Boulevard-Jahrlisten. Wir haben nur mit Männern

gesprochen und dann erschienen eben zum Beispiel wenige Jahre, nachdem eine Schauspielerin ihm

nicht gefügig war. In der Bild am Sonntag, eine Geschichte, die schwarzen Listen der TV-Produzenten.

Hier zeigen wir mal die Schauspielerin, die nicht mehr besetzt werden. Auch wenn es gar nicht

stimmte, aber das war wedel abgebildet. Und die Bilder der Frauen, die ihm nicht gefügig waren und

wo er dann sie beleidigt hat, noch Jahre später in der Boulevardpresse einen Forum bekommen hat,

da stand dann so da, dass sie Bida sei oder untalentiert und so etwas. Und das schürt natürlich

eine Angst, die sich rumsprecht in der Branche. Es gibt einen sehr konkreten Fall. Karin Beuth gibt

wedel einen Korb. Also wer hat seine Annäherungsversuche ab? Die Konsequenz, die übliche,

die Karne anbühlen Erniedrigungen. Und dann in der Bild am Sonntag, April 1986, genau diese

schwarze Liste, von der du sprichst, die Aussage von Wedel über Karin Beuth ist. Frau Beuth ist

hübsch, aber leider nicht sehr begabt. Mit der Beuth ist er ja so schlimm umgesprungen, dass sich

sogar ihr Ehemann in einem Sessel neben den Drehort gesetzt hat, um aufzupassen, dass seine Frau

hier nicht bis aufs Blut fertig gemacht wird. Karin Beuth ist ein ganz besonderer Fall, weil auf

Karin Beuth sind wir gestoßen durch den WDR. Und zwar nach den ersten beiden Geschichten haben alle

Sender angefangen, ihre Wedelproduktionen aufzuarbeiten, haben sofern vorhanden Akten angeguckt. Die

meisten Akten waren vernichtet, weil die nur zehn Jahre lang aufgehoben werden. Und der WDR hatte

nur eine einzige Produktion mit die Tavede Wilderwesten inklusive. Und der WDR ist auf Karin

Beuth gestoßen, als er sozusagen seine Wedelproduktion aufgearbeitet hat. Und warum Karin Beuth so eine

großartige Zeugin ist, liegt daran, dass sie diesen Dreh in Briefen verarbeitet hat, die sie an

eine Freundin geschrieben hat. Das heißt, sie kam... Zeitgleich. Also sie hat chronologisch zu den

Ereignissen die Briefe geschrieben. Nicht hinterher in irgendeine Rückschau, sondern sie hat jeden

Tag ein Brief geschrieben, in dem sie die ganze Scheiße erzählt hat. Sie hat zwischen 1986 und

1987 Briefe an eine Freundin geschrieben, die sie dann alle aufgehoben hat. Und die hat sie zum

Interview mitgebracht und konnte dann sozusagen wie im O-Ton vorlesen, was am Set passiert ist. Und

sie ist auch deshalb so eine tolle Zeugin gewesen, weil sie eine sehr erfolgreiche Schauspielerin war

und auch noch ist. Die hat mit Istvan Sabo Mephisto gedreht. Das heißt, sie hatte schon einen großen

Namen, als sie mit Dieter Wedel gedreht hat. Und sie hat wirklich sich bis aufs Letzte gewährt. Und

sozusagen dann mit der Konsequenz, dass zehn Jahre später die Bildzeitung ein Foto von ihr

veröffentlicht und sagt, die kann ja eigentlich überhaupt nichts. Ihr trefft auf Kollegen und

wir gehen jetzt nochmal zum Fall Esther Gemsch zurück. Till Erwig, der war damals, als ich ihn

gesprochen habe, 77, er erinnert sich sehr genau an die Dreharbeit mit Esther Gemsch und er spricht

Wedel darauf an. Wedels Reaktion ist, glaube ich, relativ typisch. Ihr habt schon angedeutet,

er droht immer wieder seinen Kolleginnen und Kollegen, Schauspielerin oder Kameraleuten,

damit sie zu verklagen. Und Wedel sagt hier auch ganz eindeutig, wenn du das verbreitest,

verklage ich dich. Das ist diese berühmte Produktion des Saarlandischen Rundfunks,

Bretter, die die Welt bedeuten. Und was ist denn beim Saarlandischen Rundfunk inzwischen passiert?

Also du hast geschildert, Christian, die haben ihre 2025 Aktenordner gefunden. Die haben die

auch inzwischen selbst aufgearbeitet. Es gibt so einen vorläufigen Abschlussbericht. Da steht

das alles wunderbar drin, was sie drin gefunden haben. Sie haben eine Chronik, was ist wann

passiert, aufgestellt. Aber gibt es Konsequenzen beim Sender? Ich habe sie als wahnsinnig kooperativ

wahrgenommen. Das ist nicht immer so. Und dass sie wirklich ihre Geschichte versucht haben,

schonungslos aufzuarbeiten. Und du hast diesen Bericht erwähnt unter anderem. Sie haben auch

Kontakt zu all den Betroffenen aufgenommen, auch mit unserer Hilfe, um mit ihnen ins Gespräch zu

kommen und auch versucht, sich in Form von Entschuldigung zu finden für die Sachen,

die damals passiert sind, auch wenn die Verantwortlichen gar nicht mehr im Haus sind. Und diese

Taskforce, aus der es dann auch im Sender eine Stelle entstanden, also die, die es erst aufgearbeitet

haben, an die man sich jetzt wenden kann, wenn man ähnliche Fälle glaubt, erfahren zu haben oder

mitbekommen zu haben. Und die ist auch der Intendanz zugeordnet. Also die nehmen das seitdem

wichtig. Und auch der damalige Intendant des Saarlandischen Rundfunks war ARD-Vorsitzender

der Zeit und hat dieses Thema Me Too in der Filmbranche und in der Fernsehwelt dann auch mit

zu seinem Thema als ARD-Vorsitzender gemacht. Und das ist ein Beispiel dafür, wie so eine

journalistische Recherche, wie wir sie gemacht haben, auch zu einem Kulturwandel führen kann in

der Gesellschaft, eine Sensibilisierung, Eintritt, die dann auch auf andere Branchen abgefärbt hat.

Und ich habe das ganz stark gemerkt, dass ich an dem Abend, wo, glaube ich, eure erste Geschichte

erschien, war im Januar, abends in der Kneipe saß und, wenn ich das erzähle, kriege ich Gänsehaut,

neben mir saßen Männer, am Tisch eine Männergruppe, drei, vier Männer und haben sich ihre

Geschichten erzählt, wie sie manchmal Frauen umgegangen sind in der Vergangenheit und ob sie

das heute noch so machen würden. Ob das unter diesem Gesichtspunkt, dass jetzt Me Too ein Thema ist,

ob das nicht vielleicht übergriffig war. Und was war das Ergebnis von dieser Diskussion?

Ja, sie waren sehr ehrlich. Ich habe dann natürlich als Journalist, dass man immer neugierig muss, auch bei

fremden Gesprächen immer zuhören. Ich kann das gar nicht abstellen. Und sie waren sehr selbstkritisch.

Und da haben sich selbst hinterfragt und ich selbst hatte dann ähnliche Gespräche auch mit

männlichen Freunden aus meinem Freundeskreis. Und ich habe es nie ansonsten erlebt bei anderen

Recherchen, dass es so eine Sensibilisierung und Sinneswandel gab, gesellschaftlich.

Was natürlich das auch sehr schön belegt ist, die Deformation eines Menschen,

dem nicht entgegengetreten wird. Also es ist ja diese Behauptung, ein Genie dreht durch. Da

muss man mal fünf gerade sein lassen und dieser ganze Mist, der uns da aufgetischt worden ist,

wo Leute sich völlig enthämt und menschenfeindlich und sadistisch benommen haben und wo dann der

große Dirigent, der große Koaliter, der große Chefredakteur, ja, der ist eben so. Da muss

man mal drüber wegsehen. Dafür tut er doch auch viel Gutes und manchmal ist er doch auch ganz lieb.

Dieser ganze Mist muss man sich jetzt Gott sei Dank nicht mehr anhören. Und das ist schon ein großer

Fortschritt in diesen Tagen. Ja und das merkt man ja auch, das hat sich ja weiter ausgebreitet,

dass dieser Geniekult infrage gestellt wird, merkt man auch in den Heratern, wenn man mit

Dramatogenen redet. Bösartigkeit, im Gewande der Optimierung. Ich will ja nur, dass hier alles

Gutes und in Wirklichkeit tobt hier einer seine niederen Instinkte aus. Wedel hat das sogar

öffentlich so erzählt, er hat gesagt, ich muss die Menschen erst brechen, die Schauspieler,

mit denen ich arbeite, damit ich sie neu aufbauen kann, damit ich mit ihnen arbeiten kann. Und diese

Form von Übergriffigkeit, die glaube ich ganz viele Gründe in seinem Fall hat, auch psychologische,

tiefergehende, ist ja eine Form. Es ging ihm ja weniger, würde ich sagen, um Sex oder Macht. Es

macht Missbrauch. Er wollte seine Macht demonstrieren, die er hatte und eben Macht über andere ausüben. Und

das wurde ihm sehr leicht gemacht, weil er eben so biblische Machtfülle hatte und eben ganz viele

in einer Person war. Und ich glaube, das gibt es auch nicht mehr heutzutage, dass der Produzent

gleichzeitig der Drehbuchautor und der Regisseur ist. An dem Text, an dem dritten Text, das System,

erschienen 2018 am 22. März, fand ich einen Teil der Recherche besonders entlarvend, nämlich eure

Gespräche mit den alten Recken des Boulevardjournalismus. Ich hänge nur so ein paar Zitate hinter

einer anderen. Manfred Meyer, Bildunterhaltungschef, damals 66 Jahre alt, sagt über Wedel, er ist ein

Genie, dem ich einiges verzeihe. Das ist sozusagen seine Erklärung zu seiner journalistischen Haltung.

Dazu passt Michael Gräter. Großer Boulevardjournalist der Abenteitung in München, also dem ist ja

auch der Chirroyale, diese Serie von Titel als Baby Schimmerlose, ist ihm ja gewidmet, mehr oder

weniger. Gräter sagt, wer trotzdem mit Wedel gearbeitet hat, ist doch selbst schuld. Oder Henry C.

Brinker, Chefreporter der Gala, man wusste, dass Wedel an schlimmer Finger ist. Es war eben eine

andere Welt. Wie sitzt man als Journalistin solchen Menschen gegenüber in so einem Gespräch, wenn so

eine Aussage kommt? Ich kann es mir kaum vorstellen. Diese Interviews hat allesamt Anne Kunze geführt.

Dann müssen wir sie bei Gelegenheit fragen. Ja, Anne Kunze ist ja unsere Kriminalreporterin, die immer

wieder hier bei uns zu Gast ist. Wie fragen wir mal? Ich kann mich aber erinnern, dass wir viel

darüber geredet haben. Also die hat sich da richtig reingegniet, hat reihenweise Leute angerufen,

also stundenlang, tagelang, hat sie die belagert. Und wir waren alle, also ich kann jetzt nur für

mich sprechen. Ich war tatsächlich wirklich unfassbar schockiert über meine eigene Branche. Man

muss allerdings wirklich sagen, die Leute, mit denen sie eben gesprochen hat, das sind Männer,

die alle jenseits der 60er, 70er, 80er schon sind. Und ich glaube, dass es wirklich tatsächlich aus

einer anderen Zeit stammt. Also so wie Gräter, der im Prinzip sagt, also der ja wie Anne Kunze

beschreibt im Text regelrecht schäumt am Telefon und sich darüber auslässt, dass Frauen ja angefasst

werden wollen. Und das Zitat, das er ja auch autorisiert hat, die verschmähte Frau, die ist es,

die zu Furie wird. Also das tatsächlich immer noch der Spieß umgedreht wird und das heißt aber,

die Frauen wollen doch begrapscht werden und die, die ausrasten sind, die, die nicht begrapscht

worden sind. Da war ich tatsächlich sehr, sehr schockiert. Wie lang solche Systeme am Leben erhalten

werden, wie sehr sie toleriert werden, zeigt für mich auf der Fall H. W. Weinstein. Weil,

wenn man den nachließt, fällt einem auf, wie öffentlich dieses Geschehen eigentlich ist. Schon

2005 sagt Courtney Love über ihn, wenn H. W. Weinstein nicht zu einer Privatpartie ins

Foresisen einlädt, gehe nicht hin. Selbst bei Oscarverleihung gibt es so Anmerkungen der Oscar

Präsentatoren, die sagen, hey, jetzt hast du den Oscar, jetzt musst du nicht mehr sagen,

dass du H. W. Weinstein toll findest. Habt ihr ein ähnliches Gespür sozusagen, gibt es in dieser

Fernsehszene, in dieser Produktionszene, in dieser ganzen Blase so ein, das weiß ja jeder und irgendwie

gucken doch alle weg? Oder ist das jetzt vorbei? Also ich glaube, es hat sich tatsächlich was verändert,

also nach diesen Geschichten, nach Weinstein, nach Wedel, nach Mitu. Also erst mal wurde von der

Deutschen Firmenakademie und von den Rundfunkanstalten wurde eine Vertrauensstelle eröffnete, die heißt

Themis, wo sich eben Frauen oder auch Männer hinwenden können, die sexuell belästigt wurden

oder denen Gewalt erfahren ist. Das ist tatsächlich nach unserer Recherche geschehen. Also es hat einen

direkten Einfluss gehabt. Wie Frauen selber, würde ich mal sagen, machen das auch nicht mehr so

klaglos mit, wie sie es damals getan haben? Ich glaube, insgesamt gibt es einfach ein völlig

anderes Bewusstsein. Das Bewusstsein hat sich verändert. Es gibt jetzt auch innerhalb der

Produktion, fast bei allen Produktionen gibt es immer jetzt einen Menschen, der direkt dafür da ist,

dass man sich an ihn wenden kann, wenn irgendwas ist. Also da hat sich schon sehr viel getan in den

letzten Jahren. Aber was wir ja beschrieben haben in diesen drei Geschichten ist ja, und das hat,

muss ich sagen, mich als Journalistin oder auch als Mensch einfach getroffen, wie sowas möglich ist

über so einen wirklich langen Zeitraum, Jahrzehnte, dass jemand sich so verhalten konnte und eigentlich

wirklich ihm nichts widerfahren ist und ganz, ganz wenige nur den Mut hatten, etwas dagegen zu sagen,

sich zu wehren oder anderen beizustehen. Ganz viele haben ja eigentlich immer nur zugeschaut.

Also und das muss ich sagen, also das in dieser ganzen Fülle und Intensität, das war schon ganz

schöner Hammer, als wir das gemacht haben. Und auch Menschenkunde. Man lernt wirklich sehr viel

über Menschen und auch in der Recherche diese vielen Menschen, die einem gegenüber saßen und immer

noch vor Angst gezittert haben und immer noch so dieses System der Angst war noch so immanent.

Also das hat mich wirklich mitgenommen und dann auch zu sehen, dass auch Frauen, auch immer noch

nicht, auch gegenüber anderen Frauen vielleicht nicht immer unbedingt solidarisch sind, auch nicht,

wenn man schon sehr viele Beweise auf dem Tisch hat. Das heißt nicht, dass dann immer, dass alle

anderen auch so sehen, wie man selbst oder dass sie dann sich solidarisch erklären hat, damit

gar nichts zu tun, sondern also da sind ganz andere Dinge, die sich da entwickeln und die man gar nicht

voraussehen kann. Was ich noch erstaunlich fand ist, dass ja, also wir haben ja gerade in diesem

dritten Teil ja auch mit ganz vielen Leuten geredet, die sehr eng mit Wedel zusammengearbeitet haben,

unter anderem mit dem ZDF-Redakteur, der ja über Jahre, also Jahrzehnte, 20 Jahre mit ihm

gearbeitet hat und auch mit einem Produzenten, der ihn seit 35 Jahren kannte, die immer alle gesagt

haben und das wird schon so sein, wir haben von diesen gewalttätigen Übergriffen auf Frauen nichts

gewusst und ich glaube, was so ein bisschen das Problem ist und wo man wirklich die Linie ziehen

muss, dass das immer so in einen Topf geworfen wird, diese sexuelle Verfügbarkeit von einigen

Schauspielerinnen, die eingegangen sind auf die Avancen und dann aber gibt es eben halt eine ganz

klare Linie zu Übergriffen, die einfach gewalttätig sind und ich glaube, dass denen teilweise gar nicht

so bewusst war, dass eben diese Grenze überschritten war, denn dass es sexuelle Avancen gab, dass 100%

ich wussten sehr, sehr, sehr, sehr viele. Wir hatten ja auch in dem dritten Teil mit der

Schauspielerin Nina Petri gesprochen, die eben erzählt hat, dass sie wirklich gewarnt worden

ist von einem WDR-Redakteur, mit dem wir dann auch gesprochen haben, also der ist mittlerweile

in Ruhe stand, Herr Brücker, der eben gesagt hat, ich hätte das an keiner Person nachweisen können,

aber ich hatte davon gehört, dass er Frauen sexuelle Avancen gemacht und sie dann, wenn sie

ablehnten, gedemütigt haben soll. Gerüchte kannte man, gewusst hat man wenig. Aber auch die, wir

hatten ja auch in der ersten Geschichte mit einem Kameramann gesprochen, der eben beobachtet hat,

wie Dieter Wedel eine Schauspielerin, die ihn zurückgewiesen hat, gedemütigt hat. Also man

kann jetzt nicht sagen, dass man es nicht hätte wissen können.

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Am 5. Oktober 2017 erscheint in The New York Times der Bericht über H. W. Weinstein,

zwei großartige Redakteurinnen Judith Kantor und Meghan Touhey haben den geschrieben,

ist jetzt inzwischen verfilmt worden, die beiden treten als Figuren auf in Shisead von

Maria Schrada. Es dauert ganz kurze Zeit, dann ist Weinstein wirklich demontiert. Am 8. Oktober

wird er als Vorstandschef seiner Firma abgesetzt, er tritt zurück vom Aufsichtsrat neun Tage später

und reinweise kündigen große Firmen, die Kooperation mit ihm Apple kündigt, Amazon kündigt,

Netflix kündigt, er wird überall rausgeschmissen, unter anderem aus der Academy of Motion Picture

Arts & Sciences, also die, die die Oscars verleihen. Was geschieht denn mit Dieter Wedel?

Dieter Wedel hat zuletzt keine Filme mehr gedreht, die letzte große Produktion war 2010 Gear in

der ARD, aber er hat ein sehr angesehenes Theater Festival in Bad Hersfeld geleitet und da ist er

dann zurückgetreten kurz bevor die zweite Geschichte erschienen ist. Und hatte einen Prozess am Hals

mit einem Hauptdarsteller, den er auf der Bühne fertig gemacht hat. Am 6. Januar 2020 steht

habe Weinstein vor Gericht, am 24. Februar wird er vom Stay Supreme Court in New York für schuldig

erklärt, der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung. Es gibt einen zweiten Prozess in LA gegen ihn

wieder einen Schuldspruch. Dieter Wedel stirbt, wir haben es schon gesagt, am 13. Juli 2022,

bevor ein Prozess gegen ihn eröffnet werden kann. Macht das was mit den Menschen, mit denen ihr

gesprochen habt, fehlt dieser Prozess jetzt? Also wir haben tatsächlich noch Kontakt zu Esther

Gemisch und Patrizia Thielemann auch zu Ute Christensen. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen

und für sie alle ist es schwer, also einfach, weil es keinen Abschluss gibt dadurch. Also die

Geschichte ist nicht abgeschlossen. Das heißt, es steht immer noch im Raum, dass Wedel nicht

verurteilt ist. Also es steht immer noch im Raum, er könnte unschuldig sein. Also die Unschuldsvermutung

gilt ja noch und das setzt all diesen Frauen sehr zu. Also sie hätten gerne einen wirklichen

Abschluss gehabt und das hätte dieser Prozess ihn vielleicht gebracht. Wir haben die Frauen gefragt,

was sich eben nach den ganzen Diskussionen und nach den Geschichten, was sich tatsächlich in

der Gesellschaft verändert hat und Beispiel hat dazu Patrizia Thielemann folgendes gesagt.

Ich glaube aber, dass sich weniger Männer trauen, so wie Wedel. Ja, das glaube ich allerdings auch.

Ich glaube, das überlegen sich solche Männer, die so ein Machtproblem haben jetzt zweimal,

ob sie sich so verhalten, weil das ja schon auch was mit Wedel gemacht hat. Also die Karriere ist ja

noch eindeutig durch und ich glaube, das ist ein wunderbares Negativbeispiel, der damit für den

Rest seines Lebens in Verbindung gebracht wird und insofern hat das schon was bewirkt. Ich glaube,

hier wird hörbar, dass eine Recherche, die so sorgfältig ist wie die und Geschichten,

die so erscheinen wie diese, tatsächlich etwas verändern können. Darauf setzen wir jedenfalls.

Liebe Jana, liebe Annabel, lieber Christian, ganz herzlichen Dank und liebe Zuhörerinnen und

Zuhörer, wenn sie zwischendurch ein kleines Husten vernommen haben. Wir können es nur bei

Sabine Rückert bedanken, die durchgehalten hat, bei heißem Tee, Wasser und Hustenbombos bis ans

Ende dieser drei Folgen. Ich nehme das natürlich gerne an und verabschiede mich auch. Tschüss!

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Im dritten und letzten Teil stellen die Reporter der ZEIT die Frage nach dem System: Wie war eine Fernsehwelt beschaffen, in der niemand Dieter Wedel entgegentrat und in der Geniekult und Einschaltquote offenbar über dem Wohlergehen der Menschen standen?

In Folge 132 sprechen Sabine Rückert und Andreas Sentker mit den ZEIT-Reportern Jana Simon, Annabel Wahba und Christian Fuchs über ein TV-System, das monströse Machtverhältnisse schuf.

Der Text zur Folge (Nadine Ahr, Amrai Coen, Christian Fuchs, Götz Hamann, Anne Kunze, Khuê Pham und Annabel Wahba: Das System) ist im März 2018 im ZEITmagazin erschienen.

Die neue Ausgabe des Kriminalmagazins ZEIT Verbrechen liegt am Kiosk und ist hier online bestellbar. Sie möchten zwei Ausgaben zum Kennenlernpreis testen? Dann klicken Sie hier.