NZZ Akzent: Der Chocolatier, der Kinder züchtigte

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/29/23 - Episode Page - 18m - PDF Transcript

Das ist ein Werbesbut der Schokoladenfabrik Litterach zu Weihnachten.

Wir sehen da Kinder mit funkelnden Augen, wie sie Schoko-Sterne gießen.

Man sieht auch so heile Familie, man beschenkt sich gegenseitig.

Und auch zu Ostern gibt es wieder einen Werbesbut wie zu jedem christlichen Fest.

Da sitzt die Familie am gedeckten Tisch und beschenkt sich mit Ostereiern.

Schokolade, pure Freude.

Es sind schöne Spots, ein bisschen Bida, aber sie funktionieren.

Genau, das kann man so sagen.

Litterach ist ein kleines Schweizer Unternehmen.

Es ist ein Familienunternehmen in dritter Generation,

sehr bekannt in der Schweiz und zunehmend auch immer bekannter im Ausland.

Der Schokiname Litterach sorgt für Schlagzeilen.

Aber jetzt ja, hat diese heile Schokoladenwelt Risse bekommen.

Jörg Litterach, über 20 Jahre lang Chef des gleichnamigen Schokoladenimperiums.

Es geht um Jürg Litterach, den ehemaligen Chef des Unternehmens,

den Patron, der die Firma gross gemacht hat.

In der christlichen Privatschule des ehemaligen Schokoladier Jörg Litterach

sollen die Kinder misshandelt worden sein.

Er soll in einer christlichen religiösen Schule Kinder geschlagen haben.

Lange Zeit galt der Schokoladier Jörg Litterach

als Schweizer Vorzeigeunternehmer.

Jetzt wird sein Lebenswerk von Missbrauchsvorwürfen überschattet,

sagt Wirtschaftsredaktorin Isabel Wachter.

Ich bin David Vogel.

Isabel, bevor wir auf die konkrete Geschichte jetzt eingehen,

einfach wenn ich höre, Jörg Litterach ist oder war ein Schokoladier,

ein Schokoladenfabrikant, da kommt immer dieses Bild.

Das Schokoladenproduzenten sind mit dieser langen, hohen, weißen Kochmütze

von einer anderen Schweizer Schokoladenfirma,

der da ganz genüsslich und verträumt den Kakao püriert und vermischt.

Ist Jörg Litterach auch so einer?

Ja, also man kann schon sagen, er hat da schon Fachkenntnisse.

Er ist 1960 geboren und hat dann auch eine Lehre aus Konditor gemacht.

Also er hat da durchaus auch in den Schokotypfen herumgerührt.

Und das liegt in der Familie.

Sein Vater, der hatte bereits eine kleine Schokoladenfirma in Glarus gegründet.

Glarus?

Ja, das ist ein Konton in der Schweiz.

Da ist etwa eine Stunde von Zürich entfernt.

Und was heißt kleine Schokoladenfirma?

Der hat in dieser kleinen Schokoladenfabrik Kreationen gemacht,

eigene, hat auch eine Trüffkugel, eine Hohle patentieren lassen

und hat aber vor allem an andere Konditoreien verkauft.

Ach so, also er war in der Autoindustrie, würde man sagen, ein Zulieferer.

Genau, er war ein Zulieferer und die Haupttätigkeit war die Belieferung anderer Konditoreien.

Und der Jörg, der macht damit?

Nein, er geht nach Indien.

Nach Indien?

Genau, ja.

Und zwar verwirklicht er dort sein Traum als Missionar.

Denn die Familie Lederach, die ist sehr religiös,

sie sind Mitglied in einer freien evangelischen Gemeinde,

einer Freikirche.

Eher eine gemäßigte, aber Missionierung, das ist wichtig.

Und er will das auch machen?

Genau, es gefällt ihm sehr gut.

Er könnte sich sogar vorstellen, ein Leben in der Mission zu führen.

Allerdings kommt er dann zurück, weil er sein Vater Hilfe braucht im Unternehmen.

Ah ok, also er steigt dann doch ein ins Unternehmen?

Genau, er steigt voll ein, ein bisschen ehrfürchtig im ersten Moment,

wegen der großen Verantwortung.

Das Unternehmen hat auch schon ein paar Mitarbeitende.

Aber ja, es gefällt ihm und er identifiziert sich mit dem Unternehmen

und das ist auch in diesem Video zu hören.

Und dann schließlich 1994, im Alter von 34 Jahren,

übernimmt er dann das Unternehmen ganz.

Und das heißt, wenn er jetzt das Unternehmen übernimmt,

was ist denn mit seinem Engagement in der Kirche,

mit seinem Glauben?

Das ist das, was er macht.

Das ist das, was er macht.

Das ist das, was er macht.

Was ist denn mit seinem Engagement in der Kirche, mit seinem Glauben?

Also er leibt weiterhin sehr christlich.

Also wird er auch sogar noch extremer, fundamentalistisch.

Also er hat sich das Kinder mit seiner Frau, die Mädchen,

die tragen lange Röcke, ganz Bieder

und mit der Familie tritt er der fundamentalistischen Freikirche,

quasi Sabantu bei.

Quasi Sabantu, das spezielle Name.

Genau, das ist eine Evangelikale Mission,

die in den 70er Jahren in Südafrika von Missionaren gegründet wurde.

Okay.

Und das Ziel war, das Christentum zu verbreiten.

Die haben zahlreiche Ableger in der ganzen Welt.

Okay.

Und Lederach macht damit?

Lederach macht da nicht nur mit,

er geht sogar noch einen Schritt weiter.

Im gleichen Jahr, in dem er das Unternehmen übernimmt,

gründet er auch einen Ableger von quasi Sabantu in der Schweiz.

Und zwar in Kaltbrunn, das ist in der Ostschweiz,

im Kanton St. Gallen, dort übernimmt er den Hof Oberkirch.

Was heißt das, er gründet einen Ableger?

Das ist ein Tochterstandort zur ursprünglichen Mission in Südafrika.

Sollen wir noch mal späten, bevor wir Gottes Wort lesen?

Und er ist dort auch als Leyen-Prediger Tätig,

wo er über die Liebe zu Jesus spricht.

Ich liebe Jesus.

Er liebt uns, aber er bringt uns die Wahrheit.

Und Lederach erlebt dort mit seiner Familie,

ganz in der Nähe des Hofs,

und gründet zusammen mit den anderen Mitgliedern

auch eine Schule.

Eine Privatschule?

Ja, das ist eine Privatschule,

die zugänglich ist für die Kinder natürlich aus der Gemeinde,

aber auch für Externe.

Und die heißt Domino Servite, die in dem Herrn.

Das sagt eigentlich schon alles aus, ne?

Ja, das sagt sehr viel aus.

Und Lederach ist dort auch als Seelsorger Tätig,

neben anderen Seelsorgen,

und wird von den Kindern Onkel Jürg genannt.

Onkel Jürg, okay.

Aber eben, er ist ja nicht nur Onkel Jürg,

er ist eben auch Schokoladenfabrikant,

mit mehreren Hundert Angestellten.

Wie muss ich mir das vorstellen?

Ist das jetzt eine Welt für ihn,

oder sind das zwei Welten für ihn,

die religiöse und die Geschäftswelt?

Das sind total zwei verschiedene Welten für ihn.

Was er trennt das?

Im Unternehmen, er stellt Menschen verschiedenster Herkunft,

ein, auch Frauen und die Leute, mit denen ich gesprochen habe.

Er ist sehr lösungsorientiert, sachlich.

Die Leute, die wissen zwar schon, dass er religiös ist,

er betet immer vor dem Essen,

trinkt keinen Alkohol,

das sei auch im Unternehmen lange Zeit,

nicht der Fall gewesen,

dass man Alkohol getrunken habe an den Betriebsfesten,

aber sonst war die Religion und die Kirche kein Thema.

In der Schokoladenfabrik.

Das geht auch so zusammen?

Genau, das geht sehr gut zusammen,

beziehungsweise aneinander vorbei.

Das Unternehmen, das wächst immer mehr.

Und im Jahr 2004 übernimmt Lederach schlussendlich

dann die süß wahren KT Merkur.

Das ist nicht nur eine simple Übernahme,

sondern ein Meilenstein.

Warum?

Ja, weil mit Merkur hat er jetzt plötzlich Filialen

und tritt an die Konsumenten.

Also er ist nicht mehr nur ein Zulieferer für Konditoren,

sondern verkauft direkt an dich und mich Schokolade.

Und durchschaut der Name Lederach.

Er kriegt einen eigenen Auftritt.

Genau, man entwickelt einen Brand,

nimmt dazu den Familiennamen Lederach

und wird so natürlich auch immer präsenter in der Öffentlichkeit.

Es ist ein Premiumprodukt, seine Schokolade.

Und er ist ein gern gesehener Gast im Fernsehen.

Lederach steht für Schokolade, läuft das Geschäft?

Es läuft.

Er hat auch seine Businessstrategie vorgestellt.

Wir sind in München, wir sind zusammen in Straßen.

Er expandiert ins Ausland.

Es muss schon ein Ort sein,

damit die Aufkraft vorhanden ist.

Er mietet dort Ladenlokalitäten an bester Lage

und wird so auch international bekannt bei Touristen.

Es sind beliebte Geschenke, die man auch nach Hause bringt.

Wie kommt jetzt der ganze Skandal ins Spiel?

Ja, beim Skandal geht es nicht um das Unternehmen.

Da geht es um die Freikirche,

also wieder die andere Seite in Lederachs Leben.

Da hat er die Schule gegründet, 1994.

Das ist eine streng christliche, freikirchlich geprägte Schule.

Und bereits vor einigen Jahren kamen erste Gerüchte auf,

dass dort körperlicher, psychischer und sexueller Missbrauch

so stattgefunden haben.

Darauf habe dann die Führung einen Untersuchungsbericht angestrengt

und er kam letztes Jahr heraus und hat diese Gerüchte bestätigt.

Und was ist dann passiert?

Zu Beginn hat das eigentlich nicht so große mediale Aufmerksamkeit ausgelöst

und das Einzige, was das gewechselt hat,

das ist der Name der Schule

und auch die Leitung.

Die Nassnahmen wurden umgesetzt, aber Jürg Lederach stand nicht im Fokus.

Wie ist er dann in den Fokus geraten?

Lederach ist letzte Woche in den Fokus geraten.

Da hat das Schweizer Fernsehen ein Dokumentarfilm ausgestrahlt.

Der erfolgreiche Unternehmer hat sich in einer kleinen Gemeinde

im s. Gallischen Kaltbrunn eine evangelikale Welt erschaffen.

Mit dem Namen die Evangelikale Welt,

der Lederachszüchtigung im Namen Gottes.

Das Trag für mich ist, wie ich das so lange ausgehalten habe.

Und da sind dann wirklich auch Betroffene aufgetreten

und haben von einer Theologie der Angst gesprochen.

Von den Prügelstrafen, die sie erhalten haben, also wirklich eftig.

In der Schule?

In der Schule, genau.

Einer von ihnen heisst Joel.

Ich war immer schlängig.

Ich habe immer noch etwas im Kopf, Streicherspielen.

Und er beschreibt, wie er wegen kleinen Streichen gezüchtigt wurde.

Man hat auch genau gewusst, dass es so schön aussieht.

Aber es war eigentlich gar nichts Schönes in diesem Raum.

Er wurde in ein Zimmer geführt.

Eigentlich ein schönes Zimmer.

Aber dort auf dem Bett mit dem Gürtel geschlagen.

Über das Bett mussten wir uns einböken,

bis es uns schlägt,

bis man sich aus dem Körper probiert rauszumachen.

Und er beschreibt, wie er einfach nur noch seinen Kopf ausgeschaltet hat.

Sehr bewegend.

Ja, es ist wirklich sehr traurig.

Und dann kommt ein weiterer Schüler zu Wort in diesem Dokumentarfilm.

Meine Strophe war,

dass ich mich zuschauen musste,

wie meine Kollegen geschlagen wurden.

Und er erzählt, wie er bei den Schlägen habe zuschauen müssen.

Das war seine Strophe?

Das war seine Strophe, genau.

Und die Regisseurin fragt ihn dann,

wer geschlagen habe.

Und wer ist er, der geschlagen hat?

Und der Protagonist sagt ...

Herr Lederach war Jörg Lederach.

Herr Lederach, Jörg Lederach.

Ein Film thematisiert die evangelikale Welt des Schokoladiers Jörg Lederach.

Was hat der Film ausgelöst?

Der Film ist eingeschlagen wie eine Bombe in allen Medien in der Schweiz.

Jörg Lederach gibt aber keine Interviews.

Auch mir nicht.

Ich habe auch mit ihm korrespondiert.

Zuerst hat er schriftlich geantwortet,

aber seine Aussagen dann zurückgezogen.

Gar nichts sagte, oder?

Was er gemacht hat,

er und seine Frau haben eiderstattliche Erklärungen abgegeben,

in denen sie bestreiten,

jemals Kinder in der Schule oder in der Mission geschlagen zu haben.

Er gesteht gewisse Fehler ein,

geht aber gleichzeitig sehr aggressiv gegen diejenigen vor,

die ihn beschuldigen.

Was heißt das aggressiv?

Er hat bereits eine betroffene Person

aus dem Dokumentarfilm wegen Verleumdung angezeigt.

Er fühlt sich in die Ecke gedrängt?

Ja, das tut er.

Und sein Vermächtnis steht jetzt natürlich auf dem Spiel.

Weil ich habe es selbst gesehen,

am nächsten Tag waren die Lederach-Filialen leerer,

an denen ich vorbeigelaufen bin.

Die hatten sicher keinen guten Monat.

Aber diese Schule und auch die religiösen Überzeugungen

von Jörg Lederach,

letztlich haben die ja nichts mit der Firma zu tun.

Geschäftlich gibt es soweit,

wir wissen keine Verleichtungen,

aber Jörg Lederach hat seinen Familiennamen zum Brand gemacht,

zum Brand des Unternehmens, zur Marke.

Und das war seine Strategie, das hat auch Vorteile,

es gibt dem Ganzen ein Gesicht,

aber das fällt jetzt auf ihn zurück

wegen seiner persönlichen Verfehlungen.

Und diese Trennung, von der wir vorgesprochen haben,

zwischen privat und geschäftig,

funktioniert die nicht mehr?

Nein, die funktioniert nicht mehr.

Das ist immer ein Risiko bei Familienunternehmen.

Zum Beispiel bei Barilla, da hat Guido Barilla,

das ist der Pasta-Hersteller,

sich auch homophob geäußert.

Und da gab es dann auch Boykott-Aufrufe in den USA.

Die Universität Harvard hat die Barilla-Pasta

aus dem Menü geworfen.

Das ist schon ein Risiko.

Ist denn der Name Lederach denn jetzt überhaupt noch zu retten?

Experten sagen, es wäre jetzt noch für früh zu sagen,

dass die Marke durch das so nachhaltig beschädigt ist,

dass sie sich unbenennen müssten

oder das Unternehmen verkaufen.

Aber klar, es ist ein massiver Image-Schaden,

vor allem in der Schweiz.

Und für Jörg Lederach, ist sein Ruf noch zu retten?

Ja, also Jörg Lederach selbst

ist in der Firma nicht mehr aktiv.

Er hat das Unternehmen im Jahr 2018

seinen Söhnen übergeben.

Und die gehen jetzt auf Distanz zur Kirche,

aber auch zu ihm.

Und ja, die heile Welt, die hat Risse bekommen,

im Geschäft aber auch in der Familie.

Das war unser Akzent.

Produzent in dieser Folge ist Antonia Musser.

Ich bin David Vogel.

Bis bald.

Copyright WDR 2021

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Jürg Läderach war lange Chef der erfolgreichen Schokoladenfirma Läderach. Daneben predigte er in einer konservativen Freikirche. Die beiden Welten schien er gut unter einen Hut zu bekommen. Bis jetzt. Ehemalige Schüler der Freikirche werfen ihm vor, sie geschlagen zu haben.

Heutiger Gast: Isabelle Wachter, Wirtschaftsredaktorin

Host: David Vogel

Produzentin: Antonia Moser

Weitere Informationen zum Thema https://www.nzz.ch/wirtschaft/ex-chocolatier-juerg-laederach-und-sein-jahrelanger-balanceakt-zwischen-freikirche-und-wirtschaftskapitaenen-ld.1758077

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