NZZ Akzent: Der Afghane, der die Taliban bespitzelte

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/3/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

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Wir sind in Kabul und treffen Azadullah.

Er ist sich bis zum letzten Moment unsicher, ob er mit dem Journalisten sprechen soll.

Immer wieder hat er abgesagt, vorher sein Vater wollte ihn abhalten, aus Angst um den Sohn.

Doch Azadullah ringt sich durch, will seine Geschichte erzählen

und begibt sich aus dem Haus in die Straßen von Kabul an den Taliban vorbei,

die überall in den Straßen präsent sind in ein Hotel.

Er hat Angst mit dem westlichen Journalisten, also mit mir, in diesem Hotel gesehen zu werden.

Ein Mann mit schwarzen, in der Mitte gescheiterten Haaren, dunkle Augen, braune traditionelle Kleidung.

Ständig fährt sein Kopf herum im Gespräch, wenn sich jemand von außen nähert, wenn jemand von hinten kommt.

Denn er will auf keinen Fall gesehen werden, er will auch nicht aufgezeichnet werden.

Ein Mensch gehetzt und verängstigt. Und das hat auch einen guten Grund, denn Azadullah war ein Spion.

Und es ist ein Wunder, dass er noch lebt.

Denn er hat jahrelang die Taliban in Afghanistan auspioniert und einige ans Messer geliefert.

Marco Seliger erzählt seine Geschichte. Ich bin Antonia Moser.

Marco, ein Spion, das klingt für mich irgendwie immer so nach Argentenfilmen.

Ja, mag sein, dass das so anmutet, aber die Geschichte von Azadullah, also die, die er mir erzählt, ist zwar eine spannende Geschichte,

aber wie im Film, das ist sie nun wahrlich nicht.

Er ist kein smarter Agent im Dienste seines Landes, sondern er ist eine tragische Figur.

Wie meinst du das?

Na, Azadullah, ich würde ihn so auf Mitte bis Ende 30 schätzen.

Und sein Name ist auch nicht Azadullah, sondern er hat eigentlich einen anderen.

Aber er benutzt Azadullah aus Sicherheitsgründen, ist da im Grunde in etwas reingerutscht.

Und das war 2010, der Krieg in Afghanistan war sozusagen auf seinem Höhepunkt,

vor allem auch der Deutschen Bundeswehr in Afghanistan.

Und da kriegt Azadullah einen Anruf von einem Freund, der im Deutschen Bundeswehrfeldlage in Masai Sharif arbeitet.

Da ist die Bundeswehr stationiert seit mehreren Jahren.

Der Freund sagt ihm, da gibt es Arbeit, da kann man Geld verdienen und Azadullah braucht Geld.

Denn seine Mutter ist krank, sie braucht Medikamente und Behandlung, also fährt er los.

Von seinem Heimatdorf im Osten Kabul nach Masai Sharif, das ist zu jener Zeit auch eine gefährliche Fahrt

und kommt an im Bundeswehrfeldlager.

Weiß Azadullah denn, was ihn in Masai Sharif erwartet?

Das hat seinen Freund nicht so konkret gesagt, so jedenfalls hat es Azadullah erzählt.

Er dachte ihm zunächst, sie bräuchten ihn vielleicht als Wachmann oder als Hilfsarbeiter,

denn er ist an Alphabet, der kann nicht lesen und schreiben.

Also Dolmetscher kann auf jeden Fall nicht sein und tatsächlich arbeitet er auch kurze Zeit als so eine Art Wachmann.

Und eines Tages ist dann aber ein, wie er es beschrieben hat, Breitschultriger Deutscher mit Glatzer auf ihn zugekommen,

hat ihn zum Gespräch gebeten und ihm eröffnet, er könnte sich den Azadullah sehr gut vorstellen,

dass er für die deutschen Informationen sammelt.

Denn da draußen, also außerhalb des Feldlagers, da gibt es böse Männer, die deutsche und afghanische Soldaten töten.

Und ob Azadullah nicht helfen wolle, das zu verhindern und diese Männer halt rechtzeitig zu entlarven, zu identifizieren.

Und dafür gibt es auch gutes Geld, 500 Dollar, so hat er es erzählt, pro Monat hat er dann von den Deutschen bekommen.

Also Azadullah sagt direkt ja?

Er kennt zumindest das Risiko oder er ahnt es, dass dieser Job gefährlich ist.

Denn bekannt ist, was die Taliban mit Spitzeln oder Spionen machen, nämlich kurz im Prozess, wenn sie sie in die Hände kriegen sollten.

Aber trotzdem macht er es, denn Geld und zumal 500 Dollar im Monat sind in Afghanistan ein starkes Argument.

Und die Deutschen sind da auch ordentlich und bürokratisch, da gibt es dann auch einen Vertrag entsprechend,

in dem steht, dass er für die Deutschen arbeitet. Da er aber nicht lesen und schreiben kann, hat das ein Freund für ihn also alles gemacht

und der hat also auch für ihn, so hat er es mir erzählt, unterschrieben.

Und ab dann ist der Spion?

Genau, von da an gibt ihm der immer gleiche Kontaktmann die Aufträge.

Azadullah erzählte mir ein Beispiel von einem solchen Auftrag, als er einen Mullah in einer Koran-Schule ausspionieren sollte

in Sa'i Pol, einer Provinz in der Nachbarschaft von Masa'i Sharif.

Dieser Mullah soll halt in einer Koran-Schule in einem Dorf dort gepredigt haben, den Ji hat

und dann auch parallel dazu für die Taliban Kämpfer rekrutiert haben.

Sein Auftrag war, es rauszufinden, wer dieser Mullah ist, wo er wohnt, wie er so seinen Tag verbringt

und ob das eben alles so stimmt, was man gerüchteweise über den gehört hat.

Also ist er los, Azadullah hat sich sehr clandestin bewegt, also versucht immer irgendwie unerkannt und unerfällig zu bleiben,

hat einen Fahrrad benutzt, ist mal geträmt, hat sich auch getarnt, als Tagelöhner mit so einem Beutel auf dem Rücken hat er mir erzählt

und ist dann dort in diesem Dorf angekommen und da hat er dann nach seiner Erzählung für einen Bauern geschuftet,

also billige Tagelöhnerarbeit den ganzen Monat und hat dann eben die Gelegenheit genutzt, um die Dorfbevölkerung auszuhäuchen.

Und hat da was rausgefunden?

Er erzählte, dass er dann also auch tatsächlich die Informationen, die er eben von seinem Kontakt bei der Bundeswehr schon bekommen hatte, bestätigt gefunden hat.

Also der Mullah sei tatsächlich von den Taliban aus Kandahar nach Nordafghanistan geschickt worden

und er propagiere also auch den heiligen Krieg gegen die unglaubigen Inversoren, als die ja die westlichen Truppen von den Taliban bezeichnet wurden.

Und dann, was geschieht dann mit dieser Information? Passiert da noch was?

Also Asadullah hat mir erzählt, dass seiner Kenntnis nach, dann einige Zeit nach seiner Rückkehr aus diesem Dorf, es eine nächtliche Operation Militärinsatz gegen den Mullah gegeben hatte.

Er ist also in seinem Haus, das Asadullah ja ausspioniert hatte, festgenommen worden und ist dann eben auch in ein Gefängnis gebracht worden.

Also hat diese Information von Asadullah dann wirklich auch zu einer Verhaftung geführt?

Also ich kann das natürlich nicht nachprüfen mehr, aber es sieht ganz danach aus.

Und das ist natürlich schon spannend, weil die Bundeswehr hat das nie kommuniziert, dass sie mit solchen spitzen Spionen zusammengearbeitet hat in Afghanistan.

Asadullah ist aber im Endeffekt das lebende Beispiel dafür und das haben hier auch Quellen aus der Bundeswehr und auch aus dem Bundesnachrichtendienst bestätigt.

Es sind ehemalige Mitarbeiter, mit denen ich gesprochen habe und die sagten halt, dass solche Informanten wie Asadullah sehr wichtig waren, auch für die Sicherheit der deutschen Soldaten.

Und diese Informationen mündeten dann häufig auch in tatsächlich den sogenannten Night Raids, also nächtlichen Kommandomissionen, wo Soldaten meistens amerikanische und afghanische in Dörfer, in Häuser, auf Gehöfte eingedrungen sind, die sind mit Hubschrauber angekommen,

schnell rein, haben die Leute festgenommen und sind auch schnell wieder verschwunden.

Dabei gab es aber auch immer wieder tote, unbeteiligte Tote, was auch in der afghanischen Bevölkerung immer wieder für viel Wut und Hass gesorgt hat.

Und all das, zum Beispiel mit Informationen von Asadullah, ist das nicht auch gefährlich für ihn?

Absolut, denn er hat im Grunde seine eigenen Leute ans Messer geliefert und die Taliban kennen da keinen pardon.

Die suchten natürlich auch die Spitze, weil diese nächtlichen Operationen der westlichen Truppen waren für die Taliban auch verlustreich.

Und natürlich war denen klar, das müssen Spitzelinformationen auch sein.

Und wenn sie solcher Leute harbhaft geworden sind, dann haben sie mit denen in der Regel auch kurzen Prozess gemacht.

Und ich bin mir sicher, dass Asadullah das wusste.

Und trotzdem hat er aber weitergemacht.

Und er hat, so sagte er es zu mir jedenfalls, so lange weitergemacht, bis die deutschen Masai Sharif im Juni 2021 verlassen haben.

Und dann ist Asadullah in Afghanistan zurückgeblieben.

Wir sind gleich zurück.

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Marco, du hast erzählt, wie Asadullah für die Deutschen die Taliban ausspioniert hat.

Nun, im Juni 2021 sind die Deutschen aber plötzlich weg. Was macht Asadullah da?

Also auf jeden Fall ist er erst mal aus dem Gebiet, in dem er spioniert hat, möglichst weit weg von dort gegangen.

Und zwar zurück nach Kabul, große Stadt, Hauptstadt von Afghanistan, 4-5 Millionen Einwohner, so genau weiß man es nicht.

Und da hat er halt gedacht, da kennt mich niemand, da kann ich mich gut verstecken.

Das waren dann allerdings noch sechs Wochen, dann haben die Taliban auch in Kabul die Macht übernommen.

Vielleicht hat er auch gedacht, dass das nicht so schnell geht.

Und eines Nachts, das war gar nicht weit nach der Machtübernahme der Taliban, haben sie ihn geholt.

Wir sind also zu ihm nach Hause gekommen und haben ihn mitgenommen.

Aber wie haben sie den Asadullah gefunden?

Er geht davon aus, dass ihn einen Freund verraten hat. Einer, der auch für die Deutschen gearbeitet hat.

Und er sagte, dass auch sozusagen sehr ironisch oder sehr sarkastisch der Verrat hat in Afghanistan Tradition.

Wenn man die eigene Haut retten kann, dann verrät man eben auch Freunde.

Also dieser Freund verrät Asadullah wahrscheinlich, um sich selbst zu retten.

Sehr wahrscheinlich war es so. Und Asadullah wird eingekerkert und gefoltert.

Er hat es erzählt. Er wurde mit den Füßen an der Decke aufgehängt.

Dann hat man ihn mit Elektroschocks verpasst am ganzen Körper.

Sie haben ihn mit Elektrokabeln ausgepeitscht.

Und das kann man ihm auch ansehen. Man kann die Narben auf seinem Rücken sehen.

Das klingt scheißlich.

Also ich glaube, wir machen uns keine Vorstellung davon, wie eine solche Folter aussieht

und wie das für ein Menschen sein muss. Jedenfalls kann das nur furchtbar gewesen sein.

Doch nach drei Monaten wirklich Aqualen, so würde ich mir es jedenfalls vorstellen,

wird er dann tatsächlich freigelassen, weil die Stammesältesten aus seinem Heimatdorf mit den Taliban verhandelt haben.

Die haben sich für ihn verbürgt und haben Asadullah auf diese Weise frei bekommen.

Ist er noch mal davon gekommen sozusagen?

Ja und nein. Das ist schon ein Wunder, dass er überlebt hat.

In der Regel haben die Taliban mit solchen Verrätern und Spionen, so bezeichnen sie es,

einen kurzen Prozess gemacht. Aber Asadullah ist gleichzeitig auch gezeichnet.

Narben am ganzen Körper geschunden wie Pocken, die Narben auf dem Rücken.

Und teilweise sollen sie auch noch eitern, sagt er.

Im Endeffekt ein Mensch, der auch heute noch in ständiger Angst lebt.

Aber trotzdem spricht er mit dir. Trotzdem kannst du ihn interviewen.

Ja, aber er hat tatsächlich lange gezögert.

Er ist nicht auf mich zugekommen. Er hat sich nicht angeboten.

Er wollte nicht seine Geschichte erzählen.

Sondern das war schon auch auf Vermittlung eines mir bekannten Afghanen.

Und das hat man auch bei dem Treffen gemerkt, dass eben über persönliche Kontakte zusammengekommen ist.

Er war sehr verängstigt.

Aber andererseits wollte er doch, dass die Welt seine Geschichte erfährt.

Denn ich glaube, da schwangen auch so ein bisschen Enttäuschung über die Deutschen mit.

Warum?

Ich glaube, der fühlt sich im Stich gelassen, tatsächlich.

Denn sie sind gegangen aus Masayisharif im Juni 2021, ohne ihn zu informieren,

dass es für ihn eine Möglichkeit gegeben hätte, nach Deutschland zu kommen.

Also hätte es denn diese Möglichkeit gegeben, dass Assadullah nach Deutschland hätte gehen können?

Ja, es gibt das sogenannte Ortskräfteprogramm, wonach also ehemalige Mitarbeiter der Bundeswehr

eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland bekommen.

Okay.

Die Bundeswehr hat mir mitgeteilt, dass inzwischen über 7.500 dieser Ortskräfte

und ihre Familienangehörigen nach Deutschland gekommen sind.

Und Assadullah sagt, davon hat er nichts gewusst.

Das habe ich auch bei der Bundeswehr nachgefragt.

Ob das stimmt?

Ich habe also gefragt, habt ihr solche Leute wie Assadullah nicht informiert?

Und darauf habe ich aber keine Antwort bekommen.

Aber könnte Assadullah nicht jetzt noch irgendwie gehen?

Also für ihn geht das nicht mehr.

Denn als die Taliban ihn frei ließen, haben sie ihm zur Auflage gemacht,

dass er mit Deutschland oder mit einer Stelle in Deutschland nicht in Kontakt treten darf.

Er darf auch das Land nicht verlassen.

Sollte er das trotzdem tun, drohen seiner Familie Konsequenzen.

Das heißt also sippenhaft.

Und damit ist klar, Assadullah ist Gefangener in seinem eigenen Land.

Marco, herzlichen Dank.

Sehr gerne.

Das war unser Akzent.

Produzent dieser Folge war Simon Schaffer.

Ich bin Antonia Moser.

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Bis bald.

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Die Deutsche Bundeswehr setzte in Afghanistan einheimische Spione ein. Einer von ihnen war Assadullah. Als sich die Deutschen aus Afghanistan zurückzogen, blieb er im Land zurück. Die Rache der Taliban musste er am eigenen Leib erfahren.

Heutiger Gast: Marco Seliger, Redaktor für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik

Host: Antonia Moser

Produzent: Simon Schaffer

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/afghanistan-spion-der-bundeswehr-der-ueberlebte-ld.1755184

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