Verbrechen: Der Besessene

ZEIT ONLINE ZEIT ONLINE 9/5/23 - Episode Page - 43m - PDF Transcript

Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, ganz herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts

Zeit Verbrechen.

Diese Folge führt uns in den Hamburger Süden auf einen Dorfplatz, der aber ganz und gar

nicht nach idyllischem Dorf aussieht und er führt uns zu einem Täter, dem die Richterin

im Prozess ins Gesicht sagt, ich halte sie für hochgefährlich, man muss Angst vorhin haben.

Ja, die Geschichte wurde geschrieben von Alexander Rupflin und ist veröffentlicht worden hier

in der Zeit am 17. März 2022, also vor einen Viertel Jahren etwa und Alexander ist hier

bei uns und erzählt uns von dieser wirklich bestürzenden Geschichte, ich habe jetzt wieder

so eine Wut gekriegt beim Lesen, es passiert mir manchmal, dass ich auf bestimmte Leute

einen wahnsinnigen Grollkriege beim Lesen und das ist hier auch so, man kriegt auf diesen

Täter so einen Groll, dass man eigentlich fast vergisst danach zu fragen, wie er wurde, was er ist

und auch darüber wollen wir uns heute unterhalten. Alexander, erzähle uns doch mal die Geschichte

von Aisun und Mustafa. Aisun heißt anders, aber Mustafa heißt Mustafa. Erzähl uns die Geschichte

vom Dorfplatz, um den kein Dorf herum ist, sondern eine Hochhaussiedlung. Ja, hallo Sabine,

hallo Andreas, ich freue mich wieder mal hier sein zu dürfen. Diese Geschichte, auf die bin ich

gekommen, weil sie ganz nahe erzählt wird, wo ich wohne, nämlich am Landgericht Hamburg und ich

wollte diesen Fall begleiten am Gericht, diesen Prozess, weil ich mich in der Zeit

davor ziemlich regelmäßig mit Sorking-Fällen beschäftigt habe und zwar für unsere Kriminalmagazin

Zeit verbrechen. Zum einen hatte ich damals über ein Fahrer recherchiert, der über Jahrzehnte von

einer liebes, wahnsinnigen Frau verfolgt wurde. Stimmt, ich erinnere mich an die Geschichte und

da muss man vielleicht jetzt auch dazu sagen, dass du Reporter bei unserem Verbrechensmagazin

Zeit verbrechen bist. Ja, genau. Und der andere Fall damals war über ein Pärchen, die hatten sich

getrennt, kamen aber gleichzeitig nicht voneinander los und haben sich gegenseitig völlig in den

Wahnsinn getrieben gehabt. Diese beiden Geschichten hatte ich damals erzählt und recherchiert gehabt

und gleichzeitig hatte ich aber das Gefühl einer Frage noch damals nicht ganz auf den Grund

gekommen zu sein und zwar, wie kann es sein, dass man einem Menschen, über den man behauptet,

man liebe ihn so abgöttisch, so viel Leid antun kann. Und deswegen dachte ich, ich gehe noch mal dort

ans Landgericht und gucke mir einen weiteren Fall an und bin da auf Musterfall gestoßen.

Wer ist das? Ja, Musterfall ist ein 23-jähriger junger Mann aus der Türkei stammend, ist

jungen Jahr, er war damals in der dritten Klasse nach Deutschland mit seinen Eltern bzw. sein Vater

war bereits vorher in Deutschland, jetzt mit seiner Mutter und seinen Geschwister nach Deutschland

gekommen. Er wurde dann in der achten Klasse von der Schule verwiesen, weil er versucht hat,

die Schule anzuzünden. Er hat dieses Feuer gelegt, ist weggelaufen. Wo hat er das denn gelegt? Das muss

im Außenbereich der Schule gewesen sein, genau weiß ich das nicht. Jedenfalls ist dieses Feuer

glücklicherweise von allein wieder ausgegangen. Also es ist nichts größeres passiert, aber mit

seiner Schulkarriere war es damit vorbei. Aber es gibt doch eine Schulpflicht, kann man jemand so

von der Schule verweisen, dass es dann vorbei ist mit der Schule? Soweit ich weiß, hat er seine

Pflichtjahre, er hatte auch eine Klasse wiederholt oder so, ich glaube man muss neun Jahre in der

Schule sein, die hat er hinter sich gebracht und ob er dann Schulabschluss hatte oder nicht, spielt

dann keine Rolle. Hat er einen? Nein, er hatte keinen. Er hat keinen und das hat er später im

Gericht auch seiner Familie zum Vorwurf gemacht, er hat gesagt, meine Eltern haben mir nie geklärt,

dass man in Deutschland Schulabschluss braucht, um es zu etwas zu schaffen. Was typisch für ihn ist,

dass er grundsätzlich anderen die Schuld gibt für seinen Tun. Das ist ja erstens menschlich, das

tun wir hier auch, aber es ist natürlich vor Gericht besonders häufig das angeklagte Selten,

die Schuld bei sich selber suchen, sondern in der Regel bei den Umständen. Manchmal haben sie recht,

aber manchmal eben auch nicht. Was ist denn das für eine Familie, aus der der Muster verstammt?

So wie ich sie erlebt habe, bei Gericht auf dem Flur des Gerichts, eine durchaus strenge,

sehr zurückgezogene Familie. Mustafa wurde von seinem ältesten Bruder schwer dominiert,

der hat ihn zu Hause eingesperrt, der hat ihm starre Regeln gegeben. Die Vorsitzende Richterin

hatte das so liebevoll interpretiert, als der wollte sich kümmern, aber es war nicht nur kümmern. Also

wenn ich meinen kleinen Bruder einsperre, meinen Erwachsenen und dann irgendwann volljährigen

Bruder, dann hat das mit kümmern nicht mehr viel zu tun. Ja, Putin kümmert sich auch um Russland.

Das sind so die Familienverhältnisse der große Bruder, hat in einem Dönerladen gearbeitet. Die

Schwestern und die Mutter waren meines Wissens nach zu Hause. Und Mustafa selbst? Hat er irgendeinen

Job gehabt? Mustafa selbst hat immer mal wieder als Lagerist und ähnliches getjobbt, aber das

ging eigentlich nie länger als ein, zwei Monate. Dann fand er wieder einen Grund, warum dieser Job

nichts für ihn sei. Und dann lungerte er wieder auf der Straße. Wir fingen direkt eigentlich nach

seinem Abgang von der Schule mit dem Kiffen an. Anfangs 1 bis 2 Gramm hat er angegeben,

später 3 bis 4 und er sagt, es hätte Tage gegeben, der wär jetzt auch mal 7 Gramm gewesen. Mein

Gefühl war, wenn Mustafa Distanz mal Marihana gesehen hat, dann sind sieben Gramm doch,

also man muss mal den ganzen Tag eigentlich nichts anderes machen. Also sag mal, ist denn der große

Bruder dann sozusagen abkommandiert worden hier als Gefängniswärter für den kleinen,

dessen Devianz offenbar der Familie durchaus aufgefallen ist? Ganz genau. Das mit dem was

nicht stimmt? Ja, das mit dem was nicht stimmt oder das der zumindest in sein Leben nicht in

den Griff bekommt und eben keinen Job hat. Gleichzeitig hat er ziemlich viel Taschengeld

bekommen, woher genau die Familie das wieder hat, konnte ich nicht rausfinden, aber er hat am

Tag 25 Euro von der Mama in die Hand bekommen, dass er dann natürlich wieder Marihana umgesetzt

hat. Und womit verbringt er jetzt seine Tage? Du hast schon gesagt, der lungert auf der Straße

rum, wir haben ja über diesen Dorfplatz gesprochen. Kannst du uns diesen Dorfplatz mal schildern?

Ja, dieser Dorfplatz, das ist in einem Viertel in Hamburg, Kirchdorf Süd. Das ist ein eher

trister Ort, hat mit einem Dorfplatz im herkömmlichen Sinne nichts zu tun. Ich würde sagen, die Bewohner

dort haben das eher Zynismus so genannt, also das sind die üblichen Dönerboden, Wettbüros,

kleine Läden. Und auf der Straße um diesen Platz herum oder an diesem Platz auf den Banken

lungern, eben Jugendliche, Obdachlose und weit, lauf ich drum herum, ist eine Hochaussiedlung. Also

sehr viel Grau. Und hier hat Mustafa so eine Art Gang oder trifft sich mit Freunden, man kifft

zusammen? Genau, ich weiß nicht mal, ob man so weit gehen kann zu sagen, das waren seine Freunde oder

seine Gang. Es waren Leute, mit denen er dort gelungen hat, die sich gefunden haben, weil sie

sonst nichts zu tun hatten. Andere Lungerer. Andere Lungerer, aber kein Sozialgefüge, das wiederum

ihm hätte irgendwie Struktur geben können. Wie sah der denn aus? Wie muss ich mir den vorstellen?

Ja, da habe ich ein Foto dabei aus dem Gericht damals. Ein eigentlich recht großer, etwas ziemlich

schlacksiger junger Mann. Hier mit ordentlichem Hemd. Ordentlichem Hemd. Vielleicht ein, zwei Nummern

zu groß des Hemd, aber zumindestens, das hat er sich noch vorher besorgt oder besorgen lassen

vor der Verhandlung. Also man hat ihm angesehen, das ist jetzt nicht seine Alltagskleidung gewesen.

Das war offensichtlich, das wird später eine Zeugin auch berichten, dass er durchaus auf der

Straße auch einen ungeflegten Eindruck gemacht hat. War auch sicherlich kein attraktiver Mann.

Er wirkte ungeflägt und er hatte vor allem etwas, also wenn man einen Angeklagten sieht,

dann hat man natürlich eine Regel oft mal schon mal vorbehalten. Und trotzdem in dem Moment,

als ich ihn zum ersten Mal wahrgenommen hatte, hatte ich das Gefühl, er hat was sehr, sehr

willfähriges, sehr scheinheiliges an sich, was hintertrieben ist. Ich glaube, das war einfach

der Habitus, den dieser junge Mann, ohne dass ich jetzt hier ein Monster zeichnen möchte,

aber dass er dargestellt hat, dass er wirklich so zum Ausdruck hatte. War er denn vorbestraft?

Ja, wegen der Brandstiftung damals als Jugendliche hatte er eine richterliche Weisung erhalten.

Und sollte Arbeitsleistungen erbringen, die er dann aber nicht erbracht hat. Und

er saß dann auch zwei Wochen im Jugendarrest. So, jetzt beginnen wir uns auf diesen Dorfplatz.

Es ist der März 2020. Und jetzt stelle ich mir die Szene, die jetzt kommt, ungefähr so vor wie in

einem unfassbar kitschigen Film. Die sitzen da und eine junge Frau betritt den Platz. Und hinter

hier erstrahlt quasi hell die Sonne. Es gibt so eine Aura und alle sind erstarrt und verzückt.

Volliwut. Genau. Vor allem Mustapha. Ja, aus Mustaphas Perspektive muss es genau so gewesen sein. Er

sieht Eisun, ein damals 17-jähriges Mädchen, Kopftuch tragen, Muslima, eine sehr anständig

wirkende Prafe, junge Frau, geht aufs Gymnasium, möchte Medizin studieren, hat gute Noten.

Ist damals in der 11. oder 12. Klasse? Genau, ist in der 11. Klasse. Und macht gerade ein

Praktikum bei einer Ärztin, ein Schülerpraktikum. Und deswegen geht sie seitdem, das ist hier

sozusagen ihr neuer Heimweg, zurzeit immer über diesen Dorfplatz, von dieser Ärztin nach Hause.

Und da, Mustapha, der da rumlungen hat, da fällt sie ihm auf. Und er beobachtet sie über mehrere

Tage, bis er den Mut hat zu sagen, jetzt spreche ich sie an, jetzt traue ich mich. Er geht zu ihr und

sagt, hey, hey, wie heißt du? Ich finde dich voll hübsch, kann ich deine Nummer haben.

Da kann sich ja richtig was einfallen lassen. Ja, charmante Ansprache würde ich sagen. Seinen

Vorstellungen, das glaube ich, muss man hier im Kunde auch schon sagen. Seinen Vorstellungen

ist von Anfang an nicht nur, die sieht toll aus, sondern auch, die holt mich aus meinem

pristen Alter raus. Weil man sieht ihr einfach an, das ist eine junge Frau, die hat ein offenes Gesicht.

In ihrem ganzen Wesen zeichnet die das, was er nicht hatte und wahrscheinlich, das muss man so hart

sagen, in seinem Leben wahrscheinlich auch mir reichen wird. Nämlich, die hatte Antrieb, die wollte

was schaffen in ihrem Leben. Die ist mal eine Rettung. Als Engelsfigur, die schwebt förmlich über

den Platz. Genau, im Verhältnis zu ihm, schwebt die über den Platz und ist die große Retterin.

Aber man muss vielleicht auch noch dazu sagen, dass er durchaus sich seiner Situation bewusst ist.

Er ist jetzt nicht so, dass er damit zufrieden ist mit seinem Leben, sondern offenbar gibt es schon

ein Leidensdruck, den er in sich verspürt und weil du sagst, ja, Retterin, also er ist schon

einer, der gerettet werden will, aber das aus eigener Kraft aus irgendeinem Grund nicht schafft.

Natürlich. Also da bin ich auch überzeugt von, dass er das gespürt hat, dass er das zumindest

unterbewusst, ganz deutlich diesen Leidensdruck bereits hatte und sein Cannabis-Konsum war im

Grunde selbst Medikamentierung. Also da wollte sich jemand, da wollte sich abschießen, betäuben.

Ja, um sein eigenes Leben nicht betrachten zu müssen. Genau. Ja. So, jetzt kommt die Anmacher.

Hey, du siehst voll schön aus, kann ich deine Nummer haben? Ja. Was ist denn die Antwort? Ja,

sagt sie, da musst du erst mal mit meinen Eltern sprechen. Also das ist so, so hatte ich das

Gefühl so, die Variante von, ich habe einen Freund, ist sozusagen die Parallele gewesen. Also sie

wollte nicht unhöflich sein, aber sie hat schon mal eine Mauer gebaut. Sie war, um das vorweg zu

greifen, sie war über Wochen und Monate nicht unhöflich. Diese junge Frau hatte eine Geduld mit

diesem Mann und den Versuch, ihm auch immer wieder eine Möglichkeit zu geben, Gesichtswahrend abzudampen.

Ganz genau, ganz genau. Aber er hat wirklich alles getan, um das Gegenteil zu zeigen. Sag mal eine Frage

noch. Mit wem hast du gesprochen und wen hast du gesehen? Also du warst ein Gericht, da hast du

den Angeklagten gesehen, den Mustafa in seiner Rolle als Angeklagten. Hast du denn die Eissun auch

nur vor Gericht gesehen als Zeugin oder hast du auch mit ihr gesprochen? Nein, Eissun und ihre

Mutter konnte ich nicht persönlich sprechen. Das wollten die auf gar keinen Fall. Die waren

förmlich völlig abgeschirmt euch durch ihre Anwältin, die mit dabei war. Und das war nicht

die Situation, diese junge Frau daran zu sprechen. Das wird im Laufe unseres Falles, den wir jetzt

erzählen, sehr verständlich werden, warum die so geschützt und abgeschirmt werden. Jetzt beginnt

Mustafa seine Strategie fortzusetzen. Du hast ja schon gesagt, er hat sie schon vor dem ersten

Ansprechen beobachtet. Was sind so ihre Wege? Wann kommt sie über den Platz? Wo kommt sie her?

Wo geht sie hin? Und er beginnt sie jetzt weiter zu verfolgen. Er entwickelt jetzt auch, das fand

ich auch interessant. Er entwickelt jetzt eine Energie in dieser, man möchte sagen, Überwachung,

die da einsetzt. Die hätte er mal in seine Ausbildung stecken sollen. Er hat also durchaus

Energie. Er ist nicht jemand, der nur rum sitzt und in die Luft schaut, sondern er hat ja jetzt ein

Ziel und einen Plan und dem folgt der Eisern. Und das finde ich jetzt interessant, dass die ihn

in gewisser Weise doch mobilisiert, wenn auch in ganz anderer Weise als gedacht. Ja, das hat

mich auch erstaunt. Diese Motivation, die der plötzlich entwickeln konnte, er fing darauf hin

an, nach dieser ersten Abfuhr in der Woche darauf wirklich herauszufinden, wann ist die wo? Wo wohnt

sie? Was ist ihr Tagesablauf? Wo kann ich sie wann treffen? Er braucht diese Phase für sich auch,

weil er parallel in sich Mut sammelt, sie nochmal anzusprechen. Und das macht er nach einer Woche und

kommt wieder dann mit einem Satz wie, wollen wir mal schreiben? Du bist voll hübsch, sagt er zu ihr.

Sollen wir uns mal treffen? Er macht ja verschiedene Angebote, aber sie wiegelt das ab. Und

dann kommt es dazu, dass er sie bald darauf wieder anspricht. Also der Turnus, der erhöht sich

langsam. Eine Woche Pause in ein paar Tage und irgendwann lässt sie sich so ein bisschen auf

ein Gespräch ein und fragt ihn so, ja, auf welche Schule warst du? Was für ein Schulabschluss hast

du? Und da lügt er und sagt, er hat einen Realschulabschluss. Aber das läuft ganz anders,

als er damit gedacht hat. Sie antwortet, ja, aber ich hätte gern jemand mit Abitur. Und das ist

zum ersten Mal ein Schlag für die Magenkube. Da ist nämlich sein sowieso sehr geringer Selbstwert,

wird nochmal abgesetzt. Da stellt sie ihm so richtig ein Koffer vor die Tür. Ja, die Schule spielt eine

riesige Rolle. Also der Bildungsgrad, die Bildungsmöglichkeiten und die Kraft, diese Bildung

dann auch wahrzunehmen und zu ergreifen. Das ist das Thema hier zwischen den beiden. Ja, jetzt

endet das Praktikum bei der Ärztin. Sie geht wieder zur Schule und Mustafa muss seine

Observationen nochmal von vorne beginnen sozusagen in diesen geänderten Schulalltag jetzt

hinein. Ja, er fängt eben an, im Grunde ihren Stundenplan auswendig zu lernen. Also der weiß

ganz genau, wann hat sie Unterrichtsschluss, wann fährt sie nach Hause, mit welchem Bus fährt sie

nach Hause, was sind die Haltestellen, an der sie aussteigt, wie sie einsteigt. Er lernt sozusagen

ihre Mutter kennen, beobachtet die, beobachtet den kleinen Bruder, den 13-Jährigen. Er hat innerhalb

kürzester Zeit wirklich ein sehr umfassendes Bild von dem Tagesablauf aber auch von der

ganzen Familie. Immer wieder kommt es dann zwischendurch zu Begegnungen, wieder zu diesem

Ansprechen. Du bist voll hübsch, können wir es mal treffen, gib mir doch mal deinen Nummer. Ich

meine es voll ernst. Die Antworten sind ziemlich kurz. Lass mich, geh weg, du nervst. Genau, aber

dass sie so weit geht, da sind wir jetzt fast schon Anfang September. Also das geht schon halbes

Jahr. Das geht ein halbes Jahr schon, dass diese junge Frau sich nicht mehr frei auf der Straße

bewegen kann. Sie hat es schon so Vermeidungsstrategien entwickelt. Sie steigt plötzlich an anderen

Bushaltestellen aus, sie benutzt andere Wege, sie versucht, ihm aus dem Weg zu gehen. Und

sie spricht mit ihrer Mutter? Sie spricht mit ihrer Mutter, genau. Und die nimmt es auch

durchaus ernst. Allerdings kommt schon auch dann Sätze wie, ja konzentriere dich doch besser auf

die Schule, mach dein Abitur, lass dich davon nicht nerven. Man versucht so ein bisschen es

einfach zu ignorieren. Also als Gefahr wird es nicht gesehen. Es wird als blöde Belästigung

gesehen, aber nicht als Gefahr. Vielleicht auch als Gefahr, aber die Strategie ist, lass es uns

ignorieren, dann wird es schon irgendwann auffangen. Es hört aber nicht auf. Ganz im Gegenteil,

in Mustafar baut sich jetzt so ein Mählich, so ein echter Warn auf. Denn jetzt auf gewisse Art und

Weise beginnt er sich verfolgt zu fühlen. Und das fand ich das völlig Verrückte an dieser

Geschichte. Kannst du erzählen, wie das funktioniert? Ich glaube, das beginnt mit dem Foto, das

Eison von ihm schießt. Genau, dazu muss man erzählen, irgendwann kriegen das und das ist

Eison total unangenehm auch die Klassenkameraden von ihr mit. Sie will das überhaupt nicht. Sie

will da niemandem von erzählen. Hier ist das wahnsinnig peinlich. Also sie schämt sich dafür,

dass er sich so aufführt. Aber die Klassenkameraden bekommen es mit und ein Junge nutzt eine Gelegenheit,

wo er Mustafar trifft und stellt ihn zur Rede und sagt, was machst du da? Lass doch das Mädchen

in Ruhe, was fällt dir ein? Und da fühlt sich Mustafar natürlich ertappt einerseits und andererseits

denkt er sofort, dieser Eison, dieses Mädchen, das ich doch so liebe, die macht sich lustig über

mich. Während ich jetzt so mir seit Wochen und Monaten so viel Mühe gebe, dass sie mich endlich

wahrnimmt und um sie werbe, stellt die mich hier zu Witzfigur dar. Das ist seine verquere Logik,

die da passiert. Auch vor einem anderen Mann, der ihn dann zur Rede stellt. Das kommt dazu. Noch

ein anderer Mann, ähnliches Alter und in der ganzen Zeit, auch in der Zeit, wo er sie nicht

anspricht. Sie aber beobachtet, er ist ja ständig um sie herum und sie guckt dann ängstlich in

seine Richtung. Was denkt er? Das sind Botschaften, das sind heimliche Blicke. Sie wartet nur darauf,

dass ich endlich wieder auf sie zukomme. So verquere ist das alles in seinem Kopf bereits.

Ja und dann, nach diesem Vorfall mit dem Klassenkameraden, denkt sich Mustafar,

ich muss Eis und zu Rede stellen. So, was fällt hier ein? Und er hat natürlich auch für sich wieder

einen Grund gefunden, sie wieder mal anzusprechen. Es kommt dann zu der Begegnung, er wartet mal wieder,

dass sie von der Schule kommt und er fragt sie dann, hey, warum redest du so schlecht über mich? Ich

habe dich doch nicht vergewaltigt oder so. Du Hure, du Schlampe, beschimpfte sie. Also aus heiterem

Himmel. Für sie aus heiterem Himmel. Sie versteht überhaupt nicht, woher kommt jetzt auch noch

diese Aggression? Wir sind mitten auf der Straße, wir sind Pennymarkt und wir haben Ende September.

Genau. Und das erinnert mich an ein Buch, das heißt Anleitungen zum Unglücklichsein. Und da

gibt es eine Geschichte drin, die heißt Der Hammer. Und die erzählt von einem Mann, der sich auf den

Daumen klopft mit irgendeinem Gerät, mit dem er versucht, einen Nagel in die Wand zu schlagen und

er sagt, ich brauche einen Hammer, um das zu machen, aber er hat keinen. Und dann überlegte

ob er nicht zum Nachbarn geht und sich dort ein Hammer ausleiht. Und dann, während er so drauf

und dran ist zum Nachbarn zu gehen, denkt er sich um der Nachbar, der hat mich letzte Woche so

komisch angeguckt und gegrüßt, hat er mich eigentlich auch schon länger nicht mehr. Was hat

der gegen mich? Was habe ich ihm getan, dass er mich nicht grüßt? Der mag mich bestimmt nicht.

Wahrscheinlich erzählt er überall rum, was für ein Idiot ich bin. Und ich habe nicht mehr. Und ich

gehe darüber und will von dem ein Name, bin ich verrückt. Und dann geht darüber klingelt und der

Mann macht auf und er brüllt, behalt deinen Scheiß Hammer. Das ist die Geschichte. Und daran

muss ich jetzt denken. Ja, ja. So muss sie sich auch vollkommen sein. Also also versteht die Welt

nicht mehr oder versteht nicht, woher kommt diese Eskalationsstufe jetzt nochmal dazu. Sie schämt

sich außerdem wahnsinnig. Sie sagt, oh Gott, das kriegen jetzt hier alle in der Gegend in der

Nachbarschaft mit. Das ist für sie auch ein Riesenthema, dass sie sich immer für sein Verhalten

so sehr schämt. Dann möchte sie erst mal weglaufen, ignoriert ihn, versucht einfach weiter zu gehen.

Das provoziert ihn und erschlägt ihr zweimal mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Sie dreht

sich um und ruft in ihrer Panik, du schlägst Mädchen und nimmt dann das Handy raus. Ziemlich

geistesgegenwärtig, muss ich sagen. Und macht ein Foto von ihm, um das der Polizei dann später

zu zeigen und ruft auch direkt die Polizei an. Als der kapiert, was sie gerade mit ihrem Handy

da macht, läuft er auf sie zu und ihr bleibt gar nichts anderes als zu rennen. Und sie schafft es

tatsächlich bis in ihr Haus, in den Wohnungseingang, schlägt die Haustür hinter sich zu und er

dritt mit voller Wucht und aus voller Wut dagegen und zerschlägt die Scheibe. Und jetzt weiß sie,

dieser Mann ist nicht nur irgendwie seltsam oder irre, der ist gefährlich. Wie sind sich denn die

beiden im Gerichtssaal begegnet? Was hat sie denn dafür einen Eindruck gemacht als Zeugin?

Eis und selbst ist gar nicht persönlich ein Begegnung. Sie wurde zugeschalten,

die waren im Nachbarraum. Die hat man bewusst im Nachbarraum gesetzt und wurde dann über die

Leinwand, über den Beamer, im Grunde den Raum zugeschalten. Er hat sehr aufmerksam diese

Videoübertragung sich angeguckt. Zwar ohne Regung, aber mit großer Aufmerksamkeit. Und

vielleicht ist es zu weit hergeholt, aber ich dachte, das war ungefähr die Aufmerksamkeit und

die Blick, mit der er sie immer beobachtet hat. Und sie, was hat sie für einen Eindruck gemacht?

Sie wirkte gefasst, sie wirkte sehr aufgeräumt, aber auch diszipliniert aufgeräumt. Also das

hat sie sich abgerungen. Dieser Tag im September, die Geschehnisse dieses Tages, ihre Flucht, der

Tritt gegen die Tür, das alles greift sie so an, dass sie noch am Abend ins Krankenhaus geht? Was

geschieht dort? Sie bekommt Berührungsmittel, sie sagt, sie konnte nicht schlafen, sie hätte Bauchschmerzen,

sie hätte Panikzustände. Die ist dort bei einer Psychologin, also im Psychologischen Notdienst,

lässt sich dort erst mal helfen, weil ihr eben bewusst ist in dem Moment, okay, der Kerl,

der ist nicht nur nervig, der ist jetzt auch gefährlich. Und das ist ein Wendepunkt in dieser

Geschichte, weil sie ab jetzt kein Tag mehr allein vor die Tür geht. Sie wird in die Schule gebracht,

sie wird aus der Schule abgeholt, also entweder ist es ein Freundin oder ist die Mutter. Sie traut

sich nirgends mehr alleine hin. Sie ist im Grunde eingesperrt und wenn sie es nicht ist, dann ist

das hat sie auch so gesagt, wie ein Schatten, der bei mir ist. Sag mal, sie hat doch die Polizei

gerufen, was ist denn da los? Sie hat ein Foto von ihm, der ist doch identifiziert, der wohnt da

drüben, der heißt Mustafa, das weiß sie doch alles. Warum gibt es da jetzt kein Ärger für den?

Ja, es gab Ärger, es gab eine sogenannte Gefährleansprache. Also zwei Polizisten gehen hin und sagen,

überzeichnet gesagt, böser Mustafa, hör auf damit. Und ich weiß nicht, wie deine Erfahrung ist,

aber so wie ich das erlebe, hält das in der Regel bei solchen Fällen ein bis zwei Wochen und dann

fangen die wieder an. Und das war es im Grunde, was die Polizei hier veranstaltet hat. Wir sind ja

jetzt Ende September unterwegs und tatsächlich kehrt jetzt eine Zeit lang Ruhe ein und dann

passiert aber etwas plötzlich ganz anderes mit einer anderen jungen Frau, einer anderen

Eisun, einer anderen Eisun. Wir haben Silvester 2020, was ist los? Genau, man muss jetzt sich von der

bisherigen Szenerie komplett gedanklich lösen. Wir sind jetzt in einem anderen Hamburger Stadtviertel,

bei einer anderen Eisun, in deren Wohnzimmer. Es ist diese Westernacht und die guckt auf

ihr Handy, auf Instagram und sieht dort ganz merkwürdige Nachrichten. Von einem offensichtlich

Fake Profil, weil dieses Fake Profil trägt wiederum auch den Namen Eisun. Dort wird sie als

Schlampe bezeichnet, als scheinheilige Bitch und noch vieles mehr, wo ich jetzt unsere Ohren

verschonen möchte. Sie kann das überhaupt nicht einordnen, sie versteht überhaupt nicht, was

los ist und überlegt ist, ist das irgendein Böder Scherz von irgendeinem Freund, aber dann

denkt sie auch, das kann nicht sein, weil das ist viel zu brutal in der Ansprache bereits. Aber

diese andere Eisun, die ihr da schreibt, hat ja ein Profilbild, den Satz Suche Schwänze mit Abi.

Das hat das Fake Profil. Ja eben, es gibt eine echte Eisun, das ist das Talking Opfer. Es gibt

jetzt eine zweite Eisun, die irgendwo in Hamburg sitzt und rätselhafte Nachrichten von einer

dritten Eisun bekommt, unter deren Profilbild steht Suche Schwänze mit Abi. Genau, dieses Fake

Profil hat das in seiner Profilbeschreibung, wo wir jetzt sehr schnell ahnen können,

wer hinter diesem Fake Profil steckt, weil da wurde jemand sehr gekränkt vor über einem halben

Jahr, vor einem dreiviertel Jahr und da steckt Mustafa dahinter. Mustafa ist gerade der festen

Überzeugung. Er schreibt mit in Anführungszeichen seiner Eisun, seiner großen Liebe, weil,

und das muss man sagen, neben dem gleichen Namen, sehen die beiden jungen Frauen sich

auch tatsächlich ähnlich. Also der hat die junge Frau auf Instagram gefunden mit dem Namen

Eisun und sagt, ah, das ist meine. Genau, und er hat ja von ihr keine Kontaktadresse bekommen,

kein Telefonnummer und auch kein Instagram-Account und sonst was, deswegen hatte sie gesucht und

hat sie dann fälschlich geglaubt, gefunden zu haben. Genau. Und die lässt sich jetzt mit

setzen wie du kleine schlammten Tochter, ich dreh durch, ich habe mich hier gerade wirklich

schwer im Griff. Das ist also jetzt die Liebeserklärung. Das sind die Liebeserklärungen, es wird

noch brutaler. Also das geht jetzt von dieser Silvesternacht ausgehend zwei Monate, fast jede

Nacht. Immer nachts geht das los. Die Frau, diese Eisun, blockiert dieses Fake Profil, zwei

Stunden später ist schon wieder neu. Also die wird den nicht los. Und die schreibt

dem auch manchmal, wer bist du, was willst du, ich kenne dich nicht. Und er antwortet,

ich weiß ganz genau, wer du bist und ich weiß, wo du wohnst und so weiter. Der lässt sich

davon nicht abbringen und es eskaliert immer mehr. Irgendwann kriegt sie dann Bilder von

einer Pistole geschickt. Ja und von einem Geschlechtsteil. Und von seinem Geschlechtsteil, ja. Und

auch sie geht zur Polizei und auch sie regelt sich jetzt ein. Genau, sie geht zur Polizei und

hier muss man sagen, die Polizei macht im Grunde gar nichts. Die gucken sich das an, diese Instagram-Profile

und ja Neuland-Internet wissen wir jetzt auch nichts mit anzufangen. Diese Eisun ist selbst so

klug und schafft es herauszufinden, dass diese ganzen Fake-Profile, das sind ja irgendwann

Dutzende, alle auf dieselbe Handynummer registriert sind. Denn man kann bei Instagram rausfinden,

die zumindest die letzten drei Ziffern der Handynummer. Das hat die Polizei nicht hier

willkommen, das war ihre Leistung. Hat aber auch nichts geholfen, die Identität wurde nicht geklärt.

Und es gibt auch keine Kommunikation in Hamburg. Da gibt es eine Eisun, die wird gefährdet von einem

real existierenden Mann, den man kennt, der einen Namen hat, den man kennt. Und da gibt es eine andere

Eisun, die wird gefährdet auf Instagram und sie bekommt wirklich harte Drohungen. Man droht ihre,

wir wissen wer das ist, man droht ihre Familie umzubringen und offenbar hat Mustafa aber für

sie ein anderes Schicksal vorgesehen. Er schreibt, du wirst für immer im Rollstuhl sitzen. Man könnte

jetzt meinen, das wären alles leere Drohungen. Also diese Waffe und so weiter. Aber das ist es nicht.

Kurz bevor er angefangen hat, dieser fremden Eisun auf Instagram zu schreiben, hat er sich im

November eine Pistole besorgt. Und zwar war er in einem Wettbüro, Strägstrich Café, beides in

einem. Und dort will er, so hat er es ausgesagt, zwei Bulgaren belauscht haben, die eben über Waffengeschäfte

gesprochen haben. Und die hat er angesprochen und diese beiden Männer müssen ihm dann eine

Bretter verkauft haben für 1000 Euro. Es ist bisher völlig ungeklärt, woher diese 1000 Euro

stammen, wie er sich das leisten konnte. Und diese Waffe versteckt er erst einmal bei sich im Zimmer.

Er erklärt sich selbst diesen Kauf, dass es seine eigene Begründung, er müsse sich schützen. Und zwar

schützen nach der Attacke dieses Mitschülers, nach dem, der ihn zur Rede gestellt hat.

Sag mal, die Eisun hat doch ein Foto. Also die erste Eisun hat ein Foto von ihm gemacht,

als er sie auf den Hinterkopf geschlagen hat. Und er verdächtigt ja die Familie,

dieses Foto jetzt rumzuzeigen im Viertel und zu sagen, der Spint. Oder wer ist der Mann? Also

wussten die das, wer das ist? Wussten die, wo der wohnt und so? Oder haben sie das Foto rumgezeigt,

um ihn zu finden? Oder haben sie es gar nicht rumgezeigt? Er glaubt ja, dass sie es rumgezeigt

haben, um ihn schlecht zu machen. Genau. Also er erinnert sich daran, ich wurde da von meiner

Eisun in Anführungszeichen fotografiert und mit diesem Foto muss jetzt irgendwas passieren. Das heißt,

bei ihm geht wieder die Schleife im Kopf los und er sieht, wie im ganzen Viertel dieses Foto

herum gereicht wird und alle über ihn lachen und sich alle über ihn lustig machen und er,

das perverse Schwein ist. Wir merken schon, das kommt jetzt so einer sehr heiklen Verstrickung von

Liebels und Verfolgungsbahnen gleichzeitig. Aber die Frage ist, ob es nicht einen wahren

Hintergrund hat, dass sie das Foto rumgezeigt haben. Die Mutter von Eisun hat dieses Foto wohl

einer Freundin gezeigt. Es bleibt aber ungeklärt, ob dieses Foto dann noch weiter kursiert ist.

Musterfarbe hauptet, er hätte erfahren, dass in einem Friseursalon darüber gesprochen wurde.

Ja, das ist also, er liegt ja ehrlich gestanden auch nahe. Also wenn meine Tochter, ich wohne da in

einem, und jetzt sind wir doch beim Dorf, ich wohne in einer Gegend, in der man sehr eng

aufeinander wohnt, wo wahrscheinlich auch viele Kreuz- und Querverbindungen durch die Hochhaus-

Siedlung ist, wo man viele Leute kennt, viele Verwandte da wohnen. Natürlich gehe ich mit dem

Foto rum und sagt schon mal, der Typ da, der verfolgt die Eisun die ganze Zeit. Wir müssen uns

irgendwie helfen. Die Polizei macht hier Gefährder ansprachen, aber es passiert nichts und auch sonst

passiert gar nichts. Sie hätten sich natürlich einen Anwalt nehmen können nicht. Das wäre eigentlich

das einzige gewesen, was man ihnen hätte raten können an dieser Stelle. Ein Anwalt nehmen, der dann

erstens eine Zivilklage anstrengt oder der Polizei mal bisschen auf die Beine hilft. Also auf jeden

Fall sich rechtlichen Beistand suchen und nicht mit Fotos durch die Gegend laufen und andere

warnen. Das ist jetzt nicht die optimale Lösung. Nein, es ist nicht die optimale Lösung, es ist

der hilflose Versuch, würde ich sagen, eine Lösung zu finden. Ein nachvollziehbarer Versuch,

finde ich. Ja, würde ich auch machen, würde ich auch machen. Aber es ist natürlich der

neiliegende Indorfversuch, so eine Sache in den Griff zu kriegen, aber eben nicht professionell.

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unter www.zeit.de-verbrechen-testen. Es gibt diese Waffe. Es gibt die Silvester verbalen

Attentate auf Instagram. Es gibt diese fortgesetzten Drohungen. Und im März 2021 eskaliert das Ganze.

Es ist jetzt ein Jahr her, ne? Es ist jetzt ein Jahr her. Dieser Wahnsinn geht jetzt ein Jahr. Man muss

sagen, plötzlich im Februar tritt so ein Etwas für eine trügerische Ruhe ein. Eissun, das Mädchen,

das tatsächlich von ihm gestorgt wird, sagt, ich habe ihn schon länger nicht mehr gesehen,

tatsächlich. Die andere Eissun auf Instagram kriegt immer weniger Nachrichten. Also eine

vermeintliche Ruhe tritt ein und die Hoffnung nach einem Jahr hat dieser Wahnsinn ein Ende. Aber dem

ist nicht so. Es ist der 11. Dritte 2021. Der Bruder von Mustafa, der Große, den immer

mal wieder auch als Hause einsperrt, wenn er mal wieder zu viel gekifft hat, schickt Mustafa ins

Wettbüro, gibt ihm 60 Euro und sagt, hier legt das für meine Wetten an. Mustafa fährt damit im

Bus oder in der Tram, jedenfalls im öffentlichen Verkehrsmittel Richtung Wettbüro. Ohne Ticket

wird erwischt und muss 40 Euro Bußgeld sein. Das heißt von den 60 Euro sind nur noch 20 da.

Mustafa verliert sich daraufhin in völligen Selbstmitleid. Ich kann nicht zu Hause zu

meinem Bruder. Was bin ich für ein Loser? Was bin ich für ein Versager? Und plötzlich ist das,

was in den Wochen und Monaten zuvor passiert. Eskaliert nochmal seinem Kopf. Er sieht jetzt nur

noch Blicke auf ihn gerichtet, auf ihn den Stalker, die ihn alle verurteilen als den Loser,

den Vergewaltiger, der sein Leben nicht auf die Reihe bekommt. Und Schuld ist natürlich aber mal

wieder nicht eher, sondern Eisdunz, bzw. Eisdunz-Mutter, die ja angeblich oder tatsächlich mit diesem

Foto rum rennt. Es ist auch ganz interessant, weil vielen schweren Straftaten geht so ein Trigger

Moment voraus. Also es gibt bei Vergewaltigungen sehr oft, aber auch bei Tötungsdelikten vorher

ein Trigger Moment, der die Tat auslöst, der also die Aggression auf die Spitze treibt und dann

alle Schranken fallen lässt. Und das ist oft ein Moment, in dem jemand eben Pech hat oder

versagt oder wo nochmal was schief geht und nochmal die Milch überkocht. Also es gibt,

das weiß man auch aus der Krimiologie, dass es eben vorher noch einen letzten Tropfen gibt,

der das fast zum Überlaufen bringt. Und das muss erwischt werden im Bus gewesen sein.

Ja, ein Moment, der eigentlich mit Eisdunz überhaupt nichts zu tun hatte, aber es hat für ihn

gereicht zu sagen, ich bin die arme Sau, die hier immer nur gepeinigt wird und nur Pech hat. Und

jetzt muss ich mal Schicksal selbst in die Hände nehmen. Er geht nach Hause, holt diese Waffe aus

seinem Zimmer, steckt sie sich in den Hosenbund und geht zu dem Haus, wo Eiswohn und ihre Familie

wohnt. Dort kommt er um 14.30 Uhr an. Er lungert auf der gegenüberliegenden Seite auf eine Parkbank

rum. Wie muss ich mir das vorstellen? Ist das ein Hochhaus? Ja, es ist ein größeres Mehrfamilienhaus

und erwartet da eine Viertelstunde, eine halbe Stunde. Nach einer Stunde kommt plötzlich

Eisdunz Mutter tatsächlich, neben sich ihren 13-jährigen Jungen und auf den Schultern einen

Rucksack mit einkäufen. Damit sie diesen Rucksack jetzt nicht abnehmen muss und den Schlüssel

dort rausholen muss, klingelt sie und bittet ihren Mann die Tür zu öffnen. Der Sommer summt

und in dem Moment hört sie hinter sich einen schreienen Prüllen. Sie wird später nicht sagen

können was dort genau geprült wird, die Worte hat sie nicht verstanden. Sie dreht sich um und sieht

Musterfer, der ihr auch selbst bestens bekannt ist inzwischen entgegenläuft, aus dem Hosenbund die

Waffe zieht und viermal abdrückt. Der mindestens Einschuss war in einer Distanz von höchstens

zweieinhalb Metern. Eine dieser Schüsse oder ein Querschläger, das konnte nicht rekonstruiert

werden, trifft die Mutter ins Gesicht auf die Wange. Die Mutter bricht zusammen, der 13-jährige

Junge zieht seine Mutter ins Treppenhaus, die Treppe hoch vor die Wohnungstür, dort kommt der

Ehemann rausgestimmt. Der Ehemann bettet den Kopf seiner Frau, die Mutter betet nochmal und sagt

zu ihrem Mann, pass auf meine Kinder auf. Die drei anderen Schüsse sind daneben gegangen oder haben

die sie auch getroffen? Die drei anderen Schüsse sind daneben gegangen. Aber der eine ging ins

Gesicht? Der eine ging ins Gesicht. Zur gleichen Zeit flüchtet Musterfer. Er rennt erst mal wahrlos

in der Gegentur und irgendwann dann doch Richtung seines Elternhauses und dort steht

bereits aber die Polizei. Der Eingang ist abgesperrt. Musterfer zieht seine Waffe aus dem

Hosenbund, wirft sie auf den Boden und ruft ich bin es und lässt sich daraufhin festnehmen. Im

Polizeivagen würde zu einem Polizisten noch sagen, jetzt habe ich wegen der Schlampe mein Leben versaut.

Das ist ja schon ein starkes Stück. Was geschieht mit der Mutter, die ist jetzt angeschossen,

im Gesicht schwer verletzt, liegt sozusagen in den Armen ihres Mannes. Ich nehme an,

der Notarzt ist verständigt. Überlebt sie? Ja, sie überlebt zum Glück. Sie wird acht Tage lang

ein künstliches Koma versetzt, verliert mehrere Zähne, hat seitdem starke Schmerzen im Kiefer,

ein Teil des Kiefes muss neu geformt werden, muss nachgebaut werden. Sie kann seitdem den Mund

nur noch gering öffnen. Also sie hat das beschrieben, eine Banane kann sie im Grunde nicht essen.

Wie alt ist sie denn? Sie ist ungefähr 50. Hat sie denn Aussicht darauf, dass das wieder gut

wird? Deswegen frage ich auch nach dem Alter. Das war zu dem Zeitpunkt während der Verhandlung

noch gar nicht absehbar, ob das wirklich wieder richtig gut wird. Aber du hast sie als Zeugin

gesehen. Ich habe sie als Zeugin gesehen. Konnte sie da auftreten? Auch sie wirkte recht

gefestigt, stabil oder auch sehr diszipliniert. War sie persönlich da oder wurde sie auch

persönlich da? Sie war persönlich da. Und zum Glück, es hätte mal eine kleine Narbe im Gesicht,

das für Verhältnisse der Wunde, die da mal war. Und sie hat selber gesagt, dass sich der Gesicht

aus Druck nicht stark verändert hat. Zum Glück. Aber die Schmerzen sind da und was natürlich wiegt,

ist das unglaubliche Trauma in der ganzen Familie. Was Eishun ausgesagt hatte,

das ist mir noch hängen geblieben. Es ist sehr still bei uns zu Hause geworden.

Eishun leidet an Schuldgefühlen. Wegen ihr ist das jetzt mit ihrer Mutter passiert. Das ist

schon ziemlich irre. Ja, natürlich völlig unnötige Schuldgefühle, aber die haben sie geplagt und

lagen sie bis zum Prozess. Ich hatte es ganz am Anfang zitiert. Die Richterin sagt

gegenüber Mustafa, ich halte sie für hochgefährlich. Man muss Angst vor ihnen haben. Wie lautet

denn das Urteil? Ja, und bevor jemand für hochgefährlich gehalten werden kann, muss es ein

psychiatrisches Gutachten geben. Das wird ja die Richterin nicht von ihrem hohen Sitz da heroben

per Blickdiagnose erkannt haben. Genau, es gab einen Gutachter, der festgestellt hat,

dass Mustafa zwar voll schuldfähig ist, aber... Es ist ein Psychiater gewesen. Ja.

Ein Psychiater und der stellte fest, dass er aber durchaus nazistische und gleich

krankbare und dissoziale Elemente hier, das gesagt hat, bei Mustafa festgestellt hat. Und

das Mustafa leicht gänkbar ist, das haben wir in der Geschichte ja immer wieder erleben müssen.

Er hat eine Persönlichkeitsstörung oder was hat er? Eine Persönlichkeitsakzentuierung.

Psychiaterdeutsch. Aber er ist nicht psychisch krank im Sinne eines Strafrabatts. Ganz genau.

Also er wusste, was er tut. Er wusste, was er tut und dementsprechend wird er am Ende auch

zu 11,5 Jahren Haft verurteilt wegen versucht Mordes. Also er sitzt jetzt immer noch. Er sitzt. Er

wird noch ein paar Jahre sitzen. Ja. Was ist mit Eissun? Eissun hat ihren Schulabschluss gemacht,

hat das Abitur bestanden, möchte weiterhin Medizinstudieren. Das war der letzte Stand,

den wir damals im Gericht von ihr fahren haben. Sie ist immer noch, würde ich sagen, traumatisiert von

diesen Ereignissen natürlich. Aber sie möchte sich davon nicht gänzlich ihr Leben erschüttern lassen.

Wir wünschen ihr dabei viel Glück. Lieber Alexander, danke, dass du uns diese Geschichte

mitgebracht hast. Tschüss Alexander. Ich danke euch.

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Der junge Mustafa weiß nichts mit seinem Leben anzufangen. Bis er Aysun in Hamburg begegnet. Sie ist erfolgreich, schön und klug. Sie verkörpert alles, was er begehrt. Ab jetzt folgt er ihr wie ein Schatten …

In der Folge 152 sprechen Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT, und Andreas Sentker, Chef des Wissenschaftsressorts der ZEIT, mit dem Kriminalreporter Alexander Rupflin über eine Obsession, die mehr und mehr von einem jungen Mann Besitz ergreift und ins Verbrechen führt.

Die neue Ausgabe des Kriminalmagazins "ZEIT Verbrechen" liegt am Kiosk und ist hier online bestellbar. Sie möchten zwei Ausgaben zum Kennenlernpreis testen? Dann klicken Sie hier.

Der Text zur Folge ("Obsession" von Alexander Rupflin) ist im März 2022 in der ZEIT erschienen.

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